Stendhal
Eine Geldheirat
Stendhal

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Erinnerungen eines römischen Edelmannes

Übertragen von Franz Blei

Ich bin in Rom geboren. Meine Eltern waren von Rang. Aber im Alter von drei Jahren wurde mir das Unglück, daß mein Vater starb. Meine Mutter, noch in jungen Jahren, ging eine zweite Ehe ein, und ein kinderloser Onkel wurde mit meiner Erziehung betraut. Mehr als gerne, begierig fast, nahm er den Antrag an, da er entschlossen war, seinen Neffen im Sinn eines treuen Klerikalen zu erziehen. Dabei für sich selber manches zu gewinnen, war seine Hoffnung.

Nach dem Tode des Generals Dufaon – zu bekannt ist seine Geschichte, als daß ich mich darüber verbreiten möchte – nährte die Geistlichkeit angesichts des drohend anmarschierenden französischen Heeres die Wundermär, man sähe die Holzstatuen des Heilandes und der Jungfrau die Augen bewegen. Leichten Glaubens nahm das Volk diese Erfindung für Wahrheit. Prozessionen veranstaltete man, und die Opferstöcke in den Kirchen empfingen reichliche Gaben. Das vielberedete Wunder selber zu sehen, ging mein Onkel, seinen ganzen Hausstaat im Gefolge, in die Kirche, schwarzgekleidet wie in Trauer, ein Kruzifix in der Hand. Ich begleitete ihn mit einer brennenden Kerze. Wir gingen alle barfüßig, fest überzeugt, mit größerer Demut um so mehr Mitleid von der Jungfrau und ihrem Sohne zu erfahren und des angeschauten Wunders der aufschlagenden Augen teilhaftig zu werden. So zogen wir nach der Kirche des heiligen Marcello. Davor bewegte sich eine ungeheure Menge, die immerfort rief: Evviva Maria! Evviva Maria ed il suo divino Creatore! Vor der Kirchentür stand ein Cordon Soldaten, der nur Prozessionen hineinließ, die Menge aber auf dem Platz vor der Kirche zurückhielt. Ohne Schwierigkeiten gelangten wir in die Kirche und kamen bis zum Altargitter, wo wir uns vor den Bildnissen der Jungfrau und ihres Sohnes zu Boden warfen. Da rief das Volk: Seht nur, sie haben die Augen aufgeschlagen! Die meisten standen so, daß sie überhaupt nichts sehen konnten. Aber sie riefen vertrauensvoll mit, was die Nachbarn riefen. Und die Ungläubigen hüteten sich, ihren Unglauben zu äußern. Man hätte sie in Stücke gerissen. Meines Onkels Blick hing an den Bildnissen, als er ganz in Verzückung rief: »Ich sah es! Zweimal haben sie die Augen geöffnet und geschlossen!« Ich kleines Kind war müde vom Stehen und dem langen barfuß zurückgelegten Weg und fing zu weinen an. Daß ich schweige, gab mir mein Onkel eine Maulschelle und herrschte mich an, mich mit der Madonna und nicht mit meinen Füßen zu beschäftigen. Wir standen noch vor dem Altar, als ein Schneider namens Bacaschi mit seiner Frau und ihrem hinkenden Kinde daherkamen. Das Kind war so verkrüppelt, daß es sich kaum auf seinen Krücken schleppen konnte. Die guten Alten schoben es auf die Plattform vor dem Altar und hoben an zu rufen: Grazie! Grazie! Das taten sie so eine halbe Stunde, worauf die Mutter zu dem Kinde sagte: »Glaube nur, mein Kind! Glaube nur!« Damit übergaben sie das Kind der Vorsehung und sagten ihm noch im Fortgehen: »Nur glauben, Kind! Wirf die Krücken fort!« Das Arme tat so und fiel seiner Stützen beraubt die vier Stufen hinunter, schlug mit dem Kopf auf die Steinfliesen. Die Mutter lief zurück, als sie den Sturz hörte, und brachte ihr Kind gleich nach dem Hospital della Consolazione; zu seiner Lähme bekam das Arme so noch eine Beule. Nun verließen wir die Kirche zusamt unserer Prozession und machten uns unter den üblichen frommen Ausrufen auf den Heimweg. Zu Hause fragte ich ganz bescheiden den Onkel: »Warum hat es die Madonna denn gelitten, daß das unschuldige Kind so schrecklichen Fall tat?« Und bekam zur Antwort: »Meinst du denn, Gott und die heilige Jungfrau müssen für jedermann Wunder verrichten? Glaube das ja nicht, mein Sohn! Man muß ein reines makelloses Herz haben, um so großer Gnade teilhaftig zu werden.«

Bände reichten und erschöpften den Gegenstand nicht, wollte ich mich über Wunder verbreiten. Ich will nur noch ein Beispiel erzählen. Auf der Piazza Pollarola zu Rom steht eine Statue, die Madonna del Saponaro, deren ewiges Licht nicht mit Öl, sondern mit der Milch der Jungfrau selber gespeist würde, wie man sagte. Damit das Volk den Betrug leichter glaube, war das Gefäß der Lampe mit einer weißlichen Mischung gefüllt. Priester in vollem Ornat übernahmen die ihnen vom Volk gereichten Rosenkränze und tauchten sie in die heilige Flüssigkeit. Auch unser Haus zog in Prozession zur Madonna del Saponaro, ihr zu huldigen, und wir überreichten bei dieser Gelegenheit dem Priester unsere Rosenkränze, die er nach langem Sträuben nahm. Er gab sie uns zurück, aber nicht in Milch getaucht, sondern was für Milch der Mutter Gottes geglaubt wurde, war ein fettes Öl. Es brauchte einige Zeit, bis wir unsere Rosenkränze in die Tasche stecken konnten.

Im Jahr 1797 erfolgte Roms Besetzung durch die französische Armee. Die Republik wurde proklamiert und eine Nationalgarde organisiert. Mein Onkel sympathisierte aus Gefühl und Ansichten gar nicht mit dem Sieger, aber er mußte zu seinem größten Leidwesen seine Opposition verbergen und sich um eine Kapitänsstelle in der Garde bewerben. Das brachte ihn in die traurige Notwendigkeit, an den Vorbereitungen zum Verbrüderungsfest teilzunehmen und mich zu dem Umzug zu schicken, der dieser republikanischen Feier vorherging. Diese Feier fand auf dem Petersplatz statt. Ich war, wie alle andern Kinder, nach antiker Mode gekleidet, trug um das Haupt einen Kranz und eine Lorbeergirlande um den Hals. Dieser patriotische Umzug machte mir weit mehr Spaß als die Prozessionen zur Madonna, welches Vergnügen auch meine Kameraden teilten. Und unser Vergnügen war um so größer, als die Zeremonie mit einem großartigen Festessen auf dem Petersplatz abschloß. Was mein Onkel aber hinterher redete, verdarb mir viel von meinem friedlichen Genuß. Auf dem Heimweg hielt er mir fromme Predigten, um mir einen heiligen Abscheu vor diesen gotteslästerlichen Festen der Republik beizubringen, die, wie er sagte, von den Heiden übernommen seien und deren wirklicher Zweck nur wäre, Laster und Leichtsinn in der Hauptstadt der Christenheit zur Herrschaft zu bringen. Solche Feste, sagte er, sind Siegesfeiern des Teufels, und wir können nichts andres als den Himmel um Verzeihung dafür bitten, daß wir uns an dieser gottlosen Veranstaltung beteiligt haben. Besser als solche Schmach erscheine ihm der Tod, so schloß er, und daß er uns künftig nicht mehr unter den Schuldigen dulden würde, was immer man auch für Gewalt anwendete, uns dazu zu zwingen. Und er hielt sein Wort wie ein Mann.

Bald aber zwang das wechselvolle Kriegsglück die Franzosen zum Rückzug und das brachte die Besorgnis meines Onkels zum Ende. Bald hatte er die süße Genugtuung, das päpstliche Regiment wiederhergestellt zu sehen. Dieser Umschwung krönte alle seine Hoffnungen.

Mein Onkel ließ nun einen Lehrer kommen, der mich in den Anfangsgründen des Lateinischen unterwies, denn ich konnte keine öffentliche Schule in Rom besuchen, ohne wenigstens die Grundelemente dieser Sprache zu kennen. Meine geringen Fortschritte dankte ich wohl der Langweiligkeit von meines Lehrers Methode und der Ermüdung meines armen Schülerhirns durch Gebete und Predigten. Wehe dem, der sich Fragen erlaubt, die über das Begreifen des Lehrers hinausgehen! Denken ist ein Verbrechen und jedes Wort des Priesters ein Glaubensartikel.

Nach zwei Unterrichtsjahren empfing ich die heilige Kommunion, auf die ich mich durch eine dreimonatliche Buße vorbereiten mußte. Zwei Jahre grausamster Prüfung hatte ich bei dem Lehrer verbracht und kehrte ins Haus meines Onkels und meiner Tante zurück, die mich wenig nach meinen Fortschritten im Unterricht fragten, da sie, wie sie sagten, allein um mein Seelenheil besorgt waren. Weinend umarmten sie mich und beglückwünschten mich dazu, daß ich so fromm den Weg des Glaubens betreten hätte. Aber den Weg der Wissenschaft hatte ich leider verlassen, und als ich zur Schule zurückkehrte, das Wenige vergessen, das mir meine ersten Lehrer beigebracht hatten.

In der Schule bestand eine fromme Vereinigung, die sich die Bruderschaft vom Heiligen Ludwig nannte. Alle Schüler mußten an den Festtagen des Morgens eine Predigt anhören, beichten und kommunizieren; dann ging's zum Essen. Nach zwei Stunden wurden sie von einem Priester in einen Garten vor der Stadt geführt, um da Ball zu spielen, wobei jede Partei mit zehn Vaterunsern bezahlt wurde, die wir mit den Händen auf den Knien hersagten. Nach dem Spiel ging es zurück in die Stadt, wo unserer neuerlich eine Predigt wartete. Hierauf gaben uns zwei Priester die Rute der Pönitenz und die Lichter wurden ausgelöscht, damit die Frömmsten sich, ohne Scham zu empfinden, weiter geißeln lassen konnten. Ertönte der Psalm Miserere mei Domine, wurde das Geißeln allgemein und dauerte, bis der Gesang verstummte. Dann sangen die Geißler und denen, die sich entkleidet hatten, wurde soviel Zeit gelassen, ihre Nacktheit wieder zu bekleiden; dann wurden die Lichter wieder angezündet. Nach langen Gebeten wurden wir entlassen, zitternd und zerknirscht in der Furcht vor Hölle und Teufel. Diese Zeremonie wiederholte sich in jeder Woche ein- oder zweimal wohl auf Kosten unseres Geistes, aber sehr zum Nutzen unserer Seele. Daß wir etwas lernten, daran lag unsern Lehrern gar nichts, ihre Bemühung war vielmehr darauf gerichtet, uns in der Unwissenheit zu erhalten und in unserm Herzen durch die unrechte Grausamkeit der Züchtigung das Aufkeimen jeder Tugenden zu ersticken. Diese Übertreibung setzte meinem Leiden zu meinem Glücke bald ein Ende. Ich kam eines Tages zu spät zum Unterricht und konnte gegen sonstige Gewohnheit meine Aufgabe nicht hersagen; da ließ mein pedantischer Lehrer sofort den Korrektor kommen, von der Regierung damit betraut, die von den Lehrern verhängten Strafen auszuführen. Ich erhielt zwanzig Stockschläge auf die Hände, die mich schrecklich schmerzten. Nach dieser Züchtigung setzte ich mich wieder in die Schulbank, ohne Schmerz und Zorn unterdrücken zu können. Aber gerade das war das Falsche, denn der Lehrer ließ mir für meine Aufsässigkeit eine neue Züchtigung verabreichen. Aber ich weigerte mich, sie zu ertragen; mein Henker drohte mit Gewalt, wenn ich bei meinem Trotz verharrte. Da blieb mir keine andere Rettung als Flucht. In Eile raffte ich Feder, Papier, Tintenfaß, Federhalter zusammen und warf es meinem Peiniger an den Kopf. Das war mein Abschiedsgruß. Meine Mitschüler brüllten vor Lachen, setzten mir aber doch auf Befehl des Lehrers nach; ich rettete mich in eine Kirche, in Italien ein unverletzliches Asyl. Aber was sollte ich nun tun? Ich überlegte. Ließ ich meinen Onkel rufen, bin ich bald wieder in der Schule, denn er hält es mit meinen Feinden. Lieber wandte ich mich an meine Mutter, die auch sobald und höchst erschrocken herbeikam, fest überzeugt, ich hätte ein Arges verbrochen. Die Erzählung meines Erlebnisses beruhigte sie etwas. Sie brachte mich in meines Stiefvaters Haus und nach vielen Bemühungen, meine Sache zu schlichten, erreichte man bei dem Beleidigten die Verzeihung, wenn ich ihn vor aller Welt kniend darum bäte und Buße täte einen Monat lang im Kloster von San Giovanni e Paolo, so einer Art von Strafhaus, in dem sich die Gefangenen selber verköstigen müssen. Mein Onkel war über diese Abmachung sehr glücklich, in der Hoffnung auf die Klosterbrüder und deren guten Einfluß auf meinen widerspenstigen Geist. »Gott erwartet dich,« sagte er immer wieder, »ergreife seine Hand und denke, daß die Hölle offen steht, dich zu verschlingen.« Er übergab mich und etwas Geld dem Prior, wofür Messen für mich gelesen werden sollten. Dann ging er. Was ich alles von den Mönchen, die mich mit Gott versöhnen wollten, auszustehen hatte, das kann ich gar nicht aufzählen; klar bewiesen sie mir meine Verdammnis und die Unsühnbarkeit meines Verbrechens. Ich war jung und leichtgläubigen Herzens; ich glaubte ihren Worten und meine Reue war voll aufrichtiger Zerknirschung. In Demut bot ich jeden Morgen meinen entblößten Rücken den Geißelhieben und trug, damit die Sühne meinem Verbrechen entspreche, ein Rußhemd, gespickt mit kleinen Eisenspitzen. Willig unterwarf ich mich jedem Befehl; immer glaubte ich, wie die Mönche mir so sagten, der Teufel sitze mir im Nacken. So lebendig war meine Angst, daß schreckliche Träume mir den Schlaf verdarben. In der Beichte bekannte ich, von meinen Kameraden sehr schlimme Bücher geliehen zu haben. Der Prior wiederholte, ich sei verdammt und der Teufel würde mich holen mit Leib und Seele, wehrte ich dieses nicht ab durch Beten und Almosen. Ich gab her, was ich hatte, leerte in die Hand des guten Paten meine Börse, fastete und kasteite mich, um nur ja dem Teufel zu entgehen. »Siehe, mein Sohn,« sagte mein Beichtvater, »für deine vier Scudi, die du mir gabst, werde ich vier Messen für dich an einem Altar lesen, der Seiner Heiligkeit, dem Papst Pius V. geweiht ist. Aber kasteie nur auch deinen Leib.« Was ich versprach und hielt. Aber zu meinem Glück ging meine Bußzeit dem Ende zu. Den Tag vor meiner Befreiung empfing ich die Kommunion, wobei ich in Tränen zerging. Am nächsten Morgen war mein Onkel da; seine Überraschung über meine hohlen Backen verbarg er rasch, indem er sagte: »Zu deinem Heile sind deine frommen Übungen dir gewesen. Du bist nicht mehr im Stande der Todsünde, der Ausdruck deines Gesichts ist viel sanfter geworden.« Wir verließen das Kloster und fuhren in die Schule, wo ich vor aller Augen hinkniete und meinem Lehrer abbittete. Welche Gelegenheit der Lehrer gleich benützte, die Schüler zu erinnern, welche Rücksichten sie seinem Charakter und seiner Würde schuldig seien. Es wurden noch einige Formalitäten ähnlicher Art erledigt, worauf ich von meinem Onkel nach Hause gebracht wurde. Als mich da seine Frau erblickte, rief sie: »Was hat er denn angestellt, daß er so abgemagert ist?« – »Seine Sünden hat er gebüßt«, sagte der Onkel, der mich gerne wieder in die Schule geschickt hätte, was ich aber nicht wollte. Und da ich in meiner Weigerung standhaft blieb, entschloß er sich, mich zu dem Advokaten Burner zu geben, der die päpstliche Breves für Spanien ausfertigt. Dieser Burner war seit zwei Jahren von der Gicht ans Haus gebunden; seine Arbeit bestand darin, daß er einige Schriftstücke unterfertigte, die ein paar Greise für ihn schrieben. Als ich bei ihm in den Unterricht eintrat, lebte er mit einer Dienstmagd. Meine alte Tante leistete ihm oft Gesellschaft und abends, wenn ich meine Arbeiten gemacht hatte, gingen wir zusammen nach Hause. Der arme Burner, von seinen Schmerzen ans Bett gezwungen, lästerte Gott und fluchte allen Heiligen. Wenn es eine gerechte Vorsehung gebe, sagte er, dann wäre Leid und Freud gleichmäßig verteilt. Meine darob entsetzte fromme Tante machte ihm eines Tages Vorwürfe, aber die frommen Reden nahm er sehr übel auf, und auf dem Heimweg bekam ich es von der Frommen verboten, weiter den Kranken zu besuchen. »Mein Gewissen«, sagte sie, »duldet nicht, seine Lästerungen anzuhören, und wenn ich ihn nicht mehr besuche, mußt du tun wie ich; vom Unterricht eines Gottlosen kannst du nichts lernen.« Ich sagte darauf nur, daß ich keine Angst davor habe.

Hätte mein Onkel davon erfahren und mir den Unterricht bei dem Advokaten verboten, wäre mir das sehr leid gewesen, denn der Ungläubige klärte mich über manches auf, wovon ich durch die Vorsicht meiner früheren Lehrer nichts wußte; auch vortreffliche Bücher lieh er mir, deren Lektüre mich begeisterte, wenn ich auch nicht wußte, wie die Lehren der Priester und die Sätze des Advokaten zu vereinen seien, deren gute Argumente mir immer mehr einleuchteten. Inzwischen hatte sich auch meine Tante wieder zu Besuchen eingefunden, und als eines Tages Burner einen schweren Gichtanfall hatte, beschwor sie ihn, seine Schmerzen doch um Gottes willen zu ertragen, was der Kranke mit so starken Schmähungen zurückwies, daß die gute Tante ohne Hut und Schal davonlief. Zwanzigmal schlug sie wohl das Kreuz und tat den Schwur, keinen Fuß mehr in das verdammte Haus zu setzen. Burner erzählte mir des Abends lachend den Vorfall, von dem die Tante zu mir mit keinem Wort Erwähnung tat. Sonntags darauf ging sie zur Beichte, und ihr Seelsorger, ein Dominikaner vom Inquisitionstribunal, verweigerte ihr die Absolution, wenn sie den Gotteslästerer nicht zuvor anzeige. Und dies tat sie auch Tages darauf beim Heiligen Offizium, kehrte zurück zu ihrem Beichtvater, der ihr nun zum Lohn für ihren Gehorsam die Absolution gab.

Vierzehn Tage darauf wurde ich vor das Tribunal der Inquisition geladen und war höchst entsetzt darüber, denn ich fürchtete die Denunziation eines falschen Freundes als Leser verbotener Bücher. Ich sagte meinem Onkel kein Wort von der Ladung und daß ich in größter Unruhe war, wird man aus meiner Lage begreifen und daraus, daß das Ganze wohl geeignet war, einen jungen Menschen zu verwirren, der ohne Erfahrung fremd den Ränken der Welt gegenüberstand. Am ersteren Tage ließ man mich im Vorzimmer des Tribunals eine Stunde klopfenden Herzens warten, bis man mich endlich in einen schwarz ausgeschlagenen Saal führte; vor einem mit schwarzem Tuch bedeckten Tisch saßen drei Dominikanermönche, welcher Anblick mein Entsetzen noch steigerte. Glücklicherweise machte mir der Sekretär der drei Inquisitoren, ein mir bekannter freundlicher Abbate, heimlich ein Zeichen, was mich etwas beruhigte. So daß ich, noch ehe das Verhör begann, Zeit zu einiger Fassung hatte. Über den Inquisitoren hing ein großes Kruzifix; ein kleineres stand auf dem Tische neben einem aufgeschlagenen Buch, dem Neuen Testament. Der erste Mönch fragte mich nach Namen und Taufnamen und ob ich schon einmal vor dem Heiligen Offizium gestanden habe, was ich verneinte. – »Kennen Sie den Advokaten Burner?« – »Ja.« – »Haben Sie ihn zuweilen Gott lästern hören?« Darauf antwortete ich, daß er große leibliche Schmerzen zu erdulden hätte und daß ich zu ihm ginge, um bei ihm zu arbeiten, nicht aber um zu hören, was er mir etwa erzähle. Der Inquisitor sah mich schief an und drohte, mich schwer zu züchtigen, wenn ich nicht alles, was ich wüßte, gestände. Im Namen der Dreifaltigkeit und der Heiligen Schrift soll ich ohne Umschweife alle Lästerungen sagen, die der Advokat vor mir ausgestoßen habe, und er fügte noch hinzu: »Haben Sie keine Unterhaltungen mit dem Advokaten geführt?« – »Nie.« – »Ich rate Ihnen, die Gesellschaft dieses Gottlosen zu meiden; seine Seele ist den Qualen der Hölle überliefert; wir werden alles tun, daß er vor Gott Gnade finde, aber wir hoffen auf keinen Erfolg. Bevor wir Sie entlassen, schwören Sie auf dieses Kruzifix, niemandem zu sagen, daß Sie vor das Tribunal geladen waren, noch weshalb es geschah.« Ich beschwor, was man von mir verlangte, und wurde mit den üblichen Formalitäten entlassen. Im Vorraum sah ich die beiden Greise, deren Schriftsätze der Advokat unterzeichnete; die Unglücklichen zitterten am ganzen Leibe. Ihre Unschuld beteuernd, nie im Leben hätten sie mit der Inquisition zu tun gehabt. Ich nahm ihnen die Angst, indem ich ihnen sagte, weshalb sie vorgeladen seien. Zu Hause erzählte ich alles meinem Onkel, der seiner Frau die stärksten Vorwürfe wegen ihres Geschwätzes machte. Zu ihrer Rechtfertigung berief sie sich auf den Befehl ihres Beichtvaters, dem sie hätte folgen müssen, ihres Seelenheils wegen.

Am gleichen Abend besuchte ich wie gewöhnlich den Advokaten. Er war in heller Wut, und um den Anlaß gefragt, sagte er: »Ich habe zum Lachen wahrhaft keinen Anlaß, denn man hat mich bei der Inquisition denunziert. Aber was will man denn von einem armen Gichtkranken? Ich erwarte das Tribunal in meinem Bett.« Bald darauf erschien ein Inquisitor und ein vier Stunden währendes Verhör begann. Aber alle Listen des Mönches wurden an der Kaltblütigkeit des Angeklagten zunichte.

Seitdem war ein Monat vergangen, als der Advokat den Besuch des Großinquisitors bekam. Der hatte aber nicht besseres Glück als sein Stellvertreter und verließ mit der Drohung den Kranken, ihn aus dem Bette ins Gefängnis schleppen zu lassen. Nachdem er fort war, sagte der Advokat zu mir: »Was will man denn von mir? Ich bin in der Theologie besser beschlagen als irgendeiner von ihnen; sie können mich in Ketten legen, foltern, gut, aber nie werden sie mich zwingen, mein Gewissen zu verleugnen.« Ergriff meine Hand. »Mein junger Freund, die Inquisition ist gut fürs Volk, aber bei den Gebildeten vermag sie gar nichts, da versagt ihre Logik vollkommen.«

Zwei Monate später wurde ein Haftbefehl gegen Burner erlassen, aber dessen Ausführung mußte verschoben werden, denn der Advokat war schwer krank – wenige Tage darauf starb er eines unbußfertigen Todes.

Die Franzosen hatten anno 1807 kaum die alte Hauptstadt der Welt besetzt, und schon ließ sich die römische Jugend von Napoleons schönen Versprechungen täuschen – ich in der Genarrten erster Reihe, denn mein Wille dazu war groß, aber anfangs vergeblich, denn ich stand ja unter der Vormundschaft meines ganz päpstlich gesinnten Onkels, der mich nicht aus den Augen ließ. Als er aber eine kleine Geschäftsreise machen mußte, blieb ich allein in Rom mit seinem Verbot, nie das Haus zu verlassen und niemanden sonst zu sehen als einen alten mir zum Mentor bestellten Priester, und mich vor allem nie mit Politik zu beschäftigen, als welche die unerschöpfliche Quelle aller Sorge und alles Verdrusses sei. Ich versprach ohne Nachdenken, was er verlangte, aber kaum war er ein paar Meilen Weges von Rom fern, erkundigte ich mich schon bei Freunden nach dem Stand der politischen Angelegenheiten. Einige meiner Freunde waren in die neuen Regimenter, andere in gute Verwaltungsstellen eingetreten, und alle redeten mir lebhaft zu, meinen Onkel doch zu verlassen und Soldat zu werden, da ich leicht ein Patent als Unterleutnant bekommen könnte. In meinen Eindrücken spielte der Bannfluch eine Rolle, mit denen der Papst alle träfe, welche in die Dienste der Republik träten. Darauf aber hatten meine Freunde nur ein Lachen. – »Dein Onkel hat dich in Unwissenheit erzogen und deine Lehrer haben sein Werk vollendet. Komm zu uns, und du wirst bald merken, was der Bannfluch wert ist.« Mein Widerstand gegen ihren Rat war schwächer als mein Wunsch, mich an der Spitze einer Kompanie zu sehen; überzeugt, mein Onkel würde beim Anblick meiner Epauletten weich werden, und wissend, daß er erst in zwei Tagen rückkehrte, faßte ich meinen Entschluß: ich kaufte mir eine Uniform, und meine Freunde verschafften mir beim General Miollis, dem Gouverneur von Rom, ein Offizierspatent. Stolz auf meine Uniform, schien mir nichts dringlicher, als mich, eitel wie ein Parvenü, überall darin zu zeigen, wenn auch mit einiger Reserve, denn ich war im Genuß meiner erst eintägigen Freiheit noch ein Neuling. Andern Tages meldete ich mich beim General, um ihm für die erwiesene Gunst zu danken und dem Kaiser den Treueid zu schwören. Der General empfing mich mit Herzlichkeit und sagte, die französische Regierung werde den Eifer jener, die als erste zu ihren Fahnen geeilt seien, gebührend zu schätzen wissen. Damit entließ er mich zu Cesare Marucchi, dem Bataillonskommandanten der ersten Legion, der mir gleich meinen Dienst anwies. Mein Onkel, der von meinem Tun erfahren hatte, erledigte in größter Eile seine Geschäfte und kam nach Rom zurück. Seinen Zorn zu schildern, vermöchte ich nicht; er erklärte mir, ich müsse sofort sein Haus verlassen, unter dessen Dach er einen Rebellen und Exkommunizierten nie dulden könne. Ich versuchte, ihn zu beruhigen, indem ich ihm die Motive meines Schrittes auseinandersetzte und ihm erklärte, daß man auch als Soldat des Kaisers ein guter Katholik sein könne; aber es war vergeblich, was ich sagte. – »Nein! Zweien Herren kann man nicht dienen! Noch hast du Zeit, deine verbrecherische Verpflichtung zu lösen und auf deinen Plan zu verzichten. Vor den Verfolgungen dich zu schützen, gehe aufs Land.« Aber ich ließ mich nicht einschüchtern. Ich hatte die Welt und deren Genüsse bereits kennengelernt, und die kurze Zeit genügte, mich von meinem Tun nicht abbringen zu lassen. Gewalt anzuwenden, das traute sich mein Onkel nicht, aus Furcht, sich der französischen Regierung verdächtig zu machen; er lenkte also ein und erbot sich sogar zu einer monatlichen Zulage von zwei Skudi, unter der Bedingung, außerhalb seines Hauses Quartier zu nehmen; was ich auch am folgenden Tage tat.

Die Franzosen taten nach ihrem Einrücken in Rom was sie wollten, unbekümmert um die Protestschreiben, die der Staatssekretär des Papstes gegen solchen Mißbrauch der Gewalt erließ. Der französische Generalgouverneur machte Ausflüchte in seinen Antworten und tat weiter alles, was er seinen Zwecken für dienlich fand.

So bemächtigte er sich einer großen Zahl von Klöstern, die er in Kasernen umwandelte. Um die Verwahrung, die gegen solche Verletzung der Menschenrechte die päpstliche Regierung einlegte, kümmerte sich der General Miollis gar nicht. Darum faßte der Papst den Entschluß, alle jene zu exkommunizieren, die mit den Franzosen gemeinsame Sache machten; des Nachts wurden die Bannbullen in Rom und dem ganzen Kirchenstaat an die üblichen Stellen angeschlagen. Darauf antwortete der General mit einer Gegendemonstration: er ersetzte die Schweizer, die den Palazzo von Monte Cavallo bewachten, mit Franzosen, die jedermann den Eintritt verboten. Der Papst sah sich solcherart gefangen; er ließ die Tore des Palastes schließen und verzichtete auf jede Verbindung mit der Außenwelt. Fest überzeugt, daß die Franzosen sich mit der Absicht trügen, ihn zu entführen, ließ er seinen großen Ornat bereitlegen für den Fall, daß man verwegen in sein Haus eindringe, und war entschlossen, gegen jeden das Todesurteil auszusprechen, der die ruchlose Hand an seine Person lege. Als das Volk von der Absicht der Franzosen erfuhr, kam es in Aufruhr, und der General hielt es trotz seiner großen Menge Soldaten für besser, die Entfernung des Papstes aus Rom ganz im Geheimen durchzuführen. Er ging dabei mit größter Vorsicht zu Werke, um das Gelingen seines Vorhabens zu sichern, das große Schwierigkeiten bot bei einem Volke, das nichts sonst als die Religion kennt und das im Papst nicht nur den Herrscher, sondern Gott selber auf Erden verehrt. Drei Tage vor der Katastrophe erschienen angesehene Männer aus Trastevere, den Manti, Santa Maria del Pogrolo, dem Borgo an den Toren von Monte Cavallo, sie müßten Seiner Heiligkeit einen Stör von ungeheurer Größe und im Gewicht von dreihundert römischen Pfunden verehren. Trotz des noch geltenden Befehles, niemanden durchzulassen, ließ die französische Wache doch passieren, in der Furcht, das Mißtrauen und die Erregung des Volkes zu vermehren, wenn sie sich an den Befehl hielte. Die Deputation mit dem Riesenfisch wurde vor den Papst gelassen. Dieser nahm die Huldigung entgegen, den Männern dankend für solchen Beweis ihrer Anhänglichkeit an den angestammten, von den Feinden der Kirche bedrohten Herrscher. Hierauf nahm einer aus der Deputation das Wort, um den Papst vom wahren Zweck der Absendung in Kenntnis zu setzen. »In diesen schweren Zeiten haben wir zur List unsere Zuflucht genommen, die Wachsamkeit der Kerkermeister Seiner Heiligkeit zu hintergehen. Zwanzigtausend Männer stehen für Eure Befreiung in Waffen und sind bereit, Euch aus den Händen Eurer Feinde zu befreien. Zählen Sie auf ihre Treue. Und sollten sie auch den letzten Blutstropfen für Eure Heiligkeit hingeben, so werden sie glücklich sein, als Märtyrer zu sterben.« Der Papst, der wahren Pläne Frankreichs nicht sicher und die Gefahr nicht ahnend, begnügte sich damit, der Abgesandtschaft nur wiederholt zu danken. »Noch,« sagte er, »ist die Zeit zum Handeln nicht gekommen. Bedarf ich eurer Dienste, werde ich es euch wissen lassen. Bis dahin haltet euch ruhig. Ich verlasse euch nicht. Niemand wird es wagen, sich an meiner Person zu vergreifen.« Er gab danach den Segen, empfing den Pantoffelkuß und entließ die Absendung.

Der Gouverneur Miollis sah die Gärung im Volke mit Besorgnis, und um den Widerstand, bevor er wüchse, zu brechen, beschloß er, die Entführung des Papstes zu beschleunigen; mit der schwierigen Mission betraute er den Kommandanten der Gendarmerie, General Radet. Der Handstreich sollte des Nachts vor sich gehen; er verordnete daher alle Polizeikommissare auf ihre Posten, stellte hundert Polizeiagenten für die Nacht unter Waffen, ebenso fünfzig Gendarmen und hundert Nationalgardisten, die mit Leitern am Fuß der päpstlichen Gärten bereitstehen sollten. Der den Soldaten verlesene Tagesbefehl des Generals verhing über jeden die Todesstrafe, der im Innern des Palastes die geringste Ausschreitung beginge. Um Mitternacht erschien der General Radet in Begleitung des Gendarmeriewachtmeisters Boutru; beide waren in Zivil. Die Gärten sollten nach folgendem Plane erstiegen werden: zuerst die Polizeileute, dann die Nationalgardisten und zum Schluß der General mit einigen Gendarmen. Ein Nationalgardist namens Mazzolini, ein glühender Patriot, wollte der Ehre teilhaftig werden, als Erster die Leiter zu besteigen, welcher Ehrgeiz ihm teuer kam, denn er stürzte und brach ein Bein. Der Sturz kühlte den Eifer seiner Kameraden ein bißchen ab; sie sahen in dem Unfall ein Gottesgericht. Die Polizisten, einfache, zwangsweise gepreßte Leute, weigerten sich, die Leitern hinaufzusteigen. Der General wandte sich an die Gendarmen: »Zeigt ihr Tapfern, ob es ein Gottesgericht oder ein bloßer Zufall war! Vorwärts!« Die Gendarmen erstiegen sofort die Mauer; die Gardisten mit dem General folgten und zum Schluß kletterten auch die Polizisten hinauf. Als Führer wählte der General einen Mann, dem die Gänge des Erdgeschosses, die aus den Gärten in das Innere des Palastes führen, bekannt waren. Pistolen in beiden Händen, durchschritten sie die Gänge und stießen an deren Enden auf einen Mitverschworenen, der ihnen die Tür öffnete, durch die sie in den großen Hof gelangten. Hier sammelte der General seine kleine Schar und befahl ihr, die Schweizergarde zu entwaffnen; dazu genügten fünfzehn Mann. Der Anfang war also gemacht; die Gendarmen kamen auf den Hof zurück und gaben dem General die Versicherung, die Schweizer würden keinen Widerstand leisten. Der General befahl seinen Leuten größte Stille und ließ sich von dem Führer und in Begleitung des Wachtmeisters zum päpstlichen Schlafgemach führen. Ohne geringsten Widerstand zu finden, kamen sie vor die Tür. Der General klopfte zweimal. Da fragte der Papst: »Wer ist da?« »Der General Radet, im Auftrage des Kaisers Napoleon.« Da öffnete der Papst die Türe. Er war angekleidet; er hatte sich, wie man annimmt, gar nicht zu Bett gelegt; ja einige behaupten, er habe den Besuch erwartet. Sei dem wie immer, Seine Heiligkeit ließ den General und dessen Begleiter eintreten. Der General grüßte mit militärischem Respekt und sagte dann: »Eure Heiligkeit haben fünf Minuten Zeit, sich zu entscheiden, entweder diesen Vertrag hier zu unterschreiben« – er enthielt den Treueschwur an den Kaiser, Anerkennung des Code und einiges von minderer Wichtigkeit – »oder sofort abzureisen«. Der Papst las fünf Minuten lang und stehend den, Vertrag, wobei er seine Tabatière in den Händen drehte. Der Wachtmeister war frech genug, ihn um eine Prise zu bitten. Der Papst bot ihm lächelnd die Dose. »Famoser Tabak«, sagte der Gendarm, nachdem er geschnupft hatte. Ohne ein Wort forderte ihn der Papst mit einer Geste auf, sich ein Paket von dem Tabak zu nehmen, das auf dem Tisch lag. Die fünf Minuten waren abgelaufen. Der General fragte, welchen Entschluß Seine Heiligkeit gefaßt habe. »Abzureisen,« antwortete der Papst, »ich wünsche nur, meinen Staatssekretär und einen Kammerherrn mitzunehmen.« Der General erlaubte dies und das Nötige wurde angeordnet. Das Hauptportal des Palastes ging auf, um zwei mit Postpferden bespannte Reisewagen durchzulassen, die sechs Gendarmen mit blankem Säbel eskortierten. Nun erschien der Kardinal Consalvi und protestierte mit großer Würde gegen dieses Vorgehen; er verlangte einen Aufschub der Reise, um nötige Vorbereitungen treffen zu können. Worauf aber der General lustig antwortete, die Zeit des Redens und Beredens sei vorüber und es müsse aufgebrochen werden. Die Wagen standen am Fuß der Treppe bereit; der Papst äußerte, bevor er seinen Wagen bestieg, den Wunsch, seinen Staatssekretär bei sich zu haben, was ihm aber verweigert wurde; der Kardinal Consalvi und der Kammerherr wurden in den zweiten Wagen untergebracht; hinter diesem ritt der Wachtmeister, hinter dem Wagen des Papstes der General. Solcherweise verließ man den Palast und fuhr durch die Stadt, ohne daß der geringste Verdacht laut wurde. Nachdem der Papst fort war, gab ein Offizier allen Garden im Palast Befehl, diesen sofort zu verlassen; jeder kehrte ohne weiteres in sein Quartier zurück. Die Leitern hatte man ganz vergessen, so daß am Morgen das Volk sie sah; wodurch das Gerücht entstand, der Papst sei auf Leitern entführt worden. Jenem Sturz des guten Mazzolini gaben die Priester eine fromme Ausdeutung, indem sie sagten, der Papst, der alle seine Entführer hätte mit dem Tode bestrafen können, habe sich mit diesem einen Manne begnügt, um die andern nachdenklich zu machen. Fabeln solcher Art verbreiteten sich in großer Menge, vom leichtgläubigen Volke leidenschaftlich aufgenommen und weitererzählt. Der Gouverneur bezog den päpstlichen Palast und schickte einen nach dem andern alle Kardinäle fort, die dem Kaiser den Treueschwur verweigerten.

Eines Zwischenfalles muß hier Erwähnung geschehen, der den Erfolg des Anschlages fast zunichte gemacht hätte. In Monteresi, fünfundzwanzig Miglien von Rom, wurden gerade die vom General Radet befohlenen Relaispferde vorgespannt, als der Papst, einen der Wagenschläge öffnend, vom Postillon, der bis Bracciano gefahren war, erkannt wurde. Er stürzte sofort auf die Knie und rief: »Euren Segen, Heiliger Vater! Es trifft mich keine Schuld, ich wußte nicht, wen ich führe und wäre lieber tot als Mithelfer an Eurer Entführung.« Die Postillone, die gerade aufsitzen wollten, weigerten sich, abzufahren. Volk kam herzu und schrie: »Euren Segen, Heiliger Vater! Wir werden Euch befreien!« Der General sah Gefahr um sein Leben; er befahl den eskortierenden Gendarmen, die Postillone abzulösen, zweien die Vorspannpferde zu besteigen und Galopp einzuschlagen. Er selber schlug seine Pistolen an, erklärte jeden niederzuschießen, der den Wagen anzuhalten versuchte. So rettete er sich aus der gefährlichen Situation.

Es ging ohne Aufenthalt bis Poggibonsi im Toskanischen, wo nur ein paar Stunden gerastet wurde; dann ging es weiter. Als ich später durch den Ort kam, erzählte mir die Wirtin der Herberge, in der der Papst gerastet hatte, das Folgende: Seiner Heiligkeit war ein Westenknopf abgesprungen, und der Papst rief in Abwesenheit seines Kammerherrn die Wirtin, daß sie den Schaden ausbessere, und die beeilte sich, den Wunsch zu erfüllen. Der Papst hatte kein Geld, um den kleinen Dienst zu belohnen, und wandte sich darum an den General Radet, der ihm sofort seine gefüllte Börse reichte. Der Papst entnahm ihr vier Louisdors und gab sie der Wirtin.

Kaum hatte der Papst Rom verlassen, nahmen die Dinge hier eine überraschende Wendung. Die geschleuderten Bannflüche waren rasch vergessen, und alles drängte sich in die Dienste der französischen Regierung. Immerhin zogen einige wenige eifrige Papisten den Vorteilen der Unterwerfung die Treue gegen ihre Grundsätze vor, und zu diesen gehörte auch mein Onkel; er opferte ein einträgliches Amt der Furcht vor der Kirche. Ich teilte seine frommen Bedenken nicht, und ging nach Foligno, etwa hundert Miglien von Rom, um hier im Auftrage der französischen Regierung die Verwaltung der Nationalgüter zu übernehmen. Auf mein Leutnantspatent tat ich Verzicht. Vor der Abreise nahm ich Abschied von Onkel und Mutter, denen ich den Zweck meiner Abreise mitteilte. Der Gatte meiner Mutter war der Anschauung meines Onkels und brachte ihr Opfer wie er. Mein Empfang war daher recht kühl, und ich bekam versichert, daß ich wie alle Anhänger des Kaisers sehr bald Grund zu Tränen haben würde. Diese Prophezeiung schien mir ein guter Scherz. Ich verließ meine Verwandten, unbekehrt zu meiner Anschauung der Dinge, und reiste ab. Ich fand diese Prophezeiung sehr komisch. Vergeblich versuchte ich, meine lieben Verwandten zu meinem Standpunkt zu bekehren, und so machte ich mich auf den Weg. Von meinen Reisegefährten muß ich einiges berichten. Ein ältlicher Advokat mit seiner jungen Frau, die nach Foligno reisten, wo er einen Verwaltungsposten antreten sollte, und ein Kapuziner auf dem Rückweg nach Perugia in sein Kloster; er war etwa sechzig Jahre alt. Trotz der Gicht war er bei bester Laune und vertrieb uns den ganzen Weg die Zeit. Er war früher Prediger und Beichtvater der Königin Karoline von Neapel gewesen, der Gemahlin Ferdinands IV. Als sich dieser nach Sizilien zurückzog, kehrte der Kapuziner, der sich in Palermo langweilte, zurück in sein Kloster. Wollte ich alles wiederholen, was er uns während der Fahrt erzählte, würde ich wohl, so fürchte ich, zarte Ohren beleidigen; insonders an dem guten Ruf seines königlichen Beichtkindes lag ihm nicht das Geringste. Ich will nur diese eine Anekdote erzählen, die mich sehr belustigte. Die Königin hatte einen Liebhaber, ein Vergnügen, von dem sie nicht lassen wollte, trotzdem es ihr der Kapuziner verbot, ja, ihr die Absolution verweigerte. Aber die Königin ließ sich nicht abschrecken und bestand auf ihrem Willen.

»Dann kann ich Ihnen nicht die Absolution erteilen.« Da zog die Königin ihre Börse und gab ihm einige Goldstücke. »Geben Sie mir die Absolution und nehmen Sie dies Geld für ein paar Messen, die ich Sie zu lesen bitte, auf das Gott meine Art ändere.« Gegen dieses Argument war nichts einzuwenden. Der Kapuziner nahm das Geld, gab die Absolution und versprach der Königin, für ihre Besserung zu beten. »Auf diese Weise«, schloß er lachend, »hab ich mir ein Vermögen gemacht, denn ich verkaufte viele Absolutionen. Wir kamen dabei alle beide auf unsere Rechnung; ich wurde vermögend und die Königin behielt ihre Liebhaber. Hätte ich mich in diesen Ausgleich nicht gefunden, so wäre ich entlassen worden, und die Königin hätte für mich hundert Beichtväter gefunden, welche ihr mit der größten Bereitwilligkeit sämtliche Absolutionen der Welt verkauft hätten.«

Wie recht der arme Burner gehabt hatte, bestätigte mir die Unterhaltung mit dem Kapuziner.

In Foligno übernahm ich sofort mein Amt. Eine meiner ersten Maßnahmen war die Aufhebung der Männer- und Frauenklöster; ich machte ein Inventar aller ihrer Besitztümer und Einnahmen. Ein Blick in diese Klöster ließ mich erkennen, wie viele Opfer sie bargen, der Laune und dem Ehrgeiz der Familien gebracht: nur um den Erstgeborenen reich auszustatten verurteilten sie die übrigen Kinder zu lebenslänglichem Gefängnis. Waren die alten Nonnen in großer Trauer, den Ort zu verlassen, wo sie als Königinnen geherrscht hatten, so zeigten die gewaltsam ins Kloster gezwungenen Schwestern lebhafteste Freude; sie fragten mich leise, wann ich ihnen die Freiheit brächte. Ich mußte über ihre Naivität lächeln, aber ich hätte gewünscht, mit den entarteten Eltern, diesen Henkern ihrer Kinder, strenges Gericht halten zu können. Es ist mir nicht möglich, die Reichtümer, die ich in den Klöstern vorfand, aufzuzählen. Von manchen hätten Dutzende von Familien sich ernähren können und hier lebten sieben, acht Mönche davon. Obzwar geneigt, manche Maßnahmen Napoleons streng zu verurteilen, muß ich doch diese die Klöster betreffend loben. Es war ganz vortrefflich, diese frommen Nichtstuer zur Arbeit und in die menschliche Gesellschaft zurückzuführen, und finde es fast tadelnswert, daß Napoleon ihnen Pensionen aussetzte. Ich hätte mit der Macht in den Händen sicher einen politischen Mißgriff begangen, aber so, so unmittelbarer Zeuge ihrer Verderbtheit und Heuchelei, hätte ich den Mönchen keinen Heller zugebilligt, und, je näher ich zusah, um so Schlimmeres entdeckte ich. Ein paar Laienbrüder machten uns mit allen Kniffen und Intrigen der Mönche bekannt, die den vornehmsten Damen der Stadt die Cour schnitten, um deren Reichtum und Kredit auszunützen; denn jene Häuser, welche die Mönche protegierten, genossen alle Gunst der päpstlichen Regierung. Auch die Nonnen verstanden sich darauf, die strenge Klosterregel zu umgehen, wenn es ihnen, da sie nie ausgehen durften, auch schwieriger war als den Mönchen, die sich frei bewegen konnten und sich die ärgsten Ausschweifungen erlaubten.

Ich tat meine Arbeit, und die Klostergüter kamen zur Versteigerung. Die Preise waren niedrig und die Bürger boten lebhaft, ohne auf die geistliche Herkunft der Güter zu achten. Aber darum sind die Folignaner doch nicht ohne religiöse Vorurteile, wofür ich nur ein Beispiel anführen will. Es geht die Geschichte, daß man vor Jahren einmal während des Karneval in der Vorhalle der Kirche San Felice habe den Teufel tanzen sehen. Damals gab es gleich eine fromme Prozession, die Hexerei zu brechen, und es wurde beschlossen, inskünftig den Karneval eine Woche lang auszusetzen, welche Woche man den Cucugnaio nennt. Vergeblich versuchten wir Aufklärung; das törichte Volk hielt an seinem Wahn fest, daß, sowie eine Maske während des Cucugnaio sich zeige, gleich wieder die Teufel in San Felice tanzen würden.

Ich kam des öftern nach Rom, teils in Geschäften, teils zum Vergnügen. Ich hatte mir ein Kabriolett bauen lassen und mein flinkes Pferdchen machte den Weg in kürzester Zeit. Man warnte mich vor den zahlreichen Briganten, daß ich nicht nachts allein durch die Campagna fahre, aber ich hatte keine Furcht und lachte über die ängstlichen Ratgeber, denn es war mir nie etwas passiert.

Da ward ich, wieder einmal nach Rom unterwegs, zwischen Nepi und Monteresi von acht Bewaffneten überfallen mit dem Ruf Halt! Halt! Es war um Mitternacht etwa. Ich hielt an und fragte, was man von mir wolle. Sie hießen mich aussteigen und legten mich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Ich bat sie beim Aussteigen, die Zügel nicht loszulassen, da das Pferd sonst durchginge; was sie auch taten. Die Frage, wer ich sei, zu beantworten, war ich wohl auf der Hut, denn hätte ich ihnen die Wahrheit gesagt, daß ich Agent der französischen Regierung sei, so hätten sie mich auf der Stelle umgebracht. »Ich bin Kaufmann«, log ich, »und auf einer Geschäftsreise« – »Woher des Weges?« – »Von Foligno.« Darauf berieten sie, was mit mir anfangen. Einer sagte: »Ich glaube, er lügt uns an; er ist sicher ein Agent.« – »War er ein Agent,« sagte ein anderer, »dann traute er sich nicht nachts zu reisen.« – »Er ist schon ein Kaufmann,« sagte wieder einer, »und reist nachts, um die Herbergskosten zu sparen.« Nun fragte mich einer: »Sind Sie wirklich ein Kaufmann?« »Aber ganz gewiß, liebe Freunde, Ihr könnt mir glauben. Ich bin bestimmt nicht ein Agent der französischen Regierung, ich hatte es mir sogar sehr viel kosten lassen, von der Aushebungsliste gestrichen zu werden.« – »Da habt Ihr's, er ist auch ausgehoben worden,« sagte einer, und zu mir: »Haben Sie keine Angst, wir sind selber flüchtig gegangene Ausgehobene und keine Banditen; wir zogen in die Berge, weil wir Napoleon nicht dienen wollen. Treffen wir auf einen seiner Agenten oder Soldaten, dann kennen wir keine Gnade. Aber von einem einfachen Reisenden erheben wir bloß eine kleine Steuer von acht Skudi der Kopf.« Ich zog meine Börse mit fünfzehn Louisdor aus der Tasche und übergab sie dem Sprecher. Aber man nahm meine Freigebigkeit nicht günstig auf. »Wir sind keine Banditen,« riefen sie, »wir hatten von Ihnen acht Skudi verlangt und wollen nicht mehr.« Ich gab ihnen gern die acht Skudi. »Nun geleite Sie Gott. Aber fahren Sie nicht eher ab, als bis wir von dieser Stelle zweihundert Schritt entfernt sind.« Es fiel mir ein, daß mein Pferd mir davongaloppierte, sowie sie die Zügel losließen, darum bat ich: »Liebe Freunde, Ihr wäret sehr großmütig gegen mich, tut mir noch den Gefallen, mein Pferd zu halten, bis ich wieder in meinen Wagen gestiegen bin. Ich verspreche, Euch nicht anzusehen, ich schwöre bei meiner Ehre, daß ich, wer Ihr seid, nicht wissen und Euch auch in keiner Weise schaden will.« – »Verbinden Sie sich die Augen mit Ihrem Taschentuch, damit wir ganz sicher sind.« Das tat ich und sprang in meinen Wagen. Ich wünschte meinen neuen Freunden noch eine gute Nacht und trieb mein Pferd an. In Monteresi hatte ich mich noch nicht von meinem Schrecken erholt. Als ich da mein Abenteuer erzählte, sagte man mir, ich hätte sehr recht getan, meinen Beruf zu verleugnen, und es sei um Tod und Leben gegangen.

Nach den Tagen des 15. August riefen mich meine Geschäfte nach Foligno, aber ich blieb in Rom, als ich hörte, daß der berühmte Brigant Spatolino, den man vor vier Monaten gefangen hatte, verurteilt werden sollte, wozu Zeugen aus ganz Italien aufgeboten waren. Der Prozeß interessierte mich und ich war neugierig, ob der arme Teufel sein im Kerker gegebenes Versprechen halten würde, daß die Zuhörer des Prozesses etwas zu lachen bekommen würden.

Achtzehn Jahre lang hatte dieser Spatolino sein Banditenhandwerk mit höchst traurigem Erfolg ausgeübt. Die französische Regierung hatte mit der Mission, Spatolino zu fangen, den Polizeikommissar Neapels, Rotoli, betraut, einen mutigen und listigen Mann, wohl imstande eine so heikle Sache zum guten Ende zu bringen. Er fing es mit der List an, da die Gewalt so lange nichts erreicht hatte. Er ließ den Spatolino geheim zustecken, daß ein Polizeikommissar ihn um eine Zusammenkunft bäte; er möge den Ort angeben, an dem der Kommissar allein und unbewaffnet eintreffen würde, in vollstem Vertrauen und in einer Sache von höchster Wichtigkeit. Spatolino nahm den Vorschlag an und gab den Ort bekannt. Rotoli ging hin, wie er versprochen, wo ihn Spatolino mit den Worten empfing: »Signor Rotoli, Sie sind gekommen, um mich zu verraten, oder haben Sie vielleicht, wie Sie mich wissen ließen, etwas Wichtiges mit mir zu reden?« – »Ich bin kein Verräter,« sagte Rotoli, »die französische Regierung wünscht von Ihnen nichts als die Auslieferung Ihrer Spießgesellen, wofür sie Ihnen volle Amnestie gewährt und freien Genuß aller Reichtümer, die Sie sich gesammelt haben.« Der Räuber war seines Lebens schon müde und ruhebedürftig, weshalb er auf den Vorschlag einging. Er versprach, seine Leute auszuliefern für Sicherheit und Schutz seiner eigenen Person, was ihm der Kommissar auf Ehrenwort versprach. Spatolino war leichtgläubig; das Ehrenwort genügte ihm als Garantie. »Gut, seien Sie heut abend um acht hier; nehmen Sie zwanzig Gendarmen und einen Trupp Bauern mit; Sie werden mich mit sieben oder acht meiner Leute hier treffen – das ist alles, was ich tun kann. Meine Frau wird bei mir sein; sie muß frei bleiben wie ich, das ist Bedingung.« Der Kommissar widersprach nicht. So wurde der Vertrag geschlossen, und Kommissar und Bandit sprachen noch lange miteinander, bevor sie sich trennten; Spatolino versprach dem Rotoli noch zweitausend Skudi als Lohn.

Wieder in Rom, erstattete Rotoli seinen Vorgesetzten Bericht von der Unterredung, und am Abend war er mit seinen Gendarmen wie verabredet zur Stelle. Spatolino ließ nicht warten. »Gehen wir ins Haus,« sagte er zu Rotoli, »meine Leute sitzen beim Essen. Und vergessen Sie nicht, daß ich auf Ihr Ehrenwort zähle, wenn ich auch kaum glauben kann, daß die Regierung mich begnadigen wird.« – »Ich bürge Ihnen dafür, seien Sie außer Sorge.« Während dieses Gespräches schritten die beiden Arm in Arm auf das Haus zu, gefolgt von den Gendarmen. Vor dem Haus pfiff Spatolino, worauf sich die Tür öffnete; dann trat er zuerst ein; die Räuber waren im Glauben, er führe ihnen neue Genossen zu; sie blieben deshalb ruhig sitzen. Währenddem hatten die Gendarmen ungestört zweckmäßig Aufstellung genommen; nun wurden sie mühelos mit der Bande fertig. Auch mit Spatolino, auf den sich vier warfen, entwaffneten und in Ketten legten, genau so wie die andern. »Ich bin verraten!« brüllte er. – »Es ist nur eine Formalität,« sagte ihm ruhig Rotoli, »morgen sind Sie in Freiheit.« Aber Spatolino war nicht mehr zu täuschen. »Achtzehn Jahre lang,« sagte er, »habe ich geraubt und gemordet und nie hat man mich erwischt, und nie hätte ich gedacht, daß solche Ehre dem Rotoli zufallen würde. Ich muß noch lernen, ich war zu ehrlich; ich glaubte an ein Ehrenwort. Ich sehe, daß ich Dummkopf mich getäuscht habe. Ich habe meine Genossen ausliefern wollen und jetzt bin ich selber gefangen.« Man hatte auch seine Frau in Ketten gelegt, und als er das sah, schrie er: »Mein Weib ist unschuldig! Verzage nicht, Weib, ich werde dich retten, du wirst nicht sterben, ich werde dich verteidigen.«

Die ganze Bande wurde ins Gefängnis geführt. Fünf Monate dauerten die Voruntersuchungen, vierhundert Zeugen wurden über die zahllosen Morde des Angeklagten vernommen, der vor Gericht mit achten seiner Leute und mit seinem Weibe erschien. Nachdem die Sitzung eröffnet war, erhob sich Spatolino und hielt an den Präsidenten diese Ansprache: »Signor, ich weiß, daß alles bekannt ist. Ich habe nichts zu verheimlichen. Ich habe dem Ehrenwort Rotolis vertraut; das war ein Fehler, den ich mir nicht verzeihe. Da ist nun nichts mehr zu ändern. Mein Vertrauen hat mich ins Verderben gebracht und ich muß die Folgen tragen. Ich will versuchen, in meinen Aussagen möglichst genau zu sein. Ich bitte nur um eine einzige Gunst: daß man mich vor meinem Tode eine Stunde mit meiner Frau allein lasse.« Das versprach ihm der Gerichtspräsident. »Ich rechne auf Ihr Wort, das jedenfalls mehr wert ist als das eines Rotoli, der mir das Leben versprach und mich in den Tod führt.« – »Sie haben mein Versprechen.« – »Gut, ich werde ja sehen, wie Sie es damit halten.«

Das alles sagte er ganz heiter und schloß: »Wir sind hier unser zehn angeklagt, aber nicht alle haben den Tod verdient; ich werde Ihre Justiz erleuchten und Ihnen zeigen, wie man Schuldige von Unschuldigen unterscheidet.«

Nun kam das Zeugenverhör. Keine Aussage, bei der Spatolino nicht kleine Ausstellungen zu machen hatte. »Euer Gedächtnis verläßt Euch hier,« sagte er etwa zu den Zeugen, »ich habe den Mord auf diese Weise ausgeführt.« Und er erzählte alle Einzelheiten, verschwieg keinen ihn belastenden Umstand und war nur immer bemüht, vier seiner Leute wie auch seine Frau zu retten, deren Unschuld er beteuerte, und die vier andern in seine Schuld zu verwickeln. Seine Frau hätte, seinem Befehl unterworfen und seiner Gewalt ausgeliefert, nur seine Befehle ausgeführt, ebenso wie die vier andern, die er gegen ihren Willen zu den Verbrechen gezwungen habe. Diese ungewöhnliche Art, sich zu verteidigen, erregte bei den Zuhörern viel Heiterkeit; und hatte der Angeklagte den Saal zum Lachen gebracht, so wandte er sich des öftern an die Lachenden und sagte: »Ja, heute habt ihr zu lachen, aber in drei, vier Tagen werdet ihr nicht mehr lachen vor dem armen Spatolino mit ein paar Kugeln in der Brust.« Während einer solchen Anrede an die Zuhörer fiel sein Blick auf einen der ihn bewachenden Gendarmen und er erkannte ihn als einen früheren Genossen aus seiner Bande. Er sah sich ihn lange an, aus Sorge, sich zu irren; dann rief er: »Ich hätte nie gedacht, daß die französische Regierung solche Leute zu Gendarmen macht!« – »Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Vorsitzende. »Dieser Gendarm hier, ich erkenne ihn, hat fünfzehn Jahre bei mir gedient; wir haben miteinander den und den umgebracht. Vernehmen Sie den und den Zeugen; wir haben den Diener ermordet, sein Herr wird den Gendarmen da wiedererkennen.« Der von Spatolino genannte Zeuge wurde gerufen und er erkannte in dem Gendarmen den Mörder seines Dieners. Schon vorher hatte sich der Gendarm durch seine Verwirrung auch dem Naivsten verraten. Es wurden ihm die Waffen abgenommen und er mußte sich auf der Anklagebank niederlassen. »Schön, schön,« sagte Spatolino, »jetzt sitzest du auf dem dir gebührenden Platz; wir haben unsere Feldzüge gemeinsam gemacht, es ist nur recht und billig, daß wir auch gemeinsam unseren Abschied nehmen.« Der unglückliche Gendarm senkte ohne ein Wort den Kopf; kaum hatte er Kraft genug, die Turmtreppe hinaufzukommen.

Acht volle Tage dauerte der Prozeß, und nie wohl hat ein Angeklagter mit so kaltem Blute seine Verbrechen in alle Einzelheiten zergliedert und mit solchem Vergnügen ins Licht gesetzt. Ja, er bedauerte sogar die mißlungenen Verbrechen! So, als der Postmeister von Cività Castellana als Zeuge aufgerufen wurde. Da erhob sich Spatolino und sagte: »Herr Präsident, ich habe diesen Gentiluomo mit eigner Hand dreimal erwischt, das letztemal verletzte ich ihn so gut am Arm, daß er ihn nicht mehr gebrauchen kann. Ich werde sterben mit dem schmerzlichen Bedauern, ihn nicht getötet zu haben, denn er ist mein schlimmster Feind, den ich im Leben hatte und den ich auch im Tode noch haben werde.«

Das Gericht verurteilte Spatolino, vier seiner Leute und den Gendarmen zum Tode; sein Weib bekam vier Jahre Gefängnis, die andern Räuber achtzehn bis zwanzig Jahre Zuchthaus. Nach der Fällung des Urteils erinnerte Spatolino den Präsidenten an das Versprechen, und er durfte sich anderthalb Stunden mit seinem Weibe unterhalten. Er gab ihr die Orte an, wo er seine Reichtümer versteckt hatte. Darauf bat er, daß man das Urteil im Gefängnis selber vollstreckte, da er den Verwünschungen, die er auf dem Weg zum Richtplatz der Bocca dello Verità fürchtete, entgehen wollte. Priester wollte er keinen sehen und er würde jeden umbringen, der es wagen sollte, sein Hausrecht zu verletzen. Man lachte über diese Drohung, aber es war ihm ernst damit; denn Spatolino brach Ziegelsteine von seinem Kamin ab und schichtete sie neben der Türe, fest entschlossen, den, der seine Schwelle zu übertreten wagte, damit totzuschlagen. Wie man weiß, werden die zum Tode Verurteilten in Rom nicht gefesselt; sie können sich in ihrer Zelle frei bewegen. Spatolino war also in der Lage, sich derart zu verteidigen. Einer der Wärter, die einzutreten versuchten, traf er mit solcher Wucht, daß seine Kameraden auf weiteres verzichteten; sie versuchten es auch mit gütigem Zureden, vergeblich. »Ich bin bereit, morgen um zehn Uhr zu sterben,« erklärte Spatolino, »nicht früher; holt mich morgen um neun Uhr ab, dann stehe ich zu eurer Verfügung.« Ein paar Priester tauchten vor der Türe auf: ob er beichten wolle. »Bringt ihr mir den Postmeister von Cività Castellana her und den Verräter Rotoli, damit ich sie beide ins Jenseits befördere, so will ich dann herzlich gern beichten.« Man versuchte, ihm gut zuzureden, worauf er erst mit wütenden Flüchen antwortete und dann überhaupt kein Wort mehr sprach.

Als man ihm andern Morgens ankündigte, daß es neun Uhr sei, sagte er: »Gut, ich bin bereit.« Als die Wärter nicht einzutreten wagten, rief er: »Kommt nur herein, ich tue euch nichts.« Da banden sie ihn und führten ihn nach dem Richtplatz. Die Priester, die sich unterwegs an ihn machten, schickte er fort mit den Worten, er wolle sich von ihnen nicht im Anblick der hübschen Frauen stören lassen, die aus den Fenstern hingen bei seinem Vorbeikommen. Er machte den jungen Mädchen Augen, schimpfte seine Gefährten, die auf die Priester hörten. Auf dem Richtplatz angelangt, rief er: »Vorwärts, Freunde! Wir haben das arme Volk genug geplagt, es ist nur gerecht, daß jetzt wir drankommen. Bejammern wir nicht unser Los und sterben wir mutig.« Zum Volk gewandt, sagte er: »Vergeßt das nicht: Spatolino stirbt bedauernd, daß er sich nicht an dem Postmeister von Cività Castellana und dem Verräter Rotoli rächen konnte, der ihn durch seinen Schurkenstreich in den Tod gebracht hat.« Darauf befahl er den Soldaten, zu schießen und gut auf seine Brust zu zielen. Sich die Augen verbinden zu lassen, weigerte er sich durchaus. Ohne geringstes Zittern erwartete er die tödliche Kugel. So schloß dieser Brigant ein Leben, dessen Abenteuer in Rom viel erzählt wurden und der den Theaterdichtern seiner Zeit ein beliebter Stoff war.

Ich kehrte nun nach Foligno zurück und blieb da fünf Jahre, als die Franzosen in Rußland ihr Malheur erlitten. Joachim Murat bemächtigte sich sofort des Kirchenstaates und ich wurde für einige Zeit meiner Stelle enthoben. Währenddem sprach man in Rom täglich ernsthafter von der Rückkehr der päpstlichen Regierung, und das Volk war der Meinung, Gefangenschaft und Leid hätten die Tugenden des Papstes nur verdoppelt und daß er wie ein zärtlicher Vater zurückkehren werde, offenen Armes gegen seine Kinder. Die guten Römer bildeten sich ein, der Heilige Vater würde sofort die Steuern heruntersetzen, aller derzeitigen Gewalt ein Ende machen, ja, sie glaubten sogar in ihrem Wahne, daß die Geistlichkeit ihre Grundsätze zum Besseren ändern würde. Alle Wohltaten Frankreichs waren Vergessen und voller Verachtung behandelte man die Beamten der französischen Regierung. Oft genug hörten wir hinter uns reden: »Ja, ihre Zeit ist vorbei, neugierig, wie sie ihr Benehmen rechtfertigen werden.« Unsere Freunde fielen von uns ab, wandten sich gegen uns; zeigten wir uns in der Öffentlichkeit, wurden wir schlecht behandelt. Man wollte auf diese Weise seine gut päpstliche Gesinnung dartun, denn man erwartete stündlich die Restauration.

Neapolitanische Truppen erschienen in Foligno und requirierten ein paar hundert Pferde für ihren Train. Der Major ließ mich um mein Pferd bitten, in der Absicht, sich dadurch, daß er mir den Gaul abnahm, bei der päpstlichen Partei beliebt zu machen. Ich ließ ihm sagen, er möge sich an wen andern um ein Pferd wenden, ich stünde im Dienst der französischen Regierung, deren Befehl zum Aufbruch ich täglich erwarten müßte, wozu ich dann mein Pferd nötig habe. Als ich einige Tage dafür über die Piazza ging, wurde ich auf Befehl dieses Majors verhaftet. Als mich die Nationalgarde ins Gefängnis führte, schrie das Volk: »Das ist der erste, aber die andern werden bald nachkommen!« Meine Freunde verwandten sich alle bei dem Major für mich, denn die Verhaftung mußte mich schwer kompromittieren. Der Major entschuldigte sich und erklärte, daß er nie einen Verhaftbefehl gegen mich erlassen habe. Er setzte mich sogar persönlich in Freiheit und schüttelte mir herzlich die Hand.

Aber die Rückkehr des Papstes ließ nicht auf sich warten. Das Volk lebte im Festrausch. Man baute Triumphpforten, und die Straße von Cesena nach Rom glich einem riesigen Blumengarten. Eines Morgens konfiszierte ein Prälat alle meine Amtsbrüder und erklärte mein Amt für aufgehoben. Die Stimmung des Volks war mir feindlich, weshalb ich mich entschloß, mit einem meiner Freunde, dem ich einen Platz in meinem Wagen anbot, nach England zu reisen. Nur mit Mühe bekamen wir Pässe nach Florenz. Ich verließ mein Vaterland, alle die Übel ahnend, die über es kommen würden, und fest entschlossen, nie mehr wieder nach Italien zurückzukehren. Was ich später von all dem erfuhr, das der Restauration der päpstlichen Herrschaft vorausging, von den Racheakten insbesonders, die auf Betreiben des Kardinals Pacca stattfanden, konnte mich in meinem Entschluß nur bestärken, und ich hatte meine Klugheit mehr als einmal gepriesen auf dem gastlichen Boden, der mich aufgenommen hat.


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