Stendhal
Eine Geldheirat
Stendhal

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Der Ruhm und der Buckel oder der Weg ist glitschig

Übertragen von Franz Blei

Idee: Bei der Lektüre eines Artikels von Prosper Duvergier de Hauranne in den »Débats« vom 30. Januar 1826.

Plan: Ein junger Mann debütiert als Schriftsteller. Vergnügen am Schreiben. Enthusiasmus für alles Schöne. Er vernachlässigt die Gesellschaft. Seine Werke bleiben ungelesen. Er wird intrigant und schreibt für die Winkelblätter. Er heiratet die bucklige und kleinlich zänkische Tochter des Herrn B., Eigentümers eines vielgelesenen Blattes. Er endigt mit allen Gemeinheiten des flachsten Zeilenschmiere.

Erste Szene

Saint-Jean Gnädiger Herr, es ist elf Uhr... (da man ihn nicht hört, betonend): Das Kabriolett des gnädigen Herrn ist bereit.

Gélimer wütend über die Unterbrechung

Gut! Schon gut! (Saint-Jean ab. G. schreibt; man sieht, daß er dichtet.) Nein, so geht's nicht. Die Idee ist nicht deutlich... (mit Teilnahme) Ah! Arme Amelie! Wer könnte dich nicht lieben!... Und wird Saint-Alme abreisen? (Er schreibt.) Er muß abreisen, die Ehre verpflichtet ihn dazu. Nicht zu erwähnen vergessen, daß dieser Abschied grausam.

Saint-Jean tritt ein

Gnädiger Herr, es ist halb zwölf... Die Frau Marquise de Vignes ist die Freundin der ganzen Familie, wenn der gnädige Herr nicht hinkommen, wird sie glauben, daß der gnädige Herr sie völlig verlassen wollen. Der gnädige Herr waren schon am letzten Freitag nicht dort gewesen...

Gélimer

Richtig! Freitag, der Tag, an dem Madame de Lassans die Madame de Linange zu besuchen pflegt... (unterbricht sich, denkt nach.) Und der Wagen?

Saint-Jean

Wartet seit zwei Stunden. (Sieht ihn an.) Der gnädige Herr können so nicht ausgehen.

Gélimer

Wie? Ja, ich will mich ankleiden.

Saint-Jean

lacht respektvoll

Das haben sich der gnädige Herr bereits um neun Uhr, aber es ist nur die Wäsche, die zerdrückt ist.

(Saint-Jean zieht seinem Herrn eine andere Weste und Krawatte an; währenddem läuft der Herr wiederholt zum Tisch und schreibt. Er geht dann ab, ganz in seinen Gedanken und nachdem er sein beschriebenes Blatt zusammengefaltet und in die Tasche gesteckt hat.)

Saint-Jean

allein

Ein Narr. Seitdem er seinen Band Voyages en Allemagne veröffentlicht hat, denkt er an nichts als Schreiben. Ich glaube, er ist in die Frau von Lassans verliebt, deren Mann auf ihn eifersüchtig ist. Und er kann sie nur am Freitag bei der Frau de Linange sehen. Heut abend ist der Gatte beim Minister festgehalten, und jetzt ist es elf Uhr vorbei. Er kommt gleichzeitig mit dem Gatten zu ihr.

Zweite Szene

Salon der Madame de Lassans.

Ein Autor

liest Verse

Erster Zuhörer

Köstlich! Der Zauber des Gefühles streitet mit dem glücklichen Ausdruck.

Zweiter Zuhörer

Es ist etwas vom Zauber La Fontaines und von der Brillanz Voltaires in den Versen.

Dritter Zuhörer

Es ist zeitmäßig, es ist aktuell, kurz, es ist die Poesie, die dieses industrielle Jahrhundert braucht.

Der Autor

der immer auf Gélimer gesehen

Und Sie, Herr Gélimer, der Sie so vortrefflich das Lächerliche festzunageln verstehen, was halten Sie von meiner Versepistel? Alles ohne Rückhalt, bitte ...

Gélimer Ich bin ein armseliger Richter. Was mir oft als das Heiterste vorkommt, mißfällt dem Publikum.

Der Autor

Was ist Ihr Eindruck?

Gélimer

Es sind reizende Sachen darin.

Der Autor

Bitte sprechen Sie zu mir wie zu einem Mann, ohne Umschweife.

Gélimer

Nun, ich liebe z.B. nicht Ihre Metaphern: mener grand bruit... oder le vent prend ses cheveux ... chevaucher par monts et par veux.

Der Autor

Und warum nicht?

Gélimer

Mein Gott, fragen Sie die Liebe nach dem Warum? Ich liebe oder ich hasse, das ist alles. Aber ich habe immerhin ein Warum. Mener un grand bruit, das ist so ausgefallen... ich denke mehr an den Stil als an den Gedanken.

Der Autor

Aber der Ausdruck ist von La Fontaine.

Gélimer

Was wollen Sie, mein lieber Freund? Sie fragen mich, ob ich liebe, und ich antworte Ihnen, daß ich nicht liebe. Lassen Sie drucken, dinieren Sie bei Herrn X... und Sie werden einen tollen Erfolg haben.

Eine Dame

Guten Tag, Herr Gélimer.

Gélimer entfernt sich mit ihr Der Autor

Der Idiot! Und alles das, weil sein Reiseband voller Schwindellügen bei den Weibern Erfolg gehabt hat.

Ein Journalist

zum Autor

Wir brauchen nur einen Witz darüber zu riskieren und in zwei Monaten sind diese Voyages en Allemagne erledigte Sache.

Der Autor

lebhaft Riskieren Sie es?

Der Journalist

pikiert

Ich sollte nicht? Erlauben Sie, ich bin Franzose!

Der Autor

drückt ihm die Hand

Gut! Morgen vormittag geb' ich Ihnen einen Artikel, der sich gesalzen hat, das kann ich Ihnen sagen. Ein Freund von mir, gerade aus Deutschland zurück, hat mir gesagt, daß dieser Gélimer gar nichts gesehen hat und das ganze Buch nichts weiter ist als dummes Geschwätz und so weiter et cetera.

Der Journalist

pikiert

Ich hab's nicht gelesen, denn er hat nicht geruht, uns kleineren Zeitungen ein Rezensionsexemplar zu schicken.

Der Autor

Ein Frechling.

Sie gehen sprechend weiter Der Marschall

Ein kleiner Geck! Tut so, als ob er sich um meine Soireen nicht kümmerte, und ich hab' ihm zu essen gegeben zu einer Zeit, wo er nicht bös darüber war, ein aufgelegtes Kuvert zu finden.

Eine Dame

Aber, lieber Marschall, das ist ja nichts als eine Verleumdung! Sein Papa, der vor zwölf Jahren gestorben ist, hat ihm eine Jahresrente von 12 000 Franken hinterlassen.

Der Marschall

Na, jedenfalls wird er sich die Hörner bald ordentlich ablaufen... noch zwei drei Jahre und dieser junge Mann wird um eine Stelle nachsuchen, jetzt noch sehr stolz darauf, aus eigenem Budget zu leben... eine Frechheit!

Ein Vicomte

Er hat die Unverschämtheit gehabt, eine Pension von 1200 Franken abzulehnen, die ich für ihn durchgesetzt hatte.

Sie entfernen sich

Ein reicher Herr von 46

Sie kennen mich nicht, werter Herr, aber gestatten Sie, daß ich mich vorstelle. Und gestatten Sie mein schlichtes Kompliment. Ich habe seit zwanzig Jahren kein Buch mehr angesehn ...

Eine ältere Dame

zu Gélimer

Sie ist gekränkt... aber, mein lieber Auguste, alle Welt beschwert sich über Sie. Wenn Sie glauben, der Marschall mag Sie leiden, so irren Sie sich. Sie haben Unrecht, alle Welt so zu brüskieren.

Gélimer

Ich sage aber niemanden was schlechtes.

Die bejahrte Dame

Aber Ihre Aufführung ist eine ununterbrochene Insolenz. Sie prätendieren, auf Ihre Weise glücklich zu sein. Sie mokieren sich über die Gemeinheiten der Großen, die Dummheiten der Geldleute, Sie gehen nie zu den langweiligen Frauen und wenn Sie es doch tun, sieht jeder, daß es nur wegen Frau von Lassans geschieht. Glücklicherweise kann Sie die arme kleine Frau nicht ausstehen.

Ein Wechselagent

zu Gélimer

Verzeihung, Madame. Nur auf ein Wort. (Zu Gélimer, die zu ihm getreten) Hier sind drei unangenehme Wechsel. Die 137000 Franken Erbschaft von Ihrem Onkel reduzieren sich auf 53000. Arrangieren Sie sich ... Tausendmal um Verzeihung, Madame (im Abgehen:) Lausbub! Läßt Gemeinheiten gegen die Geschäftsleute drucken.

Gélimer

Sie glauben also, daß ich Madame de Lassans beleidigt habe?

Die bejahrte Dame

Sie lassen mich da eine schöne Rolle spielen! Wär' ich nicht die intime Freundin Ihrer armen Mama gewesen ... also das ist mein letzter Rat. Wenn Sie mit Ihren Verrücktheiten nicht aufhören, kriegen Sie es mit dem Gatten zu tun. Sie haben eine Welt von Feinden, bis auf Forvin hinunter ...

Gélimer

Der Spion!

Die bejahrte Dame

Der Spion ist reich und von der guten Gesellschaft. Seit zwanzig Jahren rächt er sich durch geschickte Verleumdung jener, die ihn verachten ...

Der Marschall

Dann muß sich dieser Mensch an der ganzen Erde gerächt haben.

Die bejahrte Dame

Da die Gesellschaft schon nicht gut auf Sie zu sprechen ist, geben Sie ihr noch einen Anlaß, und er kann weit weniger odios sein als ein Duell mit dem Gatten, und Sie werden es erleben, welche Verleumdungen man auf Ihre Rechnung glauben wird.

Gelimer

stolz

Ich weiß ...

Die bejahrte Dame

Ja, der Blick Ihrer Augen ist's, der Ihnen das Genick brechen wird. Die Gesellschaft ist entschlossen, alles was man gegen Sie sagt, zu glauben. Schon der grausame Scherz wegen des abhanden gekommenen Mantels –

Gélimer

lachend

Jetzt brauchen Sie mich nur noch für einen Mörder zu halten.

Die bejahrte Dame

Armer Auguste! Sie sind noch sehr jung. Nein, ich halte Sie nicht für einen Mörder. Aber hätten Sie mich beleidigt wie Sie achtzig von den hundert Personen im Salon beleidigt haben ...

Gélimer

lachend

Ich kenne nicht dreißig.

Die bejahrte Dame

Sie haben wütende Feinde in Leuten, mit denen Sie nie gesprochen haben. Ein von Ihnen Beleidigter erklärt Sie für einen grausamen Charakter, ein Gleichgültiger wiederholt das Wort einem anständigen Menschen gegenüber, der es ein bißchen glaubt. Haben Sie zu all dem noch ein Duell mit einem Gatten, und Sie werden sehen.

Gélimer

dunkel

Ich will gehen ...

Die bejahrte Frau

aufgeregt

Nein, gehen Sie nicht fort! Man würde sagen, Herr von Lassans hätte Sie gezwungen, sich von ihm mit dem Stock prügeln zu lassen und hätte Sie dann hinausgewiesen.

Gélimer

erschreckt

Aber das ist ja furchtbar!

Die bejahrte Dame

Teurer Auguste, Sie sind für die Gesellschaft nicht geschaffen! Sie sind doch kein Stellenjäger und für die Akademie sind Sie zu jung – Ziehen Sie sich nach und nach zurück aus der großen Welt.

Gélimer

seriös

Sehr verbunden Ihrer Güte!... Treff ich Sie morgen zu Hause?


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