Stendhal (Henri Beyle)
Essays
Stendhal (Henri Beyle)

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Aus verschiedenen Büchern.

Gedanken über die Erziehung der Frauen.

Die gegenwärtige Erziehung der jungen Mädchen läßt die herrlichsten Fähigkeiten, die ihnen selbst wie uns Männern das meiste Glück bringen, verkümmern. Bei allem unserem Dünkel sind die Ratschläge der notwendigen Lebensgefährtin von größtem Einfluß auf unsere kleinen inneren Angelegenheiten, von denen unser Glück vor allem abhängt, weil das Glück, wenn die Leidenschaft fern ist, in der Vermeidung der kleinen alltäglichen Widerwärtigkeiten beruht, keineswegs wollen wir der Frau irgendwelchen Einfluß einräumen; aber sie wiederholt zwanzig Jahre lang die gleichen Dinge, und welcher Mann hat die Standhaftigkeit eines Römers, einem immer wiederkehrenden geistigen Einfluß sein Leben lang zu widerstehen? Die Welt wimmelt von Ehemännern, die sich leiten lassen, aber aus Charakterschwäche, nicht aus dem Gefühl für Gerechtigkeit und Gleichheit.

Was für einen herrlichen Berater könnte der Mann in seiner Frau finden, wenn sie zu denken verstünde, einen Berater, dessen Interessen nicht nur den Lenz des Lebens lang in einem einzigen Punkte, sondern in allen Dingen des ganzen gemeinsamen Lebens genau die seinigen wären.

Die meisten Männer haben in ihrem Leben einen Augenblick, wo sie Großes leisten könnten und wo ihnen nichts unmöglich wäre. Durch die Unwissenheit der Frauen geht dieser glänzende Augenblick dem Männergeschlecht verloren. Allenfalls bewirkt es die Liebe, daß wir anständig zu Pferd sitzen und in der Wahl unseres Schneiders geschickt sind.

Bei richtiger Lebensanschauung erkennt man um so klarer, je mehr Geist man hat, daß die Gerechtigkeit der einzige Weg zum Glück ist. Genie ist eine Macht, aber noch mehr eine Leuchte, um die große Kunst des Glücklichseins zu finden.

Wenn ich die Macht hätte, Gesetze zu geben, so würde ich den jungen Mädchen möglichst genau dieselbe Erziehung angedeihen lassen, wie den Knaben. Ich will zugeben, daß die kleinen Mädchen weniger körperliche Kräfte haben als die Knaben. Wenn man daraus aber auf den Geist schließen wollte, müßten Voltaire und Dalembert, die ersten Köpfe ihres Jahrhunderts, auch berühmte Boxer gewesen sein. Es ist vielmehr eine allbekannte Sache, daß ein zehnjähriges Mädchen zwanzigmal verschmitzter ist als ein gleichaltriger Junge. Warum ist aber eine zwanzigjährige dumm und unbeholfen und fürchtet sich vor einer Spinne, während der Knabe dann ein gebildeter Mensch geworden ist? Wenn auch die heutige Erziehung der Knaben nicht ganz richtig ist, – man unterrichtet sie nicht in den wichtigsten Wissenschaften, in der Logik und Ethik. – so ist es doch immer noch besser, die jungen Mädchen ebenso zu erziehen, als sie nur Musik, Malen und Sticken zu lehren.

Ein großer Vorteil der Schule (im Gegensatz zum Unterricht zu Hause) ist der, daß die Kinder von ihren Schulgefährten unwillkürlich die Kunst lernen, wie man in der Welt lebt und für seinen Vorteil sorgt. Ein kluger Lehrer sollte den Kindern ihre kleinen Streitereien und Freundschaften vor Augen führen und damit den Unterricht über die Moral beginnen, statt mit der Geschichte vom goldenen Kalbe. Ich möchte, daß die jungen Mädchen das Lateinische erlernten. Das Lateinische ist vortrefflich, weil es lehrt was Langeweile ist. Daneben Geschichte, Mathematik, Pflanzenkunde, die sich namentlich auf die Nähr- und Arzneipflanzen zu erstrecken hätte, Logik und Ethik. Der Unterricht im Tanzen, in der Musik und im Zeichnen müßte mit fünf Jahren beginnen. Mit sechzehn Jahren, wenn die Mädchen daran denken müssen, sich einen Mann zu suchen, müssen sie von ihrer Mutter eine richtige Vorstellung über die Liebe, die Ehe und die Untreue der Männer erhalten.

Heute läßt man die jungen Mädchen unter dem hinfälligen Vorwande der Schicklichkeit in Unkenntnis über Dinge, die sie durch die künftigen Wechselfälle des Lebens leiten könnten. Man verbirgt ihnen sogar deren Vorhandensein, leugnet die Wirrsale des Lebens ab und vermehrt sie somit noch durch die Wirkung der Verwunderung und des Mißtrauens, das später die ganze Erziehung im Lichte der Lüge erscheinen lassen muß. Ich behaupte immer wieder, daß es zu der guten Erziehung eines jungen Mädchens gehören muß, es auch über die Liebe zu belehren. Wer möchte im Ernst behaupten, daß ein junges Mädchen mit sechzehn Jahren bei unseren heutigen Sitten nichts vom Dasein der Liebe wüßte. Julie von Etanges in der Neuen Heloise gesteht klagend, daß ihr Wissen von einer Kammerzofe herrühre. Man muß Rousseau dankbar sein, daß er in einem Jahrhundert der falschen Scham so wahre Sittenbilder zu malen gewagt hat.

Da die heutige Erziehung der Frauen vielleicht die lächerlichste Geschmacklosigkeit des modernen Europas ist, so sind die Frauen um so mehr wert, je weniger sie diese sogenannte Erziehung gehabt haben. Deshalb sind die Frauen Italiens und Spaniens den Männern so überlegen und ich glaube auch den Frauen der anderen Länder.

Das lächerlichste der heutigen Erziehung liegt darin, daß man die jungen Mädchen nur Dinge lehrt, die sie schnell wieder vergessen müssen, sobald sie verheiratet sind. Sechs Jahre lang treiben sie täglich Musik und malen zwei Stunden lang Pastell oder Aquarell. Dabei bringen es die meisten nicht einmal zu einer leidlichen Mittelmäßigkeit. Daher das wahre Sprichwort: Dilettanten sind Ignoranten.

Selbst wenn eine junge Frau etwas Begabung gehabt hat, nimmt sie nach dreijähriger Ehe höchstens einmal im Monat die Noten oder den Pinsel zur Hand; diese Beschäftigung ist ihr langweilig geworden, außer wenn ihr der Zufall eine Künstlerseele verliehen hat. Aber das kommt selten vor und vereinbart sich überhaupt kaum mit Haushaltssorgen.

Nur Ignoranten feinden die Frauenerziehung instinktiv an. Heute vertändeln sie ihre Zeit mit ihnen, machen ihnen den Hof und werden von ihnen gut behandelt. Aber was würde aus ihnen, wenn die Frauen einmal den Walzer satt bekämen? Wenn wir aus Afrika oder Asien heimkommen, mit verbrannten Gesichtern und einer Stimme, die noch nach einem halben Jahre etwas grob klingt, was könnten jene auf unsere Erzählungen antworten, wenn sie nicht sagen könnten: »Wir, wir haben die Frauen auf unserer Seite. Während Sie in der Ferne waren, hat sich die Farbe der Dogcarts geändert. Jetzt sind schwarze Mode.« Wir hören aufmerksam zu, denn das zu wissen, ist nützlich. Manche hübsche Frau wird uns keines Blickes würdigen, wenn unser Wagen einen schlechten Geschmack verrät.

Eben diese Tröpfe, die als Männer mehr zu wissen glauben, als die Frauen, wären gänzlich in den Schatten gestellt, wenn die Frauen etwas lernen wollten.

Nicht die Gesellschaft und Unterhaltung eines Mann-Weibes, sicherlich aber die einer wohlunterrichteten Frau, falls sie ihren Ideenkreis ohne Verlust der weiblichen Anmut erweitert hat, wird unter den hervorragendsten Männern ihres Jahrhunderts eine Beachtung finden, die an Begeisterung streift.

Mag sich unsere Geliebte den Vormittag, während wir auf dem Exerzierplätze oder im Parlament waren, mit Blumenmalen oder mit dem Lesen eines shakespeareschen Dramas vertrieben haben: in beiden Fällen waren ihre Vergnügungen harmlos; nur wird sie uns nach unserer Heimkehr langweilen, wenn sie uns ihre Gedanken beim Malen ihrer Rosen erzählt, und obendrein wird sie abends ausgehen wollen, um in der Geselligkeit etwas lebhaftere Eindrücke zu finden. Wenn sie dagegen Shakespeare mit Verstand gelesen hat, dann ist sie müde wie wir, und ein einsamer Spaziergang an unserem Arm im Bois de Vincennes wird sie glücklicher machen, als der Besuch der grüßten Gesellschaft. Die Freuden der großen Gesellschaft sind glücklichen Frauen nichts.


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