Stendhal (Henri Beyle)
Essays
Stendhal (Henri Beyle)

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Aus dem Leben Rossinis.

(1824.)

Mozart und Rossini.

Mozart wird in Italien niemals den Beifall finden, den er in Deutschland und England genießt, aus dem ganz einfachen Grunde: seine Musik ist nicht für diesen Himmelsstrich berechnet, sie ist vornehmlich geeignet zu rühren, indem sie der Seele melancholische Bilder vorführt und an die Leiden der liebenswürdigsten und zartesten aller Leidenschaften erinnert. Allein, die Liebe ist in Bologna und in Königsberg verschieden; sie ist lebhafter, ungeduldiger, heftiger in Italien und nährt sich weniger durch die Einbildung. Sie bemächtigt sich nicht allmählich und für immer aller Kräfte der Seele, sondern sie bestürmt sie und nimmt sie nur für einen Augenblick völlig ein; sie ist eine Art von Raserei. Aber Raserei kann nicht melancholisch sein; sie ist ein Ausbruch aller Kräfte, während die Melancholie ein Mangel daran ist. Die italienische Liebe ist meines Wissens noch in keinem Roman geschildert worden.Soeben erschien: Fogazzaro, das Geheimnis des Dichters, (D. Verl.) Darum hat diese Nation überhaupt keine Romane. Dafür hat Cimarosa in den Tönen dieses Landes die Liebe auf das Vollendetste in allen ihren Schattierungen, von der des zarten Mädchens, der der Carolina im Matrimouio segreto

Ha! tu sai ch'io vivo in pene,.....

bis zu der des liebesnärrischen Greises

Jo venia per sposarti, .....

gemalt. Ich will hier auf diese Ideen von der Verschiedenartigkeit der Liebe in den verschiedenen Himmelsstrichen, die uns zu einer endlosen Metaphysik führten, nicht eingehen. Die Seelen, die fähig sind, derartige Gedanken, die beinahe nur Gefühle sind, zu begreifen, werden mich schon aus dem wenigen, was ich gesagt habe, verstehen; was die andern anbelangt, und das ist die ungeheuere Mehrheit, so erkennen sie darin doch nur die langweilige Metaphysik. Ja, wenn das Mode wäre, dann würden sie geruhen, zwanzig wohltönende Phrasen über dieses Thema auswendig zu lernen, aber ich fühle nicht die Stimmung in mir, Phrasen für derartige Menschen zu machen.

Kommen wir auf Mozart und seine kraftvolle Musik zurück. Er erschien gleichzeitig mit Rossini am Horizont gegen das Jahr 1812, aber ich befürchte sehr, daß man von ihm noch sprechen wird, wenn Rossinis Stern erblichen ist. Mozart ist ein Erfinder in jeder Hinsicht und im vollen Sinne des Wortes; er ist niemandem ähnlich, während Rossini noch ein wenig Cimarosa, Guglielmi, Haydn und anderen ähnelt. Die Kenntnis der Harmonie kann alle denkbaren Fortschritte machen und man wird doch immer mit Staunen bemerken, daß Mozart an das Ziel gekommen ist, wohin alle Bahnen führen. Was also das Technische seiner Kunst anbelangt, so wird er da ebensowenig übertroffen werden als Tizian an Wahrheit und Kraft der Farben und Racine an Schönheit seiner Verse, Zartheit und Angemessenheit der Empfindungen. Was das Seelische betrifft, so ist Mozart immer sicher, alle zarten und träumerischen Gemüter durch den Sturmwind seines Genies mit sich fortzureißen und sie mit rührenden und traurigen Bildern zu erfüllen. Bisweilen ist die Gewalt seiner Musik so groß, daß sich durch die Unbestimmtheit des vorgeführten Bildes die Seele mit einem Male von Melancholie ergriffen und gleichsam in ihr verloren fühlt. Rossini ist immer unterhaltsam, Mozart nie; er ist wie eine ernste und oft traurige Geliebte, die man aber um so mehr liebt, gerade wegen ihrer Traurigkeit, wie eine von jenen Frauen, die entweder gar keinen Eindruck machen und als unzugänglich gelten, oder, wenn sie einen einmal rühren, um so tiefer wirken und sich der Seele ganz und gar und auf ewig bemächtigen. Mozart ist bei der großen Gesellschaft Mode, die, wenngleich notwendig ohne Leidenschaften, doch immer scheinen will, als ob sie dafür empfänglich und von großen Leidenschaften ergriffen sei. Solange diese Mode dauern wird, kann man über die wahre Wirkung seiner Musik auf das Menschenherz nicht mit Sicherheit urteilen.

In Italien gibt es einige, wenn auch wenige Kunstfreunde, die durch das Zutrauen, das man zu ihnen hat, durch die Festigkeit und kluge Zurückhaltung ihres Urteils auf die Länge dahin kommen, die öffentliche Meinung auf dem Gebiete der Kunst zu bestimmen. Diese Leute haben sich an der Musik Rossinis amüsiert, sie haben seinen Prüfstein leidenschaftlich beklatscht, mit Rührung sein Quartett aus Bianca e Falliero gehört, sie gestehen, daß er in die opera seria, Leben gebracht hat; aber im Grunde betrachten sie ihn als einen glänzenden Ketzer, als einen Pietro da Cortona. Dieser wirkungsvolle Kolorist blendete Italien eine Zeitlang und tat beinahe Raffael Abbruch, der neben ihm kalt erschien. Raffael hat übrigens wirklich verschiedene zarte Züge und eine gewisse Bescheidenheit im Technischen, die auch Mozart kennzeichnen. Nichts tritt in der Malerei weniger lärmend entgegen, als die schlichte Miene und die himmlische Reinheit der Madonnen des Urbinaten; ihre göttlichen Augen sind auf den Sohn herabgesenkt. Wüßte die Menge nicht, daß diese Madonnen von Raffael sind, so ginge sie vorüber, ohne diesen so einfachen und für gewöhnliche Seelen so gewöhnlichen Gegenstand verweilend eines Blickes zu würdigen. Ebenso ist es mit Mozarts Duett

La mi darai la mano
La mi dirai di si ....

bei dessen langsamer Bewegung sich ein großer Teil unserer Fatzken langweilen würde, die dagegen bei der Cavatine Rosinens im Barbier

Sono docile ....

aufgeregt und elektrisiert sind, obgleich sie gegen den Sinn verstößt. Aber was wissen sie überhaupt vom Sinne?

Rossini hat in seinem Barbier von Sevilla, wo er mit einem genialen Komponisten wetteiferte, sei es durch Zufall, sei es in kluger Absicht, seine Individualität in hervorragender Weise zur Geltung gebracht. Gerade am Barbier kann man den Stil Rossinis am besten hat gleichfalls einen Barbier von Sevilla komponiert.] kennen lernen; einer seiner Hauptmerkmale springt hier ganz auffällig hervor. Er, der so gut Finales, Ensembles, Duette zu schreiben versteht, ist schwach und unbedeutend in Arien, die einfache Empfindungen ausdrücken sollen. Der canto spinato, der einfache Gesang, ist seine Klippe.

Die Römer fanden, wenn Cimarosa die Musik zum Barbier geschrieben hätte, würde sie vielleicht weniger lebhaft und glänzend, aber weit komischer und ausdrucksvoller sein.

Sind Sie Soldat gewesen und Weltwanderer? Dann haben Sie vielleicht einmal in Baden-Baden ganz unerwartet eine reizende Frau wiedergetroffen, die Sie zehn Jahre vorher in Dresden oder Bayreuth angebetet haben. Der erste Augenblick ist künstlich, aber am dritten oder vierten Tage wird einem das Köstliche, Verehrungswürdige, Sanfte zu viel. Die grenzenlose Hingebung dieser guten hübschen Deutschen erregt in uns, vielleicht ohne daß man es sich selbst eingesteht, die Sehnsucht nach der Pikanterie und den Launen einer schönen Italienerin mit ihrer Hoheit und ihrem Übermut. Genau so ist der Eindruck, den auf mich die bewunderungswürdige Musik des Matrimonio segreto ausübt;Cimarosas Heimliche Liebe, die ihre erste Aufführung 1793 in Wien erlebte, ist eine der Lieblingsopern Beyles. der Mangel an Dissonanzen, besonders im zweiten Akt, macht sich quälend merkbar. Mit einem Worte, Cimarosa hat mehr Ideen, aber Rossinis Stil steht höher.

Den zärtlichen Deutschen fehlt in der Liebe die italienische kapriziöse Pikanterie. Im Gegensatz dazu hat die deutsche Musik ihre pikanten Dissonanzen und eine Art Disharmonie vor der köstlichen Grazie und der süßen Melodie der italienischen Musik voraus.

Vom Stile Rossinis.

Bevor ich schließe, ist es notwendig, ein Wort über die Eigentümlichkeit des Rossinischen Stils zu sagen. Allein, ist es schon schwer, Gemälde zu schildern, die doch selbst bei Dummköpfen bestimmte Erinnerungen zurücklassen, wie weit schwerer ist es, von Musik zu sprechen!

Die gute Musik ist nur unsere eigene Gemütsbewegung, sie ergötzt uns, indem sie unsere Einbildungskraft in die Notwendigkeit versetzt, sich augenblicklich mit gewissen Täuschungen zu unterhalten, die nicht ruhig und erhaben wie die Werke der Plastik, noch wie Gemälde Correggios zart und träumerisch sind.

Der erste Charakterzug Rossinischer Musik ist eine gewisse Schnelligkeit, die, alle düsteren Gemütsbewegungen, aus unserer Seele bannt, während Mozarts langsame Noten sie so gewaltig aus der Tiefe unseres Gemüts hervorrufen. Ich finde ferner in ihr eine Frische, die mit jedem Takte unwillkürlich ein Lächeln des Wohlgefallens erzeugt; darum scheinen fast alle Partituren neben denen Rossinis schwerfällig und ermüdend.

Rossini ist selten traurig und doch, was ist Musik ohne eine Schattierung von tiefsinniger Trauer? »Ich werde niemals lustig, wenn ich liebliche Musik vernehme,« sagt der, der unter den modernen Dichtern das Geheimnis der menschlichen Leidenschaften am besten gekannt hat, in seinem Kaufmann von Venedig.

In unserem geschäftigen Zeitalter hat Rossini einen Vorteil, er verlangt keine besondere Aufmerksamkeit. In einem Drama, wo die Musik die Schattierung oder den Grad der Empfindung auszudrücken sucht, bedarf es der Aufmerksamkeit, um erregt zu werden, daß heißt, um Vergnügen zu empfinden; ja, was noch rigoroser ist, es bedarf der Seele, um gerührt zu sein. Bei einer Oper von Rossini dagegen, in der oft jede Arie oder jedes Duett nichts weiter als ein glänzendes Konzertstück ist, bedarf es nur eines sehr leichten Grades von Aufmerksamkeit, um Vergnügen zu haben, und, was noch bequemer ist, das, was die romantischen Leute Seele nennen, ist dabei den größten Teil der Zeit über nicht einmal notwendig. Um diese etwas gewagte Behauptung zu rechtfertigen, erinnere ich an die erste Szene in Cimarosas Heimlicher Ehe, wo Carolina, die sich mit ihrem Geliebten glücklich fühlt, eine zarte Reflexion über das Glück, daß sie genießen würden, hegt:

E amor si gode in pace...

Diese so einfachen Worte haben eine der herrlichsten musikalischen Phrasen, die es gibt, hervorgebracht. Damit vergleiche man nun die Szene in Rossinis Barbier, wo Rosine den Geliebten treu findet, nachdem sie ihn vorher im stärksten Sinne des Wortes für ein Ungeheuer der Treulosigkeit und Gemeinheit, für einen Menschen gehalten hatte, der sie an den Grafen Almaviva verkaufen will. In diesem Augenblicke der Freude, einem der entzückendsten, die es für das menschliche Herz geben dürfte, weiß die undankbare Rosine uns nichts als Verzierungen vorzusingen, die allerdings die erste Rosine, Madame Giorgi, wahrscheinlich reizend ausgeführt hat. Diese Verzierungen, die für ein hübsches Konzert Passen, erscheinen jedermann hier unangebracht, aber Rossini wollte damit gefallen und er hat seine Absicht erreicht, wenn es auch nicht entschuldbar ist.

Rossini ist lebhaft, leicht, pikant, niemals langweilig, selten erhaben und scheint darum besonders fähig, Alltagsmenschen in Ekstase zu setzen. Von Mozart im zarten, melancholischen, von Cimarosa im komischen, leidenschaftlichen Stile weit übertroffen, ist er doch, in Hinsicht auf Lebhaftigkeit, Raschheit, Pikanterie und alle damit verbundenen Wirkungen Meister. Keine Opera buffa ist wie der Prüfstein, keine Opera siera wie der Othello oder das Fräulein vom See geschrieben. Othello ist den Horaziern ebensowenig ähnlich, als dem Don Juan; es ist ein selbstständiges Werk. Rossini hat hundertmal die Freuden der glücklichen Liebe geschildert und im Duett der Armida in einer bis dahin unerhörten Weise. Zuweilen ist er barock, aber nie fehlt es ihm an Geist, selbst nicht in der lustigen Schlußarie der diebischen Elster. Er ist bisher ebenso unfähig gewesen, etwas ohne Verstöße gegen den Sinn des Textes zu komponieren, als innerhalb von zwanzig Takten sein Genie zu verleugnen. Seit Canovas Tode ist er der erste unter den lebenden Künstlern. Welchem Rang ihm die Nachwelt einräumen wird, weiß ich nicht. Etwas möchte ich im Vertrauen sagen: der Stil Rossinis gleicht ein wenig dem Franzosen in Paris, er ist eitel mehr lebhaft als heiter, selten langweilig und noch seltenen erhaben.


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