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Zwölftes Kapitel.
Vorbedingungen ehelichen Glücks

Verminderung der Liebesfähigkeit – Der Wille zum Glück – Diplomatie in der Ehe – Das Wohlwollen der Strenge – Vergleichende Liebe – Der Zauberstab des Gemüts – Liebeswahl und Menschenkenntnis – Überschätzung geliebter Frauen – Erweckung weiblicher Liebe – Nachkommenschaft – Hinaufpflanzung – Selbstwert der Ehe – Schleiermacher und Nietzsche – Das Erhabene der Liebesangelegenheiten – Die Beschaffenheit der Frau – Synthese – Der Sinn der Liebe und Ehe – Dreieinigkeit – Unsterblichkeit – Mütterlichkeit – Kultursünden – Virtuosität der Liebe – Vollendung des eigenen Wesens.

 

Eine höchst pessimistische Äußerung über das Lieben in der Gegenwart findet sich in Spielhagens Roman »Problematische Naturen«, der vor dreißig bis vierzig Jahren zu den meistgelesenen Büchern zählte. Es heißt da: »Wer von uns kann denn noch mit ganzem Herzen lieben? Wir alle sind so abgehetzt und müde, daß wir weder die Kraft noch den Mut haben, die zu einer wahren, ernsten Liebe gehören, zu jener Liebe, die nicht ruht noch rastet, bis sie jeden Gedanken unseres Geistes, jedes Gefühl unseres Herzens, jeden Blutstropfen unserer Adern sich zu eigen gemacht hat.«

Das ist sicherlich eine Übertreibung. Mag auch die Liebesfähigkeit der Menschen unter dem verschärften Kampf ums Dasein und unter dem Materialismus der neueren Zeit eine Beeinträchtigung erfahren haben, eine stattliche Anzahl stiller, verschwiegener Winkel ist trotz alledem noch vorhanden, wo die echte Liebe gedeiht. Aber für die Mehrzahl der heutigen Menschen trifft Spielhagens Beobachtung sicherlich zu, und auch darin hat er unzweifelhaft recht, daß Kraft und Mut zu einer wahren und tiefen Liebe gehören. Er hätte noch hinzufügen können, daß auch der ausgesprochene Wille zum Glück eine wichtige Voraussetzung für die Dauerhaftigkeit der ehelichen Liebe bildet. Wie viele oder wie wenige Ehen mögen denn wohl geschlossen werden mit dem festen Willen und Vorsatz auf beiden Seiten, alles zu tun und zu lassen, um einander glücklich zu machen und so das gemeinsame Leben wahrhaft harmonisch zu gestalten?

Es ist auffallend, daß Schleiermacher die Bedeutung dieses Willens zum Glück in der Ehe zu unterschätzen scheint, wie das aus einem Briefe an seine nachmalige Frau Henriette vor ihrer Heirat mit E. von Willich (Juli 1804) hervorgeht: »Nur das verstehe ich nicht«, schreibt er, »warum Sie so besonders darauf ausgehen wollen, den Ehrenfried recht glücklich zu machen. Ist denn das etwas Fremdes und Einzelnes, daß Sie es ausdrücklich bewerkstelligen müssen? Ich denke, wenn die Kette des ganzen Lebens, die Liebe, nur ist, wie sie sein soll, so kommt bei dem ganz natürlichen Leben und Fortwirken das Muster von selbst heraus, und ich habe noch nie einen besonderen Wunsch hierüber gehört.«

In dieser Verallgemeinerung liegt offenbar eine Überschätzung der dem Liebesinstinkt innewohnenden Kraft und Fähigkeit zu dauerndem Glück. Selbst der Wille zur aufopfernden Liebe kann fehlgehen, wenn er die seelische Verfassung des anderen falsch einschätzt. Daher muß hier zum Gefühl auch das Wissen, das bewußte Wollen sich gesellen.

Mit Recht betont Marianne Weber in einem Aufsatz über »Sexualethische Prinzipienfragen«, daß auch die Dauer der Liebe und seelischen Verbundenheit kein bloßer Glückszufall, sondern zum großen Teil willensmäßig zu schaffen sei. »Wer dem durchaus natürlichen Trieb nach Wechsel und Mannigfaltigkeit erotischer Beziehungen feste Schranken setzt, wird sich die Fähigkeit zur Konzentration seines Gefühls durch ein langes Leben bewahren können.«

Wille zum Glück ist keineswegs immer gleichbedeutend mit schrankenloser Hingabe und unbegrenztem Entgegenkommen. Auch der innig liebende, wie der heißgeliebte Mensch ist mit Fehlern behaftet und dem Irrtum unterworfen. Ein weitschauender Wille zum Glück wird deshalb gelegentlich Strenge und Unnachgiebigkeit auch dort zeigen, wo der andere Teil selbst in wohlmeinendster Absicht etwas verfehlt, auch wenn eine vorübergehende Trübung daraus entspringen sollte. Man kann sogar sagen, daß bei aller Offenherzigkeit und Geistesgemeinschaft es doch niemals in der Ehe an einer gewissen Diplomatie auf beiden Seiten fehlen sollte, die immer dem Willen zum Glück und zur Harmonie in weitschauender Weise dienstbar sein müßte.

Die Ehe Schleiermachers selbst bietet hierfür einen unzweideutigen Beleg. Wohl war sie im allgemeinen glücklich, und Henriette blieb Zeit ihres Lebens eine pflichtgetreue Gattin und Mutter, die alle Angehörigen stets mit gleicher Liebe umfing. Aber eine Trübung blieb doch auch diesem Bunde nicht erspart, die sich möglicherweise bei rechtzeitigem und energischem Eingreifen hätte vermeiden lassen. Henriette schloß sich in ihrer starken Neigung zur Mystik eng an eine Somnambule an, aus der ihr das »Helle« sprach, das für sie schließlich zur unbedingten Autorität in allen wichtigen Lebensfragen wurde. Selbst Schleiermachers Rat und Wille kamen dagegen nicht auf. Er ließ sie gewähren, litt aber sehr unter dem Abbruch der vollen Vertraulichkeit. Vielleicht wäre es nicht dazu gekommen, wenn er in dem festen Willen zum Glück sich unnachgiebiger gegen seine Frau gezeigt haben würde, der er trotz alledem bis zum Tode mit innigster Liebe zugetan war.

Nietzsche macht einmal die Bemerkung: »Ein Mann, der Tiefe hat in seinem Geist wie in seinen Begierden, auch jene Tiefe des Wohlwollens, welche der Strenge und Härte fähig ist und leicht mit ihnen verwechselt wird, kann über das Weib immer nur orientalisch denken: – er muß das Weib als Besitz, als verschließbares Eigentum, als etwas zur Dienstbarkeit Vorbestimmtes und in ihr sich Vollendendes erfassen …« Wie bei vielen Äußerungen Nietzsches, so ist auch hier ein starker Abstrich am Platze. Aber ein Wahrheitskern liegt dieser Auffassung fraglos zugrunde.

Es war der Fehler Schleiermachers, daß er der Individualität seiner Frau auch dort völlig freien Spielraum glaubte einräumen zu sollen, wo diese Individualität zu einer Ausartung hindrängte, die das eheliche Glück ernstlich gefährdete.

Vielleicht sollte man bei den Frauen einen Unterschied machen zwischen typischer und spezieller Individualität. Die typische Individualität des liebenden weiblichen Weibes ist die Unterordnung unter den Willen des wohlwollenden, gütigen Mannes. Wo die spezielle Individualität entgegengesetzte Wege einschlägt, ist Gefahr für den Bestand der Liebe und des ehelichen Glücks im Verzuge, und hier sollte der Mann ernstlich erwägen, ob er jenes Wohlwollen in Anwendung bringen soll, das, um mit Nietzsche zu sprechen, der Strenge und Härte fähig ist. Das Wesen der Liebe ist Sehnsucht nach Einheit und ist zugleich die Kraft, das Auseinanderstrebende zusammenzufassen. Diese Kraft muß beiderseitig und wenn nötig auch gegeneinander aufgewendet werden, sofern der andere Teil sich auf Irrwege begibt. Das erfordert außerordentlichen Takt und großes diplomatisches Geschick, das für die Erhaltung des ungetrübten ehelichen Glücks kaum entbehrlich ist.

Selbstverständlich war auch Schleiermacher davon durchdrungen, daß bestimmte wichtige Charaktereigenschaften die Voraussetzung für die Festigkeit und Aufrechterhaltung der Liebe bildeten. Beim Manne erschienen ihm namentlich Mut und Selbstvertrauen, Festigkeit im Unglück unerläßliche Eigenschaften. Das bekundet er in einem Briefe an seine Braut (15.12. 1808): »Niemals, hoffe ich, steht Dir das Leiden bevor, mich heruntergebracht und niedergedrückt zu sehen; ich denke, das wäre das Ärgste, was Dich treffen könnte, weil es Deine Achtung vermindern müßte für mich, und die hoffe ich mir festzuhalten für ewig.«

Man könnte vielleicht einen gewissen Widerspruch finden zwischen diesen Zeilen und seiner Verzweiflung nach dem Verlust Eleonorens. Aber auch damals hatten, wie wir gesehen haben, bei allem Schmerz sich sofort wieder die Ansätze zu neuem Schaffensdrang und Lebensmut gezeigt. Daneben aber ist anzunehmen, daß jenes Erlebnis nicht wenig zu seiner Läuterung und inneren Stählung beigetragen hat. Er durfte mithin in diesem fortgeschrittenen Stadium, gestützt durch die bevorstehende innigste Verbindung mit Henriette, eine unerschütterliche Festigkeit sich wohl zutrauen.

Dagegen hielt er es für verfehlt, wenn Ehegatten zwischen sich und anderen Menschen wechselseitige Vergleiche anstellen und deren Eigenschaften gleichsam als Maßstab für die beiderseitige Beurteilung erachten. »Es kommt nicht das Mindeste dabei heraus«, schreibt er (31. 1. 1809) an Henriette. »Und wenn mir zugemutet würde, Dich so durch Vergleichung zu beschreiben, so wüßte ich gar nicht anders zu antworten: Ja, meine Gnädigste, sie ist nicht so liebenswürdig als Sie, nicht so geistreich als eine zweite, nicht so verständig als eine Dritte, nicht so liebevoll als eine Vierte, nicht so unterrichtet als eine Fünfte, nicht so hübsch als eine Sechste, aber alles zusammengenommen, ist sie doch die Einzige, die ich liebe.«

Damit charakterisiert er überaus treffend den einzigartigen und zum Teil undefinierbaren Wert, den ein geliebter Mensch für den Liebenden besitzt. Nicht der kritische Verstand und die sinnliche Wahrnehmung sind es, mit der der Liebende die Geliebte umfaßt, sondern ein aus den geheimsten Tiefen unseres Gemüts quellender Urtrieb. Er ist zusammengesetzt aus Sehnsucht nach Ergänzung, geheimer Wahlverwandtschaft, sinnlichem Begehren, dem Ahnen einer überirdischen Idee und dem elementaren Drang nach lebendiger Identität, nach einer Gleichsetzung von Du und Ich.

»Wer nur Sinn hat, sieht keinen Menschen, sondern bloß Menschliches: dem Zauberstabe des Gemüts allein tut sich alles auf. Es setzt Menschen und ergreift sie; es schaut an, wie das Auge, ohne sich seiner mathematischen Operation bewußt zu sein«, heißt es in Schleiermachers Fragmenten aus dem Athenäum.

Dasselbe hat wohl auch Goethe mit Bezug auf Lotte Buff gemeint, da er zu Kestner sagte, niemals acht auf sie gehabt zu haben, weil er sie viel zu lieb gehabt hätte. Das hat ihn jedoch bekanntlich nicht gehindert, ihr Bild mit plastischer Wahrheit und erstaunlicher Tiefe in Werthers Leiden zu zeichnen.

Ein rechter Ehebund kann mithin nur zustande kommen, wenn jener Urtrieb bei der Wahl uns den Weg weist, wenn eine Kraft lebendig wird, die mit magnetischer Gewalt zur Vereinigung führt.

Das drückt Schleiermacher in seiner »Ersten Predigt über die Ehe« folgendermaßen aus: »Der Mann sucht sich ein Weib, aber wehe ihm, wenn er willkürlich wählt, sei es, daß irgendeine verständige Berechnung ihn leitet, oder daß er mit der bewußten Willkür ungeduldiger Leidenschaft seinen Gegenstand ergreife. Keine Sicherheit auf diesem Wege, ob er diejenige gefunden habe, mit der er sich zu dem rechten Leben der Liebe verbinden könne. Nichts, was ihm eine Anhänglichkeit verbürgt, die ihn für alles entschädige, was er verläßt und aufgibt! Soll er seinem Weibe anhangen, so muß von ihr eine Kraft ausgehen, daß er sich alles Suchens entledigt fühle und alles Sehnen gestillt; und eben diese Kraft muß es gewesen sein, welche, unwissend, was sie tat, ihn zuerst anzog und fesselte.«

In diesen Sätzen steckt unzweifelhaft eine große Tiefe, wenn auch nicht die ganze Wahrheit. Bei der Wahl des Weibes die »bewußte Willkür« vollständig auszuschalten und sich ganz auf die von ihm ausgehende Anziehungskraft zu verlassen, ist keineswegs ohne Gefahr. Es heißt das, die Menschenkenntnis beiseite setzen, die wir durch Erfahrung gewonnen haben, und die immer die Ergänzung bilden sollte zu dem durch jene Kraft geleiteten Liebesinstinkt.

Nietzsche schrieb einmal an seine Schwester: »Ich bin viel zu stolz, um je zu glauben, daß ein Mensch mich lieben könne. Dies würde nämlich voraussetzen, daß ich wisse, wer ich bin.« Und Goethe meinte, daß die in seinen Werken geschaffenen Frauengestalten »alle besser wären, als sie in der Wirklichkeit anzutreffen sind«. Damit gesteht er selbst ein, daß seine Menschenkenntnis und Gestaltungskraft in bezug auf Frauen gewisse Mängel zeige, ein Umstand, der sich nicht nur in seinen Dramen, sondern auch in vielen seiner Liebesbeziehungen, sogar in der Auswahl seiner Schwiegertochter Ottilie, mehr oder weniger geltend gemacht hat. Darum ist ihm vielleicht so wenig eigentliches Glück in der Liebe beschieden gewesen. Er hat immer allzu sehr der Kraft vertraut, die »ihn zuerst anzog und fesselte«, und war besonders in seinen jüngeren Jahren geneigt, gleich Schleiermacher, den von ihm geliebten Frauen eine Vollkommenheit beizumessen, die in diesem Umfange niemals vorhanden war, so daß schließlich eine Ernüchterung nicht ausbleiben konnte.

Das ist ein Schicksal, das nur den wenigsten liebenden Männern erspart bleiben dürfte. Sei es aus Idealismus, sei es aus Liebesblindheit oder mangelnder Frauenkenntnis – in den meisten Fällen sind sie geneigt, sich einen allzu hoch gespannten Begriff von der geliebten Frau zu machen; und auch Schleiermacher ist hiervon, wie wir gesehen haben, nicht völlig verschont geblieben. Er erteilt der Frau eine im wesentlichen passive Rolle zu, wie es nicht nur dem Geiste der damaligen Zeit, sondern wohl auch der tiefsten, vorwiegend rezeptiven Natur des Weibes im allgemeinen entspricht. Von ihr verlangt er in der Hauptsache, daß sie fühle, daß von der fortwährenden Wirkung jener von ihr ausgehenden Kraft die Beständigkeit der ehelichen Liebe, die Festigkeit des ehelichen Glücks abhängig sei.

Wir wissen heute, daß in jeder Frau ein männliches, in jedem Mann ein weibliches Element wirksam ist. Nur auf den Grad, auf das Mehr oder Weniger kommt es an. Ist das männliche Element in einer Frau stärker vertreten, so wird ihre Natur sie ganz von selbst dazu führen, beim Eingehen und im Verlauf der Ehe eine aktivere Rolle zu spielen. Ihre größere Bewußtheit und Initiative im Verein mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln weiblicher Koketterie wird sie dazu befähigen. In der übergroßen Mehrzahl der Fälle ist es aber in der Tat so, daß die Frau wartet auf den kommenden Mann. Ist er nicht gar zu garstig oder ihr gänzlich unkongenial, so wird meistens schon seine Annäherung und sein Entgegenkommen ihr Interesse wachrufen. Seine Aufmerksamkeiten und Schmeicheleien werden ihre Gunst erobern. Sein Verständnis und seine seelische Erschließung, sein Begehren und Liebeswerben aber werden die Flamme zur Entzündung bringen, die Blut und Nerven in Wallung versetzt und als Gegenliebe in ihrem Herzen emporlodert.

Es ist auffallend, wie sehr in Schleiermachers Betrachtungen über den Sinn und das Ziel der Ehe die Frage der Nachkommenschaft in den Hintergrund tritt. Wohl erwähnt er gelegentlich die »süßen Kinder« Henriettes, denen er ein guter und liebender Vater zu sein gedenkt. Auch streift er hier und da bei seiner Preisung des Familienlebens die Frage der Kinder in wohlwollender Weise. Aber nirgends tritt es in seiner vielfachen Verherrlichung der Ehe und ehelichen Liebe hervor, daß er einen wichtigen, geschweige denn den Hauptzweck der Ehe in der Zeugung der kommenden Generation erblickt.

Das A und O ist ihm die innige Gemeinschaft mit der geliebten Frau, der er den entscheidenden Wert beimißt; ganz im Gegensatz zu Nietzsche, der der Welt verkündet hat: »Ich will, daß dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde sehne. Lebendige Denkmäler sollst du bauen deinem Siege und deiner Befreiung. Über dich sollst du hinaus bauen. Aber erst mußt du mir selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und Seele. Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der Garten der Ehe! Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich rollendes Rad, – einen Schaffenden sollst du schaffen. Ehe, so heiße ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht voreinander nenne ich eine solche Ehe als vor dem Wollenden eines solchen Willens.« Dem eigenpersönlichen Standpunkt, der der romantischen Anschauung vorwiegend zugrunde lag, war solche Betrachtungsweise offenbar fremd. Die Ausbildung und Vervollkommnung der individuellen Eigentümlichkeit, das Aufeinanderwirken von Mensch zu Mensch, die Erschließung von Seele zu Seele – das lag den Romantikern in erster Linie am Herzen und ließ wenig Raum zu einer Stellungnahme gegenüber dem Kinde.

So sieht, wie gesagt, Schleiermacher den Hauptzweck der Ehe in der sittlichen, geistigen und leiblichen Gemeinschaft der Ehegatten, in ihrer wechselseitigen Fürsorge – »denn alle Sorge ist mütterlich und väterlich« – und in der hierdurch bewirkten Steigerung und Vollendung des persönlichen Lebens. Die gegenteilige Meinung erklärt er in den »Vertrauten Briefen« geradezu als eine Ketzerei: »Gott sei Dank, ich weiß doch, daß es nichts ist mit dieser wunderlichen Ketzerei, die zwar nicht ausdrücklich behauptet, aber vernehmlich genug angedeutet ist: Als ob das schöne Band der Liebe sich erst dann in das heiligere einer wahren Ehe verwandelte, wenn die Liebenden sich als Vater und Mutter begrüßen. Auch im Übermaß der schönsten und würdigsten Freude sollte niemand so etwas sagen.«

Schleiermacher liebt und wertet die Liebe an sich, die Idee der Liebe, viel zu hoch, als daß er durch irgendeinen Zweckgedanken außerhalb der beiderseitigen Ergänzung und Hilfe, und sei es selbst der der Kindererzeugung, sein höchstes Liebesideal nur um ein Jota möchte verkleinern oder herabziehen lassen. Das bekräftigt er des weiteren in dem dritten der »Vertrauten Briefe« durch die folgende charakteristische Stelle: »Absicht soll nirgends sein in dem Genuß der süßen Gaben der Liebe, weder irgendeine sträfliche Nebenabsicht, noch die an sich unschuldige, Menschen hervorzubringen – denn auch diese ist anmaßend, weil man es doch eigentlich nicht kann, und zugleich niedrig und frevelhaft, weil dadurch etwas in der Liebe auf etwas Fremdes bezogen wird.«

Es sind zwei völlig verschiedene Einstellungen, die uns hier gegenübertreten. Dort als Zielsetzung der Ehe: die »Hilfe und Ergänzung der Kraft zur eigenen Bildung, als Gewinn an neuem inneren Leben«. Daraus hervorgehend ein häusliches Glück, das auf dem Einklang der von Frömmigkeit erfüllten Seelen sich aufbaut. Hier die bewußte Hinaufpflanzung des kommenden Individuums zum Tat- und Übermenschen, und damit die fortschreitende Entwicklung des menschlichen Geschlechts zu schöpferischer Kraft und weltbeherrschender Größe. Daneben aber auch die Zeugungsverantwortlichkeit, die den Verzicht auf Fortpflanzung einschließt von seiten der geistig, moralisch und körperlich Minderwertigen.

Das Glück der Menschen, und ganz besonders der Massenmenschen ist Nietzsche vollkommen gleichgültig. Ihm gilt nur das Werk und der vor der Menge erlesene Mensch, der herangezüchtet werden soll. Darum hat er auch für den Selbstwert der Ehe keinen Sinn und stellt das ganze Leben der Frau lediglich unter die Prädestination zur qualitativen Mutterschaft. Ihn dünkt es gewissenlos und sündhaft, Kinder zu erzeugen, die einem elenden Schicksal entgegengehen und zugleich dem Vorwärtsschreiten, dem Hinaufpflanzen des Menschengeschlechts die schwersten Hemmungen bereiten.

Er bewegt sich damit völlig in den Bahnen Schopenhauers, der es in seiner »Welt als Wille und Vorstellung« ebenfalls klar ausgesprochen hat, daß der Endzweck aller Liebeshändel in der Fortpflanzung der Gattung bestehe und deshalb wichtiger sei, als alle anderen Zwecke im Menschenleben. Er sei daher des tiefen Ernstes, womit jeder ihn verfolgt, völlig wert. Denn nichts Geringeres werde dadurch entschieden, als die Zusammensetzung der kommenden Generation. »Die dramatis personae, welche auftreten werden, wenn wir abgetreten sind, werden ihrem Dasein und ihrer Beschaffenheit nach bestimmt durch diese so frivolen Liebeshändel. Diese hohe Wichtigkeit der Angelegenheit, als in welcher es sich nicht, wie in allen übrigen, um individuelles Wohl und Wehe, sondern um das Dasein und die spezielle Beschaffenheit des Menschengeschlechts in künftigen Zeiten handelt, und daher der Wille des Einzelnen in erhöhter Potenz als Wille der Gattung auftritt, diese ist es, worauf das Pathetische und Erhabene der Liebesangelegenheiten, das Transzendente ihrer Entzückungen und Schmerzen beruht.«

Indem Schopenhauer hier auf die spezielle Beschaffenheit des künftigen Menschengeschlechts als wichtigstes Folgeergebnis der Liebesbeziehungen hinweist, hat er Nietzsches Gedanken von der Erzeugung des Übermenschen – wenn auch in minder eindrucksvoller Formulierung – bereits vorweg genommen. Auch bringt er mit seiner Theorie das zum Ausdruck, was in China längst zur Praxis geworden ist, wo das Heiraten im Hinblick auf die Fortpflanzung als selbstverständliche Pflicht gilt, der sich keiner entziehen darf, und wo nicht der Wunsch und die individuellen Gefühle des Eheschließenden maßgebend sind, sondern lediglich das Wohl des Geschlechts und die sichere Fortdauer der Rasse unter möglichst günstigen Verhältnissen.

Die kritische Skrupulosität, mit der wir ein Weib mustern und auf jeden Körperteil prüfen, das schwindelnde Entzücken, das den Mann beim Anblick einer schönen Frau ergreift und ihm die Vereinigung mit ihr als das höchste Gut vorspiegelt, ist nach Schopenhauer der Sinn der Gattung, der auf solche Weise, wenn auch meistens unbewußt, auf Erhaltung und Veredelung der kommenden Generation hindrängt. Ob das biologisch richtig ist, mag dahingestellt bleiben.

Auch in der Beurteilung der Frau und den an sie zu stellenden geringen Anforderungen dürfte Nietzsche von Schopenhauer beeinflußt sein. Außer den rein mütterlichen Eigenschaften verlangt er nichts weiter von ihr, als Gesundheit, Häuslichkeit, Wirtschaftlichkeit (einschließlich Nahrungspflege), Frohsinn, Treusinn, Selbstzucht und Lebensbejahung.

Das sind sicherlich höchst schätzenswerte Qualitäten, die für das Glück der meisten Durchschnittsmenschen als völlig ausreichend sich erweisen werden.

Der höher veranlagte Mensch wird indessen oftmals größere Ansprüche stellen. Er wird zwar mit Nietzsche die Hinaufpflanzung ersehnen und herbeizuführen suchen, aber er wird daneben auch in der Befriedigung des Liebesbedürfnisses, in der gemeinsamen Pflege der Geistesschätze und Kulturwerte, in der seelischen Gemeinschaft den Sinn des Ehebündnisses erblicken. Er wird in der Regel genügend Wirklichkeitsmensch sein, um seine Gegenwartswerte nicht völlig zugunsten des kommenden Geschlechts in den Hintergrund treten zu lassen. Er wird sich vielleicht – trotz Goethe – auch die biologische Frage vorlegen, ob zur Erzeugung des Übermenschen nicht höhere geistige Qualitäten beim Weibe erforderlich sind, wie sie Nietzsche verlangt. Er wird nicht die Naturwidrigkeit begehen, seinen angeborenen Trieb zu persönlichem Glück völlig hintanzusetzen, sondern er wird die Synthese zwischen beiden Auffassungen zu vollziehen bemüht sein.

Nach Schopenhauers Ansicht besteht eine Erblichkeit des Charakters vom Vater und des Intellekts von der Mutter, eine Auffassung, die jedoch der Begründung entbehrt und von der modernen Wissenschaft nicht geteilt wird. Im übrigen segelt er schon völlig im Fahrwasser der neuzeitlichen Eugenik oder Rassenhygiene, wenn er schreibt, »daß eine wirkliche und gründliche Veredelung des Menschengeschlechts nicht sowohl durch Lehre und Bildung, als vielmehr auf dem Wege der Generation zu erlangen sein möchte … Könnte man alle Schurken kastrieren und alle dummen Gänse ins Kloster stecken, den Leuten von edlem Charakter einen ganzen Harem beigeben, und allen Mädchen von Geist und Verstand Männer, und zwar ganze Männer, verschaffen: so würde bald eine Generation erstehen, die ein mehr als Perikleisches Zeitalter darstellte.«

Es hieße den Eigenwert unseres Empfindungslebens, das in der Erotik seinen stärksten und lebendigsten Ausdruck findet, allzusehr herabdrücken, wollten wir den Sinn der Liebe ausschließlich oder vorwiegend in die Fortpflanzung verlegen. Die Liebe ist weit mehr als ein bloßes Mittel zur Erfüllung dieses Zwecks. Sie ist der Wunsch zweier Menschen verschiedenen Geschlechts nach restloser Verschmelzung, um in dieser innigsten Vereinigung von Leib und Seele die Stillung der tiefsten Sehnsüchte zu finden und gleichzeitig des Gefühls der Vollendung des eigenen Wesens teilhaftig zu werden. Es kommt hierbei zunächst gar nicht darauf an, ob diese Wesensvollendung in Wahrheit bewirkt wird. Es genügt, daß wir von der Illusion völlig erfüllt sind und in ihr unser höchstes Genüge finden. Dabei ist es keineswegs erwünscht, meistens sogar vom Übel, wenn die restlose Verschmelzung, also die Geschlechtsbefriedigung, als tatsächlich einziger Zweck des ganzen Liebestreibens den Liebenden zu vollem Bewußtsein kommt. Eduard von Hartmann ist sogar der Meinung, daß nur dort, wo dieser Zweck der Liebe noch nicht bewußt geworden ist, die Liebe ein gesunder Prozeß, ein Prozeß ohne inneren Widerspruch sei … »Nur da besitzt das Gefühl diejenige Unschuld, welche allein ihm den wahren Adel und Reiz verleihen kann.«

So wichtig und notwendig auch die Hinaufpflanzung des menschlichen Geschlechts an sich erscheinen mag, so liegt doch ein offenkundiger Mangel an Logik darin, dieses Ziel mit derjenigen Ausschließlichkeit in den Vordergrund zu stellen, wie es Nietzsche tut, und gleichzeitig den hohen Selbstwert der starken Persönlichkeit in dithyrambischer Weise zu preisen.

Gerade der hohe Respekt vor der Persönlichkeit sollte davor bewahren, sie immer nur wieder als Mittel zum Zweck – nämlich der Hinaufpflanzung – anzusehen. Und weil in einer musterhaften Ehe die besten Bedingungen zur Entfaltung der Persönlichkeit gegeben sind, ist es verfehlt, die Ehe vorwiegend oder ausschließlich unter generativem Gesichtswinkel zu betrachten. Was kann denn die Hinaufpflanzung für einen Zweck haben, als Persönlichkeiten zu zeugen und heranzubilden, die ihren Selbstwert empfinden und zur Geltung bringen, anstatt sich immer nur als Zuchthengste oder Rassestuten zu fühlen und einzuschätzen. Daher wird der einsichtsvolle Mensch neben der zu erstrebenden Hinaufpflanzung auch dem Selbstwert der Ehe, der Frau und seiner eigenen Persönlichkeit den ihm gebührenden Rang im Sinne Schleiermachers einräumen.

Daß die beiderseitige Vereinigung gleichzeitig zur Sicherung des körperlichen Fortbestandes des menschlichen Geschlechts ihren Beitrag liefert, ist im übrigen eine Erscheinung, die wir – je nachdem – mit größerer oder geringerer Freude begrüßen. Daß diese Freude auch geringer sein kann, daß sogar an ihre Stelle, beim Eintritt unwillkommener Schwangerschaft, oftmals Furcht und Schrecken tritt, selbst wenn die Liebe in unverminderter Stärke und Tiefe die Herzen der sich Paarenden erfüllt, erbringt den Beweis dafür, daß die Liebe oder Erotik an sich mit der Tatsache der Fortpflanzung keineswegs in unlöslichem Zusammenhang steht.

Man wird es sogar zuweilen als eine Ironie des Naturwillens bezeichnen können, daß der Wunsch nach restloser Verschmelzung, also nach Umwandlung zweier Menschen in einen einzigen, nicht nur keine Erfüllung findet, weil er an den Schranken der Individualität fast immer scheitern muß, sondern daß statt des erstrebten einen Menschen schließlich deren drei vorhanden sind, – sobald nämlich das Kind hinzutritt. Will man diesen Vorgang in eine poetisch-religiöse Beleuchtung rücken, wie es angesichts solcher »Schöpfung« durchaus nicht unberechtigt erscheint, und will man gleichzeitig die Idee der engsten Einheit innerhalb des Liebesbundes wahren, so mag man diese Vermehrung in Anlehnung an Lenaus Gedanken (»die Liebenden, Gott und das Kind«) mit der Dreieinigkeit in Parallele bringen. Indessen wird solche verklärende Symbolisierung sich gemeinhin nur solange aufrechterhalten lassen, als keine größere Kinderzahl sich einstellt, und als das Kind selbst seinem innersten Wesen nach sich völlig harmonisch in das Familienkonzert einordnet. Das braucht aber keineswegs mit Naturnotwendigkeit der Fall zu sein, da die Frucht nicht selten weit mehr oder weit weniger ist, fast immer aber ein anderes Resultat darstellt, als die Summe der Erzeuger.

Das Problem hat aber auch noch eine andere Seite, die gleichfalls in die Sphäre des Religiösen hineinragt. Wer den Glauben an ein individuelles Fortleben nach dem Tode ablehnt, findet zuweilen Ersatz hierfür in der generativen Unsterblichkeit, in der unbegrenzten Dauer des Menschengeschlechts, die auf der Zeugung von Nachkommenschaft beruht. Damit wird der ehelichen Gemeinschaft als Erhalterin der menschlichen Gattung gleichsam eine religiöse Weihe verliehen, die in der Unsterblichkeitsidee ihre Grundlage hat. In der christlichen Einstellung Schleiermachers einerseits, in der antichristlichen Geistesrichtung Nietzsches andererseits liegt vielleicht der tiefere psychologische Grund für ihre abweichende Stellungnahme zum Kinde. Wer an persönliche Unsterblichkeit glaubt, braucht auf das Kind nicht das entscheidende Gewicht zu legen, wie jemand, der diesen Glauben ablehnt, aber dennoch den Gedanken der Fortdauer und Lebenssteigerung des Menschengeschlechts mit dem gleichen Enthusiasmus vertritt wie der Gläubige, der beides ins Jenseits verlegt. »Nichts vom Vergänglichen, wie's auch geschah. Uns zu verewigen, sind wir ja da«, heißt es bei Goethe.

Die Denkweise, die den Hauptzweck der Ehe im Kinde erblickt, kommt überdies den zahlreichen Frauen entgegen, die nicht des großen Glückes teilhaftig werden, eine auf den idealen Voraussetzungen Schleiermachers beruhende Ehe der tiefsten seelischen Gemeinschaft zu schließen. Sie finden im Mutterglück den Ersatz für den Mangel an Liebe, an dem vielleicht ihre Ehe leidet, auch wenn Nietzsches Anforderung der Hinaufpflanzung nicht in dem erwünschten Maße erfüllt ist. Das ist eine andere Art von Selbstwert, der der Ehe innewohnt, und der nicht selten dadurch eine große Steigerung erfährt, daß das Kind zum Mittler und Mehrer des ehelichen Glückes wird.

Sehr schön gibt Balzac diesem Gedanken Ausdruck: »Eine Frau, die keine Liebesheirat macht, soll sich ganz der Mütterlichkeit hingeben, so wie eine Seele, der auf Erden alles versagt ist, sich zum Himmel wendet.«

Bei alledem müssen wir aber auch der neuzeitlichen Tendenz gedenken, die auf die Einschränkung des Kindersegens gerichtet ist. Sie hat im Hinblick auf die außerordentlich gestiegenen Lasten, welche die Kindererziehung auferlegt, zum sogenannten Zweikindersystem, in vielen Fällen selbst zum Einkindersystem geführt. Th. R. Malthus hat zur Vermeidung der vermeintlich drohenden Übervölkerung sogar den Verzicht auf die Ehe gefordert, während die Neumalthusianer nur Präventivmaßnahmen, ohne Verzicht auf Betätigung des Geschlechtstriebs, verlangen. Die Beschränkung der Kinderzahl hat sogar in der Gesetzgebung bereits ihren Niederschlag gefunden, indem die Unfruchtbarkeit der Frau im Gegensatz zur Vergangenheit als Grund zur Ehescheidung bei allen Kulturvölkern in Wegfall gekommen ist. Nirgends kommt die zunehmende Individualisierung, nirgends der Selbstwert der Ehe im Sinne Schleiermachers stärker zum Ausdruck, als in diesem Umstande. Er ist eine naturgegebene Begleiterscheinung jeder hochgesteigerten Kultur, die zu immer größerer Differenzierung und Individualisierung führt. Hieraus entwickelt sich eine starke Steigerung des Seelenlebens und Liebesbedürfnisses, das im Bewußtsein des modernen Menschen bei seinem Drang zur Vereinigung mit der geliebten Person weit weniger auf das Kind, wie auf diese selbst gerichtet ist. Einem hochkultivierten Menschen wird überdies auch die »innere Entfaltung der eigenen Persönlichkeit« meistens wertvoller erscheinen, als die physische Erzeugung neuer Persönlichkeiten, von deren Dasein er eine Beeinträchtigung seiner eigenen Entfaltung und Lebenssteigerung befürchtet, und deren Beschaffenheit und Schicksal überdies in völliges Dunkel gehüllt ist.

Wenn es allerdings zutrifft, daß die Natur listigerweise der Vereinigung zweier Liebenden sich nur als Mittel bedient, um ihren auf Fortpflanzung gerichteten Willen zu erreichen, so wäre in der Bekämpfung dieser List durch Verhinderung der Zeugung hochwertiger, gesunder Menschen eine jener Kultursünden zu erblicken, welche die Natur auf die Dauer nicht ungerächt lassen wird. Das ist uns sogar zur Gewißheit geworden, seitdem Darwin uns gelehrt hat, daß eine Rasse ihren Hochstand nur dann bewahren kann, wenn die Tüchtigen sich stärker vermehren, als die Mindertüchtigen.

Aus allen diesen Gründen wird es kaum bestritten werden können, daß die Liebesheirat im Sinne Schleiermachers und mit der gleichzeitigen Zielsetzung Nietzsches das zu erstrebende Ideal bleibt, und daß hohe Qualitäten der beiden Gatten sogar eine Pflicht zu reichlicher Zeugung involvieren.

Eleonore Grunow hat Schleiermacher einmal als Virtuosen der Freundschaft bezeichnet, und er nahm diese Bezeichnung an mit den Worten: »Von Gottes Gnaden glaube ich das wirklich zu sein.«

Vielleicht mit noch größerem Rechte könnte man ihn als einen virtuosen Verkünder der Liebe bezeichnen; jener Liebe, die im Anschauen der Unendlichkeit den Menschen zur innigsten Gemeinschaft mit dem Universum emporführt; und jener anderen, aus ihr angeblich entspringenden Liebe, die zur innigsten Vereinigung mit einem geliebten Menschen uns hintreibt. Auf ihren zahllosen Erscheinungsformen und unendlichen Komplikationen baut eine überreiche poetische Literatur ganzer Völker sich auf, während sie eigentümlicherweise in den Systemen und Untersuchungen der großen Philosophen, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, keineswegs denjenigen Raum einnimmt, der ihr gemäß ihrer Bedeutung für das Gesamtleben des Menschen in Wirklichkeit zukommt. Prof. Dr. Albert Eulenberg gibt unter dem Titel »Moralität und Sexualität« (A. Marcus & E. Webers Verlag, Bonn) die Anschauungen einer Reihe von Philosophen der neueren Zeit (von Kant bis zur Gegenwart) über das Liebes- und Eheproblem auszugsweise und kritisch wieder. Dafür hat sie im Volksempfinden eine um so breitere Basis, nicht nur, wie Shakespeare sagt:

»Weil Leid der Liebe so geeignet ist,
Wie Träume, Seufzer, stille Wünsche, Tränen
Der armen kranken Leidenschaft Gefolge«,

sondern auch, weil nach Plato die Liebe der Menschen das Streben nach dem Besitz des Guten, nach Lotze sogar das Gute an sich ist, das wir suchen; weil sie die denkbar höchste Beseligung in den Gemütern zweier Menschen zugleich hervorzurufen vermag, und weil durch ihre Emanation allein der Bestand des menschlichen Geschlechts gewährleistet erscheint.

Der menschliche Fortschritt vollzieht sich in Gestalt ständig zunehmender Bewußtwerdung und Aktionsfähigkeit. Ein wesentlicher Teil der uns gestellten »unendlichen Aufgabe« aber wird andauernd darin zu bestehen haben, die Geschlechtsliebe der Menschen auf Basis dieser Fortschrittslinie zu immer höheren Stufen emporzuführen. Einerseits im Sinne des ständigen Strebens nach Hinaufpflanzung der menschlichen Gattung, andererseits dadurch, daß die Liebenden und in der Ehe Vereinigten sich immer stärker und bewußter von dem Willen leiten lassen, einander das Beste und Tiefste zu geben, was sie zu geben fähig sind.

 

Ende.

 


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