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Zweites Kapitel.
Liebe und Religion

Irdische und himmlische Liebe – Liebe zum Universum – Das Erlösungswerk der ewigen Liebe – Ekstase des Fleisches – Begeisterung – Die fromme Ehe – Einheit des Lebens – Liebe als anziehende Kraft der Welt und der Geister – Religion aus Liebe – Mangelnde Gegenliebe – Religiöse Erotik – Das Ziel aller Religionen – Individualität und Liebe – Endziel der ehelichen Liebe – Untertänigkeit der Frau – Untertänigkeit des Mannes – Heiterkeit in der Ehe.

 

Die zehrende Sehnsucht nach dem Geliebten, die Liebe selbst, wird bei den Romantikern mit der Idee des Absoluten, Unendlichen in engste Verbindung gebracht, »die Quelle und Seele aller dieser Regungen (der sentimentalen, phantastischen, geistigen Gefühle) ist die Liebe, und der Geist der Liebe muß in der romantischen Poesie überall unsichtbar sichtbar schweben … für den wahren Dichter ist alles dieses, so innig es auch seine Seele umschließen mag, nur Hindeutung auf das Höhere, Unendliche, Hieroglyphe der einen ewigen Liebe und der heiligen Lebensfülle der bildenden Natur«, heißt es bei Friedrich Schlegel.

Damit wird auch die Liebe der Geschlechter in die Sphäre des Mystischen und Religiösen erhoben.

Friedrich Schlegel hat den Satz aufgestellt, daß das Chaos nur auf die Berührung der Liebe warte, um eine harmonische Welt hervorzubringen. Gelegentlich behauptet er, in das Universum »knollig verliebt« zu sein. »Der Gedanke des Universums ist mir eins und alles … Je vollständiger man ein Individuum lieben oder bilden kann, je mehr Harmonie findet man in der Welt.« Seinem Bruder Wilhelm gegenüber bekennt er (17. 5. 1792) die Sehnsucht nach dem Unendlichen und verknüpft diese Sehnsucht mit dem Begriffe der Liebe; das Herz meine das unendliche Gut, das ihm fehle, im Geliebten zu finden: diese Sehnsucht, diese Liebe gestattet dem Menschen, ins Absolute und Ewige hinüberzugreifen.

Novalis, der das Heraufkommen einer neuen Religion von seinem Zeitalter erwartet, sieht einen Heiland voraus, der, »unter zahllosen Gestalten dem Gläubigen sichtbar, als Brot und Wein verzehrt, als Geliebte umarmt, als Luft geatmet … unter den höchsten Schmerzen der Liebe, in das Innere des verbrausenden Leibes aufgenommen wird.« Liebe muß immer ein Individuum zum Gegenstand haben, kann nur persönlich gerichtet sein, daher auch das Bedürfnis nach der Vorstellung eines persönlichen Gottes seitens des einfachen, naiven Menschen, der nur so in der Lage ist, dem Gebote der Liebe zu Gott nachzukommen. Noch leichter wird ihm dies nach der Schilderung von Novalis, wenn ein »Heiland« als Mittler oder als Sohn Gottes auftritt, der dem Gläubigen auf mannigfachste Weise sinnlich wahrnehmbar wird.

Schleiermacher hat den Satz geprägt, man solle nichts aus Religion, aber alles mit Religion tun. Sie müsse wie eine Musik das Leben begleiten. Die absolute Harmonie, die er bei einem Individuum in dem Einssein mit dem Universum findet, besteht darin, alles Ungeformte und Rohe zu schön geformten Bildungen umzugestalten. »Das Erlösungswerk der ewigen Liebe« wird hierdurch bewirkt und ist das Ziel der Menschheitsentwicklung. Diesen Gedanken überträgt er in ganz besonderer Weise auf die Liebe zwischen Mann und Weib und verleiht ihr dadurch einen erhöhten Nimbus, eine außerordentliche Festigkeit und Vertiefung. Die Sage von Adam und Eva deutet er dahin, daß der Mensch erst dann fähig wurde, die Stimme der Gottheit zu hören, als der Herr ihm die Gehilfin erschuf.

»Liebe und Religion sind freilich eins, und so ist auch mir beides zugleich gekommen«, schreibt er (4. 12. 1808) an Henriette von Willich, und in den »Vertrauten Briefen über Lucinde«, von denen später noch ausführlicher zu sprechen sein wird, sagt er: »Der Gott muß in den Liebenden sein; ihre Umarmung ist eigentlich seine Umschließung, die sie in demselben Augenblick gemeinschaftlich fühlen und hernach auch wollen. Ich nehme in der Liebe keine Wollust an ohne diese Begeisterung und ohne das Mystische, welches hieraus entsteht und von dem, welches wir oft zusammen verachtet haben, gar sehr verschieden ist.«

Das Gleiche drückt Friedrich Schlegel aus in den Worten an seine Freundin Dorothea Veit: »… ich weiß nicht, ob ich das Universum von ganzer Seele anbeten könnte, wenn ich nie ein Weib geliebt hätte, aber freilich, das Universum ist und bleibt meine Losung. Liebst Du wohl, wenn Du nicht die Welt in der Geliebten findest?«

Es ist der höchste Ausdruck der Liebe, wenn ein Mensch im anderen gleichsam das Symbol des Weltalls, die konzentrierte Quintessenz des Universums erblickt und verehrt. Es ist der Drang nach grenzenloser, unendlicher Hingabe, der in solcher Stimmung zum Ausdruck kommt; und es ist gleichzeitig der heiße Wunsch nach dem Nimmeraufhören, nach der Ewigkeit des Liebesgefühls, der die Brücke zum Universum bildet. Der Liebende sieht und umfaßt im geliebten Menschen die eng zusammengedrängte Vereinigung alles dessen, was das Wesentliche des Unendlichen bildet: das Leibliche und Geistige, das Flüchtige und Bleibende, das Zeitliche und Ewige, das Ruhende und Bewegte. So hat auch Lenau die Liebe als lebendige Dreifaltigkeit bezeichnet: die Liebenden, Gott und das Kind.

In der Vorstellung des inbrünstig Liebenden sind die die Welt tragenden Ideen des Guten und Schönen, des Edlen und Vollkommenen auf dem Seelengrunde des geliebten Menschen gelagert. So liebten sich Abälard und Heloise, Tristan und Isolde, Jeoffroy und Melisende (in Tiecks »Sternbald«). So liebte Novalis seine Sophie, da er seine Liebe angewandte Religion nannte; so lieben sich Heinrich und Mathilde in Maeterlincks Drama »Aglavaine und Selysette«, wo Heinrich die Worte in den Mund gelegt werden: »Du bist die Heilige, die meine Wünsche zu Gott bringt, durch die er sich mir offenbart … Was ist die Religion als eine ewige Vereinigung liebender Herzen …«; und so liebte Schleiermacher seine Henriette von Willich, was er in die Sätze kleidete: »Darum ist mir nun auch klar, daß, was in uns ist, auf eine wahrhaft göttliche Weise geworden ist, aus dem Innersten unseres Wesens heraus, durch seine höchste Natur, anknüpfend an unser gesamtes Sein, nicht von irgend etwas Einzelnem ausgehend, und also auch auf keine Art einseitig und unsicher.« (18. 8. 1808.)

Es ist eine eigentümliche Erscheinung, daß, was hier in die Sphäre des Idealen erhoben ist, in entgegengesetzter Form auch schon beim primitiven Menschen zutage tritt. Die Kulte der tiefreligiösen Völker tragen in deren Jugend einen wollüstigen, furchtbaren Charakter. Sie sind von wilden Orgien der Lust und der Grausamkeit begleitet, weil der Primitive nur in der Ekstase des Fleisches, in der Form des Triebmäßigen sein Tiefstes erleben und äußern kann.

Schleiermacher war seinem Beruf als Prediger mit Begeisterung zugetan; wie denn überhaupt Begeisterung nicht nur eine hervorstechende Eigenschaft seiner ganzen Persönlichkeit bildete, sondern von ihm als eines der wichtigsten Elemente des menschlichen Seins und Wirkens erachtet wurde. In den Fragmenten aus dem Athenäum bekennt er als seinen »Glauben« u. a.: »Ich glaube an Begeisterung und Tugend, an die Würde der Kunst und den Reiz der Wissenschaft, an die Freundschaft der Männer und die Liebe zum Vaterlande, an vergangene Größe und zukünftige Veredelung.«

In der Tat bricht seine Begeisterung für alles, was er als hoch und herrlich empfindet, in oftmals überschwenglicher Weise hervor, mag er über Kunst und Religion, Vaterland oder Natur, Freundschaft oder Liebe seine Anschauungen entwickeln.

Wie wohltuend und stärkend berührt es uns heute, wenn er in der Zeit der tiefsten Erniedrigung Preußens seiner vaterländischen Begeisterung Ausdruck verleiht, indem er an seine damalige Braut Henriette von Willich schreibt (31. 12. 1808): »Niemals kann ich dahin kommen, am Vaterlande zu verzweifeln, ich glaube zu fest daran, ich weiß es zu bestimmt, daß es ein auserwähltes Werkzeug und Volk Gottes ist. Es ist möglich, daß alle unsere Bemühungen vergeblich sind, und daß vorderhand harte und drückende Zeiten eintreten – aber das Vaterland wird gewiß herrlich daraus hervorgehen in kurzem.«

Und welche Begeisterungsfähigkeit für einen edlen Menschen spricht aus seinem Briefe an Henriette Herz (27. 3. 1805), in welchem er sich über seinen Freund Steffens Steffens war Norweger und lebte mehrere Jahre als Professor der Naturwissenschaften in Deutschland. äußert: »Du weißt, liebe Freundin, ich bin ebensowenig hochmütig als bescheiden, aber nie habe ich einen Mann so aus vollem Herzen und in jeder Hinsicht über mich gestellt, als diesen, den ich anbeten möchte, wenn es Mann gegen Mann geziemte … der ganze Mensch ist über alle Beschreibung herrlich …«

Auch bei anderen Romantikern finden wir die Begeisterung als einen charakteristischen Grundzug ihres Wesens, den sie mit vollem Bewußtsein pflegen und hervorkehren. Novalis geht hierin sogar so weit, daß er die höchste Potenz der Begeisterung, die Ekstase, zum Maßstab der menschlichen Kraft und der Wirkung menschlichen Willens macht; und Hölderlin legt seinem Hyperion die Worte in den Mund: »… und wenn die Begeisterung hin ist, steht er (der Mensch) da, wie ein mißratener Sohn, den der Vater aus dem Hause stieß, und betrachtet die ärmlichen Pfennige, die ihm das Mitleid auf den Weg gab.«

Schleiermachers Traureden und Predigten über die Ehe sind von der gleichen romantischen Begeisterung durchweht. Sie gipfeln immer wieder in dem Gedanken, daß alle menschliche Liebe auf die Liebe zu Gott zurückzuführen sei. Der starke Einfluß von Spinozas Pantheismus, der alles Endliche im Unendlichen enthalten sein läßt, tritt hierin offensichtlich zutage. So sagt er in seiner ersten Traurede: »Wie aber Gott die Liebe ist, und sich also auch in allem, was Liebe ist, am deutlichsten den Menschen offenbart, so kann auch vorzüglich jede menschliche Liebe, die diesen Namen verdient, sich am innigsten an unser Gefühl für das höchste Wesen anschließen und durch dasselbe heiligen. Vorzüglich aber muß dieses gelten von der ehelichen Liebe, der so Vieles und Großes anvertraut ist. So wird es demnach eine fromme Ehe sein, welche uns Bürgschaft leistet für die Beständigkeit, welche wir von diesem Bunde fordern.«

Man könnte vielleicht einwerfen, daß Schleiermacher hier nicht an das überpersönliche Wort Spinozas gedacht habe, wer Gott liebt, könne nicht wollen, daß Gott ihn wieder liebe. Denn gerade die eheliche Liebe ist auf Wechselseitigkeit gegründet. Doch hat ihm hierbei wohl mehr die Heiligkeit der Ehe in ihrer sakramentalen Bedeutung, als die Liebe im Sinne eines dominierenden Elementes des Christentums überhaupt, vorgeschwebt. Daneben war es die Gemeinschaft des religiösen Empfindens, in der Schleiermacher ein verbindendes Moment von großer Stärke in der Ehe erblickte. Das hebt er in einem Brief an seine Braut, Henriette von Willich (16. 4. 1809) mit der Klarheit hervor, die ihm über alle seine seelischen Regungen eigen zu sein pflegt: »So habe ich uns Gott empfohlen und dargebracht und es als einen herrlichen Segen gefühlt, daß Du zu gleichen Gesinnungen Dich mir vereint hast in derselben Stunde … Oh, wie wollen wir auch immer unsere frommen Rührungen miteinander teilen, und am wenigsten soll ein heiliger Augenblick, des der eine sich erfreut, jemals verloren sein für den andern.«

Diese Ableitung der Liebe aus Religion stützt sich bei Schleiermacher nicht etwa nur auf die christliche Glaubenslehre, sondern entspringt seiner in diesem Punkte vorwiegend an Herder orientierten philosophischen Grundanschauung. Jedes Gefühl geht nach seiner Meinung auf die »Einheit des Lebens«. Es ist »ein Ausdruck der eigentümlichen Art, wie alle Funktionen der Vernunft und Natur eins sind in dem besonderen Dasein«. Es wird »über die Persönlichkeit hinaus auf Einheit und Totalität bezogen«. Jedes Gefühl berührt sich demgemäß mit der höchsten Einheit, ist also mit anderen Worten religiös. Das gilt in besonderem Maße von der Liebe, in welcher Schleiermacher die anziehende Kraft der Welt und der Geister, ihr großes ewiges Naturgesetz erblickt. Denn der Geist ist ihm das erste und einzige, Welt nur sein schönstes Werk, sein selbstgeschaffener Spiegel. Liebe aber ist das erste wie das letzte. Keine Bildung ohne Liebe und ohne eigentümliche Bildung keine Vollendung in der Liebe.

Schleiermacher gründet aber die Liebe nicht nur auf Religion, sondern leitet umgekehrt auch die Religion aus der Liebe ab. Das kommt in seinen Reden über die Religion deutlich zum Ausdruck: »Umsonst ist alles für denjenigen da, der sich selbst allein stellt; denn um des Weltgeistes Leben in sich aufzunehmen und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und durch Liebe. Darum sind beide so innig und unzertrennlich verknüpft; Sehnsucht nach Liebe, immer erfüllte und immer wieder sich erneuernde wird ihm zugleich Religion.«

In diesen Worten ist unbewußt die ans Pathologische streifende Erscheinung angedeutet, daß religiöse Verzückung zuweilen nichts anderes ist, als eine verirrte, in ihrem Träger durch die Gewalt der Ereignisse verkümmerte Geschlechtlichkeit. Sie mag etwa in den Seelen solcher Mönche und Nonnen sich finden, die allem Weltlichen entsagt haben, weil ihre Leidenschaft zu einem geliebten Menschen unerwidert geblieben ist. Ihr überaus starkes Liebesbedürfnis hat durch das Tor des Klosters einen Ausweg zur Gottesliebe gefunden, der sie sich um so hemmungsloser hingeben, als sie hier nicht Gefahr laufen, abermals die furchtbare Enttäuschung der mangelnden Gegenliebe zu erleben. Ihre individuelle Liebe hat sich gleichsam zur »kosmischen Liebe« vergeistigt und läßt oftmals den erotischen Ursprung in der fast sinnlichen Glut erkennen, mit welcher sie den Gegenstand ihrer religiösen Verehrung – sei es Gott, Jesus, die Jungfrau oder ein Heiliger – umfassen. Spinozas Amor Dei intellectualis, die für eine Gegenliebe nicht in Betracht kommt, ist vielleicht auf ähnliche Regungen und Einflüsse zurückzuführen.

Es berühren sich hier die äußersten Gegensätze, indem die höchste geistige Liebe in dem Verzicht auf Gegenliebe mit der psychischen Stufe des Tieres übereinstimmt. Auch diesem ist das Empfinden des andersgeschlechtlichen Tieres, das ihm lediglich als Mittel zur Stillung seiner Brunst dient, völlig gleichgültig. Das spezifisch Menschliche und Erotische kommt gerade in dem Verlangen nach Gegenliebe zum Ausdruck, das mit dem heißen Wunsche verbunden ist (wenn wirkliche Erotik und nicht nur Sexualität vorliegt) neben dem eigenen Glück auch dasjenige des (oder der) Geliebten zu begründen.

Noch mehr wie das Gefühl des Liebens und der Drang nach Liebeserweisung ist es wahrscheinlich das Bewußtsein des Geliebtwerdens, auf dem das Glück des Liebenden beruht. Und dieses Glück ist nicht nur unvollkommen, es schlägt vielmehr meistens in das Gegenteil um, wenn man den anderen Teil minder glücklich weiß oder vermutet, als sich selbst. Das Mitleiden oder Mitfreuen bei dem Schmerz und Glück eines geliebten Menschen ist oft weit intensiver als das unmittelbar eigene Erleben von Leid und Freude. Und hierin liegt vielleicht eine geheimnisvolle Verbindung metaphysischer Art, welche die Individualitäten überbrückt. Sie läßt auf einen gemeinsamen Wesenskern aller Menschen schließen, der gleichsam überirdischer Natur ist, und trägt insofern durchaus religiösen Charakter.

In den »Reden über die Religion« bringt Schleiermacher charakteristischerweise zur Erläuterung seines Religionsbegriffs gelegentlich Bilder in Anwendung, die unmittelbar aus dem Liebesleben entnommen sind. Der erste, kaum zeitlich zu nennende Moment der Religion, da der Mensch durch seine Sinne eins wird mit dem Universum, ist »schamhaft und zart wie ein jungfräulicher Kuß, heilig und fruchtbar wie eine bräutliche Umarmung … er ist die unmittelbare über allem Irrtum und Mißverständnis hinaus heilige Vermählung des Universums mit der fleischgewordenen Vernunft, zu schaffender zeugender Umarmung.«

In einem Aufsatz »Mystik und Erotik« (Die neue Generation, November 1917) stellt J. M. Verweyen eine Reihe ähnlicher bemerkenswerter Äußerungen zusammen. So hat Angelus Silesius gedichtet: »Die größte Seligkeit, die ich mir kann ersinnen, ist, daß man Gott, wie süß er ist, wird schmecken. Mit Gott vereint sein und seinen Kuß genießen, ist besser als viel Dinge ohne seine Liebe wissen.« Bernhard von Clairvaux, der Gründer und Abt der berühmten Zisterzienserabtei, hat sogar in der Ekstase ein »Schmecken und Riechen Gottes«, eine »unsagbare Süßigkeit und Wonne« verspürt. Hier haben die aus der Erotik entnommenen Bilder sich bereits zu unmittelbarer Sinnlichkeit verdichtet. Die Benennung von Christus als »Seelenbräutigam« und von Maria als »Himmelsbraut« fällt in das gleiche Gebiet. Auch bei Luther heißt es, daß der Glaube – der »Brautring« – »die Seele mit Christo wie eine Braut mit ihrem Bräutigam vereinigt, aus welcher Ehe folget, wie St. Paulus sagt, daß Christus und die Seele ein Leib werden.«

Das Ziel aller Religionen erblickt Schleiermacher darin, »den Weltgeist zu lieben und freudig seinem Wirken zuzuschauen.« Die drei Elemente der Religion, welche die Natur im Menschen erzeugt, Ehrfurcht, Freude und Zuversicht, bezeichnet er zusammenfassend als andächtige Liebe zur Natur. So wird ihm Religion überall zur Liebe, so bringt er die beiden Begriffe immer wieder in völlige Übereinstimmung, weil sie tatsächlich in seiner Seele ineinanderfließen, weil sie beide in gleicher Stärke und untrennbarem Verein das tiefste Wesenselement seiner Natur ausmachen.

Aber auch für die Erreichung des höchsten sittlichen Zieles, dem Schleiermacher in seiner früheren Periode einer von der Religion abseits liegende Stellung angewiesen hat, erachtet er die Liebe als eine unerläßliche Voraussetzung. Er sieht es im Einklang mit der Romantik in der harmonischen Durchbildung und Ausgestaltung der Individualität. Weil aber die ewige Vernunft in unendlich vielen Individualitäten sich darstellt, so führt die Ehrfurcht vor ihr naturgemäß zu gegenseitiger Anerkennung der individuellen Seinsweise, zur höchsten Achtung vor der Eigentümlichkeit des Nächsten. Nur der kann für sich selbst die höchste harmonische Durchbildung beanspruchen und bewirken, der sie auch seinen Mitmenschen zuerkennt und bei ihnen begünstigt. »Die höchste Bedingung der eigenen Vollendung in bestimmtem Kreise ist allgemeiner Sinn.« Solch allgemeiner Sinn aber ist nicht denkbar ohne Liebe. Wer selbst eine Individualität geworden ist und den Wert der Eigentümlichkeit erkannt hat, der erfaßt auch jedes eigene Wesen, das ihm entgegentritt, mit Liebe. Die Liebe ist die anziehende Kraft der Welt, ohne die kein eigenes Leben, keine eigene Bildung möglich ist. Ohne sie müßte alles in gleichförmige, rohe Masse zerfließen. »Keine Bildung ohne Liebe und ohne eigene Bildung keine Vollendung in der Liebe. Eins das andere ergänzend, wächst beides unzertrennlich fort.«

In gleicher Weise erblickt Schleiermacher (in den Monologen) das Endziel der ehelichen Liebe, gleich demjenigen von Staat, Freundschaft und allen anderen sozialen Gemeinschaften, in der »Hilfe und Ergänzung der Kraft zur eigenen Bildung, als Gewinn an neuem inneren Leben«.

Hier wird die Liebe als Mittel zu einem bestimmten Zweck, wenn auch zu einem sehr hohen Zweck, hingestellt, eine Auffassung, die mit späteren Bekundungen Schleiermachers, in denen er ausdrücklich für den hohen Selbstwert der Liebe eintritt, dem er alles andere unterordnet, nicht völlig im Einklang steht.

Wie sehr auch bedeutende Frauen den Endzweck alles Schaffens und Strebens in der Liebe selbst erblicken, ergibt sich aus einer charakteristischen Äußerung, die Frau von Staël ihrer Corinna in den Mund legt: »Wenn ich den Ruhm suchte, so war es nur, weil ich hoffte, dadurch Liebe zu erwerben – zu was sonst könnte es der Frau nützen?«

Nach Schleiermachers damaliger Meinung verbinden sich durch den Austausch der Gedanken und Gefühle die Menschen in der Liebe, ebenso wie in der Freundschaft, zur gegenseitigen Bildung und zu erhöhtem Bewußtsein. »Wie eigene Wesen aus ihrer Liebe Schoß hervorgehen, so soll aus ihrer Naturen Harmonie ein neuer gemeinschaftlicher Wille sich erzeugen; das stille Haus mit seinen Geschäften, seinen Ordnungen und Freuden soll als freie Tat sein Dasein bekunden.«

Damit erklärt er sich als ausgesprochener Gegner solcher Ehen, in denen etwa ein Teil, sei es Mann oder Frau, die Herrschaft führt und dem anderen Teil seinen Willen aufzuzwingen sucht. In seiner »Ersten Predigt über die Ehe« knüpft er an den Bibeltext an, der besagt: »Die Weiber seien untertan ihren Männern als den Herrn, denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleich wie auch Christus das Haupt ist der Gemeinde, und er ist seines Leibes Heiland.« Daraus entnimmt er zunächst »die himmlische Seite der christlichen Ehegemeinschaft, daß eines den anderen heilige und sich von ihm heiligen lasse …, daß immer mehr in der Natur des einen durch den anderen gebändigt werde und gemildert, was sich der Einwirkung des Geistes widersetzt …, kurz, daß jeder in dieser Verbindung die Kraft des Geistes erhöht fühle und gesteigert, wie sie es sonst nicht sein könnte«.

Dann aber ergänzt er das Wort von der Untertänigkeit der Frau durch jene andere Bibelstelle, welche besagt, daß der Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen werde.

In diesen Worten wird deutlich auf eine Kraft hingewiesen, welche von dem weiblichen Gemüt ausgeht und sich des männlichen bemächtigt. Wohl sei der Mann allein geeignet, in der christlichen und bürgerlichen Gemeinde das Hauswesen zu vertreten, und darum bestehe immer unverrückt die göttliche Ordnung, daß das Weib dem Manne untertan ist und der Mann des Weibes Haupt. (Eine Anschauung, die allerdings durch die politische Gleichberechtigung der Frauen ihre offizielle Gültigkeit neuerdings eingebüßt hat.) Dennoch aber kehrt er von draußen, wo er ohne des Weibes Zutun dem Hause mit Freude und Ehre auch Leid und Sorge schafft, immer wieder zurück zu seiner Häuslichkeit, anhangend dem Weibe, das ihm Gott gegeben. In dem Bunde treuer Liebe erquickt er sich, wenn er ermüdet ist und stärkt sich, wenn er gehemmt war. Und so fühlt auch das treue Weib in allem, was er tut, ordnet und schafft, ihre Kraft und ihren Segen. Immer stehen beide so gleich vor Gott und in ihrem eigenen Bewußtsein da, wie in dem Augenblick, wo durch das gleiche freie Ja der beiden Gatten der Mann des Weibes Haupt erst wurde. So finden wir in jenem Verhältnis zwischen Mann und Weib doch keine störende Ungleichheit, sondern diese löst sich auf in die herrlichste Gleichheit.

Schleiermacher legt besonderen Wert auf das freigesprochene Ja der Frau, »ohne welches kein Mann des Weibes Haupt werden soll in christlicher Gemeinde«, ebenso wie nach seiner Meinung auch der freundschaftliche Zusammenschluß zweier Menschen immer nur »der Freiheit reinste Tat und auf das eigene Sein des Menschen allein gerichtet« sein darf. Denn die wahre Kraft des Geistes, die echte Harmonie der beiderseitigen Naturen vermag sich nur in jener wechselseitigen Freiheit zu entfalten, in deren Atmosphäre allein die zu erstrebende Durchbildung und Ausgestaltung der Individualität möglich ist. Der natürlichen Individualität des wahrhaft liebenden und wahrhaft weiblichen Weibes aber entspricht auf den höheren Kulturstufen unzweifelhaft eine gewisse Unterordnung unter den geliebten Mann, wie es Nietzsche so treffend ausgedrückt hat mit dem Satze: »Das Glück des Mannes heißt: Ich will. Das Glück des Weibes heißt: Er will. Siehe, jetzt eben ward die Welt vollkommen! – also denkt ein jedes Weib, wenn es aus ganzer Liebe gehorcht.«

Das setzt natürlich bei einer hochwertigen Frau eine entsprechend hohe Qualität des Mannes voraus. Aber nur einem solchen würde sie ja auch ihre dauernde Liebe schenken, und die »Unterordnung« würde überdies nur im Falle von ernsteren Meinungsdifferenzen Platz greifen. Der Entfaltung ihrer eigenen Persönlichkeit aber würde dadurch kaum irgendwelcher Abbruch getan werden.

Mit der idealisierenden Auffassung Schleiermachers von der Untertänigkeit der Frau sind allerdings die neueren Forschungen von Engels, Bachhofen und Morgan über die Einzelehe kaum in Einklang zu bringen. Nach ihnen ging die Entstehung des Privateigentums mit der Einehe Hand in Hand. Diese ist gegründet auf die Herrschaft des Mannes mit dem ausdrücklichen Zweck der Erzeugung von Kindern mit unbestrittener Vaterschaft; und diese Vaterschaft wird erfordert, weil diese Kinder dereinst als Leibeserben in das väterliche Vermögen eintreten sollen. Um aber die Treue der Frau, also die Vaterschaft der Kinder, sicherzustellen, wird die Frau der Gewalt des Mannes unbedingt überliefert. Danach würde also die Untertänigkeit der Frau in dem Privateigentum und dem Wunsche, solches den leiblichen Kindern zu vererben, seine historische Begründung finden.

In Strindbergs Drama »Der Vater« kommt die Tragik, die mit dem Zweifel an der Wirklichkeit der eigenen Vaterschaft verbunden ist, zu ergreifendem Ausdruck. Hier weiß ein rachsüchtiges Weib in ihrem Gatten auf raffinierte Weise die Zweifel wachzurufen, ob er in Wahrheit der Vater des gemeinsamen Sohnes sei, der er tatsächlich ist. An den Qualen dieses Zweifels geht er schließlich zugrunde.

Wie stark in Urzeiten der männliche »Wille zur Macht« in der Ehe sich geltend gemacht hat, tritt wohl nirgends krasser in Erscheinung, wie in dem Gesetzbuche Manus, dem Heiligen Buche der Inder. Es ist das älteste der uns bekannten Religionsbücher, und in ihm ist das Herrenrecht des Ehemannes als göttliches Gesetz in einer geradezu ausschweifenden Weise normiert: »Das Weib soll keinen anderen Gott auf Erden kennen als seinen Mann. Mag dieser noch so widerlich, bösartig und mit allen Gebrechen und Lastern behaftet sein, so hat sie ihm doch göttliche Verehrung zu erweisen und ihm in Demut zu dienen. Beschimpft oder schlägt er sie, so soll sie seine Hände küssen und ihn um Verzeihung bitten, daß sie so unglücklich war, seinen Zorn zu erregen. Stirbt der Mann, so bleibt der Witwe kein anderer Trost auf Erden, als sich mit dem Toten verbrennen zu lassen.«

Hier ist das Weib auf die niedrigste Stufe der Unfreiheit, der unwürdigsten Sklaverei herabgedrückt. Der Mann ist sein unumschränkter Besitzer und macht diesen Standpunkt mit der ganzen Brutalität des Stärkeren im Vollgefühl seiner Macht sich zu eigen. Mag es auch dem Instinkt und Wunsch des liebenden Weibes im allgemeinen entsprechen, besessen zu werden, in schrankenloser Hingabe sich dem Manne zu eigen zu geben, so pflegt hiermit doch ein mehr oder minder starker Freiheitsdrang sich zu paaren, der nicht selten bis zur hochgradigen Herrschsucht sich steigert. Diese aber wollte offenbar Manu mit seinem rigorosen Gesetz von vornherein ausschalten.

In völligem Gegensatz zu dieser Herrenmoral steht das Matriarchat oder Mutterrecht, wie es auf primitiver Kulturstufe bei den ersten Ackerbauern bestand und heute noch bei manchen Fischervölkern an den Nordwestküsten Amerikas und Nordasiens in Geltung ist. Hier war und ist die Frau Haupternährerin der Familie und hat als solche einen hohen ökonomischen Nutzwert. Daraus ergab sich die sogenannte Dienstehe, die in der Weise geschlossen wurde, daß der Mann die Braut der Sippe abdienen mußte, wie es uns in der biblischen Geschichte von Jakob und Rahel berichtet wird. Hierdurch wurde, wie Müller-Lyer seinen Quellen entnimmt, »der erste Grad zum Regiment der Weiber und Untertänigkeit der Männer gelegt, weil sie vorher allezeit ihren Bräuten flattieren, zu Gefallen leben und zu Füßen liegen müssen.«

Schleiermacher nimmt demgegenüber einen Standpunkt ein, der der mittleren Linie und damit unserem modernen Empfinden vollkommen entspricht. Seine romantische und idealisierende Auffassung vom Wesen der Ehe wird allerdings durch Betrachtungen über Nachkommenschaft und ökonomische Fragen in keiner Weise beeinflußt. Er tritt unter Abweisung aller Extreme nach der einen wie der anderen Seite für ein auf Gleichheit gegründetes Verhältnis der beiden Gatten ein, dessen Vorbedingungen er vor allem anderen in seelischer Übereinstimmung, Kameradschaftlichkeit und Religiosität erblickt.

In eigenartiger Weise will er Frömmigkeit und Heiterkeit in der Ehe verbunden wissen. So schreibt er an seine Braut Henriette von Willich (9. 11. 1808): »Überhaupt wird auch unsere Ehe ebenso fromm sein als heiter«, und in einem späteren Briefe (15. 12. 1808): »Jawohl hast Du recht, daß es ein unersetzlicher Verlust ist, wenn die Fröhlichkeit so ganz verloren geht. Uns soll sie es gewiß nicht … und so sehe auch ich jetzt, von unserer frommen, heiteren Liebe recht durchdrungen, ebenso froh und frei in ein verhängnisvolles Leben hinein.« Gelegentlich einer Schilderung seines freundschaftlichen Verkehrs mit Alexander Dohna (21. 2. 1809) beklagt er es sogar, daß in seinem Verhältnis zu diesem der Ernst immer das herrschende bleibe und eine ganze Seite in ihm selbst, die leichte, lustige, mutwillige nie recht herauskomme.


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