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Neuntes Kapitel.
Eheliche Gemeinschaft

Die Gatten als Freunde – Bedeutende Männer mit ungeistigen Frauen – Abstumpfung durch Gewohnheit – Auffrischung der Liebe durch Trennung – Unzuverlässigkeit der Liebesschwüre – Die Liebe als Aufgabe – Altersunterschiede.

 

In Schleiermachers Briefen an Henriette legen zahlreiche Stellen Zeugnis davon ab, wie er in der restlosen geistigen Gemeinschaft und Erschließung der beiden Gatten die Vorbedingung für einen wahrhaften und »auf rechte Weise zustandegekommenen« Ehebund erblickt: »Es ist nichts in meinem Leben, in allen meinen Bestrebungen, wovon Du nichts im Geist richtig auffassen könntest; sonst könntest Du ja nicht auch selbst mich verstehen, nicht mein sein … auch würde es mir weh tun, wenn es irgend etwas mir Wichtiges gäbe, was auch, seinem inneren Wesen nach, kein Interesse für Dich hätte« (18. 8. 1808) »… mir ist jede neue Offenbarung Deines Lebens immer ein neuer Zuwachs von Leben, Freude und Herrlichkeit, und so soll es Dir auch mit mir ergehen« (22. 10. 1808), »es ist mir so wesentlich, daß Du nun alles weißt, was in mir vorgeht, und die Armen, die sich genötigt fühlen, ihren Frauen vieles zu verschweigen, kann ich nicht anders als herzlich bedauern und doch immer fühlen, daß sie nicht in einer richtigen Ehe leben« (15. 12. 1808).

Es sind die Voraussetzungen der innigsten Freundschaft, die Schleiermacher in diesen Sätzen als Erfordernisse und Kennzeichen einer wahren Ehe hinstellt, einer Freundschaft, die auf völliger Geistesgemeinschaft beruht, und im restlosen Austausch der Seelen und Gedanken ihre ebenso seltene wie starke Grundlage hat.

In der Verschmelzung solcher bewußter geistiger Freundschaft mit der Geschlechtsliebe sieht Eduard von Hartmann mit Recht, »die höchste Gestalt der Liebe, die wir kennen, indem sie die unbewußte Ursprünglichkeit und Tiefe, die instinktive Energie und Glut und Leidenschaftlichkeit der Geschlechtsliebe mit der selbstbewußten Klarheit, pietäts- und vertrauensvollen Sicherheit und besonnenen Milde der Freundschaft vereinigt, und die beiderseits gewollte Identität des gemeinsamen Wohles und Wehes in der Interessensolidarität und Güter- und Wirtschaftsgemeinschaft der Ehe auch äußerlich zur Darstellung und rechtlichen Anerkennung bringt.«

Auch Nietzsche betont gelegentlich die Wichtigkeit des seelischen Bandes zwischen den Ehegatten: »Das Beste an der Ehe ist die Freundschaft … Ohne Freundschaft macht die Ehe beide Teile gemein denkend und verachtungsvoll.« Doch finden sich solche Stellen nur sehr vereinzelt in seinen Werken. Im großen und ganzen liegt in seiner Stellungnahme zur Ehe eine gewisse Einseitigkeit nach der Richtung der »Hinaufpflanzung«. Im Jahre 1884 äußerte er den Wunsch nach einer »guten, wirtschaftlichen Gattin, jung, sehr heiter, sehr rüstig und wenig oder gar nicht gebildet«.

Das »gar nicht gebildet« steht in schroffstem Gegensatze zu Schleiermachers Forderung, deckt sich aber im Verein mit den übrigen von Nietzsche verlangten Qualitäten bemerkenswerterweise völlig mit den Eigenschaften von Goethes Gattin Christiane.

Auch bei anderen geistig hervorragenden Männern begegnet man nicht selten dem gleichlautenden Wunsch und seiner praktischen Erfüllung. Bestimmend hierfür ist wahrscheinlich die Sehnsucht nach völligem Ausruhen von der starken geistigen Beanspruchung im Schoße der Familie; zuweilen aber auch wohl der Wille zur Macht, der meistens um so geringeren Widerstand zu überwinden hat, je größer die geistige Überlegenheit des Mannes ist. Daß dies aber auch anders sein kann, beweist das klassische Beispiel von Sokrates und Xanthippe.

In der Antike sowohl wie in der germanischen Heldensage tritt das geistige Moment, die seelische Übereinstimmung der Liebenden, bei ihren Liebesempfindungen nirgends hervor. Beim Manne sind es fast immer nur Kraft und Mut, beim Weibe Schönheit, Anmut und Hingabe, auf denen die wechselseitige Liebe beruht.

Eine treffende Äußerung Goethes über die Beziehungen zwischen Liebe und weiblichem Verstand findet sich in Eckermanns Gesprächen: »Freitag, den 2. Januar 1824. Eine junge Schönheit der weimarischen Gesellschaft kam zur Erwähnung, wobei einer der Anwesenden bemerkte, daß er fast auf dem Punkt stehe, sie zu lieben, obgleich ihr Verstand nicht eben glänzend zu nennen. Pah, sagte Goethe lachend, als ob die Liebe etwas mit dem Verstand zu tun hätte. Wir lieben an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge wie den Verstand. Wir lieben an ihr das Schöne, das Jugendliche, das Neckische, das Zutrauliche, den Charakter, ihre Fehler, ihre Kaprizen und Gott weiß was alles Unaussprechliche sonst; aber wir lieben nicht ihren Verstand. Ihren Verstand achten wir, wenn er glänzend ist, und ein Mädchen kann dadurch in unseren Augen unendlich an Wert gewinnen. Auch mag der Verstand gut sein, uns zu fesseln, wenn wir bereits lieben. Allein der Verstand ist nicht dasjenige, was fähig wäre, uns zu entzünden und eine Leidenschaft zu erwecken.«

Im Gegensatz zu Schleiermacher, der die innigste und andauernde Gemeinschaft der Gatten befürwortet und preist, ist Nietzsche der Meinung, daß die guten Ehen häufiger sein würden, wenn die Ehegatten nicht beisammen lebten. »Alles Gewohnte zieht ein immer fester werdendes Netz von Spinnweben um uns zusammen, und alsbald merken wir, daß die Fäden zu Stricken geworden sind, und daß wir selber als Spinne in der Mitte sitzen, die sich hier gefangen hat und von ihrem eigenen Blute zehren muß … leben wir zu nahe mit einem Menschen zusammen, so geht es uns so, wie wenn wir einen guten Kupferstich immer wieder mit bloßen Fingern anfassen: eines Tages haben wir schlechtes, beschmutztes Papier und nichts weiter mehr in den Händen. Auch die Seele eines Menschen wird durch beständiges Angreifen endlich abgegriffen, mindestens erscheint sie uns endlich so …«

Das ist eine Anschauungsweise, die viel Wahres enthält und der wir bei zahlreichen Schriftstellern begegnen. So schreibt Frieda von Bülow in ihrem Buch »Einsame Frauen«: »Ob nicht ein beständiges, engstes Aufeinanderangewiesensein immer gegenseitigen Abscheu heranzüchten muß? Man lernt einander nach und nach auswendig. Die verschleiernden Lügen, die im gesellschaftlichen Verkehr eine so wichtige Rolle spielen, werden unmöglich. Die Charaktere zeigen sich nackt, in ihrer Schwachheit, ihrer Liebesunkraft, ihrer Eitelkeit, ihrer Ichsucht.« Und Iwan Bloch sagt in seinem Werke »Das Sexualleben unserer Zeit«: »Die größte Gefahr für die Liebe, die daher gerade in der Ehe am meisten hervortritt, ist die Gewohnheit. Sie wirkt auf doppelte Weise. Einmal kann sie schon an und für sich durch die Monotonie der ewigen Wiederholung die Liebe abstumpfen … Zweitens aber widerspricht die Gewohnheit dem Bedürfnis nach Variation, das ewige Einerlei des täglichen Beisammenseins schläfert die Liebe ein, dämpft ihre Glut, ja, erzeugt einen latenten oder offenen Haß zwischen den Ehegatten.«

Lord Byron kleidet das gleiche Bedenken in amüsante Verse, die – nach Gildemeisters Übersetzung – wie folgt lauten:

»Wie saurer Essig wird aus süßen Weinen,
So Eh' aus Liebe, und es schärft die Zeit
Den duft'gen Trank voll himmlischer Gerüche
Zu einem niedrigen Gewürz der Küche.

Wer kümmert sich um eh'liches Gekos'?
Es war ein Unrecht, wenn sich Gatten küßten.
Ob wohl Petrark als Lauras Mann Sonette
Sein ganzes Leben lang geschrieben hätte?«

Wie aber kann man diesem Dilemma entgehen? Nietzsche selbst empfiehlt als Mittel hierzu: »Man muß aufhören, sich essen zu lassen, wenn man am besten schmeckt: das wissen die, welche lange geliebt werden wollen.«

Das mag gegebenenfalls ganz probat sein, läßt sich aber in der Praxis des Lebens nicht immer in Anwendung bringen. In modernen Ehen hat man aus der angedeuteten Erkenntnis heraus mehrfach eine Trennung der beiderseitigen Wohnräume vorgenommen. Auch gelegentliche Reisen des einen oder anderen Teiles sind ein beliebtes und erfolgreiches Mittel, um die eheliche Liebe aufzufrischen. Es erweist sich zuweilen sogar dann als wirksam, wenn die Liebe nicht nur durch Gewohnheit, sondern durch ernstere Zerwürfnisse gefährdet ist. So pflegte Clemens Brentano für eine Weile zu verreisen, wenn das durch häufige Zankereien getrübte Verhältnis zu seiner ersten Frau Sofie ganz unerträglich geworden war. Sobald er sich nur wenige Meilen von ihr entfernt hatte, verspürte er heftige Sehnsucht, die sich in Briefstellen, wie die folgende, dokumentierte: »Oh, nur eine Minute Dir dieses Liebesgift durch die Adern … Mein ganzes Blut schreit nach Dir.« Ganz Ähnliches wird auch von seiner zweiten Ehe berichtet.

Noch energischer ist William Godwin in seiner Ehe mit Mary Wollstonecraft der Gefahr zuleibe gegangen, die er für die eheliche Gemeinschaft in dem dauernden engen Zusammenleben der beiden Gatten erblickte. Nach seiner Meinung gefährdet die Wohngemeinschaft die Erweiterung der Erkenntnis, die Unabhängigkeit des Denkens und die Festigkeit des Handelns. Überdies sei niemand immer heiter und gütig, »und es ist besser, daß jeder seine Ärgernisse mit sich abmacht. Sie tun dann weniger Schaden, und die Gereiztheit wird nicht gesteigert durch den Widerstreit verschiedener Stimmungen und die Einflüsterungen verwundeten Stolzes.« Deshalb hielt er sich außerhalb der gemeinsamen Wohnung ein Studierzimmer, in dem er auch frühstückt und häufig übernachtet. Mit seiner Frau trifft er sich meistens erst zum gemeinsamen Spaziergang oder zum Mittagessen. »Wir vereinigten durch diese zeitweilige Trennung mit den köstlicheren und innigeren Freuden des Familienlebens die Neuheit und lebhafte Anregung eines Besuchs.« Aber nicht allein hiermit begnügte er sich, sondern pflegte auch Theater und Gesellschaften gesondert zu besuchen. Sogar bei zufälligen Begegnungen suchte er sie zu meiden. Dabei war die Ehe überaus glücklich, und der durch diese teilweise Trennung hervorgerufene Briefwechsel gibt Kunde von einer unendlich schönen, wachsend innigen Beziehung. Frau Mary war mit der Maßnahme Godwins nicht recht einverstanden, fügte sich aber in die Marotte ihres Gatten mit heiterer Laune und gelegentlichem gutmütigen Spott.

Weil aber selbst in glücklichen Ehen das dauernde Aneinandergekettetsein eine ständige Gefahr bildet, eifert Nietzsche um so heftiger gegen die Unbedachtheit und den Leichtsinn, mit dem so viele Ehen geschlossen werden. In seiner drastischen und plastischen Weise drückt er das folgendermaßen aus: »Es sollte nicht erlaubt sein, im Zustande der Verliebtheit einen Entschluß über sein Leben zu fassen und einer heftigen Grille wegen den Charakter seiner Gesellschaft ein für allemal festzusetzen: man sollte die Schwüre der Liebenden öffentlich für ungültig erklären und ihnen die Ehe verweigern: – und zwar, weil man die Ehe unsäglich wichtiger nehmen sollte! so daß sie in solchen Fällen, wo sie bisher zustande kam, für gewöhnlich gerade nicht zustande käme!«

Nietzsche macht hier einen scharfen Unterschied zwischen der im Affekt entstandenen, vorwiegend durch Sinnlichkeit genährten Verliebtheit, und der wirklichen, Dauer verheißenden Liebe, die auf eingehender Erforschung der seelischen und physischen Beschaffenheit des anderen Teils gegründet ist.

Jene trägt den Charakter der Sexualität, deren Träger im begehrten Menschen vorwiegend ein Objekt für Befriedigung der Sinnenlust erblickt. Diese ist als Erotik anzusprechen, die aus der Sehnsucht nach einem wahlverwandten Subjekt hervorgewachsen und von tiefstem Ewigkeitswillen erfüllt ist.

Alle wahre Liebe will Ewigkeit, »will tiefe, tiefe Ewigkeit.« »Wie dem Anblick des Meeres, des Firmamentes Unendlichkeit entströmt, so ist Ewigkeit der tiefste Ausdruck der Menschenseele«, sagt Oscar Ewald in seinem Buche »Gründe und Abgründe«. Darum schwören die Liebenden einander ewige Treue, und Julia fleht ihren Romeo an: »O schwör' nicht bei dem wandelbaren Mond.«

Gegen das liebezersetzende Gift der Gewohnheit vermögen jedoch die heiligsten Schwüre nichts auszurichten, auch wenn sie bei den stabilsten Fixsternen geleistet werden. Das Entscheidende wird immer die Kunst der beiderseitigen Lebensführung bilden. Ein gewisses Maß von Zurückhaltung bei aller Vertraulichkeit und seelischen Erschließung wird in den meisten Fällen am Platze sein.

Sören Kierkegaard hat das mit den Worten ausgedrückt: »Man muß einander so fremd bleiben, daß die Vertraulichkeit interessant wird, und andererseits so vertraut miteinander, daß das Fremde ein irritierender Widerstand wird.«

Dasselbe hat auch Balzac gemeint: »Ein Mann muß immer eine Frau sehr genau studieren, ehe er sie seine Gefühle und Gedanken, so wie sie sich wirklich in ihm erzeugen, sehen lassen darf. Eine ebenso zarte wie seelisch große Geliebte lächelt über Kindereien und versteht sie, aber wenn sie nur ein bißchen eitel ist, vergibt sie es niemals ihrem Geliebten, daß er sich als Kind eitel oder klein gezeigt hat.« Das gilt nicht nur für den Geliebten, sondern ebensosehr für den Ehemann.

Wenn im übrigen beide Teile reichliche Arbeit zu verrichten haben, für gemeinsame geistige Anregung sorgen, Verkehr mit erprobten Freunden pflegen, an den Kindern sich erfreuen und Natur und Kunst zusammen genießen, so läßt die genannte Gefahr, die sicherlich nicht zu unterschätzen ist, sich auf ein Mindestmaß zurückführen oder völlig beseitigen.

Jedenfalls ist es richtig, die Erhaltung der ehelichen Liebe als ein Problem, als eine keineswegs leicht zu nehmende Aufgabe in allen Fällen anzusehen. Baader führt in dieser Hinsicht ein sehr hübsches Gleichnis von den Affen an, die es zwar dem Menschen nachmachen, wenn sie sich am Feuer wärmen, aber, da sie kein Holz nachlegen, bald frierend an der Asche sitzen.

Um die volle Geistesgemeinschaft mit dem Manne herbeizuführen, stellt Schleiermacher in seinen zehn Geboten für edle Frauen die Forderung auf: »Laß dich gelüsten nach der Männer Bildung, Weisheit und Ehre.«

Man muß den unzulänglichen Mädchenschulunterricht der damaligen Zeit berücksichtigen, um die Kühnheit dieser Forderung zu begreifen. Auch fällt sie aus dem Rahmen der jüngeren romantischen Anschauung heraus, die im Weib vorwiegend das Geschlechtswesen erblickt. Die späteren Romantiker urteilten freilich anders und haben gerade die geistigen Qualitäten der Frau allem übrigen vorangestellt. Nur die vom Geist verklärte Schönheit galt ihnen als anziehend und begehrenswert, die Schönheit, die den vergänglichen Stoff überdauert, weil sie in der unsterblichen Seele des Menschen verankert ist. Aus dieser Tatsache wird auch das geringe Gewicht uns begreiflich, das so viele Persönlichkeiten, namentlich aus der Zeit der Romantik, dem Altersunterschied zwischen Mann und Frau beigelegt haben.

Schelling verliebte sich mit vierundzwanzig Jahren in die elf Jahre ältere Karoline. Als sie mit achtundvierzig Jahren als seine Gattin starb, rühmte er von ihr, daß sie die Gewalt, das Herz im Mittelpunkt zu treffen, bis zu ihrem Tode beibehalten habe. Varnhagen war dreizehn Jahre jünger als Rahel Lewin, Dorothea Veit neun Jahre älter als Friedrich Schlegel, Sofie Mereau achteinhalb Jahre älter als Clemens Brentano und Elisabeth Browning drei Jahre älter als ihr Gatte. Der junge Italiener Rocca verliebte sich gar in die zwanzig Jahre ältere Frau v. Staël und George Eliot schlug jeden Rekord, indem sie mit sechzig Jahren einen dreißigjährigen Mann Namens Croß heiratete.

Daß Schleiermacher in bezug auf die eheliche Gemeinschaft durchaus den Standpunkt der älteren Romantiker vertrat, ergibt sich unter anderem aus einer brieflichen Äußerung an Henriette (11. 9. 1808): »… stelle Dich mir gleich, wie es Mann und Weib sein müssen.« Das erinnert wiederum an einen Ausspruch Balzacs: »Die Männer, die durch ihre Erziehung gewohnt sind, alles begreifen zu können, wissen nicht, wie furchtbar es für eine Frau ist, nicht mehr den Gedankengang dessen verstehen zu können, den sie liebt.«


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