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Achtes Kapitel.
Liebes- und Ehe-Ideale

Gleichheit des Geistes – Wiedervollendung des Gottesbildes – Steigerung der seelischen Kräfte – Selbsterhöhung durch Liebe – Interessenharmonie – Der eigene Herd – Liebe bei Mann und Weib – Gefährdete Schaffenskraft – Geistige Gemeinschaft und seelische Erschließung – Gemeinsames Ertragen – Die Lust des Schmerzes – Schmerzüberwindung durch Ausschweifungen – Wehmütiges Glück – Flucht in das Reich der Ideen.

 Neben Schleiermachers Briefen zeugen namentlich seine Traureden und Predigten über die Ehe von einer hochgespannten Auffassung des ehelichen Bundes als eines Grundpfeilers der menschlichen Gemeinschaft.

Voraussetzung für eine wahrhaft harmonische und glückliche Ehe ist ihm vor allem eine tiefe geistige Übereinstimmung der Ehegatten. So finden wir in seiner ersten Traurede den Satz: »Wenngleich viel Einzelnes sich erst recht zeitigen wird im Verlaufe des gemeinschaftlichen Lebens: dem innersten Grunde nach müssen sie einander doch erkannt haben und anerkannt; von der Gleichheit des Geistes, der sie beseelt, von der Zusammenstimmung ihres Dichtens und Trachtens, von der vollendenden Ergänzung, die jeder dem anderen gewährt: Davon müssen sie doch überzeugt sein.«

Eine ähnliche Anschauung bekundet Novalis mit den Worten: »Eine Ehe sollte eigentlich eine langsame kontinuierliche Umarmung, Generation, wahre Nutrition, Bildung eines gemeinsamen harmonischen Lebens sein.« Darum ist ihm auch »jede unrechte Handlung, jede unwürdige Empfindung eine Untreue gegen die Geliebte, ein Ehebruch«.

Auch er hatte somit den Drang zur »vollendenden Ergänzung« mit der Geliebten, eine Auffassung, der wir auch bei dem Naturphilosophen Baader, einem von Novalis sehr verehrten Zeitgenossen, in eigenartig mystischem Gewande begegnen. Ricarda Huch schildert seinen Gedankengang folgendermaßen: Adam, so wie ihn Gott in seinem Ebenbilde geschaffen hatte, war Mann und Weib zugleich, ein ganzer Mensch. Er sank aus seiner höheren Natur in die fleischliche dadurch, daß er nach dem Weibe in ihm gelüstete, und mit dieser Spaltung, der Schöpfung des Weibes aus ihm, wurde das Gottesbild zerstört. Die Wiedervollendung des Gottesbildes ist das Ziel des Menschen. Wenn nun eine Mannes- und eine Weibesseele fühlen, daß sie miteinander das verlorene Gottesbild herstellen können, so entsteht Liebe. Sie müssen in Sehnsucht zueinander entbrennen, nicht weil sie Hälften eines Ganzen sind, sondern Hälften, aus denen ein Ganzes werden kann.

Vielleicht fußt diese Darstellung auf der Lehre Anaximanders, des ersten großen griechischen Moralphilosophen. Zur Strafe dafür, daß die Dinge sich vom gemeinsamen Urgrunde losgelöst und selbständige Daseinsformen gewonnen haben, ist (nach Anaximander) diese ihre Einzelexistenz dem Untergang geweiht.

In ihrem ersten Stadium ist die Liebe, wie Baader weiterhin meint, nur Trieb, kräftig, warm, einig, aber gebrechlich. Niemals (?) gleitet sie ganz unmerklich in das zweite über, wo sie bewußt wird. Die Aufgabe ist, daß das Bild, das nicht körperlich ist, sondern nur in der Ekstase der Liebe wahrgenommen wurde, hervorgebracht werde. Mann und Weib sollen sich gegenseitig behilflich sein, ihre Mannheit und Weibheit ineinander zu überwinden und zu ergänzen, welches Wort ja bedeutet, ganzmachen, trotz der Schmerzen, die diese Entwicklung mit sich bringen muß.

Von einer wahrhaft glücklichen und harmonischen Ehe, wie sie Schleiermacher als Ideal vorschwebt und wie er sie von seiner Verbindung mit Henriette von Willich zuversichtlich erwartet, verspricht er sich nicht nur die erhebendsten Wirkungen auf Geist und Gemüt, sondern auch eine umfassende Herausarbeitung und Steigerung aller seelischen und geistigen Kräfte. »Du wirst mich immer auf irgendeine Art begeistern und das reichere Leben wird auch lebendigere Reden hervorbringen«, schreibt er (9. 11. 1808) an Henriette. Noch begeisterter und formschöner bringt Wilhelm von Humboldt den gleichen Gedanken zum Ausdruck in einem Briefe (17. 9. 1790) an seine Braut Karoline: »Lina, teures, heiliges Wesen, süßes Mädchen, fühl es ganz und tief, was ich durch Dich ward, sieh in mir diesen Reichtum, diese Schönheit meiner glühendsten Gefühle … allein das Werk Deiner Liebe … von Stufe zu Stufe wirst Du mich steigen sehen durch das, was Du in mir schufest.«

Beiden Männern ist hier der Umstand zu vollem Bewußtsein gekommen, daß wechselseitige Liebe nicht nur Lust und Glück, sondern vor allem auch Wert verleiht; eine Werterhöhung, die eine außerordentliche Steigerung des Lebensgefühls bewirkt und unsere Tatkraft zu ungeheuren Leistungen emporhebt. Darum wirkt unerwiderte oder erlöschende Liebe auch so niederschmetternd. Sie bedeutet nicht nur den Entgang oder Verlust von Glück, sondern auch einen effektiven –, weil geglaubten, Wertverlust.

In einem anderen Briefe an Henriette (18. 9. 1808) beklagt Schleiermacher den Zwiespalt, der zwischen seinem wahren innersten Wesen, das dem Ideal zustrebt, und in der Erscheinung besteht, »die immer getrübt ist in diesem armen Leben«. Er bereitet Henriette darauf vor, daß sie recht viel Schlechtes und Fatales von ihm mitbekommen wird … »aber ich bilde mir ein, Du wirst es doch so arg nicht finden, sondern Deine Liebe und unsere Ehe wird das rechte Mittel sein, das wahre Wesen immer reiner herauszuarbeiten zur Erscheinung«.

Das erinnert an die Worte, die Plato seiner Diotima in den Mund legt: »Nicht nur um seiner Schönheit willen liebe ich den Geliebten, sondern weil er mir hilft, das Schöne hervorzubringen.«

Und ganz ähnlich äußert sich Maeterlinck (durch Meleander) über Aglavaine, der er eine »geistige Schönheit beilegt, welche die Seele durchscheinen läßt«: »… es ist nicht möglich, in ihrer Gegenwart etwas zu sagen, was man nicht denkt oder was unnütz ist. Sie löscht alles aus, was nicht wahr ist …«

Von seiner Verbindung mit Henriette erwartet Schleiermacher mithin eine zunehmende Annäherung seines Ich an das ihm vorschwebende Ideal. »Du wirst mich beleben und erfrischen und ich werde alles in mir auslassen und in Dich übertragen.« Das klingt wiederum ganz wie Aglavaine: »Schön bin ich nur, wenn du da bist, und ich höre meine Seele nur neben der deinen. Ich suche mich außer mir und in dir finde ich mich.«

In Übereinstimmung mit diesen Ideen entwickelt Sören Kierkegaard in ganz systematischer Weise den Gedanken, daß die Liebe das Ästhetische sei. Man müsse dahin streben, nicht nur in der künstlerischen oder poetischen Darstellung des Lebens, wie es die meisten Menschen tun, sondern im Leben selbst und vor allem in der Liebe das Ästhetische zu sehen und zu genießen. Man muß es im wirklichen Leben realisieren, es selbst erleben und so die Ästhetik mit dem Leben aussöhnen. Die Ehe stellt er so hoch, weil ihr Ziel das Höchste, der stete Besitz sei. Ist die erste Phase der geschichtlichen Menschen der Besitz, so ist seine weitere Geschichte die Erwerbung dieses Besitzes, die die stete Aufgabe der Ehegatten bilden muß. Gelingt ihnen dies, so haben sie den gefährlichsten Feind, die Zeit bekämpft, so haben sie die Ewigkeit in der Zeit bewahrt und damit die Dauer der Liebe – trotz Alltäglichkeit – begründet. Die Aufgabe ist aber nur lösbar für denjenigen, der die drei großen Mächte des Ästhetischen, des Ethischen und Religiösen zu einer lebendigen Einheit zu verschmelzen und die Schönheit in seine Lebensführung zu legen weiß.

Dies in groben Umrissen Kierkegaards Gedankengang, der mit den Ideen Schleiermachers sich aufs innigste berührt.

In allen diesen Anschauungen und Aussprüchen wird die Selbsterhöhung gefeiert, welche die Liebe bewirkt. Sie ist zugleich als eine Selbstlosigkeit anzusprechen, weil sie, wie Verweyen es plastisch ausdrückt, aus überschüssigem Energievorrat mitteilt und ihre Lebensgluten in den anderen überströmen läßt. Indem sie ihre Kraft zugleich dem fremden Selbst zuwendet, strebt sie nach dem Einklang zwischen dem eigenen und fremden Lebensanspruch. Geibel hat diesen Gedanken in die anmutigen Verse gekleidet:

»O süß Empfangen, sel'ges Geben,
O schönes Ineinanderweben!
Hier heißt Gewinn, was sonst Verlust.
Je mehr du schenkst, je froher scheinst du; –
Je mehr du nimmst, je sel'ger weinst du –
O gib das Herz aus deiner Brust.«

Je tiefer und größer die Liebe, um so stärker wird die Selbsterhöhung beiderseits bewirkt und empfunden. Hierdurch steht der scheinbare Egoismus der wahren Liebe im schärfsten Kontrast zu demjenigen Egoismus, der sich auf Kosten und durch Herabdrückung des Nebenmenschen zu erhöhen trachtet. Aus dem Liebesgefühl, das die einander Liebenden gleichzeitig erhöht, erwächst uns letzten Endes die Erkenntnis von der Interessensolidarität der Menschen; gewinnen wir die Einsicht, daß die wahre Selbsterhöhung nicht nur nicht der Erhöhung unserer Mitmenschen widerstreitet, sondern daß sie, im rechten Sinne verstanden, zu jener allseitigen Harmonie führen muß, die uns als unendliche Aufgabe, als letztes Ziel gesteckt ist.

Wohl scheint die Liebe im Gegensatz zu stehen zu dem Urtriebe, den Nietzsche als Willen zur Macht bezeichnet hat. Er tritt als Wille zur Gewalt, als Herrschsucht sowohl im Leben der Völker wie der Individuen zutage. Er begegnet uns ebensowohl im politischen wie im ehelichen Leben. Das ist jedoch nur seine primitive Seite, deren Hervortreten einen Maßstab abgibt für die Höhe, oder vielmehr den Tiefstand einer Kulturepoche. Die Entwicklungstendenz ist unverkennbar auf allmähliche Veredelung des Willens zur Macht gerichtet, dergestalt, daß die Völker und Menschen die größere Macht mehr und mehr in Kulturleistungen und in der Betonung und Pflege ihrer Gemeinschaftsinteressen erkennen. Die Gewalt wandelt sich zum Kampfe mit geistigen Waffen, die Herrschsucht zur freiwillig anerkannten Führerschaft der Tüchtigsten. Die liebeerfüllte Ehe aber als innige Vereinigung geschlechtlich entgegengesetzter Individuen ist das Symbol der Vermählung derjenigen Interessen, die heute noch in so vielen unklaren Köpfen einander widerstreitend erscheinen. Fichte ist sogar der Meinung, daß die eheliche Verbindung beider Geschlechter der einzige Weg sei, von Natur aus den Menschen zu veredeln. Er erachtet es deshalb als »die absolute Bestimmung eines jeden Individuums, sich zu verehelichen«, und behauptet, daß die unverheiratete Person nur zur Hälfte Mensch sei.

Es mögen noch Jahrtausende vergehen, bis die Erkenntnis von der wechselseitigen Ergänzung aller menschlichen Gegensätze in Veranlagung, Kultur und Wirtschaft sich so verdichtet und verbreitet haben wird, daß sie maßgebenden Einfluß auf Verhalten der Völker und Menschen in ihrer überwiegenden Mehrzahl gewinnt. Die Vorstufe hierfür bildet die tiefere Einsicht in die persönlichen Liebesbeziehungen der Individuen, in den Zustand der beiderseitigen Selbsterhöhung, den die »schöpferische Liebe« als Ausdrucksform der höchsten Interessengemeinschaft hervorruft, und den uns Schleiermacher durch seine analytische Betrachtungsweise so lebendig vor Augen führt.

In den »Vertrauten Briefen über Lucinde« findet sich die Stelle: »Der Mann gewinnt durch Liebe an Einheit, an Beziehung alles dessen, was in ihm ist, auf den wahren und höchsten Mittelpunkt, kurz an Klarheit des Charakters; die Frau dagegen an Selbstbewußtsein, an Ausdehnung, an Entwicklung aller geistigen Keime, an Berührung mit der ganzen Welt … Ihr bildet uns aus, aber wir befestigen euch.« Und in seiner ersten Traurede sagt Schleiermacher: »… der eigene Herd aber bietet eine sichere Freistätte dar, wo wir in der zärtlichen Sorge und Teilnahme der treuen Hausfrau, in der reinen Freude geliebter Wesen an unserem Dasein uns selbst wiederfinden und aufs neue gestärkt allem entgegengehen, was uns auf dem Wege der Pflicht betreffen kann.« In welch schneidendem Gegensatz befindet sich diese Anschauung zu derjenigen Schopenhauers, der bekanntlich gesagt hat: »In unserem monogamischen Weltteile heißt heiraten seine Rechte halbieren und seine Pflichten verdoppeln.«

Nietzsche geht in der Differenzierung der Liebe bei Mann und Weib insofern weiter wie Schleiermacher, als er ihr nicht nur eine verschiedene Wirkung auf beide Teile zuschreibt, sondern der Meinung ist, daß beide unter Liebe überhaupt etwas anderes verstehen: »Was das Weib unter Liebe versteht, ist klar genug: vollkommene Hingabe (nicht nur Hingebung) mit Seele und Leib, ohne jede Rücksicht, jeden Vorbehalt, mit Scham und Schrecken vielmehr vor dem Gedanken einer verklausulierten, an Bedingungen geknüpften Hingabe … Der Mann, wenn er ein Weib liebt, will von ihm eben diese Liebe, ist folglich für seine Person selbst am entferntesten von der Voraussetzung der weiblichen Liebe … Ein Mann, der liebt wie ein Weib, wird damit Sklave; ein Weib, das liebt wie ein Weib, wird damit ein vollkommenes Weib. Das Weib will genommen, angenommen werden als Besitz … folglich will es einen, der nimmt, der sich nicht selbst gibt und weggibt, der umgekehrt gerade reicher an sich gemacht werden soll – durch den Zuwachs an Kraft, Glück, Glaube, als welchem ihm das Weib sich selbst gibt.«

Wie bei vielen Äußerungen Nietzsches, die er vorbehaltlos und in blendender Prägung in die Welt hinausgeschleudert hat, wird man auch bei den vorstehend zitierten Aussprüchen an die Worte Fr. Paulsens erinnert, die er einmal in einem Aufsatz »Zum Nietzsche-Kultus« niedergeschrieben hat: »Ihr habt es mit einem Schriftsteller zu tun, der selber an sich keine Kritik übt, der jedem Einfall rückhaltlos nachgibt, ihn mit der Phantasie vor sich hertreibt, und übertreibt … einem Schriftsteller, dem Witz und Pathos, Klarheit und Tiefsinn, plastische Kraft und Gewalt der Sprache in gleichem Maße zu Gebote stehen. Lest, aber laßt euch nicht berauschen … genießt das Schauspiel, aber laßt euch nicht blenden.«

Hat Novalis seine Sofie, hat Robert Browning seine Elisabeth, um nur zwei typische Beispiele zu nennen, etwa nicht mit vollkommener Hingabe geliebt, ohne sich trotzdem damit zum »Sklaven« zu machen? Novalis bekennt selbst, daß nur die grenzenloseste Hingebung (seinerseits) seiner Liebe genügen könne. Und Browning schreibt an seine Braut: »Ich weiß keine einzige Beziehung, in der ich Dir nicht bedingungslos mein ganzes Ich hingeben würde.«

Wie aber ist es andererseits, wenn das Weib eine ausgeprägte Persönlichkeit ist, die in der Selbstbehauptung ihr höchstes Genüge findet? Ist solche Selbstbehauptung mit jener schrankenlosen Hingabe vereinbar, wie sie Nietzsche vom liebenden Weibe verlangt? Wahrscheinlich nur dann, wenn die Liebenden einander als gleichwertige Persönlichkeiten unumwunden anerkennen, und die Hingabe in der Tat, wie in den beiden genannten Fällen, wechselseitig ist. Dann aber ist auch die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit gegeben, den denkbar höchsten Gipfel des Liebesglücks und der Lebenssteigerung zu erklimmen.

Schleiermacher hat, wie sich aus den oben angeführten Stellen bereits ergibt, nicht die Ansicht mancher bedeutenden Geister geteilt, die der Ehe eine Beeinträchtigung der Wirksamkeit des Mannes im beruflichen und öffentlichen Leben zuschreiben. Er betont dies ausdrücklich in einem Briefe an Henriette Herz (21. 11. 1808) mit den Worten: »… und namentlich das muß ich zeigen können, – daß die rechte Ehe nichts stört, nicht die Freundschaft, nicht die Wissenschaft, nicht das uneigennützigste, aufopferndste Leben für das Vaterland.«

Ob das immer zutrifft, ist allerdings fraglich.

Anselm Feuerbach, der Maler, ist in bezug auf die Kunst jedenfalls anderer Meinung. Nach ihm ist die Kunst »eine strenge göttliche Geliebte. Sie steht der irdischen immer im Wege … Die gefährlichste Klippe im Leben des Künstlers ist die Heirat, am meisten eine sogenannte glückliche Heirat, wo man sich ineinander schickt und Neigung und Gewohnheit den leisen Druck der Fesseln vergessen machen, während dem Genius allmählich die Flügelfedern ausfallen, eine nach der anderen, ohne daß er es merkt, bis er kahl dasteht.« Vor allem scheut er die kleinlichen Sorgen, namentlich Geldsorgen, in denen er den Tod des künstlerischen Schaffens erblickt. Dagegen »ein wahrhaftiges Künstlerleben in Glanz, Ehre und Reichtum – und dies alles auf ein liebes, schönes Haupt niederlegen« – das ließ er sich gerne gefallen.

»Die alten großen Meister sind meistens ehelos geblieben. Nur Rubens hat es zweimal bezwungen; das war aber auch ein Held.«

Es kommt hierbei auf die Beschaffenheit der beiden Gatten an. Ist die Frau, wie sie sein soll, so wird die Ehe sich nicht nur nicht als störend, sondern als fördernd und anspornend für den Gatten erweisen.

Dagegen ist die wissenschaftliche und künstlerische Betätigung einer hierzu veranlagten Frau in der Ehe fast immer erheblich gefährdet. Meistens wird sie sogar völlig lahmgelegt, weil Kraft und Zeit in den seltensten Fällen ausreichen, um zween Herren gleichzeitig zu dienen. Freilich wird, wie Helene Stöcker zutreffend bemerkt, eine Mutter, die um der Kinder willen vielleicht einen Teil ihrer geistigen Produktivität opfern mußte, diese Kinder gerade um so tiefer und mütterlicher lieben – um der Opfer willen, die sie für sie gebracht hat. Und in dieser vertieften Liebe wird sie meistens reichlichen Ersatz finden für den Entgang des Glückes der schöpferischen geistigen Tätigkeit. Weil es aber in erster Linie die natürliche »gottgewollte« Bestimmung und Aufgabe der Frau ist, Gattin, Mutter und Walterin der Häuslichkeit zu sein, kommt Schleiermacher bezeichnenderweise gar nicht der Gedanke, diese Frage mit Bezug auf die Frau überhaupt irgendwie in Betracht zu ziehen. Nichtsdestoweniger ergibt sich für ihn von selbst aus der geistigen Übereinstimmung der Gatten die geistige Gemeinschaft des Mannes mit der Frau, die Anteilnahme der Gattin an allem beruflichen und geistigen Leben des Gatten. Hierin erblickt er die Quintessenz einer wahren Ehe und die eigentliche Voraussetzung für jedes tiefere und Dauer verheißende eheliche Glück. Völlige Erschließung des einen zum anderen war die Konsequenz der von den Romantikern zu einer Kunst erhobenen seelischen Analyse und Selbstanalyse, da diese nur in der Aussprache bis zum höchsten Grade möglich ist.

»Warum sage ich nun aber Dir dies alles«, schreibt Schleiermacher an Henriette von Willich (10. 8. 1808), »da es doch nicht umhin kann, Dich wehmütig zu machen und vielleicht etwas verwirrt? Weil Du aber doch wissen mußt, wie mir zumute ist.« Sie soll stets vollen Einblick in seine seelische Verfassung haben, selbst wenn sie etwa mit darunter leiden sollte.

Eine zum Teil gleichlautende Stelle finden wir in Novalis' fragmentarischem Roman »Heinrich von Ofterdingen«, in welchem er seiner Liebe zu Sofie von Kühn ein Denkmal gesetzt hat: »Liebe Mathilde, es peinigt mich ordentlich, daß ich Dir nicht alles auf einmal sage, daß ich Dir nicht mein ganzes Herz auf einmal hingeben kann … Keinen Gedanken, keine Empfindung kann ich vor Dir mehr geheim haben. Du mußt alles wissen. Mein ganzes Wesen soll sich mit dem Deinigen vermischen. Nur die grenzenloseste Hingebung kann meiner Liebe genügen. In ihr besteht sie ja. Sie ist ja ein geheimnisvolles Zusammenfließen unseres geheimsten und eigentümlichsten Daseins.«

Schleiermacher hält es für eine durchaus verkehrte Rücksichtnahme, dem anderen Teil Dinge zu verschweigen, um ihn zu schonen und ihm Schmerzen zu ersparen; denn das gemeinsame Ertragen dünkt ihm nicht nur Pflicht, sondern geradezu ein Gegenstand der Lust. »Aber ich denke«, heißt es in demselben Brief, »wie Du, wenn Du schon meine Gattin wärst, nicht wollen würdest, zur Zeit der Not und Gefahr von mir weggebracht zu werden, so wärest Du wohl auch ebenso gern die Meinige geworden, um sie gleich mit mir zu teilen.« Und in einem späteren Schreiben (31. 12. 1808) an Henriette bekundet er: »Mit rechter Lust habe ich mir die Bilder einer verhängnisvollen Zeit ausgemalt, Dich immer an meiner Seite oder mich zu Hause sehnsuchtsvoll umfangend, wenn ich zurückkehrte von irgendeinem Geschäft, was alle Kräfte aufgeregt und in Anspruch genommen hatte.«

Das Lustvolle ist hier zwar teilweise darin zu erblicken, daß die Bewährung und Liebe eines nahen Menschen um so stärker zutage tritt, je schwerer wir zu kämpfen haben, und daß das Anschauen und Erproben dieser Liebesbeweise eine tiefe Beseligung in uns auslöst. Aber auch dem mit einem geliebten Menschen geteilten Schmerze an sich mißt Schleiermacher ein selbständiges Lustgefühl bei. Das erhellt aus einem Briefe (13. 4. 1807), den er an Henriette von Willich richtete, als ihr kurz nach dem Tode ihres tief von ihr betrauerten Gatten ein Knabe geboren ward: »Oh, welche bittersüße Freude habe ich an Dir, an Deinem unvergänglichen Schmerz, an allem Herrlichen, was ich von Dir höre und nicht erst zu hören brauchte, um es von Dir zu wissen.« Noch deutlicher womöglich ist Schleiermachers Hochschätzung des Schmerzes aus dem Briefe ersichtlich, den er (25. 3. 1807) unmittelbar nach dem Tode ihres Mannes an die trauernde Witwe richtete. Hier stellt er an sie aus seiner tiefen Frömmigkeit heraus das Ansinnen, den ihr von Gott gesandten Schmerz »unter die schönsten Güter des Lebens zu zählen und zu lieben … Dein Schmerz ist so rein und heilig, er hat nichts, was Dein Vater (wie er sich selbst ihr gegenüber damals zu nennen liebte) wegwünschen könnte.«

Darin dokumentiert sich eine Ästhetik des Schmerzes, deren tiefste Wurzeln im Christentum verankert sind, und die offenbar von hier aus einen starken Einfluß auf Schleiermacher gewonnen hat. Sie tritt ganz besonders in der christlichen Kunst zutage, wo sie in der malerischen Darstellung des Leidens Christi und der heroischen Trauer Marias den Gipfelpunkt erreicht hat. Nicht minder gewahren wir sie in der Musik, die auf dem Boden des Christentums erwachsen ist. In den Werken Bachs wird uns die Läuterung und Verklärung des Schmerzes von stiller Wehmut und starker Sehnsucht bis zu tiefster Trauer in wahrhaft lustvoller Weise nahe gebracht.

Auch bei dem »antichristlichen« Nietzsche finden wir verwandte Anschauungen, die darin gipfeln, daß erst der große Schmerz der letzte Befreier des Geistes sei. So prägte er die Sätze: »Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne, – geht davon! oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr. Sagtet ihr jemals Ja zu einer Lust? O meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu allem Wehe.« Warum er letzten Endes so denkt, bekundet er im Willen zur Macht: »Solchen Menschen, welche mich etwas angehen, wünsche ich Leiden, Verlassenheit, Krankheit, Mißhandlung, Entwürdigung …, ich habe kein Mitleid mit ihnen, weil ich ihnen das einzige wünsche, was heute beweisen kann, ob einer Wert hat oder nicht, – daß er standhält.«

In dem gleichen Sinne ist seine Äußerung zu verstehen, es bestimme beinahe die Rangordnung, wie tief Menschen leiden können.

Starke Anklänge in der gleichen Richtung finden wir auch bei Novalis, von welchem nach dem Tode seiner Sofie ähnliche Bekundungen, die einen geradezu ekstatischen Charakter tragen, vorliegen. »Meine Liebe ist zur Flamme geworden«, schreibt er, »die alles Irdische nachgerade verzehrt … Meine Kräfte haben mehr zu- als abgenommen. Ich fühle es jetzt oft, wie schicklich es hat so kommen müssen. Zufrieden bin ich ganz – die Kraft, die über den Tod erhebt, habe ich ganz neu gewonnen. Einheit und Gestalt hat mein Wesen angenommen – es keimt schon ein künftiges Dasein in mir.«

Hier hat der Schmerz einen Grad der Läuterung bewirkt, der nicht mehr zu überbieten ist. Sie findet ihre Erklärung durch die Vorstellung, daß durch das Schwinden der irdischen Hülle des geliebten Wesens die seelische Gemeinschaft mit ihm um so reiner hergestellt wird. Diese Empfindung klingt wider in den seltsam berührenden Sätzen: »Eine Verbindung, die auch für den Tod geschlossen ist, ist eine Hochzeit, die uns eine Genossin für die Nacht gibt. Im Tode ist die Liebe am süßesten: für den Lebenden ist der Tod eine Brautnacht, ein Geheimnis süßer Mysterien: Ist es nicht klug, für die Nacht ein geselliges Lager zu suchen? Darum ist klüglich gesinnt, wer auch Entschlummerte liebt.«

Auch das religiöse Empfinden wurde in Novalis durch Sofies Tod lebhaft angeregt und befruchtet. Das Ereignis erschloß ihm ein neues Verständnis für Christus und seine Lehre, in dem er fortan den heldenhaften Überwinder des Todes verehrte. Das Christentum, in dem er erzogen war, wurde ihm die wesentlich todüberwindende Religion.

Welch krasser Gegensatz hierzu entrollt sich vor unseren Blicken, wenn wir die seelischen Wirkungen des Liebesschmerzes auf einen anderen Romantiker, den Dichter E. T. A. Hoffmann, ins Auge fassen. Er war aus tiefster Seelenverwandtschaft heraus in Liebe entbrannt zu einer Frau Cora Hatt, deren Besitz ihm, da sie bereits einem anderen angehörte, versagt blieb. Von diesem aufgezwungenen Verzicht hat er sich niemals erholt, trotzdem er später in einer Ehe mit einem liebenswürdigen Mädchen Trost zu finden hoffte. In zügellosen, systematischen Ausschweifungen suchte er nach eigenem Geständnis sich gegen alle Schmerzfähigkeit abzustumpfen. Er wurde liederlich, um im Rausch des Alkohols und der Sinne Betäubung und Vergessen zu finden. Damals legte er den Grund zu seiner berüchtigten Trunksucht und zu dem Leiden, das schon im siebenundvierzigsten Lebensjahre seinen Tod herbeiführte.

Der gleichen Art der Schmerzbetäubung begegnen wir bei Goethe während seiner ersten Studentenzeit. Um sich über Kätchen Schönkopfs Verlust zu trösten, den er durch seine quälende Eifersucht selbst verursacht hatte, stürzte er sich in ein äußerst wildes, ausschweifendes Leben, das ihm im Frühling 1768 einen lebensgefährlichen Blutsturz zuzog.

Bei Hoffmann wurde der Schmerz allerdings nicht durch den Tod der Geliebten geheiligt, wie bei Novalis und Henriette von Willich, vielmehr durch das quälende Bewußtsein angestachelt und verschärft, daß er sie im Besitz eines anderen Mannes, des »Pestilenziarius«, wie er ihn gelegentlich nannte, wußte und belassen mußte. Und darin liegt allerdings ein grundlegender Unterschied.

In der gleichen oder noch schlimmeren Lage war jedoch Schleiermacher, da er auf Eleonore verzichten mußte. Schlimmer war seine Lage insofern, als seinem Verzicht langjährige Kämpfe um den Besitz Eleonorens und fortgesetzte Schwankungen zwischen Hoffnung und Entsagung vorausgegangen waren. Dazu kam noch, daß er die geliebte Frau an einen unwürdigen Mann gekettet wußte.

Wenn Schleiermacher trotzdem sich als ungleich widerstandsfähiger erwies wie Hoffmann, so lag dies offenbar daran, daß er in seiner Religion denjenigen Halt fand, der dem irreligiös veranlagten Hoffmann versagt bleiben mußte.

Auch Wilhelm von Humboldt hat sich in seiner philosophischen Abgeklärtheit dem Standpunkte Schleiermachers stark angenähert und den Verlust geliebter Personen als »ein wehmütiges Glück« bezeichnet. Das beruhte bei ihm allerdings vornehmlich auf dem Umstande, daß er in der großen Fülle seines Innenlebens sich selbst genügte. Es ist ein stolzes Wort und läßt auf einen seltenen Reichtum der Seele schließen, wenn jemand von sich sagen kann, daß er nichts zu seinem Glücke bedarf als sich selbst, wie es Humboldt in einem Briefe (16. 7. 1825) an seine Freundin Charlotte getan hat. »Ich lebe nämlich«, fährt er fort, »in Gefühlen, Studien, Ideen, diese sind es eigentlich, die machen, daß ich nichts Fremdes bedarf, und sie sind auf unvergängliche Dinge gerichtet. Sie lassen mich nicht sinken, wenn mir Erwartungen fehlschlagen, wie ich es oft, wenn mir Unglücksfälle zustoßen, erlebt habe … Alles, was dem Bedürfnis ähnlich ist, hat die Eigentümlichkeit, daß man es viel weniger genießt, wenn man es hat, als es schmerzt, wenn man es entbehren muß. Darum aber fühle ich den Verlust geliebter Personen wohl eher tiefer als andere, wenn auch mit mehr Fassung und Ruhe. Nur, gestehe ich Ihnen, setze ich nicht die Wehmut dem Glück entgegen, sondern teile das Glück in wehmütiges und heiteres, und setze jenes nicht gegen dieses zurück.«

Vier Jahre nach dem Tode eines vertrauten Freundes schreibt er im Angesicht der ihn umgebenden herrlichen Frühlingsnatur: »Der Schmerz nimmt die Farbe der Wehmut an, in welcher eine gewisse Süßigkeit und Heiterkeit selbst ihm gar nicht fremd sind.« Noch charakteristischer ist seine Bekundung über die Lebensweise und die Empfindungen, die der Tod seiner heißgeliebten Frau in ihm ausgelöst hat. An seine Freundin Charlotte schreibt er hierüber (7. 9. 1830): »Wenn man, wie es mein Fall war, so verheiratet ist, wie man es einzig sein konnte und sein mußte, so ist die Trennung dieses Bandes nicht das bloß geänderte und geschmälerte Fortsetzen des vorigen Zustandes, sondern ein durchaus neuer. Ich klage nicht, ich weine nicht, der Tod einer Person, und noch dazu in höheren Jahren, ist ein natürliches, ein menschliches, ein unabänderliches Ereignis. Ich suche nicht Hilfe noch Trost, denn der Kummer, der nach Hilfe und Trost verlangt, ist nicht der höchste und kommt nicht aus dem Tiefsten des Herzens; ich bin auch gar nicht unglücklich, ich bin vielmehr gerade auf die einzige Weise glücklich und zufrieden, auf die ich es so sein kann, aber ich bin anders als sonst, ich hänge mit den Menschen und der Welt nur insofern zusammen, als ich Ideen daraus schöpfe oder als ich durch äußerliches Wirken nützen kann, sonst habe ich keinen anderen Wunsch als allein zu sein. Jede Störung meiner Einsamkeit, jeder auch nur Stunden dauernde Besuch ist mir höchst unangenehm, wenn ich auch sonst den Menschen, die mich besuchen, gut bin.«

Aus diesen Zeilen spricht nicht, wie bei Schleiermacher, der eigentlich religiöse Mensch, sondern der völlig vergeistigte, hoch über den Dingen stehende Weltweise, der in erdenferner Abgeklärtheit sich in das Reich der ewigen Ideen geflüchtet hat. Er bedarf keiner Menschen und keines äußeren Halts, und findet seinen Schwerpunkt ausschließlich in dem tiefen Gehalt seiner eigenen Persönlichkeit. Er hatte hier offenbar bereits diejenige »Erkenntnisreife« erlangt, die er einmal als den eigentlichen Zweck des Lebens bezeichnet hat. »Ich frage mich nie«, schreibt er (1. 7. 1830) an Charlotte Diede, »welchen Wert das Leben noch für mich hat, ich suche es auszufüllen, und überlasse das andere der Vorsehung.« Er hat – gleich Fichte und Schleiermacher – jene wahrhaft schöpferische Größe bekundet, die Nietzsche im Nachlaß zum Zarathustra auf die Formel bringt: »Hauptlehre: in unserer Macht steht die Zurechtlegung des Leidens zum Segen, des Giftes zu einer Nahrung.«


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