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Achtzehntes Kapitel.
Aufbruch zum Entsatze der Nachhut.

Marsch nach Mukangi unter Begleitung verschiedener Volksstämme. – Lager im Dorfe Ukuba. – Ankunft im Fort Bodo. – Unsere Invaliden in Ugarrowwa's Pflege. – Lieutenant Stairs' Bericht über seine Reise zur Transportirung der Invaliden nach Fort Bodo. – Nächtliche Besuche der tückischen Zwerge. – Allgemeine Musterung der Garnison. – Ich entschließe mich, die Führung der Ersatztruppe selbst zu übernehmen. – Kapitän Nelson's Krankheit. – Mein kleiner Dachshund »Randy«. – Beschreibung des Fort. – Die Sansibariten. – Abschätzung der Zeit für die Reise nach Jambuja und zurück. – Lieutenant Stairs' Muthmaßung über den Dampfer »Stanley«. – Gespräch mit Lieutenant Stairs über Major Barttelot und die Nachhut. – Instructionsschreiben an Lieutenant Stairs.

 

Am 1. Juni marschirten wir in Begleitung von etwa zwanzig von Masamboni's Leuten von Undussuma nach Westen. Nach anderthalb Stunden erreichten wir den District von Urumangua, der uns eine Escorte von etwa 100 Mann lieferte, während die Krieger Masamboni's in ihre Heimat zurückkehrten. Nach zweistündigem Marsche trennten sich die Leute von Urumangua in Unjabongo wieder von uns und überließen ihre Ehrenpflicht den Bewohnern des neuen Districts, die uns anderthalb Stunden weit begleiteten und dafür sorgten, daß wir in Mukangi gut untergebracht und reichlich mit Lebensmitteln versehen wurden. Kurz vorher, ehe wir diesen Ort erreichten, waren wir in Schlachtordnung aufgestellt, da ein Kampf unmittelbar bevorzustehen schien; doch gelang es dem Muth und gesunden Verstande des Häuptlings, einen nutzlosen Bruch zwischen beiden Parteien zu verhüten.

Gute Beispiele finden ebensowol Nachahmung wie schlechte. Die Häuptlinge von Wombola und Kamette hatten erfahren, wie rasch wir die freundlichen Anerbietungen Mukangi's angenommen hatten; als wir dann am nächsten Tage durch ihre Districte marschirten, hörten wir weder einen Kriegsruf noch sahen wir eine feindliche Gestalt. Die Leute von Kamette riefen uns allerdings zu, wir sollten unsern Marsch fortsetzen, allein das war vollständig gerechtfertigt, da wir in ihrem Dorf nichts zu thun hatten und es noch früh am Tage war; bei der Ankunft im nächsten Dorfe, Ukuba, waren wir aber ermüdet und wünschten nach dem fünfstündigen Marsche zu rasten. Ukuba, ein District von Besse, hatte am 12. April unsere Waffen bereits kennen gelernt und gestattete uns deshalb, ruhig unser Lager aufzuschlagen. Bei Sonnenuntergang hatten wir die Genugthuung, mehrere Eingeborene unbewaffnet ins Lager kommen zu sehen, und am nächsten Morgen stellten sie sich nochmals ein mit Geschenken, einer Milchziege, einigen Hühnern und genügend Bananen für alle.

Am 3. Juni marschirten wir rasch weiter und nahmen einige Kanoes weg, welche wir zum Uebersetzen der Colonne über den Ituri brauchten, den wir, obwol in letzter Zeit nur wenig Regen gefallen war, so hoch angeschwollen fanden wie im April.

Am nächsten Tage nahmen wir, nachdem wir den Fluß überschritten hatten, eine Frau aus Mande gefangen, ließen sie aber wieder frei, damit sie ihren Leuten erzählen könne, daß wir vollständig harmlos seien, wenn man uns den Weg nur frei ließe. Vielleicht breitet sich infolge dessen das Gebiet noch aus, in welchem wir Frieden zwischen uns und den Eingeborenen hergestellt haben.

Am 5. Juni lagerten wir uns in Baburu und am nächsten Tage in West-Indenduru. Der 7. Juni brachte uns nach siebenstündigem Marsche nach einem Flusse, der nach der großen Zahl der an seinen Ufern stehenden Raphiapalmen den Namen Miwale führt, und am nächsten Tage erreichten wir Fort Bodo, wohin wir 6 Rinder, eine Heerde Schafe und Ziegen, einige Lasten einheimischen Taback, 4 Gallonen des vom Pascha gebrannten Whisky und einige weitere kleine Luxusartikel mitbrachten, um die Herzen der Garnison zu erfreuen.

Im Walde herrschte ein so vollständiges Schweigen, daß wir gegenseitig über unser Schicksal während der 67tägigen Trennung vollständig in Unwissenheit waren. Bis wir uns Fort Bodo auf etwa 400 m genähert hatten, konnten wir uns noch nicht vorstellen, was aus Lieutenant Stairs geworden war, den ich, wie man sich erinnern wird, am 16. Februar nach der Station Ugarrowwa's geschickt hatte, um die dort etwa vorhandenen Genesenden zu holen, damit dieselben das Los theilten, das uns im offenen Lande bevorstand, dessen bloßer Anblick schon von so heilsamer Wirkung auf unsere Leute gewesen war. Ebenso wenig konnte die Garnison muthmaßen, welches Geschick uns zutheil geworden war. Als aber unsere Flinten das schlafende Echo des Waldes erweckten, hörten wir, als der Schall kaum erstorben war, schon die Antwort der Gewehre der Garnison; wie wir daraus erkannten, daß Fort Bodo noch existirte, so erfuhren auch die in den Grenzen der Lichtung eingeschlossenen Unglücklichen durch unser Schießen, daß wir vom Njansa zurückgekehrt seien.

Der erste, welcher sich zeigte und uns begrüßte, war Lieutenant Stairs, dicht gefolgt von Kapitän Nelson, beide in vorzüglicher Verfassung, aber von etwas teigartiger Farbe. Dann kamen die Leute in Trupps herbei, jubelnd vor Freude, mit blitzenden Augen und strahlenden Gesichtern, da diese Naturkinder ihre Stimmung nicht zu verheimlichen und ihre Gemüthsbewegung nicht zu verbergen verstehen.

Aber ach! meine Berechnungen. Seitdem ich die Waldregion betreten habe, sind dieselben immer unrichtig gewesen. Nachdem ich, meiner Meinung nach sorgfältig, jede Meile des zurückzulegenden Weges und jedes Hinderniß, welches Lieutenant Stairs und seinen leicht beladenen Begleitern entgegentreten könnte, berücksichtigt hatte, war ich überzeugt, daß er nach einer Abwesenheit von 39 Tagen wieder bei uns sein würde. Wir blieben 47 Tage, da wir bestimmt wußten, daß es ihn freuen würde, bei der erfolgreichen Beendigung unserer Anstrengungen und dem sie krönenden Triumph zugegen zu sein. Er traf nach 71tägiger Abwesenheit ein, und zu der Zeit hatten wir uns bereits mit Emin Pascha in Verbindung gesetzt.

Ich hatte ferner berechnet, daß von den 56 Invaliden, welche wir in der Obhut Ugarrowwa's zurückgelassen hatten und auf unsere Kosten verpflegen ließen, mindestens 40 Genesende für den Marsch bereit und tüchtig sein würden; allein Herr Stairs fand dieselben meist in einem noch schlimmern Zustande als damals, als wir uns von ihnen trennten. Alle Somali waren gestorben bis auf einen, und dieser lebte nur noch, bis er Ipoto erreichte. Von den 56 Mann waren nur noch 34 übrig. Unter diesen befand sich Djuma mit dem amputirten Fuß; drei Mann waren auf einer Fourragirtour abwesend. Von dieser ihm überlieferten jämmerlichen Truppe von 30 lebenden Gerippen starben 14 auf dem Wege, 1 wurde in Ipoto zurückgelassen und die 15 waren übriggeblieben, um an ihren entstellten nackten Körpern die ekelerregenden Farben und Wirkungen der chronischen Krankheiten zu zeigen. Nachstehender Bericht, in welchem Herr Stairs seine bemerkenswerthe Reise beschreibt, erklärt seinen Aufenthalt vollständig.

Fort Bodo, Ibwiri, Centralafrika,
6. Juni 1888.

Geehrter Herr!

Ich habe die Ehre Ihnen zu melden, daß ich gemäß Ihrem Befehle vom 15. Februar 1888 diesen Platz am 16. des genannten Monats mit einer Escorte von 20 Boten und sonstiger Ausrüstung verlassen habe, um mich nach der Station Ugarrowwa's am Ituri zu begeben, die Boten von dort auf den Weg nach der Colonne des Major Barttelot zu bringen, die unter der Obhut Ugarrowwa's gebliebenen Invaliden zu übernehmen und sie nach dieser Station zu geleiten.

Nachdem wir diesen Platz also am 16. Februar verlassen hatten, trafen wir am 17. bei dem Dorfe auf dem Kilimani-Hügel ein. Am nächsten Tage beschloß ich etwa 3 km westlich vom Kilimani auf unserm Durchmarsch nach Ipoto, einen großen und stark begangenen Eingeborenenpfad einzuschlagen, und verfolgte denselben demgemäß bis 11 Uhr vormittags. Nachdem wir so weit gegangen waren, wandte der Weg sich allzu weit nach Norden und Osten, weshalb ich nach andern Pfaden suchte, in der Hoffnung, bei der Verfolgung eines solchen schließlich auf eine große Straße zu gelangen und uns auf diese Weise nach dem Ihuru durchzuarbeiten. Als wir einen Pfad gefunden hatten, folgten wir demselben 3 km und sahen dann, daß der Weg plötzlich aufhörte, und da keine weitere Spur von demselben zu entdecken war, kehrten wir nach unserm frühern Wege zurück und marschirten auf demselben weiter; an demselben Tage bemühten wir uns noch viermal, nach Nordwesten oder irgendwie in dieser Richtung vorzudringen, bis wir spät am Abend, gerade vor Dunkelwerden, nachdem wir einen mit Merkzeichen versehenen Pfad gefunden hatten, uns lagerten. Am nächsten Tage, 19. Februar, folgten wir diesem Wege in raschem Tempo nach Nordwesten und kamen um 10 Uhr vormittags zu einem verlassenen Dorfe. Hier hörten die Merkzeichen am Wege auf und es waren keine Spuren von einem aus dem Dorfe führenden Pfade zu finden, obwol wir nach allen Richtungen hin gründlich danach suchten. Wir kehrten deshalb wieder um und verfolgten eine breite Spur nach Nordosten, worauf wir einen neuen Versuch machten, doch war der Pfad wiederum zu Ende.

Nach einiger Ueberlegung kehrte ich zu unserm Lager vom vorigen Tage zurück und beschloß, einen Pfad in der Richtung nach Mambungu zu verfolgen und dann einen Seitenweg einzuschlagen, der nach der Behauptung der Eingeborenen nach dem Ihuru führen sollte; allein als wir demselben nachgingen, fanden wir, daß er nur bis zu einigen Wambutti-Hütten führte und dort aufhörte.

Nachdem ich den Anführer der Boten um seine Meinung befragt hatte, beschloß ich dann wieder umzukehren und unserer alten Route nach Ipoto zu folgen, dort zwei Führer zu gewinnen, dann dem Pfade nach dem Dorfe Uledi's nachzugehen, daselbst den Ihuru zu überschreiten und darauf dem nördlichen Ufer des Flusses zu folgen u. s. w. Meine Gründe hierfür waren folgende: Wenn ich in dieser Weise fortfuhr Pfade aufzusuchen, würde ich vier oder fünf Tage verlieren, was bei meiner beschränkten Zeit nicht angängig war; und zweitens würde der Versuch, uns einen Weg durch das Dickicht in der Richtung nach dem Flusse zu bahnen, uns wahrscheinlich fünf Tage kosten, welche jeden Vortheil, den ein Weg nach Norden vielleicht haben könnte, vollständig aufwiegen würden. Nachdem wir am 22. Februar die Station Kilonga-Longa's erreicht hatten, trafen wir eine Vereinbarung wegen einer Abtheilung, die uns auf einer Straße südlich vom Ituri führen sollte, und setzten am 24. die Reise fort. Am 1. März überschritten wir den Lenda; unser Curs war jetzt NW. und NNW. Am 9. März trafen wir in Farischi, der obern Station Ugarrowwa's, ein und am 14. erreichten wir früh morgens dessen Station am Ituri. Wir hatten viele Tage Regen gehabt, ich litt infolge dessen sehr stark an Fieber und mußte nach der Ankunft bei Ugarrowwa zwei Tage das Bett hüten.

In der Station Ugarrowwa's fand ich, daß acht oder zehn Mann auf einer Fourragirtour begriffen waren, und es dauerte 3½ Tage, ehe ich dieselben bekam.

Bei Ugarrowwa waren am 18. September 1887 sechsundfunfzig (56) Mann zurückgeblieben, nämlich 5 Somali, 5 Nubier und 46 Sansibariten. Von dieser Gesammtzahl waren 26 gestorben, worunter sämmtliche Somali, mit Ausnahme Dualla's. Zwei Mann fehlten noch, als ich wieder aufbrach. Baraka W. Mussa erhielt von mir den Befehl, an die Stelle eines Boten zu treten, den wir wegen eines heftigen Geschwürs in Ipoto hatten zurücklassen müssen, und Djuma ben Said blieb bei Ugarrowwa.

Die meisten der Leute befanden sich bei meiner Ankunft in geschwächtem Zustande; als ich wieder fortging, wollte ich daher sieben von ihnen nicht mitnehmen. Ugarrowwa weigerte sich jedoch geradezu sie zu behalten, sodaß ich die Leute mitzunehmen gezwungen war, mit der Gewißheit, daß sie unterwegs sterben würden.

Am 16. März schickte ich Abdullah und seine Boten flußabwärts. Am 17. übernahm ich von Ugarrowwa 44 Gewehre, von denen ich ihm 2 nebst 42 Remingtonpatronen zum Geschenk machte.

Am 18. rechnete ich mit Ugarrowwa ab mit dem Betrage von 870 Dollars, d. i. je 30 Dollars für 29 Mann, und übergab ihm seine Wechsel sowie Ihren Brief.

Am selben Tage verließ ich ihn mit meinem Gefolge auf dem Wege nach Ibwiri. Ugarrowwa hat in der That Kapital aus seiner Invalidenstation geschlagen.

Vom 19. bis 23. März, an welchem Tage ich Farischi erreichte, regnete es beständig, wodurch der Weg beschwerlich und der Uebergang über die Bäche schwierig wurde. Von hier bis nach Ipoto hatte ich Tag für Tag schwere Fieberanfälle, und da ich keine Leute hatte, um mich zu tragen, so mußte ich Märsche von 7 bis 10 km pro Tag machen. Das beständige Durchnäßtsein und die schlechten Wege machten sämmtliche Leute sehr niedergeschlagen und einige von ihnen bezweifelten sogar, daß Beistand für sie voraus sei. Am 11. April traf ich in Ipoto ein und marschirte am 13. wieder ab; nach weitern Schwierigkeiten durch Fieber langte ich am 26. April hier an. Alle waren froh, als sie das Fort sahen. Den Somali Dualla mußte ich in Ipoto zurücklassen; Tam, ein früherer Eseltreiber, desertirte unterwegs. Von dem Trupp Invaliden (26) waren 10 gestorben. Kibwana starb im Lager in der Nähe von Mambungu ebenfalls an einer Brustkrankheit. Von 56 Invaliden habe ich nur 14 lebend nach dem Fort gebracht.

Bei der Ankunft in Fort Bodo erfuhr ich, daß Sie schon lange fort seien, daß ich mit den wenigen Gewehren, über welche ich verfügte, Ihnen nicht mit Sicherheit folgen könnte, weshalb ich in der Station blieb und mich zum Dienst bei Kapitän Nelson meldete, welcher von Ihnen mit dem Befehl über Fort Bodo betraut war.

Ueberschwemmungen, Regengüsse, Fieber und sonstige Krankheiten sind die Ursachen unsers langen Fortbleibens gewesen, und wir alle, die überhaupt in marschfähigem Zustande waren, haben bittere Enttäuschung gefühlt, als wir nicht im Stande waren. Sie zu erreichen.

Ich habe die Ehre u. s. w.
W. G. Stairs, Lieutenant.

Herrn H. M. Stanley.

Ueber den Zustand der Garnison von Fort Bodo war nur wenig zu klagen; die Lage der mit Geschwüren behafteten Personen hatte sich zwar nicht gebessert, aber auch nicht verschlimmert, die anämischen Opfer der Torturen der Manjema in Ipoto hatten vielleicht ein paar Gramm an Gewicht zugenommen, und die chronisch Gleichgültigen und Saumseligen waren noch vorhanden, um uns durch den Anblick ihres Elends daran zu erinnern, daß sie sich für den uns bevorstehenden langen, verzweifelten Marsch nicht eigneten. Wir hatten das alles erwartet. Die weite Reise nach Jambuja und zurück, etwa 1700 km, konnte nie von Leuten zurückgelegt werden, die keine Lust dazu hatten; dazu bedurfte es Freiwilliger, welche durch eigenes Interesse angefeuert und durch das Bewußtsein angeregt wurden, daß nach Beendigung dieser einen Aufgabe das Elend des Waldes, Hunger, Feuchtigkeit, Regen, Schlamm, Dunkelheit, Pflanzenkost, vergiftete Pfeile Dinge und Leiden der Vergangenheit sein und daß dann die Freude über das Grasland, das göttliche Licht, die Helligkeit und Wärme des vollen Tages, das Schwanken des Grases im erfrischenden Sturm, der Trost kommen würden, daß der Himmel über uns ist und die Erde, noch voll frohen Lebens, strahlend von Wohlwollen und Güte, für immer vor uns liegt. O, gütiger Gott! beschleunige diesen Tag! Aber können die Schwarzen, die »Thiere«, die »Nigger«, die »schwarzen Teufel« das fühlen? Wir werden sehen.

Eine Maisernte war eingeheimst und sicher in den Vorrathshäusern untergebracht, die Felder waren aufs neue für das Auspflanzen vorbereitet, die Bananenpflanzungen lieferten noch unbeschränkte Mengen Nahrungsstoff, die süßen Kartoffeln wuchsen an verschiedenen Stellen wild und von Bohnen war ein ziemlich großer Vorrath vorhanden.

Die bösartigen Zwerge, die Wambutti, hatten wiederholt nächtliche Besuche abgestattet und die Kornfelder etwas geplündert, worauf Lieutenant Stairs mit einigen ausgesuchten Leuten der Garnison die Marodeure verfolgt und vollständig in die Flucht gejagt hatte; er hatte bei dem Gefecht einen Mann verloren, aber den kleinen Dieben einen heilsamen Schrecken eingejagt.

Das Fort enthielt jetzt 119 Sansibariten von der Vorhut, vier von den Soldaten Emin Pascha's, 89 Madi-Träger und drei vom Albert-Njansa gekommene Weiße, außer den 57 Sansibariten und Sudanesen, sowie den beiden Offizieren, welche die Garnison gebildet hatten, zusammen 283 Seelen. Aus dieser Zahl sollten wir eine Colonne von Sansibariten-Freiwilligen und Madi-Trägern bilden, um Major Barttelot und der Nachhut zu Hülfe zu eilen.

Nach zweitägiger Rast hielten wir eine allgemeine Musterung ab. Ich setzte ihnen laut die Erfordernisse unserer Lage auseinander; unsere weißen Brüder litten unter Gott weiß was für Schwierigkeiten, und zwar Schwierigkeiten, die ihnen größer erschienen als uns, da wir den Wald überstanden hätten und daher seine Beschwerden als geringer betrachten könnten. Denn die Erfahrung würde uns lehren, wie wir mit den Rationen weiser umgehen müßten, wo wir den ermatteten Körper erfrischen könnten und wann wir den Marsch durch die zwischenliegende Wildniß beschleunigen und unsere Hülfsmittel zu Rathe ziehen müßten. Unsere Wiedervereinigung würde unsere armen Freunde erfreuen, die wegen unserer langen Abwesenheit betrübt seien, und unsere guten Nachrichten würden selbst die Schwächsten wieder aufrichten und die Verzweifelnden ermuthigen. Sie alle wüßten, welche Schätze von Stoffen und Glasperlen sich in der Obhut der Nachhut befänden. Wir könnten nicht alles tragen, und brauchten auch thatsächlich gar nicht so viel. Wie könnte das besser verwendet werden, als für die unermüdlichen, treuen Burschen, welche ihren Herrn zweimal nach dem Njansa und zurück zu seinen lange vermißten Freunden gebracht hätten? »Ich bitte euch deshalb, tretet zu mir heran, ihr, die ihr bereit seid, während ihr, die ihr im Fort zu bleiben vorzieht, in Reih und Glied stehen bleibt.«

Vor Freude über ihre frische Kraft, ihre vorzügliche Gesundheit und die Anerkennung ihres Werthes schrien 107 Mann laut: »Auf zum Major! Auf zum Major!« und sprangen auf meine Seite, sodaß nur sechs Mann, welche wirklich wegen Krankheit und zunehmender Geschwüre untauglich waren, stehen blieben.

Wer Menschenkenner ist, wird bemerken, daß sich bei solcher Gelegenheit einige Tugenden des Menschen zeigen, wenn auch andere blind sind und die feinern Züge der menschlichen Natur nicht zu erkennen vermögen, ebenso wie es viele Leute gibt, welche durchaus nicht im Stande sind, in einem Gemälde die die Meisterhand eines großen Malers verrathenden Pinselstriche oder in einem Gedichte die mit Kraft und Wahrheit gepaarte Anmuth und Glätte des wirklichen Dichters zu erkennen.

Nachdem ich einige Leute von der Garnison ausgewählt hatte, welche an die Stelle derjenigen treten sollten, welche für den uns bevorstehenden langen Marsch untauglich waren, blieb nur noch übrig, 25tägige Maisrationen an jedes Mitglied der Entsatzcolonne zu vertheilen und jedem Mann und Knaben den Rath zu geben, außerdem so viel Bananenmehl für sich vorzubereiten, wie er tragen könnte.

Bis zum Abend des 15. Juni waren alle Mann beschäftigt, die harten Maiskörner mit Schlägel, Mörser und Sieb zu Mehl zu verwandeln oder eine Art Grütze aus denselben herzustellen, und Bananen zu schälen, in Scheiben zu schneiden, auf einem hölzernen Rost über langsamem Feuer zu trocknen und zu feinem Mehl zu zerstoßen. Ich hatte meinerseits neben den Vorbereitungen, welche die allgemeinen Bedürfnisse erforderlich machten, viele persönliche Geschäfte zu erledigen, wie die Reparatur meiner Beinkleider, Schuhe, des Stuhls, Schirms, Regenrocks u. s. w.

Meine Absicht war, die Entsatztruppe selbst zu führen und keine Offiziere zur Begleitung mitzunehmen, und zwar aus verschiedenen Gründen, hauptsächlich aber, weil jeder Europäer eine Vermehrung des Gepäcks bedingte, das jetzt von dem allerkleinsten Umfange sein mußte, der sich mit der allgemeinen Sicherheit vertrug. Außerdem verdiente Lieutenant Stairs nach seinem Marsche nach Ipoto, von wo er das Stahlboot nach Fort Bodo gebracht, und seiner Reise nach der Station Ugarrowwa's, von wo er die Genesenden herbegleitet hatte, meiner Ansicht nach Ruhe. Kapitän Nelson hatte schon seit der zweiten Hälfte des September 1887 stets an verschiedenen Uebeln gelitten, zuerst an Geschwüren, dann an allgemeiner Schwäche, welche fast sein Leben bedrohte, Aufbrechen der Haut, Lendenweh, schmerzenden Füßen und hartnäckigen Fieberanfällen; für jemand mit so verdorbenem Blute mußte eine Reise, wie wir sie zu unternehmen im Begriffe standen, unzweifelhaft sich als tödlich erweisen, Dr. Parke, der einzige zur Verfügung stehende Offizier, wurde aber für die Kranken im Fort gebraucht, da die Garnison tatsächlich meist aus Leuten bestand, welche der ärztlichen Pflege und Behandlung bedurften.

Nur mit großer Mühe waren wir im Stande, aus der Garnison 14 Leute auszuwählen, welche Kapitän Nelson bis nach Ipoto begleiten sollten, um das dort noch befindliche Dutzend Lasten zu holen; aber gerade als wir im Begriff standen aufzubrechen, wurde der Kapitän von einem neuen Anfall von Wechselfieber und einer seltsamen Anschwellung der Hand betroffen, sodaß wir nothwendigerweise Dr. Parke auf diesem kleinen Marsche an seine Stelle treten lassen mußten.

Mein treuer kleiner Dachshund »Randy«, welcher die Anstrengungen des zweimaligen Marsches nach dem Albert-Njansa so gut ertragen hatte und der uns in der Stunde großer Noth ein so ergebener Freund gewesen und aller Liebling geworden war – obgleich er keinem Sansibariten gestattete sich unangemeldet mir zu nähern –, wurde der Sorgfalt des Lieutenants Stairs übergeben, um ihm die lange Reise von über 1500 km, die wir vor uns hatten, zu ersparen. Aber der arme Hund misverstand meinen Zweck, und von dem Augenblick an, als ich ihn verlassen hatte, wies er entschieden alle Nahrung zurück und starb am dritten Tage an gebrochenem Herzen.

Bei genauer Erwägung des Zustandes, in welchem das Fort und die Garnison sich befanden, sowie der Fähigkeit des Commandanten, Lieutenant Stairs, der durch den Beistand von Kapitän Nelson und Dr. Parke unterstützt wurde, gewann ich die festeste Ueberzeugung, daß das Fort mit 60 Gewehren und genügenden Munitionsvorräthen bei jedem Angriff der Eingeborenen, wie stark sie auch sein mochten, unbezwinglich sei. Zu zwei Dritteln war dasselbe von einem breiten und tiefen Graben umgeben; an jeder Ecke war eine die Lichtung beherrschende, dicht umzäunte Plattform errichtet, deren Zuführungswege und Seiten von den Gewehren ordentlich bestrichen werden konnten, und alle Ecken waren durch eine ununterbrochene Palissadenreihe miteinander verbunden, welche an der Außenseite mit Erdreich befestigt und an der Innenseite mit einem starken Wallgang ausgestattet war. Die zum Fort führenden Hauptwege waren ebenfalls mit Zäunen versehen, die als Hindernisse dienen sollten. Das von der Garnison bewohnte Dorf lag an der vom Graben nicht geschützten Seite und war in der Form eines lateinischen V gebaut, um den Eingang ins Fort zu maskiren. Bei Tage konnte sich keine feindliche Abtheilung dem Fort unbemerkt bis auf etwa 140 m nähern, und bei Nacht waren 10 Schildwachen eine genügende Vorsichtsmaßregel gegen Ueberfall und Feuer.

Diese Schutzmaßregeln richteten sich nicht so sehr gegen die Eingeborenen allein, sondern auch gegen eine mögliche und keineswegs unwahrscheinliche Verbindung der Manjema mit den Eingeborenen. Man hätte ebenso viel für die Wahrscheinlichkeit einer solchen Verbindung anführen können wie gegen dieselbe, aber es ist eine vollständig falsche Politik, müßig zu bleiben, wenn der Ausgang zweifelhaft ist, und bei den Hunderten von Lagern und Stationen, welche ich in Afrika anlegte, habe ich auch nicht in einem Falle den Platz gewählt, ohne jede nahe oder ferne Möglichkeit zu berücksichtigen.

Ich konnte jetzt Fort Bodo verlassen, ohne die geringste Sorge bezüglich der Eingeborenen und Manjema, aber auch ohne Furcht vor Unverträglichkeit zwischen den Offizieren und Sansibariten haben zu müssen. Die Offiziere waren jetzt mit der Sprache ihrer Leute, sowie mit deren verschiedenen Gewohnheiten, Launen und Gemüthsstimmungen vertraut, und die Leute vermochten ebenfalls das Temperament der Offiziere zu unterscheiden. Beide Parteien waren auch der Meinung, daß ihr Aufenthalt in Fort Bodo wahrscheinlich nicht von langer Dauer sein werde, da der Pascha versprochen hatte, sie innerhalb zweier Monate zu besuchen, und sie von dem Besuche eines Mannes von solcher Aufmerksamkeit und Klugheit gewiß ebenso viel Vergnügen als Nutzen erwarten konnten. Bei seiner Rückkehr nach dem Njansa konnten sie ihn begleiten und das Fort seinem Schicksale überlassen.

Hinsichtlich der Treue der Sansibariten war ebenfalls kein Grund zum Zweifeln mehr vorhanden. Wie tyrannisch oder ungerecht – es ist dies nur eine Annahme – die Offiziere auch sein mochten, die Sansibariten konnten nur zwischen ihnen auf der einen und dem Kannibalismus der Wambutti und der eingefleischten Grausamkeit der Manjema auf der andern Seite wählen.

Ich wünschte, ich hätte dieselbe Zuversichtlichkeit und Befriedigung des Gemüths auch bezüglich der Nachhut fühlen können. Mit dem Ablauf eines jeden Monats war meine Sorge gestiegen. Als eine Woche nach der andern verstrich, wurde mein Glaube an ihre Sicherheit schwächer und mein Geist, ermüdet von dem beständigen Kampfe zwischen Hoffen und Zweifeln und der Schaffung von geistreichen, schönen Theorien und der nicht weniger schlauen Vernichtung derselben beschränkte sich, meiner eigenen Ruhe und Gesundheit wegen, gezwungenermaßen darauf, sich der Gedanken zu enthalten und Zuflucht zu suchen bei der festen Ueberzeugung, daß der Major sich noch in Jambuja befände, aber verlassen wäre. Unsere Aufgabe war es daher, nach Jambuja zu marschiren, das nothwendigste Material entsprechend der Leistungsfähigkeit unserer Trägertruppe dort auszuwählen und dann mit größtmöglicher Schnelligkeit nach dem Njansa zurückzukehren.

Auf Grund dieser Annahme berechnete ich die Zeit, welche wir zu der Reise brauchen würden, und übergab meine Schätzung mit einem Instructionsschreiben dem Commandanten des Fort zu dessen Gebrauch.

Da die Entfernung von Fort Bodo nach dem Njansa 200 km beträgt und in einem Marsche von 288 Stunden = 74 Tagen, einschließlich der Rasttage, zurückgelegt worden ist; da wir die Entfernung von Jambia bis zur Station Ugarrowwa's marschirt sind in 289 Stunden = 74 Tage
da Lieutenant Stairs von Ugarrowwa nach Ford Bodo marschirt ist in 26 Tagen,
gesamt 100 Tage

wird unser Marsch nach Jambuja vermuthlich 100 Tage und auf dem Rückwege ebenso viel Zeit in Anspruch nehmen. Vom 16. Juni 1888 bis 2. Januar 1889 sind 200 Tage. Wir können vernünftigerweise am 2. Januar in Fort Bodo und am 22. desselben Monats am Albert-See erwartet werden.

Oder folgendermaßen: Aufbruch am 16. Juni 1888:

 Tabelle

Als ich am letzten Abend meines Aufenthalts in Fort Bodo Lieutenant Stairs nochmals die verschiedenen ihm anvertrauten allgemeinen und persönlichen Pflichten wiederholte, meinte er, daß vielleicht die Nichtankunft des Dampfers »Stanley« der Grund des vollständigen Fehlens jeder Nachricht von der Expedition sei, worauf ich ihm etwa Folgendes bemerkte:

»Das ist eigentlich eine grausame Annahme, mein lieber Herr; das ist das Wenigste, was ich befürchte, denn soweit ich konnte, habe ich für diesen Fall Vorsorge getroffen. Sie müssen nämlich wissen, daß ich bei der Abfahrt des Dampfers von Jambuja am 28. Juni dem Kapitän desselben mehrere Briefe übergeben habe. Der eine war an meinen guten Freund Lieutenant Liebrechts, den Gouverneur des Stanley-Pool-Districts, und forderte diesen auf, um unserer alten Freundschaft willen den Dampfer so rasch wie möglich mit unsern Waaren und der Reservemunition zurückzuschicken.

»Ein zweites Schreiben war an Herrn Swinburne, meinen frühern Secretär, ein Muster von Treue, gerichtet und lautete dahin, daß wenn dem ›Stanley‹ ein Unfall zugestoßen sei, der ihn an der Rückfahrt nach Jambuja verhindern könnte, er die Güte haben möge, anstatt dessen den Dampfer ›Florida‹ zu schicken, da die Eigenthümer Geschäftsleute seien und baare vollständige Entschädigung, die ich garantirte, ebenso bereitwillig annehmen würden wie den Nutzen aus dem Elfenbeinhandel.

»Ein dritter Brief war an Herrn Antoine Greshoff, den am Stanley-Pool wohnenden Agenten des holländischen Hauses in Banana, gerichtet und sagte ihm, daß falls die beiden Dampfer ›Stanley‹ und ›Florida‹ nicht zu haben seien, er eine große Summe baaren Geldes verdienen könnte, wenn er den Transport der Vorräthe der Expedition von Stanley-Pool und von 128 Mann von Bolobo nach Jambuja übernehmen würde. Was er für Fracht und Beköstigung vernünftigerweise verlange, würde ihm, wie ich garantirte, sofort bezahlt werden.

»Ein vierter Brief an unsern in Stanley-Pool befehligenden Offizier, Herrn John Rose Troup, lautete dahin, daß, wenn die Dampfer ›Stanley‹, ›Florida‹ und auch der des Herrn Greshoff verhindert seien, er die größten Anstrengungen und Mittel aufwenden solle, um, gleichviel mit welchen Kosten, Boote und Kanoes zu sammeln und sich mit den Herren Ward und Bonny in Bolobo in Verbindung zu setzen. Herr Ward in Bolobo wurde gleichfalls dringend gebeten, dasselbe in Ujansi zu thun, die Fahrzeuge mit den Sansibariten und Eingeborenen zu bemannen und die verschiedenen Waaren etappenweise nach dem befestigten Lager bei Jambuja zu befördern. Letzteres würde doch kaum nothwendig werden, da es sehr unwahrscheinlich ist, daß weder der ›Stanley‹, noch die ›Florida‹ oder der Dampfer des Herrn Greshoff vom 28. Juni 1887 bis 16. Juni 1888, also fast 12 Monate, für unsere Zwecke nicht zur Verfügung stehen sollten.

»Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, daß sowol dem Kapitän wie dem Maschinisten des ›Stanley‹ eine Belohnung von 50 Pfd. St. versprochen worden ist, wenn sie innerhalb der kürzesten Frist zurückgekehrt sein würden. Eine solche Summe ist für arme Leute keine Kleinigkeit und ich bin überzeugt, daß wenn sie nicht durch ihre Vorgesetzten daran verhindert wurden, sie auch ihrem Versprechen nachgekommen und alle Waaren und Leute wohlbehalten in Jambuja eingetroffen sind.«

»Sie glauben also noch, daß Major Barttelot in irgendeiner Weise diese Verzögerung verschuldet hat?«

»Ja, er und Tippu-Tib. Letzterer hat natürlich seinen Contract gebrochen. Daran kann kein Zweifel sein. Denn wenn er seine 600 Träger oder auch nur die Hälfte derselben mit unsern Sansibariten vereinigt hätte, dann würden wir schon längst von ihnen gehört haben, entweder in Ipoto, als Sie des Bootes wegen dorthin zurückgekehrt waren, oder später, als Sie am 18. September 1887 bei Ugarrowwa eintrafen und wir erst 81 Tage von Jambuja entfernt waren. Hat der Araber, wie er versprach, ohne Verzug Boten abgesandt, so würden wir sicherlich jetzt schon Antwort haben, wenn der Major von Jambuja aufgebrochen wäre. Auch die Boten, welche wir am 16. Februar mit Ihnen nach der Station Ugarrowwa's gesandt und die Sie am 16. des nächsten Monats gegenüber der Station sicher über den Fluß geleitet haben, sämmtlich ausgesuchte, wohlbewaffnete und mit dem Wege vertraute Männer, würden sicherlich bisjetzt zurückgekehrt sein, wenn die Nachhut nur wenige Wochen Marsch von Jambuja entfernt wäre. Ich bin daher positiv überzeugt, daß Major Barttelot in der einen oder andern Weise die Ursache der Verzögerung ist.«

»Nun ja, es mag wol sein, aber wenn Sie vielleicht denken, daß der Major unloyal ist, so –«

»Unloyal! O, wer hat Sie denn auf dieses Wort gebracht? Ein solches Wort steht hoffentlich in keiner Verbindung mit irgendjemand bei dieser Expedition. Unloyal? Weshalb soll irgendeiner unloyal sein? Und unloyal gegen wen?«

»Nun, nicht unloyal, aber nachlässig oder nicht energisch genug beim Vordringen; ich bin überzeugt, er hat sein Bestes gethan.«

»Ohne Zweifel hat er in seiner Weise sein Bestes gethan, aber wie ich ihm am 18. September in dem Briefe, welchen die Träger Ugarrowwa's ihm überbringen sollten, schrieb, ist es seine Hastigkeit und Unerfahrenheit, die ich fürchte, nicht seine Unloyalität und Nachlässigkeit. Ich fürchte, die Wirkung der keinen Unterschied machenden Bestrafung seiner Leute ist eine derartige gewesen, daß die Nachbarschaft der Stanley-Fälle und der Araber sich als eine unwiderstehliche Versuchung zur Desertion erwiesen hat. Wenn unsere Briefe wirklich unterwegs verloren gegangen sind, dann wird unsere lange Abwesenheit – bis heute fast 12 Monate und ehe wir Jambuja erreichen mindestens 14 Monate! – der Grund zu allerlei Gerüchten sein. Wenn die Sansibariten von Bolobo ihn erreicht haben, müßte er über 200 Träger gehabt haben. Angenommen daß die Waaren und Leute zu gehöriger Zeit eingetroffen sind und daß er, nachdem er Tippu-Tib's Treubruch erkannt hatte, den Marsch angetreten hat, wie er es versprochen, so mußte er in 12 Monaten bei den Panga-Fällen sein; aber wenn die schwere Aufgabe ihn und er seine Träger demoralisirt hat, dann hat er weit unterhalb der Panga-Fälle, vielleicht bei den Wespen-Schnellen, bei Mupe oder Banalja, oder bei den Gwengwere-Schnellen, mit nur 100 verzweifelnden Trägern und seinen Sudanesen Schiffbruch gelitten und ist durch die Größe seiner Aufgabe mit Gewalt gezwungen, halt zu machen und zu warten. Ich habe jede mögliche Lösung versucht, und dies ist die einzige, welche nach meiner Meinung die richtige sein wird.«

»Wollen Sie nur 100 Mann übriglassen? Das ist sicherlich sehr wenig.«

»Nun, ich schätze seinen Verlust nach dem, was wir selbst verloren haben, auf ungefähr 50 Procent. Wir haben eine Kleinigkeit weniger verloren, da von unsern ursprünglichen 389 noch 203 am Leben sind, 4 am Njansa, 60 im Fort, 119 die mit mir gehen, und 20 Boten.«

»Ja, aber die Nachhut hat keine solche Hungersnoth durchzumachen gehabt wie wir.«

»Ebenso wenig haben sie den Ueberfluß gehabt, dessen wir uns während der letzten sieben Monate erfreut haben; das gleicht sich also vielleicht aus. Indeß ist es nutzlos, über diese Punkte noch weitere Muthmaßnngen anzustellen.

»Der Erfolg, den ich von meinen Plänen erwartete, ist mir entgangen. Der Pascha hat niemals das südliche Ende des Sees besucht, wie ich ihm in meinem Briefe aus Sansibar vorgeschlagen hatte. Das hat uns vier Monate gekostet, und von Barttelot erfahren wir kein Wort. Unsere Leute sind zu Dutzenden gefallen, und wohin ich mich wenden mag, ist wenig Trost aus den Aussichten zu schöpfen. Das Elend hängt über diesem Walde wie das Leichentuch über dem Todten; er ist gleichsam eine wegen ihrer Schändlichkeit verdammte Region, wer seinen Bannkreis betritt, wird der Gegenstand des göttlichen Zorns. Alles was wir zur Entschuldigung etwaiger Irrthümer, die wir begangen haben, sagen können, ist, daß unsere Motive rein, unsere Zwecke weder geldgierig noch selbstsüchtig sind. Unsere Strafe soll ein reines Opfer sein, die Erfüllung unserer Pflicht. Lassen Sie uns alles, was uns auferlegt wird, wie Männer, die zu Opfern bestimmt sind, ertragen, ohne an die Folgen zu denken. Jeder Tag hat seine eigene Last von Mühen. Weshalb sollen wir an die Noth von morgen denken? Lassen Sie mich von Ihnen aufbrechen mit der Ueberzeugung, daß Sie während meiner Abwesenheit von Ihrer Pflicht nicht abweichen werden, und daß ich mir um Ihretwegen keine Sorgen zu machen brauche. Wenn der Pascha und Jephson mit Trägern hier eintreffen, ist es für Sie, für jene und für mich besser, daß Sie gehen; kommen sie nicht, dann bleiben Sie, bis ich zurückkomme. Lassen Sie mir Zeit bis ungefähr um den 22. December herum; wenn ich dann nicht zurückgekehrt bin, berathen Sie sich mit Ihren Freunden und später mit Ihren Leuten, und thun Sie das, was Sie für das Beste und Klügste halten. Was uns betrifft, so werden wir so weit zurückmarschiren, bis wir Barttelot finden, selbst bis nach Jambuja, aber nicht über diesen Ort hinaus, obwol er alles mit sich den Kongo hinabgenommen haben mag. Wenn er Jambuja verlassen und weit fort nach Südosten, anstatt nach Osten gewandert ist, werde ich ihm folgen und wenn ich ihn einhole, mir einen Pfad durch den Wald auf dem allerdirectesten Wege nach Fort Bodo bahnen. Sie müssen sich vorstellen, daß alles dies passirt ist, wenn ich nicht im December eintreffe, und annehmen, daß noch vieles andere passirt sein kann, was uns aufgehalten hat, ehe Sie sich dem festen Glauben hingeben, daß wir für ewig geschieden sind.«

Das Instructionsschreiben für Lieutenant Stairs lautete folgendermaßen:

Fort Bodo, Centralafrika, 13. Juni 1888.

Geehrter Herr!

Während meiner Abwesenheit mit der Vorhut der Expedition, die jetzt im Begriff steht, zum Beistande von Major Barttelot und der Nachhut zurückzukehren, ernenne ich Sie zum Commandanten von Fort Bodo. Ich lasse Ihnen eine Garnison, welche einschließlich der Kranken fast 60 Büchsenträger zählt. Die Leute sind meist nicht von dem Kaliber, wie man sie für eine Garnison in einem gefährlichen Lande gebraucht, können aber sämmtlich ihre Gewehre abfeuern und sind in guter Verfassung, und Sie haben Ueberfluß an Munition. Hauptsächlich verlasse ich mich auf den Commandanten selbst. Wenn der Chef thätig und wachsam ist, ist unser Fort sicher und keine Vereinigung von Eingeborenen kann die Garnison aus ihrer geschützten Stellung vertreiben. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich mit voller Zuversicht von Ihnen fortgehe.

Was die Verbesserungen betrifft, die am Fort Bodo vorgenommen werden sollen und welche ich Ihnen schon mündlich auseinandergesetzt habe, so möchte ich vorschlagen, daß Sie, da das Fort nach seiner Vollendung ausgedehnter als gegenwärtig sein wird, etwa 20 oder 30 der anständigern und reinlichern Ihrer Leute auswählen, damit dieselben die Gebäude im Fort bewohnen, bis wir dieselben für andere Personen gebrauchen, weil

1. Sie dann in keiner Gefahr sind, durch einen kühnen Feind von Ihrer Garnison abgeschnitten zu werden;

2. dann ein Drittel Ihrer Leute sich innerhalb der Thore befindet und für ganz plötzliche Befehle von Ihnen bereit ist;

3. die Gebäude im Innern des Fort durch das Bewohnen in trockenem und wohnlichem Zustande erhalten werden.

Mais. Beginnen Sie etwa am 15. Juli mit dem Auspflanzen des Korns. Am 1. Juli müßten Sie mit dem Aufhacken und Ausroden des Bodens anfangen.

Bananen. Ich bin sehr besorgt wegen der Bananen. Sie sollten zweimal wöchentlich eine starke Patrouille um die Pflanzungen herumschicken, um die Eingeborenen und auch die Elefanten fortzuscheuchen. Für die letztern würden vielleicht ein halbes Dutzend Feuer an ebenso vielen Punkten genügen.

Die Patrouille müßte von einem Offizier begleitet werden, damit Sie einen verläßlichen Bericht erhalten über das, was vorgeht. Sollten Sie die Meldung bekommen, daß die Bananen knapp werden, dann müßten Sie anfangen, den Leuten Rationen zuzutheilen, und stets ihren Vorrath durch Detachements von den entferntesten Punkten der Pflanzungen holen lassen. Die Bananen in nächster Nähe des Fort lassen Sie ganz reif werden, ebenso sollte es beim Mais geschehen. Es würde auch gut sein, die Pflanzungen an den Hauptwegen entlang bis zur Reife unberührt zu lassen.

Kapitän Nelson lasse ich als Nächstcommandirenden zurück, damit er den Befehl übernimmt, wenn Sie wegen Krankheit oder infolge eines Unfalls nicht fähig dazu sein sollen.

Dr. T. H. Parke bleibt als Arzt zurück, um die Aufsicht über die Kranken zu übernehmen.

Selbstverständlich ist es unmöglich zu sagen, wann wir zurückkehren werden, da wir nicht die geringste Idee haben, wo die Nachhut sich befindet, doch werden wir unser Bestes thun. Wenn der Major noch in Jambuja ist, können Sie unserer Ankunft im Laufe des December entgegensehen.

Ich erwarte Emin Pascha und Jephson hier in ungefähr zwei Monaten, d. h. etwa um Mitte August.

Sollte Herr Jephson mit einer genügenden Zahl von Trägern kommen, dann würde ich Ihnen empfehlen, das Fort zu räumen, Herrn Jephson mit der Garnison nach dem Njansa zu begleiten und sich und Ihre Truppe bis zu unserer Rückkehr Emin Pascha zur Verfügung zu stellen. Wenn ich ostwärts marschire, beabsichtige ich, vom Népoko einen nördlichen und östlichen Pfad einzuschlagen und auf die Fähre über den Ituri loszusteuern.

Damit ich, wenn ich die Ituri-Fähre erreiche, weiß, ob Sie das Fort geräumt haben oder nicht, bitte ich Sie, sich zu erinnern, daß auf dem rechten Ufer in der Nähe der Fähre eine Anzahl sehr hoher Bäume steht, in welche Sie mehrere breite Pfeile schnitzen können, zum Zeichen, daß Sie passirt sind. Sie könnten auch an einer hervorragenden Stelle in der Nähe der Fähre den Tag Ihres Uebergangs einschnitzen. Das würde mir sehr viel Zeit und Sorge um Sie ersparen.

Da unsere 20 Boten am 16. Februar von hier abmarschirt sind, werden es am 16. Juni vier Monate, seit sie fort sind. Wenn Jephson etwa in zwei Monaten eintrifft, werden es dann etwa sechs Monate sein, seitdem die Boten Fort Bodo verlassen haben, eine vollständig genügende Zeit, um jeden Zweifel wegen derselben zu zerstreuen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Gefährten eine gute Gesundheit und eine sichere Ankunft am Njansa. Wir unsererseits werden unser Werk mit der Schnelligkeit, welche die Umstände gestatten, zur Ausführung bringen.

Ihr ergebener
Henry M. Stanley,
Befehlshaber der Entsatz-Expedition.

Herrn Lieut. W. G. Stairs,
Commandant des Fort Bodo.



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