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Zehntes Kapitel.
Bei den Manjema in Ipoto.

Die Elfenbeinjäger in Ipoto. – Ihr Verfahren. – Die Anführer der Manjema und ihre Beutezüge. – Mittel zur Verhinderung der Verwüstungen im Großen. – Von Cardinal Lavigerie gepredigter Kreuzzug. – Unsere Sansibar-Anführer. – Besorgniß wegen Kapitän Nelson's und seiner Begleiter. – Unsere Leute verkaufen ihre Waffen für Lebensmittel. – Diebstahl von Gewehren – Die Rückgabe derselben verlangt. – Uledi trifft mit Nachrichten von den vermißten Anführern ein. – Vereinbarungen mit den Manjema-Anführern betreffend die Rettung des Kapitän Nelson. – Jephson's Bericht über seinen Marsch. – Die Berichte Kapitän Nelson's und Dr. Parke's. – Abschluß von Blutsbrüderschaft zwischen mir und Ismaili. – Abmarsch von Ipoto.

 

Diese in Ipoto ansässige Gesellschaft von Elfenbeinjägern war fünf Monate vor unserer Ankunft vom Lualaba hergekommen, und zwar von einem am rechten Ufer zwischen den Mündungen des Lowwa und des Leopoldflusses gelegenen Punkte. Die Reise hatte 7½ Monate in Anspruch genommen, während welcher Zeit sie auf ihren Wanderungen weder Gras noch waldfreies Land gesehen, ja nicht einmal davon gehört hatten. Einen Monat hatten sie in Kinnena am Lindi halt gemacht und ein Stationsgebäude für ihren Häuptling Kilonga-Longa gebaut, der nach seiner Wiedervereinigung mit der Haupttruppe etwa 200 mit Gewehren Bewaffnete und 200 Sklaven als Träger in nordöstlicher Richtung weiter geschickt hatte, um irgendeine weit vorn gelegene wohlhabende Niederlassung zu entdecken, von wo sie in Trupps ihre Züge unternehmen könnten, um zu zerstören, niederzubrennen und Sklaven gegen Elfenbein auszutauschen. Infolge der anhaltenden Kämpfe und der Sorglosigkeit, in welche ungezügelte Gemüther nach einem oder mehrern glücklichen Erfolgen so leicht verfallen, hatte ihre Zahl innerhalb der Zeit von 7½ Monaten sich bis zu einer Truppe von etwa 90 Gewehrträgern verringert. Bei der Ankunft am Lenda-Flusse hatten sie von der Niederlassung Ugarrowwa's gehört, worauf sie sich aus dem Umkreise von dessen Streifzügen entfernten, um für ihre eigenen einen Mittelpunkt zu finden. Nach Ueberschreiten des Lenda war es ihnen gelungen, das südliche Ufer des Ituri zu erreichen, ungefähr südlich von ihrer gegenwärtigen Niederlassung in Ipoto.

Als die Eingeborenen ihnen beim Uebersetzen über den Fluß auf das nördliche Ufer nicht helfen wollten, fällten sie einen großen Baum und höhlten ihn mit Axt und Feuer zu einem ziemlich großen Kanoe aus, welches sie nach Ipoto hinüberbrachte. Mit diesem Tage haben sie eine der blutigsten und verheerendsten Laufbahnen begonnen, mit der sich sogar diejenigen Tippu-Tib's und Tagamojo's nur schlecht vergleichen lassen. In der Gegend der Flüsse Lenda und Ihuru haben sie jede Niederlassung bis auf den Boden in Asche gelegt, ja ihre Zerstörungswuth hat sich sogar gegen die Bananenhaine gerichtet; jedes Kanoe auf den Flüssen wurde in Stücke zersplittert, jede Insel durchsucht; sie sind in die verborgensten Schlupfwinkel, wohin nur irgendein Pfad führen mochte, hineingedrungen, nur getrieben von der einen in ihnen vorherrschenden Leidenschaft, so viel Männer zu tödten und so viel Weiber gefangen zu nehmen, wie Grausamkeit und List es ihnen möglich machte. Wie weit nördlich und östlich diese Leute vorgedrungen sind, ist nicht bekannt geworden, der eine sagte 9, der andere 15 Tagemärsche; wo sie aber gewesen sein mögen, überall haben sie dasselbe gethan, was wir zwischen dem Lenda-Fluß und Ipoto wahrgenommen hatten; sie haben das Waldland in eine schreckliche Wildniß verwandelt und auf dem ganzen ungeheuern Gebiet nicht eine einzige Hütte stehen lassen.

Was diese Zerstörer an Hainen und Pflanzungen von Bananen und Paradiesfeigen, an Maniok- und Maisfeldern übriggelassen haben, ist von Elefanten, Schimpansen und sonstigen Affen zu verwesendem, stinkendem Koth zertreten und zermalmt worden, und an der Stelle der frühern Dörfer sind mit der Schnelligkeit der Pilze großblätterige, in dem Schutt heimische Pflanzen aufgeschossen, Dornsträucher, Rohr und Gestrüpp, das die Eingeborenen in frühern Zeiten mit Messern, Aexten und Hacken ausgerodet hatten. Mit jeder Jahreszeit wurde das Gestrüpp kräftiger und höher, und es bedurfte nur noch einiger weniger Jahre, um alle Spuren der frühern Wohnplätze und Arbeiten zu bedecken.

Die Entfernung von Ipoto nach dem Lenda beträgt auf dem von uns zurückgelegten Wege 169 km, sodaß man in der Annahme, daß dies die Entfernung ist, über welche die Araber ihre Raubzüge nach Osten, nach Norden und Süden ausgedehnt haben, ein Areal von etwa 104 000 qkm erhält. Aus den vorhergehenden Schilderungen wissen wir, was Ugarrowwa gethan hat und was er noch jetzt mit seiner ganzen Geisteskraft thut; und ebenso wissen wir auch, was die an den Stanley-Fällen festgesetzten Araber am Lomami thun und welches Teufelswerk Mumi Muhala und Bwana Mohammed rund um den Oso-See, der Quelle des Lulu, ausführen. Weiß man, wo ihre Centren liegen, dann kann man leicht mit einem Zirkel um jedes derselben einen Kreis schlagen, der je eins der großen Gebiete von 100 000-130 000 qkm umfaßt, in welche ein halbes Dutzend entschlossener Männer mit Hülfe einiger hundert Banditen ungefähr drei Viertel des großen Waldes am Oberkongo getheilt haben, nur um zu morden und um Erben etlicher hundert Elefantenzähne zu werden.

Zur Zeit unserer Ankunft in Ipoto waren die Manjema-Führer Ismaili, Chamisi und Sangarameni, äußerlich hübsche, kräftige Burschen, ihrem Anführer Kilonga-Longa für die ihnen anvertrauten Begleiter und Operationen verantwortlich. Abwechselnd zog ein jeder von ihnen von Ipoto nach seinem Unterdistrict aus. So waren Ismaili alle Straßen von Ipoto nach Ibwiri und östlich nach dem Ituri als besonderes Gebiet überwiesen; dasjenige Chamisi's führt dem Wege nach dem Ihuru entlang und dann östlich nach Ibwiri, während Sangarameni das ganze Land nach Osten und Westen zwischen dem Ibina und Ihuru, Nebenflüssen des Ituri, übernommen hat. Insgesammt waren 150 Mann vorhanden, von denen jedoch nur 50 mit Gewehren bewaffnet waren. Kilonga-Longa befand sich noch in Kinnena und wurde in den nächsten drei Monaten auch nicht erwartet. Die Streitkräfte der drei Führer bestanden aus Bakusu, Balegga und Basongora, jungen Leuten, welche von den Manjema in der Waldregion in derselben Weise wie im Jahre 1876 zu Beutejägern herangebildet waren. Die Manjema-Krieger sind ihrerseits von den Arabern und Wasuaheli an der Ostküste geschult worden. Diese außerordentliche Zunahme der Beutejäger im Becken des Oberkongo ist die Frucht der Politik der Araber, alle erwachsenen männlichen Einwohner zu tödten und die Kinder am Leben zu lassen. Die Mädchen werden in die Harems der Araber, Suaheli und Manjema vertheilt, während die Knaben zum Waffentragen ausgebildet und in dem Gebrauch derselben geschult werden. Sobald sie erwachsen und stark genug sind, erhalten sie Frauen aus den weiblichen Dienstboten der Harems und werden als Theilnehmer zu den blutigen Abenteuern zugelassen. Ein gewisser Antheil am Nutzen fällt den großen Unternehmern, wie Tippu-Tib oder Said ben Abed zu; einen geringern Antheil erhalten die Führer, und der Rest wird Eigenthum der Banditen. Manchmal bekommt der Unternehmer auch die großen Elfenbeinstücke im Gewicht von über 15 kg, während diejenigen von 9-15 kg den Führern gehören und die glücklichen Finder den Abfall, die kleinen Stücke und die jungen Zähne behalten dürfen. Es hat daher jedes Mitglied der Karavane Interesse daran, sein Möglichstes zu thun. Die Karavane wird von dem Besitzer wohl bewaffnet und bemannt; er selbst bleibt am Kongo oder Lualaba, genießt seinen Reis und Pilaf und die Freuden seines Harems; die Anführer, von Habsucht und Gier erregt, werden wild und streng, und die Räuber stürzen sich ohne Gnade auf jede Niederlassung, um eine möglichst große Beute an Kindern, Heerden, Geflügel und Elfenbein zu machen.

Alles dies würde offenbar nicht möglich sein, wenn sie kein Pulver besäßen; die Araber und ihre Anhänger würden sich dann keinen Kilometer außerhalb ihrer Niederlassungen wagen. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß wenn man kein Schießpulver mehr nach Afrika hineinläßt, rasch eine allgemeine Wanderung der Araber aus dem Innern von Afrika nach dem Meere zu stattfinden würde, da die Eingeborenenhäuptlinge unermeßlich viel stärker sein würden, als jede Verbindung von mit Speeren bewaffneten Arabern. Welche Aussichten könnten Tippu-Tib, Abed ben Selim, Ugarrowwa und Kilonga-Longa haben gegen die Basongora und Bakusu? Wie könnten die Araber in Udjidji den Wadjidji und Warundi Widerstand leisten, oder die Araber von Unjanjembe unter den Bogenschützen und Speerträgern von Unjamwesi leben?

Es gibt nur ein Mittel gegen diese Vernichtung der afrikanischen Ureinwohner im Großen, und das ist eine förmliche Vereinbarung zwischen England, Deutschland, Frankreich, Portugal, Süd- und Ostafrika und dem Kongostaate gegen die Einfuhr von Schießpulver in irgendeinen Theil des Continents, ausgenommen zum Gebrauch ihrer eigenen Agenten, Soldaten und Beamten, oder zur Beschlagnahme jedes Elefantenzahns; denn es gibt heutigentags im Innern kein einziges Stück mehr, das auf gesetzmäßige Weise erworben ist. Jeder Elefantenzahn, jedes Stück und aller Abfall, kurz alles, was sich davon im Besitz eines arabischen Händlers befindet, ist in Blut getaucht und damit gefärbt. Jedes Pfund Elfenbein hat das Leben eines Mannes, einer Frau oder eines Kindes gekostet, für jede fünf Pfund ist eine Hütte niedergebrannt, für jede zwei Zähne ein ganzes Dorf zerstört, für jede zwanzig Zähne die Vernichtung eines ganzen Distrikts mit seiner Bevölkerung, seinen Dörfern und Pflanzungen als Preis bezahlt worden. Es ist geradezu unglaublich, daß das reiche Herz Afrikas noch jetzt gegen Ende des sich durch so große Fortschritte auszeichnenden 19. Jahrhunderts zur Wüste gemacht, daß Einwohnerschaften, Stämme und Völker vollkommen vernichtet werden sollen, nur weil man Elfenbein zu Schmucksachen oder Billardbällen braucht. Und wen bereichert denn eigentlich dieser blutige Raub des Elfenbeins? Nur einige Dutzend Mischlinge von Arabern und Negern, die, wenn man sie gerecht behandeln wollte, für den Rest ihres Räuberlebens in der strengsten Knechtschaft schwitzen müßten.

Nach diesen schrecklichen Entdeckungen in die civilisirte Welt zurückgekehrt, wurde mir gesagt, daß Cardinal Lavigerie einen Kreuzzug gepredigt habe und in Europa der Wunsch zunehme, nach der Weise der alten Kreuzfahrer mit Waffengewalt die Araber und ihre Anhänger in ihren festen Plätzen in Centralafrika anzugreifen. Das ist so ein Plan, wie man ihn von Leuten erwarten kann, welche Gordon Beifall klatschten, als er mit einem weißen Stabe und sechs Begleitern auszog, um alle Garnisonen des Sudan zu befreien, eine Aufgabe, welche 14 000 seiner Landsleute unter einem der geschicktesten englischen Generale damals unmöglich gefunden haben würden. Wir rühmen uns, Praktische und vernünftige Männer zu sein, und dennoch lassen wir hin und wieder einen Enthusiasten – mag er Gladstone, Gordon, Lavigerie oder sonstwie heißen – sprechen, und es verbreitet sich eine Woge von Donquixotismus über viele Länder. Das Neueste, was ich in Sachen dieses wahnwitzigen Projekts hörte, war, daß eine Schar von 100 Schweden, von denen jeder 500 Mark zu dem Unternehmen beigesteuert hat, im Begriffe stehen, nach irgendeinem Punkte der ostafrikanischen Küste zu segeln und sich dann nach dem Tanganika zu begeben, um in prahlerischer Weise die Ausrottung der arabischen Sklavenhändler zu beginnen, in Wirklichkeit aber, um Selbstmord zu begehen.

Diese Dinge sind jedoch nicht der Zweck dieses Kapitels. Wir stehen im Begriff, noch eine weit intimere Bekanntschaft mit der Moral der Manjema zu machen und sie besser verstehen zu lernen, als wir es je erwartet haben.

Wir hatten bislang weder bestimmte Nachrichten, noch Gerüchte von unsern Anführern gehört, die wir als Eilboten abgesandt hatten, um für die Truppe Nelson's Hülfe herbeizuholen, und da es kaum möglich war, daß eine hungerleidende Karavane den Marsch zwischen Nelson's Lager und Ipoto rascher zurücklegen würde als sechs thatkräftige, intelligente Männer, fingen wir doch an zu fürchten, daß die Sansibaritenführer ebenfalls zur Schar unserer Verlorenen würden gezählt werden müssen. Ihr Weg war bis zu dem Flußübergangspunkte vom 14. und 15. Oktober leicht zu verfolgen; vermuthlich hatten die Männer dann gedankenlos den Weg flußaufwärts fortgesetzt, bis sie von den Wilden eines unbekannten Dorfes überwältigt wurden. Auch wegen Kapitän Nelson und seiner Begleiter war unser Gemüth nicht ganz frei von Besorgniß. Es waren bereits 13 Tage verflossen, seitdem wir uns getrennt hatten; während dieser Zeit war ihre Lage nicht schlimmer als die unserige gewesen, denn sie waren ebenso vom Walde umgeben wie wir, und nur nicht ebenso schwer wie wir belastet. Die kräftigsten Leute konnten in der Nachbarschaft nach Lebensmitteln suchen, oder mit den Kanoes nach dem Schauplatz unsers Fourragirens vom 3. December hinüberfahren, der über Land nur einen Tagemarsch und zu Wasser eine Stunde entfernt war. Auf den Hügelkämmen oberhalb des Lagers kamen Beeren und Schwämme wie in andern Theilen des Waldes im Ueberfluß vor, aber dennoch waren wir besorgt, und ich hielt es deshalb für eine meiner ersten Pflichten, den Versuch zu machen, eine Entsatztruppe mit dem Transport von Lebensmitteln nach dem Lager Nelson's zu beauftragen. Man versprach mir, daß die Sache am nächsten Tage unternommen werden sollte.

Für uns selbst erhielten wir drei Ziegen und zwölf Körbe mit Mais, bei deren Vertheilung auf jeden Mann sechs Kolben trafen. Sie dienten uns zu zwei Mahlzeiten, nach denen viele, wie ich, sich neu belebt und erfrischt gefühlt haben müssen.

In den ersten Tagen unsers Aufenthalts in Ipoto litten wir beträchtlich an Mattigkeit. Die Natur gibt uns entweder Hunger und nichts zu essen, oder bereitet uns ein Fest und beraubt uns jeglichen Appetits. An diesen zwei Tagen hatten wir reichlich Reis und Pilaf, sowie geschmortes Ziegenfleisch gegessen, und infolge dessen begannen wir an allerlei Beschwerden zu leiden. Die Kauwerkzeuge hatten ihre Function vergessen, die Verdaunngsorgane wollten die Leckerbissen nicht annehmen und schienen in Unordnung gerathen zu sein. Im Ernste gesprochen, es war die natürliche Folge des Ueberessens; Maisbrei, Grütze, gedörrter Mais, Bohnen und Fleisch sind feste Stoffe, welche Magensaft brauchen, der, nachdem wir so lange Hunger gelitten hatten, nicht in genügender Menge für den großen Bedarf vorhanden war.

Die Manjema hatten etwa 120-160 ha mit Mais, 2 ha mit Reis und ebenso viel mit Bohnen bebaut. Auch Zuckerrohr wurde viel cultivirt. Sie besaßen ungefähr 100 Ziegen, die sämmtlich von den Eingeborenen gestohlen waren, und hatten in den Speicherhütten ungeheuere Mengen von Mais, den sie aus einem Dorfe in der Nähe des Ihuru gestohlen und noch nicht ausgehülst hatten. Ihre Bananenpflanzungen waren reich mit Früchten bedeckt, kurz, die Lage aller in der Niederlassung befindlichen Leute war eine vorzügliche.

Wir müssen der Wahrheit gemäß anerkennen, daß wir am ersten Tage mit prahlerischer Freundlichkeit empfangen wurden, allein schon am dritten Tage begann eine gewisse Entfremdung sich zwischen uns zu entwickeln. Vermuthlich hatte ihre Herzlichkeit ihren Grund in dem Glauben, daß unsere Lasten für sie wünschenswerthe Dinge enthielten, leider aber waren unsere besten Perlen, die zum Ankauf ihres ganzen Maisvorraths genügt haben würden, bei dem Kentern eines Kanoe in der Nähe der Panga-Fälle verloren gegangen und die goldgestickten arabischen Burnusse unterhalb der Station Ugarrowwa's von Deserteuren gestohlen worden. Enttäuscht, weil sie die erwartete Menge schöner Stoffe oder feiner Perlen nicht erhielten, begannen sie unsere Leute systematisch zu veranlassen, alles zu verkaufen, was sie besaßen. Dagegen, daß unsere Leute sich von ihren Hemden, Turbanen, Ueberkleidern, Westen, Messern und Gürteln trennten, die ihr persönliches Eigenthum waren, konnten wir nichts einwenden; leider waren aber die glücklichen Besitzer solcher Gegenstände, die von andern weniger Glücklichen beobachtet wurden, wie sie sich an allerlei nahrhaften Dingen ergötzten, das Mittel, um die letztern neidisch zu machen und schließlich zum Diebstahl zu verleiten. Die verschwenderischen, unbesonnenen Burschen verkauften ihre Munitionstaschen, Haumesser, Ladestöcke und endlich die Remingtongewehre. Wir waren also, nachdem wir den schrecklichen Leiden des Hungertodes und dem Schaden, den die vielen wilden Stämme uns hätten zufügen können, entgangen waren, in drohender Gefahr, die Sklaven der arabischen Sklaven zu werden.

Ungeachtet unserer dringenden Bitten um Mais konnten wir nicht mehr als zwei Kolben Per Mann und Tag bekommen. Ich versprach bei der Ankunft unserer Nachhut den dreifachen Preis für die erhaltenen Gegenstände zu bezahlen, allein diesen Leuten gilt der augenblickliche Besitz mehr als der in Aussicht gestellte. Sie thaten, als ob sie bezweifelten, daß wir überhaupt Stoffe besäßen, und stellten sich, als ob sie glaubten, daß wir den ganzen weiten Weg nur gemacht hätten, um sie zu bekriegen. Dem gegenüber stellten wir ihnen vor, daß alles, was wir während unserer neuntägigen Rast brauchten, 6 Kolben Mais täglich seien. Dann verschwanden drei Gewehre, doch leugneten die Anführer jegliche Kenntniß davon ab. Wir waren gezwungen in Rücksicht zu ziehen, daß wenn sie uns wirklich im Verdacht hatten, Schlimmes gegen sie im Schilde zu führen, es für sie gewiß die sicherste und schlaueste Politik war, insgeheim unsere Waffen anzukaufen und uns vollständig wehrlos zu machen, weil sie uns dann zu allen von ihnen beliebten Bedingungen zwingen konnten.

Am 21. October wurden weitere sechs Gewehre verkauft. Wenn das in dieser Weise fortging, würde die Expedition binnen kurzem Schiffbruch gelitten haben, denn eine Truppe von Männern, welche sich ohne Waffen mitten im Herzen von Afrika befindet und eine Horde Feinde im Osten gegen sich und eine große Schar von Leuten, die von ihnen abhängig sind, im Westen stehen hat, ist ohne Hoffnung auf Rettung verloren. Das Vordringen wie der Rückzug waren in gleicher Weise abgeschnitten, und es blieb kein anderer Ausweg übrig als absolute Unterwerfung unter den Willen des Häuptlings, der sich unsern Herrn zu nennen beliebte, oder der Tod. Ich beschloß daher, gegen ein solches Schicksal meinerseits mit aller Macht anzukämpfen und es entweder sofort zu provociren oder durch rasches Handeln abzuwenden.

Ich ließ die Truppen zur Musterung antreten und verurtheilte die fünf Mann, welche ihre Waffen nicht mehr besaßen, zu je 25 Peitschenhieben und zur Fesselung. Nachdem die Leute sehr viel Lärm und Geschrei gemacht hatten und als gerade die Strafe an einem der Verurtheilten vollzogen werden sollte, trat ein anderer vor und bat um die Erlaubniß, sprechen zu dürfen.

»Dieser Mann ist unschuldig, Herr. Ich habe sein Gewehr in meiner Hütte; ich habe es gestern Abend Djuma (einer unserer Köche), dem Sohn des Forkali, abgenommen, als er es zu einem Manjema brachte, um es zu verkaufen. Vielleicht hat Djuma es diesem Mann gestohlen. Ich weiß, daß alle Verurtheilten angegeben haben, die Gewehre seien ihnen gestohlen worden, während sie schliefen. Das ist vielleicht wahr, wie in diesem Falle.« Inzwischen war Djuma geflohen, doch wurde er später in den Maisfeldern verborgen aufgefunden. Er gestand, daß er zwei Gewehre gestohlen und zu dem Angeber gebracht habe, um sie für Mais oder eine Ziege zu verkaufen; er habe es aber nur auf Anstiften des Angebers gethan. Vielleicht war dies wahr, da es kaum einen unter ihnen gab, der eines solchen Benehmens nicht vollständig fähig gewesen wäre; allein die Geschichte schien doch nicht ganz sicher und klang in diesem Falle unglaubwürdig, sodaß ich nicht darauf einging. Dann trat aber ein anderer vor und bezeichnete Djuma als den Dieb, der sein Gewehr gestohlen habe, und da er seine Behauptung bewies und der Missethäter es auch eingestand, so wurde dieser zu sofortiger Hinrichtung verurtheilt, die demgemäß durch Hängen vollzogen wurde.

Weil es nunmehr über jeden Zweifel bewiesen war, daß die Manjema unsere Gewehre für den Preis von wenigen Maiskolben ankauften, ließ ich ihren Anführer kommen und stellte in aller Form das Verlangen sofortiger Rückgabe, weil sonst die Manjema für die Folgen verantwortlich sein würden. Letztere wollten anfänglich wüthend werden und trieben die Sansibariten aus dem Dorfe in die Lichtung, sodaß große Aussicht auf einen Kampf vorhanden und es ebenso wahrscheinlich war, daß die Expedition im Begriffe stand, Schiffbruch zu leiden. Da unsere Leute so vollständig demoralisirt und nach den ertragenen Leiden so sehr entmuthigt waren, daß wir uns nicht auf sie verlassen konnten, und da sie ferner bereit waren, sich selbst für Mais zu verkaufen, war wenig Aussicht vorhanden, daß wir im Falle eines Kampfes den Sieg erringen würden. Der Magen muß gefüllt sein, wenn man tapfer sein soll. Andererseits mußte der Tod unter allen Umständen ein Ende mit uns machen, denn unter solchen Verhältnissen unthätig zu bleiben, diente doch nur dazu, schließlich die Entscheidung durch Waffengewalt herbeizuführen. Gleichzeitig mit den elf Gewehren waren auch 3000 Patronen verkauft worden; es blieb mir daher nichts anderes übrig, als fest auf meiner Zurückforderung der Waffen zu bestehen, und ich wiederholte dieselbe mit der Drohung, daß ich sonst andere Mittel ergreifen würde. Als Beweis dafür, daß ich es ernstlich meinte, brauchten sie nur die an dem Baum hängende Leiche anzusehen, denn wenn wir schon bei unsern eigenen Leuten zu so extremen Maßregeln schritten, daß wir einen derselben mit dem Tode bestraften, dann mußten sie sicherlich wissen, daß wir vollständig bereit seien, auch an denen Vergeltung zu üben, die in Wirklichkeit an seinem Tode schuld waren, weil sie ihre Thüren zum Empfang des uns gestohlenen Eigenthums offen gehalten hatten.

Nach etwa einstündigem Lärmen in ihrem Dorfe brachten sie mir fünf Gewehre und zeigten zu meiner Ueberraschung mir auch die Verkäufer derselben an. Wäre es nicht unpolitisch gewesen, bei dieser ersten Gelegenheit die Dinge auf die Spitze zu treiben, dann würde ich es abgelehnt haben, ein Gewehr zurückzunehmen, wenn mir nicht alle gebracht würden, und wäre ich der Hülfe von nur 50 Mann sicher gewesen, dann würde ich mich für den Kampf entschieden haben; aber gerade in diesem Augenblicke kam Uledi, der treue Steuermann des »Advance«, ins Lager mit der Nachricht, daß das Boot wohlbehalten am Landungsplatze von Ipoto liege und die sechs vermißten Anführer halbverhungert und verirrt 6 km von der Niederlassung entdeckt worden seien. Diese Meldung rief ein versöhnliches Gefühl in mir hervor. Die Dankbarkeit für die Entdeckung meiner vermißten Leute, der Anblick Uledi's, das Bewußtsein, daß ich trotz der Verderbtheit der menschlichen Natur doch noch einige getreue Burschen hatte, machten mich für den Augenblick sprachlos.

Dann erzählte ich Uledi den Vorfall, und er unternahm es, die feindselige Stimmung der Manjema zu beseitigen, und bat mich, Vergangenes vergangen sein zu lassen, unter dem Hinweis darauf, daß die dunkeln Tage jetzt zu Ende seien und, wie er überzeugt sei, glückliche Zeiten für uns in Aussicht ständen.

»Denn, lieber Herr«, sagte er, »nach der längsten Nacht bricht bestimmt der Tag an, weshalb soll also bei uns nicht Sonnenschein nach der Dunkelheit kommen? Denkt daran, wie viele lange Nächte und dunkle Tage wir in alten Zeiten durchgemacht haben, als wir miteinander durch Afrika vordrangen, und laßt jetzt Frieden in Euerm Herzen sein. Mit Gottes Willen werden wir binnen kurzem unsere Schwierigkeiten vergessen.«

Die Schuldigen wurden auf meinen Befehl bis zum Morgen gefesselt. Uledi wandte sich in seiner kühnen, offenen Weise direct an die Leidenschaften der Manjema-Häuptlinge, die mir dann Mais brachten und sich entschuldigten, womit ich zufrieden war. Der Mais wurde unter unsere Leute vertheilt, und so endete dieser unruhige Tag, der uns alle so nahe an den Rand des Untergangs gebracht hatte, in weit befriedigenderer Weise, als ich es bei seinem unheilkündenden Beginn gehofft hatte.

Unsere Anführer, welche wir als Vorboten unsers Herannahens auf dem langen Landweg nach Ipoto geschickt hatten, trafen am Sonnabend, den 23. October ein. Sie hatten natürlich einen fruchtlosen Zug unternommen, da sie uns als schon alte Bewohner des Ortes fanden, den sie hatten aufsuchen sollen. Hager, bleich und schwach infolge des 17tägigen Lebens von den Gaben der unbewohnten Wildniß, schämten sie sich auch wegen ihres Nichterfolges. Sie waren an den aus Südosten kommenden Ibina-Fluß gelangt, hatten denselben zwei Tagemärsche oberhalb seiner Mündung in den Ituri erreicht und waren ihm dann bis zu seiner Vereinigung mit dem Hauptstrom gefolgt. Dort hatten sie ein Kanoe gefunden und waren ans rechte Ufer gerudert, wo sie vor Hunger beinahe umgekommen waren. Glücklicherweise hatte Uledi sie rechtzeitig entdeckt und ihnen die Richtung nach Ipoto angegeben, worauf sie, so gut sie konnten, nach dem Lager gekrochen waren.

Vor Abendwerden kehrte auch Sangarameni, der dritte der Manjema-Führer, mit 15 schönen Elefantenzähnen von einem Raubzuge zurück. Er erzählte, er habe einen 20tägigen Marsch gemacht und von einem hohen Hügel in ein offenes Land hinabgeblickt, das überall mit Gras bedeckt gewesen sei.

Von einem Vorrath von Mais, den ich an diesem Tage erhielt, konnte ich jedem Manne zwei Kolben geben und auch noch einige Körbe voll für die Abtheilung Nelson's zurückbehalten. Allein die Dinge schritten nicht glatt weiter und ich konnte keine günstige Antwort auf meine dringende Bitte um Entsendung eines Entsatzcorps bekommen. Einer unserer Leute war von den Manjema mit einem Speer erstochen worden, weil er auf den Feldern Getreide gestohlen hatte; einer war gehängt, 20 waren wegen Diebstahls von Munition gepeitscht worden und ein anderer hatte von den Manjema 200 Hiebe bekommen, weil er zu stehlen versucht hatte. Wenn die Leute während dieser Zeit nur vernünftig hätten denken können, wie rasch wären die Dinge in anderer Weise erledigt worden!

Ich hatte zu ihnen gesprochen und sie in allem Ernste gebeten, auszuhalten und guten Muthes zu sein; es seien zwei Wege zur Erledigung der Sache, doch fürchtete ich nur, daß sie den Auswurf der Manjema unsern Löhnen und Arbeiten vorzögen; die Manjema bewiesen ihnen, was sie von ihnen zu erwarten hätten; bei uns seien die schlimmsten Zeiten vorüber; alles, was wir zu thun hätten, sei, über den äußersten Bereich der Raubzüge der Manjema hinauszumarschiren, worauf wir alle ebenso kräftig werden würden wie sie. Bah! ich hätte meine Ermahnungen ebenso gut an die Bäume des Waldes richten können wie an diese von Verzweiflung erfaßten Wichte.

Die Manjema hatten mir zu drei verschiedenen malen versprochen, an diesem Tage 80 Mann als Hülfscorps nach dem Lager Nelson's abzuschicken, doch hatten die Ankunft Sangarameni's, sowie verschiedene Misverständnisse und andere Kleinigkeiten die Vereinbarung wieder über den Haufen geworfen.

Am 24. hörten wir Schießen auf der andern Seite des Flusses, und unter dem Vorwande, daß es die Ankunft Kilonga-Longa's ankündige, wurde die Hülfskaravane wiederum am Abmarsch verhindert.

Am nächsten Tage trafen die Leute, welche geschossen hatten, im Lager ein und erwiesen sich als die Manjema-Sklaven, welche wir am 2. October gesehen hatten. Sie hatten von 15 Mann einen durch eine Pfeilwunde verloren und waren 24 Tage umhergewandert, um den Weg zu suchen, doch hatten ihre Lebensmittel, da sie keine weitern Lasten gehabt hatten, bei einiger Sparsamkeit 15 Tage ausgehalten; die letzten neun Tage hatten sie sich von Schwämmen und Früchten des Waldes genährt.

An diesem Abend gelang es mir, die drei Häuptlinge zur Unterzeichnung eines Vertrags zu bewegen und zu Folgendem zu verpflichten:

»Kapitän Nelson 30 Mann mit 400 Kolben Mais für seine Leute zu Hülfe zu senden;

»Kapitän Nelson und Dr. Parke, sowie alle Kranken, welche zur Arbeit auf dem Felde nicht im Stande sind, bis zu unserer Rückkehr vom Albert-See mit Lebensmitteln zu versorgen;

»Uns einen Führer von Ipoto nach Ibwiri zu geben, wofür wir bei der Ankunft der Nachhut anderthalb Ballen Stoffe zahlen sollten.«

Der Vertrag wurde von Raschid in arabischer und von mir in englischer Sprache aufgesetzt und von drei Leuten als Zeugen unterschrieben.

Für einige Luxusgegenstände aus meinem persönlichen Eigenthum gelang es mir für Herrn Jephson und Kapitän Nelson 250 Kolben Mais zu kaufen; ferner erwarb ich für 250 Pistolenpatronen eine entsprechende Menge, für einen kleinen Spiegel mit Elfenbeinrahmen aus einem Reisenecessaire zwei Körbe voll Mais und für drei Fläschchen Rosenessenz drei Hühner, sodaß ich für die Rettungsmannschaft und für die geretteten Leute 1000 Kolben Mais besaß.

Am 26. October traten Herr Mounteney Jephson, 40 Sansibariten und 30 Manjema-Sklaven den Marsch nach dem Lager Nelson's an; ich vermag denselben nicht besser zu schildern als durch Einfügung des Berichts des Herrn Jephson.

Arabische Niederlassung bei Ipoto, 4. November 1887.

Geehrter Herr!

Am 26. October brach ich mittags auf und traf am selben Nachmittage mit 30 Manjema und 40 Sansibariten am Flusse ein, überschritt denselben und schlug nach der Landung das Lager auf. Am nächsten Morgen machten wir uns frühzeitig auf den Weg, worauf wir gegen Mittag das Lager erreichten, wo wir den Fluß überschritten haben, als wir in halbverhungertem Zustande umherwanderten, um die Araber aufzusuchen. Die Zeichen und Pfeilspitzen, mit denen wir die Bäume bezeichnet hatten, um den Anführern mitzutheilen, daß wir über den Fluß gegangen seien, waren noch frisch. Am selben Abend erreichte ich noch einen zweiten von unsern Lagerplätzen und am nächsten Tage legten wir beinahe drei von unsern frühern Märschen zurück. Das Lager, wo Ferusi Ali seine Todeswunde erhielt und wir drei solch schreckliche Tage des Hungers und der Sorge verlebt haben, sah sehr traurig aus, als wir durchpassirten. Im Laufe des Tages bemerkten wir die Gerippe von drei von unsern Leuten, welche liegen geblieben waren und geradezu verhungert sind; sie erinnerten in schrecklichster Weise an das Elend, welches wir kürzlich durchgemacht haben.

Sobald es am 29. October Tag wurde, brach ich auf, da ich entschlossen war, Nelson an diesem Tage zu erreichen und die Frage zu entscheiden, ob er noch am Leben sei. In Begleitung von nur einem Mann befand ich mich bald meinen übrigen Leuten weit voraus. Als ich mich dem Lager Nelson's näherte, überkam mich eine fieberhafte Ungeduld, sein Schicksal zu erfahren, und ich drang rasch vor, durch Fluß und Bach und Sumpf und über Hügel, über welche sich unsere verhungernden Leute mit den Abtheilungen des Bootes langsam und mühsam weiter gearbeitet hatten. Wir passirten alle Schwierigkeiten heute sehr schnell; wieder bezeugten uns die Skelette am Wege die Prüfungen, welche wir durchlebt hatten. Als ich von dem Hügel in Nelson's Lager herabkam, hörte ich keinen weitern Laut, als das Aechzen zweier Sterbenden in einer nahen Hütte; der ganze Platz hatte das Aussehen des Verlassenseins und der Trauer. Ich ging leise um das Zelt herum und fand Nelson dort sitzen; wir schüttelten uns die Hand, dann wandte der arme Bursche sich ab und seufzte und murmelte etwas über seine sehr große Schwäche.

Das Aussehen Nelson's hatte sich sehr verändert; er sah matt und hager aus und hatte tiefe Falten um Augen und Mund. Er erzählte mir von seiner Sorge, als ein Tag nach dem andern verstrich und keine Hülfe kam; endlich war er zu der Ueberzeugung gekommen, daß uns etwas passirt sei und wir gezwungen gewesen seien, ihn zu verlassen. Er hatte hauptsächlich von Früchten und Schwämmen gelebt, die seine beiden Jungen ihm täglich gebracht hatten. Von den 56 Mann, welche Sie bei ihm gelassen haben, waren nur noch 5 übrig, und von diesen lagen zwei im Sterben. Alle übrigen waren entweder desertirt oder umgekommen.

Er selbst ertheilt Ihnen einen Bericht über seine Verluste durch Tod und Desertion. Ich übergab ihm die Lebensmittel, welche Sie ihm gesandt und die ich unterwegs sorgfältig bewacht habe; er ließ sich sofort eins der Hühner und einen Brei kochen, die erste nahrhafte Speise, die er seit vielen Tagen gehabt hat. Nachdem ich einige Stunden bei ihm gewesen war, kamen auch meine Leute an und drängten sich um das Zelt, um ihn zu beglückwünschen.

Wie Sie sich erinnern werden, hatte Nelson mehrere Tage, bevor wir ihn verließen, sehr schlimme Füße, sodaß er während der ganzen Zeit, die er hier war, das Zelt nicht hatte verlassen können. Einmal hatte er zehn Geschwüre an einem Fuße, jetzt ist er jedoch größtentheils wiederhergestellt und meint, daß er im Stande sein würde, langsam zu marschiren. Am 30. October traten wir den Rückmarsch an. Ich theilte die meisten Lasten an die Manjema und Sansibariten aus, war aber gezwungen, 13 Kisten Munition und 7 andere Lasten zurückzulassen. Ich habe dieselben vergraben, sodaß Parke sie später holen kann.

siehe Bildunterschrift

Rettung des Kapitäns Nelson und der Ueberlebenden im Hungerlager.

Nelson machte die Märsche besser, als ich erwartet hatte, wenn er auch am Ende jedes Tages stark erschöpft war. Auf dem Rückwege überschritten wir den Fluß weiter abwärts und wandelten dann am rechten Ufer hinauf, bis wir einen Tagemarsch von dem Lager der Araber Ihre alte Straße trafen. Hier sahen wir noch mehr Skelette, an einer Stelle drei kaum 200 m voneinander entfernt.

Am fünften Tage, d. i. am 3. November, erreichten wir das arabische Lager und hatten somit den Entsatz Nelson's durchgeführt. Er hat sich trotz des Marschirens schon wieder ganz erholt, kann aber nachts nicht schlafen und befindet sich noch in nervösem und stark aufgeregtem Zustande, doch hoffe ich, daß die Ruhe im arabischen Lager ihn wieder aufrichten wird. Das ist sicher, daß er bei seinem Gesundheitszustande uns auf unsern Wanderungen beim Aufsuchen von Lebensmitteln nicht hätte folgen können; er wäre unterwegs umgefallen.

Ich bin u. s. w.
A. I. Mounteney Jephson.

Kapitän Nelson und Dr. Parke haben folgende Berichte abgestattet.

Arabisches Dorf Ipoto, 6. November 1887.

Geehrter Herr!

Herr Jephson ist am 29. October mit den Leuten für die Lasten und den mir von Ihnen gesandten Lebensmitteln in meinem Lager eingetroffen. Vielen Dank für die Nahrung, sie war dringend nothwendig. Er wird Ihnen erzählen, in welchem Zustande er mich und die wenigen Leute fand, die noch am Leben sind.

Sie verließen mich am 6. October. Am Morgen des 9. ließ ich ein Kanoe bereit machen und schickte Umari und 13 der besten Leute, welche ich finden konnte (sie waren alle sehr schlecht), über den Fluß, um Lebensmittel zu suchen. Am 8. kam Assani (von der ersten Compagnie) zu mir und sagte, er sei krank von der Colonne zurückgekehrt. Am selben Tage traf der Bruder Uledi's im Lager ein und meldete, er habe auf der Suche nach Bananen in der Nähe des Lagers, wo wir die Manjema-Leute trafen, den Weg verloren. Am 10. fand ich, daß Djuma, einer der Anführer des Herrn Stairs, in der Nacht mit 10 Mann desertirt war, ein Kanoe gestohlen hatte und damit flußabwärts gefahren war. Am 11. zählte ich die Leute und konnte nur noch 17 auffinden, während ich am ersten Tage 52 gehabt hatte; die übrigen waren fort, entweder hinter der Colonne her oder flußabwärts. Am 14. starb ein Mann. Umari kehrte mit einigen wenigen Bananen, ungefähr für zwei Tage genügend, zurück; dieselben waren uns sehr willkommen, da ich bis dahin nichts als Kräuter und Schwämme zu essen gehabt hatte. Am 15. starb wieder ein Mann; ich fand ferner, daß Saadi (Nr. 1) während der Nacht mit einigen andern Leuten ins Lager gekommen war, das Kanoe, mit welchem Umari über den Fluß zurückgekehrt war, gestohlen hatte und dann flußabwärts gefahren war. Am 17. entfernte sich Umari mit 21 Mann, um Lebensmittel zu suchen; am 19. starb 1 Mann, am 22. 2 Mann, am 23. 1 Mann, am 29., an welchem Tage Jephson ankam, 2 Mann, am 30. 1 Mann. Als wir das Lager auf dem Wege nach hier verließen, war Umari noch nicht zurückgekehrt; ich bin aber überzeugt, daß er, wenn er noch am Leben ist, hierher kommen wird. Wie viele Leute er bei sich hat, vermag ich nicht zu sagen, möglicherweise werden 5 oder 6 Mann mit ihm hier eintreffen. Abgesehen von einigen wenigen Bananen, welche ich von Umari erhielt, habe ich mich nur von Kräutern, Schwämmen und wenigen Mabengu-Früchten ernährt. Ich hatte am linken Bein und Fuß zehn Geschwüre, war deshalb nicht im Stande, selbst nach Lebensmitteln zu suchen, und wurde einzig und allein von meinen zwei Jungen und dem kleinen Baruk, einem von meinen Leuten, sowie Abdulla, den Stairs bei mir zurückgelassen hatte, am Leben erhalten. Bei Jephson's Ankunft war ich sehr schwach, jetzt fühle ich mich jedoch etwas besser. Wir trafen am 3. November hier im Dorfe ein, wo der Häuptling Ismaili mir am Tage der Ankunft ein kleines Quantum grobes Mehl und zwei kleine getrocknete Fische brachte, ungefähr gerade genug für eine Mahlzeit.

Da wir seit zwei Tagen keine Lebensmittel erhalten hatten, schickte ich gestern danach, worauf Ismaili, nachdem er eine Menge Schwierigkeiten gemacht hatte, uns ein wenig Mehl sandte. Gegenwärtig lebe ich vom Verkauf meiner Kleidungsstücke, da wir von dem Häuptling kaum etwas bekommen. Heute gingen wir, Dr. Parke und ich, mit Hamis Pari als Dolmetscher zu dem Häuptling und sprachen mit ihm über die Lebensmittel; er sagte, für meinen Unterhalt sei von Ihnen keine Vereinbarung getroffen und er ernähre den Doctor und mich nur aus eigener Generosität, lehne es aber ab, unsere Jungen, drei im ganzen (mit weniger können wir nicht auskommen), zu füttern, da Sie ihm keinen Auftrag dazu gegeben hätten.

Ich habe die Ehre zu sein etc. etc.
R. H. Nelson.

 

Arabisches Lager Ipoto,
6. November 1887.

Mein lieber Herr Stanley!

Kapitän Nelson und Herr Jephson sind am 3. d. M. hier eingetroffen, nachdem einige der Sansibariten und Manjema am Tage vorher mit ihren Lasten angekommen waren. Von allen im Lager Nelson's zurückgebliebenen Leuten sind nur fünf hier angelangt; die übrigen, welche sich noch am Leben befinden, waren bei der Ankunft der Hülfsabtheilung mit Umari auf einer Fourragirtour begriffen. Höchst wahrscheinlich werden einige von ihnen den Weg hierher finden; in diesem Falle werde ich Ismaili veranlassen, ihnen zu erlauben, daß sie für ihre Verköstigung arbeiten. Nelson schwankte, im Aussehen sehr verändert, ins Lager; er ist durch den Marsch ein vollständiges Wrack geworden, seine Züge sind eingefallen und zeigen die erlittene Noth, seine Gestalt ist auf die Hälfte der frühem Größe reducirt. Ich habe als Arzt mein Bestes für ihn gethan, doch bedarf er guter, nahrhafter Speise, um ihm seine frühere Kraft wiederzugeben. Zu meinem Bedauern muß ich indeß sagen, daß meine hiesigen Erfahrungen und die Unterredung, welche wir heute mit Ismaili gehabt haben, darauf hindeuten, daß wir hier von spärlicher Nahrung werden leben müssen. Seitdem Sie fort sind, bekam ich etwas Mehl und Mais von den Häuptlingen, meist aber erst, nachdem ich mehreremal danach geschickt hatte. Durch einen glücklichen Zufall erhielt ich eine Ziege, welche ich zum größten Theile unter die hier befindlichen Kranken vertheilte, da ich durch Hamis Pari von Ismaili erfahren habe, daß nur diejenigen, welche auf den Feldern arbeiten, zu essen bekommen. Wir haben aber einige Leute, welche thatsächlich nicht im Stande sind zu arbeiten, und deshalb auf den Edelmuth der andern vertrauen, die an jedem Tage, an welchem sie arbeiten, fünf Maiskolben erhalten. Nelson und ich haben beide viel Schwierigkeiten gehabt, um von Ismaili Lebensmittel für unsern eigenen Bedarf zu bekommen, auch hat er sich geweigert, unsere Jungen zu füttern, die wir absolut zum Wasserholen, Kochen u. s. w. gebrauchen, obwol ich für mich jetzt überhaupt nur noch einen einzigen habe.

Heute begaben wir uns, Nelson und ich, mit dem Dolmetscher Hamis Pari zu Ismaili, welcher erklärte, Sie hätten den Häuptlingen gesagt, daß ein großer Msungu (Nelson) kommen und selbst Vereinbarungen wegen seiner Lebensmittel treffen werde, daß ich aber hier von seiner (Ismaili's) Generosität lebe, da Sie wegen meiner keine Vereinbarung getroffen hätten. Ich erinnerte ihn an die Unterredung, welche Sie mit ihm gehabt haben an dem Abend, als Sie mich rufen ließen und mir Ihre goldene Uhr gaben, und erklärte ihm, Sie hatten mir gesagt, daß Sie mit den Häuptlingen ein schriftliches Abkommen getroffen hätten, wonach Nelson und ich beide mit Lebensmitteln versehen werden sollten. Wir sagten ihm beide, wir verlangten keine Ziegen und Hühner, sondern nur das, was er uns geben könne. Da ich eine schriftliche Vereinbarung selbst nicht gesehen hatte, konnte ich mit ihm nicht weiter streiten, verlangte aber, daß er mir das Dokument zeigen sollte, damit ich ihn überzeugen könne; allein er behauptete, das nicht zu können, weil der Häuptling Hamis das Schriftstück habe, der nicht hier sei und erst in zwei Monaten zurückkehren werde. Bald nachher schickte er uns aber doch etwas Mais. Es ist eine sehr unglückliche Lage für uns, die wir hier so lange zu bleiben haben werden. Nelson hat viel von seinen Kleidungsstücken verkauft, und ich habe von meinem spärlichen Vorrathe (denn mein Kleidersack ist auf dem Marsche verloren gegangen) ebenfalls noch weiteres verkaufen müssen, um uns mit genügenden Lebensmitteln zu versorgen.

Wir werden hier so gut wie möglich fertig zu werden suchen und viele Opfer bringen, um die freundlichen Beziehungen mit den Arabern aufrecht zu erhalten, da dies von größter Wichtigkeit ist. Von ganzem Herzen hoffe ich, daß Sie bei der Erreichung des Zieles der Expedition in jeder Beziehung Erfolg und wir alle bald die Gelegenheit haben werden, mit Ihnen wieder zusammenzutreffen und Emin Pascha zu seiner Befreiung zu beglückwünschen.

Mit den besten Wünschen etc. etc.
Dr. T. H. Parke.

 

Arabisches Dorf Ipoto,
10. November 1887.

Geehrter Herr!

Leider habe ich Ihnen mitzutheilen, daß mehrere Versuche gemacht worden sind, die Hütte zu berauben, und daß es auch gestern Nacht den Dieben leider gelungen ist, während wir beim Essen waren, eine Kiste Munition aus dem Zelte Parke's zu stehlen, sowie daß einmal versucht worden ist, die Hütte in Brand zu stecken, was ich glücklicherweise verhindern konnte, weil ich nicht zu schlafen vermochte. Wir haben mit dem Häuptling Ismaili über die Diebstähle gesprochen; er sagt, sie gingen von den Sansibariten und nicht von seinen Leuten aus; wenn aber die Patronen sich nicht verkaufen ließen, würden sie nicht gestohlen werden. Das ist wirklich ein rechtes Unglück für uns. Seitdem Jephson fort ist, hat Ismaili uns die enorme Menge von 40 kleinen Maiskolben geliefert; das ist selbstverständlich lächerlich wenig, und da wir davon nicht leben können, suchen wir uns Kräuter, mit denen wir unsere spärliche Kost ergänzen.

Uledi kehrte heute Nachmittag zurück und geht morgen weiter; ich gebe ihm diesen Brief mit.

Mit freundlichsten Grüßen an Sie, geehrter Herr, an Stairs und Jephson etc. etc.
R. H. Nelson.

N. S. Gerade als ich dieses Schreiben beendet hatte, schickte der Häuptling uns etwas Mehl, was offenbar nur geschehen ist, damit Uledi, welcher auf den Brief wartet, Ihnen erzählen kann, daß wir reichlich (!!) Nahrungsmittel erhalten.

Herrn H. M. Stanley,
Befehlshaber der Expedition zum Entsatze Emin Pascha's.

Am Abend des 26. October trat Ismaili in meine Hütte und erklärte, er habe mich so lieb gewonnen, daß er außerordentlich gern die Ceremonie der Blutsbruderschaft mit mir vornehmen möchte, und da ich im Begriffe stand, Kapitän Nelson, Dr. Parke und etwa 30 Kranke seiner und der Obhut seiner Mithäuptlinge anzuvertrauen, erklärte ich mich sofort bereit dazu, obwol ich es etwas unter meiner Würde hielt, Brüderschaft mit einem Sklaven zu machen; allein da er bei jener Horde blutgieriger Banditen große Gewalt besaß, verschmerzte ich meine Würde und unterwarf mich der Ceremonie. Dann wählte ich eine seidene Decke im Werthe von über 100 Mark, seidene Taschentücher, ein Paar Meter karmoisinrothen Stoff und einige weitere kostbare Kleinigkeiten für ihn aus, traf schließlich noch ein schriftliches Abkommen mit ihm wegen der Führer, welche mich eine Entfernung von 15 Lagern, bis wohin, wie er sagte, sein Gebiet reichte, begleiten sollten, sowie wegen der guten Behandlung meiner Offiziere und übergab ihm als Sicherheit für die Vereinbarung in Gegenwart des Dr. Parke eine goldene Uhr nebst Kette, welche in London einen Werth von 49 Pfd. St. hatte.

Am nächsten Tage setzten wir, nachdem ich Dr. Parke mit der Pflege seines Freundes Nelson und von 39 Kranken beauftragt hatte, mit unserer reducirten Truppe den Marsch von Ipoto fort, um nochmals in der Wildniß den Kampf mit dem Hunger aufzunehmen.



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