Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Nach dem Stanley-Pool.

Einzelheiten der Reise nach dem Stanley-Pool. – Sudanesen und Somali. – Zusammentreffen mit Herbert Ward. – Lager bei Congo la Lemba. – Freundliche Aufnahme bei Herrn und Frau Richards. – Briefe vom obern Flusse. – Schreiben an Rev. Bentley und andere um Beistand. – Ankunft in Muembi. – Nothwendigkeit einer strengern Disciplin. – Marsch nach Vombo. – Vorfall bei der Station Lukunga. – Die Sansibariten. – Zank zwischen Jephson und Selim am Inkissi. – Eine Reihe von Klagen. – Rev. Bentley und der Dampfer »Peace«. – Eintreffen im Dorfe Makoko's. – Leopoldville. – Schwierigkeiten bei der Benutzung der Missionsdampfer. – Verhandlungen zwischen den Herren Liebrechts und Billington. – Besuch bei Herrn Swinburne in Kinschassa. – Befehle für die Offiziere und Pflichten der letztern.

 

Am 21. März schiffte sich die Expedition am Landungsplatze des portugiesischen Handelshauses Joda Ferrier d'Abreu in Matadi, 175 km vom Atlantischen Ocean, aus. Sobald die Dampfer ihre Passagiere und Ladungen gelöscht hatten, warfen sie die Taue los, um flußabwärts nach dem Seehafen von Banana oder dem Flußhafen zurückzukehren.

Gegen Mittag kam das portugiesische Kanonenboot »Kacongo« in Sicht. Dasselbe brachte Major Barttelot, Herrn Jephson und eine Anzahl Sudanesen und Sansibariten mit, und bald darauf traf der dem Staate gehörende Dampfer »Heron« mit dem Rest der an Bord des »Madura« zurückgebliebenen Ladung ein.

Wir schlugen die Zelte auf, lagerten die ungeheuern Mengen von Reis, Zwieback, Hirse, Salz, Heu u. s. w., und entwickelten eine so rege Thätigkeit, wie Leute, die eine unabsehbare Arbeit vor sich haben. Jeder Offizier zeichnete sich aus und die Sansibariten bewiesen durch ihre Behendigkeit, wie sehr sie sich freuten, wieder am Lande zu sein.

Unsere europäische Gesellschaft bestand jetzt aus den Herren Barttelot, Stairs, Nelson, Jephson, Parke, Bonny, welche die Reise von Aden mit mir gemacht hatten, dem Maschinisten Walker, der sich uns am Cap der Guten Hoffnung angeschlossen hatte, Herrn Ingham, einem frühern Gardeoffizier, welcher beim Sammeln von Trägern am Kongo als unser Agent fungirte, Herrn John Rose Troup, welcher mit der Oberaufsicht der eingeborenen Träger auf dem Wege von Manjanga nach dem Pool beauftragt war, und einem europäischen Diener.

Am nächsten Tage brachen 171 Träger mit 7 Kisten Zwieback = 420 Pfund, 157 Säcken Reis = 10 205 Pfund, und Perlen von Matadi nach Lukunga auf, wo die Vorräthe bei der Ankunft der Expedition als Reserve dienen sollten. Außerdem waren 180 Säcke von je 170 Pfund = 30 600 Pfund bereit, sobald sich Träger anboten, vor oder nach uns abzugehen und unterwegs an verschiedenen Orten und am Pool gelagert zu werden. Auch sandten wir Boten nach dem Pool an den Commandanten ab mit der Bitte, die Reparatur sämmtlicher Dampfer zu beschleunigen.

siehe Bildunterschrift

Maxim-Schnellfeuerkanone.

Am zweiten Tage nach unserer Ankunft erschien Herr Ingham mit 220 Trägern, welche er zu einem Pfund Sterling per Last für den Transport nach dem Pool engagirt hatte. Lieutenant Stairs stellte Uebungen mit der Maxim-Schnellfeuerkanone an, welche 330 Schüsse in der Minute abgab, was bei Tippu-Tib und seinen Leuten die größte Bewunderung hervorrief.

Am Morgen des 25. März um 5¼ Uhr ertönten im Lager der Sudanesen die Signaltrompeten. Gegen 6 Uhr waren die Zelte zusammengefaltet, die Compagnien unter ihren Hauptleuten aufgestellt, die Waaren in der Nähe derselben aufgehäuft, und um 6¼ Uhr marschirte ich mit der Vorhut ab. Das gesammte Expeditionscorps folgte compagnieweise im Gänsemarsche und führte 466 einzelne Lasten oder Trägerladungen von Munition, Waffen, Perlen, Draht, Proviant in Büchsen, Reis, Salz, Maschinenöl, Messingstangen und Eisendraht mit sich. Der Abmarsch war vortrefflich, allein schon nach einstündigem Marsche wurden die Berge so steil, schien die Sonne so heiß, wurden die Lasten so schwer, die Leute durch die nach dem herrlichen Leben an Bord des »Madura« ungewohnte Arbeit so erschöpft, daß die Expedition, da auch wir uns in einem solchen überfütterten Zustande befanden, in einer für Leute, die auf einen derartigen Anblick nicht vorbereitet waren, höchst entmuthigenden Weise sich zerstreute. Bei der Ankunft am ersten Flusse, dem Mposo, war der »Advance« bereits zusammengefügt und wir wurden in Trupps von je 50 Mann nach dem andern Ufer befördert, wo wir das Lager aufschlugen.

Die Sudanesen boten einen jämmerlichen Anblick dar. Die Somali waren erträglich, obwol sie stark darüber gebrummt hatten, daß keine Kamele da waren. Erstere zeigten bemerkenswerth schlechte Laune. Eingehüllt in ihre mit Kapuzen versehenen Mäntel, hatten sie eine schreckliche Atmosphäre auszuhalten gehabt, und die Wirkungen der Hitze, Ermüdung und anderer kleiner Unannehmlichkeiten traten deutlich zu Tage.

Am nächsten Tage lagerten wir auf dem der Livingstone-Inland-Mission gehörenden Gebiet bei Palaballa, wo wir von dem Superintendenten Herrn Clarke und seinen Damen sehr gastfrei aufgenommen wurden. Da unsern Leuten die Arbeit noch durchaus ungewohnt war, machten wir den nächsten Tag Rast. Aus den Berichten der Offiziere ersah ich, daß seit der Abreise von Sansibar 9 Mann gestorben waren und 17 sich so schlecht befanden, daß wir sie zur Wiedergenesung in Palaballa zurückzulassen gezwungen waren.

Erst am 28. nahmen wir den Marsch wieder auf und erreichten Masa Mankengi. Unterwegs trafen wir Herrn Herbert Ward, der sich freiwillig zum Mitgliede der Expedition anbot; er wurde engagirt und nach Matadi geschickt, um Herrn Ingham bei der Organisirung des Trägerdienstes zu helfen. Herr Ward hatte während der letzten Jahre in den Diensten des Kongostaates gestanden, früher Reisen in Neuseeland und Borneo gemacht und war von mir stets für einen vielversprechenden jungen Mann gehalten worden.

Gegen Mittag am 29. März befanden wir uns mit dem Lager in Congo-la-Lemba an einer Stelle, wo früher, wie ich wußte, ein blühendes Dorf gestanden hatte. Der Häuptling desselben stand damals in seinem Glanze und war der unbestrittene Herrscher des Districts; das Glück verdarb ihn jedoch und er begann, von den Karavanen des Staates Abgaben zu erheben. Da die Route durch seine Frechheit blokirt wurde, schickte der Staat eine Abtheilung Bangala gegen ihn aus, welche ihn gefangen nahmen und enthaupteten. Das Dorf wurde niedergebrannt und die Bewohner flüchteten nach andern Gegenden. Der Platz, wo das Dorf gestanden hatte, war jetzt mit hohem Grase bedeckt und die Gujavenbäume, Palmen und Citronenbäume waren vom Schilfrohr überwuchert.

In der Marschordnung war eine kleine Besserung eingetreten, aber bei einer Expedition ist die Anfangszeit immer aufreibend. Die Sansibariten tragen 65 Pfund Munition, 9 Pfund für jedes Gewehr, viertägige Rationen Reis und ihre eigene Ausrüstung an Stoffen und Schlafmatten, im Gewicht von vielleicht 4-10 Pfund. Wenn sie sich erst acclimatisirt haben, scheint eine solche Last leicht für sie zu sein; aber während des ersten Monats muß man sehr vorsichtig sein, keine zu langen Märsche machen und sehr viel Geduld üben.

In den frühen Morgenstunden des nächsten Tages hielt ein heftiger Regen uns auf, doch setzten wir uns bald nach 9 Uhr in Bewegung, bis wir den Lufu-Fluß erreichten. Es war ein schrecklich ermüdender Marsch. Bis um Mitternacht trafen die Leute ein, müde, mit geschwollenen Füßen und brummig. Die Offiziere schliefen in meinem Zelte und erhielten zum Abendessen Hartbrot und Reis.

In der Nähe des Masamba-Waldes trafen wir den Baron von Rothkirch, welcher eine Abtheilung Kabinda beaufsichtigte, welche die Welle des Dampfers »Florida« schleppten. Nach der Geschwindigkeit ihres Vorwärtskommens zu urtheilen, würden sie wahrscheinlich im nächsten August den Pool erreichen. Ferner trafen wir bei der Bembesi-Furt einen französischen Händler, welcher mit einer hübschen Partie Elefantenzähnen flußabwärts marschirte.

Am 31. passirten wir den Mangola-Fluß, wo ich infolge des Genusses von Gujaven in Congo-la-Lemba einen leichten Krankheitsanfall hatte; am 1. April marschirten wir nach Bansa Manteka. Auf der Station der Livingstone-Inland-Mission wurden wir von Herrn und Frau Richards sehr freundlich aufgenommen. Einige Jahre Missionsthätigkeit hat an diesem Orte eine große Veränderung hervorgerufen. Fast die gesammte eingeborene Bevölkerung bekennt sich zum Christenthume und besucht pünktlich mit der Inbrunst eines Sektenbruders den Gottesdienst. Einige Leute, welche ich als berüchtigte Schnapstrinker gekannt hatte, waren nüchterne, anständige Menschen geworden und hatten ein höchst manierliches Wesen angenommen.

Vom obern Laufe des Flusses erhielt ich hier drei Briefe, je einen von Troup aus Manjanga, Swinburne aus Kinschassa und Glave aus der Aequator-Station, die sämmtlich betrübende Nachrichten über die Dampfer »Stanley«, »Peace«, »Henry Reed« und »En Avant« meldeten. Der erste ist meinen Gewährsleuten zufolge durch und durch beschädigt, die Missionsdampfer erfordern eine gründliche Ausbesserung, und der »En Avant« ist zu einem Leichter umgewandelt. Herr Troup schlägt vor, einen oder zwei Leichter von Manjanga nach dem Pool zu tragen, ein Ding der Unmöglichkeit, da wir durch den Reis, welchen wir zum Unterhalt von fast 800 Mann auf dem Marsch durch ein Hungersnoth leidendes Land mitnehmen müssen, bereits überlastet sind. Um uns die Arbeit etwas zu erleichtern, schickte ich die Herren Jephson und Walker mit unserm Stahlboot »Advance« auf dem Kongo nach Manjanga.

Wir überschritten den Lunionso-Fluß am 3. April und lagerten am nächsten Tage an der Stelle des verlassenen Dorfes Kilolo. Auf dem Marsche bemerkte ich, wie ein Sudanese einen Sansibariten zu erdrosseln versuchte, weil der ermüdete Mann mit seiner Kiste den andern leicht an der Schulter berührt hatte. Wir sind erbittert über die üble Laune der Sudanesen, müssen aber noch eine Weile Geduld üben.

Ein dreistündiger Marsch mit dem gewöhnlichen Auf und Ab an den Hügeln, was die Karavane so sehr ermüdet, brachte uns nach dem Kuilu. An diesem gegen 100 m breiten Flusse, der eine starke Strömung besitzt, fanden wir ein Kanoe ohne Eigenthümer, das wir in Besitz nahmen, worauf wir mit dem Uebersetzen der Vorhut in Abtheilungen von zehn Mann begannen.

Ich benutzte die mir durch das Uebersetzen mit der Fähre gebotene Gelegenheit, um dem Commandanten am Stanley-Pool in einem Schreiben dringend ans Herz zu legen, daß er die Befehle des Herrn Strauch, des Ministers des Innern, in dem hochherzigen Sinne auslegen möge, welchen König Leopold bekundet habe, als er uns aufforderte, Emin Pascha auf der Kongo-Route aufzusuchen. Ein anderes Schreiben richtete ich an den Rev. Bentley von der Baptisten-Mission, den ich bat, der Unterstützung zu gedenken, welche ich den Baptisten in den Jahren 1880 bis 1884 hatte angedeihen lassen, und sich darauf vorzubereiten, daß er uns den Dampfer »Peace« leihen müsse, damit ich die Expedition schleunigst aus der verarmten Gegend um den Stanley-Pool fortbringen könnte. Einen weitern Brief ähnlichen Inhalts sandte ich an den Inspector des »Henry Reed«, Herrn Billington, den ich darauf aufmerksam machte, daß ich es gewesen sei, der ihnen am Stanley-Pool Grund und Boden geschenkt hätte. Ein Schreiben an den Befehlshaber der Station Lukungu ersuchte diesen, mir 400 Träger zur Erleichterung der Arbeit meiner Leute anzuwerben.

Bei der Ankunft in Muembi am 6. April wurde ich durch die zunehmende Demoralisation in der Karavane besonders überrascht. Um die Leute nicht anzutreiben, hatte ich mich bisher sehr ruhig verhalten und die Arbeit, die Zerstreuten zu sammeln, den jüngern Offizieren überlassen, damit dieselben eigene Erfahrung sammelten bezüglich der Schwierigkeiten, mit denen Expeditionen in Afrika zu kämpfen haben; allein namentlich auf diesem Marsche zeigte sich mir die Nothwendigkeit, die Disciplin strengstens aufrecht zu erhalten. Kaum hatten die Sansibariten die Zelte ihrer Offiziere aufgeschlagen, als sie wie Wilde in die benachbarten Dörfer stürzten und das Eigenthum der Eingeborenen zu plündern begannen, wobei ein gewisser Chamis-ben-Athman von einem muthigen Eingeborenen erschossen wurde. Dieser fatale Unfall ist einer der deutlichsten Beweise dafür, daß die Disciplin der beständigen Nachsicht vorzuziehen ist, und wie bald selbst eine ganze Armee von zügellosen, ungehorsamen und widersetzlichen Leuten vernichtet werden würde.

Die große Masse der Leute war vermuthlich zu dem Glauben gekommen, daß ich schon zu alt geworden sei, um den Marsch wie in frühern Zeiten zu überwachen; allein auf dem Wege nach Vombo am 7. April wurden sie sämmtlich aus ihrem Irrthum gerissen. Der letzte Mann der in die Länge gezogenen Karavane war gegen 11 Uhr vormittags im Lager, und alle Offiziere konnten sich mittags zum Essen niedersetzen in dem frohen und beruhigenden Gefühle, ihre Pflicht gethan und einen guten Tagemarsch gemacht zu haben. Es gibt kein angenehmeres Gefühl als dasjenige, wenn man einen tüchtigen Tagemarsch in kurzer Zeit ausgeführt hat. Wir haben uns eine gute Tagesrast gesichert; der Rest des Tages gehört uns, um zu lesen, zu essen, zu schlafen, den Luxus der Unthätigkeit zu genießen und über das Morgen nachzudenken; während es kaum etwas Unangenehmeres gibt, als zu wissen, daß, obwol der Marsch nur ein kurzer ist, das Nachlassen der Strenge jenes grausame Zeitvergeuden in dem erstickenden hohen Grase und in den sengenden Strahlen der glühenden Sonne am Wege gestattet. Die lange Linie der Träger hat sich in schwitzende Fragmente aufgelöst; Wasser ist, wenn man es am nothwendigsten braucht, weit entfernt, kein schattenspendender Baum befindet sich in der Nähe der Straße, die Lasten werden beraubt und sind über mehr als fünfzehn Kilometer Weges zerstreut, die Träger verstecken sich zwischen dem Röhricht oder suchen unter entferntern Baumgruppen Kühlung, und die Offiziere, hungerig und ärgerlich, sind in Verzweiflung darüber, daß das Ende des Tages so nahe und sichere Aussicht auf eine Wiederholung dieser Schwierigkeiten morgen und am folgenden Tage vorhanden ist. Ein in der Nähe unserer Marschlinie befindlicher, nicht weiter nachdenkender Zuschauer könnte vielleicht glauben, daß wir unnöthigerweise grausam seien, allein einige Hiebe, welche die regelmäßigen Nachzügler erhalten, sichern etwa 800 Leuten und ihren Offizieren eine 18stündige Ruhe und retten die Waaren vor der Plünderung, da die Tagediebe oft gerade zu diesem Zwecke zurückbleiben: der Tag endet für alle glücklich und der morgende Marsch hat seine Schrecken verloren.

Am 8. April wurde die Expedition auf der Station Lukungu von den Herren Francqui und Dessauer willkommen geheißen, zwei gastfreien Belgiern, welche aus eigenem Antriebe vier Tagesrationen von Kartoffeln, Bananen, Eierpflanzen, Mais und Palmnüssen für unsere 800 Mann gesammelt hatten.

Kaum waren wir alle vereinigt, als die Sudanesen in Masse herbeikamen, um mehr Lebensmittel zu verlangen. Sie hatten in 15 Tagen je 20 kg pro Mann Zwieback und Reis verzehrt und kündigten ihre Absicht an, nach dem Unterkongo zurückzukehren, wenn ihnen nicht weitere Rationen zugetheilt würden. Die viertägigen Gemüserationen verschmähten sie anzurühren. Ich hatte den Entschluß gefaßt, sehr geduldig zu sein, und es war auch noch zu früh, um selbst den Wunsch zu zeigen, anders zu sein. Infolge dessen erhielten sie Extrarationen an Reis und Zwieback.

Zum Glück für mich persönlich hatte ich gute Offiziere bei mir, welche mich der Nothwendigkeit entheben konnten, mit solchen eigensinnigen Burschen, wie diese mürrischen, halsstarrigen Sudanesen, in Conflict zu kommen. Ich behielt mir die Rolle des Vermittlers zwischen den erbitterten Weißen und den eigensinnigen Schwarzen vor. Vorausgesetzt, daß man durch das den ganzen Tag anhaltende Schelten mit dickköpfigen Leuten nicht selbst erschöpft ist, ist es eine höchst angenehme Arbeit, Vergehen zu beschönigen und Aerger zu beschwichtigen. Vielleicht wenden ärgerliche Leute sich ab mit der leisen Bemerkung, wir seien parteiisch, während die Gegenpartei ihrerseits ebenfalls mehr Sympathien finden will; allein der Vermittler muß darauf vorbereitet sein, daß er selbst hin und wieder einen Stich abbekommt.

Um den Sudanesen weniger Gelegenheit zu geben, unterwegs ihre Wuth an den Sansibariten auszulassen, ersuchte ich Major Barttelot, mit seinen Sudanesen einen Tagemarsch vor den Sansibariten zu bleiben.

Es wird nicht überraschen, daß wir alle mehr Sympathie für die beladenen Sansibariten hatten. Sie bildeten unsere Kundschafter und Fourragirer, unsere Lebensmittelerwerber, schlugen unsere Zelte auf, sammelten Brennmaterial und trugen die Vorräthe; die Hauptstärke der Expedition bestand in ihnen; ohne sie wären die Europäer und Sudanesen, und wenn ihre Zahl noch zehnmal so groß gewesen wäre, zum Entsatze Emin's vollständig außer Stande. Die Sudanesen trugen nichts als ihre Gewehre, Kleidung und Rationen. Wenn sie uns von wirklichem Nutzen wurden, waren wir wieder ein volles Jahr älter; vielleicht fehlten sie uns in der Stunde der Noth, wenn wir dies auch nicht hofften, und bis dahin kam es allein darauf an, daß wir sie mit möglichst wenig Schwierigkeiten für sie, die Sansibariten und uns vorwärts brachten. Der Major wurde hier ohne Zweifel in schwere Versuchung geführt; aber wenn er in dieser Zeit gezwungen wurde zu schlagen, so waren die Sudanesen, wie ich zugeben muß, außerordentlich provocirend. Sogar Hiob würde ärgerlich geworden sein und gescholten haben.

Die Hitze war am 10. April – Ostern – an welchem Tage wir Lukungu verließen, schrecklich. Die Leute fielen auf allen Seiten, und Anführer wie Mannschaften erlagen der Hitze. Wir holten die Sudanesen wieder ein, und die unglückliche Folge war wieder das übliche Raufen und Schelten.

Am Ostermontag, den 11. April, wurde die Sudanesen-Compagnie vom Fieber befallen, das Lamentiren war allgemein, und mit Ausnahme von zwei Somali lagen alle darnieder. Barttelot war in einer fürchterlichen Wuth über seine unglückliche Compagnie und wünschte, daß er dafür Jephson's Dienst im Boote hätte. Abends erhielt ich einen Brief von Jephson, in welchem dieser schrieb, er wünschte, er wäre bei uns oder sonst irgendwo, nur nicht auf dem verrätherischen, reißenden Kongo.

Als wir am nächsten Tage im elendesten Zustand vereinzelt ins Lager kamen, sahen wir die Karavane beinahe Schiffbruch leiden. Die Sudanesen waren meilenweit voneinander entfernt; die Somali waren krank, und einer der Leute, welche sich mit Herrn Jephson im Boote befanden, war gestorben. Es mußten große Mengen von Fleischsuppe gekocht werden, sodaß jeder schwach gewordene Mann, wenn er ins Lager wankte, mit einer Tasse voll erquickt werden konnte.

Am nächsten Tage erreichten wir Lutete, nachdem wir auf dem Marsche weitere ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Jeden Tag erlitten wir Verluste, und zwar an Leuten durch Desertion und Krankheit, sowie an Gewehren, Conserven-Proviant und schußfertiger Munition.

In Nselo am Inkissi trafen wir Jephson, der auf der Fahrt über die Kongoschnellen nach Manjanga das Leben von einigen neuen Seiten kennen gelernt hatte.

Die Sonne hat begonnen, unsern Zügen eine hochrothe Färbung zu geben; ich sehe in dem Gesichte eines jeden Offiziers zwei entzündete Kreise, welche in glühendem Roth unter beiden Augen erglänzen, und es kommt mir vor, als ob die Augen größern Glanz zeigen. Einige von den Offizieren haben es für malerischer und mehr dem idealen Typus eines Forschers entsprechend gehalten, die Arme ebenfalls gefärbt zu haben; sie haben ihre milchweißen Glieder entblößt, bis dieselben in Flammen gebadet zu sein scheinen.

Den 16. April verwendeten wir, um die Expedition über den Inkissi zu befördern, und um 5½ Uhr nachmittags waren alle Mann, sowie unsere 20 Esel und unsere Heerde Capziegen am andern Ufer.

Während der Ueberfahrt wechselten Selim, der Sohn Massud's und Schwager Tippu-Tib's, und Herr Mounteney Jephson, welcher als Kapitän des Bootes fungirte, hitzige Worte. Selim will, seitdem er die Schwester Tippu-Tib's geheirathet hat, über jeden Vorwurf erhaben sein, seine Einbildung macht ihn abscheulich frech. In Matadi beliebte es ihm, dem Lieutenant Stairs gegenüber seine Meinung in höchst arroganter Weise geltend zu machen; hier geschah dasselbe gegen Herrn Jephson, der ihm kurz erwiderte, wenn er sich nicht um seine eigenen Angelegenheiten bekümmere, würde er gezwungen sein, ihn in den Fluß zu werfen. Selim trug ihm dies wüthend nach, bis Tippu-Tib seinen Zorn gemäßigt zu haben schien.

Im nächsten Lager erhielt ich weitere Briefe vom Stanley-Pool. Lieutenant Liebrechts, der Befehlshaber des Stanley-Pool-Districts, schrieb, der Dampfer »Stanley« würde mir zur Verfügung stehen und ebenfalls ein Leichter! Der »En Avant« könne vor sechs Wochen nicht fertig sein. Ein zweiter Brief war von Herrn Billington, der es positiv ablehnte, uns den »Henry Reed« zu leihen.

Eine meiner ernstlichsten Pflichten nach dem Marsche bestand darin, daß ich aller Art Beschwerden anzuhören hatte. Auch an diesem Tage wurde eine Reihe von Klagen erhoben. Ein Eingeborener, welcher von einem hungerigen Sansibariten eines Cassavebrots beraubt war, mußte Ersatz haben; der Ziegenhirte Binsa glaubte sich zurückgesetzt, weil man ihm nicht erlaubt hatte, von den leckern Eingeweiden einer Ziege mit zu schmausen, und bat mich um meine Verwendung, damit er dies Vorrecht erhielte; ein schwächlicher Sansibarite, welcher inmitten eines gut verproviantirten Lagers und unter mit Reis ernährten Leuten verhungerte, bat mich, seinen knurrenden Magen zu berücksichtigen und ihm Gerechtigkeit zu verschaffen, damit er von seinem gefräßigen Chef seine richtigen Rationen erhalte. Selim, der Knappe Tippu-Tib's, beklagte sich darüber, daß meine Offiziere ihn nicht genügend bewunderten. Er sagte, sie sollten nicht vergessen, daß er kein Mann der Königin, sondern jetzt der Schwager Tippu-Tib's sei. (Selim war früher Dolmetscher auf einem britischen Kreuzer gewesen.) Ferner wurden mir Klagen gegen gewisse unverbesserliche Spitzbuben über den Diebstahl eines Wetzsteins, eines Messers und eines Rasirmessers vorgetragen.

In unserm nächsten Lager am Nkalama-Flusse, den wir am 18. April erreichten, erhielt ich durch einen Eilboten ein Schreiben von Rev. Bentley, welcher mir mittheilte, es sei ihm von England aus nicht verboten worden, mir den Dampfer »Peace« der Baptisten-Mission zu leihen; es werde ihm, falls ich ihm die Versicherung gäbe, daß die Sansibariten nichts gegen den Charakter der Mission thäten, den er als Missionar zu bewahren wünschte, großes Vergnügen machen, mir den »Peace« für den Dienst der Expedition zum Entsatze Emin Pascha's auszuhändigen. Obwol ich Herrn Bentley sehr dankbar bin und seinen Edelmuth vollständig anerkenne, hat er mit seinem Hinweis auf die Sansibariten, sowie durch die versteckte Andeutung, daß wir für alle ihre Excesse verantwortlich seien, doch den Beweis geliefert, daß es ihm einen Kampf gekostet hat, uns den »Peace« leihweise zu überlassen. Er hätte nicht vergessen sollen, daß er das Vorrecht, seine Stationen in Leopoldville, Kinschassa und Lukolela zu erbauen, durch die Arbeit der gutmüthigen Sansibariten erhalten hat, die sich zuweilen allerdings versucht fühlten, sich Freiheiten herauszunehmen, im allgemeinen aber sich so gut betrugen, daß die Eingeborenen sie den Haussa, Kabinda, Krunegern und Bangala vorzogen.

Am 19. April waren wir nur im Stande, einen kurzen Marsch zu machen, da sich jeden Tag heftige Regengüsse einstellten und der Luila, in dessen Nähe wir das Lager aufgeschlagen hatten, gefährlich reißend geworden war.

Am 20. April erreichten wir das Dorf Makoko's. Wir bemerkten, daß die Sansibariten rasch schwächer wurden. Sie hatten in der letzten Zeit von verkürzten Rationen leben müssen, und ihre Gewohnheit, den Maniok roh zu verzehren, erwies sich als von sehr verderblichen Folgen. Ein Pfund Reis täglich ist für Leute, welche arbeiten müssen, keine große Ration, allein wenn sie mit dieser knappen, aber gesunden Nahrung eine Zeit lang zufrieden gewesen wären, würden sie allerdings nicht in einem kräftigen Zustande geblieben sein, sicherlich aber weniger unter Krankheit zu leiden gehabt haben. Während des Marsches vom Unterkongo hatten wir bis zu diesem Tage 12 500 kg – nahezu 13 Tonnen – Reis verzehrt, sodaß die Hülfsquellen der ganzen Gegend stark in Anspruch genommen waren, um für diesen Extravorrath Träger zu erhalten. Die Flucht der Eingeborenen aus der Nähe der öffentlichen Straßen und unsere Befürchtungen, daß die Sansibariten Räubereien begehen möchten, wenn wir sie in größerer Entfernung von dem Lager fourragiren ließen, waren der Hauptgrund davon, daß sie die giftigen Maniokknollen herausrissen und sich Krankheit und Elend zuzogen. An diesem Tage waren etwa 100 Mann nicht als Soldaten oder Träger zu verwenden.

Bei unserer am 21. April zur größten Freude aller erfolgten Ankunft in Leopoldville war eine meiner ersten Entdeckungen, daß der »Stanley«, ein kleiner Leichter, unser Stahlboot »Advance« und der Missionsdampfer »Peace« die einzigen Fahrzeuge waren, welche für den Transport der Expedition zur Verfügung standen.

Ich füge hier einige Aufzeichnungen aus meinem Tagebuche ein:

Leopoldville, 22. April. Wir befinden uns jetzt 555 km vom Meere angesichts des Stanley-Pool, und vor uns liegt der Fluß, der 1800 km, bis hinauf nach Jambuja, von wo ich den Landmarsch nach dem Albert-See wieder aufzunehmen beabsichtige, frei von Stromschnellen ist.

Heute erhielt ich den Besuch der Herren Bentley und Whitley. Wir sprachen über den »Peace«, und sie behaupteten, daß das Schiff vieler Reparaturen bedürfe. Ich bestand darauf, daß die Sache dringend sei, und nach langer Berathung kamen sie endlich zu der Ueberzeugung, daß die Reparaturen bis zum 30. April beendet werden könnten.

Nachmittags zog ich Major Barttelot und Herrn Mounteney Jephson ins Vertrauen, erzählte ihnen, in welchen Schwierigkeiten wir uns befänden, erklärte ihnen meine Ansprüche auf die Rücksicht der Missionare, sowie die Nothwendigkeit einer baldigen Abfahrt aus diesem nahrungsarmen District, und sagte ihnen, daß der Proviant so knapp sei, daß der Staat nur 60 volle Rationen für 146 Mann zu beschaffen vermöge; um die übrigen zu versorgen, müßten die Beamten des Staates zur Jagd auf Flußpferde im Pool ihre Zuflucht nehmen, und wir wären gezwungen, dasselbe Verfahren einzuschlagen, um mit dem Reis etwas länger auszukommen. Und wenn die Staatsbehörden für 146 Mann nur 60 Rationen beschaffen können, wie sollen wir dann für 750 Leute sorgen? Ich beauftragte sie dann, sich zu Herrn Billington und Dr. Sims zu begeben; aber da letzterer sich vergeblich um eine Stellung bei unserer Expedition bemüht hatte, sich namentlich an erstern zu wenden und ihm die Lage der Dinge offen auseinanderzusetzen.

Sie waren etwa anderthalb Stunden fort und kehrten dann niedergeschlagen zu mir zurück – sie hatten keinen Erfolg gehabt. Armer Major! Armer Jephson!

Herr Liebrechts, welcher früher in Bolobo unter meinem Befehle Dienste am Kongo gethan hatte, war jetzt Gouverneur des Stanley-Pool-Districts. Er speiste abends bei mir und hörte den Bericht, den Major Barttelot und Herr Mounteney Jephson mir erstatteten. Wir verschwiegen ihm nichts, doch war ihm manches schon bekannt. Er war mit unsern Ansichten über die Lage vollständig einverstanden und gab zu, daß hier eine große Dringlichkeit vorliege. Jephson sagte: »Ich stimme dafür, daß wir den ›Henry Reed‹ wegnehmen.«

»Nein, Freund Jephson; wir dürfen nicht vorschnell handeln. Wir müssen Herrn Billington Zeit lassen zur Ueberlegung; er wird sicherlich wissen, wieviel seine Mission mir verdankt, und keine Schwierigkeiten machen, sondern mir seinen Dampfer für das Doppelte des Preises, den der Kongostaat ihm bezahlt hat, vermiethen. Diejenigen, welche von der Wohlthätigkeit anderer leben, wissen natürlich nicht, wie man wohlthätig sein muß. Wir wollen morgen nochmals einen Versuch machen, und ich werde dann eine noch formellere Anfrage stellen und liberale Bedingungen anbieten; überläßt man uns dann den Dampfer nicht, so müssen wir überlegen, was unter diesen Umständen weiter geschehen kann.«

23. April. Heute Morgen war ich mit verschiedenen wichtigen Angelegenheiten beschäftigt. Aus allen Theilen der Umgegend kamen die Eingeborenen herbei, um unsere alte Bekanntschaft zu erneuern, und es wurde 10 Uhr, bis ich frei war.

Ngaljema hielt mich mit einer ausführlichen Geschichte über Kummer, den er geduldig ertragen, und Beleidigungen, die er ohne zu klagen hingenommen habe, ziemlich lange auf. Er beschrieb mir die Veränderungen, welche mit den Weißen vorgegangen, daß ihr Wesen in letzter Zeit immer herrischer geworden sei, und daß er und andere Häuptlinge in der Besorgniß, daß diese Veränderung nichts Gutes für sie bedeute, sich furchtsam von den Stationen entfernt hielten; die Märkte seien verlassen und infolge dessen Nahrungsmittel knapp und sehr theuer geworden.

Nachdem ich den alten Freunden mein Mitgefühl ausgesprochen hatte, rief ich Barttelot und Jephson, und las ihnen eine Aufzählung der Gefälligkeiten vor, welche wir der Livingstone-Inland-Mission erwiesen hatten. »Wenn Sie gesprochen haben, dann bitten Sie Herrn Billington im Namen der Wohlthätigkeit, der Humanität und Hochherzigkeit, daß er mir gestatten möge, ihm für die Vermiethung des ›Henry Reed‹ für die Dauer von 60 Tagen liberale Bedingungen anzubieten.«

Barttelot schwelgte in dem Gedanken, daß es seiner Beredsamkeit gelingen werde, den Dampfer zu erhalten, und bat, ihn noch einen Versuch auf seine Weise machen zu lassen.

»Sehr gut, Major, gehen Sie hin, und ich wünsche, daß Sie Erfolg haben mögen!«

»Ich bin überzeugt, das wird mir sehr rasch gelingen«, erwiderte der Major vertrauensvoll.

Er begab sich nach dem Missionsgebäude, und Herr Jephson begleitete ihn, um Zeuge der Verhandlungen zu sein. Bald darauf erhielt ich einen charakteristischen Brief von dem Major, der mir schrieb, er habe mit den Missionaren vergeblich verhandelt, namentlich mit Herrn Billington, aber in Anwesenheit des Dr. Sims, der auf einem Stuhl saß und sich darauf beschränkte, gelegentlich einige Bemerkungen dazwischenzuwerfen.

Lieutenant Liebrechts wurde von dem Vorfall unterrichtet, worauf er selbst zu mir kam und sagte, in dieser Angelegenheit handle es sich um eine Pflicht des Staates.

Herr Liebrechts, der ohne Zweifel einer der ausgezeichnetsten Offiziere des Kongostaates ist und den schon in einem meiner frühern Werke beschriebenen hohen Charakter sich bewahrt hat, widmete sich mit Eifer der Aufgabe, Herrn Billington von der Unvernunft seines Benehmens zu überzeugen und seine Halsstarrigkeit in der Weigerung, uns aus Schwierigkeiten herauszuhelfen, in welche wir durch die Schuld der Verhältnisse gelangt waren, zu beseitigen. Den ganzen Tag ging er hin und her, sprach, erklärte und verhandelte, bis es ihm nach zwölf Stunden endlich gelang, Herrn Billington zur Zulassung der Vermiethung des Schiffes zu den angebotenen liberalen Bedingungen zu veranlassen, nämlich 100 Pfd. St. monatlich.

24. April. Wir musterten die Expedition und fanden, daß uns 57 Mann und 38 Remingtongewehre fehlten. Unsere wirkliche Zahl beträgt jetzt 737 Mann und 496 Gewehre. An Haumessern, Aexten, Schaufeln, Kochgeschirren, Speeren u. s. w. haben wir mehr als 50 Procent verloren – alles während eines 28tägigen Marsches.

Einige der Leute werden vielleicht zu ihrer Pflicht zurückkehren, aber wenn schon eine so große Zahl 5000 km von ihrem Heimatlande davonläuft, was würden wir dann zu erwarten gehabt haben, wenn wir die Route von der Ostküste eingeschlagen hätten. Die Anführer der Sansibariten erklärten mir mit cynischer Bitterkeit, die Expedition würde sich aufgelöst haben; sie sagen: »Diese Leute von den Nelken- und Zimmtpflanzungen in Sansibar sind nicht besser als Thiere – sie haben keine Spur von Gefühl. Sie verabscheuen die Arbeit, wissen nicht, was Silber ist, und haben weder Aeltern noch Heimat. Diejenigen Männer, welche eine Heimat besitzen, desertiren niemals; thäten sie es, so würden sie von den Nachbarn so lange verspottet werden, bis sie sich nicht mehr sehen lassen könnten.« In diesen Bemerkungen liegt sehr viel Wahres, doch gibt es bei dieser Expedition Dutzende von Leuten, welche ausgesprochenermaßen mit dem Vorschuß durchbrennen, sobald die Gelegenheit dazu sich bietet. Als ich heute die Leute inspicirte, gewann ich die Ansicht, daß nur etwa 150 freie Männer unter ihnen und alle übrigen entweder Sklaven oder Verbrecher waren.

Herr J. S. Jameson hat sich freundlichste erboten, auf die Flußpferdjagd zu gehen, um Fleisch zu beschaffen. Wir gaben jedem Manne täglich ½ kg Reis, gerade die halbe Ration. Für die Offiziere und unsere arabischen Gäste haben wir eine Ziegenheerde, etwa 30 Stück stark. Die Geschenke an Nahrungsmitteln von den verschiedenen Häuptlingen der Umgegend bezifferten sich auf etwa 500 Rationen und waren sehr annehmbar.

Kapitän Nelson ist mit den Aexteträgern eifrig beschäftigt, Heizmaterial für die Dampfer vorzubereiten. Der »Stanley« muß morgen mit den Compagnien des Majors Barttelot und Dr. Parke abfahren und die Leute oberhalb des Wampokoflusses ausschiffen, von wo sie den Marsch nach Msuata antreten werden. Ich muß jedes Mittel benutzen, um vom Stanley-Pool fortzukommen, ehe die Leute vom Hunger derart gepeinigt werden, daß sie uncontrolirbar werden.

25. April. Der Dampfer »Stanley« ist mit 153 Mann unter Major Barttelot und Dr. Parke den Fluß aufwärts gefahren.

Ich besuchte Kinschassa, um meinen alten Secretär Herrn Swinburne aufzusuchen, der jetzt Verwalter einer Elfenbein-Handelsgesellschaft, der Sanford-Exploring-Company, ist. Da der Rumpf seines Dampfers »Florida« der Vollendung entgegengeht, so machte er, wenn wir ihm behülflich sein wollten, das Schiff ins Wasser zu bringen, den Vorschlag, dasselbe der Expedition zu leihen, da es niemand von Nutzen war, bis Maschine und Welle mit dem Baron von Rothkirch einträfen, der vermuthlich nicht vor Ende Juli ankommen würde. Ich war nur zu froh, und schickte sofort eine Anzahl Leute ab, um die Arbeit der Verlängerung des Helgens bis zum Uferrande zu beginnen.

Unser Maschinist, John Walker, wurde zum Dienst auf dem »Henry Reed« beordert, um das Schiff zu reinigen und für die Fahrt nach dem Oberkongo vorzubereiten.

Heute sind ein Sudanese und ein Sansibarite gestorben.

27. April. Von den wegen Krankheit auf verschiedenen Stationen zurückgelassenen Leuten sind 13 Sansibariten und 1 Sudanese angekommen. Sie berichten, daß sie ihre Gewehre und Sappeurgeräthschaften verkauft hätten.

28. April. Wir schlagen das Lager ab und marschiren mit der Expedition nach Kinschassa, damit ich den Stapellauf des Dampfers »Florida« persönlich überwachen kann, der hoffentlich übermorgen stattfinden wird, da der Rumpf dann vollendet ist. Wir werden inzwischen von Herrn Antoine Greshoff, von der Holländischen Gesellschaft, und Herrn Swinburne, von der Sanford-Company, freundlich aufgenommen.

29. April. Im Lager bei Kinschassa unter den Affenbrotbäumen. Die Dampfer »Stanley« und »Henry Reed« sind mit dem Leichter »En Avant« im Schlepptau angekommen.

30. April. Der Rumpf der »Florida« ist heute Morgen vom Stapel gelassen worden; 200 Mann zogen denselben stetig auf dem bis in den Fluß hinein verlängerten Helgen ins Wasser, worauf das Schiff nach dem Landungsplatze der Holländischen Gesellschaft gebracht und an dem Dampfer »Stanley« befestigt wurde.

siehe Bildunterschrift

Stapellauf des Dampfers »Florida«.

Jeder Offizier erhielt den Plan bezüglich der Einschiffung und den Befehl, mit dem Beladen der Dampfer dem Programm gemäß zu beginnen.

Ferner ertheilte ich folgende Ordres:

»Die Offiziere, welche Compagnien befehligen, sind:

Tabelle

»Herr William Bonny übernimmt die Aufsicht über die Transport-, Reit- und sonstigen lebenden Thiere und hilft im Nothfalle Dr. Parke.

»Jeder Offizier ist für das gute Verhalten seiner Compagnie und den Zustand der Waffen und Ausrüstung persönlich verantwortlich.

»Die Offiziere haben die Patrontaschen ihrer Leute oft zu inspiciren und genau Buch darüber zu führen, um den Verkauf der Munition an die Eingeborenen oder Araber zu verhüten.

»Für geringere Vergehen darf nur eine leichte körperliche Strafe auferlegt werden, und auch nur so selten wie möglich. Die Offiziere haben in dieser Beziehung Besonnenheit zu üben und müssen sich hüten, die Leute durch allzu große Strenge und unnöthiges Antreiben aufzuregen.

»Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, große Nachsicht walten zu lassen; möge daher in der Regel gegen eine Bestrafung dreimal verziehen werden.

»Die Offiziere werden gefälligst bedenken, daß die Leute harte Arbeit haben, ihre Lasten schwer, das Klima heiß, die Märsche ermüdend und die Rationen schlecht und oft knapp sind. Unter solchen Umständen ist die menschliche Natur äußerst empfänglich, und es sollten deshalb die Bestrafungen wohl überlegt und nicht zu Quälereien werden, um die Geduld nicht zu stark anzuspannen. Nichtsdestoweniger muß den Leuten Disciplin gelehrt und zum allgemeinen Besten im Nothfalle mit Gewalt aufrecht erhalten werden.

»Ernstliche Vergehen gegen die Expedition werde ich im allgemeinen selbst aburtheilen.

»An Bord wird jeder Offizier angewiesen, die Arbeiten des Tages zu übernehmen. Er hat auf die Vertheilung der Rationen, die Reinigung des Schiffes zu achten und Obacht zu geben, daß keine Prügeleien oder Raufereien vorkommen, da, wenn man sie nicht verhindert, Messeraffairen daraus entstehen, und daß die Thiere regelmäßig Futter und Wasser bekommen. Wegen aller unwichtigen Kleinigkeiten wende man sich an den ältesten Offizier, Major Barttelot.«



 << zurück weiter >>