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Elftes Kapitel.
Durch den Wald bis zu Masamboni's Pic.

Im Lande der Balesse. – Ihre Häuser und Lichtungen. – Eingeborene von Bukiri. – Das erste Zwergendorf. – Steigerung unserer Marschgeschwindigkeit. – Die Straße jenseit Mambungu. – Halt in Ost- und West-Indekaru. – Ein kleiner Zank zwischen »Three O'clock« und Chamis. – Ankunft in Ibwiri. – Chamis und die »elenden Sansibariten«. – Die Lichtung von Ibwiri. – Fülle von Lebensmitteln. – Der Zustand meiner Leute und die von ihnen ertragenen Leiden. – Chamis erforscht mit seiner Truppe die Umgegend. – Er kehrt mit einer Ziegenheerde zurück. – Chamis nimmt Borjo gefangen, der wieder freigelassen wird. – Jephson kehrt von der Rettung des Kapitän Nelson zurück. – Abmarsch des Chamis und seiner Manjema. – Rechnung für die Herren Kilonga-Longa u. Co. in Ipoto. – Selbstmord Simba's. – Sali's Betrachtungen über denselben. – Recognoscirung durch Lieutenant Stairs. – Musterung und Reorganisation in Ibwiri. – Gebesserter Zustand der Leute. – Das Dorf Borjo's. – Sitten der Balesse. – Ost-Indenduru. – Wir erreichen die Grenze des Waldes. – Der Berg Pisgah. – Das Dorf Ijugu. – Endlich wieder im Sonnenschein; das wundervolle Grasland. – Zusammentreffen mit einem alten Weibe. – Indesura und seine Producte. – Gefangennahme Djuma's. – Wieder am Ituri. – Wir gelangen auf eine wellenförmige Ebene und fourragiren in mehrern Dörfern. – Die Bauart der Hütten. – Der District der Babusesse. – Unsere Mbiri-Gefangenen. – Angriff der Eingeborenen auf das Lager. – Der Lauf des Ituri. – Die Eingeborenen von Abunguma. – Unsere Kost seit dem Abmarsche von Ibwiri. – Masamboni's Pic. – Der Ost-Ituri. – Eine Menge Pflanzungen. – Scheinangriff der Eingeborenen. – Lager auf dem Gipfel des Usera Kum. – »Sei stark und guten Muthes.« – Freundschaftlicher Verkehr mit den Eingeborenen. – Wir sind gezwungen sie zu zerstreuen. – Der Friede hergestellt. – Waffen der Bandussuma.

 

In 2 Stunden marschirten wir bis Jumbu und am nächsten Tage in 4¼ Stunden nach Busindi.

Wir befanden uns jetzt im Lande der Balesse. Die Bauart der Dörfer ist hier eine ganz andere. Die Eigenthümlichkeit besteht in einer langen Straße, die auf beiden Seiten von einem langen niedrigen Holz- oder eigentlich Plankengebäude von 60, 80 oder 120 m Länge eingefaßt wird. Auf den ersten Blick scheinen diese Dörfer ein langes mit schrägem Dach versehenes Gebäude zu sein, welches genau dem First des Daches entlang in der Mitte durchgeschnitten ist, worauf dann beide Hälften des Hauses je 6-9 m zurückgeschoben, an den innern Seiten mit Bretern bekleidet und mit niedrigen Thüren versehen worden sind, welche die Eingänge in die unter einander nicht verbundenen Gemächer bilden. Das Material zu diesen Gebäuden bietet das leichte Holz von Rubiaceen. Nachdem ein passender Baum von 45-60 cm Durchmesser gefällt ist, wird der Stamm in kurze Stücke von 1¼-1¾ m Länge zerlegt, die sich vermittelst harter Keile leicht spalten lassen und mit Hülfe der kleinen, zierlichen Krummäxte der Eingeborenen zu gleichmäßigen, ziemlich glatten und viereckigen Planken verarbeitet werden. Diese sind gewöhnlich 2½-3 cm stark, während die Breter für die Decke oder innere Verschalung dünner und schmäler sind. Sobald eine genügende Zahl von Bretern und Planken fertig ist, wird die innere Bekleidung an den senkrechten Stützen festgebunden, oft so hübsch, daß es ein Zimmermannslehrling mit Säge, Nägeln und Hammer nicht besser machen könnte; an der äußern Seite der Stützen werden die dickern Planken oder breiten glatten Schalbreter befestigt, während der Zwischenraum zwischen der innern und äußern Bekleidung mit Phrynium- oder Bananenblättern ausgefüllt wird. Die der Straße zugekehrte Wand mag vielleicht 2¾ m hoch sein; die nach dem Wald oder der Lichtung gekehrte Rückwand hat eine Höhe von 1¼-1½ m, und die Tiefe des Gebäudes schwankt zwischen 2 und 3 m. Alles in allem ist dies eine bequeme und feste Bauart, im Falle einer Feuersbrunst allerdings ziemlich gefährlich, aber mit wenig Mühe zu vertheidigen.

siehe Bildunterschrift

Schilde der Balesse.

siehe Bildunterschrift

Gymnastische Uebungen in einer Waldlichtung.

Eine weitere Eigenthümlichkeit der Balesse ist der Zustand ihrer Lichtungen, die zum Theil sehr ausgedehnt sind, einen Durchmesser bis zu 2½ km haben und sämmtlich überall mit den Ueberresten, Trümmern und Stämmen des Urwaldes bedeckt sind. In der That läßt sich eine Lichtung der Balesse mit nichts Besserm vergleichen, als mit einem das Hauptdorf umgebenden mächtigen Verhau, über welchen der Reisende sich einen Weg zu suchen hat. Tritt man aus dem Schatten des Waldes heraus, so führt der Pfad anfänglich vielleicht 30 m dem Stamme eines großen Baumes entlang, wendet sich dann im rechten Winkel einen Meter längs eines starken Astes, und führt darauf einige Schritte über den Erdboden, bis man vor einem gefällten dicken Baume von 1 m Durchmesser steht, über den man hinwegklettern muß, um sich im nächsten Augenblicke dem ausgedehnten Geäst eines weitern Baumriesen gegenüber zu finden, durch welches man kriechen, gleiten und sich winden muß, um festen Fuß auf einem Zweige zu bekommen. Aus dem Geäst gelangt man auf den Stamm, worauf man eine halbe Wendung nach rechts macht, dem an Stärke zunehmenden Baum entlang geht, bis man einen auf und über den ersten hinweggefallenen Stamm zu erklettern hat, dem man nach einer halben Wendung nach links aufwärts folgt, bis man die Höhe von 6 m über dem Erdboden erreicht hat. Zwischen dem Geäste in dieser schwindelnden Höhe muß man vorsichtig und nervenstark sein. Unter mislichem, gefährlichem Balanciren setzt man den Fuß auf einen Zweig und steigt dann vorsichtig von der steilen Höhe herab, bis man etwa 2 m vom Erdboden ist, von wo man wieder auf einen andern allmählich dünner werdenden Ast springt, um ihn wiederum bis zur Höhe von 6 m zu verfolgen. Darauf geht es wieder über einen Baumriesen, dann nach dem Erdboden hinab und auf diese Weise stundenlang weiter in der heißen, brennenden Sonne und der dumpfen, dunstgefüllten Atmosphäre der Lichtung, bis der Schweiß in Strömen aus den Poren fließt. Dreimal bin ich bei diesen schrecklichen gymnastischen Uebungen nur mit genauer Noth dem Tode entgangen. Ein Mann blieb nach dem Falle auf der Stelle todt, mehrere andere erhielten fürchterliche Verletzungen. Und doch ist der Uebergang über den Verhau für den fast nackten Fuß nicht so gefährlich wie für den Stiefel, namentlich am frühen Morgen, wenn der Thau noch nicht aufgetrocknet ist, und nach einem Regenguß oder wenn die Vorhut die Stämme mit schmierigem Thon beschmutzt hat. Ich bin innerhalb einer Stunde sechsmal gefallen. Das Dorf steht im Mittelpunkt der Lichtung. Wir haben uns oft, wenn wir zu der Zeit, um welche wir das Lager aufzuschlagen pflegten, an einer Lichtung eintrafen, beglückwünscht, dann aber oft noch anderthalb Stunden gebraucht, um das Dorf zu erreichen. Es ist ein seltsamer Anblick, eine mit schweren Lasten beladene Karavane über dieses Wrack eines Waldes, über die mit Stämmen bedeckte Lichtung und die Flüsse, Moräste, Rinnsale und Gräben schreiten zu sehen, die oft 6-7 m unter einem zu passirenden dünnen, nur 15 cm starken gleichsam eine Brücke bildenden glatten Baum liegen. Einige Leute stürzen, andere taumeln, einer oder zwei sind bereits gefallen, einige befinden sich in der Höhe von 6 m, andere kriechen auf dem Erdboden unter den Bäumen hindurch; viele dringen durch ein Gewirr von Aesten, dreißig Mann oder mehr stehen auf einem einzigen geraden, dünnen Stamm, etliche sind wie Schildwachen auf einem Zweig postirt und wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Alles das wird aber noch viel beschwerlicher und viel gefährlicher, wenn aus hundert Richtungen die todbringenden Pfeile der im Hinterhalt verborgenen Eingeborenen herumfliegen, die, Gott sei Dank, nicht sehr zahlreich waren. Wir waren so vorsichtig, daß dies nicht oft vorkam, obwol wir selten eine dieser schrecklichen Lichtungen haben verlassen können, ohne daß diesem oder jenem der Fuß durch ein spitzes Holzstück verletzt oder der eine oder andere gelähmt worden war.

Am 29. October marschirten wir in 6 Stunden bis Bukiri oder Mijulu, eine Entfernung von 14½ km.

Einige wenige Eingeborene, welche durch Folterqualen und Verfolgungen von den Manjema zur Unterwerfung gebracht waren, begrüßten uns mit den Rufen: »Bodo! Bodo! Ulenda! Ulenda!«, wobei sie ihre Worte mit einer werfenden Bewegung der Hand begleiteten, als ob sie andeuten wollten: »Fort! fort!«

Der Häuptling hieß Muani. Die Eingeborenen trugen viel polirten Eisenschmuck, wie Ringe, Gürtel und Beinspangen, und scheinen, wie die Bewohner von Karagwe und Uhha, zahlreiche Beinspangen aus Rotangfasern sowie Armspangen aus demselben Material besonders zu lieben. Sie bauen Mais, Bohnen, Paradiesfeigen und Bananen, Taback, süße Kartoffeln, Yams, Eierpflanzen, Melonen und Kürbisse. Die Ziegen sind hübsch und ziemlich groß, die Hühner zahlreich, doch sind frische Eier selten.

Zwischen einigen dieser Dörfer steht gewöhnlich eine mit einer Kuppel versehene Hütte von größerm Umfange, ähnlich wie in Unjoro mit doppelten Vorhallen versehen.

Während wir am nächsten Tage halt machten, sorgten die Manjema-Führer in besonderer Weise dafür, daß unsere Leute nicht in Zweifel darüber blieben, daß sie von ihnen verachtet wurden. Sie wollten unsern Leuten, aus Furcht, daß ihnen selbst ein wünschenswerther Gegenstand verloren gehen könnte, nicht gestatten, mit den Eingeborenen Handel zu treiben, und schalten sie laut, wenn sie sich auf die Lichtung begaben, um Bananen abzuschneiden. Wie ich den Leuten schon vorhergesagt hatte, stiegen sie in der Gunst der Manjema keineswegs dadurch, daß sie die Weißen verließen und für unsere Ermahnungen, mannhaft und treu zu sein, nur taube Ohren hatten. Ein Wort, ja sogar ein herausfordernder Blick wurde von den Sklavenknaben unserer sechs Manjema-Führer mit einem heftigen Schlage mit dem Rohrstock auf den nackten Körper bestraft. Welch furchtbare Rache wurde geschworen wegen der unwürdigen Behandlung, die unsere Leute zu ertragen hatten!

Am 31. Oktober trafen wir das erste Dorf der Zwerge, und im Laufe des Tages noch mehrere verlassene Niederlassungen derselben. Wir marschirten in 5¼ Stunden etwa 14½ km, und lagerten dann in einem Zwergendorfe im Walde.

Das Stehlen wurde fleißig fortgesetzt. Bei der Untersuchung der Patronentaschen fand sich, daß drei derselben nur noch eine Patrone enthielten; die übrigen Patronen waren fort, selbstverständlich! Hailallah, ein 16jähriger Knabe, desertirte mit meiner Patronentasche und den darin befindlichen 30 Patronen nach Ipoto zurück; ein Mann, welcher eine meiner Taschen trug, lief mit 75 Winchesterpatronen davon.

Am nächsten Tage erreichten wir die ausgedehnte Lichtung und große Niederlassung von Mambungu oder Nebasse.

Chamis, der oberste der Führer, hatte Ipoto am 31. Oktober verlassen und stieß hier, gemäß dem mit Ismaili, meinem Manjema-Bruder, getroffenen Abkommen, mit 7 Mann zu uns.

Der von uns verfolgte Weg setzte uns in den Stand, unsere durchschnittliche Marschgeschwindigkeit zu vergrößern. Dem Flußufer entlang konnten wir bei unaufhörlicher Arbeit und Aufwendung von 7, 8, 9 und zuweilen 10 Stunden 5-11 km zurücklegen, hier waren wir in der Lage, 2,4, 2,8 und selbst 3,2 km in der Stunde zu marschiren, doch wurde das Vorwärtskommen noch immer durch Baumwurzeln, Stümpfe, Schlinggewächse, Winden, Holzsplitter und eine Menge Flüsse und mit grünem Schlamm bedeckte Rinnsale verzögert, und wir konnten kaum 100 m weit marschiren, ohne von den Pionieren den Befehl zum Anhalten zu bekommen.

Jeden Tag thürmten sich gegen Abend Wolken auf und hallte der Donner mit fürchterlichem Rollen in vielfachem Echo durch den Wald; die Blitze zuckten hierhin und dorthin, und brachen täglich die Kronen einiger Bäume ab, spalteten einen Waldpatriarchen vom Wipfel bis zum Fuße, oder zersplitterten einen stattlichen, königlichen Stamm; der Regen fiel in überschwemmenden Mengen und in unserm blutarmen Zustande fingen wir an zu frieren und wurden niedergeschlagen. Aber während des Marsches war die Vorsehung gnädig, die Sonne schien und warf ihr sanftes Licht in Millionen Strahlen durch das Geäst, hellte unsere Stimmung auf, ließ die Hallen und Gänge des Waldes in göttlicher Schönheit erscheinen, verwandelte die anmuthigen dünnen Baumstämme in graue Marmorpfeiler und die Thau- und Regentropfen in funkelnde Brillanten, munterte die unsichtbaren Vögel dazu auf, ihre lebhaften mannichfaltigen Lieder erschallen zu lassen, reizte die Scharen von Papagaien zu fröhlichem Geschrei und Pfeifen, und erweckte ganze Scharen von Affen zu ihren ausgelassensten Possen, während hin und wieder ein tiefes, baßartiges Brüllen in der Ferne ankündigte, daß eine Soko- oder Schimpansenfamilie sich in ihrem Schlupfwinkel mit irgendeinem wilden Sport vergnügte.

Die Straße von Mambungu nach Osten war voll Qualen, Besorgnissen und Befürchtungen; nirgends stießen wir auf eine solche Reihe von Lichtungen als um Mambungu und in der benachbarten Niederlassung von Ndjalli. Die Bäume waren von der größten Art und in solcher Zahl umgehauen worden, als hätte man eine Kriegsflotte bauen wollen; in der fürchterlichsten Verwirrung, die man sich denken kann, lag ein Baum, ein Stamm auf und über dem andern, erhoben sich die Zweige zu einem Hügel über dem andern; zwischen dieser wilden Waldruine wuchsen in größter Ueppigkeit Bananen, Paradiesfeigen, wilde Weinreben, Schmarotzerpflanzen, epheuartige Ranken, Palmen, Rotang, Winden u. s. w., und durch all dieses mußte die arme Colonne sich durchwühlen, kämpfen und schwitzen: ein Kriechen, Gleiten und Klettern in, durch und über Hindernisse und Wirrsale, die der Beschreibung spotten.

Am 4. November waren wir 22 km von Mambungu entfernt in der Niederlassung von Ndugubischa, nachdem wir auf dem Wege durch fünf verlassene Walddörfer der Zwerge gekommen waren. An diesem Tage hätte ich beinahe gelächelt, da ich im Geiste das Anbrechen der uns von Uledi prophezeiten glücklichern Tage zu bemerken glaubte. Jedes Mitglied der Karavane erhielt nämlich als Ration einen Maiskolben und 15 Paradiesfeigen.

Fünfzehn Paradiesfeigen und ein Maiskolben sind eine königliche Ration im Vergleich zu zwei Maiskolben oder einer Hand voll Beeren, oder einem Dutzend Schwämmen, wenn sie auch nicht genügten, unsere Leute allzu fröhlich zu stimmen, obwol dieselben von Natur aus leichten Sinnes und fröhlich waren.

»Aber seid unbesorgt, meine Jungen«, sagte ich, während ich den hungerigen Geschöpfen die knappe Speise austheilte; »der Morgen bricht an, noch eine Woche, dann werdet ihr das Ende eurer Schwierigkeiten sehen.«

Ich erhielt keine Antwort, nur ein leichtes Lächeln erhellte die vom Hunger scharf gezeichneten Züge. Unsere Offiziere hatten die Entbehrungen in dem Geiste ertragen, den Cäsar dem Antonius zuschreibt, und sich von den faden holzigen Bohnen des Waldes, den herben wilden Früchten und den seltsamen Schwämmen genährt, zufrieden lächelnd wie bei einem Feste versammelte Sybariten. Und doch hatte einer von ihnen 20 000 Mark für dieses armselige Privilegium bezahlt und wäre fast für zu »vornehm« für das rauhe Leben in Afrika gehalten worden. Sie waren ein lebendes Beispiel für unsere dunkeln Begleiter gewesen, von denen viele wahrscheinlich durch den hellen, hoffnungsvollen Blick, den unsere Offiziere bei allem Unglück und aller Trübsal behielten, ermuthigt worden sind, für ihre Existenz weiter zu kämpfen.

Am folgenden Tage überschritten wir die Wasserscheide zwischen den Flüssen Ihuru und Ituri und stürzten uns jetzt in die kühlen Ströme, welche nach links zum Ihuru fließen. Zur Rechten und Linken stiegen Hügel in Gestalt von bewaldeten Kegeln und Bergrücken auf und nach einem Marsche von 15½ km machten wir in West-Indekaru am Fuße eines Berges, dessen Gipfel sich etwa 180 m über das Dorf erhob, für die Nacht halt. Ein weiterer kurzer Marsch brachte uns bis zu einem Dorfe, welches Ost-Indekaru genannt werden kann und in halber Höhe eines hohen Berges liegt. Nach dem Aneroidbarometer befanden wir uns 1249 m über dem Meeresspiegel. Von diesem Dorfe aus erfreuten wir uns zum ersten mal eines Rundblicks auf unsere Umgebung. Anstatt wie große Zweifüßler in der Dämmerung 60 m unter dem Niveau des hellen Tageslichts dahinzukriechen und durch den Vergleich mit den zu Millionen um uns stehenden Riesensäulen und hohen pfeilerartigen Stämmen gezwungen zu sein, unsere Kleinheit einzugestehen, befanden wir uns hier auf dem Rücken eines abgeholzten Berges, von dem wir auf die Blätterwelt unter uns hinabblickten. Man glaubte beinahe, daß es möglich sei, die wogende Laubebene zu beschreiten, so ununterbrochen und dicht war dieselbe, soweit das Auge sie bis zu den fernsten Grenzen der Sehkraft verfolgen konnte, wo sie allmählich in einen lieblichen blaßblauen Farbenschimmer überging; weitweg, bis zu einem unbekannten Dorfe breiteten die Gipfel des Waldes sich mit ihrem mannichfaltigen sammtartigen Grün aus, zwischen dem nicht selten rothe Flecken blühender Bäume und Blattkreise von reicher braunrother Farbe vorkamen. Wie beneidete man den glatten, leichten Flug der Gabelweihen und weißkragigen Adler, die unaufhaltsam und ungehindert anmuthig durch die ruhige Luft segelten. O, hätten wir doch die Flügel der Gabelweihen gehabt, damit wir fliegen könnten und Ruhe hätten vor den unverbesserlich bösen Manjema! Wer hegte nicht diesen Wunsch? Ich glaube in der That, wir alle hatten ihn mehr oder weniger.

Am 7. November, als wir auf dem Berge halt gemacht hatten, die Manjema das Dorf für sich besetzt hielten und unsere Leute, nicht würdig, in der Nähe der Edlen zu sein, im Busch sich befanden, entstand zwischen dem Jäger Saat Tato und Chamis, dem obersten der Manjema-Führer, ein kleines Gewitter, das, nach dem Schall der Worte zu urtheilen, einmal einzuschlagen und Schaden anzurichten drohte. Chamis hatte dem andern einen Schlag ins Gesicht versetzt. Beide waren Männer von hoher Statur, Saat Tato aber zwei Zoll größer als jener; er war ein guter Soldat, der in Madagaskar und unter dem Seyid Bargasch als Sergeant gedient, aber wegen seiner Gewohnheit, sich jeden Tag zur dritten Stunde zu betrinken, den Spottnamen »Drei Uhr« erhalten hatte und entlassen worden war. Er war ein ausgezeichneter Mensch, treu, gehorsam und ein nie fehlender Schütze. Wäre Saat Tato nur gut genährt gewesen, er würde Chamis jeden Augenblick lächelnd ergriffen und dessen Rückgrat mit derselben Leichtigkeit übers Knie abgebrochen haben, wie den Schaft eines Speers. Ich beobachtete Saat Tato genau, da ich, wie man sich erinnern wird, den Eindruck und die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß meine Leute viel zu entmuthigt seien. Saat Tato sah seinen Gegner eine Weile strenge an und sagte dann, den Zeigefinger aufhebend, zu Chamis: »Es ist gut, aber ich möchte, daß du diesen Schlag nach einiger Zeit, wenn ich etwas Nahrung in mir und mir den Magen gefüllt habe, wiederholen würdest. Schlag mich noch einmal, nur zu; ich kann es vertragen.«

Nunmehr sagte ich, vortretend und Chamis an der Schulter berührend: »Chamis, thue das nicht wieder. Ich erlaube selbst meinen Offizieren nicht, die Leute in dieser Weise zu schlagen.«

Die Verstimmung war im Zunehmen begriffen und die Manjema unterstützten mich, so wenig sie dies auch ahnten, durch ihre Grausamkeit bei der Wiederaufrichtung des Muthes der Sansibariten. Es waren Anzeichen vorhanden, daß die Christen dennoch den Sieg davontragen würden. Die zwischen den Ländern des Islam gegenseitig bestehende Liebe, an deren Altar unsere Leute unser Leben, unsere freie Entschließung und ihre eigene Freiheit zu opfern bereit gewesen waren, hatte sich infolge der Grausamkeit, Böswilligkeit und Habgier der Manjema abgekühlt. Alles was wir zu thun hatten, war, sie zu beobachten, geduldig zuzuhören und immer bereit zu sein.

Zu unserm großen Troste theilte Chamis uns mit, daß West-Indekaru die äußerste Grenze des Territoriums seines Herrn Ismaili sei. Wir sollten uns jedoch nicht von ihm trennen, bis wir nicht Ibwiri erreicht hatten.

Am 8. November marschirten wir 18 km durch den Wald, der hier offener war, sodaß wir weiter ins Innere hineinsehen konnten. Der Weg war besser, und zwar um so viel, daß unsere Marschgeschwindigkeit sich auf 3,2 km in der Stunde steigerte. Der kiesige, lehmige Boden hatte den Regen aufgesogen und das Gehen war ganz angenehm. Die Lianen kamen weniger üppig vor und nur hin und wieder mußte eine starke Schlingpflanze durchgehauen werden. An mehrern Stellen sahen wir Granitblöcke von ungeheuerer Größe, welche etwas Neues für uns waren, dem Walde eine Art romantisches und malerisches Interesse verliehen und dunkel an Zigeuner, Banditen und Zwerge erinnerten.

Ein Marsch von 15 km brachte uns am 9. November zu einem Zwergenlager. Bis Mittag hatte Nebel über dem Lande gelagert: auf dem letzten Theil des Weges waren wir durch mehrere erst kürzlich verlassene Dörfer der Zwerge und über acht Flüsse gekommen. Chamis, der Führer und seine Begleiter, sowie etwa ein halbes Dutzend Gefangene setzten den Marsch noch bis nach dem nur noch 2½ km entfernten Ibwiri fort, wo wir uns am nächsten Tage wieder vereinigten. Dies war eine der reichsten und schönsten Lichtungen, welche wir seit dem Abmarsch von Jambuja gesehen hatten, obwol wir Dutzende derselben in ebenso blühendem Zustande gefunden haben würden, wenn die Expedition etwa acht Monate früher ausgesandt worden wäre. Die Lichtung hatte einen Durchmesser von 5 km und besaß einen Ueberfluß an einheimischen Produkten, da sie von den Manjema bisher noch nicht besucht worden war. Fast jeder Bananenstamm trug einen ungeheuern Fruchtbüschel, an welchem zwischen 50 und 140 Früchte hingen; einzelne dieser Früchte waren 56 cm lang, hatten einen Durchmesser von 6 cm und einen Umfang von 20 cm und waren groß genug, um dem Jäger Saat Tato die so lange ersehnte vollständige Mahlzeit zu liefern. Die Luft war mit dem Geruche der reifen Früchte erfüllt, und wiederholt wurde ich, als wir über die Stämme kletterten und vorsichtig unsern Weg an den gefallenen Bäumen entlang suchten, von den erfreuten Leuten aufgefordert, die verführerisch ihnen vor Augen hängenden Büschel gelber Früchte zu betrachten.

Ehe wir das Dorf erreichten, flüsterte einer der Führer der Sansibariten, Murabo, mir zu, es seien fünf Dörfer in Ibwiri, und jede Hütte in demselben sei mehr als zum vierten Theile mit Mais gefüllt gewesen, doch hätten Chamis und seine Begleiter auf Grund des Rechtes des zuerst Angekommenen das Getreide in ihren eigenen Hütten aufgespeichert.

Beim Betreten der Dorfstraße trat Chamis mir mit den üblichen Klagen über die Schlechtigkeit der elenden Sansibariten entgegen. Als ich dann auf den Boden blickte, sah ich eine Menge zerstreuter Körner liegen, wodurch die Mittheilungen Murabo's bestätigt wurden, und als Chamis den Vorschlag machte, daß die Expedition die westliche Hälfte des Dorfes, er und seine Leute aber die östliche Seite besetzen sollten, wagte ich es, mich gegen diesen Plan aufzulehnen mit dem Hinweis darauf, daß wir jetzt das Gebiet seines Herrn verlassen hätten und deshalb alles Land nach Osten hin in Anspruch nähmen; wir könnten in Zukunft seine Vorschläge über das, was wir thun sollten, entbehren, und es dürfte fortan kein Korn Getreide, keine Paradiesfeige oder Banane und kein anderes einheimisches Product das Land ohne meine Erlaubniß verlassen.

Ich sagte ihm ferner, daß kein Volk der Erde ohne zu klagen solche Schamlosigkeiten, Beleidigungen und Insulten ertragen haben würde, wie die Manjema den Sansibariten zugefügt hätten; in Zukunft würde es diesen aber freistehen, für solche Beleidigungen, so gut sie es vermöchten, Wiedervergeltung zu üben. Chamis erklärte sich in unterwürfigster Weise mit allem einverstanden.

Das erste, was ich nach der Lagerung der Waaren und der Vertheilung der Leute in die Quartiere that, war, daß ich jedem Mann 50 Maiskolben gab und mit den Eingeborenen ein Abkommen wegen unsers Verhaltens zueinander traf.

Im Verlauf einer Stunde war vereinbart worden, daß die westliche Hälfte der Lichtung von Ibwiri uns zum Fourragiren überlassen werden, die Eingeborenen dagegen die östliche Seite von einem gewissen Fluß ab als ihr Gebiet behalten sollten. Auch der Manjema Chamis wurde veranlaßt, diesen Vertrag anzuerkennen. Als Gegengeschenk für ein Packet Messingstangen gab Borjo, der hervorragendste Häuptling dieses Balesse-Districts, uns fünf Hühner und eine Ziege.

Das war ein wichtiger Tag. Seit dem 31. August hatte nicht ein einziges Mitglied der Expedition sich einer vollständigen Mahlzeit erfreut, während hier alle Bananen, reife und unreife Paradiesfeigen, Kartoffeln, Kräuter, Yams, Bohnen, Zuckerrohr, Mais und Melonen in solchen Mengen bekamen, daß sie, selbst wenn sie Elefanten gewesen wären, den für sie gesammelten Vorrath in weniger als zehn Tagen nicht hätten aufzehren können. Endlich konnten sie einmal den so lange quälenden und nagenden Hunger vollständig stillen.

Da wir auf Herrn Jephson und einige sechzig Sansibariten – 40 von der Hülfskaravane, die Bootsmannschaft und die Genesenden von Ipoto – zu warten hatten, mußten die guten Folgen des Ueberflusses sich in wenigen Tagen zeigen. Auch hier war eine der Niederlassungen, die wir so eifrig gesucht hatten, um sie als Erholungsstation zu benutzen. Aber noch waren die Leute infolge ihrer Dürre und Nacktheit häßlich anzusehen. Sie waren nackt, weil sie sich ihrer Kleidungsstücke entledigt hatten, um von den Sklaven der Manjema in der Station Ugarrowwa's und in Ipoto Lebensmittel zu kaufen, und hatten kein Fleisch am Leibe, weil sie während der 73tägigen Hungersnoth und des 13tägigen absoluten Mangels zu Gerippen abgemagert waren. Sie hatten nur wenig Kraft mehr und sahen in jeder Beziehung schlecht aus; ihre prächtige, geölter Bronze gleichende Hautfarbe war zu einer Mischung von schmutzigem Schwarz und Holzasche geworden, ihre rollenden Augen verriethen Krankheit, Unreinigkeit des Blutes und Verhärtung der Leber; die schönen Umrisse des Körpers und die zarten Linien der Muskeln waren – leider, leider – vollständig verschwunden. Sie paßten mehr für ein Beinhaus als für ein Lager von Männern, die beständig gefechtsmäßig auftreten sollen.

Am nächsten Morgen erbot sich der Manjema-Führer Chamis, ostwärts vorzudringen, um die von Ibwiri auslaufende Straße aufzusuchen, da der Häuptling Borjo ihm, wie er mir sagte, von einem Grasland erzählt habe, das nicht viele Tage entfernt sein sollte. Er meinte, daß er mit einigen Eingeborenen Borjo's und 30 von unsern Gewehrträgern etwas Interessantes entdecken könnte. Als ich Borjo rief, bestätigte er mir, soweit wir ihn zu verstehen vermochten, daß man von einem Platze Namens Mande, der nur zwei gute Tagemärsche – d. h. 65 km – entfernt sei, das Grasland sehen könne, und daß die Rinderheerden in solcher Zahl an den Ituri kämen, um zu trinken, daß der Fluß »anschwelle«. Alles das stimmte überein mit meinem dringenden Wunsche, zu erfahren, wie weit wir uns noch von dem offenen Lande befänden, und da Borjo sich bereit erklärte, uns Führer zu verschaffen, rief ich Freiwillige auf. Zu meiner Verwunderung traten 28 Mann vor, die so erpicht und eifrig auf neue Abenteuer waren, als wenn sie während der letzten Monate im Ueberflusse geschwelgt hätten. Kurz darauf brach Chamis mit seiner Truppe auf.

Trotz des strengen Verbotes, auf dem den Eingeborenen von Ibwiri reservirten Gebiet etwas zu berühren, hatte einer unserer Beutejäger dasselbe doch besucht und 19 Hühner geraubt, von denen er zwei bereits verzehrt und die übrigen geköpft hatte, allein er wurde nebst seiner Beute von unsern Geheimpolizisten ergriffen, als er sich gerade mit einem Gefährten darüber stritt, was mit den Federn geschehen sollte. Das Fleisch und die Knochen versprachen ihnen keine Schwierigkeiten zu machen. In der Nähe hatten zwei Mann eine Ziege bis auf den Kopf verzehrt! Diese Thatsachen dienen zur Illustrirung der unbegrenzten Leistungsfähigkeit sansibaritischer Magen.

Die Eingeborenen von Ibwiri hatten sich uns gegenüber sehr hübsch benommen, und ich fühlte daher selbst etwas wie Scham über die Undankbarkeit meiner Begleiter. Der Häuptling und seine Familie lebten bei uns und tauschten täglich ein halb Dutzend mal ihren Gruß »Bodo, Bodo, ulenda, ulenda« mit uns aus. Aber unsere Leute hatten während der letzten 2½ Monate das höchste Elend ausgestanden, sodaß wir wol hätten erwarten können, daß sie bei der ersten Gelegenheit Excesse begehen würden. Keine Truppe Männer, die ich in der ganzen weiten Welt kenne, hätte eine solche Hungerperiode so geduldig und sanftmüthig ertragen, als weder ein Getreidekorn oder sonst etwas zur menschlichen Nahrung Geeignetes zu entdecken war, als in jedem Lager Gefährten starben oder todt am Wege niederstürzten und andere weniger Geduldige sich wahnsinnig vor Hunger in die Tiefen der Wildniß stürzten und es den übrigen überließen, mit den Lasten der Munition und des Gepäcks so gut es ging fertig zu werden. Veranlaßt durch anhaltenden Hunger und rasende Verzweiflung hätten sie nach dem Verlust des Vertrauens zu ihren Offizieren die Remingtongewehre ergreifen, mit einer Salve ihre weißen Hauptleute tödten, sich von ihnen nähren, und in einem Augenblicke sich von der Macht und aus den Händen der Autorität befreien können, welche sie, soweit sie wußten, nur dem gewissen Untergange entgegenschleppte.

Während ich die Eingeborenen bedauerte, welche ihr Eigenthum verloren, als sie es am wenigsten verdient hatten, konnte ich aus meiner Erinnerung doch das anhaltende Fasten in der sich von den Basopo-Schnellen bis Ibwiri ausdehnenden Waldwüste nicht los werden, an deren Rande wir uns noch jetzt befanden, und ebenso konnte ich – von Diebstählen und kleinen Vorfällen abgesehen – den geduldigen Gehorsam, die unentwegte Treue meiner Leute, die Liebe, welche sie uns, als wir dem Verhungern nahe waren, dadurch bewiesen, daß sie uns die größten und reifsten der von ihnen entdeckten Früchte brachten, sowie das im großen und ganzen muthige Verhalten und die edle Hoffnungsfreudigkeit während der schrecklichen Tage des Unglücks nicht vergessen. Alle diese Tugenden mußten ihre Vergehen aufheben, und es war daher am besten, abzuwarten, bis Sättigung und Ueberlegung uns bei der Wiederherstellung der Folgsamkeit und guten Ordnung halfen. Fast jede Meile Weges in der hungerigen Waldeinöde zwischen der Einmündung des Ihuru in den Ituri und Ipoto war durch die Leichen ihrer Gefährten gekennzeichnet; sie lagen dort vermodernd und verwesend im schweigsamen Dunkel, und wenn die Treue der Ueberlebenden nicht gewesen wäre, würde keiner von denen, die im Stande sind, ein wahrhaftes Zeugniß von den im September, October und der ersten Hälfte des November erlittenen schweren Prüfungen abzulegen, am Leben geblieben sein, um die traurigen, düstern Einzelheiten zu erzählen.

Je mehr Erfahrung und Einsicht in die menschliche Natur ich erhalte, desto mehr gewinne ich die Ueberzeugung, daß der größere Theil der Menschen rein thierisch ist. Nährt sich der Mensch genügend und regelmäßig, dann ist er ein Wesen, das sich zu Anstrengungen jeder Art überreden oder zwingen läßt, das durch Liebe und Furcht leicht bewegt wird und dem keine Arbeit widerstrebt, wie schwer sie auch sein möge; ist er aber halb verhungert, dann thut man gut, das Motto » Cave Canem« im Gedächtniß zu behalten, weil kein hungeriger Löwe einem Bissen rohen Fleisches gegenüber so wild und so leicht reizbar ist wie der Mensch. Strenge Disciplin, tägliches Lasttragen und endlose Märsche in ihnen vollständig unbekannten Regionen schienen unsere Leute niemals sehr zu erbittern, wenn ihr Magen gefüllt und reichlich Proviant für ihre Verdauungsorgane beschafft waren; dagegen war selbst der Tod durch den Strang nur ein zeitweiliger Dämpfer für ihre Neigung zu Unheil, wenn sie vom Hunger geplagt waren. Auch die vom Ueberfluß umgebenen Eingeborenen von Ibwiri sind geradezu infolge ihrer Wohlgenährtheit sanftmüthig und mild, während die zwerghaften Nomaden des Waldes, wie ich höre, so wild wie das Raubthier sind und kämpfen, bis ihre Köcher leer sind.

Am 12. November erhielt ich die Nachricht, daß der Manjema Chamis, der zu meiner Genugthuung, wie ich meinte, ausgezogen war, um das vor uns liegende Land zu untersuchen und mit den Eingeborenen Freundschaft zu schließen, diese Mission infolge seines Eigensinns nicht hätte ausführen können; er sei sehr enttäuscht, sei von den Eingeborenen von Ost-Ibwiri angegriffen worden und habe zwei Mann verloren. Infolge dessen befahl ich ihm zurückzukehren.

Die Flohplage war in Ibwiri so unerträglich geworden, daß ich, um Ruhe zu erhalten, mein Zelt auf offener Straße aufschlagen mußte.

Als ich am 13. November eine Inspicirung des Dorflagers vornahm und den Zustand der Leute untersuchte, wurde ich von dem sich mir bietenden Eßschauspiel überrascht. Fast jeder Mann war damit beschäftigt, Mais zu stampfen, getrocknete Bananen in Mehl zu verwandeln oder die Speisen mit seinen schönen Reihen von Zähnen zu zermalmen, um sich für das zwangsweise Fasten im September, October und November schadlos zu halten.

Chamis kehrte am 14. November mit einer großen Ziegenheerde zurück, die er irgendwo gefunden hatte, und war gnädig genug, uns 16 Stück zu überlassen. Das ließ uns argwöhnen, daß der wirkliche Zweck seines Zuges nicht gewesen war, das Land zu erforschen, sondern die Eroberungen seines Herrn Ismaili mit unserer Hülfe noch weiter nach Osten auszudehnen und die Eingeborenen von Ibwiri in dieselbe Armuth zu versetzen, wie solche beispielsweise in der Nachbarschaft von Ipoto herrschte. Allein obwol Chamis genügend Kräfte besaß, um dies auszuführen, hatte seine dumme Gier ihn doch veranlaßt, unter Nichtbeachtung der vergifteten Pfeile der Eingeborenen so unvorsichtig vorzugehen, daß er drei seiner Leute verlor. Chamis scheint, sobald eine Ziegenheerde in Sicht kam, seinen Zweck, das Land zu erforschen, vergessen, die Manjema zur Jagd auf die Thiere ausgeschickt und unsere Leute bei sich behalten zu haben. Infolge dieser Taktik kehrten die Sansibariten, die an dem schmachvollen Verfahren nicht betheiligt waren, unversehrt zurück. Als Chamis dann, den Verlust von drei seiner thatkräftigsten Gefährten betrauernd, wieder in unserm Dorfe ankam, begegnete er plötzlich dem Häuptling von Ibwiri, Borjo, und machte ihn, ohne ein Wort zu sagen, zum Gefangenen. Ehe er sich bei der Rückkehr bei mir meldete, befahl er seinen Leuten, den Häuptling zu erdrosseln, um den Tod seiner Untergebenen zu rächen. Da ich zufälligerweise davon hörte, sandte ich eine Wache hin, welche den Häuptling mit Gewalt aus Chamis' Händen befreien mußte, brachte jenen in eine Hütte, wo ihm nichts zu Leide geschehen konnte, und bat ihn, ganz unbesorgt zu sein, bis Chamis abmarschirt sei.

Wir schwelgten während der Zeit der Ruhe, da wir einen solchen Ueberfluß an Lebensmitteln entdeckt hatten, daß wir gern sechs Monate hätten bleiben können, ohne befürchten zu müssen, daß wir Hunger leiden würden. Wir ergötzten uns an reifen Bananen, die mit Ziegenmilch zu Puddings zubereitet waren, Pfannkuchen, Pasteten und Brot, süßen Kartoffeln, Maniok, Jams, Gemüsen, Geflügel und Ziegenfleisch ohne Beschränkung. Unsere Speisenkarte an diesem Abende war:

Suppe von Ziegenfleisch.
Gebratene Ziegenkeule mit gebackenen süßen Kartoffeln.
Gekochte süße Cassaven.
Gebratene Bananen.
Süßer Kuchen aus reifen Bananen.
Bananen-Pfannkuchen.
Ziegenmilch.

In unserm und dem Aussehen der Leute bemerkte ich bereits eine Veränderung. Jedenfalls ging es lauter her als früher, und einigemal hörte ich, wie der Versuch gemacht wurde zu singen, doch mußte dies, da es dem Sänger noch an Stimme mangelte, auf später verschoben werden.

Am 16. November, um 3 Uhr nachmittags, traf Herr Jephson ein, der seine Aufgabe, die Rettung Nelson's, ganz glänzend durchgeführt hatte. Wie aus dem Briefe, in welchem Herr Jephson seine Mission schildert, zu ersehen ist, war es ihm gelungen, Kapitän Nelson zu Hülfe zu kommen und nach einem Marsche von etwa 160 km innerhalb sieben Tagen mit ihm nach Ipoto zurückzukehren. Nach dem Briefe Kapitän Nelson's zu urtheilen, schien er aus seiner schrecklichen Noth nur befreit zu sein, um inmitten des Ueberflusses von Ipoto in eine ähnliche verzweifelte Lage zu gerathen.

Am nächsten Tage kehrte Chamis, ohne Abschied zu nehmen, mit seinen Manjema heim. Ich schickte einen Brief an meine Offiziere in Ipoto, sowie Elfenbein und ein Geschenk an Stoffen für Chamis nach Indekaru, von wo die Manjema vielleicht Hülfe von ihren Landsleuten bekommen konnten. Nie war ich mit mir selbst so unzufrieden, als zur Zeit, da ich diese Leute so freundlich behandeln und ihnen den Abmarsch gestatten mußte, ohne die kleine Genugthuung, ihnen meine Privatmeinung über die Manjema im allgemeinen und die Horde in Ipoto im besondern auszusprechen. Auf allen Punkten war ich geschlagen worden; sie zwangen mich, ihnen eine edelmüthige Behandlung zutheil werden zu lassen, und rangen mir schließlich hinterlistig noch die Verpflichtung ab, ihr gestohlenes Elfenbein weiter zu befördern.

Und doch war ich ihnen in gewisser Weise dankbar, daß sie meine Lage nicht noch mehr ausgebeutet hatten. Da Kapitän Nelson, Dr. Parke und etwa 30 Mann in ihrer Gewalt waren, so hätten sie mich zu tausend Concessionen zwingen können, was sie glücklicherweise nicht thaten. Ich hoffte nur, daß die göttliche Gerechtigkeit es nach einer Prüfungszeit für rathsam halten würde, mich in unabhängigere Verhältnisse zu versetzen. Erst wenn der Doctor und Nelson mit ihren Kranken wieder genesen und in meinem Lager, sowie auch die in Ipoto zurückgelassenen 116 Lasten und das Boot in Sicherheit gebracht waren, dann, aber auch erst dann würde ich im Stande sein, meine Rechnung aufzustellen und eine unbedingte und endgültige Erledigung derselben zu verlangen. Meine Ansprüche waren gerecht und deutlich:

Rechnung
für die Herren Kilonga-Longa u. Co. in Ipoto,
von H. M. Stanley, den Offizieren und Mannschaften der Expedition
zum Entsatze Emin Pascha's.

Tabelle

Am 17. November erfuhren wir im Laufe des Nachmittags nochmals die übeln Folgen unserer Verbindung mit den Manjema. Ganz Ibwiri und die benachbarten Districte waren in Waffen gegen uns. Die Eröffnung der Feindseligkeiten fand statt, als ein Mann Namens Simba sich an den nahe dem Lager befindlichen Fluß begab, um Wasser zu holen, wobei er einen Pfeilschuß in den Unterleib bekam. Als er aus unsern besorgten Zügen den tödlichen Charakter der Wunde erkannte, rief er nach seinen »Burjani-Brüdern«, lud später, als er in seine Hütte getragen war, sein Remingtongewehr und zerschmetterte sich in entsetzlicher Weise die einst jovialen und nicht unschönen Züge.

Die Betrachtungen, welche die Sansibariten über den Selbstmord anstellten, waren seltsam; am besten drückte sich der Zeltdiener Sali aus:

»Denkt nur, Simba, ein armer Teufel, der nichts in der Welt sein eigen nennt, der nichts ihm Theures besitzt und auch niemandem theuer ist, ohne Namen, Heimat, Eigenthum oder Ehre, begeht Selbstmord! Wäre er ein reicher Araber, ein Hindu-Kaufmann, ein Hauptmann der Soldaten, Gouverneur eines Districts oder ein Weißer, der Unglück gehabt hat oder das Opfer der Unehre oder der Schande geworden ist, ja, dann könnte ich den Sinn des Selbstmordes verstehen; aber dieser Simba, der nichts anderes als ein Sklave, ein Ausgestoßener aus Unjanjembe war, der auf der ganzen weiten Welt keinen weitern Freund besitzt, als die paar armen Geschöpfe in seiner Compagnie hier im Lager, geht hin und tödtet sich wie ein reicher Mann! Pah, werft ihn in die Wildniß und laßt ihn vermodern! Was hat er für ein Recht auf die Ehre eines Sarges und eines Begräbnisses?« Das war das allgemeine Urtheil der Leute, die bisher seine Gefährten gewesen waren, wenn sie sich auch nicht so elegant ausdrückten wie der kleine Sali in seiner großen Empörung über solche Ueberhebung.

Früh an diesem Morgen hatte ich Lieutenant Stairs nebst 36 mit Gewehren Bewaffneten ausgeschickt, um unter der Führung Borjo's und eines jungen Manjema-Freiwilligen eine Recognoscirungstour zu unternehmen, da wir noch mehrere Tage auf die Ankunft einiger Genesenden warten mußten, welche, der in Ipoto gegen sie ausgeübten Grausamkeiten müde, den Tod auf dem Marsche der schrecklichen Knechtschaft der Manjema-Sklaven vorgezogen hatten.

Am 19. November traf Uledi, der Steuermann des »Advance«, mit seiner Bootsmannschaft ein und meldete, daß 15 Genesende auf dem Marsche begriffen seien. Abends langten dieselben im Lager an.

Am 21. November kehrte die Recognoscirungstruppe unter Lieutenant Stairs in Begleitung Borjo's zurück. Sie hatte nichts Neues über das Grasland erfahren, meldete aber, daß ein ziemlich guter Pfad stetig nach Osten führe – eine so tröstliche Nachricht, wie wir sie nicht besser erwarten konnten.

Am 23. November, dem letzten Tage unsers Aufenthalts in Ibwiri, ließ ich die Truppen mustern und folgendermaßen reorganisiren:

Tabelle

In Ipoto waren einschließlich Kapitän Nelson und Dr. Parke 28 Mann; bei Ugarrowwa hatten wir 56 Mann zur Erholung zurückgelassen. Möglicherweise kehrten auch einige Leute aus dem Hungerlager Nelson's unter der Führung von Umari zurück, sodaß wir rechnen konnten, daß die Zahl der Vorhut noch aus 268 Mann bestand von 389, mit denen wir vor 139 Tagen Jambuja verlassen hatten, während unser Verlust 121 Mann betrug. In dieser Beziehung täuschten wir uns aber sehr, da um diese Zeit bereits viele von den bei Ugarrowwa zurückgebliebenen Kranken gestorben waren und die Schwachen in Ipoto sich in beklagenswerthem Zustande befanden.

Seit unserer Ankunft in Ibwiri hatten die meisten unserer Begleiter täglich ein Pfund an Körpergewicht zugenommen. Einige hatten einen geradezu ungeheuern Leibesumfang bekommen, ihre Augen begannen zu blitzen und ihre Haut wurde so glänzend wie gefirnißte Bronze. An den letzten drei Abenden hatten sie sogar versucht zu singen, indem sie beim Stampfen des Korns ihre Melodien summten und nach dem Abendessen beim Anblick des Mondes ein Lied erklingen ließen. Oft hörte man auch herzliches Lachen. Nachmittags hatten zwei junge Burschen einen Faustkampf veranstaltet, wobei einige kräftige Püffe ausgetheilt wurden; andere erzählten den eifrig Zuhörenden Geschichten. Das Leben war mit einem mal zurückgekehrt; das Brüten über Skelette und Tod und das Denken an liebe Freunde auf ihrer fernen Heimatinsel war verdrängt worden durch hoffnungsvolles Geplauder über die Zukunft, das nicht mehr weit entfernte Grasland mit seinen wogenden Savannen und den mit fetten Rindern bevölkerten grünen Weideländereien; man sprach eingehend über volle Euter, hohe Buckel und Fettschwänze der Schafe, von den mit Hirse und Sesam gefüllten Speichern, den Töpfen mit Sogga, Pombe und andern wohlschmeckenden Reizmitteln, und der Hafen am See, wo die Dampfer des weißen Mannes vor Anker lagen, erschien deutlich in ihren Träumen.

Alle wünschten jetzt den Marsch fortzusetzen und hielten die Rast für vollständig genügend. Zwar hatten wir noch etwa 20 Mann, denen eine weitere 14tägige Ruhe nothwendig war; doch schienen sie alle in der Genesung begriffen zu sein, sodaß, wenn wir nur reichlich Lebensmittel fanden, der Marsch ohne Traglasten von keinen nachtheiligen Folgen für sie sein würde.

Am 24. November, einem hellen, sonnigen Tage, blies bei Tagesanbruch der sudanesische Trompeter das Signal zum Aufbruch in so fröhlichen Tönen, daß es bei allen bereitwilligen Widerhall fand. Die Leute riefen ihr »Fertig, ja fertig, Herr!« in einer Weise, welche mich mehr als an irgendeinem andern Tage während dieser Expedition an frühere Reisen erinnerte. Die Offiziere brauchten sich nicht über Saumseligkeit und Unbereitwilligkeit zu ereifern; es gab nicht einen Nachzügler im Lager. Die Züge aller glänzten voll Hoffnungsfreudigkeit; alle waren guten Muthes und durch die Aussicht auf Ueberfluß angeregt. Auf zwei Tage hinaus war der Weg bekannt durch die Leute von der Recognoscirungsabtheilung, deren Mitglieder, wie Kaleb und Josua, ausführlich von den riesigen Hainen von Bananenbäumen, deren herabhängende reife Früchte die Luft mit angenehmen Düften erfüllten, von großen Kartoffeläckern, wogenden Maisfeldern u. s. w. erzählt hatten. Zum ersten male waren wir Weißen deshalb befreit von der Sorge, wer diese Last und jene Kiste tragen sollte; es gab kein Suchen nach den Trägern, kein Schelten und Drohen, die Leute sprangen vielmehr buchstäblich nach den aufgestapelten Waaren, stritten sich um die einzelnen Lasten und lachten vor Freuden, während die lächelnden Züge der Offiziere Dankbarkeit und vollständige Zufriedenheit mit den Vorgängen ausdrückten.

Dann marschirten wir aus dem Dorfe, eine Colonne der glücklichsten Burschen aus der Welt. Die bösen Manjema waren hinter uns, und vor uns malte die lebhafte Phantasie Bilder von Weideländereien und einem großen See, an dessen Ufern wir von einem dankbaren Pascha und einer nicht weniger dankbaren Armee willkommen geheißen werden sollten.

In drei Viertelstunden erreichten wir das Dorf des Häuptlings Borjo (der am Tage vorher wieder freigelassen worden war), eine lange, regelmäßig angelegte, 10 m breite Straße, die von vier niedrigen Häuserquadraten von etwa 365 m Länge eingefaßt war. Nach den Thüren zu urtheilen, mußten ungefähr 52 Familien die eigentliche Gemeinde Borjo's bilden, dessen Wohnung an einer großen Holzplanke von 2 m Länge, 1¼ m Breite und 5 cm Dicke kenntlich war, aus welcher der Eingang in Rautenform herausgeschnitten war.

Die Höhe der breiten Traufen betrug 3 m über der Erde, die Breite der Gebäude ebenfalls 3 m; vorn ragten die Traufen 75, hinten 60 cm über die Mauern hinweg. Außerhalb des Dorfes dehnten sich auf ebenem, hohem Terrain die Felder, Gärten und Pflanzungen der Bewohner aus, rundherum umgeben von dem jungfräulichen dunkeln, verhängnißvollen, ungastlichen Urwald. Im ganzen war das Dorf Borjo's einer der nettesten und comfortabelsten Wohnplätze, welche wir im ganzen Aruwimithal gesehen hatten. Ungefähr 100 m vom westlichen Ende des Dorfes entfernt strömte ein nie versiegender klarer Fluß dahin, in welchem viele welsartige Fische vorhanden waren.

Nach kurzer Rast setzten wir den Marsch fort und betraten wieder den Wald. 6½ km jenseit Borjo's Dorf zogen wir durch einen Sumpf, welcher sehr günstigen Boden für die Raphiapalme bot. Bei unserm Weitermarsch nach unserm Frühstück unternahm ich es nachmittags versuchsweise, eine Stunde lang meine Schritte zu zählen, maß die Entfernung von 200 Yards (182,9 m) ab, um die Länge eines Schrittes festzustellen, und fand, daß die Durchschnittsgeschwindigkeit auf einem ziemlich guten Pfade im Walde 4800 Schritte von je 26 Zoll (66 cm) = 3467 Yards (3170 m) in der Stunde betrug. Um 3 Uhr lagerten wir in einem ausgedehnten Zwergendorfe, von dem vier Wege nach andern Weilern führten. Ohne Zweifel war der Ort ein Lieblingsaufenthalt der Bewohner, da der freie Platz des Dorfes stark betreten war und sich vorzüglich zu allerlei Sport, Zusammenkünften und Plaudern eignete. Das Dickicht rund um das Lager herum war noch vollständig unberührt.

Am 25. November erreichten wir nach einem Marsche von 13 km Indemwani. Der Weg führte uns längs der Wasserscheide der Flüsse Ituri und Ihuru. Das Dorf hatte einen ovalen Grundriß und glich in der Bauart dem Dorfe Borjo's; rundherum war es von reichen Bananenpflanzungen umgeben; Mais, Taback, Bohnen und Tomaten waren in Menge vorhanden. Beim Passiren des fürchterlichen Gewirres von Baumstämmen in der Lichtung verlor einer unserer Leute das Gleichgewicht, stürzte und brach das Genick.

Von Indemwani marschirten wir am 26. November durch ein sehr feuchtes Gebiet nach West-Indenduru. Jede Viertelstunde hatten wir einen Fluß zu überschreiten, die Baumstämme waren vom Fuße bis zur Spitze mit feuchtem, tropfendem Moos bekleidet und selbst die Büsche und Schlingpflanzen waren damit bedeckt.

Eine Merkwürdigkeit des Weges an diesem Tage war eine breite Hochstraße, welche 5 km weit durch das Unterholz gerodet und gehauen war und zu einem großen Dorfe der Zwerge führte, welches jedoch vor kurzem verlassen worden zu sein schien. Das Dorf bestand aus 92 Hütten, sodaß also die Einwohnerschaft wol auch ebenso viel Familien gezählt haben dürfte. Die eine Hütte zeichnete sich durch etwas bessere Bauart aus und war vermuthlich die Wohnung des Häuptlings. Wir hatten jetzt etwa 20 Dörfer der Waldzwerge gesehen, bisher aber erst einmal eine der kleinen Frauen zu Gesicht bekommen, die niedliche Miniaturhebe auf der Station Ugarrowwa's.

Lieutenant Stairs hatte auf seiner von Ibwiri aus unternommenen Recognoscirungstour auch West-Indenduru erreicht und das Dorf stehen lassen, nach seiner Entfernung war es jedoch von den Bewohnern in Brand gesteckt worden, weil es von Fremden besetzt gewesen war. Wir bemerkten ferner, daß die Balesse selten zweimal von den Producten eines Feldes aßen und die Bananenbäume wieder aufgaben, nachdem diese einmal Früchte getragen hatten. Wenn ein Kornfeld beackert, besäet und die Ernte eingeheimst ist, wird es wieder der Wildniß überlassen. Die Balesse scheinen beständig mit dem Pflanzen von Bananenbäumen und der Cultivirung des Bodens für den Maisbau beschäftigt zu sein, wodurch sich die ungeheuern Lichtungen, die wir passirt haben, und die Tausende von Bäumen erklären, welche den Boden mit einem einzigen großen Trümmerhaufen bedecken. Bei den Bananen und Paradiesfeigen hauen sie einfach das Unterholz fort, pflanzen die jungen Knollen in ein flaches Loch und bedecken sie mit so viel Erde, daß sie aufrecht stehen; dann werden die benachbarten Bäume gefällt und bleiben liegen, wo sie gestürzt sind. Nach sechs Monaten ist die Musa-Knolle im Schatten unter Wurzeln und Baumtrümmern schon wundervoll gewachsen und zu einem 2½ m hohen Baum geworden, der bereits nach einem Jahre Früchte trägt. Indisches Korn oder Mais bedarf des Sonnenscheins. Die Eingeborenen bauen Gerüste von 3, 4 und selbst 6 m Höhe und fällen die Bäume ziemlich hoch über den Wurzelpfeilern; die Stämme werden zersägt und entweder zu Planken für die innere und äußere Bekleidung der Hüttenwände verarbeitet oder zu Trögen für die Bereitung des Bananenweins ausgehöhlt. Die Zweige werden rund um die ausgerodete Stelle aufgehäuft und bleiben liegen, bis sie vermodern; man verbrennt sie nicht, weil dadurch der Erdboden geschädigt werden und, da die Oberfläche reich an Humus ist, bis zur darunterliegenden Thonschicht ausbrennen würde.

In Anbetracht der großen Arbeit, welche das Ausroden eines Theiles des Urwaldes verursacht, könnte man die Balesse für sehr thöricht halten, daß sie wegen einer so geringfügigen Ursache, wie die Besetzung ihrer Hütten während einer Nacht durch Fremde, ihre Dörfer zerstören; es ist das aber ein Beispiel von der hartnäckigen Grämlichkeit dieser Eingeborenen. Das Dorf Borjo's konnte ebenfalls höchstens vor Jahresfrist aufgebaut sein. Die Bevölkerung des größten Dorfes, welches wir sahen, dürfte nicht mehr als 600 Seelen gezählt haben, sodaß, wenn man sich auch über ihre Vorurtheile wundern mag, man doch ihren großen Fleiß und die unbegrenzte Geduld anerkennen muß, ohne welche sie die von uns beobachteten günstigen Resultate nicht erzielt haben könnten.

Auch Ost-Indenduru war ein äußerst gut gebautes und sehr reinliches Dorf, obwol die Häuser von Ungeziefer wimmelten. Die Straße war jedoch gegenüber der Höhe der Häuser zu schmal, und wenn eine Feuersbrunst entstanden wäre, hätte leicht die Hälfte der Einwohner verbrennen können. Die Hütten waren dort höher als in Borjo's Dorfe, und da die Gebäude mehrere hundert Meter lang waren und nur einen Hauptausgang am östlichen Ende hatten, so war die Gefahr bei einem Feuer so groß, daß wir das Dorf erst besetzten, nachdem wir allerlei Vorsichtsmaßregeln getroffen hatten gegen den Eintritt eines etwaigen derartigen Unglücks, während wir uns in einer anscheinend vorzüglichen Falle befanden.

Wir sammelten hier scheffelweise Feldbohnen von einer dunkeln Art; und unsere Leute schwelgten im Safte des Zuckerrohrs.

Wir befanden uns jetzt auf 1° 22' 30" nördl. Br. und südlich von der Wasserscheide, wo sämmtliche Flüsse dem Ituri zuströmten.

Am 28. November machten wir in Ost-Indenduru halt und schickten drei verschiedene Recognoscirungsabtheilungen aus, um die allgemeine Richtung der aus der Niederlassung ausgehenden Pfade zu erfahren. Wir hatten die Arbeit, uns selbst einen Weg durch den Wald zu bahnen, lange genug erprobt, sodaß wir, nachdem wir einmal einen Pfad entdeckt hatten, der uns von großem Nutzen gewesen war, die beschwerliche Aufgabe, nochmals durch Dickicht und Unterholz zu marschiren, uns gern erspart hätten.

Die Abtheilung Jephson's wandte sich nach SSO. und später nach Süden und kehrte gegen Mittag zurück, um Bericht abzustatten. Dieser Weg eignete sich nicht für uns. Raschid war mit seiner Abtheilung nach ONO. und später nach Norden gegangen, hatte zwei kleine Dörfer passirt und schließlich eine Stelle erreicht, von wo ein Pfad nach Süden zurückkehrt, während ein anderer sich nordöstlich wendet. Er hatte seine Forschungen auf dem letztern fortgesetzt, bis er zu einem Eingeborenenlager kam, wo seine Leute ein kleines Scharmützel hatten. Die Eingeborenen waren dann geflohen und er hatte neun fette Ziegen erbeutet, von denen er jedoch nur fünf ins Lager mitbrachte. Auch dieser Weg war nicht für uns geeignet.

Die dritte Abtheilung wurde von einem ausgezeichneten Kundschafter geführt, welcher einen Pfad nach Osten entdeckte, dem wir zu folgen beschlossen.

Am 29. November verließen wir Indenduru und erreichten gegen Mittag Indepessu; nachmittags wandten wir uns auf einem nach Norden führenden Pfade nach der Niederlassung der Baburu. In fünf Stunden hatten wir eine Entfernung von etwa 16 km zurückgelegt, was als ein außerordentlich guter Marsch zu betrachten war.

Am nächsten Morgen gelangten wir nach etwa anderthalbstündigem Marschiren auf einem ziemlich guten Pfade auf eine ausgedehnte Lichtung von einem Umfang von nahezu 100 ha. Die Bäume waren erst kürzlich gefällt worden, woraus wir schlossen, daß entweder ein mächtiger Stamm angekommen war, oder daß eine größere Zahl alter Ansiedler sich von ihrem alten nach diesem neuen Lagergrunde begeben hatte. Eine gefangen genommene Baburu-Frau führte uns mitten durch den ausgedehnten Verhau, dessen bloßer Anblick schon Schrecken verursachte. Eine Stunde später hatten wir, nicht ohne allerlei Verletzungen an den Beinen und nach vielem Zittern, den Verhau passirt, worauf der Pfad allmählich an dem sanft ansteigenden langgedehnten Abhange eines Hügels hinaufführte. In den Thälern auf beiden Seiten sahen wir Haine von reich mit Früchten bedeckten Paradiesfeigenbäumen und viele mit Kräutern und Kürbissen bepflanzte Gärten, die aber schlecht gepflegt waren. Als wir noch eine halbe Stunde vom Gipfel des Hügels entfernt waren, hatten wir eine solche Höhe erreicht, daß wir hoffen durften, binnen kurzem eine ausgedehntere Rundschau halten zu können, als wir in der letzten Zeit gewohnt gewesen waren; wir drangen fröhlich vorwärts und kamen bald zu einer Reihe von Weilern, welche sich am Abhange entlang zogen. Bei allen Dörfern dieser Gegend fanden wir eine gut betretene Straße von 12-18 m Breite, sodaß wir, wenn diese Weiler sich in gleicher Weise noch weiter aneinander reihten, im Stande sein würden, rasch 1-2 km zurückzulegen. Wir waren schon durch mehrere voneinander getrennte lange und niedrige Häusergevierte gekommen, als der erste Mann der Vorhut umkehrte und rasch zu mir herablief. Er forderte mich auf, nach Sonnenaufgang zu sehen. Als ich meine Augen nach jener Richtung wandte, hatte ich den angenehmen Anblick einer ziemlich mannichfaltigen Scenerie von Weideland und Wald, flachen Ebenen und mit Gras bedeckten Abhängen, mehrern Thälern und Hügeln, felsigen Vorsprüngen und sanft gerundeten Gipfeln, ein wirkliches »Land von Bergen und Thälern, das der Regen des Himmels tränkt«. Daß das offene Land gut bewässert war, ließ sich an den vielen unregelmäßigen Waldlinien, welche den Lauf der Flüsse bezeichneten, sowie an den Baumgruppen erkennen, deren Wipfel nur eben über die Ufergehänge emporragten.

Der große Wald, in welchem wir so lange vergraben gewesen waren und dessen Grenzen wir jetzt erreicht hatten, schien sich unverändert und ununterbrochen nach Nordosten fortzusetzen, dagegen zeigte sich nach Osten ein ganz anderes Gebiet: mit Gras bedeckte Wiesen, Ebenen und Hügel, reich bestanden mit Hainen, Baumgruppen und schmalen Baumzeilen, welche bis zu gewissen, die Aussicht abschließenden Bergketten reichten, an deren Fuß, wie ich wußte, das schon seit Monaten von uns herbeigesehnte Ziel liegen mußte.

Dies also war der so lange verheißene Anblick und der so lange erwartete Austritt aus der Dunkelheit! Ich nannte daher die hohe Bergspitze, welche den Abschluß des bewaldeten Rückens, auf dessen Ausläufer wir uns befanden, bildet und 3 km östlich von uns bis zur Höhe von etwa 1400 m über dem Meeresspiegel aufsteigt, Pisgah, Berg Pisgah, weil wir nach 156tägiger Dämmerung im Urwalde hier zuerst die ersehnten Weideländereien von Aequatoria gesehen hatten.

siehe Bildunterschrift

Anblick des Berges Pisgah, von Osten gesehen.

Die Leute drängten eifrig den Abhang hinauf, und ihre fragenden Blicke schienen, noch ehe sie ihre Gedanken in Worte kleideten, zu sagen: »Ist es wahr? Ist es keine Lüge? Ist es möglich, daß wir dem Ende dieses Waldkerkers nahe sind?« Sie überzeugten sich selbst und schauten, als sie wenige Augenblicke später die Lasten abgeworfen hatten, mit Verwunderung und mit frohem Erstaunen auf das vor ihnen sich aufthuende Bild.

Ja, Freunde, es ist wahr. Durch Gottes Gnade sind wir dem Ende unserer Gefangenschaft und Knechtschaft ganz nahe! Sehnsüchtig streckten sie die Arme nach dem herrlichen Lande aus, alle blickten in dankbarer Verehrung zum klaren blauen Himmel auf, und nachdem sie lange wie verzaubert in die Betrachtung der Sonne versunken gewesen waren, seufzten sie wol auch, wieder zu sich kommend, tief auf; als sie sich umwandten, um den dunkeln Wald zu betrachten, der sich weit fort ins Unbegrenzte nach Westen zog, drohten sie ihm mit trotziger und haßerfüllter Miene mit der Faust. Fieberhaft erregt durch die plötzliche Freude schalten sie ihn wegen seiner Grausamkeit gegen sie und ihre Freunde, verglichen ihn mit der Hölle, klagten ihn des Mordes von hundert ihrer Gefährten an und nannten ihn die Wildniß der Schwämme und Waldbohnen. Aber der große Wald, der in seiner Ungeheuern Weite wie ein ganzer Welttheil sich vor ihnen ausbreitete, schläfrig wie ein großes Thier, dessen Riesenpelz durch die wässerigen Ausdünstungen mit einem dünnen Schleier verhüllt ist, antwortete nicht, sondern verharrte in seiner unendlichen Einsamkeit, unbarmherzig und unerbittlich wie immer.

siehe Bildunterschrift

Bakwuru-Dörfer auf einem Ausläufer des Pisgah-Berges.

Von Südosten nach Süden dehnte sich eine Gebirgskette von 1830-2130 m Höhe über dem Meeresspiegel aus. Eine gefangene Frau deutete nach Südost als unsere zukünftige Richtung nach dem großen Wasser, welches »mit donnerndem Geräusch unaufhörlich gegen das Ufer rollt, den Sand aufwühlt und vor sich hertreibt«; aber da wir uns auf 1° 22' nördl. Br., auf demselben Breitengrade mit Kavalli, befanden, zog ich es vor, ostwärts, gerade auf unser Ziel los, zu marschiren.

Borjo, der alte Häuptling von Ibwiri, zog mit der Hand einen Halbkreis von Südost nach Nordwest als den Lauf des Jturi und sagte, der Fluß entspringe auf einer Ebene am Fuße eines großen Berges oder einer Gebirgskette. Vom Pisgah aus konnten wir im Südosten keine Ebene entdecken, sondern nur ein bewaldetes tiefes Thal, und wenn die Augen uns nicht täuschten, schien der Wald sich an den Abhängen der Kette bis zu den Gipfeln hinauf fortzusetzen. Ein fünf Monate langer Marsch in einem ununterbrochenen Walde war sicherlich genug der Erfahrungen; eine Veränderung mußte uns daher angenehm sein, selbst wenn unsere Beschwerden sich nur der Art nach veränderten. Das war ein weiterer Grund, weshalb ich jeglichen Rath über den richtigen Weg nach dem »großen Wasser« abzulehnen beschloß.

siehe Bildunterschrift

Dorf am Fuße des Pisgah-Berges.

In dem Bakwuru-Dorfe, wo wir jetzt unser Lager vorbereiteten, fanden wir Westen aus dicker Büffelhaut, welche unsere Leute an sich nahmen, um sie als wirksame Panzer gegen die Pfeile der Bewohner des Graslandes zu benutzen.

Am 1. December stiegen wir an dem beim Aufstieg benutzten Ausläufer wieder ab und schlugen dann einen Pfad ein, der ostwärts führte. Binnen kurzem hatten wir einen zweiten Ausläufer erstiegen, welcher zu einer unterhalb des Pisgah-Berges liegenden Terrasse führte, wo wir nach dem Aneroidbarometer die größte bis dahin beobachtete Höhe erreicht hatten. Darauf verfolgten wir einen Pfad, der von der Terrasse auf einem andern Ausläufer bis zur Mittlern Höhe dieser Region hinabführte. Wir kreuzten verschiedene stark begangene Wege, doch schien unser Pfad immer mehr an Bedeutung zu gewinnen, bis wir um 11¼ Uhr vormittags das große Dorf Ijugu erreichten, welches selbstverständlich verlassen war, da die Eingeborenen des Waldes sehr rasch von dem Herannahen neuer Ankömmlinge erfahren. Die Straße in diesem Dorfe war etwa 12 m breit.

siehe Bildunterschrift

Häuptling der Ijugu.

Im Walde zwischen dem Fuße des Pisgah und Ijugu beobachteten wir große Trockenheit, eine erhebliche Veränderung gegen die außerordentliche Feuchtigkeit, welche man zwischen Indenduru und Ibwiri sieht und fühlt. Die abgefallenen Blätter der Waldbäume sahen etwas dürr aus und knisterten unter den Füßen, und obwol der Weg noch im Schatten des Urwaldes dahinführte, hatte derselbe einige Aehnlichkeit mit einer staubigen Dorfstraße.

Nach der Mittagsrast machten wir noch einen zweistündigen Marsch bis zu einem kleinen, aus vier kegelförmigen Hütten bestehenden Weiler, in dessen Nähe wir das Lager aufschlugen. Obgleich wir mehr als 16 km znrückgelegt hatten, hätten wir, nach unserer Umgebung zu schließen, von dem offenen Lande noch Hunderte von Kilometern entfernt sein können, da diese noch, wie vorher aus hohem, dichtem Wald von echt tropischem Charakter, hohen, dunkeln, schattenreichen, durch Schlinggewächse und Ranken miteinander verbundenen Bäumen, und dichtem, im Schatten gedeihendem Unterholz bestand. In einer der Hütten fanden wir jedoch einen seltsamen Pfeil, der sich von denen, die wir bisher gesehen hatten, wesentlich unterschied. Derselbe war 71 cm lang und hatte eine speerförmige Spitze von 7½ cm Länge; den Schaft bildete ein leichtes Rohr, das zur Verzierung geschmackvoll mit starken Kerben versehen war, während ein dreieckiges dünnes Stück Ziegenleder, anstatt eines Blattes oder eines Stückes schwarzen Stoffes wie bisher, den Flug des Pfeils leitete. Ferner fanden wir einen den Waldbewohnern gehörenden Köcher mit Pfeilen, welche 51 cm lang waren und von denen jeder eine andere Spitze hatte, die sämmtlich aber mörderisch scharf und mit Widerhaken versehen waren.

siehe Bildunterschrift

Ruf zu den Waffen in Tjugu.

Am 2. December verloren wir bald nach dem Verlassen des Lagers den Eingeborenenpfad und mußten nunmehr zwischen einer verwirrenden Menge von Büffel- und Elefantenspuren den Weg selbst suchen. Ein dummer Bursche, welcher umhergestreift war, hatte mir mitgetheilt, er hätte am Abend vorher die Ebene erreicht und könnte uns leicht hinführen; im Vertrauen darauf hatten wir bald jegliche Spur eines Pfades verloren und begannen nunmehr einen gewundenen, regellosen Weg durch den Wald zu verfolgen, gerade wie in frühern Zeiten, bis wir nach fast dreistündigem Marsch nach N. z. O. plötzlich auf ein Dorf stießen, dessen kegelförmige Dächer mit Gras bedeckt waren. Das war eine großartige Entdeckung, die mit lauten Freudenrufen begrüßt wurde. Ein Bursche stürzte sich buchstäblich auf das Gras und küßte es zärtlich. Wir hatten jetzt zwei charakteristische Kennzeichen des Graslandes, die kegelförmige Hütte und das Grasdach. Während wir dort unsere Mittagsrast hielten, benutzten einige junge Leute die Gelegenheit, um die Nachbarschaft zu untersuchen, und brachten uns, noch ehe die Zeit unsers Halts verstrichen war, ein Bündel grünes Gras, das wir mit ebenso großer Freude begrüßten, wie Noah und seine Familie die freundliche Taube mit dem Oelzweige willkommen geheißen haben mögen. Die Leute meldeten jedoch, daß der Pfad, den sie verfolgt hätten, in einen Morast führe, und da Sümpfe ein Schrecken für beladene Karavanen sind, machten wir nachmittags den Marsch in südsüdöstlicher Richtung, der uns in anderthalb Stunden nach Indesura brachte, einem Dorfe oder eigentlich District, welcher aus mehrern aus kegelförmigen Hütten mit Grasdächern bestehenden kleinen Niederlassungen gebildet wird. Hier machten wir halt.

Gleich darauf sahen wir, daß einer unserer Leute, der gelegentlich einer am Dache vorzunehmenden Reparatur auf das Haus gestiegen war, die Augen mit der Hand beschattete und eifrig nach etwas blickte, und im nächsten Augenblick rief er, so laut, daß das ganze Dorf es hören konnte: »Ich sehe das Grasland! Wir sind ganz nahe daran!«

»Nun«, erwiderte einer spöttisch, »siehst du nicht auch den See und den Dampfer und den Pascha, den wir suchen?«

Die meisten von uns waren indeß bei der Nachricht aufgesprungen. Drei Mann klommen mit der Behendigkeit einer wilden Katze auf die Dächer, andere auf die Spitzen der Bäume, ein kühner junger Bursche kletterte sogar auf einen Baum, den selbst ein Affe nur mühsam erklommen haben würde, und gleich darauf erscholl es im Chor: »Ja, wahrhaftig, es ist Gottes Wahrheit. Das offene Land liegt dicht vor uns und wir wußten es nicht. Wahrhaftig, es ist nur einen Pfeilschuß weit entfernt. Ach, wenn wir erst dort sind, dann Adieu Finsterniß und Blindheit!«

Als einer unserer Leute aus dem in der Nähe befindlichen Flusse Wasser holen wollte, trat ein altes Weib aus dem Dickicht hervor, worauf er sofort sein Wassergefäß wegwarf und die Frau ergriff. Dieselbe war jedoch kräftig und, wie die meisten ihres Geschlechts nahe vor dem Kindischwerden, halsstarrig und vertheidigte ihre Freiheit in entschlossenster Weise. Der Mann besaß jedoch mehr Kraft und Gewandtheit und schleppte die Frau ins Lager. Durch freundliches Benehmen und Zureden, sowie durch das Stopfen einer langen Pfeife für sie machten wir sie willfährig und erfuhren, daß wir uns in Indesura befänden, die Bewohner hießen Wanjasura und löschten ihren Durst mit dem Wasser des Ituri. »Des Ituri?« Ja, des Ituri, des in der Nähe befindlichen Flusses; viele Tage östlich von uns sei ein großer, breiter Strom, viel, viel breiter als der Ituri, mit Kanoes, so breit wie ein Haus (3 m), die sechs Personen tragen könnten; einige Tagemärsche nach Norden wohne ein mächtiger Stamm, Bansansa genannt, und östlich von diesem noch ein weiteres Volk, die Bakandi; beide Stämme besäßen zahlreiche Viehheerden, seien tapfer, kriegerisch und reich an Rindern, Kauris und Messingdraht.

Unsere gefangene Alte, die in Bezug auf persönlichen Schmuck einen sonderbaren Geschmack bewies, da sie eine hölzerne Scheibe von der Größe eines großen Mantelknopfes in der Mitte der Oberlippe befestigt hatte, bekam nun einen neuen Anfall von Widerhaarigkeit und schalt uns alle in bösartigster Weise, ausgenommen einen verschämten, bartlosen Jüngling, in den sie sich anscheinend vernarrt hatte, allein der thörichte Bursche schrieb der Häßlichkeit des Alters Zauberkraft zu und ergriff die Flucht.

Indesura und, wie wir später erfuhren, alle am Rande des Waldes liegenden Dörfer zeichnen sich durch die Mannichfaltigkeit und vorzügliche Beschaffenheit ihrer Produkte aus. Fast sämmtliche Hütten enthielten große, 10-25 kg schwere Körbe mit besserm Taback, und es war thatsächlich eine solche Menge davon vorhanden, daß jeder Raucher im Lager 2-5 kg erhielt. Das alte Weib nannte den Taback »Taba«, während er in Ibwiri »Tabo« hieß. Er ist infolge des ungenügenden Trocknens nicht sehr wohlriechend, läßt sich aber gut rauchen, und 50 Pfeifen voll davon täglich würden nicht so schädlichen Einfluß auf die Nerven ausüben wie eine einzige Pfeife des bekannten » Cavendish« bei uns. Hin und wieder fanden sich aber einige Blätter von dunkelbrauner Farbe dazwischen, welche leicht mit Salpeter gesprenkelt waren und eine andere Wirkung hatten. Zwei unserer Offiziere versuchten eine Pfeife voll von diesen Blättern, die sie für besser hielten, wurden aber unbeschreiblich elend davon. Wenn man diese Blätter jedoch aussucht, ist der Taback mild und beißt nicht, wie man schon aus den dieser Gegend eigenthümlichen Pfeifenköpfen von der Größe eines Viertelliters schließen kann. Die Pflanze wird überall in der Nähe des Graslandes in ausgedehntem Maße cultivirt, da von den Hirten der Ebene das Kraut gegen Fleisch eingetauscht wird.

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Pfeifen.

Auch die Ricinusstaude wird sehr viel angebaut. Braucht man ein Quantum Ricinusöl als Arznei, so werden die Samen geröstet und in einem hölzernen Mörser zerstampft; wir selbst preßten uns auf diese Weise eine ziemlich große Menge Oel aus, das sich von guter Wirkung erwies. Außerdem brauchten wir auch ein Quantum zum Oelen der Gewehrläufe und -Schlösser, während unsere Leute sich eine Menge Oel zubereiteten, um ihren Körper einzuschmieren, eine Operation, welche ihnen wieder ein frisches, sauberes und kräftiges Aussehen verschaffte.

Da ich entdeckt hatte, daß merkwürdigerweise vier unserer Kundschafter fehlten, schickte ich Raschid den Omar mit 20 Mann aus, um sie zu suchen. Sie wurden auch entdeckt und am nächsten Morgen zu uns zurückgebracht, und ich bemerkte zu meinem Erstaunen, daß die Vermißten unter Führung des unverbesserlichen Djuma Wasiri eine Heerde von zwanzig schönen Ziegen vor sich hertrieben, welche der Anführer der Patrouille durch eine List gefangen hatte. Ich habe mich oft versucht gefühlt, Djuma zum Besten anderer zu opfern, allein der Schlingel erschien immer mit einer so unschuldsvollen, scheinbar um Verzeihung flehenden Miene, daß ich nie den Muth dazu hatte. Er hatte einen hübschen abessinischen Typus, doch wurde seine natürliche Schönheit durch die Heuchelei seiner Züge entstellt. Ein Mhuma, Massai, Mtaturu oder Galla muß Fleisch haben, selbst noch mehr als der Engländer; es ist für ihn ein Glaubensartikel, daß das Leben keinen Werth hat, wenn man nicht gelegentlich Fleisch zu essen bekommt. Ich verwarnte Djuma deshalb nochmals und tröstete mich mit dem Gedanken, daß seine Laufbahn als Kundschafter vermuthlich nur von kurzer Dauer sein und er sicherlich eines Tages Eingeborene treffen würde, die ihm an Gewandtheit und Muth gleich seien.

An diesem Tage hatten wir erfolglos den Aufbruch unternommen, denn kaum waren wir ein paar hundert Meter aus dem Dorfe fort, als wir von einem tiefen, 36 m breiten Flusse aufgehalten wurden, dessen Strömung eine Geschwindigkeit von beinahe 4 km in der Stunde hatte. Das alte Weib nannte den Fluß Ituri. Verwundert darüber, daß ein zwischen Ipoto und Ibwiri 365 m breiter Strom sich zu einem so schmalen Fluß verengert hatte, kehrten wir nach Indesura zurück, um dort noch einen Tag zu bleiben, und ich schickte sofort Lieutenant Stairs und Herrn Jephson mit einer Escorte auf dem gestern von uns verfolgten Pfade zurück, um eine Furt durch den Ituri aufzusuchen.

Beide Offiziere kamen um 4 Uhr nachmittags zurück und meldeten, daß es ihnen gelungen sei, 2½ km weiter aufwärts eine Furt zu entdecken, und daß sie bereits den Fuß auf das Grasland gesetzt hätten; zum Beweis hatten sie ein Büschel schönes, junges, saftiges Gras mitgebracht. Inzwischen hatte Uledi mit seiner Abtheilung ebenfalls eine noch näher bei Indesura gelegene Furt aufgefunden, in welcher das Wasser uns bis an den Leib reichte.

Am Abend dieses Tages gab es auf dem ganzen weiten Erdenrund keine Gesellschaft von glücklichern Leuten, als diejenigen, welche sich im Lager von Indesura des Lebens erfreuten. Am nächsten Tage sollten sie dem Walde Lebewohl sagen; die grüne Grasregion, von welcher wir in den dunkeln Stunden geträumt hatten, wenn wir während der Hungerzeit infolge der Erschöpfung des Körpers und der durch die Entbehrungen herbeigeführten Mattigkeit in schweren Schlaf versunken waren, befand sich ganz in der Nähe. Die Töpfe enthielten einen reichen Vorrath an saftigem Fleisch, die Mahlzeiten bestanden aus gebratenen und gekochten Hühnern, Maisbrei, Grütze aus Bananenmehl und reifen Bananen. Kein Wunder, daß die Leute jetzt über alle maßen glücklich waren und, mit Ausnahme von 10 oder 12 Mann, sich in viel besserm Zustande befanden als zu jener Zeit, da sie sich im Hafen von Sansibar hoffnungsfreudig einschifften.

Am 4. December verließen wir Indesura und marschirten nach der Furt; der Fluß war hier 45 m breit und das Wasser ging den Leuten bis an den Leib. Zwei von den Aneroidbarometern zeigten die Höhe von 930 m über dem Meere an, 564 m über dem Flußspiegel an unserm Landungsplatze bei Jambuja und 610 m über dem Kongo am Stanley-Pool.

Auf dem linken Ufer des Ituri kamen wir in einen schmalen Gürtel hoher Bäume, in welchem wir, nachdem die Colonne den Fluß überschritten hatte, weiter marschirten, geführt von Herrn Mounteney Jephson, der etwa 550 m weit einer breiten Elefantenfährte folgte, und dann traten wir zu unserer herzlichen Freude auf eine weite Ebene, so grün wie englischer Rasen, in das hellste, angenehmste Tageslicht, den warmen herrlichen Sonnenschein hinaus, wo wir mit unwiderstehlicher Lust die reine Luft einathmeten. Wenn ich nach meinem Gefühl auf das der andern schließen darf, so kam es, als wir mit gekräftigten Gliedmaßen den jungen grünen Rasen betraten, uns vor, als hätten wir das Alter und ein Dutzend Jahre von uns geworfen. Mit ganz ungewöhnlichen Schritten eilten wir vorwärts, und schließlich, als unsere Bewegung sich nicht mehr bemeistern ließ, setzte die ganze Karavane sich in Laufschritt. Das Herz eines jeden schien sich zu erweitern und vor kindlicher Freude zu schwellen. Der blaue Himmel über uns hatte uns noch nie so groß und hoch, so rein und heiter geschienen wie in diesem Augenblicke. Wir blickten sogar in die Sonne, ohne von ihrer glühenden Helle geblendet zu werden. Das junge Gras, das nach der Verbrennung des alten erst einen Monat alt war, wurde von der sanften Brise schmeichelnd geliebkost, und bewegte sich hin und her, als ob es uns die hübschen Schattirungen seines zarten Grüns zeigen wollte. Vögel, die uns so lange fremd gewesen waren, segelten und schwirrten durch die klare Luft, kleinere und größere Elenantilopen standen auf einer grasbewachsenen Anhöhe und betrachteten uns verwundert, um dann aufwärts zu springen, wieder stehen zu bleiben und ihrem Erstaunen, das nicht geringer war als das unserige, durch Schnaufen Luft zu machen; Büffel hoben den Kopf, von Verwunderung über die Eindringlinge in ihre stille Domäne erfaßt, warfen die gewichtigen Körper herum und trabten in eine sicherere Entfernung. 250 qkm herrliches Land lagen offen vor unserm Blick, anscheinend verödet, denn noch waren wir nicht im Stande gewesen, all die schönen Einzelheiten des Landes herauszusuchen. Meilenweit dehnt sich das hellgrüne ebene Weideland in leichten Wellen aus, durchschnitten von den schmalen, gewundenen Linien schattenreicher Bäume, welche die Vertiefungen ausfüllten; Dutzende von kleinen Hügeln, besäet von dunkeln Gebüschgruppen, aus welchen hier und dort ein stattlicher Baum hervorragt, beherrschen die weitgedehnten Weideflächen und die sanft abfallenden Gehänge, und fern im Osten erheben sich drohend einige Gebirgsketten, hinter denen, wie wir überzeugt waren, der blaue Albert-See in seinem tiefen Bette schlief. Bis Athemlosigkeit uns halt gebot, eilte die Karavane in dem gleichen Laufschritt weiter, denn dies war ebenfalls ein Vergnügen, welches wir lange entbehrt hatten.

Dann machten wir auf dem Gipfel eines die Ebene überragenden Hügels halt, um die Schönheit einer Landschaft zu genießen, welche unsers Erachtens ihresgleichen nicht hat und die seit Monaten der Gegenstand unserer Gedanken und Träume gewesen war. Jetzt waren wir »froh über die Tage, in denen wir Trübsal erlebt, und die Zeit, in der wir Schlimmes erfahren«. Alle Gesichter glühten ob der Schönheit der Landschaft und spiegelten die geheime Freude des Herzens wider. Die Züge aller strahlten infolge der Erfüllung des höchsten Wunsches. Mistrauen und Grämlichkeit waren vollständig verbannt. Wir fühlten uns wie Männer, die aus der Haft und dem Kerker befreit und losgekettet waren, die Schmutz und Feuchtigkeit mit Milde und Reinheit, die Dunkelheit und Finsterniß mit dem göttlichen Licht und der gesunden Luft vertauscht hatten. Das Auge folgte dem verborgenen Pfade, schweifte über die mit Weideland bedeckten großen und kleinen Hügel, jede von der Sonne beschienene Waldinsel und Rasenfläche, dann über die unregelmäßigen Linien des Waldes, der düster und traurig hinter uns aufstieg, bald vorspringend, bald zurückweichend, hier gebogen wie ein Kanoe, dort in eine Spitze vorspringend gleich einem Cap. Der Geist erfaßte rundherum die kleinste Eigenthümlichkeit mit der Schnelligkeit des Gedankens, um sie viele, viele Jahre festzuhalten. Wenn man noch nach zwanzig Jahren, falls wir so lange leben, uns an diese glückliche Stunde erinnert, als jede Seele vor Freude erzitterte und sich das Lob des Höchsten von selbst auf jede Lippe drängte, werden wir noch im Stande sein, das Ganze genau und treu zu beschreiben.

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Austritt aus dem Walde.

Nachdem ich die Gestaltung der vor uns liegenden neuen Gegend in der Absicht geprüft hatte, einen Curs zu entdecken, der frei von Flüssen und Sümpfen wäre, brachte ich die Expedition in nordnordöstlicher Richtung nach einer 6½ km von uns entfernten niedrigen Kuppe, um den Südfuß einer von der Kuppe weg nach O. z. S. streichenden Hügelkette zu erreichen. Ich war der Meinung, daß wir dann ohne große Schwierigkeiten auf dem Hochland nach Osten vorwärts kommen würden.

Als wir den Fuß der etwa 90 m über dem rechts vor uns gelegenen Thal befindlichen Felsblöcke erreicht hatten, bemerkten wir, daß die unscheinbare Wildfährte, der wir gefolgt waren, sich zu einem nach Nordosten führenden Eingeborenenpfade entwickelt hatte, und wandten uns daher, um den von uns erreichten Grat nicht als Leitlinie aufzugeben, quer durch das mit Gras bewachsene Hochland, was wir der kurzen jungen Halme wegen thun konnten ohne zu ermüden. Zwar unterbrach das nichtverbrannte hohe Gras der vorhergegangenen Jahreszeit mit seinem Gewirr von dicht zusammengewachsenen kräftigen Halmen gegen Mittag unser allzu leichtes Vorwärtskommen, doch setzten wir den Marsch noch bis 12½ Uhr fort und machten erst nach einer Stunde ernstlicher Anstrengung an einem krystallklaren Flusse halt, um uns zu erfrischen.

Nachmittags arbeiteten wir uns an dem gegenüberliegenden grasbedeckten Abhange weiter und wählten dann nach anderthalbstündiger rascher Wanderung den Lagerplatz an der Vereinigungsstelle zweier Flüsse, die nach Südosten flössen. Von ihren Lasten befreit, machten sich einige unruhige Bursche auf den Weg, um in den Dörfern, welche wir tief unter unserer Marschlinie im Thale bemerkt hatten, zu fourragiren. Ihr plötzliches Herabsteigen zu den Eingeborenen sicherte ihnen einen reichen Vorrath an Geflügel, Zuckerrohr und Büscheln reifer Bananen. Sie brachten auch einige Exemplare von den Waffen dieses neuen Landes mit: mehrere große Bogen und lange Pfeile, schwere Schilde von rechteckiger Form, die aus einer doppelten Reihe über Kreuz gelegter zäher Gerten hergestellt, fest mit Bast zusammengebunden und mit einer gummiartigen Substanz beschmiert waren. Die Schilde zeigten sehr hübsche Arbeit und waren für Pfeile oder Speere vollständig undurchdringlich. Außer den Schilden trugen die Eingeborenen auch Westen aus Büffelhaut, die vollständig sicher gegen Pistolenschüsse waren.

Unser Curs bis zu der bereits erwähnten Felskuppe führte uns fast parallel mit dem Rande des Waldes, von dem unser Pfad verschieden weit, von ¾ – 2½ km, entfernt blieb. Wie die Küste eines Meeres und eines Landsees Einbuchtungen hat, so schien auch die Waldlinie Krümmungen zu machen.

Die Richtung des von uns überschrittenen Ituri, den wir den westlichen Ituri nennen müssen, war Ostsüdost. Nach meiner Schätzung mußte die Quelle desselben von unserm Uebergangspunkte weg etwa 46 km in nordwestlicher Richtung liegen.

Am nächsten Morgen setzten wir den Marsch an einem mit kurzem Grase bestandenen Abhang hinauf fort und machten auf dem Kamme halt, um die Ordnung der Colonne wiederherzustellen für den Fall, daß wir von einer Uebermacht angegriffen werden sollten, denn bisjetzt waren uns Land und Leute, sowie die Gewohnheiten des Volks, unter dem wir so plötzlich aufgetaucht waren, noch vollständig unbekannt. Den Marsch fortsetzend, wählten wir einen schmalen Pfad, welcher dem O. z. S. ziehenden Grate folgte, jedoch gingen bald alle Spuren desselben verloren. Wir befanden uns jedoch auf einem beherrschenden Hochlande, von wo aus wir nach jeder Richtung mehr als 30 km weit Ausschau halten und uns die passende Wegrichtung suchen konnten. Im Nordosten von uns war ein Dorf zu sehen, nach welchem wir jetzt unsere Schritte lenkten, um dort einen Pfad zu benutzen, denn der Marsch durch die Strecken dicht zusammenstehenden Röhrichts und 5 m hohen Grases, welche wir gelegentlich antrafen, war fast ebenso beschwerlich wie durch das Unterholz des Dickichts. Das ungemein hohe und starke Gras hinderte und erschwerte unser Vorwärtskommen. Nachdem wir mehrere mit Dickicht besetzte Schluchten passirt hatten, auf deren morastigem Grunde wir die Fußspuren von Löwen und Leoparden bemerkten, kamen wir schließlich an einen Gürtel von Akaziengestrüpp, welches sich als sehr belästigend erwies, und aus diesem endlich in die Hirsefelder von Mbiri. In wenigen Secunden hatten die Eingeborenen unser Herankommen bemerkt und instinctiv die Flucht ergriffen, wobei sie, wie die Parther, ihre langen Pfeile abschossen. Unsere Kundschafter sprangen über jedes Hinderniß hinweg und ergriffen eine junge Frau und einen zwölfjährigen Knaben, welche unserer Unwissenheit zu Hülfe kommen mußten. Zwar konnten wir keine lange Unterredung mit ihnen halten, weil wir vollständig unbekannt mit allen in dieser Gegend gesprochenen Dialekten waren, allein ein paar Worte brachten mit Hülfe der Zeichensprache doch die Thatsache zu Tage, daß wir uns in dem District von Mbiri befänden, daß die Hauptstraße nach Osten uns nach dem Lande der Babusesse bringen würde, daß hinter den letztern die Abunguma wohnten, was wir natürlich alles mit höchster Gleichgültigkeit anhörten. Was hatten solche Namen für schwerfällige Sinne und leere Köpfe für Bedeutung? Sie hatten nie von Shakespeare, Milton und nicht einmal von Ihrer Majestät der Königin gehört!

»Hat jemand vom Muta oder Luta-Nsige gehört?«

Ein Schütteln mit dem Kopfe.

»Von Unjoro?«

»Unjoro? Ja. Unjoro liegt weit weg«, nach Osten zeigend.

»Von einem großen Wasser in der Nähe von Unjoro?«

»Meint Ihr den Ituri?«

»Nein, größer, noch viel, viel größer, so groß wie diese ganze Ebene.«

Anstatt sich auf einsilbige Worte zu beschränken, welche wir leicht verstanden haben würden, machten die unglückliche Frau und der Knabe in ihrem Eifer, uns allzu viel mitzutheilen, durch geschwätziges Reden in ihrer Sprache das Verständniß vollständig zur Unmöglichkeit und verwirrten uns so, daß wir unsere Zuflucht zum Schweigen und zur Geduld nehmen mußten. Wenigstens wollten sie uns den Weg zu den Babusesse zeigen.

Die Bauart der Hütten ist ähnlich, wie man sie in ganz Ost- und Centralafrika sieht. Es ist die verbreitetste. Das kegelförmige Dach nimmt zwei Drittel der Höhe ein, das letzte Drittel entfällt auf die Wände. Alle paar Dutzend Meter findet man Hütten dieser Art in den Bananenhainen zerstreut; von einer zur andern führen Pfade, die für den Fremden aber sehr verwirrend sind, sodaß er sich ohne einen ortskundigen Führer nothwendigerweise verirren muß. Zu jeder Gruppe von Hütten gehören Nebengebäude, welche zum Kochen, Plaudern, zur Aufbewahrung von Brennmaterial und zur Verrichtung kleiner häuslicher Arbeiten dienen, sowie mit Gras bedeckte kleine Getreidespeicher, die zum Schutze gegen Ungeziefer und Feuchtigkeit etwa 30 cm hoch über dem Erdboden stehen.

Unsere Leute erhielten hier eine große Menge reifer Paradiesfeigen und Bananen, aus welchen die Eingeborenen einen berauschenden Wein, Marwa genannt, herstellen. Auch vergrößerten wir unsere Ziegenheerde um einige Stück und nahmen etwa ein Dutzend Hühner mit; alles übrige wurde, wie gewöhnlich, unberührt gelassen.

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Schilde der Babusesse.

Dann setzten wir den Marsch wieder fort. Der Pfad war gut ausgetreten, der starke Verkehr hatte ihn hart und glatt gemacht. In der Richtung Südost zu Ost führte er mit Gras bewachsene Hügel und Thäler auf und ab. Gegen Mittag machten wir im Schatten schöner Bäume halt, um uns zu erfrischen; ganz in der Nähe hörten wir das laute Getöse eines Wasserfalls, des Ituri, wie man uns sagte. Das war einigermaßen räthselhaft, da wir nicht begriffen, wie der Ituri, den wir am Tage vorher bei der Furt überschritten und nachdem wir uns absichtlich, um ihn zu vermeiden, von seinem Thal entfernt hatten, in dieser großen Höhe über Abstürze und Terrassen brausen konnte.

Nachmittags brachte ein anderthalbstündiger Marsch, anscheinend nicht sehr weit von dem Flusse entfernt verlaufend, uns in den volkreichen District der Babusesse, wo sehr ausgedehnte Bananenpflanzungen, die mich an Uganda erinnerten, mit ihrem Schatten eine große Menge Hütten beschirmten. Die Außengründe dieser Niederlassungen wurden von Hirse- und Sesamfeldern und Aeckern mit süßen Kartoffeln eingenommen und überall bemerkten wir viele Anzeichen, daß das Land dicht bevölkert ist und fleißig angebaut wird.

Ehe wir den Schatten der Bananenhaine erreichten, stellten wir unsere Reihen wieder her, um in etwas geschlossenerer Ordnung weiter zu marschiren. Die Vorhut bestand aus einer starken Abtheilung von mit Winchestergewehren Bewaffneten, während eine ähnliche Zahl von mit Remingtongewehren ausgerüsteten Leuten unter dem Befehl von Stairs den Schluß der Nachhut bildete; allein obwol wir unsere Burschen aufs dringendste gewarnt hatten, die Reihen zu verlassen, hatte die Vorhut doch kaum eine gefährliche Stelle wohlbehalten passirt, als auch jedesmal sich Dutzende von Plünderern von der Haupttruppe ablösten, um in den Hütten und Getreidelagern nach Beute zu suchen, Hühner, Bananen, Ziegen, Zuckerrohr oder allerlei sonstige unwichtige Dinge ohne allen Werth. Von den wohlgezielten Pfeilen drang einer einem Manne durch den Arm und in die Seite, ein anderer erinnerte den Getroffenen durch einen an einer Rippe abgeglittenen Streifschuß an die Thorheit seines Unternehmens. Eine Salve von unsern Gewehren trieb die Eingeborenen aber bald aus ihrem Versteck, ohne indessen einen von ihnen zu verletzen.

Bei der östlichen Niederlassung machten wir halt. Dieselbe bestand nur aus zwei großen kegelförmigen Hütten und einigen Nebengebäuden, um welche wir in der Eile für die Nacht unsere Hütten aufbauten, die wir mit Bananenblättern bedeckten, um den Regen und Thau abzuhalten.

Bei Dunkelwerden ließ ich die Gefangenen nochmals zu mir kommen und versuchte eine halbe Stunde lang, von ihnen eine klare Antwort zu bekommen auf die Frage, ob östlich von uns eine große Wasserfläche oder ein großer Fluß sei. Als einer unserer Führer, der mich bei meinen Bemühungen unterstützte, von ihnen wissen wollte, welches der größte Njansa sei, der von Unjoro oder der von Uganda, rief der Knabe:

»Njansa! Njansa? Ja, der Njansa (nach Osten zeigend) liegt dort und dehnt sich dorthin (nordostwärts) sehr weit aus.« Auf die Frage, wieviel mal »Schlaf« zwischen dort und den Babusesse liege, hob er drei Finger der rechten Hand auf und antwortete »drei«.

Nachdem es inzwischen dunkel geworden war, wurden wir plötzlich durch einen Schmerzensschrei erschreckt, dem ein eigenthümliches, geisterhaftes Geheul folgte, aus welchem man etwas wie Triumph heraushörte; in der dann entstehenden Stille vernahmen wir das Rascheln der Pfeile durch die Bananenblätter über unsern Köpfen.

»Löscht die Feuer aus! Bleibt kaltblütig. Wo sind die Schildwachen? Weshalb sind sie nicht auf ihren Posten?« waren die nächsten Aeußerungen.

Die Eingeborenen hatten sich an uns gerade zu der Zeit herangeschlichen, wo das Lager am wenigsten bewacht war, während des Abendessens, wo wir den Wachen, ausgenommen bei ungewöhnlichen Gelegenheiten, erlaubt hatten, erst zu essen, ehe sie ihren Nachtdienst antraten. Wir stellten bald fest, daß ein Pfeil einem gewissen Selim etwa 10 cm tief in die Hüfte gedrungen war und ein anderer eine am Feuer röstende Ziegenkeule durchbohrt hatte; mehrere andere hatten Bananenstengel durchlöchert. Nach einigem gütlichen Zureden zog Selim den Schaft des Pfeils tapfer aus der Wunde, bis die mit Widerhaken versehene Spitze zu sehen war, worauf ich sie unter Zuhülfenahme einer Pincette mit einem heftigen Rucke entfernte. Dann wurde Eucalyptin auf die Wunde gelegt und der Mann in sein Quartier geschickt.

Eine halbe Stunde später, als aber alle Wachen auf dem Posten waren, unternahmen die Eingeborenen einen Angriff auf einen andern Theil des Lagers, doch gaben die Gewehre ihnen rasch Antwort, worauf wir ein Davonlaufen und Rascheln hörten. In der Ferne vernahmen wir zwei Gewehrschüsse und einen Todesschrei, woran wir erkannten, daß wieder einige unserer unverbesserlichen Freibeuter in Thätigkeit waren.

Unsere Truppe war wahrhaftig schwach genug, nicht der Zahl nach, sondern in Bezug auf die wirkliche Stärke bei der Vertheidigung und die Fähigkeit, die Munition zu tragen; diese Umhertreiber waren daher stets eine Quelle der größten Sorge für mich. Es war vollständig nutzlos, sie durch Vernunftgründe und Zureden bekehren zu wollen, nur die größte Strenge hielt sie zurück; da indeß die Schrecken des Waldes erst so kurze Zeit hinter uns lagen, fehlte mir noch der moralische Muth, um die Schraube der Disciplin anzusetzen; aber wenn ich auch Milde walten ließ, so zog doch oft ihre eigene rücksichtslose Unklugheit ihnen eine Bestrafung zu, die weit schwerer war, als einer von uns sie ihnen auferlegt haben würde.

Während der Nacht fiel heftiger Regen, der uns am nächsten Morgen bis um 8 Uhr am Weitermarsch verhinderte. Ich benutzte die Zeit, um aus den Gefangenen etwas Vernünftiges über den Charakter der vor uns befindlichen Eingeborenen herauszubringen; doch waren wir alle mit ihrer Sprache so vollständig unbekannt, daß wir nur wenig Fortschritte machen konnten. Bei ihren Bemühungen, sich verständlich zu machen, zeichnete die Frau auf der Erde von dem Laufe des Ituri eine Skizze, die eine der seltsamsten Ansichten über die Geographie Afrikas illustrirte, die man sich denken kann. Wie die Frau den Fluß darstellte, ging derselbe nach dem Rücken der Wasserscheide hinauf, floß dann steil aufwärts parallel mit dem Albert-See und stürzte sich schließlich plötzlich in den Njansa hinab! Vollständig verwirrt von dem, was ich erfahren hatte, behielt ich die Frau, als wir weiter ins offene Land hineinmarschirten, noch bei mir; von dem Gipfel eines Hügels zeigte sie mir dann, etwa ¾ km unter uns, den nach Osten fließenden Ituri. Die in Sicht befindliche Flußstrecke hatte die Richtung O. z. S.

Hier stand ich vor einem schweren Räthsel. Zwei Tage vorher waren wir auf 1° 24' nördl. Br. von dem rechten nach dem linken Ufer des Ituri übergesetzt und befanden uns jetzt aus 1° 28' nördl. Br. Und dennoch sahen wir den Ituri hier nach O. z. S. und OSO. fließen, während meine Route nach Kavalli mich offenbar nach S. z. O. führte.

Ich wollte mir den Kopf nicht mehr mit dem Problem zerbrechen, noch versuchen eine Lösung dafür zu finden, was die Frau damit meinte, daß der Fluß, an dem wir über 950 km weit vom Kongo her aufwärts gekommen waren, nach dem Njansa strömen sollte. Die einzig mögliche Lösung war, daß es zwei Ituri gäbe, von denen der eine nach dem Kongo, der andere nach dem Nilbecken ströme; indessen behaupteten sie und ihr Bruder ganz bestimmt, daß es nur einen Ituri gäbe.

Bei Fortsetzung des Marsches verfolgten wir einen Pfad, der sich ins Thal hinabsenkte. Bald darauf standen wir an dem Ufer des Flusses und hatten nunmehr die Lösung gefunden. Es war der Haupt-Ituri, der W. z. S. floß. Zuletzt wird man allemal klug.

Auf dem Flusse befand sich ein plumpes, unförmiges Kanoe, und da Saat Tato sehr geschickt mit solchen Fahrzeugen umzugehen verstand, erhielt er den Auftrag, gegen eine Belohnung von 80 Mark die Karavane nach dem andern Ufer überzusetzen. Der Fluß war 115 m breit, im Durchschnitt 2 m tief und hatte eine Strömung von zwei Knoten. Es war der Katarakt dieses Flusses gewesen, dessen dumpfes Getöse wir in der Nähe von Mbiri gehört hatten.

Die Eingeborenen von Abunguma am linken Flußufer beobachteten unsere Operationen von dem Gipfel eines etwa anderthalb Kilometer entfernten Hügels und zeigten eine sehr zuversichtliche Miene, die zu sagen schien: »Schon gut, Freunde, wenn ihr hindurch seid, werdet ihr mit uns zu rechnen haben.« In einem solchen offenen Lande konnte nichts geschehen, ohne »daß es die ganze Welt wußte«. Die Abunguma drohten uns tapfer mit den Speeren, die Babusesse hatten jeden hervorragenden Punkt am rechten Ufer des Flusses besetzt. Einigemal schien es, als ob unsere Mannhaftigkeit hier einer sehr schweren Probe unterzogen werden sollte. Indessen hatten wir den Trost, daß wir wußten, daß die Eingeborenen zur Stelle und in Bewegung waren, sodaß wir auf einem Abhange des Weidelandes, wo das Gras um das Lager herum nur 10 cm hoch war, nicht überrascht werden konnten.

Seitdem wir nach Ibwiri gekommen waren, hatten wir – für Afrika – sehr üppig gelebt. Wir hatten täglich Fleisch und Milch genossen und von Hühnern, frischen und getrockneten Bohnen, Zuckerrohr, süßen Kartoffeln, Yams, Colocasien, Tomaten, Eierpflanzen, Melonen, Paradiesfeigen und Bananen gelebt. Die Wirkung davon auf die Leute war wundervoll; sie waren Männer in jeder Beziehung des Wortes geworden und an Körper und Geist weit besser als die magern elenden Wichte, welche, ohne kaum dagegen zu protestiren, von den Enaksöhnen von Ipoto gepeitscht und mit Speeren durchbohrt worden waren. Auch auf die Weißen hatte die Lebensweise einen sehr wohlthätigen Einfluß geübt, denn wenn auch nicht fett, so waren wir doch nicht mehr dürr und mager; etwas Wein würde die Heilung vollendet haben.

Ein sanft ansteigender, mit Gras bewachsener Abhang brachte uns am nächsten Morgen nach Verlauf einer Stunde auf den Rücken einer dieser langgedehnten Wellenzüge, die für diese Gegend charakteristisch sind. Von oben hatten wir wieder einen für uns besonders interessanten Rundblick. Der von uns in Aussicht genommene Curs war Südost, da wir auf eine hohe kegelförmige Bergspitze zustrebten, welche am Ende einer grasbedeckten Hügelkette stand und uns später als Masamboni-Pic bekannt wurde. Wir stiegen in anmuthige Thäler hinab, die durch kühle, klare Bäche bewässert wurden; in der Nähe der letztern waren kleine Gruppen von Wohnstätten der Eingeborenen, von Feldern mit unreifem Sorghum, süßen Kartoffeln, Zuckerrohr u. s. w. umgeben. Allein sämmtliche Hütten waren verlassen und ihre Bewohner sahen sich uns von jedem hervorragenden Hügel aus der Vogelschau an. Endlich passirten wir auch eine leere Vieheinzäunung, bei deren Anblick unsere Leute vor Freuden schrien und riefen: »Ja, der Herr hat recht, alles, was er gesagt hat, trifft ein. Erst wird das Grasland kommen, dann das Vieh mit tapfern Männern, welche es vertheidigen, dann die Hügel, dann der Njansa und endlich der weiße Mann. Das Grasland haben wir schon gesehen, hier ist der Viehhof, dort sind die Hügel und die tapfern Männer, und wenn es Gott gefällt, werden wir auch den Njansa und den weißen Mann noch erblicken.«

Wir setzten unsern Weg nach einem Thale fort, durch welches ein anderer Fluß dahinraste und tobte. Zu unserer Linken befand sich eine Reihe zerklüfteter Felsen, welche in ungeheuern, freistehenden Massen aufstiegen und so groß waren, daß auf den Spitzen ein Dutzend Männer bequem sitzen konnten. Die großen Felsmassen wurden durch eine niedrigere Felsreihe verbunden, die eine gleichförmigere Gestalt hatte und den kahlen Scheitel eines Hügelrückens bildete. An einigen Stellen passirten wir so nahe am Fuße der Felsen, daß wir die Gipfel leicht mit einem Steinwurf hätten erreichen können. Wir waren auf einen Angriff wohl vorbereitet, doch verhielten sich die Eingeborenen merkwürdig ruhig. Der von uns verfolgte Pfad endete an einer Hängebrücke über einen dritten »Ituri«, den ich, um Misverständnisse zu verhüten, als östlichen Ituri bezeichne. Derselbe war 27 m breit, tief und hatte die Strömung einer Stromschnelle; er war mit einer Brücke überspannt, die aber so gebrechlich hergestellt war, daß nur je einer von uns dieselbe überschreiten konnte. Jede Person brauchte zwei volle Minuten, um die Spannweite von 27 m zu passiren, sodaß es 6 Uhr nachmittags wurde, ehe die ganze Karavane am andern Ufer war; da der Uebergang sich an einer für uns sehr unvortheilhaften Stelle befand, so mußten die Büchsenschützen den ganzen Tag auf dem Posten sein.

Nachmittags sahen wir eine schöne schwarze Kuh mit ihrem Kalbe aus einem Einschnitt in dem erwähnten Felsrücken herauskommen, worauf unsere Leute ein lautes Freudengeschrei erhoben. »Rindvieh, ah Rindvieh! Rindvieh, was machst du? Wir haben dich nicht gesehen, seit wir jung waren.« Wahrscheinlich waren diese Thiere ausgebrochen, da die Abunguma ihr Vieh hinter den Felsenhügeln versteckt hielten.

Nachdem wir das malerische Thal des östlichen Ituri verlassen hatten, marschirten wir am 8. December einen sanft ansteigenden Abhang bis zum Gipfel eines Hügels hinauf, von welchem wir einen weiten Blick über das gewundene schmale Bett des Flusses hatten, der, wie wir bemerkten, aus OSO. herkam. Bald darauf eröffnete sich uns ein mehr einer vollständigen Ebene gleichendes Land, das sich über 30 km weit nach Süden ausdehnte und im Norden von dem felsigen Rücken und dem kurz vorher von uns verlassenen Thal begrenzt wurde, während im Osten die Masamboni-Kette aufstieg, deren an der schlanken Spitze kenntliches Nordende für den Augenblick unser Ziel bildete.

siehe Bildunterschrift

Hängebrücke über den östlichen Ituri.

Um 9½ Uhr vormittags hatten wir uns der Gebirgskette um mehrere Kilometer genähert und bemerkten, ehe wir in das Thal eines nach Norden strömenden kleinen Flusses hinabstiegen, mit Verwunderung, daß die ganze weite Ebene bis zu den Bergen eine einzige Masse von Pflanzungen war, ein Beweis, daß dort eine starke Bevölkerung lebte. Hier also würde es, wie wir meinten, zum Kriege kommen. Die Abunguma hatten ihre Niederlassungen verlassen, um sich diesem volkreichen Stamme anzuschließen und uns einen passenden Empfang zu bereiten. Stärkere Ansiedelungen hatten wir nicht gesehen, seit wir Bangala am Kongo verlassen hatten, und als wir die Entfaltung der ungeheuern Scharen und die Anzeichen der Wohlhabenheit und Sicherheit sahen, schlich sich bei uns der Argwohn ein, daß diese Eingeborenen dem Bündniß der Stämme angehören möchten, welche den armen, sorgenvollen Gouverneur von Aequatoria eingeschlossen hielten.

In der Absicht, die Eingeborenen nicht zu reizen und die unverbesserlichen Freibeuter der Colonne an der Begehung von Unthaten zu verhindern, verfolgten wir einen nach Südosten führenden Pfad, um am Rande des Districts hin zu marschiren. Wir konnten unsern Curs zwischen den Pflanzungen so nehmen, daß der Feind keine Deckung hatte. Um 11½ Uhr vormittags hatten wir das östliche Ende des Districts erreicht, wo wir anhielten, um unter dem Schatten eines Baumes, dessen Zweige von der kräftigen, vom Njansa kommenden kühlen Brise bewegt wurden, Mittagsrast zu machen und uns zu erfrischen.

Um 1 Uhr nahmen wir den Marsch wieder auf und traten in den Schatten der Bananenpflanzungen hinein, wo wir uns über den in denselben bekundeten Fleiß der Eingeborenen und die Sauberkeit der bepflanzten Stellen wunderten. Die kegelförmigen Wohnstätten waren groß und, wie wir beim Hineinschauen durch einige offene Eingänge bemerkten, im Innern durch Schirmwände aus rohrartigem Gras abgetheilt. Jedes Dorf war reingekehrt, als wäre es besonders zum Empfang von Gästen bereit. Jeder Bananenstamm war mit Früchten belastet, die Kartoffeläcker waren ausgedehnt, die Hirsefelder nahmen auf jeder Seite mehrere Hektare ein und die erst in neuester Zeit erbauten zahlreichen Getreidespeicher ließen erkennen, daß man eine reiche Ernte erwartete.

Schließlich kamen wir aus den Kornfeldern heraus, ohne auch nur einmal belästigt worden zu sein. Wir glaubten, daß die Eingeborenen entweder durch übertriebene Gerüchte über unsere Stärke furchtsam geworden, oder durch unser vorsichtiges Manöver, zwischen unserer Marschlinie und den Baumgruppen einen ziemlich großen Raum zu lassen, verwirrt worden waren, denn zu unserer Ueberraschung stießen wir auf keinen Widerstand, obwol große Scharen von Eingeborenen die an unserer Route gelegenen hervorragenden Punkte besetzt hatten.

Der breite und wohlbegangene Pfad nach den Bergen, denen wir uns jetzt rasch näherten, durchschnitt die etwa 5 km breite, reich mit blühendem Futtergras bedeckte, beinahe horizontale Ebene in der Mitte. Nicht fern zu unserer Linken befand sich der Ituri, an dessen anderm Ufer eine weitere volkreiche Ansiedelung zu sehen war.

Um 3 Uhr nachmittags trafen wir am Fuße des Masamboni-Gebirges ein. Viele der höchsten Punkte desselben waren mit Gruppen von Hütten gekrönt, die Viehhöfe der Eingeborenen lagen in den Falten des vor uns liegenden Gebirges. Die Leute hatten sich auf den nächsten Gipfeln in größern Gruppen gesammelt und riefen uns, als wir nahe genug herangekommen waren, mit lauter, herausfordernder Stimme trotzige Worte zu. Wir schätzten die Höhe der uns zunächstliegenden Berge auf etwa 250 m über der Ebene und ihre Entfernung von uns, da die Abhänge besonders steil waren, auf etwa 700-900 m.

Zu unserer großen Freude und Erleichterung stieg der Pfad nicht an den steilen Abhängen empor, sondern führte am Fuße derselben herum, und wandte sich nach Ost, gerade die von uns gewünschte Richtung, da wir uns jetzt auf 1° 25' 30'' nördl. Br. befanden. Als wir um eine Ecke der Bergkette herumkamen, zeigte sich unserm Blick ein Thal von 1½ bis 3 km Breite, das von üppigem, der Sichel entgegenreifendem Kaffernkorn bedeckt war. Zu unserer Rechten stieg unmittelbar über uns die Nordseite der Masamboni-Kette empor, zur Linken fiel das ganz mit Getreidefeldern bedeckte Gelände allmählich zu einem rasch fließenden Arm des östlichen Ituri ab, um auf der andern Seite in derselben sanften Weise bis zu einem breiten hufeisenförmigen, mit Gras bedeckten Rücken anzusteigen, der dicht mit Wohnstätten besetzt, mit grünen Hirse- und Maispflanzungen bedeckt und reich an Bananenhainen war. Eine Umschau in der Umgebung ließ uns den Wohlstand des Stammes erkennen.

Beim Eintritt in dieses wohlhabende getreidereiche Thal erscholl über unsern Köpfen drohend im Chor der Kriegsruf der Eingeborenen, was uns veranlaßte, aufzublicken. Die Gruppen waren schon viel zahlreicher geworden, und es mochten vielleicht 300 mit Schilden, Speeren und Bogen ausgerüstete Krieger versammelt sein, welche die blanken Waffen schwangen, mit Schild und Speer gesticulirten und in einer uns unbekannten Sprache uns wüthend anschrien. Immer erregter in ihrem Benehmen werdend, schienen sie herabkommen zu wollen, änderten dann aber ihren Plan und stiegen wieder zum Gipfel hinauf, wo sie mit uns gleichen Schritt hielten, sie oben längs des Grats der vorliegenden Hügel, wir am Fuße derselben; fortwährend schrien und heulten sie, riefen und drohten, was uns, wie wir annahmen, ihren Haß ausdrücken und ihre Gefährten im Thal ermuthigen sollte.

Als wir aus der ersten Kornfelderreihe herauskamen, hörten wir das Kriegsgeschrei der Eingeborenen im Thal und befürchteten deshalb, daß dieselben, von den Gefährten auf den Hügeln gewarnt und geführt, an ihnen günstig erscheinenden Orten Aufstellung nehmen würden. Es war jetzt fast 4 Uhr und also Zeit, einen Platz für das Lager auszuwählen und uns vorzubereiten, um die Nacht inmitten einer der Zahl nach übermächtigen Bevölkerung zuzubringen. Glücklicherweise stieg ganz in der Nähe der steile Nsera Kum-Hügel mit einem Ausläufer auf, dessen platter Gipfel 30 m über der mittlern Thalhöhe lag; derselbe bildete gleichsam eine Insel im Thale und war ungefähr 450 m vom Flusse und 180 m von der Masamboni-Kette entfernt. Von dem Gipfel des Nsera Kum hatten wir nach Osten und Westen einen Blick auf das nördliche Gehänge der hohen Kette und über den Scheitel des hufeisenförmigen Rückens hinweg bis über den Ituri-Arm. In einer solchen Stellung hätte man mit 50 Gewehren ein Lager gegen tausend Eingeborene behaupten können. Wir eilten den Hügel hinauf, während die Krieger von den Höhen herabkamen und sich uns näherten, als ob sie unsere Absicht ahnten; auch von den Flußufern stürzte eine Masse schreiender Bewaffneter gegen unsere Marschlinie, doch gelang es uns, nachdem die Kundschafter in der Vorhut vereinzelte Schüsse abgegeben hatten, um die Front frei zu machen, die Hügelinsel zu erreichen und hinaufzuklimmen. Die Lasten wurden abgeworfen, einige vorzügliche Plänkler aus jeder Seite der Colonne beauftragt, die Nachhut zu unterstützen, andere beordert, rund um die Krone des Hügels eine Seriba herzustellen, und eine Abtheilung von etwa 30 Mann wurde nach dem Flusse geschickt, um Wasser zu holen. Nach einer halben Stunde war die ganze Colonne auf dem Hügel in Sicherheit, die Seriba nahezu vollendet und für die Durstigen Wasser herbeigeschafft, und wir hatten einige Minuten Zeit, um Athem zu schöpfen und von unserm dominirenden Standpunkt aus die Umgebung zu untersuchen. Der Blick aus der Vogelschau war keineswegs ermuthigend. Im Thal zerstreut lagen etwa funfzig Dörfer, und nach allen Richtungen hin zeigte sich dem Auge eine Pflanzung hinter der andern, ein Feld und ein Dorf neben dem andern. Was auf den Bergen lag, wußten wir nicht. Die Zahl der in Schwärmen an den Abhängen versammelten Eingeborenen betrug mehr als 800, deren trotziges Schreien und Lärmen die Luft erfüllte.

Die Bergbewohner schienen zu einem Versuch geneigt zu sein, die Sache sofort zur Entscheidung zu bringen. Wir waren von dem Marsch von 21 km, den wir gemacht hatten, ermüdet und die glühende Sonne und das Gewicht der Lasten hatten die Körperkräfte der Leute geschwächt; nichtsdestoweniger wählten wir einige der Besten aus und sandten sie den Bergbewohnern entgegen, während wir beobachtend stehen blieben, um das Verfahren unserer Gegner kennen zu lernen. Vier Plänkler waren allen voran und eine gleiche Zahl von Eingeborenen, keineswegs dem Kampfe abgeneigt, sprang ihnen tapfer entgegen, in dem instinctiven Gefühl, daß der Muth unserer Leute nicht der allergrößte sei. Die Eingeborenen näherten sich ihnen bis auf etwa 90 m und machten dann den Gewehren gegenüber ihre Bogen fertig. Unsere Leute feuerten einmal, ohne Schaden zu thun, und zogen sich dann zurück, während die Gebirgsbewohner, immer mit dem Finger an der Bogensehne, vorrückten. Nun ergriffen unsere vier Mann die Flucht, von Hunderten, die von unserm Lager aus das Schauspiel mit ansahen, laut verwünscht. Das war auf unserer Seite ein böser Anfang, den die Eingeborenen als günstiges Vorzeichen für sich aufnahmen und mit Triumphgeheul begrüßten. Um dieser Freude ein Ende zu machen, suchten unsere Büchsenschützen Deckung und begannen die Eingeborenen ernstlich zu belästigen. Einige, welche sich auf der Höhe des Hügels Nsera Kum befanden, richteten unter den Gebirgsbewohnern auf dem Abhange der gegenüberliegenden 360 m entfernten Kette Schaden an, andere krochen ins Thal hinab und sorgten hier für unsern Triumph, und noch andere schlichen sich um den Fuß des Nsera Kum herum und wirkten dort zu unsern Gunsten. Unser Jäger Saat Tato nahm ihren Eigenthümern eine Kuh weg, sodaß wir hier nach elf Monaten zum ersten mal wieder Rindfleisch kosteten. Als die Dunkelheit einbrach, suchten Eingeborene wie Fremde ihre Quartiere auf, beide in der Erwartung, daß morgen ein sehr aufregender Tag folgen werde.

Ehe ich mich abends zur Ruhe legte, las ich, wie gewöhnlich, in der Bibel. Ich hatte sie schon einmal vom Anfang bis zum Ende durchgelesen und war jetzt wieder beim 5. Buche Mosis, wo ich an den Vers kam, in welchem Moses Josua mit folgenden schönen Worten ermahnt: »Seid getrost und unverzagt, fürchtet euch nicht und lasset euch nicht vor ihnen grauen; denn der Herr, dein Gott wird selber mit dir wandeln und wird die Hand nicht abthun, noch dich verlassen!«

Ich las weiter, bis ich das Ende des Kapitels erreicht hatte, und schloß dann das Buch, und von Moses wanderten meine Gedanken sofort zu Masamboni. War es die große Ermattung, ein im Entstehen begriffener Schmerz, ein mahnendes Symptom herannahender Krankheit oder der Schatten einer gehässigen Stimmung gegen unsere feigen vier Kundschafter und ein unbestimmtes Gefühl des Mistrauens, daß meine Taugenichtse in einem kritischen Augenblicke die Flucht ergreifen konnten? Sicherlich befanden wir uns einem Volke gegenüber, das sich sehr wesentlich von den Waldbewohnern unterschied. Auf dem offenen Lande waren meine Leute noch nicht wie heute erprobt worden, und was meine Offiziere und ich selbst gesehen hatten, war nicht sehr ermuthigend. Jedenfalls war, soweit ich mich erinnere, mein Geist in diesem Augenblicke mehr als bei irgendeiner frühern Gelegenheit mit der Gefahr beschäftigt, die uns drohte, wenn wir uns mit einer so kleinen Truppe feiger Träger in den Kampf mit den Stämmen des Graslandes wagten. Ich schien jetzt das, was wir erwarten könnten, gründlicher erfaßt zu haben. Ob es eine Folge des weitern Rundblickes auf Land und Leute war, oder ob ich unter dem Eindruck des großen Geschreis der menschlichen Stimmen stand, deren Lärm mir noch in den Ohren zu klingen schien, weiß ich nicht, doch glaubte ich eine Stimme zu vernehmen: »Sei getrost und unverzagt, fürchte dich nicht.« Ich hätte schwören mögen, daß ich eine Stimme hörte, und begann mit derselben zu disputiren. Weshalb forderst du mich auf, die Mission aufzugeben; ich kann nicht fliehen, wenn ich auch wollte; der Rückzug würde viel schlimmer sein als das Vordringen; deine Ermahnung ist daher unnöthig. Die Stimme erwiderte nichtsdestoweniger: »Sei getrost und unverzagt; denn du wirst dies Volk ins Land bringen, das der Herr ihren Vätern geschworen hat ihnen zu geben, und du wirst es unter sie austheilen. Ich werde mit dir sein und dich nicht verlassen. Fürchte dich nicht und erschrick nicht.«

Im strengsten Vertrauen sei gesagt, daß mir, obschon ich mich noch niemals besser für den Kampf vorbereitet gefühlt habe, doch der Gedanke kam, daß beide Parteien merkwürdig thöricht seien, da sie im Begriff standen, sich in einen Kampf zu begeben, den ich für unnöthig hielt. Wir kannten nicht einmal den Namen des Landes und seiner Bewohner, und sie wußten ebenso wenig von unsern Namen, unsern Zielen und Beweggründen. Ich skizzirte mir noch den Plan für den folgenden Tag, beschwor die Posten, strenge Wache zu halten, und hatte dann bald diesen Masamboni, den Herrn der Berge und Ebenen, vergessen.

Der 9. December war Rasttag. Am Morgen vervollständigten wir unsern Zaun aus Dorngestrüpp, vertheilten Patronen und untersuchten die Gewehre. Gegen 9 Uhr schwand die Kühle der frühen Morgenstunden vor den Strahlen der wärmenden Sonne, und bald darauf sammelten sich die Eingeborenen in imposanten Scharen. Die grellen Töne der Kriegshörner, wie ich sie schon 1875 in Usoga und Uganda gehört hatte, riefen zum Sammeln, und von jeder Hügelspitze ertönten über zwanzig Trommeln. Das Rufen und Schreien ging fortwährend vom Berg zum Thal und umgekehrt, und wir waren jetzt rundherum umzingelt. Gegen 11 Uhr vormittags stiegen einige Eingeborene an den Abhängen herunter und kamen so nahe, daß ein gewisser Fetteh, ein Mann aus Unjoro, verstehen konnte, was sie sagten; er tauschte heftige Schimpfworte mit ihnen aus, bis sich schließlich ein vollständiger Wortkampf entwickelt hatte. Als ich erfuhr, daß einer unserer Leute die Sprache verstünde, leitete ich dies wüthende Schimpfen in friedlichere Bahnen, worauf dann ein freundschaftlicheres Gespräch stattfand.

»Wir unsererseits«, hieß es, »kämpfen nur zur Vertheidigung. Ihr greift uns an, während wir ruhig das Land durchziehen. Würde es nicht besser sein, erst miteinander zu sprechen und zu versuchen, ob wir uns nicht verständlich machen können, und erst dann zu kämpfen, wenn wir nicht übereinkommen können?«

»Das ist wahr, das sind weise Worte«, erwiderte jemand. »Sagt uns, wer ihr seid. Woher kommt ihr und wohin wollt ihr?«

»Wir kommen von Sansibar, vom Meere, und unser Häuptling ist ein weißer Mann. Wir wollen nach dem Njansa von Unjoro.«

»Wenn ihr einen weißen Mann bei euch habt, so zeigt ihn uns und wir werden euch glauben.«

Sofort trat Lieutenant Stairs aus der Seriba und wurde von Fetteh den Eingeborenen vorgestellt.

»Nun sagt uns aber auch, wer ihr seid«, rief Fetteh. »Was ist dies für ein Land? Wie heißt euer Häuptling? Und wie weit ist es bis zum Njansa?«

»Das Land heißt Undussuma, der Häuptling ist Masamboni. Wir sind Masamboni. Den Ruweru (Njansa) erreicht man in zwei Tagen. Ihr werdet fünf Tage brauchen. Er liegt nach Osten. Es gibt nur einen Weg dahin, den ihr nicht verfehlen könnt.«

Das war der Anfang zum Austausch freundlicher Beziehungen; die Bekanntschaft war gemacht. Wir erfuhren dann, daß es in Undussuma zwei Häuptlinge gäbe, von denen der eine dem Frieden nicht abgeneigt sei und Freundschaftsgeschenke austauschen wolle, wenn wir das wünschten. Wir waren sehr gern damit einverstanden, und es verflossen nunmehr mehrere Stunden, ohne daß feindliches Schreien oder Schüsse gehört wurden, ausgenommen am Flusse, dessen Uferbewohner halsstarrig waren und auf nichts als Kriegsvorschläge hören wollten.

Nachmittags kam eine Botschaft von Masamboni, welcher Muster und Qualität unserer das Geld vertretenden Stoffe zu sehen wünschte. Wir sandten ihm etwa 2 m scharlachrothen Uniformstoff und ein Dutzend Messingstangen, worauf wir das Versprechen erhielten, daß er morgen selbst kommen und die Ceremonie der Blutsbrüderschaft mit mir vornehmen wolle.

Am nächsten Tage fühlten wir uns nach einer ungestörten Nacht sehr erfrischt und gaben uns gern der angenehmen Erwartung hin, daß das Lager in wenigen Stunden wahrscheinlich mit freundlichen Eingeborenen gefüllt sein werde. Man hatte uns gebeten, nicht eher aufzubrechen, als bis ein Gegengeschenk von Masamboni eingetroffen wäre, und wir hatten demgemäß beschlossen, noch einen Tag zu bleiben. Der Morgen war, da wir uns 1290 m über dem Meere befanden, kalt und unfreundlich. Die hohen Bergspitzen waren vom Nebel bedeckt und es hatte sich ein leichter Sprühregen eingestellt, der unsere Freunde vom allzu frühen Kommen abhielt; allein um die dritte Stunde klärte der Nebel sich auf und die Umrisse der ganzen Kette hoben sich deutlich an dem blaßblauen Himmel ab. Ich befand mich mit Lieutenant Stairs und Herrn Jephson an dem äußersten westlichen Ausläufer der Kette und wir erfreuten uns an der herrlichen Aussicht, bewunderten die Scenerie und sprachen unsere Vermuthungen darüber aus, wann ein so schönes Land wol die Wohnstätte civilisirter Ansiedler werden würde. Stairs meinte, dasselbe gleiche Neuseeland, und bemerkte, er möchte hier eine Viehzüchterei haben; er ging sogar so weit, eine Stelle auszusuchen und einen gewissen Punkt als den geeignetsten Platz zu bezeichnen. »Dort auf jenem kleinen Hügel würde ich mein Haus bauen.« – »Schebang« nannte er es. Vielleicht ist das der neuseeländische Ausdruck für eine Villa. – »Dort würde ich meine Rinder hüten; die Schafe könnten an dem dahinterliegenden Abhang grasen und –«

Inzwischen waren die Eingeborenen in langen Reihen auf den Ausläufern des Berges erschienen und wandten sich sämmtlich einem gemeinsamen Mittelpunkte auf dem flachen Gipfel eines Hügels zu, in der Luftlinie etwa 900 in von unserm Standpunkt entfernt. Gleich darauf drang die klare, wohlklingende Stimme eines echten Volksredners an mein Ohr; dieselbe gehörte einem Manne, der mit einigen Gefährten bis etwa auf 100 m über dem Thal hinab gestiegen war. Er sprach ungefähr zehn Minuten lang, und Fetteh, der herbeigeholt worden war, um die Worte zu übersetzen, hörte ihm zu. Fetteh erzählte, er befehle im Namen des Königs Frieden, allein seltsamerweise erhob sich, als der Mann kaum geendet hatte, als Antwort auf seine Rede im Thale ein schreckliches gellendes Geschrei und lauter wilder Lärm, der von den Bergen erwidert wurde und dann in wilden Ausbrüchen auch von den Abhängen widerhallte.

Nach unserer Meinung konnte ein solches gewaltiges Geschrei kein Zeichen des Friedens sein, sondern nur Krieg bedeuten, und um ganz sicher zu sein, sandten wir Fetteh ins Thal hinab, um den Sprecher zu befragen. Die Antworten der Eingeborenen ließen keinen Grund mehr zu zweifeln. Die beiden Ausdrücke »Kanwana« (Frieden) und »Kurwana« (Krieg) klangen so ähnlich, daß sie bei Fetteh einen Irrthum hervorgerufen hatten.

»Wir wollen eure Freundschaft nicht«, schrien sie. »Wir werden bald über euch kommen und euch mit den Stöcken unserer Hirten aus dem Lager treiben.« Ein verrätherischer Bursche, der vom Gebüsch gedeckt bis nahe zu uns herangekrochen war, hätte uns beinahe einen schweren Verlust zugefügt; namentlich unser Dolmetscher entging nur mit genauer Noth der Gefahr. Fetteh las die Pfeile auf und brachte sie uns mit, als er uns seine Nachrichten mittheilte.

Es blieb uns nunmehr keine andere Wahl, als den Eingeborenen eine exemplarische Lehre zu ertheilen, und wir waren bereit, dies ohne einen Moment zu verlieren und mit der äußersten Gewalt zur Ausführung zu bringen, wenn uns nicht die Freundschaftsanerbietungen unserer Gegner etwa noch Einhalt geboten.

Nachdem die Compagnien gemustert waren, führte Lieutenant Stairs seine 50 Gewehrschützen aus dem Lager gegen die halsstarrigen, wüthenden Burschen auf der andern Seite des Armes des Ituri, während ich eine halb so starke Abtheilung unter Herrn Jephson ausschickte, um die Abhänge zur Linken zu erstürmen, und 20 ausgesuchte Leute unter Führung von Uledi einen Ausfall zur Rechten unternehmen sollten. Raschid erhielt Befehl, mit 10 Mann den Gipfel des Nsera Kum zu besetzen, um uns vor einer Ueberrumpelung von dieser Seite zu schützen. Jephson und Uledi konnten, da die Gipfel der vorliegenden Hügel den Einblick verwehrten, unbeobachtet von den Gebirgsbewohnern ihre Positionen einnehmen und sich den Feinden ungesehen bis auf 180 m nähern, während die Compagnie des Lieutenants Stairs, die sich weiter vorwärts im Thal befand, wol die ganze Aufmerksamkeit der Eingeborenen in Anspruch nehmen würde.

siehe Bildunterschrift

Unsere erste Erfahrung mit Masamboni's Volk. Ansicht vom Nsera Kum-Hügel.

Schon nach wenigen Minuten war Stairs' Compagnie in heißem Gefecht. Die Eingeborenen empfingen unsere Leute einige Minuten mit kaltblütiger Entschlossenheit und ihre Pfeile fielen massenhaft, buchstäblich gleich einem Regenschauer herab; allein der Lieutenant bemerkte sofort, daß ihr Muth nur aus dem Bewußtsein entsprang, daß ein ansehnlicher Fluß zwischen ihnen und seiner Compagnie lag. Er forderte daher seine Leute auf, den Fluß zu überschreiten; die Leute gehorchten, und als sie das jenseitige Ufer erstiegen, gaben sie ein so verheerendes Feuer ab, daß in wenigen Secunden das Nest der aufrührerischen und unbotmäßigen Burschen, die so laut nach Krieg geschrien hatten, zerstört war. Das Dorf wurde im Sturm genommen und die Bananenpflanzungen von ihnen gesäubert; die Eingeborenen stürzten über den Fluß ins offene Land hinaus und flohen nach Norden, während Lieutenant Stairs seine Leute sammelte, das Dorf in Brand steckte und zum Angriff auf die andern Niederlassungen vorging, wo das Knattern der von der Compagnie abgegebenen Salven erkennen ließ, welchen Widerstand sie fand.

Mittlerweile hatte Uledi mit seiner Abtheilung ausgesuchter Leute einen Pfad entdeckt, welcher einem Ausläufer entlang an dem Berg hinaufführte, und nachdem er die Höhe von 150 m erreicht hatte, seine Leute den Scharen, welche ihre Gefährten im Thale beobachteten und durch laute Zurufe ermuthigten, gerade in die rechte Flanke gebracht. Die Winchestergewehre arbeiteten vorzüglich, und da gleichzeitig die Abtheilung des Herrn Jephson aus einer Schlucht zur Linken hervorkam, übte das alles eine so unglückliche Wirkung auf die Nerven der Eingeborenen, daß sie, verfolgt von Uledi und seinen Leuten, in wildester Flucht die Abhänge hinaufstürzten, Uledi und seine Leute hinter ihnen drein.

Als Jephson sie in voller Flucht sah, wandte er sich nach Osten und marschirte noch etwa 3 km weiter, wobei er im Vordringen feuernd die ganze Gegend säuberte. Gegen 1 Uhr waren alle zurück im Lager, und nur ein Mann leicht verwundet. Alle hatten sich wunderbar gut benommen, und sogar die vier Feiglinge, die besonders beobachtet worden waren, hatten sich noch ausgezeichnet.

Als die Eingeborenen um 2 Uhr wieder ins Thal zurückgekehrt waren, wurden die einzelnen Abtheilungen nochmals ausgesandt. Stairs führte seine Leute über den Arm des Ituri, verfolgte die laufenden Flüchtlinge weit nach Norden und schwenkte dann scharf herum, um sich Jephson anzuschließen, der seinen Weg weit nach Osten fortgesetzt hatte. Uledi wurde mit seinen Leuten bis ganz hinauf auf den Kamm der Bergkette gesandt, wo er klugerweise halt machen ließ, als er sah, mit welch ungeheuern Mengen von Wohnstätten die Hügel bedeckt waren.

siehe Bildunterschrift

Schild vom Rande der Ebene.

Der Kampf dauerte bis zum Nachmittage, da die Eingeborenen beständig in Bewegung blieben und bald angriffen und dann wieder flüchteten. Gegen Abend war kein einziger von ihnen mehr zu sehen, und das rund um das Lager herrschende Schweigen war bezeichnend für das Werk des Tages. Die Eingeborenen befanden sich entweder auf den Bergen oder fern im Osten und Norden; in dem Thale um uns herum war keine Hütte stehen geblieben, welche ihnen während der Nacht hätte Obdach gewähren können. Nach dem natürlichen Lauf der Dinge mußten wir, wenn wir viele solche Stämme wie diese treffen sollten, zahlreiche Leute verlieren, und wenn wir ihnen nur den geringsten Zweifel ließen an unserer Fähigkeit, uns zu schützen, würden wir das Werk dieses Tages wol noch öfter zu wiederholen haben. Es war daher viel barmherziger, die Angelegenheit gleich gründlich zu erledigen, als einen wegen seiner Frechheit ungezüchtigt gebliebenen Stamm in unserm Rücken zu lassen. Die Eingeborenen müssen geglaubt haben, daß wir nicht im Stande seien, außerhalb unsers Dornzauns zu kämpfen, weil sie so hochmüthig geprahlt, uns mit Stöcken herauszutreiben, und daß sie in den Bergen vollständig sicher seien. Wir waren daher gezwungen, diese Ansicht bei ihnen auszurotten, damit sie uns in keiner Weise weitern Schaden thun konnten.

Eine von ihrem Eigenthümer verlassene Kuh verbrannte in einem der nahen Dörfer und lieferte uns eine zweite beschränkte Ration von gebratenem Fleisch.

Am 11. December fiel am frühen Morgen Regen, der uns bis 10 Uhr im Innern der Hütten festhielt. Als dann einige Eingeborene kamen, um uns von den Bergen herab nochmals Beweise ihrer Feindseligkeit zu geben, führten Stairs, Jephson und Uledi ihre Leute in drei getrennten kleinen Colonnen an den Abhängen hinauf zum Angriff und machten einen sehr erfolgreichen Zug gegen sie, wobei sie eine kleine Ziegenheerde erbeuteten, die unter die Leute vertheilt wurde. Die an diesem Tage gemachten Erfahrungen schienen die Eingeborenen überzeugt zu haben, daß sie bei einem Kampfe mit uns nichts gewinnen konnten.

Einmal hatte es den Anschein, als ob der Tag mit einer Versöhnung enden würde, denn nachdem unsere Leute sämmtlich ins Lager zurückgekehrt waren, zeigte sich auf einem hohen Hügel über unserer Stellung ein Eingeborener, welcher erklärte, er sei von Masamboni geschickt und solle uns mittheilen, daß dieser unsere Geschenke empfangen habe, aber durch das Geschrei seiner jungen Leute, die auf dem Kampf bestanden hätten, an dem uns versprochenen Besuche verhindert worden sei. Jetzt aber, nachdem viele von ihnen getödtet seien, sei er bereit, einen Tribut zu zahlen und uns in Zukunft ein treuer Freund zu sein.

Wir erwiderten, wir wären gern zufrieden und zur Freundschaft mit ihnen geneigt, allein da sie uns zum besten gehabt, unsere Friedensgeschenke behalten und uns Weiber genannt hätten, müßten sie den Frieden jetzt mit Rindern oder Ziegen erkaufen; wenn sie in den Händen Gras hochhielten, könnten sie sich uns ohne Furcht nähern.

Ich muß hier noch erwähnen, daß, als die Krieger an den Bergabhängen zum Kampfe herniederstiegen, jeder kleine Trupp von ihnen von einem großen Hunde begleitet war, der von ziemlich schlankem Wuchs, aber muthig und angriffslustig war.

Die Waffen der Wasamboni bestanden aus Bogen von 1,7 m Länge und 71 cm langen Pfeilen, sowie langen, scharfen Speeren. Die Schilde waren lang und im allgemeinen schmal, doch waren viele auch von dem gleichen Muster wie in Uganda. Die Pfeile waren mit fürchterlichen Widerhaken versehen und die Speere ähnlich wie diejenigen in Karagwe, Uhha, Urundi und Ihangiro.



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