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Zehntes Kapitel.
Mr. Mead

Veilchen, frische Veilchen, gnäd'ger Herr!«

»Ach, zum Kuckuck mit den Veilchen!« sagte Mr. French. Er kam gerade aus dem Kildarestreet-Klub, wo er fünf Pfund im Kartenspiel verloren hatte, dazu war es ein regnerischer Nachmittag und nun wurde er auch noch durch das Veilchenangebot belästigt.

Die Blumenverkäuferin, eine unheimlich schmutzige alte Frau in einem Kiepenhut, beachtete den Einwurf nicht, sondern ging ihrem Geschäft nach, indem sie wie ein Hund hinter Mr. French hertrottete, mit ihrer Ware und ihrem Mißgeschick prahlte und seine Schönheit pries.

»Nur ein Penny das Bund, nur ein Penny das Bund. Gott segne Ihr hübsches Gesicht! Du lieber Gott, Sie können doch nich auf der Straße spazierengehen ohne 'ne Blume im Knopfloch. Stecken Sie die Hand in die Tasche und holen Sie 'nen Penny 'raus, dann wird der Segen des Herrn sich über Sie ausgießen, noch ehe es Abend geworden is. Ich gebe Ihnen das Sträußchen auch gern umsonst nur wegen das Vergnügen, Ihnen die Blumen ins Knopfloch stecken zu dürfen. Das Bund ist so groß wie 'n Kohlkopf und kostet man bloß einen Penny.«

Es war eine Art Gesang, ein Rezitativ, eine Beschwörung.

»Ich habe kein Kleingeld,« entgegnete der Blumenlose zornig. »Ich sage Ihnen, ich habe nichts gewechselt.«

Die Priesterin der Flora blieb stehen und schnaufte.

»Gewechselt!« sagte sie. »Nein, wohl auch nix, um zu wechseln.«

Mr. French lachte, während er seinen Schirm aufspannte und eine vorüberfahrende offene Droschke herbeiwinkte. »Wahrhaftig,« sagte er, indem er in den Wagen stieg, »sie hat den Nagel auf den Kopf getroffen.«

»Sagten Sie was, Sir?« fragte der Kutscher.

»Nein, ich sprach nur für mich. Fahren Sie nach Leesonstreet Nummer 32. Wo in aller Welt haben Sie dies alte Knochengerüst von einem Pferd aufgesammelt?«

»Aufgesammelt?« entgegnete der Mann grinsend. »Du lieber Himmel, das letzte Mal, als ich ihn aufsammelte, war gestern nachmittag, wie er in Damestreet mit 'nen Wagen voll Gepäck hinfiel, das nach Westland Row hin sollte.«

»Sie scheinen Talent zum Aufsammeln von Schund zu haben,« bemerkte Mr. French.

»Das ist die Schuld von die Polizei,« erwiderte der Kutscher, während das Grinsen, das Naturanlage, Whisky und der Beruf eines Droschkenkutschers auf seinem Gesicht eingegraben hatten, sich noch weiter ausbreitete. »Es is die Schuld von die Polizei, die Pest über sie!«

»Wie kommt das?« fragte Mr. French unvorsichtig.

»Na, sie verbietet mir, 'ne Fahrt zu verweigern. Hüh, hüh! Paß auf, du Teufel, wovor scheust du? Hast noch nie 'nen Gemüsekarren gesehen? Nanu, nanu, wofür hältst du dir und was fehlt dir eigentlich?«

Der Wagen hielt vor Leesonstreet Nummer 32. Mr. French stieg aus, gab dem Kutscher einen Schilling für die Fahrt und sechs Pence Trinkgeld und klingelte an der Haustür.

Mr. Mead war zu Hause, und der alte Diener, der die Tür geöffnet hatte, brachte den Besuch in die Bibliothek, ein behagliches altmodisches Zimmer, in dem Mr. Mead, ein helläugiger, pausbäckiger, jugendlich aussehender, etwa achtzigjähriger kleiner Mann, in einem Lehnstuhl vor dem lodernden Kaminfeuer saß und in einem Witzblatt las.

»Was, da sind Sie!« rief Mead aufspringend.

»Und da sind Sie!« entgegnete Mr. French, während er dem alten Manne die Hand schüttelte. »Sie werden mit jedem Jahre jünger! Haben Sie mein Telegramm erhalten? Ja? ah, schön! um zwei Uhr? Die Schurken! Um zwölf habe ich es aus dem Shelbourne abgesandt. Einerlei. Und wie geht's den Ihrigen?«

»Gut,« sagte Mead, indem er das Journal auf den Kaminsims legte und auf die Klingel drückte. »Billy hat vorigen Winter geheiratet. Sie entsinnen sich, ich schrieb es Ihnen. Und Kate ist verlobt. James, eine Flasche von dem Portwein mit dem blauen Siegel. Und was gibt es Neues?«

»Neues?« wiederholte French mit kurzem Lachen. »Welche anderen Neuigkeiten können Sie aus dem Westen Irlands erwarten, als Nachrichten von ausgeplünderten Menschen und verstümmeltem Vieh? Neues! Ich ziehe von Drumgool fort und deshalb wünschte ich, Sie zu sprechen. Sehen Sie, Mead –«

Mead öffnete die Flasche Portwein – ein Geschäft, das er stets eigenhändig besorgte – und hörte aufmerksam zu, während French die Geschichte seiner Leiden vortrug.

»Die Halunken!« sagte der alte Mann, als French geendet hatte. »Und verstehe ich Sie recht, so sind Sie jetzt fortgereist und haben das Pferd dort gelassen, wo die Kerle ihm was antun können, vielleicht –«

»Oh, Moriarty ist da,« sagte French. »Er schläft im Stall und Andy auf dem Heuboden. Aber ich bin überzeugt, daß irgendein gemeiner Streich ausgeführt wird, ehe wir den Gaul nach England bringen können, und deswegen habe ich Sie aufgesucht. Wissen Sie, Sie haben doch dort unten in Sligo die Ställe für Ihre Poloponies. Würden Sie nur erlauben, Garryowen dort unterzustellen und trainieren zu lassen –«

»Sie meinen meine Ställe in Ballyhinton?«

»Ja.«

»Ich habe sie verkauft. Wußten Sie das nicht?«

»Verkauft!«

»Vor acht Monaten!«

»Großer Gott!« sagte French. »Das ist mein Tod. Und ich habe die lange Fahrt nach Dublin nur gemacht, um Sie deswegen zu sprechen. Ist solches Pech schon je dagewesen?«

»Wissen Sie,« sagte Mead, »ich bin nicht mehr so jung wie früher. Bryan, der Kerl, den ich dort hatte, beschwindelte mich auf jede Weise, und so habe ich die ganze Geschichte verkauft. Es tut mir leid.«

»Auf Ehre, mir auch.«

Zum ersten Male in seinem Leben fühlte der große Mann sich geschlagen. Er dachte keinen Augenblick daran, die Flinte ins Korn zu werfen, aber ein Gefühl der Erschöpfung überkam ihn. Außer all den alten Sorgen hatte er unter einer Menge kleiner Verdrießlichkeiten zu leiden gehabt, die in dem Verlust beim Kartenspiel ihren Höhepunkt erreichten. Er hatte die Empfindung, als ob eine unheildrohende Wolke über ihm schwebe und als ob es hoffnungslos sei, Pläne zu schmieden oder irgendetwas zu beginnen, bevor die Wolke sich verzogen und das Glück sich gewandt habe.

Er verabschiedete sich von Mead und kehrte zu Fuß ins Shelbourne zurück. Der Regen hatte aufgehört und die Sonne brach durch, als er sich dem Hotel näherte.

Als er es betrat, lief er fast einem jungen Mann in die Arme, der in einem rehfarbenen Paletot, den Hut hinten auf dem Kopf, eine Zigarette zwischen den Lippen und eine Zündholzschachtel in der Hand, in der Halle stand.

»Pardon,« sagte Mr. French; dann fuhr er zurück und rief: »Aber so wahr ich lebe, das ist ja Mr. Dashwood!«


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