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Viertes Kapitel.
Das Abenteuer beim Schloß

Gepäckträger, Gepäckträger, hält dieser Zug in Tullagh?«

»Sie sind im verkehrten Zug, Madam. Dieser Zug hält nirgends; es ist der Schnellzug ganz durch bis Cloyne – steigen Sie aus, wir müssen weiter. Fertig, Larry.«

Miß Grimshaw, die staubig und müde in der Ecke eines Abteils erster Klasse saß, hörte das vorstehende Gespräch und lächelte. Es drang zugleich mit einem nach Ginster duftenden Luftzug durch das offene Fenster des Eisenbahnwagens zu ihr herein.

»Jetzt,« sagte sich Miß Grimshaw, »glaube ich wirklich, daß ich in Irland bin.«

Bis hierher hatte sie weder in Kingstown, noch auf ihrer Fahrt durch Dublin oder auf der darauf folgenden langen, öden staubigen Reise irgend etwas spezifisch Nationales bemerkt. Dem Geiste Irlands begegnet man nicht auf vielbefahrenen Wegen.

Der auf dem Carlisle Kai in Kingstown seine Zeitungen verkaufende Davy Stavens hatte ihre Phantasie angeregt, aber nichts weiter war erfolgt. Der Droschkenkutscher, der sie in Dublin von einem Bahnhof zum andern fuhr, war mürrisch und so stumm, daß er ein Engländer hätte sein können. Die Straßen sahen aus wie englische Straßen, die Leute wie englische Leute, der Regen war englischer Regen – nur schlimmer.

Aber hier regnete es nicht. Hier im Westen schien der Zug aus der Zivilisation fort in eine neue Welt hinein zu eilen. Großartige Hügelketten und purpurfarbige Heide, weites, von Nachmittagssonne vergoldetes, weder durch Groß-, noch Kleinstädte verunziertes Gelände und in der Schönheit der Ferne verschleierte Berggipfel zeigten sich dem Blick.

»Und die Menschen gehen nach der Schweiz, wenn sie dies in der Nähe haben,« sagte Miß Grimshaw, während sie ihr Kinn auf die Hand stützte und die Aussicht betrachtete.

Sie war allein im Coupé und konnte deshalb ihre Füße auf den gegenüberliegenden Sitz ausstrecken. Und es waren sehr hübsche kleine Füße.

Violet Grimshaw war einfach und vornehm in ein Norfolkkostüm aus Kammgarn gekleidet und trug einen braunen Homburger Hut; ihr schönster Schmuck war ihre Jugend. Obwohl sie in Wirklichkeit zweiundzwanzig Jahre zählte, sah sie nicht älter aus als achtzehn. Ihr von dem warmen Nachmittagslicht beschienenes Gesicht war zugleich hübsch und verständig, ihr Haar dunkel und voll. Neben ihr auf den Kissen des Wagens lagen mehrere Zeitungen, unter andrem das »Athenäum« und ein Buch, das französische Original von »Tartarin von Tarascon«.

So war die Persönlichkeit beschaffen, die Mr. Frenchs Anzeige beantwortet hatte. Keine Täuschung lag vor. Miß Grimshaw hatte in ihrem ersten an ihn gerichteten Brief ihr Alter deutlich mit zweiundzwanzig Jahren angegeben. Das Versehen war auf seiner Seite. Beim Lesen der hundertundfünfzig Antworten auf seine Anzeige hatte er sie irgendwie verwechselt und in seinem Kopf vermengte sich das Alter einer andern Dame mit dem Namen Grimshaw.

Was die Brille anbelangt, so hatte er sich in seiner Phantasie das Bild einer vierundvierzigjährigen Erzieherin namens Grimshaw gemacht und das Porträt trug eine Brille.

Miß Grimshaw tat das nicht. Ihre klaren grauen Augen würden noch in vielen kommenden Jahren nicht der Hilfe von Gläsern bedürfen.

Sie war eine Amerikanerin, im Staate Massachusetts geboren, und ihre Angehörigen waren in dem großen Eisenbahnkrach, der auf die Ermordung Garfields folgte, »pleite« gegangen. Miß Grimshaws Vater, ein Börsenspieler von Natur und Beruf, hatte eine große Rolle in Wallstreet gespielt und während des stetigen Aufschwungs der Eisenbahnaktien, der Garfields Tode voranging, ein kolossales Vermögen angehäuft. Guiteaus Attentat bedeutete das Signal für den allgemeinen Zusammenbruch, und an jenem schrecklichen Sonnabend nachmittag, als Wabash-Aktien um sechzehn Prozent fielen, ohne sich zu erholen, erschoß Curtis Grimshaw sich in seinem Kontor und Violet Grimshaw blieb als winziges Ding allein auf der Welt zurück, ohne Vater, Mutter, Schwester, Bruder oder irgendeinen Verwandten außer einem Onkel, der ein Schnittwarengeschäft besaß.

Er hatte sich ihrer angenommen und sie in der besten Schule, die zu finden war, erziehen lassen. Vor vier Jahren war er gestorben, und Violet Grimshaw befand sich mit achtzehn Jahren wieder allein aus Erden, nunmehr gänzlich verlassen. Der einzige glückliche Umstand dabei war, daß Simon Gretry, der Schnittwarenonkel, ihr eine aus einem New Yorker Grundstück fließende Rente von tausend Dollar vermacht hatte.

Miß Grimshaw wanderte nach Europa aus, nicht um einen Gatten zu suchen, sondern um in Paris Kunst zu studieren. Ein halbjähriger Unterricht machte ihr klar, daß ihre Zukunft nicht auf dem Gebiete der Kunst liege, und da sie hervorragend praktisch veranlagt war, warf sie ihre Palette beiseite, widmete sich der Schriftstellerei, arbeitete für Hardmuths Pressesyndikat und wurde auch dieser Tätigkeit schon nach einem Jahre überdrüssig.

Gleich nachdem sie Hardmuth aufgegeben hatte, fiel ihr in einer Damenzeitung Mr. Frenchs Inserat in die Augen, dessen Treuherzigkeit sie völlig entzückte.

»Auf alle Fälle ist er kein Literat,« dachte sie, »es ist das klarste Schriftstück, das mir seit langem vorgekommen ist. Man könnte es versuchen – ich habe schon immer Lust gehabt, nach Irland zu gehen – und wenn es mir nicht gefällt, nun, ich binde mich ja nicht für ewig.«

Mr. Frenchs Antwort auf ihre Bewerbung brachte die Sache zur Entscheidung, und Miß Grimshaw kam.

Der Zug durchfuhr jetzt eine Schlucht, in der das Farnkraut sechs Fuß hoch stand, eine weite, dämmerige, traumhafte, von Echos und Wasserfällen belebte Schlucht, in der Tannen und Farne gediehen wie nirgends sonst.

Es ist das Tal mit dem tausendfältigen Echo. Man ruft und das Echo antwortet und antwortet und antwortet und man hört seine alltägliche Stimme, mit der man sich gestern ein Beefsteak bestellte, durch Farnkraut und Tannen dahinjagen und im Feenland ersterben.

Ein Tunnel nahm den Zug auf und aus der dröhnenden Dunkelheit brauste er wieder ins Sonnenlicht und auf große Farn- und Heidekrautflächen hinaus.

Miß Grimshaw schnallte den Lederriemen ihrer Plaidtasche auf und legte ihre Zeitungen und Bücher hinein. Der Zug verlangsamte die Fahrt. Als sie alle ihre Sachen zusammengepackt hatte, hielt er bei einer Station mit der Aufschrift: »Cloyne«.

Das junge Mädchen öffnete die Tür ihres Abteils, stieg aus und trat in eine Welt von Sonnenlicht, Stille und köstlicher Frische.

Die Luft wirkte wie Wein.

Auf dem Bahnsteig befanden sich nur ein paar Leute, eine Frau in rotem Umschlagetuch, ein Priester, der dem Zuge entstiegen war, einige Bauern, mehrere Gepäckträger, die eifrig damit beschäftigt waren, aus dem Packwagen einige Körbe mit – den Tönen nach – lebenden Hühnern heraus zu nehmen, und ein schäbig aussehendes Individuum in Zylinder und schwarzem Rock, das durchaus nicht in seine Umgebung hineinzupassen schien.

»Ist kein Gepäckträger da, der meinen Koffer aus dem Zug herausholen könnte?« fragte Miß Grimshaw einen langen, schielenden, schlau aussehenden Mann – halb Reitknecht, halb Jäger – der den Zug entlang ging und in jedes Coups hineinblickte, als suche er etwas.

»Packträger, Miß?« entgegnete der Mensch mit dem Fuchsgesicht. »Die da hinten, die die Kücken 'rauskriegen, nennen sich Packträger, glaub' ich.«

Ohne ein weiteres Wort stieg er in den Wagen und holte die Reisetasche, die Plaidrolle und andre kleine Gegenstände heraus.

»Sie haben woll nich zwischen hier und Dublin 'ne ältliche Dame in dem Zug gesehen, Miß?« fragte Moriarty – denn er war es – als er das letzte Stück niederlegte.

»Nein,« erwiderte Miß Grimshaw.

»Alle Wetter,« sagte Moriarty, »dann hat sie entweder den Zug verpaßt oder is 'rausgefallen. Billy,« wandte er sich an einen Gepäckträger, der gemächlich herankam, »wenn du aufgehört hast, über den Preis nachzudenken, den du auf die Schönheitskonkurrenzschaft gekriegt hast, kannst du dich vielleicht den Geschäften der Anwesenden widmen und das Gepäck von diese junge Dame besorgen.«

»Ich glaubte, daß mich ein Wagen von Mister French-Drumgool erwarten würde,« sagte Miß Grimshaw, als Billy die Sachen nahm.

»Mister French sagten Sie, Miß?« fragte Moriarty.

»Ja, Mister French auf Drumgool; er erwartet mich mit diesem Zuge.«

Auf Moriartys Antlitz zeigte sich ein Grinsen, das über seine häßlichen Züge glitt gleich einem Windhauch, der eine Wasserfläche kräuselt.

»Meiner Treu,« sagte er, »das wird 'ne mächtig angenehme Überraschung für Mister French werden. ›Moriarty,‹ sagte er zu mir, ›nimm den Break und hol die Dame ab, die mit den Halbsechsuhrzug kömmt. Du kannst dir nich irren,‹ sagte er, ›denn sie is ältlich und trägt 'ne Brille.‹«

Miß Grimshaw lachte. »Nun,« meinte sie, »das war ein Irrtum von Mister French. Lassen Sie uns an den Wagen gehen. Ich nehme an, daß Sie mich fahren werden.«

»Es sind fünfzehn Meilen bis nach Drumgool, Miß,« sagte Moriarty. »Mister French gab mir Order, zu sagen, Sie möchten so frei sein und hier im Wirtshaus Tee trinken nach Ihre Reise; es is nur eben über die Straße –«

»Danke,« sagte Miß Grimshaw.

Sie folgte Moriarty und dem Gepäckträger nach dem Bahnhofsausgang. Draußen hielt ein blank lackierter, silberbeschlagener, sehr moderner Break. Eine temperamentvolle Rotschimmelstute, die ein Junge hielt, war davorgespannt. Jenseits der Straße bewegte sich das Schild des Gasthofs knarrend im Winde hin und her, als wolle es winken; und Miß Grimshaw kam.

Die Haustür stand offen, auf dem Flur spielte ein schmutziges Kind. Miß Grimshaw ging an dem Kinde vorbei, klopfte an einer Tür zur Linken, öffnete sie, als keine Antwort erfolgte, und blickte in eine widerlich nach schlechtem Tabak und Spirituosen riechende Schenkstube hinein. Sie machte die Tür wieder zu, öffnete eine zur Rechten des Flurs gelegene und fand ein dumpfiges Wohnzimmer, dessen Schutzgeist ein ausgestopfter Hund unter einer Glasglocke zu sein schien.

Auf dem Kaminsims standen zwei Uhren, eine zeigte auf drei, die andre auf zwölf – keine ging; ein mit amerikanischem Tuch bezogenes Sofa, dazu passende Stühle, ein das Jüngste Gericht darstellendes Bild, einige staubige Seemuscheln und ein Haargarnteppich vervollständigten die Einrichtung. Miß Grimshaw sah sich nach einer Klingel um, als folgender Dialog zwischen Moriarty und einem unbekannten weiblichen Wesen an ihr Ohr drang.

»Mistreß Sheelan,« sagte Moriartys Stimme anscheinend vom Hinterhof her.

»Was wollen Sie?« kam die Antwort anscheinend aus einem oberen Zimmer.

»Was tun Sie?«

»Ich wasche mich.«

»Na, beeilen Sie sich mit 'm Waschen und setzen Sie den Kessel aufs Feuer, denn da is 'ne junge Dame, die Tee haben möchte.«

»O, Ehre sei Gott! – Moriarty!«

»Was?«

»Rufen Sie Biddy – sie is da hinten im Kuhstall. Sagen Sie ihr, der Kessel wäre aufgesetzt, sie sollte das Feuer in Gang bringen und Tee machen – ich komme in 'ner Minute.«

Miß Grimshaw setzte sich und wartete, indem sie dem von oben her dringenden stampfenden, auf Eile deutenden Geräusch lauschte und Vermutungen anstellte, wie Mrs. Sheelan wohl aussehen werde, wenn sie gewaschen war.

Sehr bald betrat Biddy, ein Mädchen mit apfelroten Backen, frisch vom Kuhstall, das Zimmer, stellte den ausgestopften Hund schleunigst auf einen Nebentisch, warf ein aufgerolltes unsauberes Tischtuch, das sie unter dem Arm mitgebracht hatte, nieder, riß eine Schrankschublade auf und holte Messer, Gabeln, Löffel, ein Salzfaß und eine zinnerne Pfefferdose hervor.

»Sie brauchen diese Sachen nicht alle für mich hinzustellen,‹ sagte die Reisende, »ich wünsche nur etwas Tee.«

»O, es is keine Mühe nich, Miß,« erwiderte Biddy mit einem breiten Lächeln. Sie deckte den Tisch vollends fertig und blieb dann an der Tür stehen.

»Nun?« fragte Miß Grimshaw.

»Ich dachte, Miß,« sagte Biddy mit schüchterner Stimme, »daß Sie vielleicht nach Ihre Reise – sich 'n andern Hut aufsetzen möchten.«

Als Miß Grimshaw etwa zehn Minuten später bei ihrem Tee saß, klopfte es an die Tür. Es war Moriarty, der nach dem Pochen eintrat, und, den Hut in der Hand, stehen blieb.

»Ich schicke Ihren Koffer mit Brady, dem Fuhrmann, Miß,« sagte Moriarty, »und nehme Ihr kleines Gepäck auf dem Break mit.«

»Danke.«

»Entschuldigen Sie, Miß,« fuhr Moriarty fort, »haben Sie vielleich 'n Mann mit 'n langen schwarzen Rock und mit 'n. Gesicht wie 'n Leichenbitter aus den Zug steigen sehen?«

»Ja,« erwiderte Miß Grimshaw, »wenn Sie einen Mann mit einem Zylinder meinen.«

»Das is er,« sagte Moriarty, »die Pest hole ihn! Ich wußte, wo er hinterher war, als ich ihm sah, und als ich Ihre Tasche auf den Wagen setzte, da macht er sich 'ran und fragt mir, ob ich einen Mister French kenne, der hier in die Gegend wohnt. ›Was für 'n Mister French?‹ sag' ich. ›Mister Michael French,‹ sagt er. ›Weiß ich, wo der wohnt?‹ sagt' ich, ›wofür halten Sie mich, der ich Mister Frenchs eigener Diener bin?‹ ›Wie weit weg is es?‹ sagt er. ›Wie weit is was?‹ sag' ich. ›Mister Frenchs Haus,‹ sagt er. ›So gegen fünfzehn Meilen,‹ sag' ich. ›Verwünscht,‹ sagt er, ›ich werde sie zu Fuß gehen müssen.‹ ›Steigen Sie auf den Break,‹ sag' ich, ›und ich werde Sie fahren.‹ Und da steigt er auf und da sitzt er nun und wartet drauf, gefahren zu werden – zum Henker mit ihm!«

»Aber wer ist es?« fragte das junge Mädchen, das den Sinn dieser Flut von Mitteilungen nicht ganz erfaßte.

Moriarty dämpfte seine Stimme. »Es is 'n Gerichtsvollzieher, Miß, der gekommen is, um die Pferde zu pfänden.«

»Die Pferde –«

»Es is so zugegangen, Miß. Mister French hatte was mit einen Geldjuden in Dublin, der Harrison heißt, zu tun gehabt, und noch heute morgen sagt er zu mir, ›Moriarty,‹ sagt er, ›halt die Augen offen auf dem Bahnhof, denn ich hab' Angst, daß das schwarze Vieh von einen Harrison uns 'n Streich spielt, denn die Juden haben Ohren, die von hier bis nach Clontarff reichen,‹ sagt er, ›und es kann sein, daß er von seine Agenten gehört hat, daß ich Nip und Tuck verkauft hab', und wenn er das gehört hat,‹ sagt er, ›dann is es so klar wie Tinte, daß er einen Gerichtsvollzieher herschickt, ehe ich sie vom Hof 'runterbringen kann.‹«

»Sind Nip und Tuck Pferde?« fragte Miß Grimshaw, die anfing, sich für Moriartys Unterhaltung zu interessieren.

»Ja, Miß, ein so gutes Paar Reitpferde, wie sie überhaupt in Galway zu finden sind.«

»So! Nun weiter.«

»Na, Miß, die Pferde sollen mit den Neunuhrzug heute abend weggebracht werden. Major Sherbourne hat sie gekauft und bezahlt, und wenn nun dieser Kerl sie wegschnappt, dann muß Mister French das Geld zurückgeben und würde das nich 'ne Schande sein –«

»Dieser Mann will die Pferde beschlagnahmen?« fragte Miß Grimshaw.

»Ja, Miß, und deshalb bin ich hergekommen, um Sie zu bitten, ihn mit uns fahren zu lassen. Denn ich hab' vor, ihm mit Ihre Erlaubnis und Genehmigung einen Schabernack zu spielen, Miß, und darum hab' ich ihm auf den Wagen.«

Miß Grimshaw lachte und sagte: »Ich bin keine Freundin von Geldwucherern.«

»Das konnte ich Ihren Gesicht ansehen, Miß.«

»Aber ich möchte nicht, daß dieser Mann irgendwie schlecht behandelt oder gar verletzt würde –«

»Verletzt, Miß!« rief Moriarty im Ton tugendhafter Entrüstung. »Wahrhaftig, was würde es nutzen, ihn zu verletzen, wenn man ihm nich gleich ganz umbringt? – überlassen Sie's mir, Miß, ich werde ihn so sanft wie 'n Kind behandeln. Ich hab' ihm gesagt, ich würde ihn nach Mister Frenchs Haus fahren und das will ich auch, aber Nip und Tuck soll er nich kriegen.«

»Gut,« sagte Miß Grimshaw, »so lange Sie ihm nicht wehtun, ist mir alles recht.«

Moriarty zog sich zurück und Mistreß Sheelan erschien. Der Reinigungsprozeß war an dem Glanz ihres Gesichts erkennbar. Für den Tee wollte sie nichts nehmen, er würde auf besondern Befehl Mr. Frenchs auf dessen Rechnung geschrieben werden.

Nachdem die Reisende Biddy einen Schilling in die Hand gedrückt hatte, verließ sie den Gasthof.

Die schäbige Persönlichkeit im Zylinder saß behaglich auf dem Break und las »Freemans Journal« vom vorgestrigen Tag, während ein andrer Junge die Stute am Zügel hielt, an Stelle des ersten, der Hals über Kopf zu Pferde nach Drumgool gesandt war, um Mr. French zu warnen.

Miß Grimshaw setzte sich auf die dem Gerichtsvollzieher gegenüberliegende Seite des Wagens, Moriarty ergriff die Zügel, der Bube sprang beiseite und die Stute stieg vorn in die Höhe.

»Frisch,« bemerkte der Mann im Zylinder.

»Meiner Treu, wenn ich mit ihr fertig bin, wird sie müde genug sein,« sagte Moriarty. »Na, na, wo willst du hin? Hast du noch nie 'n Schubkarren mit Gepäck gesehen? Hältst du dir für 'n Motorwagen oder was fehlt dir überhaupt? Vorwärts, du Satan.«

Nachdem die ›Tänzerin‹ – so lautete ihr bedeutungsvoller Name – den Cakewalk zu ihrer Zufriedenheit ausgeführt hatte, widmete sie ihre Aufmerksamkeit einem Gemisch von Washingtonpost und Two-Step.

»Nehmen Sie die Peitsche,« sagte Miß Grimshaw.

»Die Peitsche nehmen?« entgegnete Moriarty. »Wenn sie merkte, daß ich die man eben in die Hand nähme, würde sie uns kurz und klein keilen – so – la so – la – na, so 's schön.«

»Jetzt geht es besser,« sagte Miß Grimshaw.

»Ja, Miß,« erwiderte Moriarty, »wenn sie erst in Gang is, hält sie sich nich auf, aber das Losfahren is 'ne verfluchte Geschichte.«

Der Nachmittag neigte sich dem Sonnenuntergang zu und im Osten stieg der Mond, geisterhaft und bleich gleich einer Wolke, am amethystfarbenen Himmel auf.

Zu beiden Seiten der Landstraße erstreckten sich einsame stille Moore und schwarze Sümpfe, nur belebt vom Winde und vom Schrei des Regenpfeifers. Der Friede von Millionen Jahren ruhte auf den von den wagrechten Abendsonnenstrahlen purpurn beleuchteten mächtigen Bergen und schroffen Klippen, die sich im Osten drängten. Fern im Westen, jenseits der aus den Schornsteinen von Cloyne aufsteigenden Rauchwolken, donnerte die unsichtbare See gegen Felsen und Gestein, und kreischende und schreiende Möwen, Meerschwalben, Wasserhühner und Kormorane gaben mit ihren Stimmen Antwort auf das tiefe Dröhnen der Meereshöhlen.

Miß Grimshaw versuchte sich vorzustellen, wie das Leben sich hier, fünfzehn Meilen entfernt von der nächsten Eisenbahnstation, gestalten werde. Trotz der Schönheit der Szenerie lag über oder vielmehr in allem ein Hauch von düsterer Öde und Armut, und das Bild, das die schwarzen Sumpfstrecken, die elenden Hütten am Wege, die Steinmauern und unfruchtbaren Hügel darboten, war auf einen ernsten Ton gestimmt. Aber die frische Luft, das Neue in dem allem entschädigte für die Einsamkeit. Es war anders als Fleetstreet, und jede Gegend, die Fleetstreet nicht gleicht, muß gewissermaßen schön sein.

Miß Grimshaw versuchte sich auch vorzustellen, welchen Streich Moriarty dem Herrn zu spielen beabsichtige, dessen Zylinder so schlecht zu seiner Umgebung paßte. Dieser Mann, der die Erfrischungen im Gasthof verschmähte, hatte die Fahrt nicht ohne Stärkungsmittel angetreten, denn von Zeit zu Zeit zog er eine Flasche aus der Tasche und verpestete die Luft mit dem Geruch von minderwertigem Branntwein; aber er sprach kein Wort, während Meile nach Meile vorüberglitt, die Sonne sank und verschwand, der Mond aufglühte und die Welt ringsumher in ein Zauberland verwandelte.

»Nun haben wir zehn Meilen von unsern Weg hinter uns, Miß,« sagte Moriarty, indem er sich zu Miß Grimshaw zurückwandte. »Sehen Sie den krummen Baum da rechts bei den Sumpf?«

»Ja.«

»In der Mitte zwischen dem Baum und den Büschen, da haben sie den alten Mister Moriarty erschossen; im nächsten Juni sind es zwei Jahre her.«

»Erschossen?«

»Meiner Treu, er war so voll von Kugeln, daß die Familie 'ne Wache vor das Grab stellen mußte aus Angst, daß die Jungens ihm ausgraben täten, um ihm sein Blei wegzunehmen.«

»Aber wer hat ihn erschossen?«

»Das sagten auch die Geschworenen, Miß, als sie Billy Rafter, Long Sheelan und Mick Mulcahy für nich schuldig erklärten, und die waren alle drei mit noch rauchenden Flinten in der Hand verhaftet – die Schurken!«

»Gütiger Himmel, aber warum erschossen sie ihn?«

»Na, Miß, er hatte sich unbeliebt gemacht. Seit über fünf Jahre hatten die Jungens ihm gewarnt; warraftig, sie hatten ihm mehr Bilder von Särgen und Totenschädel geschickt, als man braucht, um 'ne ganze Wand damit zu bekleben, und er – er steckte seine Pfeife damit an. Totenknochen und Schädel kümmerten ihn nich. ›Ins Feuer damit,‹ pflegte er zu sagen. ›Schon recht,‹ sagten die Jungens, ›einmal wollen wir dich noch warnen.‹ ›Warnt nur zu,‹ sagt er, und sie warnten. Zwei Tage nachher legten sie ihm für den Sarg zurecht – sehen Sie die Türme da hinter die Bäume, Miß, – da gucken sie 'rüber.«

»Ja.«

»Das is Mister Frenchs Haus.«

»Aber das ist ja ein Schloß.«

»Ja, Miß, in alten Zeiten nannten sie es so, glaube ich.«

Vor einem Tore, dessen Flügel weit offen standen, hielt Moriarty an.

»Da,« sagte er zu dem Mann im Zylinder, »da geht's längs nach die Hintertür; 'runter mit Ihnen, gehen Sie 'rein und zeigen Sie Ihren Schein vor, denn Sie sind ja nur gekommen, um 'n Haftbefehl zu vollziehen, und Sie brauchen ihn nich in die Tasche zu verstecken, denn er guckt aus Ihr Gesicht 'raus – fort mit Ihnen zur Hintertür und empfehlen Sie mich an die Köchin und sagen Sie, ich käme zum Abendbrot, wenn ich diese Dame vor die Haustür gefahren hätte.«

Der Gerichtsbeamte stand im Mondenschein auf dem Wege und betrachtete das Pferd und den Wagen, die ihn hergebracht hatten.

»Pferd und Wagen gehören Mister French?« fragte er.

»Jawoll.«

»Nun, dann stellen Sie sie im Stall unter,« sagte er, »und hören Sie, holen Sie sie nicht wieder heraus; alles lebende und bewegliche Inventar bleibt in statu quo, bis mein Geschäft erledigt ist.«

»Schon recht, Sir,« erwiderte Moriarty in vergnügtem Ton, und der Mann im Zylinder schritt durch den Torweg und verschwand in der Richtung der Hintertür.

Miß Grimshaw fühlte sich einigermaßen enttäuscht durch dies lahme Fiasko; aber sie kannte Moriartys gründliche Methoden und weitreichende Pläne noch nicht.

»Ich dachte, Sie wollten ihm einen Streich spielen,« sagte sie.

Moriarty, der für einen Augenblick abgestiegen war, um den rechten Vorderhuf der Stute zu untersuchen, kletterte wieder auf den Bock, wendete den Wagen, berührte die Tänzerin mit der Peitsche und drehte sich zu der erstaunten Miß Grimshaw um.

»Dies is garnich Mister Frenchs Haus, Miß.«

»Aber – Sie sagten es doch.«

»Sein Haus is es, allens, was wahr is,« sagte Moriarty, »aber seit hundertundzehn Jahre hat niemand da'in gelebt, nix is dadrin als Fledermäuse und Disteln. Er fragte mir nach Mister Frenchs Haus; na, ich hab' ihm nach Mister Frenchs Haus hingefahren, ihm und sein Au-de-Colunn-Buddel! Aber Mister French wohnt hier nich, der wohnt in Drumgool.«

»Wie weit ist es von hier nach Drumgool?«

»Es sind fünfzehn Meilen von hier nach Cloyne, Miß, und fünfzehn von Cloyne nach Drumgool.«

»O gütiger Himmel!« rief Miß Grimshaw. »Dreißig Meilen von hier.«

»So ungefähr, Miß; wir werden in Cloyne ein anneres Pferd nehmen müssen. Die alte Stute is beinah fertig und würde ganz alle sein, wenn ich sie nich zwei Stunden hätte stehen lassen, ehe ich Sie von der Bahn abholte.«

»Sehen Sie!« stöhnte das junge Mädchen.

Weit hinter ihnen auf der mondbeleuchteten Landstraße war eine Gestalt aufgetaucht, die lief und schrie und mit den Armen winkte.

»Das is er,« sagte Moriarty. »Warraftig, er sieht so aus, als wenn ihm ein Gespenst erschienen wär'. – Sehen Sie, Miß, da fällt ihm der Hut 'runter.«

Augenscheinlich war Laufen nicht des Gerichtsvollziehers Stärke, aber er setzte, den Hut in der Hand, das Rennen eine Viertelmeile lang mannhaft fort, bis er erlag.

»Was wird er nun machen?« fragte Miß Grimshaw, deren eigene Kümmernisse durch des andern Not in den Hintergrund gedrängt und für den Augenblick vergessen waren.

»Meiner Treu, das weiß ich nich, Miß,« erwiderte Moriarty, »er kann tun, was ihm gefällt, mich is es egal, aber eine Sache gibt es, die wird er nich tun: an die Pferde wird er keinen Finger legen! Und es tut mich leid, Miß, daß ich Sie so weit umgefahren habe, aber hätten Sie es nich selber getan, wenn Sie ich und ich Sie gewesen wäre und das schwarze Biest von einen Kerl seine häßlichen Finger in die Angelegenheiten von meinen Herrn steckt?«

Miß Grimshaw lachte etwas trübselig.

»Aber es ist nicht seine Schuld.«

»Was für 'ne Schuld, Miß?«

»Die Schuld des Mannes; er tat nur seine Pflicht.«

»Potztausend, das is wahr,« sagte Moriarty, »und um so schlimmer is es, wie Con Meehan sagte, als er seine Kartoffeln aufnahm und der Schandarm kam, um ihn zu verhaften. Ich kann mich nich erinnern, was er getan hatte – ich glaube es waren Kückens, die er gestohlen hatte – aber der Schandarm sagte zu ihm, ›komm mit ins Gefängnis,‹ sagt er. ›Es tut mich leid, daß ich dich festnehmen muß,‹ sagt er, ›aber es is meine schmerzliche Pflicht.‹ ›Um so schlimmer is es, wenn es dir so schmerzlich is,‹ sagt Con, ›und wo schmerzt es dich am meisten, wenn ich fragen darf?‹ ›In meine Gefühle,‹ antwortet er. ›Meiner Treu, davon will ich dich kurieren,‹ sagt Con und schlägt ihn mit dem flachen Spaten nieder, daß er besinnungslos daliegt.‹

»Sehr eigenartig, ihm seine unangenehme Pflicht auf diese Weise zu erleichtern.«

»Ja, Miß,« sagte Moriarty, und eine Zeitlang fuhren sie schweigend weiter, während Miß Grimshaw vergeblich zu erraten suchte, inwiefern der Fall Con Meehan den Fall des Gerichtsvollziehers in milderes Licht zu stellen vermöge.

Jetzt ging es im Schritt einen langen Berg hinauf und Moriarty stieg ab, um der Stute nicht das Ziehen zu erschweren.

Ein vor ihnen auf halber Höhe des Hügels marschierender Mann blieb stehen, wandte sich um und wartete auf ihr Kommen. Er trug eine Angelrute unter dem Arm. Miß Grimshaw war neugierig, welche Überraschung ihr wohl bevorstünde, und diese wurde ihr zuteil in der Bildung verratenden Stimme des Fremden.

»Können Sie mir sagen, wo ich bin?« fragte er.

»Ja, Sir,« sagte Moriarty, die Stute anhaltend. »Sie haben noch über elf Meilen bis Cloyne, wenn Sie dahin wollen.«

»Großer Gott!« sagte der Unbekannte leise für sich, dann laut: »Elf irische Meilen.«

»Jawoll, Sir, in diese Gegend gibt es keine englischen Meilen – wollen Sie nach Cloyne, Sir?«

»Ja, ich wohne dort in dem Gasthof. Heute morgen ging ich hinaus, um dort drüben zwischen den beiden Bergen in einem Bach zu fischen, und der dumme Kerl, den ich mitnahm, verlor den Weg – wenigstens entfernte er sich und kam nicht zurück. Wenn ich ihn finde, drehe ich ihm den Hals um.«

»War es vielleich zufällig Billy Sheelan aus dem Wirtshaus, Sir?«

»Ja, ich glaube, so hieß er.«

»Dann hat er nich den Weg verloren, Sir, sondern is man bloß betrunken. Dies is Mister Frenchs Break, Sir, und wenn Sie aufsteigen wollen und die junge Dame hat nix dagegen, fahre ich Sie nach Cloyne.«

»Durchaus nichts,« sagte Miß Grimshaw.

Der Fremde, ein gut gekleideter, angenehm aussehender junger Mann, lüftete seine Mütze. In seiner Stimme lag Charakter; sie klang gutmütig, leichtherzig, vergnügt und paßte zu seinem Gesicht oder vielmehr zu dem, was von seinem Gesicht im Mondenschein sichtbar war.

»Es ist ungemein gütig von Ihnen,« sagte er. »Ich bin ganz erschlagen – seit sechs Uhr auf den Beinen; hatte auch Glück, nur verlor ich alle meine Fische, als ich in eins von diesen Sumpflöchern hineinfiel. Konnte knapp Leben und Angel retten.« Er setzte sich auf dieselbe Seite des Breaks, auf der das junge Mädchen ihren Platz hatte, und richtete seine Bemerkungen an seine Nachbarin, während Moriarty weiterfuhr. »Ich glaube, ich muß mich vorstellen. Mein Name ist Dashwood; ich kam hierher um zu fischen, und je mehr ich von Irland sehe, desto besser gefällt es mir. Ihr Land –«

Miß Grimshaw lachte.

»Es ist nicht mein Land – ich bin Amerikanerin.«

»Wirklich?« sagte Mr. Dashwood, scheinbar angenehm berührt. »Wie nett. Ich dachte, Sie seien eine Irländerin. Sagen Sie,« fuhr er in vertraulichem Ton fort, »ist es nicht einfach gräßlich?«

»Was?«

»Irland.«

»Aber ich meine, Sie sagten, daß es Ihnen hier gefiele.«

»Ich hielt Sie für eine Irländerin. Es gefällt mir auch auf gewisse Weise. Die Berge und der Whisky sind nicht übel und die Leute ganz fidel, wenn sie sich nur waschen wollten, aber die Gasthöfe – o du großer Gott!«

»Sie wohnen in Cloyne in dem Wirtshaus am Bahnhof?«

»Ja,« erwiderte Mr. Dashwood.

»Dann kennen Sie Biddy und den ausgestopften Hund –«

»Sehr genau – haben Sie dort gewohnt?«

»Ich habe heute nachmittag dort Tee getrunken.«

»Sie leben hier in der Nähe?«

»Ich glaube, daß ich einige Zeit in der hiesigen Gegend leben werde. Heute nachmittag bin ich angekommen.«

»Erst heute nachmittag? Verzeihen Sie meine Neugier, aber wo kamen Sie an – ich meine –«

»In Cloyne.«

»Aber Sie fahren ja jetzt nach Cloyne.«

»Ich weiß – in der ganzen Gegend bin ich herumgefahren. Wir mußten einen Herrn bei einem Schloß absetzen – und nun fahren wir nach Cloyne zurück. Dann will ich weiter nach einem Gut namens Drumgool, das fünfzehn Meilen von Cloyne entfernt liegt.«

»Heute abend?« sagte Mr. Dashwood, indem er die Weitgereiste erstaunt anblickte.

»Ich weiß nicht,« erwiderte das junge Mädchen, und in ihrer Stimme lag ein Klang von Hoffnungslosigkeit. »Ich denke mir, man wird mich an den Wagen festbinden müssen, denn ich habe schon jetzt ein Gefühl, als ob ich hinunterfallen könnte – nein, danke, es gelingt mir noch, mich allein aufrecht zu halten, es war bildlich gemeint.«

Mr. Dashwood schwieg eine Weile; etwas Geheimnisvolles umgab Miß Grimshaw, das er nicht enträtseln und sie ihm nicht erklären konnte.

Dann sagte er: »Mir scheint, wir sind beide im Lande umhergewandert und sind beide ziemlich müde und treffen uns nun auf diese Weise – komisch, nicht wahr?«

»Furchtbar komisch,« erwiderte Miß Grimshaw und versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken.

»Langweile ich Sie durch mein Reden?«

»Gar nicht.«

»Das ist recht. Ich weiß, daß Sie müde sein müssen, aber, wissen Sie, da man auf einem Break doch nicht schlafen kann, ist es ebenso gut, zu sprechen. Wie weit ist es noch nach Cloyne?« fragte Mr. Dashwood Moriarty.

»Neun Meilen, Sir.«

»Schön. Hören Sie, Sie sagten, dieser Wagen gehöre Mister French. Vor sechs Monaten traf ich einen Mister French in London – Mister Michael French.«

»Das is er, Sir.«

»Na, das ist merkwürdig,« sagte Mr. Dashwood. »Ich begegnete ihm in meinem Klub und er erzählte mir, daß er irgendwo in Irland lebe – ein großer Mann – ein sehr großer Mann – interessiert sich für Pferde.«

»Das is er, Sir.«

»Höchst komisches Zusammentreffen,« bemerkte Mr. Dashwood, sich seiner Nachbarin zuwendend. »Ich verlor zwei Guineen an ihn beim Gatwick-Verkaufsrennen.«

»Das is er, Sir,« sagte Moriarty überzeugungsvoll.

»Sehr komisch – kennen Sie ihn?«

»Nein,« sagte Miß Grimshaw, »wenigstens nur brieflich. Ich gehe für eine Zeitlang als Erzieherin zu ihm,« erklärte sie.

»Und ich werde ihm selbstverständlich morgen meinen Besuch machen. Wahrhaftig, es ist äußerst merkwürdig. Spaßig, wenn wir noch jemand anders träfen, der zu ihm wollte und einsam und verlassen den ganzen Tag umhergeirrt wäre; wir könnten dann im Gasthof alle ums Feuer herum sitzen und Geschichten erzählen.«

»Ich hoffe nicht,« sagte Miß Grimshaw ernsthaft, denn sie dachte an den Mann, den sie bei dem alten Schloß zurückgelassen hatten, und an die Geschichte, die er zu erzählen haben würde.

Moriarty redete indessen mit der Tänzerin, beschrieb ihr das Futter, das im Wirtshaus ihrer harrte, und sie trabte stetig weiter, bis endlich die Lichter von Cloyne gleich Glühwürmchen vor ihnen auftauchten.

»Wie lange wird es dauern, bis Sie das andre Pferd angespannt haben?« fragte Miß Grimshaw Moriarty, als sie vor dem Gasthof, der noch geöffnet war, vorfuhren.

»Ich weiß nich, Miß, ich will mal fragen,« antwortete Moriarty.

Mr. Dashwood half seiner Gefährtin beim Absteigen und sie folgte ihm auf den Flur und von da in die Gaststube.

Ein helles Torffeuer brannte, der Tisch war gedeckt und Biddy erschien fast sofort, um zu melden, Mr. French habe sagen lassen, daß die Dame im Gasthof die Nacht bleiben, es sich behaglich machen und erst am nächsten Morgen nach Drumgool fahren möge, und daß es ihm leid täte, falls sie um der Pferde willen irgendwelche Unbequemlichkeiten erlitten habe. Alles dies kam Miß Grimshaw ebenso wunderbar vor, wie drahtlose Telegraphie, denn sie ahnte nichts von dem Boten, den Moriarty am Nachmittag an seinen Herrn gesandt hatte mit einer deutlichen Auseinandersetzung seiner Pläne in betreff des Gerichtsvollziehers und der Erzieherin, die er notwendig mitnehmen müsse, da jener Lunte riechen würde, wenn Miß Grimshaw mitsamt Gepäck zurückbliebe.

»Und was wünschen Sie zum Abendbrot, Miß?« erkundigte sich Biddy.

»Was können Sie uns geben?« fragte Mr. Dashwood.

»Alles, was Sie wollen, Sir.«

»Na, dann bringen Sie uns kaltes gebratenes Huhn und etwas Schinken. Sie möchten doch Huhn, nicht wahr?« wandte er sich dem jungen Mädchen zu.

»Ja,« antwortete sie, »wenn es nicht noch erst gebraten werden muß. Ich bin ausgehungert.«

Biddy zog sich zurück. Kein kaltes Huhn und kein Schinken befand sich im Hause, aber der Geist der Gastlichkeit verlangte, daß man zehn Minuten darauf verwandte, so zu tun, als suche man das Gewünschte.

Schließlich erhielten sie gebratenen Speck – Eier waren nicht vorhanden – und Tee, und als Miß Grimshaw sich für die Nacht in ein dumpfiges, mit einer ausgestopften Katze dekoriertes Schlafzimmer begab, konnte sie die tiefen Töne von Moriartys Stimme hören; mutmaßlich unterhielt er sich mit Mrs. Sheelan und berichtete ihr von dem Streich, den er dem Gerichtsbeamten gespielt hatte.

Das junge Mädchen hätte gern gewußt, wie weit jener geplagte Mann wohl auf dem Wege nach Cloyne gekommen sei und was er zu Moriarty und Moriarty zu ihm sagen würde, wenn sie einander begegnen sollten.

Daß die Geschäftsmoral des Hauses, in das Miß Grimshaw sich begeben wollte, von veraltetem, aus der Zeit der Freibeuter stammendem Typus zu sein schien, konnte sie nicht umhin zu erkennen, und sie war sehr begierig darauf, Mr. Frenchs persönliche Bekanntschaft zu machen.

Moriarty gefiel ihr unbedingt und für Mr. Dashwood, ihren Reisegefährten in diesem fremden Lande, empfand sie ein Interesse, das er lebhaft erwiderte, als er, die Pfeife im Munde, den Kopf auf einem anscheinend mit Ziegelsteinen gefüllten Kissen, im Bett lag.


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