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Drittes Kapitel.
Mister Giveen

Drumgool war das Haus eines Junggesellen oder vielmehr eines Witwers. Das Speisezimmer, in dem langverstorbene Frenchs einander von staubiger Leinwand herab anblickten, wurde selten benutzt, der Salon niemals. Flinten und Angelruten hatten ihren Platz in der Wohnstube gefunden. Der Raum war einst eine Bibliothek gewesen, und die noch vorhandenen Bücher verbreiteten darin einen Duft nach modrigem Papier und Leder, der sich nicht unangenehm mit der Seeluft und dem Zigarrengeruch vermischte.

Das dumpfe Summen des Meeres erfüllte das Haus. Das Rauschen und der Seegeruch, herrlicher als Rosenduft, drangen durch jedes geöffnete Fenster.

Wenn man in Drumgool an die Türen gepocht hätte, würde manches Zimmer nur mit einem Echo geantwortet haben.

»Aus alter Zeit klang hier ein Weinen, dort ein Lachen –«

Jetzt gab es weder Weinen, noch Lachen, nur Stille und Staub; und altes, von der Seeluft so verschlissenes Hausgerät, daß selbst ein Trödler dessen Besitz verschmäht hätte.

An dem Morgen des Tages, da die Erzieherin erwartet wurde, befand sich Mr. French in der Wohnstube, die einstmals Bibliothek gewesen war, und redete mit seinem Vetter, Mr. Giveen, der, in einem alten grauen Sommeranzug, seinen Hut neben sich, auf dem Sofa saß und in eine Zeitung blickte. Das Frühstück stand noch auf dem Tisch; das Fenster war geöffnet, um den herrlichen Herbsttag einzulassen und der Rauch von Mr. Frenchs Zigarre hing als blauer Dunst in der Luft.

Mr. Giveen rauchte nicht; sein Kopf vertrug es nicht. Und aus demselben Grunde trank er auch keinen Wein. Wenn er seinen Hut aufgesetzt hatte, sah er wie ein junger Mann aus; aber der Schein trog. Sein Schädel war ganz kahl.

Dieser Herr, den ein leichter Hauch von Wahnsinn umgab, war in vielen Dingen nicht im geringsten wahnsinnig, in andern – nun, eigentümlich.

Er bewohnte eine halbwegs zwischen Drumgool House und Drumboyne gelegene Villa und besaß ein kleines Einkommen, dessen genauen Betrag er nicht verriet. Er ging weder einer Beschäftigung, noch einem Beruf oder Gewerbe nach und hatte keine Familie – French war sein nächster Verwandter und wünschte beständig, ein entfernterer zu sein – hatte keinen Kummer, keine Sorgen. Er las nicht, rauchte nicht, trank nicht, spielte weder Billard, noch Karten oder irgendwelche andern Spiele; alle diese Vergnügungen griffen Mr. Giveens Kopf an. Jedoch vertrieb er sich die Zeit mit zwei Dingen, die ihn und seine Nachbarn voll in Anspruch nahmen: Nachrichten einsammeln und verbreiten und die Cour schneiden.

Obwohl Drumboyne klein war und es nur wenig Landverkehr gab, hatte Mr. Giveens Neigung zum Klatsch bereits viel Unheil angestiftet, und im Umkreis von fünfzehn Meilen lebte kein Mädchen, dem Mr. Giveen nicht Liebesblicke zugeworfen oder den Hof gemacht hätte.

Das Merkwürdige war, daß er mehrmals hätte heiraten können; manches Mädchen in Drumboyne würde Mr. Giveen um seiner Villa und seines kleinen, durch den Volksmund vergrößerten Einkommens willen mit in den Kauf genommen haben, aber er war kein Heiratskandidat und anderseits ein sehr moralischer Mann. Er machte den Hof, nur um den Hof zu machen. Das ist so eine irische Angewohnheit. Wegen Mr. Giveen war die Frage, ob eine Erzieherin nach Drumgool House kommen solle, einige Zeit unentschieden geblieben.

Mr. French wußte sehr wohl, daß ein Etwas, das einen Unterrock trug und einer Dame ähnelte, seinen Vetter veranlassen würde, das Haus zu belagern. Aber dennoch mußte Effies Erziehung in Betracht gezogen werden.

»Es wird sicherlich alles gut gehen,« sagte sich Mr. French, »wenn ich eine nehme, die alt genug ist.«

Erst heute morgen teilte er die Neuigkeit mit.

»Dick,« sagte Mr. French, »es kommt eine Gouvernante für Effie.«

»Eine was sagtest du?« fragte Mr. Giveen, von seiner Zeitung aufblickend, deren Anzeigenseite er, das Oberste zu unterst, gelesen hatte (eine seiner nicht ganz normalen Gewohnheiten bestand darin, sich hinzusetzen, eine Zeitung anzustarren und zu tun, als läse er sie, damit seine Gedanken unterdessen unbemerkt umherwandern könnten). »Eine was sagtest du?«

»Eine Gouvernante kommt für Effie.«

»Oh,« sagte Mr. Giveen und vertiefte sich wieder in das Studium des Blattes.

Dieser Anschein von Gleichgültigkeit war ein sehr verdächtiges Zeichen. Die Nachricht, daß ein neuer Dienstbote erwartet würde, hätte dieses fürchterliche Klatschmaul sicherlich veranlaßt, in eine Salve von Fragen auszubrechen, Fragen genauester und intimster Art betreffend Namen, Alter, Haarfarbe, Aussehen, Größe und Geburtsort des Ankömmlings. Bei dieser wichtigen Mitteilung blieb er jedoch stumm, aber es war eine Sprachlosigkeit, die sich nur auf die Zunge erstreckte. Hätte man ihn näher beobachtet, so würde man bemerkt haben, daß seine Augen hastig über die Spalten der Zeitung auf und nieder glitten und daß seine Hand zitterte.

Mr. French, der keine Beobachtungsgabe besaß, fuhr fort, von andern Dingen zu reden, bis Mr. Giveen das Blatt fallen ließ.

»Wie ist sie?« sagte er.

»Wie ist wer?« entgegnete Mr. French, der gerade die Rüben erörterte.

»Die Gouvernante.«

»Ich habe sie noch nicht gesehen,« sagte Mr. French, »aber sie heißt Grimshaw und ist über vierzig.«

Auf diese Antwort hin stülpte Mr. Giveen sich den Hut auf den Kopf und wandte sich der offen stehenden Glastür zu. »Ich sehe dich morgen,« rief er zurück; als er zwischen den hochstämmigen Rosen verschwand.

Mr. French lachte vor sich hin.

Dann begab er sich durch dieselbe Glastür in den Garten und von dort nach den Stallgebäuden, wo er Moriarty traf, der an der Geschirrkammertür stand und ein Zaumzeug putzte.

»Moriarty,« sagte Mr. French, »du mußt mit dem Break zum Halbsechsuhrzuge an die Bahn fahren.«

»Jawoll, Sir,« antwortete Moriarty. »Is da auch Gepäck?«

»O, nicht viel, glaube ich,« entgegnete Mr. French. »Du sollst die Dame abholen, die Miß Effies Erzieherin sein wird. Erkennen wirst du sie leicht – sie ist ältlich. Wenn sie mehr als einen Koffer hat, mußt du Brady sagen, daß er ihn morgen früh herbringt.«

Während er zum Hause zurückkehrte, nahm er den Brief, den Miß Grimshaw ihm vor einer Woche geschrieben hatte, aus der Tasche und las ihn nochmals.

»Die Gehaltsfrage,« hieß es darin, »fällt bei mir nicht besonders ins Gewicht, da ich ein kleines eigenes Einkommen besitze, das ich, wenn ich will, durch meine Feder bedeutend vergrößern kann. Ich interessiere mich sehr für das Studium Irlands und der Irländer und würde sehr gern die nähere Bekanntschaft Ihres reizenden Vaterlands machen; also denke ich, wir lassen die Geldfrage beiseite. Jede Belehrung, die ich Ihrer kleinen Tochter geben kann, wird durch Ihre Gastfreundschaft reichlich bezahlt sein.«

Ein netter, in einer hübschen, festen, vernünftigen Frauenhand geschriebener Brief.

Miß Grimshaw hatte Mr. French wegen eines Zeugnisses an verschiedene höchst achtbare Persönlichkeiten verwiesen, aber Mr. French, mit der seiner Natur eigenen großartigen Gleichgültigkeit gegen Details, hatte sich nicht die Mühe genommen, Erkundigungen über Miß Grimshaw einzuziehen.

»Zum Kuckuck mit ihren Zeugnissen,« meinte er, »keine Frau über vierzig ist es wert, daß man sich um ihre Eigenschaften kümmert.«


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