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Siebentes Kapitel.
Des Teufels Küche

Seit ich Dir das letzte Mal schrieb, ist Mr. Dashwood abgereist. Er wohnte hier drei Tage. Mr. French bestand auf seinem Bleiben – ließ sein Gepäck aus Cloyne holen, gab ihm sein bestes Fremdenzimmer, in dem, wie ich glaube, Dan O'Connell einmal geschlafen hat, und redete mit ihm bis in den frühen Morgen hinein, wobei er selber mehr Whisky trank, als für seine Gesundheit gut ist, fürchte ich.

Wir haben uns herrlich amüsiert, während Mr. Dashwood hier war, und das Haus kommt einem etwas öde vor, nun er fort ist. Ehe er abreiste, fragte er mich, ob er mir schreiben und erzählen dürfe, wie es ihm ginge. Aber bis jetzt hat er nichts von sich hören lassen. Er ist ein netter Junge, wenn auch leichtsinnig. Und was Leichtsinn anbetrifft, so ist das Wort nur ein sehr milder Ausdruck für die Zustände in diesem Hause.

Ich erzählte Dir von dem Gerichtsvollzieher. Also am nächsten Tage fuhr er in einem geschlossenen Wagen von Cloyne hierher und hat seitdem zu Bett gelegen mit einer Influenza, die er sich auf dem Moor holte. Es geht ihm jetzt besser; ich traf ihn heute morgen im Garten, wo er ›am Stock Luft schöpfte‹, wie Mr. French sagt. Ich glaube, Mr. Harrison hat sein Geld erhalten, aber der Gerichtsbeamte wohnt hier vorläufig noch als Gast. Abends bittet Mr. French mich manchmal, ihm bei seinen Rechnungen zu helfen. Er weiht mich in alle seine Angelegenheiten und Geldnöte ein. Seine Geschäfte sind einfach in einer unglaublichen Verfassung, und dabei hegt er den wilden Plan, im kommenden Frühjahr ein Pferd in einem großen englischen Rennen laufen zu lassen – im Suburban oder so ähnlich – und dadurch ein Vermögen zu gewinnen. Wenn ich ihn auf die Unmöglichkeit der Sache aufmerksam mache, klappt er seine Rechnungsbücher zu und sagt, es habe keinen Zweck, den Teufel an die Wand zu malen.

Effie ist ein freundliches kleines Ding, aber es ist etwas an ihr, das ich nicht ganz verstehe. Sie trägt sich mit einem Geheimnis, das sie mir, wie sie sagt, eines Tags anvertrauen will, aber worin es besteht, kann ich nicht erraten. Nun muß ich schließen.

Oh! eins habe ich vergessen. Wie soll ich es sagen? – wie beschreiben? – Ich habe einen Verehrer. Er ist ein bißchen verrückt – ein Vetter von Mr. French. Entsinnst Du Dich der komischen Bilder von dem ›Vergnügten Jim‹ auf den Plakaten, die wir zu bewundern pflegten? – Nun, er sieht nicht ganz so aus – ist viel stärker und ernsthafter, aber trotzdem liegt eine Familienähnlichkeit vor. Er fängt an, mich zu verfolgen. Mr. French hat mir geraten, ihn nicht zu beachten. Sein Vetter werde mir sicherlich einen Antrag machen, meint er; ich solle es aber nicht übelnehmen, denn es sei eine Krankheit, an der der arme Kerl litte, gerade so, als hätte er epileptische Krämpfe, und wenn nichts Besseres vorhanden sei, so würde er selbst einem mit einem Frauenrock bekleideten Besenstiel Augen zuwerfen – welches alles interessant, aber nicht eben schmeichelhaft ist. Das Leben erscheint mir hier augenblicklich so langweilig, daß ich wirklich glaube, ich muß ihm ein wenig entgegenkommen. Ich bin überzeugt, es wird rasend komisch werden, wenn er um meine Hand anhält. Er heißt Giveen. Der Name ist seltsam, wie alles an ihm. Gestern und vorgestern regnete es, aber heute haben wir prachtvolles Wetter. Und jetzt muß ich im Ernst schließen. – Immer Deine Dich liebende

Violet.«

 

Miß Grimshaw hatte ihren Brief in der Wohnstube an dem am Fenster stehenden Schreibtisch geschrieben. Das Zimmer lag im Erdgeschoß, und als sie vom Adressieren des Kuverts aufblickte, bemerkte sie Mr. Giveen, der im Lichte des herrlichen Septembernachmittags draußen am Fenster stand.

Er sah zu ihr herein. Wie lange er dort gestanden und sie angeschaut hatte, war unberechenbar. Es war Miß Grimshaw sehr unangenehm, daß sie beobachtet worden war, und sie runzelte die Stirn, aber Mr. Giveen antwortete durch ein Lächeln und deutete ihr durch Zeichen an, sie möge das Fenster aufmachen.

»Nun?« sagte Miß Grimshaw, indem sie einen Flügel öffnete.

»Wollen Sie mit mir ausgehen?« fragte Mr. Giveen. »Michael ist nach Drumboyne geritten und niemand ist da, der uns sehen könnte. Setzen Sie Ihren Hut auf und kommen Sie mit mir.«

»Mit Ihnen ausgehen? Wohin?«

»Ich werde das Boot nehmen und Ihnen die Seehunde auf den Sieben-Schwestern-Felsen zeigen. Die See ist so glatt wie ein – glatt wie ein – glatt wie ein, wie heißt es doch nur? Ich werde mich gleich darauf besinnen. Setzen Sie Ihren Hut auf und kommen Sie mit mir.«

»Ein andermal, wenn Mr. French zu Hause ist. Ich begreife nicht, was Sie damit meinen, daß niemand uns sähe. Ich tue niemals Dinge, die nicht alle Welt wissen darf.«

»Gewiß, es war nur ein kleiner Scherz,« erklärte Mr. Giveen grinsend, »aber wenn Sie heute nicht mitkommen, wird nie etwas daraus, denn der Sommer geht zu Ende und ich wette hundert gegen eins, daß es vor dem nächsten Jahr keinen Tag geben wird, der sich so zum Bootfahren eignet wie der heutige – und ich werde Ihnen auch die große Grotte zeigen,« schloß er, »wir werden Ebbe haben, wenn wir von den Seehunden zurückkommen. Ich mache Ihnen nichts vor; das Boot liegt am Strande und in knapp zehn Minuten ist man da.«

»Ich werde hinuntergehen, um das Meer zu sehen,« entgegnete Miß Grimshaw, die der Lockung des wunderschönen Wetters nicht widerstehen konnte, »wenn Sie fünf Sekunden warten wollen, während ich meinen Hut hole.«

»Als wenn ich nicht fünfhundert Jahre warten würde,« antwortete Mr. Frenchs Vetter und lehnte sich gegen die Hausmauer, wo er leise pfeifend stehen blieb, indem er sich von Zeit zu Zeit unterbrach, um vor sich hin zu lachen wie jemand, dem ein guter Witz eingefallen ist oder der bei irgendeinem Handel jemand übervorteilt hat.

Fünf Minuten später, als er hörte, daß das junge Mädchen das Haus durch die vordere Tür verließ, ging er dorthin, um sich Miß Grimshaw anzuschließen.

»Hier entlang,« sagte Mr. Giveen und bog in einen Pfad ein, der durch den Küchengarten an einer Gruppe verkrüppelter Tannen vorüber zu dem Einschnitt zwischen den Klippen führte, durch den man an den Strand gelangte. »Und nun hier hinunter über diese Felsblöcke – es ist ein sehr unbequemer Weg und ich habe Michael unzählige Male gesagt, daß er ihn ebnen lassen müsse. Aber es hat wenig Zweck, mit jemand zu reden, der nur Pferde im Kopf hat. Wollen Sie meinen Arm nehmen?«

»Nein, danke, ich kann sehr gut allein gehen.«

»Na, seien Sie vorsichtig. Alle Wetter! Da wäre ich beinahe selber ausgerutscht. Kennen Sie den Namen, den man dieser Felsenkluft gegeben hat?«

»Nein.«

»Sie heißt des Teufels Schlüsselloch.«

»Weshalb wird sie so genannt?«

»Weshalb? Du meine Güte, das werden Sie erfahren, wenn Sie im Winter den Wind hindurch pfeifen hören. Er heult so, daß es bis Drumboyne klingt. Wissen Sie, daß ich in Drumboyne lebe?«

»Das ist das Dorf, das zwischen Drumgool und Cloyne liegt?«

»Ja. Aber wissen Sie, wo ich in Drumboyne wohne?«

»Nein.«

»Nun, haben Sie zufällig eine Villa zur Rechten der Landstraße kurz hinter Drumboyne gesehen, an dem Tage, als Sie mit dem jungen Menschen – wie hieß er doch? – auf dem Break herfuhren?«

»Dashwood. Ja, die Villa habe ich gesehen.«

»Die gehört mir,« sagte Mr. Giveen mit einem Seufzer. »Es gibt hierzulande kein hübscheres Haus, wenn ich nur nicht ganz allein darin leben müßte.«

»Halten Sie sich keinen Dienstboten?«

»Dienstboten? Natürlich halte ich mir Dienstboten – sogar zwei. Aber ich meinte keinen Dienstboten. Soll ich Ihnen sagen, was ich meinte?«

»Ich interessiere mich nicht sehr für andrer Leute Angelegenheiten,« antwortete Miß Grimshaw hastig. »Ah! da ist endlich die See!«

Eine Biegung des Felseneinschnittes gab plötzlich den Blick auf den Atlantischen Ozean frei.

Die blaue See war spiegelglatt und umspülte sanft die mächtigen schwarzen, mit struppigem Seegras bedeckten Felsblöcke; zwischen dem Gestein lagen Tümpel, in denen man zur Ebbezeit Klippfische, Hummer und Krabben finden konnte.

Im Winter, zur Zeit der Stürme, war hier der Strand großartig und weiß von fliegendem Gischt; die Wellen brachen sich dann am Fuß der Klippen, das Echo gab das Tosen der Brandung zurück, die Brandung donnerte und überschrie das Echo und wie eine Trompete blies der Wind durch des Teufels Schlüsselloch; aber heute bot das Meer ein äußerst friedliches Bild, und das Flüstern der niedrigen Wellen, die sich zwischen die Felsen hineinquirlten, glich einem Schlummerlied, das ein Kind in Schlaf wiegt.

Gerade hier, von den Felsen geschützt, lag eine winzige Bucht, in der Frenchs Boot, das er zum Fischen und zur Seehundsjagd benutzte, festgemacht war. Und auf einem Felsblock neben dem halb vom Wasser getragenen Boot saß heute Doolan, der Mann, der den Garten und die Hühner besorgte und dem noch verschiedene kleine Pflichten oblagen, unter andrem das In-Ordnung-halten des Bootes und des Fischereigeräts.

»Welch ein hübsches kleines Boot!« sagte das junge Mädchen, während sie die Hand auf den Rand des kräftigen kleinen weißgestrichenen Fahrzeuges legte. »Fahren Sie darin zum Fischen hinaus?«

»Michael tut es,« entgegnete Mr. Giveen, »aber ich interessiere mich nicht für Fischerei. Doolan, ist die See nicht so ruhig, daß man eine Ruderfahrt mit einer Dame wagen kann?«

Er brüllte die Worte in das Ohr des wettergebräunten Mannes, der stocktaub war.

»See so ruhig, daß man 'ne Fahrt machen kann?« wiederholte Doolan mit knarrender, wie von fernher kommender Stimme. »Soll sie vielleich noch ruhiger sein, Mister Dick? See so ruhig, daß Sie die junge Dame rudern können? Das Meer is heute doch warraftig mehr wie Öl, as wie Seewasser. Is dies die junge Dame, die die Seehunde sehen möchte?«

»Ich will gar keine Seehunde sehen,« fiel Miß Grimshaw ein. »Ich bin nur hergekommen, um das Meer zu bewundern.«

»So sind Sie!« platzte Mr. Giveen heraus wie ein übelgelauntes Kind. »Weil ich Ihnen ein kleines Vergnügen bereiten möchte, mache ich erst das Boot für Sie zurecht, nehme dann Doolan von seiner Arbeit und allem weg, und nun wollen Sie nicht mitfahren.«

»Aber ich sagte, daß ich nicht mitfahren wollte.«

»Das haben Sie nicht gesagt.«

»Doch –« sie suchte in ihrem Gedächtnis. »Wenigstens habe ich nicht gesagt, daß ich wollte

»Na, sagen Sie jetzt, daß Sie wollen, und dann hinein ins Boot mit Ihnen.«

»Ich will aber nicht.«

»Dann ist mir aller Spaß verdorben,« sagte Mr. Giveen, »und Sie haben sich nur über mich lustig gemacht. Als wenn ich nicht schon Hunderte von jungen Mädchen zu den Grotten hingerudert hätte, und außer Ihnen hat sich nicht eine gefürchtet.«

»Ich habe keine Angst,« entgegnete Miß Grimshaw, die zu schwanken anfing, »und ich möchte Ihnen auch nicht den Spaß verderben. Wie lange würde die Fahrt nach den Grotten dauern?«

»Nicht länger als ein bis zwei Stunden – vielleicht kürzer.«

»Nun also,« sagte das junge Mädchen, einen plötzlichen Entschluß fassend, »ich komme mit.«

Es war eine wichtige Entscheidung mit weitreichenden Folgen, die Menschen und Dinge aller Art, von Mr. French bis zu Garryowen, berühren sollten – eine Entscheidung, die im kommenden April den Gang der Ereignisse auf dem Rennplatze hätte beeinflussen können.

So zart sind die geheimnisvollen, Ursache und Wirkung verknüpfenden Fäden, daß das Glück ungezählter Sportsleute, Buchmacher und sich für Rennen interessierender Handlungsdiener an diesem Nachmittag plötzlich abhängig wurde von einer so einfachen Begebenheit, wie es eine Ruderfahrt an der Westküste Irlands ist.

Miß Grimshaw betrat das Boot und setzte sich auf die Bank am Steuer. Mr. Giveen und Doolan schoben das kleine Fahrzeug ab, und als es auf dem Wasser schwamm, kletterte Mr. Giveen hinein, ergriff eine Ruderstange und stieß das Boot auf tiefes Wasser hinaus.

Die Felsblöcke bildeten einen natürlichen Hafen, in dem das Boot fast regungslos still lag, während Mr. Giveen beide Ruder hervorholte.

»Kommt er nicht mit uns?« fragte Miß Grimshaw.

»Wer?«

»Der alte Mann – Doolan – oder wie er heißt.«

»Wozu sollen wir uns damit langweilen, daß wir ihn mitnehmen?« versetzte Mr. Giveen, indem er das Fahrzeug wendete und mit einigen kräftigen Schlägen nach der Mündung der Bucht ruderte, wo die an Land flutende Dünung das Boot mit einer luftballonartigen Bewegung emporhob, die des Mädchens Herz mit einem schwindelnden Gefühl der Unsicherheit erfüllte.

»Ich glaubte, er führe mit uns, sonst wäre ich nicht eingestiegen.«

»Na, jetzt sind Sie drin,« sagte Mr. Giveen, »glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist.«

Er hatte seinen Hut abgenommen, und sein kahler Schädel glänzte im Sonnenschein, über ihnen im Himmelsblau strichen schneeweiße Möwen hin und her. Die am Ufer kaum bemerkbare tiefe glasige Dünung schuf hier draußen Wasserhügel und Täler und grasgrüne Abhänge, auf denen das Seegras gleich Nixenhaar einherschwamm.

Die Schönheit der sie umgebenden Szenerie ließ das junge Mädchen für kurze Zeit ihr Gefühl der Unsicherheit vergessen. Die ganze Wärme und Herrlichkeit eines Sommertags schien an diesem Septembernachmittag wieder aufzuleben. Die Küste mit ihren großartigen Klippen und ihrem stillen, von Möwen, Meerschwalben und Wasserhühnern bedeckten Strand war in meilenweiter Ausdehnung deutlich sichtbar und floß im Norden und Süden mit dem Dunst und dem Blau des Sommerhimmels zusammen.

Die tiefe Stille, die weite Ferne, das köstliche Blau von Wasser und Himmel, das Schweigen dieser gewaltigen Küste – das alles versetzte das Gemüt des Beschauers in einen traumhaften Zustand, in dem die Seele für einen Augenblick dem Ruf der Ferne, diesem Rätsel der Rätsel, zu folgen schien.

»Da sind die Sieben Schwestern,« sagte Mr. Giveen, indem er die Ruder ruhen ließ und nach Norden zeigte, wo die sich mit ihren scharfen Kanten vom Horizont abhebenden, zackigen Felsen aus dem Meer emporragten und mit ihrem zerklüfteten Gestein das Wasser in Schaum verwandelten.

Am Fuße der Felsen waren hier und dort breite flache Vorsprünge, auf denen an warmen Nachmittagen die Robben sich zu sonnen und mit klaren menschenähnlichen Augen den schwellenden Gischt zu betrachten pflegten, stets bereit, wenn Menschen nahten, schleunigst in die Tiefe zu tauchen.

Als Miß Grimshaw aus ihrer Versonnenheit erwachte, hörte sie das vom Nordwind hergetragene leise Geschrei der Möwen, die die Felsen umringten. Es waren die in Stille oder Sturm, bei grauem oder blauem Himmel ewig wehklagenden Stimmen der Sieben Schwestern.

»Wohin fahren wir?« fragte sie.

»Wohin Sie wollen,« entgegnete er. »Wenn wir in dieser Richtung immer weiter ruderten, wissen Sie, wo wir dann landen würden?«

»Nein.«

»In Amerika. Hätten Sie Lust, mit mir nach Amerika zu fahren? Sie brauchen nur zu befehlen,« fuhr Mr. Giveen fort mit scherzhafter Miene, die seine Gefährtin jedoch gar nicht bemerkte. »Sie brauchen nur ein Wort zu sagen, und wir fahren hin.«

»Wenden Sie das Boot,« sagte Miß Grimshaw plötzlich in entschiedenem Ton. »Wir sind zu weit draußen. Rudern Sie zurück. Ich wünsche nach Hause zu fahren.«

»Und was wird aus den Seehunden?«

»Ich will sie gar nicht sehen. Kehren Sie um.«

»Na, na, hören Sie mal! Sehen Sie dort drüben hinter uns das schwarze Loch in den Klippen, eine Viertelmeile, vielleicht nicht mal so weit, von des Teufels Schlüsselloch entfernt?«

»Welches Loch? Wo? Oh, dort. Ja.«

»Nun, das ist die große Meeresgrotte, die von jedermann besucht wird. Du meine Güte, Sie haben Irland überhaupt nicht kennen gelernt, ehe Sie in der Teufelsküche gewesen sind – so heißt sie nämlich. Soll ich Sie dahin rudern?«

»Ja – überallhin, wenn wir uns nur dem Lande nähern. Hier draußen habe ich Angst.«

»Aber wie können Sie sich fürchten, wenn ich bei Ihnen bin?« fragte Mr. Giveen in zärtlichem Ton, während er das Boot wendete und dem ersehnten Ufer zustrebte.

»Ich weiß nicht. Reden wir von etwas andrem. Woher stammt der Name Teufelsküche?«

»Meiner Treu, das würden Sie nicht fragen, wenn Sie das Heulen hörten, das zur Zeit der großen Stürme aus der Grotte dringt. Nach dem Knattern und Kochen zu urteilen, sollte man meinen, daß Elefanten und Walfische drinnen gebraten würden. Aber im Sommer ist es da so still wie – so still wie – wie sagt man doch? ich werde mich gleich darauf besinnen.«

Mr. Giveen murmelte nachdenklich vor sich hin, indessen er stetig weiterruderte. Der Dialekt der kleinen Leute, mit denen er von Kindheit an verkehrt hatte, überwucherte manchmal seine im übrigen gebildete Sprache, besonders wenn er mit sich selber redete, wie jetzt, als er nach einem bildlichen Ausdruck für Meeresstille suchte.

Von dem heißen Wunsche beseelt, wieder an Land zu gelangen, sehnte Miß Grimshaw diesen Augenblick noch inniger herbei, als sie Mr. Giveen bei seinem murmelnden, von Grimassen begleiteten Selbstgespräch beobachtete. Sie hatte ihn eine geraume Zeit bei hellem Tageslicht in nächster Nähe betrachtet, und das Ergebnis verbesserte ihre von ihm gefaßte Ansicht nicht; in der Tat begann sie zu erkennen, daß Mr. Giveen noch etwas mehr sei, als nur ein harmloser, ein wenig geistesschwacher Mensch, der mit Leidenschaft die Cour schnitt. Sie sah, oder glaubte zu sehen, daß hinter dem »Vergnügten-Jim«-Ausdruck, hinter der Possenreißerei und närrischen weichlichen Miene, die einen manchmal belustigten, dann wieder ärgerten, ein boshaftes Etwas sich verbarg – eine kleinliche Tücke, eine Gemütsart, die mehr dazu neigte, einem Manne Schaden zuzufügen, als ihm gefällig zu sein, und unter Umständen sogar einer Grausamkeit fähig wäre. Aber wie dieser Geist auch beschaffen sein mochte, jedenfalls war er nur klein und mehr unangenehm als furchterweckend.

Sie waren jetzt nahe bei den Klippen angelangt, und der bogenförmige Eingang zu des Teufels Küche wurde deutlich erkennbar. Das grüne Wasser umflutete die Basaltpfeiler mit einem flüsternden Geräusch, das hörbar zum Boot herüberdrang.

Oben ragten die Felsen mächtig empor und die Kormorane erfüllten die Luft mit ihrem Geschrei, das das Echo zurückgab. Sie flatterten in die Höhe, als mißfiele ihnen das Herankommen des Bootes an die Felsen, auf denen sie zur Brutzeit nisteten. Auf einem flachen Vorsprung nahe der Höhlenmündung bewegte sich hastig etwas Dunkles, fiel klatschend in die See und verschwand. Es war eine Robbe.

»Ich werde Sie hineinrudern, damit Sie die Grotte sehen können,« rief Mr. Giveen; er erhob seine Stimme, um die Kormorane zu überschreien. »Sie brauchen gar keine Angst zu haben. Der Teufel ist heute nicht hier – es ist zu schönes Wetter für ihn.«

»Nicht zu weit hinein!« rief Miß Grimshaw, während das vom Ruderer vorwärts getriebene Boot bereits durch das Felsentor in die Finsternis hineinglitt.

Sie sah, wie das flaschengrüne Wasser der steigenden und fallenden Dünung die Pfeiler und Wände bespülte, von denen das Seegras in langen Fäden herabhing; dann befanden sie sich in fast völliger Dunkelheit, und während Mr. Giveen die Ruder einzog, hörte sie das Wasser an den Wänden plätschern und ab und zu ein gurgelndes Geräusch, wenn die Dünung in irgendeinen Spalt hinein- und wieder herausströmte.

Als sich die Augen nach einigen Sekunden an die Finsternis gewöhnt hatten, erkannte man die ungeheure Ausdehnung der Höhle. Sie war weit größer als das Innere eines Doms, und der dem Meere und der Dunkelheit überlassene Raum war wohl geeignet, Staunen zu erregen.

Zur Zeit der Winterstürme, wenn die Grotte gleich dem Rachen eines kämpfenden Giganten brüllte und donnerte und Wassermengen ausspie, jetzt angefüllt bis zum Rande, dann wieder die See in einem Gischtregen hinausschleudernd, mußte der Eindruck ein grauenerregender sein.

Sogar heute, im günstigsten Moment, war der Aufenthalt nicht verlockend.

»Nun habe ich Sie hereingebracht,« sagte Mr. Giveen, dessen Stimme im Dunkeln widerhallte, »was geben Sie mir dafür, daß ich Sie wieder hinausbringe?«

»Nichts. Wenden Sie das Boot. Die Grotte gefällt mir nicht. Wenden Sie das Boot, sage ich!« Sie stampfte mit dem Fuß auf den Boden des Fahrzeugs. Das Echo gab ihre Stimme und das Lachen Mr. Giveens mit schrecklich hohlem Klange zurück.

Er wendete das Boot, so daß sie den hellen Bogeneingang vor sich hatte; aber anstatt vorwärts zu rudern, begann er das Boot auf knabenhafte Art hin und her zu schaukeln, so daß dem Mädchen das Herz vor Angst fast stillstand.

»Hören Sie auf!« rief sie. »Wir schlagen um. Oh, ich werde es Mister French sagen! Hören Sie auf! Bitte – bitte, lassen Sie es!«

»Und was geben Sie mir, wenn ich es lasse? Nur zu, seien Sie nicht schüchtern. Sie wissen, was ich meine. Was geben Sie mir?«

»Alles, was Sie wollen.«

»Soll es also ein Kuß sein?«

»Ja – alles! Wenn Sie mich nur aus dieser Höhle hinausbringen.«

»Zwei Küsse?« fragte Mr. Giveen, indem er die Ruder einzog und Miene machte, sich dem jungen Mädchen zu nähern.

»Zwanzig! Aber nicht hier. Sie werden das Boot umkippen. Stehen Sie nicht auf! Wir kentern!«

»Na, also, wenn wir an Land sind,« sagte der Verliebte.

»Ja.«

»Und Sie werden Michael nichts sagen?«

»Nein, nein, nein.«

»Auf Ihr Ehrenwort?«

»Ja.«

»Schwören Sie bei allem, was blau ist.«

»Ja.«

»Aber das ist kein Schwur.«

»Ich weiß nicht, was ›bei allem, was blau ist‹ bedeutet – oh!«

Die Dünung, die um mehr als achtzehn Zoll stieg und fiel, drängte das treibende Boot gegen die Wand der Grotte, und das Steuerbord rieb sich liebevoll knirschend an dem Seegras und Gestein.

»Ich schwöre bei allem, was blau ist!« schrie das junge Mädchen. »Alles! Schnell! Stoßen Sie ab oder wir liegen im Wasser.«

»Meiner Treu, das hing an einem Haar,« sagte Mr. Giveen, indem er das Boot mit einem Ruder von der Felswand abstieß.

Er legte die Ruder in die Klampen und wenige Schläge führten sie durch den Torbogen ins Freie hinaus.

»Vergessen Sie nicht, was Sie geschworen haben,« sagte Mr. Giveen, der augenscheinlich eine heilsame Angst vor seinem Vetter verspürte.

» Sprechen Sie nicht mit mir,« entgegnete seine Begleiterin mit trockenen Lippen. Ihr Schrecken hatte sich, nun sie sich in verhältnismäßiger Sicherheit befand, in rasenden Zorn verwandelt. » Sprechen Sie nicht mit mir, Sie Feigling! – Sie – Sie Scheusal, oder ich schlage Sie hiermit.«

Sie ergriff einen zu ihren Füßen liegenden Bootshaken aus Eisen und Eschenholz.

Mr. Giveen betrachtete den Bootshaken. Er versprach keine Küsse bei der Landung, wirkte aber auf seine Weise als eindrucksvolles Überredungsmittel zu einer raschen Heimkehr.

*

An demselben Tage war Mr. French nach dem Luncheon nach Drumboyne geritten, um Schweine zu verkaufen. Es war ihm nicht gelungen, sich mit dem Schweinehändler über den Preis zu einigen, und er war schlechtgelaunt nach Hause gekommen.

Bei den Stallgebäuden traf er Moriarty.

»Entschuldigen Sie, Sir,« sagte dieser, »ich habe eben von Doolan gehört, daß Mr. Giveen die junge Dame zu einer Bootfahrt mitgenommen hat.«

Die Verachtung und das Mißfallen, die Mr. Giveen Moriarty einflößte, drückten sich in dem Ton seiner Rede voll aus.

»Hat der verwünschte Dummkopf Miß Grimshaw im Boot hinausgefahren?« rief Michael French, aus dem Sattel gleitend.

»Jawoll, Sir.«

»Zum Henker mit Doolan! Was zum – was zum – – hat er sich dabei gedacht, daß er es mir nicht sagte?«

»Weiß nich, Sir. Da is er selber. Micky, komm her. Der Herr will dich sprechen.«

Mr. Doolan, der eine Zinnschüssel mit Hühnerfutter über den Hof trug, kam, ohne Moriarty zu hören, aber seinem Winke folgend, herbei.

»Wie konntest du zugeben, daß Mr. Giveen eine Wasserfahrt mit der jungen Dame macht, ohne es mir zu sagen, du alter Narr?« fragte Mr. French.

»Er hatte mir doch befohlen, es nich zu sagen, Sir,« krächzte Micky.

»Fahr zur Hölle!« schrie Mr. French und gab der Zinnschüssel einen Stoß, daß der Inhalt Micky ins Gesicht flog, es mit Mais, eingeweichtem Brot und kleingehackten Fleischstücken bespritzte und ihm das Aussehen einer neuen Art von Pudding gab. »Fort mit dir! Wasche dein Gesicht. Kein Wort mehr oder du fliegst hinter der Schüssel her. – Komm mit zur Bucht hinunter, Moriarty, vielleicht kann man sie irgendwo erblicken.«

»Wie konnte der Esel das Mädchen mit dem nichtsnutzigen Narren fahren lassen!« schalt French halb für sich und halb zu Moriarty gewendet, während er von letzterem gefolgt durch des Teufels Schlüsselloch hinabeilte. »Die ganze letzte Woche machte er sich schon an sie heran, kam zu allen Stunden des Tages, und wenn er allein mit einem Mädchen im Boot ist, kann man sicher sein, daß er Unfug treibt und es am Ende gar zum Kentern bringt – und dann würden beide ertrinken. Nicht, daß es schade um ihn wäre – er geht auch gar nicht unter, denn seine hohle Blase von Kopf hält ihn über Wasser. Siehst du was von ihnen, Moriarty?«

Sie waren am Strand angelangt und Moriarty, der auf einem Felsblock stand und sich die Augen beschattete, blickte auf die See hinaus.

»Wir wollen bis zur Bucht gehen. Dahin kommt er sicherlich zurück, wenn er überhaupt kommt. Kannst du sie von dort aus nicht sehen, so müssen sie die Küste entlang nach der Grotte gerudert sein. Eins sage ich dir, Moriarty: verwandt oder nicht – ich will nicht, daß der Kerl noch länger auf meinem Hof herumhängt. Er kommt nach Drumgool und sitzt und liest die Zeitung und gibt vor, verrückt zu sein, paßt auf alles auf, geht wieder fort und klatscht über alles, was er gesehen hat. Ich glaube, er hat mir mit seinem Gerede auch den Schweinehandel mit dem alten Shoveler verdorben. Er hörte mich sagen, daß ich mich mit zwei Pfund weniger begnügen würde, als ich von Shoveler verlangt hätte, und heute war der alte Kerl so zäh wie Leder.«

»Ich glaube auch, Sir, es tut nich gut, wenn er auf dem Hof is,« meinte Moriarty. »Gestern, als Andy Garryowen seinen Galopp auf der Viermeilenbahn gab, war er auch da, spionierte da herum und guckte sich das Pferd an. Sie wissen, Sir, daß Andy nix von ihm hält, und als Andy bei den großen Busch vorbeikam, da war Mister Giveen da und sprang heraus und rief Andy an. ›Das is 'n gutes Pferd,‹ sagt er, ›denkt mein Vetter vielleich da'an, es im nächsten Jahr in 'n Rennen laufen zu lassen?‹ sagte er.«

»Großer Gott!« entfuhr es Garryowens Besitzer, indem er sich auf einem Stein niederließ. »Ich hoffe, Andy hat nichts verraten?«

»Verraten, Sir? ›Zur Hölle mit Dir,‹ sagt Andy und reitet weiter, und Buck Slane, der auf der Katze saß – Dabei fällt mich ein, Sir, Garryowen schlägt die Katze wie nix um zweihundert Meter in 'ner Meile – Buck sagt, das schwarze Blut is ihm ins Gesicht gestiegen und er hat den Stock, den er in die Hand hielt, hinter Andy und Garryowen hergeschüttelt, als wenn er ihnen eins damit überziehen möchte.«

»Na, ich werde ihm eins überziehen,« sagte French, »wenn er mit seinen Fragen zu mir kommen sollte. Moriarty, nur du und ich und die junge Dame – sie ist zuverlässig – und Buck Slane – auf den kann man sich auch verlassen – wissen, was wir mit Garryowen vorhaben und in welchem Rennen er laufen soll. Wenn wir die Sache geheimhalten wollen, dürfen wir nicht zugeben, daß Leute kommen und ihre Nase in unsern Kram stecken –«

»Der junge Herr aus England, Sir, is der zuverlässig?«

»Mister Dashwood? Ja, er ist ein Gentleman. Aber ich habe ihm trotzdem nichts gesagt. Er sah den Gaul und bei Gott, er hat ihn bewundert! Aber von meinen Plänen habe ich ihm nichts mitgeteilt –«

»Da sind sie, Sir,« rief Moriarty, welcher aufrecht stand und deshalb das Meer besser überblicken konnte.

Mr. French erhob sich.

Das Boot kam hinter einem Felsvorsprung hervor. Der die Ruder handhabende Mr. Giveen redete augenscheinlich auf Miß Grimshaw ein, die im Boot aufstand, als sie Hilfe und Rache in Gestalt der beiden am Strande wartenden Männer in erreichbarer Nähe erblickte; jetzt fast aufrecht, dann zusammengekauert und sich am Rande des Fahrzeugs haltend, machte sie Miene, auf die Felsblöcke, an denen sie vorüberfuhren, oder wohin es auch sei, zu springen, als wünsche sie unter allen Umständen, Boot und Begleiter zu verlassen.

Man hätte glauben können, daß sie von Angst getrieben werde. Aber nicht Furcht, sondern Ärger und Zorn beherrschten sie.

French und Moriarty stürzten sich bis an die Kniee ins Wasser, packten das Boot zu beiden Seiten und zogen es auf den Strand herauf, während Mr. Giveen, den Stock in der Hand und den Hut hinten auf dem Kopf, eilig über den Rand kletterte und sich anscheinend davonmachen wollte.

»Halten Sie ihn!« rief Miß Grimshaw. »Er hat mich beleidigt, und durch seine Schuld wäre ich fast ertrunken. Er ängstigte mich so lange, bis ich schwor, daß ich nicht sagen wollte –«

»Das habe ich nicht getan,« rief Mr. Giveen, den sein Vetter mit mächtigem Griff festhielt. »Es war nicht meine Schuld. Laß mich los! Laß mich los oder ich verklage dich beim Gericht.«

»Hast du sie nicht geängstigt?« entgegnete French, der seinen Verwandten hinten am Kragen gepackt hielt und ihn schüttelte, wie ein Terrier eine Ratte hin und her schwenkt. »Das werden wir bald sehen. Moriarty, lauf hin und hole einen Polizisten. Nimm lieber ein Pferd und hole den Konstabler aus Drumboyne. Na also, was hast du dir dabei gedacht? Was hast du dir gedacht, eh? – du Schurke mit deinem Herumspionieren! Du verwünschter hirnloser, eselsköpfiger Sohn von einem Schornsteinfeger, du! Nennst dich einen irischen Gentleman! und beleidigst eine Dame! Miß Grimshaw, wenn Sie es befehlen, stecke ich ihm den häßlichen Kopf unter Wasser und ersäufe ihn!«

»Nein, nein,« rief das junge Mädchen, Mr. Frenchs Worte buchstäblich auffassend. »Vielleicht hat er es nicht so gemeint. Ich glaube, er ist nicht ganz zurechnungsfähig. Er wollte mich nur küssen und schaukelte das Boot – vielleicht sollte es nur ein Scherz sein.«

»Nun paß auf,« rief French, wobei er jedem zweiten Wort durch ein Schütteln Nachdruck verlieh, »wenn ich dich jemals wieder in einem fünf Meilen weiten Umkreis von Drumgool treffe, gebe ich dir eine Tracht Prügel, von der du dich nicht in vier Wochen erholst. Das ist mein letztes Wort und nun – fort!«

Dem letzten Satz folgte ein sehr deutlicher Fußtritt, der Mr. Giveen ins Laufen brachte. Er rannte quer über den Sand, sprang über die Felsblöcke und lieferte einen Rekord durch die Schnelligkeit, mit der er des Teufels Schlüsselloch erreichte. Dort angelangt, wandte er sich um und drohte seinem Verwandten mit der Faust.

»Ich werde mich noch an dir rächen, Mick French!« rief Mr. Giveen.

»Aus meinen Augen!« donnerte der Bedrohte, indem er Miene machte, hinter dem andern herzustürzen. Worauf Mr. Giveens Gestalt, gleich einer in eine Drainröhre hineinsausenden Ratte, in des Teufels Schlüsselloch verschwand.

French brach in ein Lachen aus, in das Miß Grimshaw einstimmte.

»Nun ist er Ihr Feind!« bemerkte sie, während Moriarty die Ruder auf die Schulter nahm und sie alle drei den Heimweg antraten.

»Was tut mir das!« erwiderte der Besitzer von Garryowen.


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