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Die Verantwortung der Wyrubowa

Als Rasputin, durchaus gegen seinen Willen, wieder in Pokrowskoje war, lebte er in ständiger Angst um sein Leben. Der Präsident des Ministerrats wachte jetzt zwar in seiner Eigenschaft als gleichzeitiger Innenminister über seine Sicherheit, aber auch seine Feinde waren mächtige Leute. Einen Monat blieb er in Sibirien. Und während dieses Monats schwebte mehr denn je sein Schatten über dem Palais in Zarskoje-Selo. Er war ein »Opfer« seiner Feinde, die gegen ihn bis in die Umgebung des Zaren intrigierten. War der General Wojekow nicht ein lebender Beweis dafür?

Das Heranrücken der Stillen Woche, das religiöse Gemüter immer in eine Art von Gehobenheit versetzt, schob die Erinnerung an den »Freund« und seine heilige Persönlichkeit noch besonders in den Vordergrund.

»Am Abend, bei der Lektüre des Evangeliums, habe ich besonders viel an unseren Freund denken müssen«, schreibt die Zarin an ihren Gatten. »So etwa verfolgten die Pharisäer Christus, indem sie versicherten, dass auf ihrer Seite die Wahrheit läge (aber wie weit sind sie heute davon entfernt!). Wie viele Gründe für Dankbarkeit gibt es: wie viele seiner Gebete sind erfüllt worden. Dort, wo ein solcher Diener des Herrn existiert, versucht ihn der Böse, indem er sich bemüht, ihn zum Bösen abzulenken und vom Wege der Wahrheit abzubringen. Wenn sie alles Uebel kannten, was sie anrichten! Er lebt für seinen Herrn und für Russland, und wir sind es, für die er all diesen Schimpf erduldet. Wie glücklich bin ich, dass wir in der ersten Fastenwoche mit ihm zur Kommunion waren.«

Und ein paar Tage später schreibt sie:

»Unser Freund schreibt voll grosser Traurigkeit, dass, weil man ihn aus Petersburg entfernt hat, viele Leute zu Ostern hungrig sein werden. Er gibt immer so viel an die Armen. Bis auf den letzten Kopeken teilt er alles an sie aus, was er bekommt, und das überträgt gleichzeitig den göttlichen Segen auf die, die ihm Geld gegeben haben.«

siehe Bildunterschrift

Kriegsminister General Suchomlinoff mit seinen Adjutanten.

Am Tage darauf hatte der Zarewitsch Schmerzen am Arm. Die Zarin setzte all ihre Hoffnung wieder auf Gott und bat die Wyrubowa, dem Staretz zu telegraphieren. Darauf bekam sie am Abend vor Ostern folgendes Telegramm von Rasputin:

»Christ ist erstanden. Bin überzeugt, dass Kirche unbesiegbar und wir ihre Familie, unsere Freude mit Auferstehung Christi. Freund.«

Alexandra Feodorowna bat ihren Gatten, dem »Freund« nach Pokrowskoje ein Telegramm mit Osterwünschen zu senden. Der Zar sandte dieses Telegramm. So blieb Rasputin selbst im fernen Sibirien in geistigem Kontakt mit seinen kaiserlichen Freunden. Sein Einfluss auf die Zarin nahm infolge seiner Abwesenheit sogar noch zu und bekam einen mystischen Charakter.

Um diese Zeit fand Rasputin einen neuen Verteidiger beim Zarenpaar in der Person des Badmajew, des Doktors für tibetanische Medizin. Man weiss nicht, was diesen alten, reichen, unabhängigen Mann dazu getrieben hat, ein Freund und Verteidiger des Staretz zu werden, nachdem er so lange Zeit sein Gegner gewesen war. Fest steht nur, dass er sich schliesslich auf Rasputins Seite stellte. Während Rasputin in Pokrowskoje war, sandte Badmajew an den Zaren einen Brief, in dem er eine grosse Anzahl von Tatsachen mitteilte, die teils ungünstig für Chwostow und zum anderen Teil günstig für Rasputin waren. Briefe gleichen Inhalts sandte er auch an die Zarin und an die Wyrubowa. Auf seine Bitte wurde er im Palast empfangen und schilderte dort mit lebhaften Worten seine Einstellung zu dem kürzlichen Skandal.

»Es ist unerlässlich und zugleich klug«, schrieb er, »Anweisung zu geben, dass Eurer Majestät alle Papiere und Dokumente vorgelegt werden, die Bezug haben auf den von Chwostow, Beletski und Komissarow aufgewühlten Fall Grigori Jefimowitsch, Papiere, die sich bei den verschiedenen Behörden und in den Brieftaschen gewisser Personen befinden. Man spricht viel von diesen Briefen, die den Thron diskreditieren.«

Mit Badmajew lernen wir die letzte der Persönlichkeiten kennen, die auf politischem Gebiet auf Rasputin Einfluss ausübten.

Am 22. April war Rasputin wieder in Petersburg. Der Zar, der soeben zehn Tage im Palais zugebracht hatte, bereitete sich gerade auf seine Abreise ins Hauptquartier vor; Rasputin wurde von ihm empfangen und gab ihm seinen Segen. Am 27. April begleitete er die Wyrubowa, die zur Erholung nach Jewpatoria reiste, zum Bahnhof. Zwei Tage darauf sah er die Zarin und gab ihr vor ihrer Abreise nach dem Süden seinen Segen.

Rasputin blieb in Petersburg, nahm seine Geschäfte mit seinen Freunden wieder auf, verband sich enger mit Manuilow und begann die ereignisreichen Beziehungen zu Badmajew zu pflegen. In der Gesellschaft lief hartnäckig das Gerücht um, dass er seinen Einfluss seit Stürmers Ernennung noch vergrössert habe, aber es fehlt hierfür tatsächlich an Unterlagen. Während der Periode, die auf den Skandal folgte, übte Rasputin keinerlei politischen Einfluss aus. Und doch schlug das Geschwätz niemals so hohe Wogen wie jetzt, und die Mitglieder der hohen Gesellschaft trugen all diese Dinge zu den ausländischen Diplomaten, die ihnen Glauben schenkten.

Um diese Zeit beschuldigte man Rasputin, dass er an Kitcheners Tod schuld sei. Er sollte, so erzählte man sich, von der Zarin das Datum erfahren haben, an dem der englische Minister erwartet wurde, was er dann den Deutschen mitgeteilt habe. Heute, da wir die Wahrheit kennen, will uns diese Verleumdung lächerlich und absurd vorkommen. Damals aber, mitten im Krieg und am Vorabend einer Revolution, nahm man das hin, ohne zu diskutieren, und die Bevölkerung brannte vor Verachtung gegenüber Rasputin und Alexandra Feodorowna.

Die Gegenwart der Wyrubowa war tatsächlich unheilvoll, und zwar sowohl für die Zarin als auch für das Reich. Alexandra selbst wurde sich endlich über das klar, was der Doktor Fischer schon ein paar Jahre vorher festgestellt hatte.

Am 25. Mai empfing die Zarin Rasputin, der von Moskau zurückkam. Der Staretz billigte die Ernennung des neuen Gouverneurs Schebeko, mit dem er sich unterhalten hatte, und erklärte, dass es seiner Meinung nach gut sei, wenn die Wyrubowa ihren Aufenthalt in der Krim noch etwas ausdehne. Die Zarin schreibt daraufhin in ihrem Brief vom 26. Mai an den Zaren, nachdem sie ihm Rasputins Worte mitgeteilt hat:

»Ich befürchte, dass sie nächste Woche zurückkommt. Obgleich es unrecht ist, so zu sprechen, so muss ich doch sagen, dass ihre Abwesenheit für mich eine wirkliche Erholung war, denn ich habe tun und lassen können, was mir gefiel, und war nicht gezwungen, meine Angelegenheiten und meine Zeit nach ihren Wünschen zu arrangieren.«

Am 1.Juni traf die Wyrubowa wieder in Zarskoje-Selo ein. Schon am 4. Juni begann die Zarin ihrem Gatten wieder Ratschläge Rasputins, die ihr von der Wyrubowa übermittelt waren, mitzuteilen:

»Unser Freund schickt seinen Segen allen Kämpfern. Er bittet darum, dass wir nicht zu weit nach Norden vorgehen. … Das ist eine Warnung, die er ausspricht …«

Ein paar Tage später bittet die Wyrubowa darum, dass dem Zaren fünf Fragen zur Stellungnahme vorgelegt werden möchten: die erste über die Duma, die zweite über den Gouverneur von Petersburg, eine dritte über Verproviantierung, die vierte über die Union der Städte; die fünfte Frage hatte sie vergessen. Eine richtige vorbereitende Kanzlei hatte sich bei der Wyrubowa aufgetan.

So sieht die Rolle der Annuschka aus. Wäre sie nicht die Vermittlerin zwischen Rasputin und der Zarin gewesen, so hätte Rasputin niemals auf politischem Gebiet irgendwelche Bedeutung gewonnen. Und darin beruht die Verantwortung der Wyrubowa vor der Geschichte.

Am 11. Juni trifft die Zarin Rasputin bei der Wyrubowa; er war gekommen, um sich vor seiner Abreise nach Pokrowskoje zu verabschieden. Bevor er sich zurückzog, bat er darum, dass man gegen Kaution den General Suchomlinow auf freien Fuss setzen möge; dass man nicht die Einrichtung von Metropoliten-Diözesen gestatten möge; dass man die Tarife für die Strassenbahnen nicht erhöhe; dass sich die Wyrubowa mit der Zarin nach Mogilew begebe; dass man dorthin auch den Fürsten Schachowskoj kommen lassen möge, einen Minister, mit dem er verschiedene Fragen durchgeprüft hatte.

Alle diese Wünsche übermittelte Alexandra Feodorowna dem Zaren, und dann fügt sie noch hinzu:

»Er bittet Dich, fester aufzutreten, wenn Deine Minister bei Dir sind.«

Am 17. Juni reiste Rasputin nach Pokrowskoje. Mehrere seiner intimsten Anbeterinnen, darunter die Maria Golowina und die Olga Lochtina, folgten ihm bald dorthin, um sich zu erholen und bei dieser Gelegenheit gleich das Kloster Werchoturje zu besuchen.

Am 24. Juli traf er wieder in Petersburg ein. Während seiner Abwesenheit hatten in den Ministerien Veränderungen stattgefunden, die für ihn von grösster Bedeutung waren. Der Zar hatte Sasonow entlassen. Liberal bis zum äussersten, vollkommen am Ende seiner Nerven, war Sasonow viel mehr beim Zaren der Repräsentant der alliierten Mächte als der Aussenminister Russlands geworden. Der Einfluss Englands und des englischen Botschafters, der allzu eng verbunden war mit den Vertretern der russischen Oppositionsparteien, machte sich besonders bei ihm fühlbar. All das war dem Zaren ausserordentlich unangenehm, und am 3. Juli hatte er Stürmer an Sasonows Stelle gesetzt. Rasputin liebte Sasonow nicht und nahm daher die Nachricht von seiner Amtsenthebung sehr froh auf; aber er war auch mit Stürmers Ernennung sehr unzufrieden. Er war der Meinung, dass Stürmer keineswegs der für diesen Posten erforderliche Mann war und dass er daher, um ihn zu erlangen, List angewandt habe. Das war ein neuer Anlass zur Verstimmung zwischen Rasputin und Stürmer. »Das wird schlecht enden!« rief Rasputin aus. Solange aber Manuilow noch bei Stürmer war, verhinderte er einen Bruch zwischen dem Staretz und dem Premierminister.

Und was den neuen Innenminister betraf, Alexander Alexeiwitsch Chwostow – ein Onkel des früheren Innenministers Chwostow –, so hatte Rasputin keine Hoffnung, dass er in gute Beziehungen zu ihm kommen würde; dafür war der Minister ein zu sauberer und zu ehrenhafter Mann.

Alle diese Aenderungen waren nicht nach Grigoris Geschmack. Seine Rückkehr fiel zusammen mit dem Nachlassen des schlechten Wetters; natürlich schrieben seine Anbeterinnen dieses Verdienst ihm zu. Vom ersten Augenblick an fing er wieder an, Ratschläge zu geben; die Wyrubowa hatte vorher den ganzen Monat lang der Zarin nichts auszurichten gehabt, jetzt aber diente sie wieder als Vermittlerin.

Am 25. Juli schrieb Alexandra Feodorowna unter Bezugnahme auf eine solche von der Wyrubowa überbrachte Botschaft an den Zaren:

»Er meint, dass man, um grosse Verluste zu vermeiden, nicht mit zuviel Hartnäckigkeit angreifen sollte; es ziemt sich, Geduld anzuwenden und nicht die Ereignisse zu zwingen; denn letzten Endes muss uns sowieso der Sieg werden. Man kann heftig angreifen und den Krieg in zwei Monaten beenden, aber dann muss man Tausende von Leben opfern; wenn man dagegen Geduld beweist, so werden wir trotzdem den Sieg erringen, aber es wird weniger Blut vergossen.«

Am Tage darauf reiste die Zarin ins Hauptquartier. Rasputin hatte ihr ein Ikon des Simeon von Werchoturje anvertraut, das sie dem General Alexejew übergeben sollte.

Der Staretz hatte schon seit langer Zeit den Wunsch, sich ins Hauptquartier begeben zu können, aber der Zar hatte sich immer widersetzt. Der General Alexejew war ziemlich schlecht auf Grigori zu sprechen. Er hatte es kategorisch abgelehnt, auch nur in die kleinste Beziehung mit ihm zu treten. Allerdings stimmt nicht, was die Anhänger des Grossfürsten Nikolai Nikolajewitsch als Gerücht verbreiteten, dass er Telegramme des Inhalts: »Wenn er kommt, hänge ich ihn auf!« sandte.

Während ihres Aufenthalts im Hauptquartier fragte die Zarin den General Alexejew eines Tages bei einem Spaziergang:

»Was haben Sie eigentlich gegen Grigori Rasputin, General?«

»Nichts, Majestät; persönlich habe ich ihn niemals gesehen.«

»Nun, warum sträuben Sie sich denn dagegen, dass er hierherkommt? Er würde eine solche Stärkung für den Zaren sein! Wir verdanken ihm so viel. Zweimal schon haben seine Gebete Alexis vom Tode gerettet.«

»Majestät, vox populi, vox Dei. Ich bin ein treuer Diener des Zaren und bin geneigt, alles zu tun, um ihm seine Aufgabe zu erleichtern. Aber es ist mir unmöglich, die Gegenwart eines Mannes hier zu dulden, den die Bevölkerung und die Armee für einen Schädling ansehen.«

Sie waren inzwischen wieder bei der Gartentür angelangt, und die Zarin benützte die Gelegenheit, sich ziemlich trocken von ihm zu verabschieden.

Es versteht sich von selbst, dass diese Unterhaltung keinen Einfluss auf die Stellung des Generals ausübte; aber als die Zarin wieder in Zarskoje-Selo war, schrieb sie ihrem Gatten, er möge doch dem General Alexei einmal auseinandersetzen, wieviel Gutes der Staretz schon getan habe. Im Herbst desselben Jahres nahm der General an einer Verschwörung teil, deren Ziel die Arretierung der Zarin war, und wahrscheinlich hat nur eine plötzliche Krankheit ihn daran gehindert, diesen Plan in die Wirklichkeit umzusetzen. Obgleich aber Rasputin wusste, wie schlecht der General Alexei auf ihn zu sprechen war, erlaubte er sich keine Intrige gegen ihn.

Sobald die Zarin am 3. August wieder in Zarskoje-Selo eingetroffen war, gab ihr der Staretz durch den Mund der Wyrubowa wieder verschiedene Ratschläge. Vor allem riet er dem Zaren, sich unnachsichtiger gegen die Generäle zu zeigen, die durch ihre schweren Fehler unnötige Truppenverluste verursacht hätten.

Am 6. August verabschiedete sich Grigori, weil er auf einige Zeit nach Pokrowskoje gehen wollte. Zwei Tage später liess er durch die Wyrubowa ausrichten, dass man sich nicht auf Kämpfe in den Karpathen einlassen dürfe; denn das würde wieder neue grosse Verluste ergeben. Er hatte auch eine lange Unterhaltung mit Stürmer. »Er hat ihm befohlen«, schrieb die Zarin am neunten August an ihren Gatten, »dass er mich jede Woche besuchen muss.«

Am 9. August brach Rasputin mit einigen Verehrerinnen, darunter die Wyrubowa und eine Frau Den, nach Sibirien auf. Man nahm die Eisenbahn bis Tiumen, fuhr dann auf einem Dampfer die Tura hinunter bis Tobolsk. Dort machte man Rast im Hause des Gouverneurs, in dem später die kaiserliche Familie während ihres Exils lebte. Nachdem man vor den Gebeinen des heiligen Jean niedergekniet war, brach man nach Pokrowskoje auf, wo man am 16. eintraf.

Auf dem Rückweg machte man noch im Kloster Werchoturje Halt, und am 7. September war der Staretz wieder in Petersburg.

Eine neue unangenehme Nachricht erwartete ihn dort: Stürmer hatte seine Abwesenheit dazu benutzt, Manuilow in Ungnade fallen zu lassen, und der Direktor des Polizeidepartements, Klimowitsch, der gegen Stürmer intrigierte, hatte Manuilow verhaften lassen. Das war ein sehr empfindlicher Verlust für Rasputin. Manuilow hatte über alle aktuellen Tagesfragen kleine, sehr kurze und sehr klare Notizen aufzuzeichnen verstanden, die er dann dem Staretz gab, der sie seinerseits durch Vermittlung der Wyrubowa an die Zarin brachte. Manuilow war über alles auf dem laufenden, und ausserdem hielt er sehr geschickt das Einvernehmen zwischen den verschiedenen Anhängern des Staretz, also zwischen der Wyrubowa, dem Metropoliten Pitirim und Stürmer, aufrecht, ebenso aber auch das Einvernehmen zwischen den Anhängern und dem Staretz direkt.

Jetzt neigte Stürmer dazu, den Staretz von sich fernzuhalten. Er beauftragte eine Dame aus dem Kreise seiner Freundinnen, die Vermittlung zwischen ihm und Rasputin zu übernehmen. An sie musste der Staretz sich also in Zukunft wenden, wenn er Stürmer um irgend etwas bitten oder ihm etwas sagen wollte.

Die Rolle, die bisher der Fürst Andronikow und Manuilow beim Staretz gespielt hatten, nahm jetzt Badmajew ein. Aber der tibetanische Doktor war viel zu alt und schon zu schwerfällig für die überfliessende und vielseitige Aktivität des Staretz.

All diese Schwierigkeiten wurden dadurch einigermassen ausgeglichen, dass Rasputin sich bei der Zarin eines noch grösseren Einflusses erfreute als je zuvor. Und dafür gab es zwei Gründe: einmal die Krankheit der Zarin, die sich immer mehr nach der Nervenseite hin entwickelte, und andererseits die glänzenden Erfolge der Truppen an der Front. Die im Sommer erzielten Erfolge bewiesen schlagend, wie recht der Zar gehabt hatte, als er selbst das Oberkommando übernahm und Personaländerungen in den oberen Stellen vornahm. War das aber nicht gleichzeitig ein voller Beweis – so sagte sich die Zarin – für den Weitblick des Staretz, der den Entschluss des Zaren, sich an die Spitze seiner Truppen zu stellen, so warm unterstützt hatte?

Stürmer hatte durch seine ständigen Berichterstattungen die Zarin tatsächlich daran gewöhnt, sich mit den Staatsgeschäften zu befassen. Er hatte sozusagen die politische Erziehung der Zarin vervollkommnet, jene Erziehung, die schon von Goremykin begonnen und dann in systematischer Weise von Alexei Chwostow fortgeführt worden war. Alexandra Feodorowna zweifelte jetzt nicht mehr daran, dass sie den Geist und die Anlagen eines grossen Politikers hatte. Es genügte, so glaubte sie, die geeigneten Personen, die genügend ergeben waren und den Zaren liebten, zu Ministern zu machen, sie fest in der Hand zu halten und sie zu zwingen, die Ratschläge des Gottesmannes Grigori zu begreifen, zu respektieren und zu befolgen. Mehr denn je neigt sie sich vor dem Staretz: alles, was von ihm kommt, kommt von Gott.

Rasputin seinerseits zwang die Wyrubowa, immer mehr und mehr Ratschläge an die Zarin weiterzugeben. Auch die Unterhaltungen zu dreien zwischen ihm, der Zarin und der Wyrubowa wurden immer häufiger.

Um diese Zeit ist Grigori, wie zu Beginn seiner Karriere in Petersburg, sehr viel mit klerikalen Kreisen zusammen. Unter ihnen befand sich ein gewisser Melschissedec, der aus dem Kaukasus kam und zum Bischof von Kronstadt ernannt worden war. Er vollzog seine gottesdienstlichen Handlungen in theatralischer Form und äffte den Pater Jean nach. Rasputin hatte seine Bekanntschaft gemacht. Er hatte sich ausserdem eng mit Isidor, einem ehemaligen Bischof von Wiatka, befreundet, einem verschwenderisch lebenden Manne, der jede Würde verloren hatte und daher auch seines Postens enthoben worden war. Beide kamen häufig mit Rasputin zusammen; Isidor war einer seiner Kumpane bei Trinkgelagen. Um sich bei ihnen in einem Rahmen zu zeigen, der ihnen imponieren musste, führte er sie bei der Wyrubowa ein. Damals versuchte Annuschka schon nicht einmal mehr, zu erfahren, wen sie kennenlernte und wen sie protegierte. Sie stellte ihre neuen Freunde glattweg der Zarin vor. Dort verstanden sie, einen guten Eindruck zu machen, und deshalb war ihre Freundschaft mit Rasputin der Zarin ein neuer Beweis dafür, wie hoch die kirchlichen Kreise den Staretz einschätzten. Der Erzbischof Warnawa und der Metropolit Pitirim bestätigten ihr das vollends und gaben ihrem Urteil gewissermassen durch ihre Autorität die Weihe. Die Zarin lebte in einer Atmosphäre von exaltierter Religiosität; der Staretz schwebte darin, und das war einer der Gründe für seinen Erfolg.


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