Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erste Begeisterungswogen und politische Polizei

Im Jahre 1908 erfreut sich Rasputin bereits einer grossen Popularität in ganz Petersburg. Zahllose Menschen kommen zu ihm und bitten ihn um Belehrung darüber, wie man zu leben habe. Er ist nicht mehr der schüchterne, schlicht aussehende russische Bauer, dem man einige Rubel für seinen Unterhalt in die Hand drückt. Er ist jetzt schon ein Mann voll Selbstsicherheit, ist gut gekleidet, zwar nach bäuerlicher Mode, aber er trägt Schaftstiefel aus Lackleder. Seine Unterhaltungen mit den Majestäten und den Mitgliedern der kaiserlichen Familie, die Aufmerksamkeit, mit der man ihm dort begegnet, die Anerkennung seiner Tugenden durch die hohe Geistlichkeit, alles das hat ihm eine hohe Meinung von seiner eigenen Person gegeben. Er bildet sich ein, dass er dazu berufen ist, eine ganz besondere Rolle beim Zaren zu spielen, und dass er es ist, der Russland retten soll.

Im Kreise seiner Anbeterinnen erklärt er jetzt immer häufiger, dass um den Zaren herum Lüge und Falschheit herrschen: der Zar ist umgeben von schönen Männern und Adeligen, die ihn täuschen; er ist ein guter Mensch, der Zar, aber er weiss nichts von den Nöten des Volkes; er braucht einen einfachen, schlichten Menschen zur Seite, der selbst aus den Kreisen des Volkes hervorgegangen ist, die der Zar nicht kennt. Rasputin ist dafür der richtige Mann. Gott selbst hat ihn dem Zaren gesandt. Zahlreiche Beweise kann er für seine göttliche Sendung anführen: die heilige Jungfrau in Person ist ihm erschienen, Makari und der Pater Jean haben ihm seinen Weg vorgeschrieben. Rasputin beginnt, selbst an seine Mission zu glauben. Die Anbetung, die ihm seine hysterischen Anhängerinnen zuteil werden lassen, bestärkt ihn darin …

Einzig der Bischof von Wolhynien, Antoni, der zu den Sitzungen der Synode nach Petersburg gekommen ist, wendet sich voller Entrüstung und mit grossem Feuer gegen die Gunst, der Rasputin sich erfreut. Er stützt sich auf Auskünfte, die er aus Kasan und aus Tobolsk erhalten hat; er versucht, den Bischöfen zu beweisen, dass ein Wüstling kein Heiliger sein kann: Grigori ist ein geschickter, listiger Schmeichler, ein Chlyst, ein Trunkenbold, ein Taugenichts und nichts weiter!

Alle Bemühungen Antonis bleiben ohne Resultat. Ohne Wirkung bleibt auch ein Brief aus Kasan, in dem der Bischof Guri dem Bischof Sergi über das skandalöse Betragen Rasputins Aufklärung gibt.

Zu dieser Zeit wurde der Bischof Sergi, der Rektor der Akademie, zum Erzbischof von Finnland ernannt. Auf besonderen Wunsch des Zaren wurde Theophan sein Nachfolger an der Akademie. Das war das erstemal, dass man in den Kreisen der Geistlichkeit einen Zusammenhang zwischen einer Ernennung und dem Namen Rasputins feststellte.

Im Februar desselben Jahres hatte schon einmal eine Intervention Rasputins in einer kirchlichen Angelegenheit stattgefunden. Auf Bitten seiner Freunde, der Bischöfe Theophan und Hermogen und des Paters Weniamin, hatte Rasputin im Zarenpalast eine von ihnen verfasste Eingabe überreicht, in der darauf hingewiesen wurde, dass die beginnende Autonomie der Akademie im Keime erstickt werden müsse. Grigori, der Anlass zur Annahme hatte, dass diese Autonomie von seinem Gegner Bischof Antoni gefördert wurde, hatte mit Freuden diese Gelegenheit ergriffen, Antoni Schwierigkeiten zu machen.

Infolge dieser beiden Einmischungen Rasputins in Kirchenangelegenheiten fing man an, von seinem Einfluss zu sprechen. Der temperamentvolle Iliodor trug Rasputins Ruf bis an die Ufer der Wolga, der leidenschaftliche Weniamin sang sein Loblied in Finnland.

Kein Wunder also, wenn der Staretz unter den Frauen geradezu fanatische Anbeterinnen fand. Von der Frau Lochtina haben wir schon gesprochen. Eine gewisse Frau Guschtschina verehrte ihn in gleichem Masse und trieb mit ihm ununterbrochenen Kult. Bei der Nachricht von seinem Tode bekam sie einen schweren Nervenschock. Ein exaltiertes Mädchen namens Lena hatte einen unbegrenzten Glauben an ihn und hatte sich ihm hingegeben. Es war sechsundzwanzig Jahre alt, hatte wunderbare graue Augen und eine dichte Haarflechte. Im Augenblick, als Lena ihn kennenlernte und von grenzenloser Bewunderung für ihn erfasst wurde, war sie verlobt. Mitia sagte eines Tages zu ihr, als er sie zum erstenmale traf: »Guten Tag, Aebtissin!« Lena wunderte sich über diese Anrede und sagte ihm, dass sie verlobt sei. Mitia brummelte einige zusammenhanglose Worte. Die Zukunft lehrte, dass er recht hatte, denn sie griff später tatsächlich zum Schleier.

Die anderen fanatischen Anbeterinnen Rasputins taten ihr möglichstes, ihm Lena in die Hände zu spielen. Das war nämlich das übliche System: wenn man sich nicht selbst dem Staretz hingab, so musste man wenigstens dafür sorgen, dass eine andere, die ihm gefiel, sich ihm auslieferte. Das Leben des jungen Mädchens war damit zerstört. Sie war dem Staretz sklavisch verfallen und folgte ihm überallhin, wie unter einem magischen Zwang. Erst viel später gingen ihr die Augen auf. Sie nahm den Schleier, trat ins Kloster ein und starb.

Im Umgang mit seinen Anbeterinnen verfolgte Rasputin verschiedene Methoden. Mit den einen unterhielt er sich nur über religiöse Fragen, er begleitete sie in die Kirche und lehrte sie, wie man ein frommes Leben führen könne. Das war eine Art von religiösem Zirkel, dessen Mitglieder in ihrem Tun nichts Tadelnswertes sahen. Deshalb gingen sie auch ruhig so weit, sich mit dem Staretz zusammen photographieren zu lassen, und diese Aufnahmen machten dann später in der Hauptstadt die Runde. Gerade diesem Zirkel ist es zuzuschreiben, dass sich Rasputins Ruf in Petersburg rasch ausbreitete. Man verlangte nach seinen Unterweisungen, nach seinen Predigten.

Der Fürst Jewachow, der ehemalige Adjunkt des Oberprokurators der Heiligen Synode, hat uns ein interessantes Muster einer solchen Predigt, die er mit eigenen Ohren gehört und dann notiert hat, in seinen Erinnerungen erhalten.

Der Baron Rausch von Traubenberg hatte seinen Eßsalon für eine solche Predigt Rasputins zur Verfügung gestellt. An zwanzig Personen waren anwesend, darunter Vertreter der Aristokratie und Personen aller Stände. Frau Lochtina hatte ihren Kopf mit Bändern herausgeputzt und fiel durch ihr seltsames Kostüm auf. Zu dieser Zeit war sie schon davon durchdrungen, dass Rasputin der Fleisch gewordene Christus sei. Muss man darin eine Entlehnung aus der Lehre der Chlysty-Sekte sehen? Wir wissen das nicht.

Rasputin begann mit folgenden Worten:

»Warum seid ihr hier zusammengekommen? Nur um mich anzusehen? Oder um zu lernen, wie man in dieser Welt leben muss, um sich das ewige Heil zu erringen?«

In diesem Augenblick schon fing Frau Lochtina, die sich in einer Ecke des Raumes aufhielt, mit gellender Stimme an zu schreien: »Er ist ein Heiliger! Er ist ein Heiliger!«

»Schweig, du Dummkopf!« rief Rasputin ihr zu.

Dann fuhr er fort:

»Um seine Seele zu retten, muss man ein frommes Leben führen. So sagen uns die Priester und Bischöfe auf ihren Lehrstühlen … Das ist auch richtig …

Aber wie soll man das anfangen?

Sie antworten uns: ›Nehmt die Tscheti-Minei zur Hand, die Lebensbeschreibungen der Heiligen, lest sie und lest sie immer wieder, und dann werdet ihr es wissen!‹

Und das habe ich getan. Ich habe die Tscheti-Minei vorgenommen, ich habe zu dem Leben der Heiligen gegriffen, und ich habe dann gesehen, dass jeder Heilige auf seine eigene Art und Weise sich um das Heil seiner Seele bemühte. Aber, nicht wahr, sie liessen die Welt im Stich; und ihr Seelenheil – das suchten sie bald in den Klöstern und bald in der Wüste … Und dann habe ich weiter festgestellt, dass die Tscheti-Minei das Leben der Asketen erst von dem Augenblick an beschreiben, in dem sie bereits Heilige geworden waren.

Nun, habe ich mir dann gesagt, da fehlt doch sicher irgend etwas … Zeigt mir doch nicht das Leben der Asketen, nachdem sie Heilige geworden sind, zeigt mir vielmehr, wie sie zu Heiligen wurden! Nur so kann ich etwas von ihnen lernen.

Bedenkt doch, dass es unter ihnen grosse Sünder, Briganten und Verbrecher gab! Und nun sind sie mit einemmale unter die Gerechten geraten!

Wie haben sie denn das angestellt, dass sie unter die Gerechten gerieten? Wie haben sie das gemacht? Wo ist denn der Punkt, an dem sie den Weg des Bösen verlassen haben, um den Weg, der zum Himmel führt, einzuschlagen? Wie geht es zu, dass die Vernunft plötzlich über sie gekommen ist? Wie konnten sie, die sich im seelischen Schmutz herumwühlten, sie, die grausam und schlecht waren – wie kommt es, dass sie sich plötzlich erinnerten, dass Gott existierte, und dass sie zu ihm gegangen sind? Das ist es, was man mir zeigen muss!

Aber mir nur zeigen, wie die Heiligen lebten, das ist zu nichts nütz. Jeder Heilige lebte auf seine eigene Art, und der Sünder ist nicht imstande, das Leben der Heiligen nachzumachen.

Ich habe dann in den Tscheti-Minei noch etwas anderes gesehen, was ich nicht begriffen habe. Jedesmal, wenn man von einem Asketen spricht, ist es ein Mönch … Na, schön. Aber die Laien? Die Laien wollen doch auch das Heil ihrer Seele erlangen! Und gerade ihnen muss man helfen. Ihnen muss man die Hand hinhalten! …«

»Hilf uns! Halt du uns deine Hand hin!« konnte Frau Lochtina an dieser Stelle nicht unterlassen, auszurufen. »Du kannst alles! Christus! Christus!« Von hysterischen Schluchzern geschüttelt, heulte die unglückliche Person diese Worte heraus; sie streckte Rasputin beide Hände entgegen.

»Schweig still, du Dummkopf!« rief Grigori ihr warnend zu. »Sonst …!«

»Ich schweige schon! Ich schweige schon!« sagte Frau Lochtina mit flehender Stimme.

»Ich werde dich davonjagen, du Schwachkopf!« schrie Rasputin aufgeregt. »Ich werde verbieten, dass man dich noch einmal wieder hereinlässt, du … du …«

Dann fuhr er in seiner Predigt fort:

»Also: man muss den Laien helfen. Man muss auch die Laien lehren, wie sie es anzufangen haben, dass auch sie in unserem Jahrhundert das Seelenheil erringen … Nehmen Sie einmal folgenden Fall an: Ein Minister des Zaren oder ein General oder eine Prinzessin machen sich Sorgen wegen ihrer Seele und wollen das Heil dafür erlangen … Nun, es würde wohl nötig sein, dass sie sich, nach den Tscheti-Minei, in ein Kloster oder in die Wüste zurückziehen!

Aber ihr Dienst? Und der Eid, den sie geleistet haben? Und ihre Familie? Ihre Kinder?

Nein, diese Leute können nicht der Welt Lebewohl sagen. Sie brauchen etwas anderes. Und dieses andere – es ist kein Mensch da, der ihnen sagt, was es ist. ›Geht in die Kirche! Beobachtet die Vorschriften! Lest und lest immer wieder die Evangelien! Dann werdet ihr gerettet sein!‹ Das ist alles, was man ihnen sagt.

Und das tun sie auch. Sie gehen in die Kirche. Sie lesen die Evangelien. Und das verhindert keineswegs, dass ihre Sündenlast von Tag zu Tag immer grösser wird, dass das Böse immer mehr an Boden gewinnt und dass die Menschen sich in wilde Tiere verwandeln.

Warum denn? … Weil es nicht genügt, ihnen zu sagen: führe ein frommes Leben! Man muss ihnen auch sagen, wie sie das anstellen sollen; man muss einem solchen Menschen, der sein menschliches Gesicht verloren hat, der die Sitten wilder Tiere angenommen hat, auch sagen, wie er aus dieser Jauchegrube herauskommt!

Wie kann er den Weg finden, der aus diesem Misthaufen in die frische Luft führt, zu Gott? Dieser Weg existiert. Aber man muss ihn den Menschen zeigen. Nun, ich – ich werde ihn euch zeigen!«

Die Nervenspannung unter den Zuhörern war bis zum Paroxismus gestiegen. Frau Lochtina bekam von neuem einen hysterischen Anfall. Rasputin beschimpfte sie heftig und befahl, dass man sie hinausbringe.

»In Gott liegt das Heil!« fuhr er dann fort. »Ohne Gott ist kein Schritt möglich … Und Gott – den nimmt man wahr, wenn man um sich herum nichts mehr sieht … Das Böse, die Sünde und all das kommt nur daher, dass alles euch Gott verbirgt und ihr ihn nicht seht!

Das Zimmer, in dem ihr seid – die Arbeit, die ihr verrichtet – die Leute, die um euch sind – alles das verbirgt euch Gott, weil ihr nicht gottgemäss lebt und weil ihr nicht gottgemäss denkt.

Also – man muss irgend etwas unternehmen, damit man Gott wahrnimmt …

Aber was?«

Die Zuhörer hingen gespannt an seinen Lippen. Totenstille herrschte im Raum.

»Nach der Messe, nachdem ihr gebetet habt, geht hinaus aus der Stadt … an einem Sonntag oder an einem Festtag … geht hinaus aufs freie Feld.

Geht … immer weiter vor euch hin, bis ihr hinter euch keine schwarze Wolke mehr aus den Fabriken von Petersburg aufsteigen seht und bis ihr vor euch nur den kristallklaren Azur des Horizonts seht.

Bleibt dann stehen und denkt über euch selbst nach … Wie werdet ihr euch dann klein vorkommen, wie unbedeutend, wie entwaffnet! Und vor dem Auge eures Geistes wird sich dann die Hauptstadt in einen Ameisenhaufen verwandeln, in dem die Menschen wie geschäftige Ameisen hin- und herwimmeln.

Und was wird dabei aus eurem Stolz werden, aus eurer Eigenliebe, aus eurem Machtgefühl, eurem Gefühl für euer Recht, was aus eurer ganzen Situation!

Und ihr werdet fühlen, wie elend und unnütz ihr seid und wie einsam!

Ihr werdet dann die Blicke zum Himmel emporheben, und ihr werdet Gott schauen. Und dann werdet ihr aus ganzem Herzen heraus fühlen, dass ihr nur einen Vater habt – Gott unseren Herrn – und dass Gott allein es ist, dem ihr eure Seele geben müsst; und ihr werdet den Wunsch fühlen, eure Seele nur ihm ganz allein hinzugeben. Er wird euch in Schutz nehmen und wird euch helfen.

Dann wird sich eurer eine grosse Rührung bemächtigen: und das wird der erste Schritt zu Gott sein. Ihr werdet dann noch weiter gehen können; aber kommt in die Welt zurück und nehmt eure alten Beschäftigungen wieder auf, bewahrt dabei aber wie euren Augapfel, was ihr mit euch nach Hause bringt. Denn ihr habt Gott in eurer Seele mit euch gebracht. Diese Rührung, die euch ergriffen hat, als ihr Ihn draussen getroffen habt, – bewahrt sie eifersüchtig, und lasst sie wie ein Sieb sein, durch das ihr alle Handlungen, die ihr in der Welt vornehmt, hindurchgehen lasst. So werdet ihr all eure irdischen Werke zu göttlichen Werken machen, und ihr werdet eure Seele retten, nicht indem ihr Busse tut, sondern indem ihr zur Ehre Gottes arbeitet.

Andernfalls aber: wenn ihr zu eurem eigenen Ruhm, zum Ruhm eurer Leidenschaften arbeitet, so werdet ihr das Heil eurer Seele nicht erlangen.

Das ist es, was der Retter meint, wenn er gesagt hat: ›Das Königreich Gottes ist in euch!‹

Findet Gott und lebt in ihm und mit ihm, und sei es auch nur jeden Festtag und jeden Sonntag. Entreisst euch, und sei es auch nur im Geiste, euren Angelegenheiten und euren Beschäftigungen, und anstatt Besuche zu machen und ins Theater zu gehen, geht hinaus auf das freie Land, zu Gott!«

Jewachow schreibt weiter dazu: »Rasputin hatte geendigt. Seine Predigt hatte eine unwiderstehliche Gewalt, und es schien, dass auch sogar seine erbittertsten Feinde die Tragweite derselben hätten anerkennen müssen.

Die Gläubigen brauchten konkrete Direktiven, wie sie ein frommes Leben führen konnten, und was sie bei ihren Pastoren nicht finden konnten, das schien Rasputin ihnen in diesem Augenblick zu geben.

Ich habe manche inhaltsreiche und tiefe Predigt gehört, aber keine von ihnen ist mir so im Gedächtnis geblieben. Ja, heute nach fünfzehn Jahren noch erinnere ich mich dieser Predigt Rasputins, und noch heute hilft sie mir, mein religiöses Empfinden anzufachen.«

So schreibt ein Mann hoher religiöser Kultur, ein Inhaber eines hohen Postens in der Heiligen Synode, der obendrein niemals zu Rasputins Bewunderern gehört hat.

Bei vielen seiner Anbeterinnen befolgte Rasputin seine Lieblingsmethode, gegen das Fleisch zu kämpfen, um den Geist stark zu machen. Als eine von diesen Anhängerinnen ihn eines Tages zwischen Mutter und Tochter auf einem Bett liegen sah, wunderte sie sich nicht, wie sie uns berichtet, sondern sie fand das durchaus natürlich.

Mit diesen Frauen pflegte er in Badeetablissements zu gehen, und dort spielten sich dann Szenen ab, die an die »Inbrunsten« der Chlysts erinnerten. Man muss diese Bäderbesuche nicht verwechseln mit jenen anderen Bäderbesuchen, die er in Begleitung von Prostituierten vom Newsky-Prospekt in Petersburg vornahm. Wenn sie auch alle auf die gleiche Weise ausliefen, so war doch der Zweck ein anderer. Hätte nämlich Rasputin nur einen nackten Frauenkörper in einem Bade gewollt, so hätte er nicht nötig gehabt, sich an einen öffentlichen Ort zu begeben: es fehlte in der Hauptstadt nicht an Privatwohnungen, wo er das Gesuchte gefunden hätte. Man erkennt darin vielmehr Rasputins Tendenz, gewisse Dinge aus der Chlystylehre zu übernehmen, und wir werden weiter unten noch ein konkretes Beispiel dafür sehen.

Mit anderen Anbeterinnen verfolgte Rasputin die Methode der »Läuterung durch die Sünde«. Im allgemeinen wandte er diese Methode aber nur bei sehr jungen und schönen Verehrerinnen an.

»Geh weg, alte Schachtel! … Geh weg, altes Gerippe!« rief er einmal, als eine Anbeterin, die die erste Jugend bereits hinter sich hatte, ihn bat, auch mit ihr eine solche »Läuterung« vorzunehmen.

Dieses System gefiel auch gewissen Frauen der kultivierten Klasse. Viele von ihnen waren intellektuell für die praktische Anwendung dieser Lehre bereits durch die Lektüre von Schriftstellern vorbereitet, die damals gerade in Mode waren: diese Autoren beriefen sich zwar nicht auf die Chlysty, predigten aber die »Aussöhnung des Geistes mit dem Fleisch«, indem sie die Fleischessünde rechtfertigten und ihr sogar einen heiligen Charakter beilegten. Das waren aber ausgerechnet Gedankengänge, wie sie den Chlysty lieb und teuer waren. Rasputin hätte nicht gleich von vorneherein einen solchen Erfolg haben können, wenn nicht die intellektuellen Milieus schon geistig auf sein System vorbereitet gewesen wären. Er verstand es, seinen Unterricht und seine Methoden schmiegsam zu gestalten: der geriebene Bauer wusste vorzüglich, wo, mit wem und wie er vorgehen konnte. Wenn er die einen zu sich aufs Bett zog, so war er bei den anderen der fleckenlose Unschuldsengel. Indem er da, wo es nötig war, eine äusserste Zurückhaltung und Keuschheit zur Schau stellte, wusste er sich begeisterte Verteidiger bis in die höchsten Kreise hinein zu sichern. Diese Methode der äussersten Keuschheit verwendete er auch bei den Grossfürstinnen, ihren Gatten und bei dem Zarenpaar. Jedesmal wenn er sich ins kaiserliche Palais begab, bereitete er sich vor, als wenn er zum heiligen Abendmahl ginge: er betete, nahm ein Bad, zog ein sauberes Hemd und einen neuen Anzug an und kämmte sich die Haare ordentlich. Er schien stets bis ins Innerste religiös erregt zu sein.

Für Rasputin war diese Zeit so etwas wie ein Frühjahr, jene Zeit des Aufblühens der allgemeinen Begeisterung für ihn. Er predigte und lehrte, und alles, was er sagte, schien noch neu zu sein, alle seine Worte waren wie Enthüllungen und Offenbarungen. Mehr als einmal kamen auch der Zar und die Zarin, um Rasputin zu hören. Der Zar hatte es besonders gern, wenn er vom Jenseits, vom Volke und seinen Leiden, sprach. Rasputins schlichte Erzählungen aus dem Leben der Bauern gefielen ihm durch ihre Aufrichtigkeit, durch ihre Lebenstreue und ihre bunte Lebendigkeit.

Sei es nun, dass der Zar den intimsten Männern seiner Umgebung die Bekanntschaft mit diesem tugendsamen Staretz, dessen Umgang ihm so vorteilhaft erschien, vermitteln wollte, oder sei es, dass er ihre Ansicht über Rasputin kennenzulernen wünschte, jedenfalls bat er den General Dedjulin, den Kommandanten des Schlosses, und dessen Adjutanten Drenteln, sich den Mann anzusehen. Drenteln bekam von ihm einen schlechten Eindruck; er sagte das auch der Wyrubowa, bei der er viel verkehrte, und seinem Chef, dem Prinzen Orlow.

Dedjulin nahm den Fall gründlicher und setzte seine Ansicht dem Zaren mit folgenden Ausdrücken auseinander:

»Er ist ein intelligenter Bauer, aber listig und falsch, der obendrein noch die Gabe des Hypnotisierens hat, wovon er nicht Gebrauch zu machen versäumt.«

Dieses Urteil basierte nicht nur auf seinem persönlichen Eindruck, wie das seines Adjutanten Drenteln, sondern gleichzeitig auf Auskünften, die er von der politischen Polizei erhalten hatte.

Um diese Zeit herum begann die erste Periode der schweren Nervenkrankheit der Zarin.

Man sagte, es sei eine Herzkrankheit. Die beste Diagnose scheint mir von dem Psychiater Dr. Fischer gestellt worden zu sein. Ich kannte diesen Dr. Fischer und hatte damals, im Laufe des Winters 1909, mehrfach Gelegenheit, mich mit ihm über die Krankheit der Zarin zu unterhalten.

Fischer war ein hochachtbarer, gewissenhafter Arzt, der auch wusste, unter welchen Verhältnissen seine Patientin lebte und zu leiden hatte, aber er wusste nichts von dem Umgang mit Rasputin. Und deshalb kam er zu dem Ergebnis, dass der ungewöhnliche Nervenzustand der Zarin zu einem guten Teile ihrem intimen Umgang mit der Anna Wyrubowa zuzuschreiben sei. Mit beachtlichem Mut, mit vollem Nachdruck und mit klarer Begründung erklärte er dem Zaren, dass es notwendig sei, die Wyrubowa aus der Umgebung der Zarin zu entfernen. Wir, die wir heute wissen, dass die Wyrubowa sozusagen nur eine Art von Ausströmung Rasputins war, dessen halb hypnotischen und halb mystischen Einfluss sie übertrug, können bestätigen, dass der Arzt durchaus recht hatte.

Man war natürlich mit dem Doktor Fischer unzufrieden; die hohe Patientin konsultierte ihn nicht mehr. Die Wyrubowa blieb die Freundin der Zarin, und auch Rasputin blieb in engem Kontakt mit dem kaiserlichen Palais; der Hauptgrund dafür lag damals in dem Gesundheitszustand der Zarin und des Zarewitsch.

So sehr der Staretz aber zu Ehren kam, so hat sich doch niemals irgend jemand aus dem Gefolge des Zaren in die Reihe der Bewunderer eingereiht, weder um diese Zeit, noch jemals später. Niemals hat irgend einer von ihnen an seine »Gebete« oder an seine Protektion appelliert. Das gleiche gilt von den Ehrendamen der Kaiserin; weder in ihren Reihen noch unter den übrigen Damen des Hofes zählte Rasputin jemals Anhängerinnen. Es ist ein seltsames Zusammentreffen, dass die Wyrubowa keine Ehrendame mehr war, als sie dem Staretz in die Hände fiel, denn durch ihre Heirat hatte sie diesen ehrenvollen Titel verloren.

Im Laufe des Sommers 1908 machte eine Gruppe aus den Hauptbewunderinnen des Staretz mit ihm eine Pilgerfahrt nach Werchoturje und von da nach Pokrowskoje. Auf dieser Reise trugen sich recht merkwürdige Dinge zu, auf die wir später zurückkommen.

Gegen Ende des Jahres hatte Rasputin in Petersburg schon einen grossen Ruf. Natürlich trug das Gerücht von der Gunst, deren er sich beim Zarenpaar erfreute, viel zu seiner Popularität bei. Und ebenso selbstverständlich war es auch, dass man wusste, dass er auch im Hause Tanejew verkehrte. Er wurde dort mit grosser Achtung und Ehrerbietung empfangen, allerdings war Tanejew selbst bemüht, das bis zum letzten Augenblick geheimzuhalten.

Je mehr aber Rasputins Popularität wuchs, desto mehr gewannen gleichzeitig die ärgerlichen Gerüchte über ihn an Boden. Man sagte, dass hochgestellte Persönlichkeiten ihn für ihre politischen Zwecke auszunützen versuchten, und er selbst sei nur ein Schürzenjäger und ein Wüstling. Die Dienstboten des Palais begannen sich über das Interesse, das man diesem bizarren Bauern entgegenbrachte, lustig zu machen. Die Kammerfrau der Wyrubowa erzählte ihnen alle möglichen Einzelheiten, die mehr oder weniger wahr waren.

Der Palastkommandant Dedjulin hörte durch die politische Polizei von diesen Gerüchten. Er unterhielt sich darüber mit dem Ministerpräsidenten Stolypin. Dieser liess eine Untersuchung in Pokrowskoje anstellen und beauftragte den Chef der Petersburger politischen Polizei, Rasputin unter Beobachtung zu nehmen. Auf Grund des gesammelten Materials machte man einen Bericht, der zwar ungünstig war, aber doch eigentlich nichts ernsthaft Greifbares enthielt. Der schwerwiegendste Punkt darin war der, dass Rasputin von Zeit zu Zeit ein Badeetablissement in Begleitung öffentlicher Mädchen aufsuchte.

Stolypin setzte dem Zaren die Angelegenheit auseinander, aber der Zar zog die Sache ins Scherzhafte. Der Chef der Petersburger Ochrana, Gerassimow, bemühte sich weiter, den General Dedjulin davon zu überzeugen, dass der Staretz ein verkommener Mensch war. Dedjulin hatte daraufhin nochmals eine Unterhaltung mit Stolypin, und dieser beauftragte den Chef der Ochrana, einen Ausweisungsbefehl aus der Hauptstadt wegen unmoralischen Verhaltens gegen Rasputin zu erlassen. Eines schönen Tages gab man also Befehl, Rasputin festzunehmen, wenn er von Zarskoje-Selo nach Petersburg zurückkehrte. Aber der Haftbefehl konnte nicht zur Vollstreckung gebracht werden. Wer mag dem Staretz wohl rechtzeitig Wind von dem Vorhaben gegeben haben? Jedenfalls steht fest, dass Rasputin, als er in Petersburg ankam, sofort auf den Bahnsteig sprang, quer durch den Bahnhof lief, sich draussen in einen haltenden Wagen setzte und das Palais der Grossfürstin Militsa zu erreichen vermochte.

Drei Wochen lang warteten die mit der Ueberwachung betrauten Polizeibeamten vergebens auf Rasputin vor dem Palais der Grossfürstin. Schliesslich kam aus Tobolsk die Nachricht, dass Grigori wieder in Pokrowskoje sei. Gerassimow fragte daraufhin Stolypin, was mit dem Ausweisungsbefehl werden solle. Der Minister sagte ihm, er möge ihn vernichten und die Akten ablegen.

Das war gegen Ende des Jahres 1908.


 << zurück weiter >>