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Ein gerissener Minister und ein noch gerissenerer Staretz

Während Andronikow, Chwostow und Beletski sich die Gunst der Annuschka Wyrubowa und der Zarin erschlichen, indem sie sich als Freunde und Beschützer des Staretz ausgaben, hatten sie gleichzeitig einen richtigen Kriegsplan ausgeheckt. Dieser Plan sah so aus: Andronikow sollte als offizieller Vermittler zwischen Grigori und dem Innenminister dienen. Von Zeit zu Zeit wollte man dem Staretz fünfzehnhundert Rubel durch Andronikow zukommen lassen. Dadurch hoffte man Rasputin zu zwingen, den Fürsten emsig in seiner Wohnung zu besuchen, wodurch man einen unaufhörlichen Einfluss auf ihn zu gewinnen hoffte. Endlich wollte man dem Staretz eine von Andronikows Kreaturen zur Seite geben, eine Witwe N. I. Tscherwinskaja, die man der Frau Wyrubowa vorstellte. Die Zusammenkünfte des »Triumvirats« mit Rasputin sollten bei Andronikow stattfinden. Man wollte dort Abendessen in kleinem, vertraulichem Zirkel veranstalten, bei denen man, ganz ungehemmt, den Staretz einwickeln und ihn dazubringen konnte, die Fragen, wegen deren Chwostow eine Vorarbeit im Zarenpalais benötigte, unter dem gewollten Gesichtswinkel zu betrachten. Als Entschädigung für die Kosten dieser Abendgesellschaften sollte der Innenminister dem Fürsten Andronikow eine Subvention für seine neue Zeitung »Golos Russi« bewilligen.

Schon am Tage nach der Rückkehr Rasputins nach Petersburg fand das erste Diner statt. Rasputin, der den Braten witterte, präsentierte sich bei dieser Gelegenheit mit der ganzen Würde, die ihm als »grosser Mann« zukam. Die drei anmassenden Komplizen konnten sich davon gar nicht wieder erholen. Der Staretz zeigte jetzt plötzlich eine Haltung und eine Selbstsicherheit, wie man sie bisher niemals an ihm wahrgenommen hatte. Ohne zu zaudern, gab er sofort zu verstehen, dass man Chwostow und Beletski in seiner Abwesenheit ernannt habe – die beiden Freunde verständigten sich bei diesen Worten mit einem Blick – und erklärte, dass all das Andronikows Fehler sei. Es war offenbar, dass Rasputin alle Hintergründe der ganzen Affäre kannte. Andronikow fing alsbald in gleissnerischem Tone an, sich zu entschuldigen, während der Minister und sein Beigeordneter den Staretz baten, ihnen deshalb nicht seine Hilfe und seine Mitwirkung zu versagen, die ihnen doch gerade so kurz nach ihrem Amtsantritt unentbehrlich sei. Rasputin hörte sie lachend an.

Als man den Madeira serviert hatte, zerstreute sich seine schlechte Laune allmählich.

Grigori, der sehr nachtragend und rachsüchtig war, erinnerte Chwostow daran, wie unliebenswürdig er ihn 1911 in Nischni-Nowgorod empfangen habe. »Du hast mich nicht einmal zum Essen eingeladen! Und ich hatte nur drei Rubel in der Tasche!« Und dem Beletski warf er vor, dass er ihm seinerzeit dreissig Polizeispitzel auf die Fersen geheftet habe.

Der Minister und sein Beigeordneter erschöpften sich geradezu in Entschuldigungen und Rechtfertigungen. Um den Missmut des Staretz abzulenken, kam Beletski auf den Gedanken, das Gespräch auf Djunkowski zu bringen und zu erzählen, dass dieser die Frau des Iliodor, anstatt sie anzuhalten, ins Ausland habe entwischen lassen. Dieses Manöver hatte Erfolg. Der Staretz fing an, Beleidigungen über Djunkowski auszuspeien. Ohne viel Zeit zu verlieren, fing das Trio jetzt an, Rad und Galgen auf Samarin zu schelten: er sei sicher der gefährlichste Feind Rasputins!

Als das Essen vorbei war, ging man in den Salon. Beletski gab Andronikow tausendfünfhundert Rubel; Andronikow führte Rasputin in sein Arbeitszimmer und gab ihm einen Teil der Summe. Ohne sich den Betrag nur anzusehen, schob der Staretz ihn in die Hosentasche. Dann fanden sich die vier Männer wieder im Salon zusammen, wo man sich verabschiedete.

 

Rasputin hatte inzwischen seine Verbindungen zu seinen Freunden und seine alten Gewohnheiten wieder aufgenommen. Seine Wohnung in der Gorochowajastrasse war immer voll von Bittstellern. Und wie früher mussten die Frauen, die um seinen Schutz nachsuchten, sehr häufig den Preis sofort bezahlen. Er hatte auch seine Bankoperationen wieder aufgenommen. Einem gerissenen Kaufmann war sogar die Idee gekommen, den Staretz zu »monopolisieren«; er wollte dem Staretz ein grosses Fixum geben und dann selbst die Verbindungen und die Protektion Rasputins bei seinen Bittstellern zu Geld machen. Aber die Umgebung Rasputins lehnte sich gegen dieses Projekt auf. Grigoris Ausbeute war wohl zu vorteilhaft: die Laptinskaja liess sich gute Provisionen von den Leuten geben, die sich an sie wandten; Geschäftemacher, die mit ihr unter einer Decke steckten, übernahmen es gegen Bezahlung, diese oder jene Sache zum Erfolg zu bringen oder Ernennungen für diesen oder jenen Posten durchzusetzen.

So erlangte Rasputin vom Zaren die Begnadigung einer ganzen Gruppe von jüdischen Dentisten, die ihren Beruf auf Grund gefälschter Diplome ausgeübt hatten, die in Pskow in einer richtigen Dokumentenfälscherwerkstatt hergestellt waren. Diese Begnadigung machte Rasputin in jüdischen Kreisen sehr populär. Uebrigens zeigte der Staretz Toleranz für alle Religionen. Er gehörte zu denen, die die Gleichstellung der Juden mit den übrigen Staatsbürgern forderten, und mehrere Male hatte er dem Zaren geraten, die Bestimmungen aufzuheben, wonach Juden bestimmte Bezirke nicht bewohnen durften. »Ich wäre nicht Rasputin«, pflegte er zu sagen, »wenn ich euch nicht das Recht, zu wohnen, wo immer ihr wollt, verschaffen würde!«

Die Beziehungen, die er mit einem Ingenieur, einem Grossindustriellen und Geschäftemacher, im Süden Russlands unterhielt, dessen Begnadigung er durchgesetzt hatte, trugen in erheblichem Masse mit dazu bei, die Juden günstig für ihn einzustellen. Protopopow und mehrere andere bedeutende Persönlichkeiten aus seiner Bekanntschaft drängten ihn, für die Juden beim Zaren einzutreten, und verstärkten auf diese Weise noch die Sympathie, die er für sie hatte.

Nach Beletskis Auffassung war der Rasputin jener Tage eine »bedeutsame Persönlichkeit, die ihre Bedeutung witterte und begriff«. Das hinderte ihn aber nicht, seine Trinkgelage, Ausschweifungen und galanten Abenteuer wieder aufzunehmen, und zwar bei sich zu Hause, bei seinen Freunden oder auch in öffentlichen Lokalen. Er fing wieder an, Frauen nach Hause zu nehmen; bald war es eine Dame der Gesellschaft, bald eine Prostituierte. Wieder liefen Anekdoten über seine ungebührlichen Ausfälle, die er sich in der Trunkenheit erlaubte, durch die Hauptstadt. Wieder wurde es zum »Gesprächstoff der Ungläubigen«, dass er, wenn er eine Reihe von Flaschen getrunken hatte, anfing, allein zu den Klängen eines Akkordeons mit einer Art von Hingerissenheit zu tanzen, fünf Minuten, zehn Minuten, zwanzig Minuten lang, alles um sich herum vergessend, als ob er eine Art von religiösem Ritus vollziehe.

»Er tanzt wirklich gut«, sagten die einen.

»Er ist ein Chlyst«, sagten die anderen.

Das Triumvirat begriff, dass sein Projekt, den Staretz zu umgarnen, illusorisch war. Rasputin machte sich über sie lustig. Anstatt sich einzig und allein auf dem Wege über Andronikow an die Minister zu wenden, kam es vor, dass er oft direkt zu Chwostow und Beletski Bittsteller und Schützlinge sandte, die mit einem jener berühmten Empfehlungsschreiben bewaffnet waren: »Mein Lieber, hilf ihr, arrangiere ihre Sache, es ist eine brave Frau!« Während der Innenminister und sein Beigeordneter mit ausserordentlicher Vorsicht zu verbergen versuchten, dass sie mit dem Staretz in Beziehung standen, brüstete sich dieser offen, dass er ihr Freund sei. Er sah, dass sie Angst davor hatten, ihre Beziehungen bekanntwerden zu lassen, und daher machte er sich ein boshaftes Vergnügen daraus, seine Anträge manchmal über ihre Sekretäre oder über ihre Frauen laufen zu lassen. Und im Kreise seiner Bekannten erzählte er, dass Chwostow und Beletski – denen er im Namen »der Dicke« und »Stepan« gegeben hatte – seine intimen Freunde seien und ihm alles verdankten.

Um den Staretz etwas zu zähmen und ihn zu veranlassen, etwas mehr in ihrem Sinne zu handeln, kam Beletski auf den Gedanken, ihm Ergänzungssummen zukommen zu lassen. Rasputin steckte alles ein, ohne an seinen Gewohnheiten etwas zu ändern. Für ihn selbst hatte das Geld gar keinen Wert. Darüber waren sich diese Politiker, die aus ihm ein folgsames Werkzeug machen wollten, nicht genügend klar.

In Anbetracht der Schwierigkeit, über Rasputin die Oberhand zu gewinnen, beschloss das Triumvirat, dem Staretz einen Mann an die Fersen zu hängen, der ihn bewachte, beobachtete, seine Gelage mitmachte und so Einfluss auf ihn gewinnen konnte. Chwostow sang also dem Zaren das Loblied Rasputins und erklärte, dass er einer Bande von verkommenen Leuten zum Opfer gefallen sei und dass es nötig sei, ihn vor ihrem Vorgehen zu schützen. Genau so stellte er die Dinge der Wyrubowa und damit, durch ihre Vermittlung, auch der Zarin dar: Der Rasputin war doch im Grunde ein braver und anständiger Kerl! Wenn es wirklich einmal vorkam, dass er irgend etwas Unrechtes tat und Ausschweifungen beging, so war das ja gar nicht seine Schuld. Die Schuld lag einzig und allein bei den bösen Freunden, die sich an seine Fersen hefteten. Er, Chwostow, und sein Beigeordneter, Beletski, hatten doch die Pflicht, über ihn zu wachen und ihn der kaiserlichen Familie zu erhalten.

In Zarskoje-Selo glaubte man in voller Naivität alles, was Chwostow sagte. Der Zar dankte ihm für das Interesse, das er der Persönlichkeit des Staretz entgegenbrachte, und billigte seinen Plan. So wurde ihm also der Gendarmerieoberst Komissarow attachiert, dem man einen Kredit, ein Auto und mehrere Beamte zur Verfügung stellte. Man ermächtigte ihn auch, seine Uniform auszuziehen und in Zivil zu gehen.

Komissarow war eine sehr markante Erscheinung. Er war gross und robust, hatte ein blühendes Gesicht, das von einem roten Bart eingerahmt wurde. Er trank unheimlich und war auf diesem Gebiete wenigstens dem Staretz gewachsen. Nächte auf Nächte konnte er vollkommen ohne Schlaf beim Festefeiern verbringen. In allen Restaurants und Nachtlokalen Petersburgs kannte man ihn. Seine Kühnheit und sein Auftreten waren unnachahmlich. Nach der ersten Revolution war er zum Hilfschef der Petersburger Ochrana ernannt worden. Auf diesem Posten hatte er Proben ausserordentlichen Unternehmungsgeistes abgelegt, als er die Terroristen bekämpfte, Tschernosotentsi-Gruppen organisierte, um eventuelle rote Aufruhre zu unterdrücken, und Appelle gegen die Juden veröffentlichte. Er war Hahn im Korbe bei den Damen der Halbwelt und hatte damals gerade den Punkt unter seine Karriere gesetzt, indem er die Frau seines Chefs mit all ihren Möbeln und sieben Hunden entführte. Von da an war er eine historische Persönlichkeit.

Komissarow stand bald mit Rasputin auf bestem Fuss. Mit Beletski war er seit längerer Zeit befreundet, und mit Chwostow verkehrte er alsbald in einem Tone fideler Subordination, der mit Kameradschaftlichkeit vermischt war und der durchaus dem eigenartigen Charakter der ihm anvertrauten Mission entsprach. Einmal warf er sich in Gala und erwartete die Wyrubowa am Bahnhof, und während er mit martialischer Miene auf sie zuging, stellte er sich in strammer Haltung in seiner neuen Funktion vor: Chef der Spezialgarde des Grigori Jefimowitsch. Die arme Annuschka, die auf ihren Krücken daherhinkte, war ganz erschrocken und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. »Was jagt der Mann einem für einen Schreck ein!« sagte sie, als er wieder fort war. »Warum macht er denn das?«

Bald sah man in den Moderestaurants rund um Petersburg Rasputin und seine Freunde nur noch in Begleitung Komissarows, der für diese Anlässe zum »General« avanciert war. Das gab der fidelen Gesellschaft eine Art von offiziellem Charakter. Am Eingang grüsste die Polizei den »General«, der mit Rasputin in einem Auto sass. Der Staretz, der glaubte, dass die Begrüssung ihm galt, war sehr geschmeichelt. Der Besitzer der »Villa Rodé«, des elegantesten Restaurants, das damals in Mode war, hielt stets ein Separatzimmer für den »General« zur Verfügung. Immer regelte Komissarow die Zeche, immer war er bemüht, den betrunkenen Staretz heil und gesund wieder zu Hause abzuliefern. Jeden Morgen vor zehn Uhr erschien er bei Rasputin und erkundigte sich nach seinem Befinden, lachte und scherzte mit ihm. Um zehn Uhr pünktlich ging das Telephon: das war die Wyrubowa, die den Staretz von Zarskoje-Selo aus anrief. Die Unterhaltung fand in Gegenwart des Komissarow statt, und wenn sie zu Ende war, diskutierten die beiden Männer über die erhaltenen Neuigkeiten. Dann empfing Rasputin seine Bittsteller. Komissarow erstattete Beletski Bericht, nachdem er noch seine Beamten befragt hatte, was sie über Rasputin, sein Haus und den Kreis um ihn beobachtet hatten. Dann begaben sich beide zu Chwostow.

In technischer Beziehung war dieser ganze Ueberwachungsdienst wirklich vollkommen. Beletski knickerte darin nicht. Ausserdem hatten der Chef der Ochrana und Komissarow genügend Erfahrung, um zu wissen, dass darin eine wesentliche Bedingung für den Erfolg lag. Nicht einen Augenblick war Rasputin ohne Bewachung. Man darf es daher für Geschwätz halten, wenn man sich erzählte, dass deutsche Spione bis in die Wohnung Rasputins vorgedrungen seien und dort an Ort und Stelle sich diejenigen Auskünfte geholt hätten, die sie benötigten.

Um Komissarow noch mehr Wichtigkeit in Rasputins Augen zu geben, beauftragte man ihn, ihm alle Monate die Summe auszuzahlen, die der Innenminister für den Staretz auszuwerfen beschlossen hatte. Die Zusammenkünfte zwischen Chwostow und dem Staretz fanden von nun an in einer Wohnung statt, die Komissarow gemietet hatte und in der er statt Hausangestellte einen seiner Beamten und seine Frau untergebracht hatte. Hier versuchten der Minister und sein Adjunkt nach einem guten Diner bei einer Flasche alten Weins noch gerissener zu sein als der gerissene Staretz und ihn dazu zu bringen, in Zarskoje-Selo diejenigen Ratschläge zu geben, die ihren ehrgeizigen Interessen entsprachen. Seine Menschenkenntnis, die Warnungen anderer Freunde und ein geheimer Instinkt sagten dem Staretz aber, dass er auf der Hut sein müsse und dass er den Reden, die man ihm hier in diesem luxuriösen Zimmer mit seinen vergoldeten Möbeln und roten Seidenportieren hielt, nicht allzuviel Glauben beilegen dürfe. Wenn der Minister fort war und Rasputin mit Komissarow allein gelassen hatte, unterhielten sich diese beiden Männer noch beim Madeira wie zwei Kameraden. Der Offizier bemühte sich dann, den Staretz noch für diejenigen Punkte zu gewinnen, mit denen der Minister keinen Erfolg gehabt hatte.

Chwostow hatte noch eine zweite Methode, das Terrain in Zarskoje-Selo vorbereiten zu lassen, wenn er dem Zaren einen Bericht zu halten hatte: er wirkte durch Beletskis Vermittlung auf die Wyrubowa ein. In dieser Zeit wurde die Wohnung der Wyrubowa sozusagen das offizielle Büro der Zarin. Und in diesem Büro wurden ausserordentlich interessante Aufklärungen gegeben, die zum grossen Teil falsch und von Beletski je nach dem Bedürfnis der Stunde zurechtfabriziert waren. Beletski diktierte der Annuschka, was sie der Zarin vortragen und suggerieren sollte. Manchmal waren das richtige kleine Abhandlungen, aber meistenteils liess er sie nur einfach die verschiedenen Punkte notieren, die sie der Zarin übermitteln sollte. So war die Wyrubowa wunderbar darauf abgerichtet, ohne es zu wissen, Helfershelferin der beiden Leiter des Innenministeriums zu spielen. Ausserdem fand sie zweifellos Geschmack an all diesen politischen Fragen, die man vor ihr aufrollte und in die so viel Geklatsch über alle interessanten Persönlichkeiten hineingemischt war, selbst über die Mitglieder der Dynastie. Der geschickte Beletski verstand es wunderbar, das herauszufinden, was die Zarin interessieren musste und der Wyrubowa gefiel.

Nachdem Annuschka fast zehn Jahre lang bei der Zarin das Sprachrohr des »heiligen Staretz« gewesen war, wurde sie jetzt die politische Repräsentantin Chwostows. Als man ihr einmal den Giftstoff der politischen Intrige eingeimpft hatte, machte sie auf diesem Gebiete immer weitere Fortschritte. Diejenigen, die Annuschka Wyrubowa für einen naiven Dummkopf halten, verkennen sie. Ihre Lebensperiode zwischen 1906 und 1916 beweist, dass man ein solches Urteil in vieler Hinsicht richtigstellen muss.

Chwostow und Beletski hatten aber noch eine dritte Methode, auf die kaiserliche Autorität zu drücken: durch Goremykin. Der Premierminister hatte die Gewohnheit, seine Berichte der Zarin vorzulegen, sobald Nikolaus II. abwesend war, und man muss sagen, dass es ihm damals am ersten gelang, in Alexandra Feodorowna den Wunsch wachzurufen, sich in die Staatsgeschäfte zu mischen. Soweit es sich um Goremykin handelte, hatte Andronikow die Aufgabe, das Terrain für Chwostow vorzubreiten. Schon Andronikow, dessen wirkliche Rolle und dunkler Einfluss von so vielen Historikern nicht richtig erkannt wird, war es gewesen, der Goremykin überredet hatte, Chwostows Kandidatur beim Zaren zu unterstützen. Und letzten Endes war beim Zaren weniger die Empfehlung Alexandra Feodorownas ausschlaggebend gewesen, als vielmehr die Bestätigung Goremykins, dass Chwostow ein brauchbarer Minister sein würde.

Einmal bewilligte Goremykin dem Staretz auf dessen Bitte eine Audienz. Man hatte Rasputin gebeten, sich mit Goremykin zu unterhalten. Andronikow schildert uns, wie sich diese Zusammenkunft abspielte:

»Wir traten beide ein, Rasputin und ich. Goremykin bat ihn, Platz zu nehmen.

›Nun Grigori Jefimowitsch, was haben Sie mir zu sagen?‹

Ohne zu antworten, liess Rasputin seinen Blick auf ihm ruhen. Goremykin fuhr fort:

›Ich habe keine Angst vor Ihrem Blick. Sprechen Sie. Worum handelt es sich?‹

Rasputin fing an, ihm auf die Schenkel zu klopfen und sagte:

›Greis Gottes, antworte mir! Sagst du dem Zaren die volle Wahrheit?‹

Der Premierminister, der sich nicht genug darüber wundern konnte, warf mir einen fragenden Blick zu und antwortete:

›Ja, alles, wonach man mich fragt, sage ich.‹

Rasputin sprach jetzt von der Notwendigkeit, Getreide aus Sibirien heranzuschaffen, von der Bereitstellung der Eisenbahnen und von der Schwierigkeit der Lebensmittelversorgung. Goremykin war sehr verwundert und sah ihn skeptisch an. Sie musterten sich beide mit einem Blick, der deutlich zeigte, dass sie nicht zufrieden miteinander waren. Schliesslich sagte Rasputin:

›Nun, Greis Gottes, für heute genug!‹ …«

Rasputin machte sich damals tatsächlich über die Fragen der Lebensmittelversorgung viel Kopfzerbrechen. Am 9. Oktober hatte er über dieses Thema eine Unterredung mit der Zarin, die über zwei Stunden dauerte, und worüber die Zarin schon am nächsten Tag ihrem Gatten ausführlich berichtete.

Das war das Spinnennetz, das der Innenminister und seine rechte Hand um Zarskoje-Selo spannten. Chwostow präsentierte dem Zaren seine Projekte immer erst, nachdem er das Terrain bei ihm auf diesen drei Wegen vorbereitet hatte.

 

Wenn Chwostow und Beletski sich auch noch so bemühten, den Staretz für ihr politisches Intrigenspiel zu gewinnen, so hinderte er sie andererseits doch erheblich. Beletski begriff sehr gut, dass der Staretz früher oder später das ganze Spiel durchschauen und dann ihr grösster Feind werden würde. Deshalb kam den beiden Männern der Gedanke, dass sie Rasputin zu einer Pilgerfahrt nach den heiligen Klöstern überreden wollten. Man rief den Prior des Klosters Tiumen, Martian, den Freund Rasputins, nach Petersburg und gab ihm zu verstehen, dass er sich zusammen mit Warnawa bemühen sollte, den Staretz zu einer solchen Pilgerfahrt von längerer Dauer zu bestimmen. Als Belohnung dafür versprach man ihm seine Ernennung zum Archimandriten. Er und Warnawa bekamen eine stattliche Summe Geld. Die beiden Prälaten machten sich an die Arbeit. Man setzte zunächst der Wyrubowa auseinander, es sei unerlässlich, dass Rasputin sich auf einige Zeit entferne. Chwostow erklärte dem Zaren, dass diese Pilgerfahrt in den Augen der russischen Gesellschaft ein Beweis für die Entfachung der religiösen Gefühle des Staretz sein würde und einen Meinungsumschwung zu seinen Gunsten herbeiführen müsse.

Der Zar dankte Chwostow für das Interesse, das er an Rasputin nahm. Aber Rasputin, dieser Schlaumeier, sagte zu dieser Pilgerfahrt weder ja noch nein. Er fühlte, dass hinter diesen dringenden Ratschlägen seiner neuen Freunde irgendetwas steckte, was ihm verdächtig vorkommen wollte. Auch die Wyrubowa verhielt sich diplomatisch.

Die Situation in diesem Augenblick war sehr delikat. Auf formelle Bitte von Chwostow wurden zwei Beschwerden gegen Rasputin von Tobolsk nach Petersburg abgegeben. Die eine betraf den Skandal auf dem Dampfer, der Grigori nach Pokrowskoje gebracht hatte; die andere war ausgegangen von der Polizeidirektion und bezog sich auf »unziemliche Ausdrücke im Zustand der Trunkenheit über die Zarin und ihre erlauchten Töchter«.

Mit diesen beiden Anklagen, denen sie im Augenblick offiziell noch nicht stattgaben, glaubten Chwostow und Beletski den Staretz an die Kandare zu nehmen. Aber der Staretz war noch schlauer als sie. Er tat so, als sei er mit der Reise einverstanden. Chwostow war entzückt und erklärte ihm sofort, dass er alle Unkosten der Reise übernehme, und dass er das Geld an den Reverend Pater Martian auszahlen werde. Im Laufe der Verhandlungen mit Martian, die der Innenminister persönlich führte, gab Chwostow dem Reverend den Auftrag, den Staretz nach Wologda zu führen und dort in systematischen Trinkgelagen zu ersticken. Und wenn sie wieder im Zuge sässen, sollte er mit ihm auf die Plattform des Wagens gehen und ihn dann mit Hilfe eines Rippenstosses unter die Räder fallen lassen …

Anfangs sagte Chwostow seinem Mitarbeiter Beletski nichts von diesem Projekt. Bei einer Zusammenkunft, die bei Andronikow stattfand, merkte Beletski aber, dass Chwostow und Martian ihm etwas verheimlichten. Als der Innenminister gegangen war, liess Beletski den Pater Martian den Getränken tüchtig zusprechen, tat so, als ob er schon vollkommen im Bilde sei und erfuhr auf diese Weise von dem geplanten Mordanschlag.

Als Beletski am nächsten Tage bei Chwostow vorgelassen wurde, stürzte er auf den Minister zu, schloss ihn in seine Arme und warf ihm mit Tränen in den Augen vor, dass er dieses im Interesse des Vaterlandes liegende Projekt vor ihm geheimgehalten habe.

»Ich begriff damals«, hat Chwostow selbst später gesagt, »dass Stepan stärker gewesen war als ich und dass er bereits alles wusste. Ich musste ihm also alles erzählen. Es ging nicht anders.«

Man zahlte Rasputin fünftausend Rubel, ausserdem dreitausend Rubel an den Steward aus Tobolsk, der die Klage wegen des Dampferskandals eingereicht hatte und dem der Mund gestopft werden musste. Was die zweite Anklage betraf, die Anzeige der Gendarmen wegen der beleidigenden Ausdrücke gegen die Zarin und ihre Kinder, so nahm Beletski persönlich den Aktendeckel an sich und übergab ihn der Wyrubowa mit dem Bemerken, sie solle damit machen, was sie für gut halte. Auf diese Weise unterdrückten der Innenminister und sein Beigeordneter für Polizeisachen nicht nur das Verfahren, sondern sie vernichteten sogar noch alle Originaldokumente, auf denen die Anzeige beruhte. Und schliesslich gelang es Chwostow, beim Zaren durchzusetzen, dass ein gewisser Ordowski-Tanewski, Direktor der Finanzkammer in Perm, den Rasputin protegierte, zum Gouverneur von Tobolsk ernannt wurde.

Als alle diese Wünsche des Staretz erfüllt waren, erklärte Rasputin glatt heraus, dass er nicht daran denke, die Klöster aufzusuchen. Er sagte das in einer so kategorischen Form, dass niemand den Mut fand, ihm zu widersprechen; denn das hätte nur dazu geführt, seinen Zorn zu entfachen …

Eines Tages bekam der Staretz den Auftrag, die Bekanntschaft des Justizministers Alexander Chwostow zu machen und zu prüfen, ob er geneigt sei, Goremykin zu ersetzen. Da die Prüfung nicht günstig ausfiel, wurde die Kandidatur des Justizministers abgelehnt. Trotz aller unsichtbaren und systematischen Arbeit und trotz des Wohlwollens, das der Zar dem Alexei Chwostow, dem Innenminister, entgegenbrachte, konnte der Staretz es doch verhindern, dass der Innenminister zum Nachfolger Goremykins, dessen Posten seine geheime Sehnsucht war, berufen wurde. Andererseits half der Staretz dem Innenminister, den Finanzminister Bark zu stürzen und den Grafen Tatischtschew aus Moskau an seine Stelle zu setzen.

In den politischen und in den geschäftlichen Kreisen, aber auch ganz allgemein in den rein gesellschaftlichen Kreisen der beiden Hauptstädte kannte man Rasputins Einfluss und die Stellung, die er im Staat einnahm. Und jetzt bewarben sich durchaus seriöse Menschen darum, seine Bekanntschaft zu machen. Sogar der General Mossolow, der Chef der Kanzlei des Hofministeriums, der in Wirklichkeit die Minister dirigierte, hielt es für nützlich, mit dem Staretz in Beziehungen zu treten. Und am Hofe erfreute sich Rasputin einer grösseren Autorität denn je. Alexandra Feodorowna glaubte an ihn wie an Gott. Diesen Glauben befestigte der Staretz noch mehr, als es ihm wieder einmal gelungen war, den Zarewitsch aus einer Lebensgefahr zu retten.

Am 24. November war der Zar wieder aus Zarskoje-Selo nach dem Hauptquartier abgereist. Er hatte den Thronerben mitgenommen, wie er es sich in letzter Zeit angewöhnt hatte. Rasputin hatte ihm abgeraten, dieses Mal den Zarewitsch mitzunehmen, aber der Zar hatte nicht darauf gehört. Das hatte sogar Anlass zu einer kleinen Verstimmung zwischen ihm und der Zarin gegeben. Am 3. Dezember verliess er Mogilew mit seinem Sohn, um sich nach dem Süden zu begeben. An diesem Tage hatte der Zarewitsch am Morgen Nasenbluten bekommen, noch bevor der Zug abfuhr. Am Abend verschlimmerte sich die Blutung, und die Temperatur des Kranken stieg. Auf Anraten der Aerzte kehrte der Zar nach Mogilew zurück und bat die Zarin telegraphisch, zu ihm ins Hauptquartier zu kommen. Sie antwortete sofort und sagte in der Depesche unter anderen Dingen:

»Beunruhige dich nicht. Unser Freund sagt, dass das nur durch Ermüdung kommt und rasch wieder nachlässt … Ich weiss, dass keine Gefahr ist, aber ich bin doch unruhig …«

Am 4. Dezember hatte sich der Zustand des Zarewitsch verschlimmert, und der Zar reiste mit ihm nach Zarskoje-Selo. Der Kranke wurde zusehends schwächer. Die Blutung verschlimmerte sich. Im Laufe der Nacht wurde der Zarewitsch mehrere Male ohnmächtig. Gegen Morgen liess die Blutung etwas nach. Um elf Uhr kam der Zug in Zarskoje-Selo an. Mit allergrösster Vorsicht transportierte man das Kind ins Palais. Was daraufhin geschah, erzählt uns die Wyrubowa mit folgenden Worten:

»Ich sah ihn ausgestreckt im Kinderzimmer liegen. Sein armes kleines Gesicht war bleich wie Wachs, und in den Nasenlöchern steckten blutgetränkte Wattebausche. Der Professor Fedorow und der Doktor Derewenko bemühten sich um ihn, aber das Blut floss immer noch weiter. Fedorow sagte mir, dass er einen allerletzten Versuch machen wolle, ich glaube mit einer Meerschweinchendrüse. Die Zarin kniete voller Verzweiflung neben dem Bett und überlegte, was man noch tun könne. Als ich wieder zu Hause war, erhielt ich von ihr eine Nachricht, in der sie mir auftrug, den Grigori Jefimowitsch kommen zu lassen. Die Eltern führten ihn sogleich an das Krankenbett. Nach dem, was sie mir erzählt haben, trat er an das Bett, segnete den Zarewitsch und sagte, es sei nichts Ernstes und sie sollten ohne Sorge sein. Dann wandte er sich ab und ging. Die Blutung hörte auf … Die Aerzte sagten, dass sie nicht die leiseste Ahnung davon hätten, wie das möglich sei. Aber die Tatsache war da.«

Ja, die Tatsache war da. Die Zarin schrieb diesen unerwarteten Umschwung ausschliesslich den Gebeten des Staretz zu.

In diesem unbegrenzten Glauben dieser unglücklichen Mutter, die selbst krank war und jede Sekunde um das Leben ihres einzigen, geliebten Sohnes zitterte, beruht allein die ganze Macht Rasputins.

 

Rasputin, der heilige Mann von Zarskoje-Selo, war in Petersburg ein lustiger Teufel, besonders wenn er wusste, dass man im Palast keine Zeit für ihn hatte.

Am 12. Dezember reiste der Zar wieder ins Hauptquartier ab, und am nächsten Tage kam die Grossfürstin Elisaweta Feodorowna, die Schwester der Zarin, nach Zarskoje-Selo. Sie war eine Feindin des Staretz, und da Rasputin infolgedessen genau wusste, dass man ihn nicht in den Palast beordern würde, solange sie da war, benutzte er die Gelegenheit, durchzubrennen.

Er verbrachte also zunächst am 13. Dezember einen vergnügten Abend bei einer seiner Freundinnen, und gegen drei Uhr nachts ging er von dort mit einer anderen Dame in die »Villa Rodé«. Das Restaurant war geschlossen. Der Staretz war betrunken; er trat mit den Füssen gegen die Tür und zerbrach die Glocke, schenkte einem Polizeibeamten fünf Rubel, damit er ihn nicht in seinem Treiben störte. Nachdem er genug zwecklosen Spektakel gemacht hatte, begab er sich mit seiner Begleiterin zu den Zigeunerinnen ins »Neue Dorf«, wo sie tranken und sich bis zum Morgen amüsierten. Erst gegen Mittag ging er nach Hause und kugelte sich ins Bett. Abends ging er zur Wyrubowa. Am 15. Dezember ass er mit dem Metropoliten Pitirim zu Mittag, und am Abend ging er mit einem Freunde und zwei Damen in die »Villa Rodé«, wo sie bis zum Morgen feierten.

Und was schreibt die Zarin an diesem Morgen an ihren Gatten im Vertrauen auf das, was ihr soeben die Wyrubowa erzählt hat? »Unser Freund hat noch weiter gebetet und hat Dich aus der Ferne gesegnet. Ania war gestern bei dem Metropoliten. Unser Freund auch. Sie haben sich gut unterhalten, und er hat beide zum Mittagessen dabehalten. Grigori sass auf dem Ehrenplatz. Der Metropolit hat eine auffallende Verehrung für Grigori an den Tag gelegt, und alle Worte Grigoris haben einen grossen Eindruck auf ihn gemacht.«

Am 19. Dezember vergnügte sich Rasputin mit Freunden bis sechs Uhr morgens. Am 20. feierte er nochmals bei Freunden mit dem Sekretär des Metropoliten, Ossipenko. Man liess aus der »Villa Rodé« Wein und Sakuskis und einen Zigeunerinnenchor kommen, und das Fest dauerte bis in den hellen Tag hinein. Rasputin tanzte. Gegen sieben Uhr morgens brachten zwei Freunde den Staretz betrunken in seine Wohnung, wo er den ganzen 21. Dezember hindurch seinen Rausch ausschlafen musste.

Am 22. Dezember schrieb die Zarin, wieder im Vertrauen auf das, was sie im Laufe einer Unterhaltung von der Wyrubowa gehört hatte, an ihren Gatten:

»Unser Freund hört nicht auf, zu beten und an den Krieg zu denken. Er bittet uns, ihn immer gleich wissen zu lassen, wenn sich etwas Besonderes ereignet.«


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