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Wenn ein Minister mit Mordplänen umgeht

Das Jahr 1916, das Rasputins letztes Lebensjahr werden sollte, begann für ihn sehr heiter.

Am 1. Januar liess er die Wyrubowa von Zarskoje-Selo kommen, obgleich sie sich nicht recht wohl fühlte. Am Abend erschienen Gäste, die erst um 4 Uhr morgens fortgingen. Der Staretz hatte an diesem Abend mehr getrunken, als gut war, und fuhr dann den ganzen Monat Januar fort, seine Feste zu feiern. Während der ersten Woche wurde er überhaupt nicht nüchtern, aber trotzdem schrieb die Zarin am 6. Januar an ihren Gatten nach einer Unterhaltung mit der Wyrubowa:

»Er hört nicht auf, zu beten und sich die Frage vorzulegen, wann man die Offensive, ohne sinnlos Menschen opfern zu müssen, beginnen kann.«

Am 9. Januar besuchte er die Wyrubowa, die krank geworden war.

Am 10. Januar war sein Namenstag. Morgens ging er, immer von Polizeibeamten begleitet, in die Kirche. Dort betete er lange und mit Inbrunst. Als er zurückkam, fand er Komissarow in seiner Wohnung vor. Der überbrachte ihm seine Glückwünsche, presste ihn in seine Arme und überbrachte ihm von Chwostow und Beletski, nicht nur für ihn, sondern auch für seine Familie, kostbare Geschenke. Silbersachen, eine Brosche, eine goldene Uhr, zwei Armbänder und eine Summe Geld. Rasputin war auf so viel Freigebigkeit gar nicht gefasst gewesen und zeigte sich sehr befriedigt.

Es kam auch ein Telegramm aus dem kaiserlichen Palast: die Zarin übermittelte ihm ihre und ihrer Familie Wünsche. Der Staretz konnte sich kaum vor Freude halten und telegraphierte sofort zurück:

»Bin unaussprechlich glücklich. Das göttliche Licht leuchtet über euch; fürchten wir uns nicht vor dem Nichts!«

Obgleich die Wyrubowa noch krank war, stand sie auf, um ihn telephonisch anzurufen: sie bedauerte, dass sie nicht persönlich kommen und ihm ihre Glückwünsche in seiner Wohnung darbringen konnte. Damit war Rasputin unzufrieden, und er forderte von ihr, dass sie zu ihm nach Petersburg komme. Aber sie gehorchte ihm nicht.

Inzwischen strömten weitere Geschenke ins Haus. Möbel, Bilder, Teppiche, Silbersachen, Haushaltgegenstände, Blumenkörbe, Kisten mit Wein, Kuchen, Pasteten, Torten füllten die Wohnung. Telegramme und Briefe kamen paketweise. Und daneben ein ununterbrochenes Kommen und Gehen von Menschen aller Klassen, die ihre Wünsche brachten, aber zahlreich waren auch die, die ihm Geld und wertvolle Geschenke überreichten.

Seine Freunde sassen im Esszimmer, wo man seit Mittag um einen reichgedeckten Tisch herum feierte. Immer neue Flaschen wurden aufgetragen. Gegen Abend fiel der Held des Festes unter den Tisch. Man musste ihn in sein Schlafzimmer tragen, wo er einige Zeit in tiefem Schlaf lag.

Zum Abendessen schickte der Wirt eines grossen Restaurants ein grosses Souper. Hierzu wurden nur die intimen Freunde eingeladen, und das Essen nahm bald die Form eines richtigen Trinkgelages an. Ein Zigeunerinnenchor erschien und sang zu Ehren des Staretz. Man tanzte. Männer und Frauen tranken immer weiter, und das Fest artete jetzt in eine Orgie aus. Die Zigeunerinnen hatten sich schon aus dem Staube gemacht, während einige Damen bei Grigori blieben. Am Morgen erschienen die Ehemänner. Die Geschichte sah schlimm aus, und Polizeibeamte mussten den Frauen erst helfen, sich rasch und heimlich davonzustehlen, während ihre Kameraden den eifersüchtigen Männern versicherten, dass ihre Frauen am Abend vorher nach Hause zurückgekehrt seien. Als die lockeren Vögel davongeflogen waren, liess man die Männer eintreten, damit sie mit eigenen Augen feststellen konnten, dass ihre Frauen nicht in der Wohnung waren.

Als Rasputin am nächsten Tage wieder bei Verstand war, schickte er der Wyrubowa eine Flasche Madeira, Blumen und Früchte. Er hatte Angst, dass die Ehegatten wiederkommen und Skandal machen könnten. Er bat auch, man möge der Wyrubowa nichts von der Orgie sagen, während man sie gegenüber der Zarin als harmloses Familienfest darstellte. Und Alexandra Feodorowna schrieb an ihren Mann:

siehe Bildunterschrift

Rasputin vor dem Haus seiner Freunde in Petersburg.

»Wenn Du meine kleine Flasche erhältst, so glaube nicht etwa, dass ich den Verstand verloren habe. Unser Freund hat an A. A. Wyrubowa Wein geschickt, der auf dem Tisch stand, als er seinen Namenstag feierte, und wir haben alle einen Schluck davon genommen. Ich habe dies für Dich aufbewahrt und schicke es Dir. Ich habe das nur, um Ihm einen Gefallen zu tun, hinuntergeschluckt (wie eine Medizin); tue dasselbe, ich bitte Dich. Trinke ein Glas auf Seine Gesundheit, wie wir. Das Maiglöckchen und das Stück Kruste sind ebenfalls von Ihm in Deinem Interesse geschickt … Es scheint, dass sehr viele Leute bei Ihm waren und dass er ausgezeichnet war …«

Nach dem Namenstag ging das Leben in Saus und Braus weiter. Rasputin prasste bald mit Freunden, bald mit Bankiers, die sich seiner bei ihren geschäftlichen Transaktionen bedienen wollten, bald mit Kumpanen, die Beletski ihm aufhalste, um zu verhindern, dass er allzuviel mit unerwünschten Leuten zusammenkam. In diesen Fällen kam es nur darauf an, den Staretz möglichst viel zum Trinken zu bringen, sowie Chwostow es schon anlässlich der geplanten Pilgerfahrt vorgesehen hatte.

Tatsächlich hat der Staretz nie so viel und so methodisch getrunken, nie ein so liederliches, verkommenes Leben geführt wie in jener Zeit, als er unter dem offiziellen Schutz von Chwostow, Beletski und Komissarow stand.

Mehr und mehr traf man ihn jetzt in der Gesellschaft von Ossipenko, dem Sekretär des Metropoliten Pitirim, und von Iwan Fedorowitsch Manassewitsch-Manuilow. Dieser letztere war ein dunkelhaariger Mann semitischen Typs, den jedermann aus der Petersburger Gesellschaft kannte. Er war immer tadellos rasiert, diskret gepudert und parfümiert, geschniegelt und gestriegelt, trug Anzüge aus englischem Stoff, tadellose Wäsche, aussergewöhnliche Krawatten und hatte schöne Manieren und eine einschmeichelnde Stimme. Er hatte viele Jahre im Polizeidepartement gedient und war nun pensioniert. Er liebte hübsche Sachen, sammelte Mahagonimöbel, Uhren, russisches Porzellan und machte schönen Frauen den Hof. Er hatte selbst eine junge, scharmante Frau, die sehr schön und intelligent war, lebte aber mit einer anderen zusammen, die nicht weniger intelligent und gepflegt war. Ausserdem hielt er sich noch eine leichtlebige Sängerin. Dabei stand er mit allen dreien gleichzeitig auf ausgezeichnetem Fuss.

Für gewisse politische Missionen war er unersetzlich. Man hatte dem Zaren von ihm erzählt, nachdem es ihm mitten im russisch-japanischen Krieg gelungen war, sich die Geheimchiffren gewisser Auslandsmächte zu beschaffen. Er unterhielt zu gleicher Zeit ausgezeichnete Beziehungen zu Beletski, zu dem Chef der geheimen Sicherheitspolizei in Zarskoje-Selo und zu dem Revolutionär Burtsew. Er war ein grosser Patriot und Francophile. Er begeisterte sich für alles, was französisch war, und träumte davon, dereinst in Paris zu leben.

Noch vor dem Winter 1915 war Manassewitsch-Manuilow ein grosser Gegner Rasputins. Er sah und erkannte, dass der Staretz für den Zaren und den Staat ein grosser Schädling war. Er liebte den Zaren und war einer von den wenigen, die ihm und seiner Familie nach der Revolution treu blieben, trug er doch persönlich dazu bei, dass der kaiserlichen Familie in Tobolsk Geld und Briefe zugingen. Im Jahre 1918 wurde er als französischer Agent füsiliert, als er über die finnländische Grenze zu fliehen versuchte.

Im Winter 1915/16 trat er in Beziehungen zu Rasputin und Ossipenko und schloss mit ihnen Freundschaft. Auch Annuschkas Bekanntschaft machte er.

Manuilow hatte ausgezeichnete Verbindungen. Seit langer Zeit stand er in Beziehungen zu B. V. Stürmer, dem Mitglied des Reichsrats. Als er hörte, dass man in Zarskoje-Selo mit der Absicht umging, den Premierminister Goremykin zu entlassen, und dafür einen neuen Kandidaten suchte, beschloss er, Stürmer ernennen zu lassen. Andronikow hatte doch schon einmal guten Erfolg gehabt mit der Ernennung Chwostows zum Innenminister: Sollte er also noch einmal zeigen, was er konnte! Sein Schützling hatte nach seiner Meinung grosse Erfahrung in Verwaltungsdingen und stand auch in dem Ruf eines ausserordentlich intelligenten, energischen und geschickten Beamten.

Seit 1914 hatte Stürmer den einzigen rechtspolitischen Salon in Petersburg unterhalten. Einmal in der Woche versammelten sich bei ihm eine Reihe der bekanntesten Mitglieder des Reichsrats und des Senats. Im Laufe dieser Zusammenkünfte besprach man alle politischen Fragen, die gerade auf der Tagesordnung standen, und die Ansichten, die der Salon für richtig befand, hatten sehr viel Gewicht in den hohen Regierungskreisen. Auch Goremykin unterhielt gute Beziehungen mit Stürmer. Als Würdenträger des kaiserlichen Hofs hatte Stürmer übrigens auch Verbindung mit dem Zarenpalais. Der Hofminister wurde über die Tätigkeit seines politischen Salons auf dem laufenden gehalten. So waren denn alle Freunde Stürmers der Meinung, dass er durchaus dafür bestimmt war, diesen Posten als Premierminister einzunehmen.

Manuilow ging an die Arbeit. Er empfahl ihn warm bei Rasputin, bei der Wyrubowa und beim Metropoliten Pitirim. Bei jedem dieser drei Personen wusste er die richtigen Argumente für seinen Schützling zu finden. In gleicher Weise liess Manuilow durch Rasputin auf den Zaren drücken. Er stellte seinen Schützling dem Staretz vor. Stürmer wusste Grigori zu gefallen, und da dieser in ihm einen zukünftigen Freund sah, bei dem er wertvolle Unterstützung finden konnte, und da er ausserdem wusste, dass auch Chwostow sich um den Posten bewarb, dessen Kandidatur er auf jeden Fall durchkreuzen wollte, war er durchaus bereit, diese Kandidatur Stürmer zu begünstigen.

Rasputin und die Wyrubowa begannen nun, die Zarin zu beeinflussen. Diese empfahl Stürmer alsbald ihrem Gatten. Von anderer Seite her kam dann die Empfehlung des Metropoliten Pitirim, den der Zar am 13. Januar im Hauptquartier empfing und der dem Zaren auch zu Stürmer riet.

Der Zar kannte Stürmer seit langer Zeit. Er hielt die Kandidatur für gut und ernannte Stürmer am 20. Januar zum Premierminister.

Am nächsten Tage begab sich der neuerwählte Präsident des Ministerrats zu der Schauspielerin, die sich Manuilow als Mätresse hielt. Dort traf er Manassewitsch-Manuilow und Rasputin, dem er unter Umarmungen seinen wärmsten Dank dafür aussprach, dass er ihm bei der Erlangung seines Postens geholfen hatte.

Rasch sprach es sich in den politischen und besonders auch in den gesellschaftlichen Kreisen herum, dass Rasputin bei der Ernennung Stürmers seine Hand im Spiel gehabt habe. Das genügte, um Stürmer unbeliebt zu machen. Man beklagte sich über ihn, dann begann man ihn zu verleumden und zu beschuldigen, er sei ein Deutscher, ein Anhänger des Separatfriedens, ein Mitglied der »deutschen Partei« am Hofe, die aber, in Klammern bemerkt, gar nicht existierte.

 

Vor der Ernennung Stürmers hatte Chwostow im Laufe des Winters 1915/16 den Zeitpunkt für gegeben gehalten, sich um den Posten Goremykins zu bewerben. Rasputins Freundschaft schien ihm dafür nicht nützlich zu sein. Im Gegenteil glaubte er sogar, dass es ihn vor der öffentlichen Meinung und vor der Duma kompromittieren könne, wenn man, was immerhin möglich sein konnte, erfuhr, dass er wirkungsvolle Verbindungen mit dem Staretz unterhielt. So tauchte denn damals schon zum zweiten Male die Idee in seinem Kopf auf, sich des Staretz durch Ermordung zu entledigen. Dieses Mal weihte er Beletski ein, kleidete dabei seine Absichten in politische Erwägungen und schlug Beletski vor, gemeinsam mit Komissarow die Ermordung zu organisieren. Der Oberst Komissarow aber erklärte rundweg, dass er es ablehnen müsse, einen Mann ermorden zu lassen, der seinem Schutz anvertraut worden sei. Er hatte Chwostow allmählich kennengelernt und wusste, was für einen Zynismus der Innenminister auf politischem Gebiet aufbringen konnte; er begriff auch recht gut, dass ihn nur persönliches Interesse und nicht etwa Patriotismus trieb. Sicher wollte Chwostow in den Augen der Oeffentlichkeit gross dastehen, während er die ganze Verantwortlichkeit für den Mord auf ihn, Komissarow, und auf Beletski abwälzte. Beletski und Komissarow prüften die Frage unter allen Gesichtspunkten und kamen dahin überein, dass sie auf keinen Fall den Mord zur Durchführung kommen lassen wollten. Um jedoch hinter Chwostows Pläne zu kommen, mussten sie diesem gegenüber so tun, als ob sie einverstanden seien, und mit Scheinvorbereitungen beginnen.

Beletski teilte nun also Chwostow mit, dass Komissarow mit ihnen einig sei, und die drei Männer traten zusammen, um die Einzelheiten der Durchführung zu beraten.

»Man prüfte die Frage sehr lange«, schreibt Beletski. »Endlich schlug A. N. Chwostow folgenden Weg vor. Nach Ergreifung der notwendigen Vorsichtsmassnahmen wollte man ein Auto zum Staretz senden, das ihn angeblich zu einer Dame bringen sollte. In einem schmalen Gässchen sollte das Auto seine Fahrt verlangsamen. Die Leute Komissarows, die sich vorher die Gesichter durch Schminken entstellt hatten, sollten auf den Wagen springen, dem Staretz einen Knebel in den Hals stecken, um ihn am Schreien zu verhindern, und ihn dann mit einer Schnur erwürgen. Sobald er sich nicht mehr rührte, sollten sie seine Leiche auf eine der Newa-Inseln fahren, dort ein Loch in das Eis hacken und sie ins Wasser werfen. Oder, was noch vorzuziehen war, sie sollten sie ans Meeresufer bringen und dort mit einem Stein um den Hals im Schnee verscharren, damit sie bei Tauwetter im Meere verschwände.«

Diesen Plan beschloss man zur Ausführung zu bringen. Beletski und Komissarow zogen die Sache allerdings in die Länge, und Chwostow wurde ungeduldig. Beletski erhielt eines Tages den Besuch von zwei Abgeordneten der Duma, Markow und Samyslowski. Markow brachte das Gespräch auf die Möglichkeiten, sich Rasputins zu entledigen, und sprach hierbei, wie er behauptete, mit voller Zustimmung des Innenministers. Er und sein Kollege fügten noch hinzu, dass nach Chwostows Meinung alles von Beletski abhänge. Da Beletski irgendwelche Perfidie seitens des Innenministers befürchtete, gab er nur ausweichende Antworten.

Ein anderes Mal machte der Palastkommandant Wojekow dem Beletski gegenüber eine ziemlich klare Anspielung auf die Ermordung des Staretz, wobei er allerdings diesen Ausdruck vermied und nur von der Beendigung der Aktivität des Staretz sprach.

Und schliesslich empfing Beletski noch den Besuch von Andrei Schirnski-Schachmatow, eines Mitglieds des Reichsrats, der von Chwostow geschickt war und mit ihm über die Ermordung Rasputins sprach. Beletski gab ihm gegenüber offen zu, das er kein Vertrauen zum Innenminister habe, und sagte ihm auch, wozu Komissarow und er sich entschlossen hätten.

Da der Innenminister argwöhnte, dass Beletski ihn hinterging, unterhielt er sich jetzt nur noch direkt mit Komissarow, unter Ausschluss Beletskis. Um Komissarow aufzumuntern, schlug er ihm eines Tages vor, dass er ihm zweihunderttausend Rubel für die Vorbereitung der Ermordung und für die Schadloshaltung der Polizeibeamten, die im voraus ihre Entlassung einreichen mussten, geben wolle. Komissarow wies das Geld zurück. Nach Beletskis Schilderung sagte er, dass, wenn er und seine Beamten diese Sache übernähmen, das nicht etwa des Geldes wegen geschähe; seine Beamten würden sich durch ein solches Angebot sogar verletzt fühlen.

Kurz vor Weihnachten machte Beletski dann, um die Sache noch weiter hinauszuschleppen, den Vorschlag, von dem bisherigen Projekt der Ermordung in einem Automobil Abstand zu nehmen und statt dessen lieber den Staretz durch Gift zu beseitigen. Chwostow war damit einverstanden, und Komissarow reiste daraufhin nach Saratow ab, wo er sich angeblich Gift besorgen wollte. Chwostow soll die Absicht gehabt haben, Rasputin eine Kiste mit vergiftetem Madeirawein mit dem Absender des Bankiers Rubinstein zu senden; aber Beletski lehnte diesen Vorschlag ab. Komissarow war inzwischen aus Saratow zurückgekommen, wo er ein paar eigene Angelegenheiten erledigt hatte. Er brachte mehrere Flaschen »Gift« mit, das aber vollkommen harmlos war. Mit dem Humor und der Lebendigkeit, die für ihn charakteristisch waren, erfand er eine Geschichte, die er dem Innenminister auftischte. Er hatte, wie er sagte, seine Gifte an Katzen ausprobiert, und die Wirkung sei ganz ausserordentlich gewesen: die Katzen hätten angefangen zu springen und hin und her zu laufen und sich untereinander zu zerreissen. Und der Minister, der sehr vergnügt darüber war, lachte wie ein Kind bei diesen Schilderungen.

In der Zwischenzeit wurden nun die Beziehungen zwischen dem Innenminister und Rasputin immer schlechter. Chwostow strebte unentwegt nach dem Posten des Premierministers, und Rasputin hatte sich seiner Kandidatur widersetzt. Die feindselige Einstellung des Ministers gegen den Staretz wuchs. In der Wohnung, wo die geheimen Zusammenkünfte stattfanden, herrschte nicht mehr die heitere Atmosphäre von Sorglosigkeit. Wenn sie jetzt zusammen am Tisch sassen, kam es vor, dass der Innenminister plötzlich aufstand und fortging, worüber der Staretz jedesmal sehr böse wurde.

Auch zwischen Beletski und dem Minister waren die Beziehungen sehr abgekühlt. Chwostow war der Auffassung, dass sein Adjunkt sich nicht mit genügender Wärme für seine Interessen einsetzte. Bei Komissarow drängte er darauf hin, dass die Ermordung Rasputins nun bald vor sich gehe. Als Komissarow ihm sagte, dass man die Dinge auf keinen Fall übers Knie brechen dürfe, ahnte der Minister, dass Komissarow mit Beletski unter einer Decke steckte, und beschloss, allein vorzugehen. Er liess mehrere Individuen aus der Provinz kommen, die er gut kannte und deren Ruf ungefähr der Mission entsprach, die er ihnen anvertrauen wollte. Ausserdem liess er Beletski heimlich überwachen.

Unter diesen Individuen befand sich ein junger Journalist namens Rjewski. Er war mager und klein und hatte ein Gesicht, das an einen Fuchs erinnerte, und einen Blick, der immer auswich. Er arbeitete an verschiedenen Zeitungen mit und hatte früher schon in Nischni-Nowgorod für Chwostow einige Aufträge durchgeführt, die, milde gesagt, sehr delikater Natur waren. Chwostow hatte ihn zum Beamten für besondere Verwendung ernannt und gut gespickt. Halbamtlich hatte er ihn mit der Organisierung eines Journalistenklubs beauftragt, in dem man einem gewissen Heine eine Anstellung gab. Gleichzeitig erfüllte er die Funktionen eines Delegierten des Roten Kreuzes. Er hatte eine Freundin, ein Auto und führte ein Leben auf grossem Fuss.

Dies war der Mann, den der Innenminister jetzt mit der Ausführung der Ermordung Rasputins beauftragte. Er versprach ihm für seine Dienste eine grosse Belohnung. Rjewski sprach darüber mit seiner Freundin und begann zu arbeiten.

Nachdem sie alle Möglichkeiten erwogen hatten, kamen Chwostow und sein Spiessgeselle dahin überein, dass es am besten sei, den Staretz durch Iliodor ermorden zu lassen, der doch schon im Jahre 1914 die Chionia Gussewa zum Mord angestiftet habe.

Im Januar begab sich also Rjewski nach Christiania, wohin Iliodor sich geflüchtet hatte. Dort hatten sie eine Unterredung, und Iliodor ging darauf ein, den Staretz durch einen seiner fanatischen Anhänger gegen Bezahlung einer bestimmten Geldsumme ermorden zu lassen.

Beletski schlief in der Zwischenzeit nicht. Er wollte seinen Chef Chwostow noch nicht denunzieren, aber er überwachte aufmerksam alle Schritte seiner verdächtigen Freunde. Und sobald er erfuhr, dass Rjewski im Begriff stand, nach Norwegen abzureisen, um dort heimlich mit Iliodor zu verhandeln, beschloss er, ihn unschädlich zu machen. Sobald Rjewski Petersburg verlassen hatte, liess er eine Untersuchung über all die Unregelmässigkeiten, die Rjewski in seiner Eigenschaft als Kassenangestellter des Roten Kreuzes begangen hatte, anstellen. Die Beweise, die er sammelte, waren voll ausreichend, um den Journalisten im Verwaltungswege nach Sibirien zu verbannen. Zu gleicher Zeit hatte er Vorkehrungen getroffen, dass der Grenzübertritt Rjewskis offiziell zur Kenntnis genommen wurde. Als Rjewski bei Terioki die finnländischen Grenzposten passierte, richteten die Beamten es so ein, dass sich ein Zwischenfall ereignete; sie nahmen daraufhin ein Protokoll auf und konnten unter seinen Papieren sogar das Pseudonym feststellen, unter dem er sich zu Iliodor begab.

Bei seiner Rückkehr nach Petersburg wurde der Beauftragte Chwostows sofort von Beletski vorgeladen, der ihm in heftigen Worten vorwarf, einen Skandal an der Grenze verursacht zu haben, gleichzeitig Aufklärungen über seine Betrügereien beim Roten Kreuz forderte und ihm Verschickung nach Sibirien in Aussicht stellte.

Rjewski geriet in eine solche Angst, dass er Beletski das ganze Geheimnis seiner Reise nach Norwegen und alle Pläne Chwostows verriet. Nachdem Beletski auf diese Weise alles erfahren hatte, was er wissen wollte, schrie er ihn noch lauter an und warf ihm vor, dass er ein Geheimnis verraten habe, das ihm von einem Minister anvertraut worden sei. Rjewski war vollkommen verwirrt.

Mit all dem ausgerüstet, was Rjewski ihm verraten hatte, ging Beletski zu Chwostow. Er erstattete dem Minister einen Bericht über die Gaunereien des Rjewski und bat ihn um die Genehmigung, ihn im Verwaltungswege abschieben zu dürfen, bewahrte dabei aber volles Stillschweigen über alles, was das Mordprojekt betraf. Der Minister antwortete ihm, dass er handeln könne, wie es ihn gut dünke.

Kopflos vor Angst stürzte sich bei dieser Nachricht Rjewski zu seinem Freunde Heine, der noch am selben Tage, am 4. Februar, alles dem Simanowitsch, dem »Sekretär« Rasputins, erzählte. Sogleich machte man in Rasputins Wohnung klar zum Gefecht. Ein paar Tage vorher hatte schon Komissarow, der auf Anraten Beletskis seiner Funktion beim Staretz enthoben sein wollte, eine so heftige Szene hervorgerufen, dass Rasputin sich darüber in Zarskoje-Selo beschwerte und die Ueberzeugung gewonnen hatte, dass sich irgend etwas gegen ihn vorbereite. Diese Ueberzeugung war dadurch bekräftigt worden, dass Komissarow seine Ueberwachungsbeamten zurückgezogen hatte. Jetzt war also alles klar! An diesem 5. Februar fand ein richtiger Kriegsrat in Rasputins Wohnung statt; die Wyrubowa wurde eiligst ins Bild gesetzt und ein Brief an die Zarin abgesandt. Beletski gab Komissarow den Auftrag, die Ueberwachung des Staretz von neuem in die Hand zu nehmen.

Im kaiserlichen Palais rief Rasputins Appell viel Sorge und Bestürzung hervor. An wen konnte man sich noch halten und wenden, wenn der Innenminister selbst, der für den Schutz des Staretz verantwortlich war, seine Ermordung vorbereitete? Der Zar war im Hauptquartier. Der Palastkommandant war nicht da. Die Damen beschlossen in ihrer Bestürzung, sich an General Belajew, den Kriegsminister, zu wenden, den die Wyrubowa flüchtig kannte.

Am 6. Februar wurde also der General zur Zarin in den Palast gerufen. Er wurde zunächst von der Wyrubowa empfangen. Auf ihre Krücken gestützt, vor Angst am ganzen Leibe zitternd, bat die junge Frau den Kriegsminister, den Staretz zu beschützen. Der General versuchte, die Aermste nach besten Kräften zu beruhigen, wenngleich er selbst über diese unerwartete Nachricht verblüfft war.

Bald darauf erschien dann die Zarin. Ruhig, kalt, hochmütig erklärte sie Belajew, dass sie mit Anna Alexandrowna sehr befreundet sei und dass sie von ganzem Herzen wünsche, ihr in der Angelegenheit ihres Freundes, die ihr so viel Sorge bereite, zu Hilfe zu kommen. Sie sprach nicht ein einziges Mal den Namen Rasputin aus und beschränkte sich darauf, zu sagen, dass es ihr sehr angenehm sein würde, wenn der General ihrer Freundin seinen Schutz verleihe. Nach dieser Audienz kehrte der General wieder nach Petersburg zurück, beriet sich mit mehreren kompetenten Persönlichkeiten und kam dann zu der Ueberzeugung, dass die Sache nicht in seiner Zuständigkeit liege. Er setzte sich telephonisch mit Beletski in Verbindung, der ihm versicherte, dass man bereits drauf und dran sei, den vermutlichen Mörder zu verhaften.

In der Nacht vom 6. zum 7. Februar nahm die Ochrana auf Beletskis Befehl bei Rjewski eine Haussuchung vor und schritt zur Verhaftung. Bei dieser Haussuchung fanden die Beamten einen Brief des Rjewski an den Minister Alexei Chwostow, in dem von den Verhandlungen mit Iliodor über die Ermordung Rasputins die Rede war. Trotz aller inständigen Bitten Rjewskis nahm der Offizier dieses Dokument als Anlage zum Protokoll über die Haussuchung.

Am 7. Februar morgens spuckte Chwostow Feuer und Flammen, als er hörte, dass man diesen Brief beschlagnahmt hatte. Beletski triumphierte. General Belajew telephonierte an die Wyrubowa, dass sie sich nicht mehr zu beunruhigen brauche, denn der Verbrecher sei bereits festgenommen. Im Laufe des Morgens empfing er noch den Besuch von Simanowitsch, der ihn auf Wunsch der Wyrubowa aufsuchte und ihm alles über die Vorbereitung der Ermordung erzählte, was er von dem Ingenieur Heine und der Freundin des Rjewski erfahren hatte.

Dies war der Augenblick, in dem Manassewitsch-Manuilow auf der Szene erschien. Nachdem er sich mit Rasputin und Beletski unterhalten hatte, wusste er, was für eine Waffe diese Geschichte in den Händen seines Schützlings, des Premierministers Stürmer, sein konnte. Dieser war schon alarmiert, denn die Wyrubowa hatte ihn ebenfalls um Schutz und Hilfe ersucht. Manassewitsch-Manuilow überreichte ihm ein sehr detailliert ausgearbeitetes Exposé.

In diese Aufregung hinein platzte am 8. Februar der Zar, der auf zwei Tage das Hauptquartier verlassen hatte und nach Zarskoje-Selo kam, um die Sitzung der Duma zu eröffnen und den Versuch zu machen, die Beziehungen der Duma zur Regierung zu bessern. Gleich bei seiner Ankunft fand er sich in den Schmutz der Machinationen hineingezogen, die Chwostow und Beletski um den Staretz herum angezettelt hatten.

Noch bevor der Zar Mogilew verliess, hatte ihm der General Wojekow eine Art von vorläufigem Bericht erstattet. Der General war ein überzeugter und glühender Gegner Rasputins; er machte aber von dieser Gegnerschaft nicht viel Aufhebens, suchte nicht in langen Tiraden über den nichtswürdigen Einfluss des Staretz den Applaus der Salons, aber er wusste Seiner Majestät, wenn es nötig war, die Wahrheit zu sagen, selbst wenn sie unangenehm war. Rasputin wusste das.

Als der General bei der Rückkehr von einer Spazierfahrt mit dem Zaren allein im Auto war, benutzte er die Gelegenheit, seinen Angriff zu erneuern.

»Ich beschrieb ihm so klar und deutlich, wie ich nur konnte«, hat er später in einem Brief geschrieben, »wie unsere sogenannten Liberalen die Taktlosigkeiten Rasputins und seiner Anbeterinnen, die ihn am Hofe stützten, ausbeuteten; wie diese Anbeterinnen, um dem Zarenpaar zu gefallen, nur noch den Verleumdungen neue Nahrung zuführten, die hinsichtlich der Gründe, aus denen Rasputin sich der Gunst der Zarin erfreute, umliefen. Ich schloss meinen Monolog, indem ich dem Gedanken Ausdruck verlieh, dass es unerlässlich sei, dieser Art von Leben, das Rasputin in Petersburg führte, ein Ende zu machen und ihn zunächst einmal auf recht lange Zeit nach Pokrowskoje zu schicken. Dann, nach seiner Rückkehr, müsste man ihn eine Form von Existenz ergreifen lassen, die es unmöglich machte, noch weiterhin solche Gerüchte um ihn herum auftauchen zu lassen, wie sie im Augenblick unsere sogenannten klarsehenden Politiker aufbrachten.«

Am nächsten Tage war der General mit seiner Frau bei der Wyrubowa zu Tisch, und Annuschka warf ihm vor, dass er dem Zaren mit seinen Gesprächen über Rasputin Sorgen mache. Es gab einen lebhaften Meinungsaustausch, in dessen Verlauf der General wieder einmal der Wyrubowa seine Wahrheiten ins Gesicht sagte. Die Wyrubowa beklagte sich darüber bei der Zarin, die nunmehr den General in einem Brief als »Grobian und abscheulichen Menschen« bezeichnete.

Inzwischen hatte Manassewitsch-Manuilow, der sich in das Kampfgetümmel geworfen hatte, bei Stürmer am 8. Februar durchgesetzt, dass er Aron Simanowitsch vorlud und vernahm.

Simanowitsch erzählte manches Kompromittierende über Chwostow. Er legte auch einen Brief an Rasputin vor, in dem Rjewski sein Bedauern darüber aussprach, dass er die Absicht gehabt habe, den Staretz zu töten. Auf seine Angaben hin machte man am 9. Februar eine Haussuchung im Klub der Journalisten, wo man einen Brief entdeckte, in dem Iliodor sich damit einverstanden erklärte, die Ermordung zu organisieren.

Alexei Chwostow war natürlich sehr beunruhigt wegen der Wendung, die die Sache genommen hatte. Auf Andronikows Anstiften entschloss er sich, alle Schuld auf Beletski abzuwälzen. Er lancierte das Gerücht, dass das Komplott nur von Beletski allein angezettelt worden sei, und beschloss, sich seiner dadurch zu entledigen, dass er ihn zum General-Gouverneur in Irkutsk, mitten in Sibirien, ernennen liess.

Es gab eine aufgeregte Szene zwischen Chwostow und Beletski. Der Minister warf seinem Adjunkten vor, dass er ein Schurke und Intrigant sei. Beletski erhob dieselben Beschuldigungen gegen seinen Minister und versuchte, ihm zu beweisen, dass, wenn er nicht mit Rjewski und Iliodor Heimlichkeiten betrieben hätte, es keinen Skandal gegeben und sie beide dann schon den richtigen Weg, Rasputin zu unterdrücken, gefunden hätten. Natürlich log er. Aber der andere log auch. Jetzt, so sagte Beletski, sei es das beste, den Staretz nur noch auf legalem Wege totzuschlagen, und er riet dem Minister, einen Bericht an den Zaren vorzubereiten, der alle Ermittlungen und Dokumente der Ochrana enthielt.

Um Beletski in Sicherheit zu wiegen, tat Chwostow so, als ob er diesen Plan für gut hielte, und er bat Beletski, diesen Bericht auszuarbeiten. Die ganze Nacht arbeitete man in der Ochrana daran, eine richtige Anklageschrift gegen den Staretz aufzusetzen. Der General Globatschew, der Sektionschef der Ochrana, und der General Komissarow, der Rasputin zu überwachen hatte, setzten ihre Unterschriften darunter.

Beletski überreichte zwei Exemplare dieses Schriftstückes dem Innenminister. Dieser machte ein Gesicht, als ob er es ganz ausgezeichnet finde, und sagte, dass er fest entschlossen sei, dem Zaren die volle Wahrheit über Rasputin zu enthüllen. Beletski glaubte das.

In der Nacht vom 9. zum 10. Februar liess der Minister, um seine Intrige gegen seinen Adjunkten weiterzuspielen, Aron Simanowitsch verhaften. Dann ging er zum Zaren. Aber der Bericht, den er dort erstattete, bezog sich nicht auf Rasputin, sondern wandte sich gegen Beletski, den er beschuldigte, gegen ihn und gegen den Staretz intrigiert zu haben; er schloss damit, dass er darum bat, ihn zum General-Gouverneur von Irkutsk in Sibirien zu ernennen. Der Zar kannte die volle Wahrheit noch nicht und wies daher Stürmer an, sofort die Ernennung vorzunehmen.

Als er von seiner Audienz zurückkam, erzählte er Beletski, der sehr in Sorge wegen des Ausgangs dieser Besprechung war, dass der Zar den Bericht über Rasputin behalten, sehr erbost gewesen sei und sogar eine recht heftige Auseinandersetzung mit der Zarin darüber gehabt habe. In pittoresker Weise beschrieb er den Zorn des Zaren gegen Rasputin: Seine Majestät habe mit den Fingern an die Fensterscheiben getrommelt, was bei ihm immer ein Zeichen höchster Unzufriedenheit sei.

Mit seinem polizeilichen Witterungsvermögen fühlte Beletski jedoch heraus, dass an dieser Erzählung Chwostows irgend etwas nicht ganz stimmte. Sobald sich ihm Gelegenheit bot, warf er einen flüchtigen Blick in die Aktenmappe, die Chwostow nach Zarskoje-Selo mitgenommen hatte. Darin fand er beide Exemplare des Berichts über Rasputin; weder das eine noch das andere trug das Handzeichen, das der Zar auf die Schriftstücke zu setzen pflegte, wenn er sie gelesen hatte. Chwostow hatte ihn also getäuscht!

Noch an demselben Tage hörte Beletski aus dem Munde Andronikows, dass er nach Irkutsk berufen werde. Und am nächsten Tage teilte Chwostow ihm ganz offiziell diese Neuigkeit mit. Vollkommen niedergeschmettert und mit Tränen in den Augen, konnte Beletski nichts weiter hervorbringen als das Wort: »Warum?« Darauf brach der Minister in ein Gelächter aus, breitete ausweichend die Arme aus und antwortete, dass sich alles noch arrangieren liesse, wenn man Rasputin liquidiere …

 

Der Zar reiste am 10. Februar wieder ins Hauptquartier ab. Der Innenminister frohlockte. Ueberall und jedermann gegenüber rühmte er sich, dass er nun doch mit diesem Beletski fertig geworden sei.

Beletski seinerseits hatte nicht die Absicht, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Er hatte beim Metropoliten erreicht, dass dieser ihn in Gegenwart von Stürmer und Rasputin zu seiner Rechtfertigung empfing, und vor diesen drei Männern setzte er nun alles auseinander, was er von den verbrecherischen Plänen des Innenministers wusste.

Der Kampf der beiden ehemaligen Freunde gegeneinander und vor allem auch die Geschichte von dem Attentatsprojekt nahmen mehr und mehr den Charakter eines grossen Skandals an. Der Zar kam am 18. Februar wieder nach Zarskoje-Selo und beauftragte Stürmer, im Wege einer Untersuchung die Dinge zu klären. Unter den Leuten seiner Umgebung drängten die einen den Premierminister, und unter ihnen voran Manuilow, volles Licht in die Sache zu bringen; die anderen glaubten, dass die Regierung zu sehr an Ehre einbüssen würde, wenn man den ganzen Schmutz in breiter Oeffentlichkeit aufwirbelte, und drangen auf ihn ein, dass er die Sache unterdrücken möge. Und bei Rjewski setzte man durch, dass er die direkt gegen den Minister erhobenen Anschuldigungen wieder zurücknahm.

Um diese Zeit bekam Rasputin von Iliodor folgendes Telegramm:

»Habe schlagende Beweise Attentatsprojekt von hochstehenden Personen gegen dein Leben. Sende Vertrauensmann. Trufanow.«

Andererseits bekam die Zarin von Iliodor einen Brief, in dem er ihr im einzelnen beschrieb, wie Chwostow durch Vermittlung des Rjewski versucht habe, ihn zur Ermordung des Rasputin zu veranlassen.

Chwostow stellte sich während dieser Zeit überall als Opfer des Staretz hin und verbreitete Lügen über Lügen, ohne dabei auf die kaiserliche Familie Rücksicht zu nehmen. Er war die erste offizielle Persönlichkeit, die die Verleumdung lancierte, dass Rasputin ein deutscher Spion sei; er ging sogar so weit, dies den Pressevertretern mitzuteilen, aber beachtlicherweise sagte er dem Spionage-Gegendienst kein Wort.

Die von Chwostow ausgestreuten sensationellen Gerüchte hatten sich bald in allen Kreisen der Bevölkerung verbreitet. In Petersburg erreichte damals die Empörung über Rasputin und die Wyrubowa ihren Höhepunkt. Annuschka bekam zahlreiche heftige Briefe, und man griff auch öffentlich die Zarin an, die man für die Hauptschuldige an diesem Skandal hielt.

Im März sprach es sich in Petersburg herum, dass Rasputin Ende Februar zusammen mit der kaiserlichen Familie die Kommunion genommen hatte, und das gab wieder neuen Stoff für Verleumdungen und Empörung. Man erzählte sich, dass die Zarin allein, in Abwesenheit des Zaren, in der heiligen Woche und obendrein unter mysteriöser Inszenesetzung kommuniziert habe. Aber um die genannte Zeit war der Staretz in Wirklichkeit schon in Pokrowskoje. Dies Gerücht wurde hauptsächlich von Vertretern der Aristokratie verbreitet, die so weit gingen, es den ausländischen Diplomaten zu erzählen.

Als Rasputin wieder in Petersburg eintraf, erzählte er seinen Freunden von der unmittelbar bevorstehenden Entlassung Chwostows, die der Zar ihm nach der Kommunion Ende Februar zugesagt hatte. Der Innenminister bekam davon Wind. Er liess Stürmer keine Ruhe, und es gelang ihm schliesslich, ihn davon zu überzeugen, dass man Rasputin auffordern müsse, sich von neuem einige Zeit nach Pokrowskoje zu begeben. In der Zwischenzeit hoffte er seine Stellung wieder zu befestigen.

Stürmer beschloss, sich der Vermittlung des Metropoliten zu bedienen, um Rasputin zur Abreise zu bestimmen.

Die Unterhaltung begann. Als Stürmer ausgesprochen hatte, dass es gut sei, wenn Rasputin auf einige Zeit aus Petersburg verschwinde, sprang der Staretz in die Höhe und schrie den Premierminister an:

»Aha! So liegt das! Papa und Mama haben mir gerade befohlen, hier zu bleiben! Sie selbst haben mir diesen Befehl gegeben, und nun willst du mich davonjagen – du! Du steckst unter einer Decke mit meinen Mördern … Ich werde nicht gehen … Hörst du, ich bleibe hier!«

Wie ein Wahnsinniger lief er im Zimmer herum.

»Ihr wollt mich unterwegs ermorden! Ihr wollt alle meine Freunde verhaften. Nein, ich gehe nicht! Papa und Mama haben mir befohlen, zu bleiben, und ich werde mich nicht von der Stelle rühren. Und du, Alter, du wirst zum Frühjahr fliegen … Das werde ich dir zeigen, du Alter!«

Stürmer versuchte, den entfesselten Rasputin zu beruhigen. Der Metropolit hatte sich bekreuzigt und murmelte ganz leise ein Gebet. Grigori hörte nicht auf zu toben und zu heulen. Schliesslich beruhigte er sich ein wenig und bat den Metropoliten um Papier, Tinte und Feder. Er machte auf den Bogen, den man ihm brachte, oben ein Kreuz, dann schrieb er dem Zaren, dass er ihn bitte, alle seine Mörder davonzujagen und ihn gegen sie zu schützen. Der Brief wurde in einen Briefumschlag mit dem Siegel des Metropoliten gesteckt und dann von diesem sofort durch besonderen Boten zum Zaren nach Zarskoje-Selo geschickt.

Als der Brief weg war, fing Rasputin von neuem an, auf Stürmer einzuschreien, dann nahm er Manuilow am Arm und sagte: »Gehen wir!« Und fast im Laufschritt verliess er das Zimmer.

 

All die in Petersburg umlaufenden Gerüchte hatten Rasputin ganz kopflos gemacht. Er hatte eine entsetzliche Angst davor, dass man ihn ermorden wolle, und auf Manuilows Rat erbat er sich Hilfe beim General Spiridowitsch, den er am 1. März zusammen mit einem gemeinsamen Freunde in seiner Wohnung aufsuchte.

Rasputin trug ein blaues Hemd und eine weite schwarze Samthose und hohe Stiefel. Er war sauber und sorgfältig frisiert. Nachdem er den Herrn des Hauses dreimal geküsst hatte, dankte er ihm für den Empfang. Man ging in den Salon. Er zerrte an seinem Bart herum und beklagte sich darüber, dass er niemanden habe, mit dem er sich aussprechen könne. Er habe keine wahren Freunde, alle seien Mörder. Der General versuchte, ihn zu beruhigen und setzte ihm auseinander, dass er von den Beamten der Petersburger Ochranasektion gut bewacht würde und dass er keinen Grund habe, sich zu ängstigen. Man hätte glauben können, dass der Staretz die Gedanken des anderen, den er mit seinen Blicken wie mit spitzen Nadeln durchbohrte, erraten wollte. Schliesslich bat er um Rotwein. In diesem Augenblick meldete die Kosakenordonnanz, dass der Tee serviert sei. Zufällig war kein Rotwein im Hause. Die Ordonnanz fand nur eine Flasche Likör. Rasputin war sehr froh, trank ein Glas, ein zweites Glas und wurde dann heiterer.

Im Esszimmer wurde er ganz lebendig. Er erzählte von seiner Zusammenkunft mit Stürmer beim Metropoliten. »Aber um nichts in der Welt werde er abreisen«, sagte er, »weder nach Sibirien, noch anderswohin.«

»Sie werden mich unterwegs töten, mein Lieber. Sie werden mich sicher töten … Du verstehst, mein Lieber, sicher! …

Und wenn sie mich nicht töten, so werden sie mich so weit weg in die Verbannung schicken, dass nicht einmal der Zar mehr weiss, wo ich stecke.«

Wieder begann der Staretz, sich aufzuregen. Er sprühte Gift auf Chwostow und erzählte, dass dieser ihm beim Zaren sehr viel Unrecht getan habe.

»Er ist auch gegen dich, mein Lieber!

Er hat Papa und Mama gegen dich aufgehetzt, mein Junge! … Verstehst du, er hat sie aufgehetzt! … Er hat viel geredet und hat viel gehetzt … Siehst du, das ist es. Er hat gehetzt!«

Und wieder neue Beschuldigungen, neue Beschwerden gegen diesen bösen Mann, der ihn getäuscht, betrogen, ausgebeutet und geschickt ausgesogen hatte.

Rasputin berichtete, dass der Zar dem »Alten«, Stürmer, schon befohlen habe, ihm vier Kandidaten für das Innenministerium vorzuschlagen. Manche hätten ihn dieserhalb schon aufgesucht, aber er habe geantwortet: »Nein, das ist nicht meine Angelegenheit. Papa weiss das selbst am besten.«

»Ich werde heute noch mit Papa telephonieren«, fuhr er fort, »dass er den ›Dicken‹ nicht mehr empfängt … Der intrigiert … Dass er ihn abweist … Man muss diesen Mörder davonjagen. Mörder!«

Der Staretz sprang auf, schob die Hände in die Hosentaschen und fing an, mit grossen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen.

Dann blieb er plötzlich vor dem General stehen und sah ihn starr an:

»Sicher werden sie mich töten, mein Lieber. Und euch auch, ihr werdet alle mit zugrundegehen! Man wird euch alle töten, und Papa und Mama auch!«

Er ging wieder nervös auf und ab. Ein Gefühl der Angst hatte sich der beiden Zeugen dieser Szene bemächtigt. Sie hatten das ganz klare Gefühl gehabt, dass Rasputin eben vor ihnen in die Zukunft gesehen habe.

Rasputin zog sich dann zurück, nachdem er den Herrn des Hauses wieder geküsst hatte. Die Ordonnanz erschien und räumte den Tisch ab. Als der General wieder allein war, kamen ihm allerlei düstere Gedanken. Was für ein Durcheinander musste in Petersburg herrschen, um den Staretz in eine solche Angst zu versetzen? In Petersburg hatten die Lüge und die Intrige jedes Vertrauen getötet … Das war das Chaos … Das war das nichtswürdige Werk von Chwostow, dem ersten Minister, den der Zar aus den Reihen der Duma genommen hatte.

 

Am 2. März fuhr der Zar wieder ins Hauptquartier ab. Die Zarin blieb in Zarskoje-Selo und war ganz erschüttert über all die Geschehnisse. Sie war sich klar darüber, dass sie ein gut Teil Schuld an der Ernennung Chwostows trug – einer Ernennung, gegen die der Zar sich lange Zeit gesträubt hatte – und sie litt darunter.

Rasputin, die Wyrubowa und die getreuen Anhänger des Staretz lebten wieder in Unruhe. Am 5. März wurde Chwostow trotz der Intervention Stürmers und mehrerer seiner Freunde endlich abgesetzt. Der Premierminister übernahm provisorisch selbst die Funktionen des Innenministeriums.

Da erschien in den »Birjewyia Wedomosti« ein grosses Interview Beletskis, in dem vor den Augen der Oeffentlichkeit die gesamten Hintergründe des Mordprojekts aufgerollt wurden, mitsamt allen Namen der hochstehenden Persönlichkeiten, die in den Skandal verwickelt waren. Bald darauf brachte die Zeitung ein Schreiben Beletskis, in dem dieser offiziell die in dem Interview gebrachten Enthüllungen bestätigte. Die Angelegenheit brachte ganz Russland in Aufregung, und wieder einmal war der Name Rasputin in aller Munde.

Die höheren Kreise der Verwaltung und der Politik beurteilten diese Veröffentlichung in einer noch im Untersuchungsstadium schwebenden Sache sehr abfällig. Man zwang Beletski, seinen Abschied einzureichen. Am 13. März wurde er daraufhin als General-Gouverneur von Irkutsk abgesetzt. Nur mit Mühe und Not konnte er sich seinen Posten als Senator noch erhalten.

Stürmer empfahl Beletski und Chwostow, schnellstens Petersburg zu verlassen, und sie liessen sich nicht lange bitten. Denselben Rat gab man am 14. März Rasputin, der sich nach Pokrowskoje auf den Weg machte.

So endete dieser berühmte Skandal, der dem Ansehen des Zarismus und der Monarchie einen der schwersten Schläge versetzte und für den ausgerechnet ein Monarchist und sogar ein Führer der rechten Dumagruppe verantwortlich war.


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