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Eine Propagandareise

Rasputin beunruhigte sich allmählich wegen der über ihn umlaufenden bösen Gerüchte und über die Veränderung im Verhalten des Bischofs Theophan; er befürchtete, dass man schliesslich im Zarenpalast doch argwöhnisch werden könne. Daher entschloss er sich, seine Position zu stärken, indem er die Freundschaftsbande mit zweien seiner Bewunderer noch enger knüpfte: mit Hermogen, dem Bischof von Saratow, und seinem Untergebenen, dem Mönch Iliodor in Tsaritsyn. Beide standen in grosser Gunst am Hofe und unterhielten auch enge Beziehungen zur »Union des russischen Volkes«, einer extrem rechtsnationalen Organisation.

Im November begab sich der Staretz deshalb nach Saratow, der Hauptstadt der südrussischen Provinz an der Wolga. Saratow hatte damals ungefähr zweihundertundfünfzigtausend Einwohner. Die Intellektuellen galten durchweg als Angehörige linksliberaler Parteien. Die Stadt war seit langer Zeit ein Zentrum revolutionärer Sozialisten, und während der Revolution im Jahre 1905 war die Provinz durch die besondere Heftigkeit der Bauernaufstände gegen die Grossgrundbesitzer aufgefallen.

Der Bischof Hermogen empfing Rasputin mit offenen Armen. Er war ein Mann von mittlerer Grösse, trug einen Bart, der bereits grau wurde und das ganze Gesicht einrahmte; seine schwarzen Augen blitzten und hatten einen durchdringenden Blick. Man sah in ihm allgemein einen Pfeiler der Orthodoxie und einen Politiker. Einmal hatte er in einem Anfall von religiöser Exstase sich zu verstümmeln versucht, um sein Fleisch abzutöten. Von diesem Eingriff her, der nicht geglückt war, hatte er eine krankhafte Nervosität und eine seltsame Exaltiertheit zurückbehalten. Bei den Unruhen im Jahre 1905 hatte er sich ausserordentlich dem Thron ergeben gezeigt. Er donnerte gegen die Revolution und bezeichnete die »Intelligentsia« als den grossen Schuldigen an dem Uebel. Von seiner Kanzel herunter schleuderte er Blitze gegen die Ortsverwaltung, ohne vor irgend etwas Halt zu machen. Er war von grenzenloser Liebe für den Zaren, für das Volk und für das Vaterland beseelt. Seine unantastbare Ehrbarkeit und sein religiöser Fanatismus waren allgemein bekannt. Die »Union des russischen Volkes« stützte ihn mit aller Energie.

Bischof Hermogen schätze Rasputin sehr hoch. Er führte ihn bei mehreren frommen Familien in Saratow ein und empfahl ihn auch der Oberin des Klosters Balaschow.

Rasputin begann bald wieder mit seinen Predigten über das »Heil des Fleisches«. Er warf sofort sein Auge auf die Gattin eines Priesters, eine schöne und schüchterne junge Frau, die ausserordentlich tugendsam war, und auf deren Schwester, ein junges Mädchen. Ihre Tugend machten diese Frauen in Rasputins Augen besonders reizvoll. Er ging daher bald im Hause des Priesters aus und ein.

Da er Gast des Bischofs war, kam man ihm mit Respekt entgegen. Dem Bischof Hermogen war das Verhalten Rasputins bereits aufgefallen, und daher liess er ihn nachts in seiner eigenen Kammer schlafen. Eines Nachts ereignete sich aber – nach den Berichten des Bischofs – folgendes:

»Um ein Uhr nachts stand Grigori auf, trat an mein Lager und sah nach, ob ich wach war. Ich tat so, als ob ich schliefe. Dann kleidete er sich in aller Hast an und verschwand. Später erfuhr ich, dass er zum Pater Iwan, den er abwesend wusste, gelaufen war. Seine Frau lag bereits im Bett. Grigori trat kurz entschlossen in ihr Zimmer, näherte sich ihrem Bett und sagte:

›Nun? Du langweilst dich!‹

Dann hob er die Decke auf. Die Frau fing aber an zu schreien:

›Was machst du da! Was machst du da! Ah, du Dämon!‹ Und sie gab ihm ein paar schallende Ohrfeigen.

Rasputin sprang zurück und rief:

›Du bist ja eine grobe Person! Du bist die erste, die mich so zurückweist! Die Frauen sind ja so dumm! Man kann alles mit ihnen machen, was man will. Aber du hast mir eine tüchtige Lehre gegeben!‹

Damit ging er fort.«

Trotzdem aber setzte der Staretz eifrig seine Bemühungen bei der Schwester der Frau des Priesters fort. Das war ein junges Mädchen, das eben erst vom Lyzeum gekommen war. Eines Abends promenierte er mit ihr im Garten des Bischofspalastes; plötzlich fiel er über sie her, küsste sie und drückte sie mit dem Rücken gegen eine Mauer. Sie konnte ihm aber entwischen; mit klappernden Zähnen, als ob sie Fieber hätte, lief sie nach Hause und erzählte alles ihrer Schwester. An diesem Abend erschien Rasputin nicht beim Priester. Er ging zur Stadt und schlief bei Freunden.

Kurze Zeit verbrachte er auch im Kloster Balaschow. Die Oberin, eine sehr kultivierte Frau, hatte Beziehungen in Petersburg und war auch der Zarin bekannt. Rasputin wurde freundlich aufgenommen. Die Nonnen fassten Zuneigung zu ihm. Ja, es gelang ihm sogar, bei einigen seine »Heilungsmethoden« zur Anwendung zu bringen. Später hat eine Novizin in ihrer kindlichen Unschuld beschrieben, was sich dabei zugetragen hat. Als der Priester, dem sie das erzählte, darüber beunruhigt war, sagte sie ganz verwundert:

»Aber alle respektieren doch den Pater Rasputin, und sogar der Zar empfängt ihn bei sich!«

Von Saratow aus reisten der Bischof Hermogen und Rasputin nach Tsaritsyn zum Pater Iliodor.

Tsaritsyn an der Wolga war eine grosse Stadt von hundertundfünfzigtausend Einwohnern, wo Iliodor von seiner Kanzel herunter donnerte. Die Leute aus dem Volke beteten ihn an. Auf Grund seiner Popularität hatte er so viele Gelder zusammenbringen können, um davon ausserhalb der Stadt ein grosses Kloster zu bauen, das mit seinen dicken Mauern und massiven Türen wie eine Festung aussah. Dort erschallten seine flammenden Reden gegen die Juden, gegen die Revolution und gegen die Machthaber dieser Welt, die den Zaren betrogen und belogen. Die Predigten des Hermogen und des Iliodor bewirkten schliesslich, dass der damalige Gouverneur, der Graf Tatischtschew, seinen Posten aufgeben musste.

Iliodor empfing Rasputin wie seinen Freund und Wohltäter; denn seiner Intervention bei der Zarin war es ja zu verdanken gewesen, dass die Synode von seiner Versetzung nach Minsk Abstand genommen und ihn in Tsaritsyn gelassen hatte. Unter den Bewunderern und Anbeterinnen Iliodors war dieses Eingreifen Rasputins bekannt, und sie empfanden daher auch dem Staretz gegenüber eine grenzenlose Dankbarkeit. Und als Rasputin nun sogar mit dem Bischof Hermogen zusammen im Wagen durch die Stadt fuhr, wuchs sein Prestige in den Augen der Masse noch erheblich. Und doch gab es damals schon Leute, die ihn einen Gauner nannten.

»Hochwürden ist mit einem Gauner zusammen!« hörte man hie und da schon sagen. Als Iliodor davon hörte, leitete er eine sehr lebhafte Propaganda für Rasputin ein. Er stellte ihn überall als seinen Protektor, als einen Verteidiger der Wahrheit vor. »Das ist ein heiliger Mann«, sagte er, »ein Gerechter. Er geniesst die Gunst des Zaren. Die Majestäten empfangen ihn und behandeln ihn mit Respekt, sie hören ihm aufmerksam zu, wenn er ihnen von den Nöten des Volkes erzählt!«

Und das Volk glaubte seinem Lieblingspriester. Ueberall behandelte man Rasputin wie einen von Gott gesandten Engel, man kniete vor ihm nieder, küsste ihm die Hände, nannte ihn »Vater Grigori«. Und nicht nur die Leute aus dem Volke, sondern auch Leute aus den gebildeten Kreisen.

Bischof Hermogen reiste bald wieder nach Saratow zurück. Rasputin blieb bei Iliodor. Die beiden Freunde waren jetzt geradezu unzertrennlich. Iliodor führte den Staretz in verschiedene Familien ein. Und Rasputin vertrödelte seine Zeit nicht: da er allgemein als ein Heiliger galt, dem Gott die Gabe verliehen hatte, in die Zukunft zu sehen und zu heilen, legte er seine Hände auf die jungen Frauen und Mädchen, die ihm gefielen. Als sein Freund Iliodor ihn fragte, warum er das tue, antwortete er:

»Wenn ich eine Frau berühre, so macht mir das nicht mehr aus, als wenn ich eine Holzplanke anfasse. Ich kenne kein unreines Begehren. In mir lebt dieser Geist der Loslösung vom Fleische, und ihn flösse ich ihnen damit ein. Das macht sie reiner und heiligt sie.«

Er beruhigte ihn, indem er ihm auseinandersetzte, dass das eine »neue Form der Busse« sei. Iliodor sagte das seinen Gläubigen in seinen Ansprachen, um das merkwürdige Verhalten des Staretz verständlich zu machen.

Wie überall, küsste der Staretz auch in Tsaritsyn nur die Jungen. Als einmal eine alte Frau ihn bat, sie zu küssen, stiess er sie zurück und sagte:

»Müssen diese alten Weiber auch noch kommen! Als ob sie nicht wüssten, dass es angenehmer ist, die jungen zu küssen!«

Iliodor erzählt in seinen Erinnerungen, dass Rasputin in Tsaritsyn innerhalb kurzer Zeit in sieben allgemein bekannten Fällen »Teufelsaustreibungen« vornahm. Alle Fälle spielten sich in den Kreisen der Kaufmannschaft ab. Einer dieser Fälle endigte allerdings mit einem Skandal. An den Festtagen hielt sich immer eine gewisse Elena, die Frau eines Kutschers, in der Nähe der Türen der Klosterkirche auf, eine noch junge und schöne Person, die ihre fünf Sinne nicht ganz beisammen hatte und glaubte, dass sie von einem Dämon besessen sei. Jedermann hatte sie gern. Auch Rasputin gefiel sie sofort. Eines Tages liess er sie in die Zelle des Iliodor kommen, und während seine Anbeterinnen mit Iliodor zusammen im grossen Saal des Klosters warteten, machte er sich an die Austreibung des Dämons.

Die unglückliche Kranke begriff plötzlich, was Rasputin von ihr wollte. Sie fing an zu schreien und zu schimpfen, entwischte ihm und kam in den grossen Saal gelaufen, wo sie erzählte, was drinnen geschehen war.

Bei all diesen Abenteuern war Rasputin sichtlich beunruhigt wegen seiner Position in Zarskoje-Selo; denn aus Petersburg kamen beängstigende Gerüchte. Einmal fragte er Iliodor voller Unruhe:

»Was mache ich nun, wenn die Zarin mich davonjagt?«

Er war nervös und voller Sorgen, aber er sprach sich nicht ganz klar darüber aus, worum es sich eigentlich handelte; er begnügte sich mit Andeutungen, dass seine zahlreichen Feinde beim Zaren eine grosse Kampagne gegen ihn führten.

 

Gegen Ende November bat Rasputin seinen Freund Iliodor, einige Zeit mit ihm in Pokrowskoje zu verbringen. Iliodor war einverstanden.

Der Staretz benutzte die Gelegenheit, um Iliodor noch mehr zu umgarnen. Bald redete er mit ihm naiv und zutraulich, bald belog er ihn in frecher Weise, wie Iliodor ausführlich in seinen späteren Erinnerungen berichtet.

Immer wieder prahlte er mit der Liebe, die der Zar und die Zarin ihm entgegenbrachten, und mit dem Gewicht, das seine Worte bei ihnen hatten. Ohne sich um die Chronologie irgendwie den Kopf zu zerbrechen, behauptete er, dass er es gewesen sei, der das Manifest über die Heiligsprechung des heiligen Seraphim von Sarow diktiert habe. In Wirklichkeit war er im Jahre 1903 dem Zaren aber noch gar nicht vorgestellt. Er zeigte Hemden, die die Zarin ihm geschenkt hatte; mit eigenen Händen, behauptete er, habe sie sie für ihn genäht und bestickt. Er gab Iliodor Briefe zu lesen, die er von der Zarin und von den Grossfürstinnen erhalten hatte. Die Briefe der Zarin waren von einem exaltierten Mystizismus durchtränkt. Sie nannte den Staretz ihren Fürsprecher und geistigen Führer. Die Briefe der kleinen Grossfürstinnen, die damals im Alter von vierzehn, zwölf, zehn und acht Jahren standen, waren reizend in ihrer kindlichen Treuherzigkeit. Später haben die Gegner der Dynastie diese Korrespondenz zur Agitation gegen den Hof benutzt. Rasputins Tochter Matrona hat uns berichtet, wie es Iliodor, der sich den Aufbewahrungsort gemerkt hatte, gelungen ist, sie an sich zu bringen.

Am 6. Dezember sandte Rasputin in seinem und in Iliodors Namen dem Zaren ein Glückwunschtelegramm zu seinem Jahrestag. Als Antwort kam folgende Depesche der Frau Wyrubowa:

»Sehr erfreut über Glückwünsche. Danken Ihnen von ganzem Herzen. Anna.«

Iliodor war darüber ganz verdutzt.

Rasputin zeigte ihm auch die Stelle, wo seine frühere Isba gestanden hatte. Hier habe er, so erzählte er, häufig Visionen gehabt, und im vergangenen Jahre habe er hier an dieser Stelle ganze Nächte mit dem Bischof Theophan im Gebet verbracht.

Als sie einmal gemeinschaftlich in dem kleinen Gebäude hinten im Hof ein Bad nahmen, begann Rasputin, der gerade in Stimmung war, allerlei Vertraulichkeiten auszuplaudern:

»Ich bin ganz unzugänglich für irgendwelche Gelüste. Das ist ein Geschenk, das mir Gott als Belohnung für meine Busse gemacht hat. Eine Frau anrühren, ist für mich genau dasselbe, wie ein Brett anfassen. Soll ich dir sagen, wie ich es dahin gebracht habe? Nun, ich will es dir sagen.

Ich dirigiere mein Begehren vom Bauch nach dem Kopf hinauf, nach meinem Gehirn, und dann bin ich unverwundbar. Wenn mich dann eine Frau anrührt, wird sie ebenfalls von ihren wollüstigen Wünschen befreit. Deshalb laufen die Frauen so hinter mir her: sie kommen alle, um mich zu bitten, sie von ihren fleischlichen Gelüsten zu befreien und sie unempfindlich zu machen wie mich. Bei meiner ersten Pilgerfahrt kam ich mit verschiedenen Frauen hierher. Unterwegs hatten wir noch einen Besuch beim Staretz Makari in Werchoturje gemacht, den ich zweimal nach Petersburg geführt und der Zarin und dem Zaren vorgestellt habe. Makari betete die ganze Nacht in dem kleinen Vorzimmer seiner kahlen Zelle, während wir anderen alle in dem Hauptraum schliefen. Ich habe mich ausgezogen und ihnen befohlen, dasselbe zu tun. Dann habe ich ihnen gesagt, dass fleischliches Begehren über mich keine Gewalt habe. Sie sind vor mir niedergekniet und haben meinen Körper geküsst. Aber ich kann nicht nur Frauen auf diese Weise von ihren unreinen Begehren heilen; auf die gleiche Weise heile ich auch Männer …«

Iliodor erzählt uns, welchen ungewöhnlichen Eindruck diese Geständnisse Grigoris damals auf ihn machten:

»Als wir das kleine Gebäude verliessen, in dem wir unser Bad genommen hatten, dachte ich, während ich hinter Grigori herging: ›Das ist ein Heiliger! Es ist ihm gelungen, sein Fleisch zu bezwingen! Grosser Gott! Was für ein Glück ist mir widerfahren, dass ich mit einem solchen Manne zusammen baden durfte! …‹«

Eines Tages veranstaltete Rasputin einen Empfang, zu dem er alles einlud, was Pokrowskoje an »Gebildeten« aufzuweisen hatte: zwei Priester, drei Schwestern, von denen zwei als Lehrerinnen tätig waren, den Ladenbesitzer, den Gemeindesekretär mit seiner Frau und noch ein paar andere Personen. Man servierte Gebäck, Bonbons und Nüsse. Der Staretz trug eine erdbeerfarbige Satinbluse, die an der Hüfte mit einer Schnur aus Eicheln zusammengeschnürt war. Die Hosenbeine steckten in blauen Strümpfen. Er trug Babuschen aus rotem Leder. Die Hände in die Taschen geschoben, marschierte er mit gewichtiger Miene im Zimmer auf und ab. Man sass lange bei Tisch, später sang man Psalmen.

Iliodor fiel es auf, dass der Pater Piotr an der allgemeinen Heiterkeit nicht teilnahm: er beobachtete nur, was um ihn herum vorging. Am nächsten Tage machte er dem Reverend einen Besuch. Der Priester warf ihm in heftigen Ausdrücken vor, dass er mit diesem »Wüstling« von Rasputin freundschaftliche Beziehungen unterhielt. Er, der Pater, hatte schon im stillen den Verdacht gehabt, dass Iliodor womöglich gar kein Mönch, sondern ein entwichener Zuchthäusler sei; denn er könne nicht glauben, dass ein Diener der Kirche wirklich der Freund eines so verkommenen Menschen sein könne. Vor Empörung zitternd erzählte er, dass Rasputin Orgien mit jungen Mädchen veranstalte. »Dieser Grigori lässt junge Mädchen kommen, stürzt sich auf sie und überlässt sich der ›Massensünde‹ mit ihnen!«

»Aber dann wäre er ja ein richtiger Chlyst!« warf Iliodor ein.

»Ja! Ja! Auf seinen Pilgerfahrten hat er alle möglichen Arten von Schmutz kennengelernt. Und dabei hat er sich seine ersten Anbeterinnen gewonnen: Nonnen und junge Mädchen. Und jetzt kommen alle Petersburger Weiber zu ihm auf Besuch. Sie baden mit ihm und schlafen mit ihm …

Bevor er auf die Wanderschaft ging, war er ein Trunkenbold und ein Schläger. Im ganzen Dorf nannte man ihn nicht anders als den schwachsinnigen Grischka. Die Bauern hier betrachten ihn jetzt noch als einen Lumpen und Schwindler, und der Bischof, bei dem er, ich weiss nicht wie oft, Besuch zu machen versucht hat, lässt ihn nicht über seine Schwelle.

Um den Bischof milde zu stimmen, hat Rasputin ihm zwanzigtausend Rubel für den Bau einer Kirche angeboten. Nun, die Bauern haben das Geld nicht annehmen wollen. ›Wir wollen dein Geld nicht!‹ haben sie gesagt. ›Wir wissen, wie du es dir verschafft hast!‹

Und uns Priester behandelt er, als seien wir nichts. Er hat aufgebracht, dass die göttliche Gnade die Priester, weil sie ihrer unwürdig seien, verlassen habe und sich jetzt auf die einfachen Leute niederlasse. Natürlich hat sie sich ganz besonders auf ihn selbst gesenkt; daher kann er auch ohne Gefahr mit den Frauen und Kindern Unzucht treiben. Er hat sogar den Mut, obendrein noch zu sagen, er heilige sie und befreie sie von ihren fleischlichen Begehren. Was für ein Schuft! Sehen Sie ihn sich einmal etwas genauer an, und Sie werden sehen, was das für ein infamer Schurke ist!«

Der Pater Piotr sprach die Wahrheit. Auf dem Lande, wo sich alles im grellen Licht der Oeffentlichkeit abspielt, genierten sich die Bauern nicht, offen untereinander ihre Meinung zu sagen …

Ein Jahr später erbat ein hoher Beamter aus Petersburg, der zusammen mit dem Gouverneur von Tobolsk durch Pokrowskoje kam, eine Auskunft über Rasputin. Der Ortspolizeikommissar entwarf ihm das nachstehende Bild:

»Er war früher ein Pferdedieb, ein Trunkenbold, ein verlorener Mensch. Er hat bereut; er hat angefangen zu beten, Klöster zu besuchen und Ketten zu tragen. Bei seiner Rückkehr hat er gelobt, Gott dienen zu wollen. Er greift für jeden ein, steckt seine Nase in alles, sucht die Wahrheit und bemüht sich, bei passender und bei unpassender Gelegenheit die Unterdrückten zu unterstützen. Mir brummt der Kopf von all seinen Eingaben und sinnlosen Beschwerden über angebliche Ungerechtigkeiten. Man hat Mühe, das alles zu glauben, was er selbst über sich erzählt und was alles im Dorf über ihn erzählt wird. Er ist ein Wirrkopf, und es wäre besser, wenn er nicht hier wäre, denn ich habe durch ihn nur Scherereien.«

Der Gouverneur selbst drückte sich dem Petersburger Beamten gegenüber in folgenden Worten aus:

»Rasputin! Und ob ich den kenne! Der macht mir das Leben unmöglich. Er hat immer irgendwelche Anträge zu stellen. Jeden Augenblick muss ich seinetwegen mit Petersburg korrespondieren. Sehen Sie sich einmal seine Augen an! Man könnte meinen, dass er einem einen Dolchstoss versetzt, wenn er einen ansieht!«

Iliodor war ein wenig betroffen über das, was der Pater Piotr ihm gesagt hatte – aber dann siegte doch sein Glaube an Rasputin. Als er nach Hause kam, erzählte er ihm, was er gehört hatte. Der Staretz geriet in grosse Wut und erging sich in Beschimpfungen. Seine Frau stellte sich auf seine Seite und sagte, dass sie für seine eheliche Treue einstehen könne.

Nach einem Aufenthalt von zehn Tagen reiste Iliodor zusammen mit Rasputin und seiner Frau am 15. Dezember nach Saratow zurück.

In Tiumen mussten sie übernachten; denn erst am nächsten Morgen konnten sie mit dem Zuge weiterfahren. Hier lebte eine intime Freundin von Rasputin. Schon seit einer Reihe von Jahren stand er mit ihr in Verbindung und brachte ihr kostspielige Geschenke aus Petersburg mit. Er verbrachte diese Nacht bei ihr. Am nächsten Tag fuhr seine Frau nach Petersburg, Rasputin und Iliodor fuhren nach Saratow weiter.

Dort machten sie Station beim Bischof Hermogen. Auf Rasputins Bitte erzählte Iliodor dem Bischof, dass Rasputin gemeinsame Bäder mit Frauen nähme.

Der Bischof fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, als ob er böse Geister vertreiben wollte, und wiederholte ein paarmal:

»Warum tust du das? Das darf man nicht! Das darf man doch nicht!«

Rasputin war über diese Wirkung recht verwirrt, und als er später mit Iliodor allein war, sagte er: es habe doch keinen Zweck, mit dem Bischof darüber zu sprechen, denn er begreife das ja nicht.

Am 23. Dezember waren sie wieder in Tsaritsyn. Das Volk empfing sie mit Freudenausbrüchen. Rasputin betete in der Kirche, und am nächsten Tage, am Heiligabend, wollte er vor Iliodor die Beichte ablegen.

Als Iliodor später aus dem Mönchsorden ausgestossen war, hat er diese Beichte in folgender Weise in seinen Erinnerungen beschrieben:

»Das war eine seltsame Beichte. Ich hatte grosse Angst, weil ich mich für unwürdig hielt, die Beichte eines so heiligen Mannes entgegenzunehmen. Ich stand am Chorpult und wartete ganz still. Auch Rasputin schwieg. Er nagte am Nagel seines Zeigefingers und stellte sich von einem Bein auf das andere.

Schliesslich sagte ich:

›Nun, Bruder Grigori, wenn du Sünden begangen hast, so beichte sie.‹

Grigori antwortete nicht.

›Vielleicht tust du irgend etwas, was mit den Lehren der Kirche im Widerspruch steht?‹

Grigori runzelte unzufrieden die Stirn, rieb sich die Nase mit dem Finger und brummte:

›Nein, nein, darum handelt es sich nicht.‹

›Worum denn?‹

›Um meine Feinde. Was geschieht, wenn sie Erfolg haben, wenn sie der Zarin den Kopf verdrehen, wenn sie damit drohen, dass sie einen Spektakel machen …‹

›Gott hat dich zu sich emporgezogen. Dein Schicksal liegt in Gottes Hand.‹

›Na schön. Das ist alles,‹ sagte Grigori.

Damit war die Beichte zu Ende. Ich blieb noch lange am Altar stehen und überlegte mir, was das wohl zu bedeuten habe: wenn sie Zweifel bei der Zarin wachrufen. Aber ich konnte damals keine befriedigende Antwort finden.«

Rasputin selbst wusste ganz genau, was das zu bedeuten hatte. Er wusste genau, dass einige seiner Abenteuer schon am Hofe bekannt waren, und er fürchtete, man könnte ihn davonjagen.

Er setzte all seine Hoffnung auf den Einfluss seiner Petersburger Freunde.

Das alles aber hinderte ihn nicht, in Tsaritsyn wieder in seine alten Gewohnheiten zurückzufallen, die Frauen zu küssen und zu liebkosen und Dämonen auszutreiben. Gerade damals missbrauchte er in schamloser Weise die Naivität einer jungen Novizin, im Alter von 18 Jahren, namens Xenia. Dieses junge Mädchen, das keusch und fromm war, besass zwar keine grosse Schönheit, aber sie war sehr artig und zuvorkommend. Mehrere Male hatte sie das heilige Brot in Iliodors Kloster gebracht, und dabei war sie Rasputin aufgefallen. Nebenbei diente sie, um Busse zu tun, im Haushalt einer Kaufmannsfrau. Dem Pater Iliodor, ihrem Beichtvater, erzählte sie, wie sie ihre Tugend verloren hatte:

»Das geschah, lieber Pater, in den Weihnachtstagen. Der Staretz hatte sich bei der Dame, bei der mich, wie Sie wissen, unsere Oberin zur Verrichtung einiger Haushaltarbeiten untergebracht hat, an einem bestimmten Tage zum Schlafen angemeldet. Er kam auch tatsächlich. Als er sich ins Bett legte, sagte er plötzlich zu ihr:

›Meine Liebe, lass doch Xenia aus dem Kloster holen; ich habe sie dringend nötig.‹

Man schickte nach mir, und wie immer kam ich sofort, obgleich es mir sonderbar vorkam, dass ich um eine so späte Stunde noch im Haushalt benötigt wurde.

Der Staretz ging gerade aufs Ziel los. Frau A. M. hatte sich eben ins Bett gelegt, da befahl er mir, ihn auszuziehen. Ich gehorchte. Dann forderte er mich auf, dass auch ich mich ausziehen sollte. Ich gehorchte. Er legte sich aufs Bett und sagte:

›Nun, mein Püppchen, schlaf mit mir!‹

Wie Sie, lieber Pater, war auch ich davon überzeugt, dass es ein Mann von ganz besonderer Heiligkeit war, dem Gott die Gnade verliehen hatte, unseren sündigen Körper zu reinigen und zu heilen. Ich gehorchte also wieder. Ich streckte mich neben ihm aus und fragte mich: Grosser Gott, was wird nun werden?

Er fing an, mich zu küssen, und zwar so zu küssen, dass auf meinem Gesicht nicht ein Fleckchen blieb, das er nicht geküsst hatte. Er gab mir auch grosse Küsse auf den Mund, ganz lange Küsse, wie man sagt. Ich konnte kaum noch Luft bekommen. Als ich es nicht mehr aushalten konnte, fing ich an zu schreien: ›Grigori Jefimowitsch! Was machen Sie denn eigentlich mit mir armem Mädchen!‹

›Nichts, nichts. Bleib schön still!‹

Ich fragte ihn nochmals:

›Bruder Grigori, was machen Sie denn mit mir! Weiss denn der Pater Iliodor davon?‹

›Sicher weiss er das!‹ antwortete er mir.

Ich fragte ihn noch:

›Und der Bischof Hermogen, weiss der das auch?‹

›Na! Selbstverständlich weiss er das. Er weiss alles. Sei ganz unbesorgt!‹

›Und der Zar und die Zarin, sie wissen es auch?‹

›Aber ja, aber ja. Die wissen es besser als irgend jemand sonst.‹

Lieber Pater, als ich diese Antworten Grigoris hörte, wusste ich nicht mehr, was ich denken und was ich sagen sollte.

Er quälte mich fast vier Stunden lang. Dann endlich konnte ich ins Kloster zurückkehren.

Zwei Tage später fragte ich Grigori:

›Bruder Grigori, kann ich Pater Iliodor das erzählen, was Sie neulich nachts mit mir gemacht haben?‹

Er drohte mir mit dem Finger und sagte:

›Was für ein Einfall! Hingehen und das erzählen!‹

›Aber Sie haben mir doch selbst versichert, Bruder Grigori, dass der Pater Iliodor alles wisse, was Sie machten. Warum darf man ihm denn das jetzt nicht erzählen?‹

Er gestikulierte mit den Armen, sein Gesicht verzerrte sich, und er sagte:

›Na schön, sag es ihm. Er wird schon begreifen. Er begreift alles …‹«

Das war Xenias Beichte.

Aber Xenia konnte sich noch nicht sofort entschliessen, dem Pater Iliodor zu beichten. Das geschah erst einige Monate später. Wir werden noch sehen, wie Iliodor diese Beichte verwertete. Im Augenblick blieb er noch ein treuer Freund des Staretz.

Doch keine Rose ohne Dornen. Rasputin hatte nicht immer nur Erfolge bei Frauen. Er erlebte auch recht unangenehme Ueberraschungen. Einmal war er mit Iliodor zum Singen von Weihnachtsgesängen zu einer reichen, schönen Kaufmannsfrau gegangen. Als der Gesang vorbei war, küsste Rasputin die Frau des Hauses dreimal und wollte dann dasselbe mit ihrer Schwester tun, einer berauschenden Brünette. Aber die wich ihm geschickt aus und versetzte ihm ein paar knallende Ohrfeigen.

Eines Tages waren die beiden Freunde auf Besuch bei einem Einwohner von Tsaritsyn und trafen an der Tür des Hauses eine gewisse Nastia, eine fromme Unschuld, die in der ganzen Stadt als einfältig bekannt war. In Lumpen gehüllt sass sie auf der Schwelle. Iliodor wollte sie mit Rasputin bekanntmachen. Aber sobald er sich ihr näherte, bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen und fing an zu schreien, dass er sie nicht anrühren solle. Dann spuckte sie ihn an und schüttete ihm einen ganzen Krug schmutzigen Wassers mitten ins Gesicht. Der Staretz brachte sich entsetzt in Sicherheit, um einen allgemeinen Skandal zu vermeiden.

Am 28. Dezember gab man in der Klosterkirche bekannt, dass am nächsten Tage der Bruder Grigori Geschenke verteilen werde. Zu diesem Zweck hatte man tausend Servietten, tausend Taschentücher, Bonbons, Aepfel, Honigbrote, Zucker, Ringe, heilige Medaillen und kleine Kreuze kaufen lassen.

Eine Menschenmenge von mehreren tausend Personen versammelte sich am nächsten Morgen in aller Frühe im Kloster. In Iliodors Gegenwart hielt Rasputin folgende Ansprache:

»Der hier anwesende Pater Iliodor hat einen Weinstock gepflanzt, und ich, in meiner Eigenschaft als Gärtner voller Erfahrungen, bin gekommen, um ihn zurechtzustutzen und zu beschneiden. Ich werde Geschenke an euch zur Verteilung bringen. Bedenkt, dass diese Geschenke einen tieferen Sinn haben. Achtet auf das, was ihr empfangt, und ihr werdet sodann wissen, was euch später im Leben erwartet. Und nun tretet vor.«

Ein wahres Geprügel erhob sich um den Staretz herum. Jeder wollte das Geschenk haben, das ihm zusagte. Die jungen Mädchen rissen ihm die Ringe, die Symbole für die Verheiratung, aus der Hand; aber einer ganzen Menge von ihnen drückte er die kleine heilige Medaille in die Hand, die ihnen das Kloster weissagte.

In seiner Freude über diesen Erfolg versprach er Iliodor, dass er fünfzigtausend Rubel für den Bau eines Frauenklosters in Tsaritsyn aufbringen wolle; aber er verlangte, dass zuvor sein Freund mit seinen Getreuen eine Wallfahrt nach Pokrowskoje machen solle.

Endlich rückte der Tag der Abreise heran. Am 30. Dezember versammelte sich zum Abschied eine Menge von zweitausend Personen im Kloster. Der Pater Iliodor gab ihnen das Versprechen Rasputins bekannt und dazu auch die Bedingung, die er gestellt hatte. Sofort begann die Menge zu schreien: »Auf! Los! Gehen wir zusammen mit unserem Pater Iliodor!«

In Form einer Prozession ging man dann zum Bahnhof; man sang einen Kantus »Rette uns, Herr!« An der Spitze des Zuges trug man einen Weihnachtsstern. Auf dem Bahnhof stimmte man die Nationalhymne an. Rasputin hielt eine Ansprache, einer aus der Masse antwortete. Der Zug setzte sich unter Gesängen in Bewegung. Der Staretz segnete die Menge, Iliodor den Zug. Es war wie eine Apotheose. Begeisterte Schilderungen von dem enthusiastischen Abschied, den das Volk »seinem Staretz« bereitet hatte, gelangten von Tsaritsyn nach Petersburg.

War dieser Triumph nicht ein offener Beweis dafür, dass das Volk den Staretz liebte und seine Tugendsamkeit anerkannte? War er nicht ein eklatanter Beweis dafür, dass alle gegen den Staretz in Petersburg umlaufenden Gerüchte Verleumdung waren? Der Zar und die Zarin glaubten das tatsächlich. Wenn man Grigori etwas am Zeuge flickt, dachten sie, so nur deshalb, weil wir ihn lieben. Wenn man ihn in der russischen Gesellschaft verachtet, so nur, weil er ein einfacher Bauer ist und wir ihn trotzdem im Palast empfangen. So dachte man in Zarskoje-Selo, und die Anbeterinnen, die in der Umgebung der Zarenfamilie lebten, taten ihr möglichstes, um diese Meinung im Palast zu stützen.

So kam es, dass die Reise nach Saratow und nach Tsaritsyn zum Bischof Hermogen und zu Iliodor Rasputins Stellung tatsächlich erheblich festigten.


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