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Der Retter des Zarewitsch

Der Sieg stärkte Rasputins Stellung in mehrfacher Hinsicht. Zum erstenmal nahm der Zar Veranlassung, sich seinen Ministern gegenüber mit ihm zu befassen. Er befahl dem Innenminister Makarow, über Rasputin zu wachen, den Zeitungen zu untersagen, über ihn zu sprechen, und Gutschkow zu beobachten, weil man befürchtete, dass er zu allem Möglichen fähig sei.

Zwei Tage nach dem Eintreffen der kaiserlichen Familie in der Krim tauchte Rasputin schon in Jalta auf. Am 21. März berichtete die Zeitung von Jalta »Die russische Riviera«:

»Gestern nachmittag traf in Jalta, von Sebastopol kommend, Grigori Rasputin im Automobil ein. Er ist im ›Russischen Hof‹ abgestiegen.«

Die Gesellschaftskreise in Jalta waren sehr verlegen, die Behörden in Unruhe. Und das Merkwürdigste war, dass »Die russische Riviera« in der gleichen Nummer die Nachricht brachte, dass auch der Innenminister Makarow eingetroffen sei. Doch schon bald nach den Osterfesttagen reiste die kaiserliche Familie nach Moskau zur Einweihung des Denkmals für Alexander III., fuhr dann einige Tage an die finnischen Küsten und begab sich darauf nach Moskau zum Jahrestag Borodinos. Von da reiste sie nach Belowej und Spala, wo der Zar jedes Jahr auf Jagd ging.

Diese Reisen lenkten die Aufmerksamkeit von Rasputin ab. Ausserdem war ihm klar, dass er nach dem grossen Skandal für einige Zeit verschwinden musste. Er hatte sich daher nach Pokrowskoje zurückgezogen. Zum erstenmal wurde ein Beamter der Ochrana dorthin geschickt, um über ihn zu wachen, aber auch um ihn zu beobachten. Rasputin wusste nichts davon. Von diesem Augenblick an war er bis zum Ende seines Lebens unter aufmerksamer polizeilicher Beobachtung. Jedesmal, wenn er aus Petersburg kam, hefteten sich die Beamten an seine Fersen; doch hatten sie gleichzeitig auch über seine Sicherheit zu wachen. Sorgfältig notierten die Beamten der Ochrana, die an seinem Hause postiert waren, jeden Besuch, den er empfing.

So wurde Rasputin eine ziemlich merkwürdige offizielle Persönlichkeit, um die man sich Sorgen machte und die man gleichzeitig unter Beobachtung nahm. Er gehörte zum Palais in Zarskoje-Selo: man wusste zwar noch nicht recht, in welcher Eigenschaft und unter welchen genaueren Bedingungen, aber er gehörte dazu. Wenn damals die Palastpolizei noch nicht den Auftrag bekam, ihn ebenfalls unter ihren Schutz zu nehmen, so nur deshalb, weil der General Dedjudlin, der Palastkommandant, und sein Untergebener, der Chef der geheimen Sicherheitspolizei, Rasputin feindlich gesinnt waren. Sie wollten nicht, dass die geheime Sicherheitspolizei, der die Ueberwachung der kaiserlichen Familie im engsten Sinne des Wortes oblag, mit der Ueberwachung einer dritten Person beauftragt wurde.

Alle Personen, die im kaiserlichen Palast dienten, vermieden es, über Rasputin zu sprechen – einerlei, welchem Rang sie angehörten. Diese Geheimniskrämerei, bei der die hohen Stellen mit ihrem Beispiel vorangingen, wurde erstmals in Jalta beobachtet. Das Erscheinen des Staretz wirkte in solchem Masse fast wie eine Verschwörung, dass der Kommissar der Ortspolizei nicht einmal den Gouverneur davon benachrichtigte. Man ging sogar soweit, dass man ihm befahl, den Anmeldezettel Rasputins aus den Adressenregistern fortzunehmen. An dem Tage, als »Die russische Riviera« das Eintreffen des Staretz meldete, glaubte der Innenminister schon nach Sibirien verbannt zu sein! Nur diese Zeitung lüftete den Schleier vor diesem Geheimnis.

Von Jalta ging Rasputin, wie erwähnt, nach Pokrowskoje. Im Laufe der ersten Monate, die dem aufsehenerregenden Skandal folgten, dessen trauriger Held er gewesen war, kam ihm mehr und mehr zum Bewusstsein, was für eine Bedeutung er tatsächlich hatte. Im Herbst geschah dann etwas, was endgültig über seine weitere Karriere entschied.

So gross die Liebe der Zarin für ihren Zarewitsch auch war, so überliess sie doch im wesentlichen dem lieben Gott die Sorge, über ihn zu wachen. So geschah es, dass im September, während die kaiserliche Familie im Jagdpavillon von Belowej war, der Thronfolger sich beim Spielen in seiner Badewanne stiess, während der ihm persönlich beigeordnete Matrose einen Augenblick nicht genügend aufpasste. Ein innerer Bluterguss war die Folge.

siehe Bildunterschrift

Der Zarewitsch an Bord der Zarenjacht »Standard« mit dem Matrosen Derewenko.

Im Jagdpavillon von Spala, wohin sich die Familie nunmehr begab, wieder ein Unglücksfall! Bei einer Spazierfahrt, die die Zarin mit der Wyrubowa und dem Zarewitsch machte, rüttelte der Wagen so sehr, dass er einen inneren Bluterguss in der Leistengegend bekam. Die Krankheit verschlimmerte sich und wurde alsbald sehr ernst. Man liess eiligst die Spezialisten Fedorow und Rauchfuss aus Petersburg kommen; beide erklärten aber, dass ihre ärztliche Kunst nichts auszurichten vermöchte. Ihrer Meinung nach war das Kind verloren. Man gab ihm die Kommunion. Man veröffentlichte Bulletins über den Gesundheitszustand. Gebete wurden gesprochen. Jeden Augenblick wartete man auf das Ende. Ungeheuer war der Kummer der unglücklichen Mutter. Sie setzte all ihre Hoffnung auf Gott und flehte ihn an, ihren Sohn am Leben zu erhalten. Sie bat die Wyrubowa, Rasputin ein Telegramm zu senden. Und während alle Welt von einer Sekunde zur andern auf das Ableben des Thronfolgers gefasst war, kam aus Pokrowskoje die folgende Antwort:

»Fürchte nichts, die Krankheit ist nicht so gefährlich, wie sie aussieht. Die Aerzte sollen ihn nicht quälen.«

Kurz darauf meldete ein zweites Telegramm, dass der Staretz bete …

Und das Unglaubliche geschah. Die Krankheit kam an einem Wendepunkt an, es zeigte sich plötzlich eine Besserung. Die Aerzte zuckten mit den Schultern und begriffen nicht, was geschehen war. Sie hatten den Kranken untersucht und wussten, dass der Fall aussichtslos war … Trotzdem – die Besserung war Tatsache.

Ausser sich vor Freude, zweifelte die Zarin keinen Augenblick daran, dass diese Besserung auf die Gebete des Staretz zurückzuführen sei. Von diesem Tage an war der Glaube an ihn, den sie ihm bereits seit fünf Jahren bewahrte, auf ewig unerschütterlich geworden. Von diesem Tage an konnte Rasputin nichts mehr zustossen. Hier liegt der Schlüssel für das in der Folge immer weitere Anwachsen seines Einflusses und seiner Macht.

Nach dieser Heilung in Spala wurde Rasputin häufig an das Krankenbett des Zarewitsch gerufen. Der Staretz hatte die Fähigkeit, Blutergüsse zum Stillstand zu bringen. Darin liegt übrigens für die Russen nichts Besonderes, denn in den verschiedenen Feldzügen traf man häufig Knocheneinrenker, die Blutungen dadurch hemmten, dass sie geheimnisvolle Worte aussprachen. Die Fremden aber, die im Palast Dienst machten, wussten nicht, dass solche Dinge möglich sind, und erklärten, dass Rasputin in Wirklichkeit keinerlei Einfluss auf die Krankheit auszuüben vermöge und nur dann eingreife, wenn er bereits wisse, dass das Uebel im Nachlassen sei. Nach ihrer Meinung war es die Wyrubowa, die ihm hierfür die nötigen Fingerzeige gab.

Andere haben behauptet, dass Rasputin sich für seine Heilungen der Ratschläge und Medikamente des Doktors Badmajew bediente. Das ist falsch. Dieser Doktor, ein sehr braver und respektabler Spezialist für tibetanische Medizin, ist sehr häufig ganz zu Unrecht als Abenteurer hingestellt worden. Wie dem aber auch sei, er unterhielt jedenfalls im Jahre 1912 keinerlei Beziehungen zu Rasputin. Vielmehr beteiligte er sich um diese Zeit sehr aktiv am Kampf gegen Rasputin und half nach besten Kräften Rodzianko und Hermogen. Erst während des Weltkrieges wurde er sein Anhänger.

Der religiöse Glaube und der nervenkranke Zustand der Zarin kamen Rasputin zustatten. Die Zarin glaubte, dass sie an einer Herzkrankheit litt. Und davon hatte sie auch ihre Intimen und die Aerzte, die sie behandelten, überzeugt. Ihre Kammerfrau Sanotti, die Gelegenheit hatte, sie in ihrem täglichen Leben zu beobachten, hat aber später, nach der Revolution, darüber folgendes gesagt:

»Die Zarin litt, wie mir schien, an Hysterie. In den letzten Jahren war sie nicht mehr dieselbe wie in früheren Jahren. Wo diese Hysterie ihren Ursprung hatte, kann ich nicht genau sagen. Vielleicht handelte es sich um ein Frauenleiden. Irgend etwas war jedenfalls nicht ganz in Ordnung. Seit ein paar Jahren hatte die Zarin sich über Herzbeschwerden beklagt. Sie war nach Nauheim gegangen und hatte den Doktor Grotte konsultiert, der aber an ihrem Herzen keine Krankheitserscheinungen finden konnte. Soweit ich weiss, hat er eine Nervenkrankheit bei seiner Diagnose angenommen. Wenn ich sie beobachtete, wunderte ich mich immer über eins: sobald sie sich unter Leuten befand, die ihr gefielen, brauchte sie sich niemals über Herzbeschwerden zu beklagen; aber es genügte, dass die Atmosphäre ihr irgendwie nicht gefiel, dass man irgend etwas sagte oder tat, was ihr unangenehm war, sofort klagte sie über ihr Herz. Da sie davon überzeugt war, dass sie an einer Herzkrankheit litt, lag sie einen guten Teil des Tages. In den letzten Jahren konnte sie es nicht vertragen, dass man ihr widersprach. Sie ertrug keine Ansichten, die von den ihrigen abwichen, und es war ihr ausserordentlich unangenehm, sie auch nur anzuhören. Im allgemeinen kann ich sagen, dass sie in den letzten Jahren ihre Urteile für unfehlbar und für allgemeinverbindlich hielt. Und wer sie nicht akzeptieren wollte, musste gehen.«

Das ist, in Worten der allgemeinen Umgangssprache, nur das, was 1909 schon der Doktor Fischer gesagt hatte. Die Zarin litt an einer Nervenkrankheit, an Hysterie. Diese Hysterie in Verbindung mit der exaltierten Religiosität waren ein ganz auserlesenes Operationsfeld für Rasputins Manöver, und man kann sagen, dass darauf im wesentlichen sein Einfluss auf sie und seine Machtstellung beruhte.

Als die kaiserliche Familie von Spala nach Zarskoje-Selo zurückkehrte, verbreiteten die Anbeterinnen Rasputins, dass der Staretz das Leben des Thronfolgers gerettet habe. Man fing wieder an, von Grigori zu sprechen. Und bald darauf schon zwang ein neuer, von Iliodor hervorgerufener Skandal ganz Russland, sich mit ihm zu beschäftigen.

Iliodor, der nach der Eremitage Florischtschewa Pustinije verbannt war, wurde auf Anraten des Staretz einer ganz besonders strengen Behandlung unterworfen. Er hielt sich aber nicht für geschlagen und fuhr fort, einen ganz erbitterten Kampf gegen den Staretz zu führen. Im Mai bat er darum, aus dem Orden austreten zu dürfen. Die Synode beschloss, während eines weiteren Zeitraums von sechs Monaten einen letzten Versuch zu unternehmen, ihn zum Gehorsam zu bringen. Wütend hierüber, verbreitete Iliodor sich in Beleidigungen gegen die Synode, die, wie er sich ausdrückte, »den Teufel Grischa Rasputin anbetete«.

Grigori, der von Pokrowskoje aus seinen grössten Feind mit aufmerksamen Blicken überwachte, schrieb an das Zarenpaar:

»Lieber Papa und Mama. Iliodor hat mit den Dämonen ein Bündnis geschlossen. Er bäumt sich auf. Früher pflegte man Mönche wie ihn auszupeitschen. Ja, die Zaren liessen sie auspeitschen. Jetzt, dressiert ihn! Keine Rücksicht nehmen. Er ist ein Aufsässiger. Grigori.«

Im September schloss die Regierung das Kloster, das Iliodor in Tsaritsyn gebaut und aufgezogen hatte. Iliodor beantwortete diese Massnahme mit Briefen voller Beleidigungen an die Minister, über die er seinen Fluch aussprach. An Sablère, den Hohen Prokurator der Heiligen Synode, schrieb er:

»Du wirfst dich vor diesem ausschweifenden Chlyst wie vor dem Teufel auf die Erde. Du bist ein Verräter und ein Abtrünniger. Deine infizierten Hände, die unwürdig sind, das heilige Steuer der Kirche Gottes, der Braut Christi, zu halten, sie müssten in der Hölle dem Teufel die Stiefel bürsten. Ich sage dir das, weil ich von meiner Pflicht als Priester dazu gedrängt werde. Iliodor.«

Diese Briefe kamen zahlreichen Personen in Petersburg zur Kenntnis. Iliodor sandte eine sehr heftige Botschaft an die Synode selbst und am 20. November eine »Abschwörung«, die voller Dreistigkeiten war und die er mit seinem Blute unterzeichnete.

Als Rasputin davon hörte, schrieb er an die Zaren:

»Lieber Papa und Mama. Was für ein Dämon, dieser Iliodor! Er ist ein Abtrünniger. Ein Verdammter. Er hat den Geist verloren. Man benötige Aerzte, sonst nimmt die Sache einen üblen Ausgang. Er wird noch so weit gehen, dass er mit dem Teufel gemeinsame Sache macht. Grigori.«

Mitte Dezember urteilte die Synode Iliodor ab und stiess ihn aus dem geistlichen Stande aus. Der Mönchpriester Iliodor wurde wieder zum Sergei Trufanow und kehrte in sein Geburtsdorf Bolschaja Stanitsa im Gebiet der Donkosaken zurück.

Rasputin schrieb darauf an die Zaren:

»Lieber Papa, liebe Mama. Nun ist dieser Dämon Sergei Trufanow also abgereist, dieser Abtrünnige, dieser Verdammte. Er geht jetzt also in voller Freiheit spazieren. Lasst ihn überwachen; andernfalls verwirrt er die Gemüter. Die Polizei soll ein aufmerksames Auge auf ihn haben, auf diesen Verfluchten. Ja. Grigori.«

Kurze Zeit darauf ernannte man Makari, den Erzbischof von Tomsk, zum Metropoliten von Moskau, obgleich er keinerlei Befähigung für ein solches Amt mitbrachte. Er hatte nicht einmal akademisch-theologische Vorbildung. Seine Berufung, die auf Grigori zurückzuführen war, der ihn in Sibirien kennengelernt hatte, rief grösste Verwunderung in kirchlichen Kreisen hervor, und man sprach wieder mit wachsender Empörung über den Einfluss Rasputins auf die Angelegenheiten der Kirche.

In diesem Winter gab die Zarin dem Staretz einen neuen Beweis für ihre Gunst, indem sie Rasputins Familie im Hause der Wyrubowa empfing. Sie hatte eine lange Unterhaltung mit seiner Frau und zeigte sich sehr wohlwollend seinen Kindern gegenüber. Die älteste Tochter Rasputins trat in das Petersburger Lyzeum Steblin-Kamenska ein. All das war geeignet, Rasputins Bedeutung in den Augen des Petersburger Volkes noch zu verstärken.


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