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Eilftes Kapitel.


O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen …
Der ersten Liebe goldne Zeit …

Schiller.

Mit der herbstlichen Tag- und Nachtgleiche kam der Doctor im Kloster an, um seinen Archimbald zu weiterer Bestimmung abzuholen. Die vorübergestrichene Frist von fünf Jahren hatte den Doctor um kein Haar verändert. Die bedeutende Veränderung aber, die in Archimbalds Wesen vorgegangen war, leuchtete ihm trefflich ein, wie es schien. »Nehmt meinen wärmsten Dank,« sprach er zum Guardian, »für die herrliche Erziehung dieses Jünglings, und rechnet auf meine Bereitwilligkeit, wenn ich jemals sollte vergelten können. Nun aber ist es Zeit, den Neophiten in die Welt zu bringen. Noch ist aber nicht die Stunde gekommen, in der ich ihn für meine Plane benutzen kann; er soll daher noch ein Probejahr halten, um auf seine Lehrjahre das Siegel zu drücken und Dienst und Sitte eines vornehmen Hauses kennen zu lernen. Ich habe Gelegenheit gehabt, vor Kurzem noch einer fürstlichen Familie, die in Mähren auf ihren Gütern lebt, seit ein verdrießlicher Gemüthszustand das Haupt derselben von des Kaisers Hofstaat entfernt hat, einige nicht unbedeutende Gefälligkeiten zu erweisen. Ich habe mir die Gunst als Belohnung erbeten, einen verwaiseten Jüngling auf ein Jahr bei ihr in Pagendienst bringen zu dürfen. Dieser bist nun Du, mein lieber Archimbald. Aber merke Dir im Voraus zweierlei: Du bist der Sohn eines armen baierischen Edelmanns, der vor ungefähr fünfzehn Jahren auf dem Zuge gegen den abtrünnigen Erzbischof von Köln das Opfer einer Seuche ward, und hast das Unglück gehabt, in früher Jugend durch einen schweren Fall und den Schreck darüber die Sprache zu verlieren.«

»Wie?« rief Archimbald: »ich soll mich stumm stellen?«

»Ja, mein Söhnchen,« lachte der Doctor und zupfte ihn neckend bei den Ohren: »ich will Deine Studia auf die Probe stellen; will sehen, ob Du ein frühgereifter Mann bist, wie ich denke. Denn als Stummer mußt Du auch den Weg betreten, der Dich zu Reichthum und Ehre bringen soll. Stumm mußt Du seyn und bleiben, bis ich Dir erlaube zu reden.«

»Das ist unmenschlich!« eiferte der Jüngling, die Gluth des Zorns auf den Wangen. »Sündlich ist's, daß Ihr mir dieses Joch aufzulegen gedenkt.«

»Unmenschlich?« sprach Dee und maß den Zögling mit kaltem Blicke. »Sündlich? Ich fürchte, Guardian, Ihr habt mir den Buben doch nicht ganz nach Wunsch erzogen.«

»Rechnet seiner Jugend dieß verzeihliche Widerstreben zu,« entgegnete Hubert. »Erklärt ihm doch, warum dieser Zwang Statt finden soll. Laßt ihn den Vortheil ahnen, den er bringt.«

»Kein Vortheil in der Welt soll mich bewegen, meiner Freiheit solche Ketten anlegen zu lassen!« rief Archimbald außer sich. »Man spielt mit mir, wie mit dem Spielballe eines Knaben … verfügt über mich, und verhandelt mich wie ein Hausthier, das im Karren, oder in der Mühle seinen kärglichen Unterhalt verdient und durch seine Pein den grausamen Herrn mästet. Nein, nimmermehr; kein Vortheil soll mich bewegen, ein Knecht Eurer tollen Laune zu werden.«

»Sprichst Du aus diesem Tone?« fragte der Doctor höhnisch: »gut, mein Bürschchen. Die Flügel sind Dir gewachsen, merke ich, und der undankbare, in fremdem Nest, durch fremde Sorge ausgebrütete Kukuk will in's Weite fliegen. Nur zu, mein Vögelein! Hast Dein A, B, C und Dein Einmaleins auswendig gelernt? Meinst, es könne Dir damit nicht fehlen? Geh' hin, versuche Dein Glück, laß Dich in der Welt herumstoßen und schinden, bis Du einmal mit Schmerzen an Deinen Pflegvater, dem Du Wohlthaten mit Undank vergiltst, zurückdenken wirst. Dann wird es aber zu spät seyn. Dir wird keine Wahl übrig bleiben, als für ein Paar Heller, die Dir ein rauflustiger Potentat zuwirft, für seine Sache, die Dich nichts angeht, Dein Leben zu lassen, oder Almosen bettelnd dasselbe zu fristen, oder es durch Straßenraub oder Mord zu verwirken. Fahre hin, Undankbarer!«

»Ich bin nicht undankbar,« sprach Archimbald erschüttert. »Ich bin Alles durch Euch und verkenne Eure Wohlthaten nicht. Verkleinert sie aber nicht selbst durch Eure Härte.«

»Beweise ich Härte, wenn ich Dir Gelegenheit gebe, die Stärke Deines Willens zu prüfen?« fragte der Doctor mit finsterm Ernste. »Oder wenn ich Dir nicht von jedem Schritte, den ich Dich zu thun heiße, Rechenschaft ablege? Die Creatur darf sie von ihrem Schöpfer nicht verlangen. Ich bin der Deinige, der Statthalter, den Gott Dir auf die Welt gesetzt. Ich darf blinden Gehorsam fordern. Wenn ich Dich in ein Carthäuserkloster stieße, wo Stillschweigen Gebot, die Rede hingegen, ohne Erlaubniß der Obern, Sünde ist … was würdest Du dann sagen? Ich will aber nur Dein Glück, und Du kannst es blos unter meinen Augen machen. Dazu ist aber erforderlich, daß Du ein Probejahr hindurch stumm seyest, und noch weiter hinaus, wenn der Zeitpunkt eingetreten ist, in dem ich Deiner zu meinem Dienst benöthigt bin, bis ich Dir erlaube oder befehle, zu sprechen. Ich stehe Dir dafür, daß es mein sehnlichster Wunsch ist, Dir diese Erlaubniß recht bald geben zu können. Nun wähle: gehorchst Du, so will ich Deinen Uebermuth verzeihen … widerstrebst Du aber auf's Neue meinen Befehlen … so fahr' hin und versuche, Verlassener, auf den trügerischen Wellen des Lebens in morschem Kahne, schwankend Dein Glück. Nimmer wirst Du Dein Ziel erreichen, nimmer gerechte Rache nehmen können an Deinen Todfeinden!«

»Rache?« fuhr, wie vom Blitz getroffen, Archimbald aus und starrte den Doctor glühend an …

»Nimmer,« fuhr dieser fort, »Deiner alten Pflegerin vergelten können, nimmer schauen das Schloß Worosdar!«

»Worosdar?« fragten Hubert und Archimbald staunend.

»Aus diesem Kloster führe ich Dich dahin,« versetzte Dee. »Deine Ankunft habe ich bereits daselbst verkündet; dort sollst Du Dein Probejahr bestehen.«

»In Worosdar?« fragte Hubert und legte mit wehmüthig freundlichen Zügen sein Haupt in die stützende Hand, während Archimbalds Brust vom romantischen Andenken des Augenblicks gehoben wurde, in dem der fremde Name sein Ohr zuerst berührt hatte.

»Was ist Euch, alter Freund?« sprach der Doctor verwundert zu dem Mönch. Kommt's mir doch schier vor, als ob der Name des Schlosses Euch erschüttert habe.«

»Ihr irrt nicht,« versetzte Hubert nach einiger Erholung. »Er hat mich wahrlich erschüttert. Noch weiß ich nicht … ist es Schmerz, ist es Freude, das mich bewegt. Am Ende ist es beides zugleich. Ich traure über ein unerreichtes Glück, während in der neu aufgehenden Sonne einer fast verklungenen Erinnerung die Blumen der Lust wieder auf einen Augenblick in meinem Garten blühen. Vergebt meiner Schwachheit.«

»Ihr hattet ein Geheimniß vor mir?« fragte Dee mit sanftem Vorwurf.

»Im Grunde keines,« erwiederte Hubert. »Denn von der Begebenheit, die mich damals in Venedig an den Rand des Grabes brachte, von dem Ihr mich zurückgerissen habt, ist Alles buchstäblich wahr; nur wechselte ich die Namen, die Euch gleichgültig seyn konnten, gegen fremde aus. Doch jetzt, nach so vielen Jahren, nach geprüfter Freundschaft, mög't Ihr unverholen wissen, daß Worosdar der Schauplatz meines Unglücks war.«

»Ich ahne,« sprach der Doctor, sich die Stirn reibend. »Es wird mir klar.«

»Wie lebt sie?« fragte Hubert mit wärmerer Theilnahme. »Konnte er sie glücklich, machen? Verstand er ihren Werth?«

»Ihr seyd gerächt,« erwiederte der Doctor. »Sinnverloren führte er ein freudenarmes Leben auf ihrem Stammsitze, da der Türken Mordfackel seine ungarischen Besitzungen verwüstet hat. Sie, die Edle, Verkannte, pflegt mit derselben Geduld, mit der sie seine schweren Fesseln trug, seine Krankheit; erzieht ihre Tochter, und findet nur in der Ausbildung derselben dann und wann eine Rose auf ihrem dunkeln Pfade.«

»Die Aermste!« seufzte Hubert. »Sie hat eine Tochter, sagt Ihr? Ein liebenswürdiges Kind ohne Zweifel? Und ihr Sohn?«

»Dieser Sohn,« antwortete Dee, »liegt gegenwärtig zu Prag den Wissenschaften ob.«

»Ich danke Euch für diese Kunde,« erwiederte der Mönch. »Ihr habt mir eine schmerzlich-süße Stunde geschenkt. Ihr könnt noch mehr thun. Seit zwanzig Jahren bildete sich die Narbe unserer Wunden. Man kann sie jetzt berühren, ohne daß sie blute. Nehmt ein Schreiben von mir an sie mit Euch. Es bringt Euerm Zögling vielleicht Nutzen, wenn ich ihn empfehle.«

Der Doctor machte sich mit Freuden dazu verbindlich, und wendete sich zu Archimbald, der, in den Tagen seiner Kindheit schwelgend, wenig von dem Gespräch der Beiden vernommen hatte.

»Wie ist es?« fragte er. »Hast Du Dich eines Bessern besonnen, Archimbald?«

»Ich bin der Euere,« sprach dieser fest und mit Nachdruck. »Ihr zeigt mir in der Ferne die Rache. Sie allein ist das Ziel meines Lebens. Macht mit mir, was Ihr wollt, und fürchtet nicht, daß, wenn ich mich freiwillig an die Kette gebe, mein Eifer erlahme … Ich werde mich immer gehorsam, willig, Euers Lobes würdig zeigen.«

Der Doctor nickte ihm Beifall zu und betrieb mit seinem angebornen Ungestüm die Abreise. Kaum konnte er in Geduld abwarten, bis Hubert sein Schreiben vollendet hatte; kaum gönnte er dem Schüler Zeit, von seinem Lehrer Abschied zu nehmen und ihm für fünfjährige Liebe und Sorge zu danken. Alles mußte stürmisch abgethan werden. Vor der Klosterpforte schwangen sich die Abreisenden auf die Gäule, die der faule Patrik in stiller Verdrossenheit hielt. Die Einwohner des Klosters schüttelten dem scheidenden Archimbald die Hände; Hubert rief ihm seinen besten Segen zu, und in wenigen Minuten war die Trennung vollendet. – Den Schmerz abgerechnet, den Archimbald fühlen mußte, sein trauliches Kloster zu meiden, fügte er sich nicht ungerne in seine neue Lage. In der Kleidung eines Dieners, hinter dem faulen Knecht Patrik auf schwerem Rosse reitend, war er hier angelangt. In der Tracht eines wohlhabenden Junkers, auf einem eigenen, wohlgestalteten Fuchs trabend, Patrik weit hinter sich, den Doctor zur Rechten, zog er von dannen. Anlagen hatte er mitgebracht, Kenntnisse und Lebensklugheit nahm er mit sich. Welch' ein Unterschied; wie geeignet, den muthigen Jüngling zu begeistern und das Leid abzustumpfen! Er war nicht mehr der unbedeutende Knabe, mit dem der Doctor kein Wort wechselte, den er mit dem Diener in eine Reihe warf; er war zum Pflegesohn des gelehrten Herrn emporgestiegen, der sich gerne mit ihm unterhielt, seine Wissenschaften erweiterte und ihm neue noch nicht geahnte Felder der Weisheit in der Ferne sehen ließ; der ihn in Allem einem ächten Sohne gleich hielt, und dem Diener, der sich anfänglich nur des armen Betteljungen Archimbald erinnern wollte, bei jeder neuen Gelegenheit die größte Achtung vor demselben einzuschärfen nicht unterließ. Die Wirthe in Flecken und Städten, wo die Reisenden einkehrten, bückten sich vor dem stattlichen Junker, dessen Vater durch seine Freigebigkeit den knickerischen Geiz vornehmer Leute zu Schanden machte. Die Dirnen auf Gasse und Feld blinzelten lächelnd nach dem freundlichen Jüngling, der, obgleich Neuling in der Welt, dennoch diese stille Huldigung verstand und mit dankbarer Scham auf den Wangen annahm. Er fühlte tief, er sey ein Anderer geworden; und in neuer Kraft pochten seine Pulse, wenn er an die Zukunft dachte, die ihm größere Arbeit, aber auch größere Genüsse versprach.

Der Doctor unterließ von seiner Seite nicht, um das Urtheil seines Pflegbefohlenen zu schärfen, feine Forschbegierde zu befriedigen. Er verließ nie eine Stadt, in der er ihn nicht mit allen Sehenswürdigkeiten bekannt, nicht mit dem Geiste ihrer Bewohner, Sitten und Gesetze vertraut gemacht hätte. Er versäumte keine Gelegenheit, in der jungen Brust den Samen der Lebensweisheit, den schon Hubert hineingepflanzt hatte, zur Reife zu bringen; und es gelang ihm vielleicht nur zu sehr. Der Jüngling wurde wohl klüger als tugendhaft.

So näherten sie sich allgemach dem Ziele ihrer Reise, und es lag an einem schönen Oktoberabend vor ihnen, in weiter, mit Busch und Wald bewachsener Fläche. Die scheidende Sonne spiegelte sich in den Scheiben des Schlosses Worosdar. Archimbalds Herz schlug ahnungsvoll, als er das Schloß erblickte, das in seinen Jugendträumen eine so bedeutende Stelle eingenommen hatte, ohne daß er sich erklären konnte, warum. Freilich hatte seine Einbildungskraft es ihm unter anderer Gestalt gezeigt; als eine am Felsen klebende, mit Thürmen, Zinnen und steilen Mauern drohende Burg, zu der schmale Pfade, enge Thore mühsam den Weg bahnten. Hier sah er in der Ebene ein altes, aber in seiner Art prächtiges Gebäude vor sich, massiv aus rothem Sandstein errichtet. Die durch den Wald gehauene Straße führte schnurgerade darauf zu. Ein breiter Graben, eine unbedeutend hohe Mauer mit Schießscharten hinter demselben, lief rund um das Schloß. Eine Zugbrücke in gutem Stande führte zwischen zwei, zur Zeit nur von einem alten Thorwärtel bewohnten Wachhäusern in den weiten Hof, der, häufig mit Gras bewachsen, keinen starken gesellschaftlichen Verkehr ahnen ließ. Die ganze Breite desselben nahm das geräumige, in gothischem Styl geformte Hauptgebäude ein, an das sich zwei Seitenflügel lehnten, die augenscheinlich in weit neuerer Zeit und anderm Geschmacke erbaut worden waren. Kühle Gänge, von seltsam nach der Weise der Moresken gebildeten Pfeilern getragen, machten das Erdgeschoß dieser Flügel aus, und boten durch ihre breiten, oben in stumpfen, mit Schnörkeln verzierten, Spitzen auslaufenden Fensteröffnungen eine melancholische Aussicht über den schilfreichen Wassergraben in den waldigen Grund. Ein großes Thor führte in das Mittelgebäude. Streng und finster stand dieser Haupttheil des Schlosses da. Die unzähligen Fenster in allen Gestalten starrten wie lauernde Augen in den Hof. Ein gothisches Thürmchen, in der Mitte des bunten und glänzenden Ziegeldachs, stieg schwarz und traurig über das Gebäude empor, und der heisere Klang der Abendglocke bewillkommte gerade die anlangenden Reisenden. – »Muth! Verstellung, die Probezeit beginnt!« flüsterte Dee seinem Zögling zu, als sie von den Gäulen stiegen. Archimbald, schon auf seine Rolle gefaßt, nickte stumm mit dem Kopfe, und sandte seinen scharfen Blick nach allen Fenstern, um zu erspähen, ob er nicht Sabinen in einem derselben wahrnehme. Keine Spur von einem lebenden Wesen. Ein eisgraues Männchen trat ihnen in der Vorhalle entgegen, und stellte sich ihnen als der Haushofmeister des Schlosses vor. »Willkommen, Nepomuk!« sprach der Doctor in ernstem, abgemessenem Tone, den er auch im Uebrigen strenge beibehielt, so lange er auf dem Schlosse war … »willkommen, mein Bruder im Herrn!« – Demüthig neigte sich der Haushofmeister, küßte dem Doctor den Mantelsaum und versetzte mit gezwungen leiser Stimme: »Der Herr segne Euern Eingang, würdigster Herr und Doctor. Mit was kann der geringste Euerer Knechte Euch dienen?«

»Melde mich bei der gnädigsten Fürstin,« sprach Dee wie oben, »und frage an: ob mir's vergönnt seyn könnte, noch heute meinen Pflegesohn ihr vorzustellen und mich ihrer Gunst zu empfehlen, indem ich Willens sey, morgen mit dem Frühesten meinen Stab weiter fortzusetzen.«

»Ich weiß nicht, ob die Betstunde schon vorüber,« flüsterte Nepomuk.

»Sie wird wohl vorüber seyn,« erwiederte der Doctor nachdrücklich und ließ eine Silbermünze in die Hand des Meldenden fallen.

»Was macht Ihr? was denkt Ihr?« fragte dieser, erschrocken thuend. »Ihr glaubt doch nicht etwa, daß ich des Lohns bedarf, um meine Pflicht zu thun?«

»Behüte der Himmel,« sprach Dee mit Salbung. »Du bist ein frommer Knecht. Das Silber aber ist für die Armen.«

»Nun wohl denn,« versetzte Nepomuk mit süßlichem Tone … »für die liebe Armuth« – ließ das Geldstück in die weite Tasche seiner Pomphosen, die er wohl für die Armenbüchse ansehen mochte, hinabgleiten, führte die Beiden geschäftig eine Treppe hinauf, öffnete einen kleinen Saal, in den er sie einzutreten bat, und entfernte sich auf leisen Socken, wie eine diebische Katze vom Herde.

»Vor dem Schuft nimm Dich in Acht,« raunte Dee dem Jüngling in die Ohren. »Er ist aus der Gemeinde der mährischen Brüder und ein Erzheuchler. Die Fürstin allein ist blind gegen seine Falschheit, und hält ihn für ein Tugendmuster, weil sie, schwärmerisch gesinnt, selbst zu den Stillen sich hinneigt, so sehr der Prediger des Dorfs, der täglich auf dem Schlosse ist, in seinem rohen Eifer dawider hadert. Du wirst überhaupt wohl thun, so lange Du hier bist, Protestant zu scheinen, um verdrießlichen Händeln auszuweichen. Mache die Gebräuche mit; von dem Mitbeten, oder Singen befreit Dich ohnedieß Deine Stummheit. Uebe Dich fleißig in dieser letztern, und lerne den Tafel- und Zimmerdienst genau. Denn über's Jahr, so Gott will, trittst Du in die Dienste einer weit vornehmern Person, wo Du diese Pagengewandtheit nothwendig brauchen und in der hier geübten Stummheit beharren wirst, bis ich Dir sagen werde: Rede jetzt, und rede so und so. Verstanden?«

Archimbald nickte, und versprach sich auch, Wort zu hatten. Nur gegen Sabinen, von der er aus Scheu und Mißtrauen vor dem Doctor gar nicht gesprochen hatte, wollte er eine Ausnahme machen, die aber unter dem Schleier des tiefsten Geheimnisses ruhen müsse. Seiner guten Pflegerin traute er auch genug Liebe und Anhänglichkeit an seine Person zu, um überzeugt zu seyn, von ihr nicht verrathen zu werden.

Der Doctor hängte in der Geschwindigkeit noch einige Regeln des Anstandes an seine Rede, und Archimbald sah, mit Zuversicht auf seine Geschicklichkeit, der Rückkehr des Haushofmeisters entgegen. Sie erfolgte auch bald. Er meldete, die Fürstin habe ihre Andacht geendet und erwarte die Fremden auf ihrem Arbeitszimmer. Sie folgten dem Führer durch eine Reihe von Gemächern zu der Gebieterin. Die halbe Flügelthüre öffnete sich, und sie standen vor ihr. Archimbald stutzte. Er hatte sich gefaßt gemacht, einer einzigen, überdieß ältlichen Frau vorgestellt zu werden, und plötzlich befand er sich hier vor fünf weiblichen Gesichtern. Noch nie hatte er so Vielen Stand halten müssen; und ängstlicher hämmerte es in seiner Brust, als er, trotz seiner Verlegenheit, bemerken mußte, daß viere von den fünfen noch die Blüthe der Jugend und der Reize auf ihren Wangen trugen. In der Mitte des mit gewirkten Tapeten bekleideten Gemachs, an einem runden, auf einem vergoldeten Greif ruhenden Tische, von welchem in zwei silbernen Armleuchtern sechs Wachskerzen flimmerten, saß im geräumigen Lehnstuhle die Fürstin, eine ansehnliche Frau von vierzig Jahren, mit Spuren großer Schönheit. Sie trug ein braunes Gewand, mit schwarz achatenen Knöpfen an Leib und Aermeln geziert. Eine breite, goldene Agraffe hielt den tief auf die Füße fallenden Sammtgürtel um den Leib zusammen. Ein schmaler Spitzenkragen lag fest an dem wohlgeformten Halse; die Haare verbarg gänzlich die feine weiße Haube, von der ein dünner, zwei Finger breiter Schleierbesatz auf die hohe Stirne herab fiel, sie mit einem leichten Nebel umgebend und einen anziehenden Schatten auf das bleiche, kummererfahr'ne Antlitz werfend. Die Fürstin war mit der Stickerei eines Kanzeltuchs beschäftigt. Ihre Tochter, die reizende Ludmille, ihre Helferin bei der mühsamen Arbeit, saß neben ihr auf einem gepolsterten Sitze ohne Lehne. Eine reine, fromme, überirdisch zarte Jungfrau, wie die Fürstin der italienischen Schule im goldenen Zeitalter der Kunst, von dem Gott in ihrem Busen begeistert, mit allgewaltigem Pinsel die Himmelskönigin auf Leinwand, Holz und Kupfer zauberten und in ihrem Bilde das Ideal himmlischer Schönheit aufstellten. Ein einfaches Nachtkleid verhüllte ihre schlanke Gestalt; in kunstlosen Locken floß ihr blaßgoldenes Haar über den edeln Nacken. Die frischen, blauen Augen hoben sich wie Sterne gegen die Eintretenden, und sanken im selben Augenblicke wieder züchtig auf ihre Arbeit, die ihre flinken, rosigen Finger emsig betrieben. Im Halbkreise aber, vor den beiden sitzenden Frauen, theils knieend, theils auf den Versen kauernd, stellten sich noch drei liebliche Gehülfinnen dem Auge des überraschten Jünglings dar. Dienerinnen ohne Zweifel; denn sie boten den arbeitenden Herrinnen Nadeln, farbige Wolle, Gold- und Silberfaden und jedes zur Arbeit gehörige Werkzeug demüthig an, während sie selbst keine Hand an das Werk legten, und es kaum wagten, mit scheuer Hand das Tuch zu drehen und zu wenden, je nach dem es erforderlich war. Die fremde Tracht aber, in die sie gekleidet waren, zog unwiderstehlich den Blick des kältesten Beobachters auf sich. Die langen weiten Gewänder, aus buntfarbigem Seidenstoffe, mit Gold- und Silberblumen durchwebt, gefertigt; die losen Gürtel, mit glänzenden Knöpfen, Haften und Schlössern geziert; die auf abenteuerliche Weise um den Kopf geschlungenen bunten Tücher, unter welchen das Haar in langen dunkeln Flechten über den vollen Hals und Busen fiel – machten einen lebhaften Eindruck auf Archimbald, der in seinem Leben solche Gewänder nicht gesehen hatte. Nicht weniger fremdartig waren ihm auch die Züge der Dienerinnen; das gelbliche volle Antlitz, die dunkeln Braunen, die glühend schwarzen, lang gespaltenen Augen, die wohlgeformte Nase, der kleine Mund mit schwellenden Purpurlippen, die im Lächeln eine Perlenreihe sehen ließen … die üppigen Formen des Körpers … Alles zusammen genommen bildete ein Ganzes, das nicht dem vaterländischen Boden anzugehören schien. Neugierig blickten die Sonderbaren zu den Fremdlingen auf, und – das Gegentheil von Ludmillen – verwandten sie keinen Blick von ihnen.

Der Doctor trat in das Gemach mit der Unbefangenheit eines Mannes, der auf seinem eigenen Boden einher schreitet; Archimbald mit der Blödigkeit eines, fern von der Frauenwelt erzogenen Jünglings. Die Fürstin erhob sich, den Doctor achtungsvoll begrüßend, von ihrem Stuhle, winkte dem Haushofmeister, dem Doctor einen Sitz zu reichen und sich zu entfernen; dann ließ sie sich mit einem leichten Kopfnicken gegen Archimbald nieder. Der Doctor bemächtigte sich seines Sessels ohne Umstände und begann das Gespräch, stellte der Fürstin seinen Zögling vor, bat, ihn in gnädiges Wohlwollen aufzunehmen und überreichte endlich Huberts Brief.

Als die Fürstin die wohlbekannten Schriftzüge sah, stieg der Wiederschein einer holden Erinnerung auf ihr Gesicht; sie warf einen forschenden Blick auf den Doctor, der aber durch seine gleichgültigen Züge nicht den fernsten Argwohn weckte, als wisse er um die nähern Verhältnisse des Briefstellers zu der Leserin. Schon nachdem sie die ersten Zeilen durchlaufen hatte, perlte ihr, von Archimbald nicht unbemerkt, eine Thräne im Auge. Sie zu verbergen, drehte sie sich rasch gegen das Licht und las eifrig und aufmerksam weiter. Die Epistel war lange, und die Pause während ihrer Lesung ward für Archimbald zur Ewigkeit und martervollen Pein, da die drei Zofen nicht aufhörten, ihn mit ihren Blicken zu durchbohren. Gluth auf den Wangen, drehte er sich halb von ihnen weg und hatte das Uebel ärger gemacht: denn sein Blick ruhte nun auf Ludmillens Gestalt, die durch wunderbaten Reiz seine Brust entflammte, und der regellosen Sehnsucht des Jünglings plötzlich ihr herrliches, aber um desto unerreichbareres Ziel anwies. Sein unstätes Auge suchte andere Ruhepunkte … es fiel auf den Doctor und schreckte schnell vor der Eiseskälte dieses unschönen Antlitzes zurück … es schweifte umher an den Wänden, und verfolgte die im Kerzenschimmer wirr durcheinander fließenden riesigen Kriegergestalten, die, auf die Tapete gewirkt, auf ungeheuern Rossen tournirten, oder in einen Wald von Lanzen brachen, oder den Ritterschlag erhielten … Alles umsonst! Wider Willen mußte er wie verzaubert und gebannt auf Ludmillen sehen, und zum ersten Male die wundersüße Qual empfinden, die der ärmste Jüngling nicht gegen eine Königskrone hinwirft, und der Tugendhafte, Unverdorbene zum mindesten Ein Mal im Leben fühlt … wohl nur ein einziges Mal. Er dankte dem Himmel, als endlich die Fürstin gelesen, den Brief zusammen gefaltet und ihr Auge mit dem Tüchlein getrocknet hatte; sie wendete sich zu dem Doctor. »Eine bessere Empfehlung für Euern Pflegling,« sprach sie, »hättet Ihr mir nicht bringen können. Der Schreiber dieses Briefs – sie seufzte – ist mir aus frühern Zeiten genau bekannt … Die Meinen schätzten sein Gemüth, sein Wissen. Ich habe schon lange Jahre nichts … nicht das Geringste von ihm vernommen. Diese Nachricht macht mir Freude … obschon nicht ungetrübte; denn ich muß daraus schließen, daß er seinem Glauben untreu, daß er katholisch geworden … daß er sich sogar in ein Kloster begeben …«

»Im römischen Glauben,« versetzte der Doctor, »und in dem klösterlichen Stande fand er allein Ruhe für sein verwundetes Herz.«

»Hat er Euch seine Leiden vertraut?« fragte die Fürstin neugierig und gespannt.

»Mit keiner Sylbe,« erwiederte Dee gleichgültig: »denn er klagt nie. Aber meine gesunden Augen überzeugten mich, daß er viel gelitten haben müsse, daß er als Mönch den Seelenfrieden auf's Neue sich erringen werde.«

»Meint Ihr?« fragte die Fürstin theilnehmend.

»Ich bin davon überzeugt,« versetzte Dee wie oben.

»Durfte er aber in der Abtrünnigkeit von seiner Lehre sein Heil suchen?« sprach die Fürstin etwas strenge.

»Warum nicht?« entgegnete Dee. »Er vertauschte Form gegen Form; der Kern blieb derselbe, und der Zweck heiligt das Mittel. Frankreichs König gab der Welt darin ein großes Beispiel.«

Die Fürstin schüttelte, zweifelnd wie es schien, das Haupt. – »Der Graf,« begann sie dann, »empfiehlt mir den Jüngling auf das wärmste. Er war sein Lehrer. Er hat viel Geist und Verstand in dem stummen Knaben entdeckt, ihn gebildet, hat ihn durch die Kunst der Feder in Verbindung mit der Außenwelt gebracht, da sein unglückliches Gebrechen die Mittheilung sehr hindert und beschränkt. Erlaubt mir jedoch die einzige Frage: Hat man den Jüngling, der, wie Ihr mir bereits vertraut, von der lutherischen Mutter für ihren Glauben erzogen wurde … hat man ihn vielleicht im Kloster zum Uebertritt beschwatzt?«

Der Doctor verneinte bestimmt. »Ihr fühlt,« fuhr die Fürstin fort, »daß dieser Umstand unsere ganze Abrede aufheben müßte.« – Der Doctor gab das zu, verneinte aber noch einmal, und rief Archimbald selbst auf, der, seiner erhaltenen Weisung zufolge, läugnend den Kopf schüttelte. Hierauf hieß ihn die Fürstin näher treten, betrachtete ihn, mit Wohlgefallen wie es den Anschein hatte, nahm ihn förmlich in ihren Dienst auf, reichte ihm die Hand zum Kusse und zog die Glocke. Der Haushofmeister trat ein. »Diesen jungen Menschen empfehle ich Euerer Obhut, Nepomuk,« sprach die Fürstin. »Er lernt den Pagendienst in unserm Hause. Ihr werdet ihn daher in Allem unterrichten und anstellen, was in diesen Dienst gehört, und ihm das, was in unserm kleinen Hauswesen nicht vorkömmt, als ein gütiger Lehrer beibringen. Vergeßt nicht, daß Junker Archimbald von guter adeliger Herkunft ist und unverschuldet an einem Gebrechen leidet, das unsere Nachsicht und Geduld in Anspruch nimmt, bis wir die Zeichen, deren er sich bedient, um seine Gedanken auszudrücken, völlig verstehen gelernt haben. Weiset ihm sein Gemach an und den Ehrenplatz an Euerm Tische, denn er ist Edelmann, und Euch im Stande weit zuvor, wenn Ihr gleich in der Ordnung des Hauswesens sein Vorgesetzter seyd.«

Nepomuk bückte sich unterthänig und öffnete die Thüre.

»Gute Nacht, Archimbald,« redete die Fürstin den neuen Pagen an. »Ruht von der Reise, und bereitet Euch vor auf den Dienst, den Ihr morgen antreten werdet. Er ist nicht schwer. Von Euerer Aufmerksamkeit, Euerer Treue und Euern Sitten wird es abhängen, ob Ihr in diesem Hause bloß den Diener vorstellen wollt, oder etwas mehr.«

Sie entließ ihn. Der Doctor blieb zurück. Archimbald folgte dem Haushofmeister auf das für ihn bestimmte Gemach. Es war von den Wohnzimmern der Fürstin zwar etwas entlegen, aber durch einen Glockenzug mit ihnen verbunden. Eine kleine reinliche Stube, mit der Aussicht in den Garten des Schlosses, der hinter dem Hauptgebäude liegend, von nicht sehr beträchtlichem Umfange und im Hintergrund von der Brustwehr des. Grabens begränzt war. Ein Knecht schleppte Archimbalds Mantelsack in die Stube herauf. Der Haushofmeister fragte den Jüngling: ob er sich es heute Nacht an seinem Tische wolle gefallen lassen? Archimbald verneinte aber, gab durch Zeichen zu verstehen, daß er müde und schläfrig sey und der Ruhe bedürfe. Nepomuk ließ dem zufolge seine Einladung ruhen, sandte ihm einen frischen Abendtrunk hinauf und ließ ihm eine gute Nacht in der neuen Behausung wünschen. Archimbald schloß die Thüre und warf sich in einen Sessel, um nach Herzenslust seine Lage zu überdenken. Sie war sonderbar … allein … dachte er an Ludmillen, so fand er sie schön, reizend … es konnte keine bessere geben. Wenn nur der verdammte Zwang nicht gewesen wäre, der ihm unerbittlich den Mund schloß und die Zunge lähmte. Nun erst stand ihm sein Probejahr gleich einer riesenhaften Unternehmung drohend vor Augen. Hier galt es auf der Hut zu seyn. Was nutzte aber für jetzt die voreilige Furcht? … dachte er sich endlich. Der erste Schritt ist geschehen; die Lüge begonnen. Das Werk muß vollendet werden. Wenn mich nur Sabine nicht erkennt, sonst ist Alles verrathen! Wenn ich mich aber im Spiegel besehe … er stand wirklich wohlgefällig vor dem seinen … so möchte ich wohl daran zweifeln; denn ich bin nicht mehr der Knabe Archimbald; ich bin ein großer und – ich darf's wohl sagen – wohlgewachsener Jüngling geworden. Sie wird mich nicht kennen, und gerne schweigen, wenn ich mich ihr vertraut haben werde. Aber, wer jetzt reden dürfte, mit Ludmillen …

Er trat sinnend an das Fenster und öffnete es. Der Abend war still, aber dunkel und wolkenverhüllt; der Garten einsam und leer. Im fernen Graben plätscherten Frosch und Schlange; sonst nirgends ein Laut. Ueber die Brustwehr herüber schimmerten in friedlicher Klarheit die Lichter des Dorfs, bis eines nach dem andern verlosch, die Häusergruppen in den Schatten der Nacht zurückfielen und immer tiefere Ruhe eintrat in der Natur.

Da wurde dicht in Archimbalds Nähe ein fröhliches Leben rege. Die Töne einer Zither und einer kleinen Handpauke beseelten plötzlich die Dämmerung, der Klang fröhlicher Schellen tanzte dazwischen, bis sich mit der leiser werdenden Weise drei Stimmen vermählten, die ein romantisches Lied in fremder Sprache anstimmten. Bald athmeten sie die reinste Weiblichkeit in geordneten, getragenen Strophen, und langsamer und leiser murmelte die Zitherbegleitung, wirbelte die Trommel, während die Glöckchen, nur vom leisesten West berührt, erklangen; bald schwellten sie rauschend in abenteuerlichem Wechsel zum wilden, unermüdeten Jubel- und Lustgesang, aus dem endlich mit raschem Schwung Stimmen und Begleitung in kriegerische Weise übergingen und in der Luft verhallten. Archimbald war nur Ohr. Er hatte so selten den Zauber der Musik empfunden, daß die Kunst der Töne eine ganz neue für ihn war; ein fremder, aber lieber Gast. Er horchte mit gespannter Aufmerksamkeit, selbst dann noch, als die verführerischen Dreiklänge schon geschwiegen hatten. Sehnsüchtig wünschte er die lieblichen zurück, und das Geschick, in seiner besten Laune, gewährte ihm mehr, als er verlangte. Denn der Genuß, der jetzt seinem Ohre sich aufthat und überraschend an sein Herz griff, war der höchste, den er je geahnt. Eine Harfe erklang in füll- und anmuthsreicher Melodie. Die heilige Cäcilia, die Archimbald auf dem Zellenaltar seines Lehrers so oft mit Liebe betrachtet und verehrt hatte … sie selbst schien die Saiten zu rühren, sie selbst schien in der engelgleichen Stimme, die voll und mächtig, gleich einer siegenden Königin, in das Gewühl der Töne trat, das Lob des Ewigen zu verkünden. Denn die Saiten schienen bald nur zu lispeln, um ihre Gebieterin, die Herrscherin, dienend zu umspielen, wie die murmelnden Wellen des ruhigen Sees die Brust des fröhlichen Schwimmers – bald in gewissen Zwischenräumen aus dem schmeichelnden Geflüster in eine preisende Hymne aufzurauschen, bis mit einemmale die drei ersten Stimmen in heiliger Weise mit einfielen und das vierfach verzweigte Loblied majestätisch schlossen. Die verwehenden und fern hinaus zitternden Himmelslaute klangen wie Festglocken wider in Archimbalds Busen, und wiederholten unaufhörlich und nie zu oft das herrliche deutsche Lied, das seine trunkenen Sinne begeistert hatte, und vor dessen frommem Ausdruck der frühere Gesang mit seiner fremden Sprache und fremdartigen Weise weit zurück treten mußte. Wer kann die herrliche Sängerin seyn? fragte sich Archimbald unruhig. Wer anders, antwortete sein klopfendes Herz – wer anders, als Ludmille? Wer anders als sie, die Reine, die Fleckenlose, kann so die Saiten rühren – also die Stimme erheben! O gewiß, sie ist es; gewiß ist sie der gute Engel dieses Hauses, die Fürbitterin desselben bei dem Allmächtigen … möchte sie doch auch meinfreundlicher Geist seyn, mit treuer Hand aus dem Labyrinthe meines durch den Fluch des Schicksals verworrenen Lebens, mich, den Sehnenden, den Hoffenden, hervorleiten an das Licht, zu dem Glauben, der sie hienieden schon zur Seligen gemacht hat!

In der festen Ueberzeugung, daß Alles so sey, wie er sich es denke, warf sich Archimbald auf das Lager. Zwar hatte er noch keine Sylbe aus Ludmillens Munde vernommen … zwar hatte er noch nicht die geringste Kunde von dem Werthe ihres Herzens … wußte nicht einmal zuverlässig, ob sie die Sängerin gewesen, die ihn so sehr entzückte; allein aus ihren zarten und gefühlvollen Zügen glaubte er mit vollem Recht auf alles Obige schließen zu dürfen … und wer verzeiht nicht dem liebenden Jüngling sein rasches Urtheil! Vertrauen und Glaube sind ja die Begleiterinnen desselben, wenn er hinaus tritt auf die fremde Straße, die durch Welt und Leben führt. Sie sind es, die ihm mit gutmüthiger Täuschung die schwachen Augen blenden, damit er nicht bei dem ersten Schritte aus dem Vaterhause verschüchtert zurückkehre in dasselbe. Sie sind es, die ihm im freundlichen Händedruck den Freund, im liebevollen Blick die Geliebte, im biedern Wort den Redlichen ahnen lassen. Wohl dem, der, von seltenem Glücke begünstigt, rasch zugreifend, in der Täuschung die Wahrheit findet, und noch ferner Hand in Hand mit seinen Führerinnen gehen kann … Wenn aber die Feindin der jugendlichen Phantasie, die rauhe Erfahrung mit schonungsloser Hand die täuschende Hülle von dem Erwählten streift und den Betrug mit Füßen tritt … dann verdorren schöne Keime in der jungen Menschenbrust. Der unerbittliche Reif hat die Blüthe berührt. Vertrauen zu seinen Brüdern, Glaube an ihre Würde … sie fliehen. Das Mißtrauen kettet sich an den Verlassenen. Durch seine scharfe, oft zu strenge Brille schauend, sieht er nur Ungeheuer hinter der menschlichen Larve lauschen; flieht das Geschlecht oder tritt es verachtend mit Füßen. Des Lebens Feuergeist ist verflogen, die schale Neige bleibt zurück.


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