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Drittes Kapitel.


Saul! Saul! warum verfolgest Du mich?

Archimbalds Beherbergerin, Frau Magdalena Streicherin, war eine durch ganz Schwaben und Baiern weit berühmte Tausendkünstlerin, eine Sibylle, die man von allen Seiten in Nöthen, Gefahren, Krankheiten, Heirathsangelegenheiten und Liebeshändeln um Rath fragte, um Hülfe ansprach, und welcher Vornehm und Gering unbezweifelte übernatürliche Kenntnisse zuschrieb, verbunden mit der unschätzbaren Gabe, Blicke in die dunkle Zukunft zu thun und ihren Vertrauten deren Schleier lüften zu dürfen. Seit langen Jahren war sie im Besitz dieses ausgezeichneten Rufes, und demselben, wie auch den mannigfaltigen Verhältnissen, in denen sie mit den weisen Herren vom Rathe und deren Hausfrauen stand, hatte sie es zu danken, daß man sie nicht schon als Hexe den Scheiterhaufen hatte besteigen lassen. Vor längern Jahren hatte freilich nicht viel gefehlt, und ihres ganzen Lebens Last und Mühe wäre umsonst und in Nichts zerflossen, indem ihr böser Geist ihr einen Streich spielte, der ihr sehr empfindlich zu werden drohte, hätte nicht ihr gutes Glück das Unwetter wieder beschworen.

Kaiser Maximilian der Zweite erkrankte im Jahr 1576 auf dem Reichstage zu Regensburg. Der Aerzte Bemühen war vergeblich. Der Fürst, dessen Körper seit dem vier und zwanzigsten Jahre, in welchem er Gift bekommen hatte, schwächlich geworden war, welkte immer mehr dahin und konnte nicht gesunden. In den schönsten Tagen des Mannes stehend, verlangte er jedoch zu leben; und so geschah es dann, daß er trotz aller Widerrede seiner Leibdoctoren, die berühmte kluge Frau von Ulm zu sich bescheiden ließ. Geschmeichelt von dem kaiserlichen Vertrauen, folgte Magdalena dem Rufe; aber ihr Glück sprach ihr Hohn. Maximilian starb, nachdem er kaum einige Tage lang ihre Wunderessenz gebraucht hatte. Der Leibarzt Crato, nachdem er den Kaiser oft gewarnt, sah seine Sorge und Meinung gerechtfertigt, und spie Feuer und Flamme gegen die Unglückliche, die es gewagt hatte, da helfen zu wollen, wo er selbst nicht mehr helfen konnte. Sie mußte eilends fliehen, und zog sich nach Amberg zurück, um abzuwarten, welchen Eindruck die verunglückte, leider zu bedeutende und offenkundige Cur in ihrer Vaterstadt machen würde. Ein volles Jahr hindurch mied sie die Heimath, bis sich daselbst Alles wieder in's Geleis begeben hatte. Mutter Lene fehlte überall, und die öffentliche Stimme rief sie zurück. Der Rath sicherte ihr frei Geleite und Schonung zu, und so ließ sie sich auf's Neue an ihrem eigenen Herde nieder. Ihre Anhänger fanden sich wieder bei ihr ein, und nach und nach ward ihre Kundschaft größer, denn zuvor. Dem Fieberkranken verschrieb sie Tausendgüldenkraut, dem Schwächlichen den heilsamen Löwenzahn, zeigte raschen Mädchen ihren künftigen Gatten im geheimnißvollen Krystall, weissagte andern Glück und Reichthum aus geschmolzenem Blei und aus dem Eierweiß. Dem Feigen gab sie Passauerzettel, um hieb- und stichfest zu werden; dem unglücklichen Schützen besprochene Kugeln; leichtfertigen Frauen kochte sie Liebestränke, verordnete jungen und alten Wollüstlingen die Wurzel der Golddistel, lösete geknüpfte Nesteln und bannte gefährlichen Zauber an Vieh, Menschen und Feldern; nützte weit mehr als sie schadete, obschon sie eben nicht gewissenhaft in ihren Unternehmungen und Zweckmitteln war; hatte sich aber dergestalt in Ansehen gesetzt, daß man sich scheute sie zu beleidigen, aus Furcht, sie möchte ihre Wundergaben feindlich zu gebrauchen sich veranlaßt finden. Das Alter stellte sich aber, ihren Wunderessenzen zum Trotz, recht lästig bei ihr ein. Ihre Schritte wurden unsicher, ihre Hand zitterte, ihre Augen dunkelten; ihre Kräutersammlungen gingen schwerer und mühsamer von Statten. Der Rücken schmerzte sie, wenn sie in Gräben herumkriechen mußte, um den blutstillenden Katzenschwanz und die heilsame Leberklette zu suchen; ihre Gicht rührte sich, wenn sie sich lange an feuchten Felsen und schattigen Brunnstellen aufhielt, um die Steinflechte zu sammeln und das harzige Wasserwerk. Ihre Füße wollten nicht mehr hinaus wandeln zu Strauch und Busch, um Waldglöcklein und Ehrenpreis heimzuholen, oder in den Dörfern die Horoskopzettel und Glücksbriefe auszutheilen, die der klugen Verfertigerin von dem Landvolke theuer bezahlt wurden an Lebensmitteln und Früchten. Sie hatte sich schon lange um einen Gehülfen umgesehen, fähig, die gröbere Arbeit im Hause zu verrichten, Kräuter und Wurzeln zu sammeln, Säfte zu pressen, Prophetenblättlein und Amulette zu schreiben, und von ihr die Geheimnisse der Chiromantie und die Kunst, aus den Lineamenten des Gesichts wahrzusagen, zu erlernen, und sie auf Wanderungen durch's platte Land zu üben. Ihre Bemühung war aber bisher fruchtlos geblieben. Erwachsene konnten zu ihrem Zwecke nicht taugen. Ein junges Mädchen schien ihr zu plauderhaft, zu unbesonnen; auch fürchtete sie mit Recht das Erwachen der ersten Leidenschaft. Ein Knabe mußte es also seyn. Aber so sehr sie sich auch abmühete, fand sie keinen, der den Verstand, die Gaben und Entschlossenheit besessen hätte, die sie als unerläßliche Eigenschaften forderte. Ein Zufall war's, der ihr den jungen Archimbald begegnen ließ, als sie gerade bei nächtlicher Weile vom Friedhof heimkehrte, wo sie sich einen Vorrath von Gebein und Sargsplittern gesammelt hatte, die sie zu nekromantischen Gaukeleien zu gebrauchen für gut fand. Das verwegene Geschäft, bei dem sie den Buben ertappte, wie sein keckes Aeußere, flößten ihr alsobald eine günstige Meinung von seinem Muthe und seiner entschlossenen Seele ein. Einen solchen, der, ohne zu grübeln und zu zagen, that, was sie befahl, brauchte sie zu ihrem Zwecke. Als sie aber inne wurde, wer er eigentlich sey, stand ihr Vorhaben um so fester; sie sah Gottes Finger, nicht den blinden Zufall in der sonderbaren Fügung. Der Name Hedwig entzündete ein Höllenfeuer in ihrer Brust, und sie beschloß, dem Knaben Mutter zu seyn, wie es eine Frau, die schon längst aller Weiblichkeit entsagt hatte, nur immer seyn konnte.

Sie weckte den Langschläfer, führte ihn im Häuslein hin und her, zeigte ihm den kleinen Garten an der Hütte, mit Salbei, Liebstöckel und Hollunder bepflanzt, das Gemach, in dem sie ihre magischen Werkzeuge und die Kräuter aufbewahrte, aus denen Tränke und Latwergen bereitet werden sollten, und belehrte ihn ausführlich, worin seine neuen Pflichten bestehen würden, wenn er bei ihr bleiben wolle. Archimbald schlug fröhlich ein; denn die Einsamkeit und freie Lage der Hütte, die häufigen Wanderungen in Feld, Wald und Dorf hatten etwas unbeschreiblich Anziehendes für seine Einbildungskraft, und sein heller Geist sehnte sich nach der Erlernung der Geheimnisse seiner Pflegerin. Frau Magdalene war und blieb freundlich und sorgsam mit dem jungen Menschen, und unterrichtete ihn, als wäre er ihr eigener Sohn. Bald kannte er alle Kräuter, Blätter und Blüthen, begriff die Elemente der Chiromantie, und konnte sich ausgelassen auf den nächsten Lenz freuen, wo er in Hain und Flur die Heil- und Wundkräuter pflücken und in den Händen der Landleute Tisch-, Leber- und Ehrenlinien auffinden und weise erklären sollte. Mutter Lene hatte ihr besonderes Wohlgefallen an den Anlagen ihres Pfleglings, und verstattete ihm auch dafür manche Freiheit. Nur hatte sie ihm auf das Strengste untersagt, die Stadt zu betreten. Das Verbot drückte ihn nicht; er hatte ja keine Freunde darinnen aufzusuchen, sondern Todfeinde, deren er sich nie ohne neue Zornaufwallung erinnern konnte. Trudchen nicht sehen zu dürfen, fiel ihm freilich anfänglich schwer; aber, überlegte er sich's genau, so war es eben so gut. Sein Stolz hätte nur empfindlich dabei gelitten; als Bettler vor ihr zu stehen, gegen die er noch am Todestage seines Vaters von seinem zukünftigen Reichthum prahlte! … Nimmermehr! – Darum war ihm auch sein Loos annehmlich und gut, frei von Zwang und sicher. Früh stand er auf, warf sich früh nieder auf's Lager, weil er nicht bei den Besuchen gegenwärtig seyn durfte, die Mutter Lene in den späten Abendstunden erhielt; er übte sich, lernte täglich etwas Neues, und, wie es in dem beneidenswerthen Jugendalter zu gehen pflegt, nach und nach sanken vergangene Bilder in tiefern Schatten, und die Gegenwart erschien dem Knaben bald als eine freundliche Führerin, ihn der bräutlich geschmückten Zukunft entgegen zu leiten. Er wiegte sich fröhlich in dem Schifflein des Lebens, und jeder Augenblick, der vorüberglitt, war ein frischer Windstoß in das blähende Segel, ein neuer Ruderschlag, der die Barke immer näher rückt zum zauberisch winkenden Strand. – Jugend, Kindesalter! herrlich duftende Blumenkrone auf den goldenen Locken des sprossenden Geschlechts! welche Wonne gleicht der deinen! Hoffnung leitet den Knaben, bietet ihm bei jedem Ungemach den Becher aus dem Strome der Vergessenheit, gräbt jede Freude mit nie verlöschenden Zügen der Erinnerung in seine Brust! … Holde Frühlingszeit! warum schwindest du? warum lässest du nur herbe Täuschung zurück? Die goldenen Locken werden braun unter der sengenden Hitze des Tages, grau unter den Stürmen des Abends. Welch' ein Abstand von dem Blüthenschmucke auf dem Haupte des Kindes bis zum flatternden Strohkranze auf den weißen Haaren des Achtzigjährigen? Durch einen Triumphbogen führt der Weg in's Leben … es versiegt in der dunkeln, einsamen Grube. Aber die Hoffnung, mit uns alt geworden, spinnt sich mit uns ein … und keine untergehende Sonne ist noch jemals ausgeblieben; sie geht immer wieder auf und herrlicher, denn je zuvor!

Archimbald war eines Abends gerade etwas früher als sonst zur Schlafstätte gegangen, als der Rottmeister der Stadtwache zu Frau Magdalene in's Gemach trat. Sie rückte ihm einen Stuhl. Der wohlbeleibte Kriegsmann lehnte die Partisane an die Mauer und ließ sich behaglich nieder. »Ein später Gast,« – sprach die Alte und griff wieder zu ihrer Arbeit. – »Vielleicht auch kein angenehmer,« erwiederte der Rottmeister und legte sein Gesicht in wichtige Falten. – »Wie so?« forschte Magdalena.

»Ihr werdet Euch erinnern, Frau Magdalena,« begann der Besucher, »daß Weihnachten vor der Thüre ist.« – »Wie sollte ich nicht? bin ja eine gute Christin.« – »Hm! hm! so? Um Weihnachten ist eben auch« … »Euer Jahrgeld fällig,« fiel Mutter Lene ein. »Könnte ich das je vergessen? Ihr habt mich nie im Rückstande gefunden; auch diesmal plage ich Euch nicht um Nachsicht.«

Sie zog ein Beutelchen mit Silbermünze hervor und setzte es vor den Rottmeister auf den Tisch. Er zählte, fand die Summe richtig und knüpfte mit herablassender Miene den Beutel an sein Degengehänge.

»Eine gute Christin, fürwahr!« sprach er, freundlich mit dem Vollmondsgesichte nickend: »das muß wahr seyn. Es sind schon an die vierzehn Jahre, seit ich das Schärflein von Euch beziehe, und nimmer hat es auch nur um einen Hahnenschritt gefehlt.«

»Sollte ich denn jemals meinen wackern Freund, den braven Hans Schnepfinger, vergessen,« meinte die Alte … »der mir mit Rath und Hülfe beisteht, und weit mehr Freundschaft erweis't, als ich ihm mit diesem Gelde wett machen kann?«

»Eine Hand wascht die andere!« schmunzelte Schnepfinger. »Gegenseitiger Vortheil bindet. So kann ich Euch vielleicht im Augenblicke Euern jährlichen Zins vergüten durch eine wohlgemeinte Anzeige.«

»Die wäre?« fragte Lene neugierig.

»Ihr habt vor Kurzem einen jungen Burschen in's Haus genommen,« fuhr der Rottmeister fort. »Wer der Bube ist, kümmert mich nicht; aber andere Leute plagt der Vorwitz.«

»Sieh' doch!« versetzte Lene gleichgültig, obschon ihr das Herz ängstlich pochte. – »Da ist zum Beispiel der Rathsherr Thurneisen,« sprach Schnepfinger weiter: »ein braver, lieber Mann, nur etwas grob, bissig und ein entsetzlicher Neidhammel. Der hat von dem Buben munkeln hören und mir den Auftrag gegeben, mich von Ferne zu erkundigen, welche Bewandtniß es mit demselben habe. Was er im Schilde führt, weiß ich so eigentlich nicht; aber Gutes ist es schwerlich. Das wäre wider des Rathsherrn Natur. Nun, denke ich, werdet Ihr am besten wissen, ob Ihr ihn zu scheuen habt oder nicht, und Euere Anstalten darnach treffen. Denn er läßt Euch einmal überrumpeln, ehe Ihr's Euch verseht, – und findet er Euch auf einem fahlen Rosse reitend – dann genade Euch Gott!«

»Ich wüßte nicht« … stammelte Magdalena verlegen.

»Thut, was Ihr sollt, lass't, was Ihr wollt!« fiel der Rottmeister ein und stand rasch, auf: »ich habe das Meinige gethan.«

»Wofür ich Euch herzlich danke,« erwiederte die Alte.

»Pah, Kleinigkeit!« rief der Abschiednehmende und schüttelte der Hexe traulich die Hand. »Kocht mir dafür eine gute Waffensalbe. Ich habe ein Vögelein pfeifen hören von naher Rauferei mit den Günzburgern. Ich schlage zwar los wie ein Heide und fürchte mich nicht; aber wenn man sich einen stattlichen Bauch angezecht hat, wie ich, möchte man ihn doch auch wieder heil nach Hause bringen. Verstanden, Mutter Lene?«

Die Alte nickte freundlich und leuchtete dem Kriegsknechte zur Thüre hinaus. Kaum war er aber im Dunkel der Nacht verschwunden, als sie schnell das Haus von innen verriegelte, das Feuer auf dem Heerde anschürte, Kräuter zum Kochen setzte, mehrere Pulver rieb und mischte und endlich den Pflegling aus seiner süßen Ruhe weckte. »Komm herab, Archimbald!« rief sie dem Schlaftrunkenen zu: »Du hast keine Zeit zu verlieren. In wenig Stunden ist es Tag, und bis dahin mußt Du ein neuer Mensch werden.«

»Wie meint ihr das, Lene?« fragte der Knabe und kletterte gähnend die schmale Stiege hinunter. Die Alte blieb ihm jedoch die Antwort schuldig, und hieß ihn, Arme, Füße und Brust entblößen. Staunend gehorchte er; die Alte schritt rüstig zu Werke und hatte ihn binnen wenig Minuten in einen Zigeunerjungen verwandelt. Des Knaben frische Züge waren in der braunen, beizenden Lauge untergegangen, mit der Mutter Lene sie freigebig wusch; die röthlichen Locken hatten sich in schwarze, straff herunter hängende Haarbüschel verwandelt; ein Pflaster, von dem Schlafe an über das linke Auge hinunter laufend und die halbe Nase bedeckend, entstellte das blühende Gesicht auf schreckbare Weise, und ein eng anliegender Lederstreif, um das rechte Knie befestigt und von innen mit feinen Stachelspitzen versehen, zwängte den Fuß in eine krumme Lage, die er nicht verändern konnte, ohne von den Stacheln empfindlich verletzt zu werden. Diese ekelhafte Gestalt hüllte endlich Mutter Lene in ein weites, grobes Hemd von braunem Wollenzeuge, das ein Strick um die Mitte des Leibes festhielt, stülpte ihr eine schmutzige Filzmütze auf's Haupt, und hieß den Knaben wieder schlafen gehen.

»So erklärt mir doch, Mutter Lene, wie das zusammen hängt?« fragte Archimbald, der von seinem Staunen nicht zu sich kommen konnte.

»Du bist ein armer Knabe,« erwiederte Lene, »dem Unglück droht auf allen seinen Wegen und Stegen, darum lerne bei Zeiten die goldene Kunst der Verstellung, mein Sohn! Den Gewaltigsten der Erde, dessen Hauch uns zerschmettern könnte, steckt unsere List und Verschlagenheit in den Sack. Darum verstelle Dich, Archimbald. Hinke, stammle und geberde Dich wie ein blödsinniger Junge, um Deine Feinde zu bethören. Sobald die Umstände es erlauben, befreie ich Dich von diesen lästigen Banden; für jetzt sind sie Dein Heil.«

Archimbald konnte zwar noch immer nicht begreifen; allein die Alte hatte Recht; denn kaum graute der Morgen, als auch die morsche Thüre des Häuschens von heftigem Gepolter und Pochen erbebte. Lene, des Besuchs gewärtig, öffnete, und herein drangen Bewaffnete und Fackelträger, an ihrer Spitze der Rathsherr Thurneisen, hinter ihm, tief im Mantel verhüllt, Archimbalds Bruder.

»Hexenlene!« schnaubte der Rathsherr die schlaftrunkene Alte an: »Im Namen des Magistrats öffnet mir alle Kammern und Schlupfwinkel Eures Hauses.«

»Gestrenger Herr!« seufzte Lene, sich kreuzigend und segnend: »Was habe ich denn Uebels gethan, daß Ihr so hart mit mir in's Gericht geht?«

»Schweig', Vettel!« schrie Thurneisen. »Das wird sich finden. Der Teufel hält Dir das Licht, wenn ich Unrath finde!«

Lene öffnete bereitwillig alle Gemächer, sogar das Laboratorium, aus dessen Schwelle jedoch selbst der rohe Thurneisen mit ängstlicher Scheu stehen blieb, und bloß die Späherblicke in alle Winkel sandte, um auszukundschaften, ob Niemand darin verborgen. »Hm!« brummte er dem Vetter, in die Ohren: »haben uns doch am Ende verrechnet.«

Da gewahrte er in der Küche die Leiter, die zum Boden führte. – »Sieh' da, noch ein Versteck!« rief er hoffend. »Wer da oben?«

»Ein armer Knabe,« seufzte Lene, »den ich aus Barmherzigkeit zu mir genommen, seine Gebreste zu heilen, wenn's möglich.«

»Aha!« schrie Thurneisen frohlockend: »das ist der, den wir suchen. Leuchte, alte Hexe, und freue Dich im Voraus auf Deine Belohnung. Ich lasse Dich säcken, bei meiner Ehre!«

»Ich verstehe nicht, was Ihr sagen wollt,« versetzte die Alte: »allein ich bin guten Gewissens. Ich gehe voran, ihr Herren!«

Sie kletterte empor; dicht hinter ihr der Rathsherr und Philipp; doch kaum auf den Speicher gelangt, sprang, durch den plötzlichen Lichtschein geschreckt und wild gemacht, der Kater Schwarzmann an den beiden Männern empor, sie rechts und links zerkrallend, daß sie beinahe die Stiege hinabgestürzt wären, hätte sie nicht das Ungethüm endlich losgelassen, um die Flucht zu ergreifen.

»Der Teufel hole die verfluchte Bestie!« brüllte Thurneisen. »Und unsern Vorwitz!« setzte Philipp bei, indem sie der Alten weiter folgten.

»Kunz! Kunz!« rief diese mit schnarrender Stimme Archimbald zu, der, seiner Rolle völlig gewachsen, in fuchsähnlichem Schlummer lag und den Ankommenden entgegen blinzelte.

»Kunz!« wiederholte die Alte und rüttelte ihn endlich beim Arme: »wach' auf! die Herren wollen Dich sehen.«

Archimbald bewegte sich, rieb, sich das rechte Auge und erhob sich langsam von seinem Lager.

Als aber die Fremden die Gestalt aus dem Stroh emporsteigen sahen, und beim Schimmer der Leuchte die widerlichen Züge sammt den Gebrechen des blödsinnig sie anstierenden Knaben unterschieden, wendeten sie sich mit der Geberde des Abscheus ab. Thurneisen allein warf noch die Frage hin: »Wer bist Du, Junge?« Allein als Archimbald mit stammelnder Zunge einige unverständliche Worte mühsam hervorgepreßt hatte, winkte der Rathsherr abwehrend und ging, ohne ein Wort zu reden, zurück.

»Wir sind betrogen!« flüsterte er dem Vetter zu. »Dem Geißmann, dem besoffenen Scharwächter, lasse ich zweihundert Stockprügel geben, weil er uns in den April geschickt hat.«

»Lass't ihn mir zu Liebe noch acht Tag in den Bock spannen,« setzte Philipp hinzu. Der Rathsherr nickte beifällig und verließ, ohne ein Wort des Abschieds, sammt seinem Gefolge das Haus. Lene aber schloß hinter ihnen die Thüre, belobte die gewandte Verstellungskunst ihres Pfleglings, und suchte, seit langer Zeit wieder einmal mit sich selbst zufrieden, auf's Neue das Lager.


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