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Erstes Kapitel.


Zwischen Lipp' und Kelchesrand
Schwebt des Schicksals finst're Hand.

Der Rathsherr Wernher stand vor dem venetianischen Spiegelglase, knüpfte die zierlichen Quästlein an der feinen Halskrause zusammen, und blinzelte, in seinem Gott vergnügt, seitwärts zum Fenster hinaus, in den hellen Sonntagsmorgen; strich sich dann behaglich den sauber geschornen Knebelbart, und lächelte noch behaglicher. »Sollte man es denken« – sprach er endlich für sich und stemmte die Arme in die Seite – »sollte man denken, daß ich heute vor sechszig Jahren aus dem Ei geschlüpft sey? Sehe ich nicht so frisch und blühend aus, als wäre ich um zwanzig Jahre jünger? Steht nicht mein apfelgrünes Seidenwamms mit den hochgelben Schlitzen und den reich bebänderten und beschleiften Unterkleidern stattlich und groß zu meinem gesegneten Körperumfang? Sind die prächtigen karmesinrothen Strümpfe nicht über Waden gezogen, nach denen manch' junger Gugelhans mit neidischen Blicken schielt? Nichts geht über ein lebendiges, rasches Alter, und der blaue Sonntagsmorgen da draußen feiert recht fröhlich meinen Geburtstag, der, so Gott will, noch oft wiederkehren wird.«

»Ja, das gebe der liebe Herrgott!« fiel des Dieners süßliche Stimme ein.

»Ei, sieh' da!« tief Wernher, sich umschauend. »Du hier, Simon? So, so. Ich dachte, ich sey allein.«

»Bin eben eingetreten,« entgegnete Simon und kauerte sich nieder, um dem Gebieter die rauchledernen Schuhe mit den bunten Absätzen und den gelben Laschen anzuziehen.

»Bist ein guter Mensch,« sprach Wernher während diesem Geschäfte; »hast schon manches Jahr bei mir ausgehalten … Sollst auch nicht von mir kommen bis an mein Ende, und auch dann soll für Dich gesorgt werden. Mein Sohn, der Philipp, ist zwar ein böser Bube, aber meinen letzten Willen wird er, so Gott hilft, ehren.«

»Das heilige vierte Gebot,« schaltete Simon ein.

Herr Wernher stand auf, ging ein Paar Mal nachdenklich im Gemach auf und ab, sah dann auf die Wanduhr. »Es wird bald zur Kirche läuten,« fuhr er dann fort. »Geh' und bringe mir meinen Scharlach und den feinen niederländischen Hut mit der Straußenfeder und dem goldnen Knopfe, wie auch die gemsledernen Handschuhe mit den seidenen Fransen.«

Simon ging. Der Rathsherr nahm das silberbeschlagene Gebetbuch, die goldene Rathsherrnkette und den Rubinring aus dem Schrein, gürtete sich den Degen um und besah sich von Neuem im Spiegel. Die trüben Wolken, die sich auf seine Stirn gelagert hatten, machten der gewöhnlichen Heiterkeit Platz, die auch dann nicht wich, als er mißfällig bemerken mußte, daß sowohl im Haar als Bart der grauen Eindringlinge viele geworden waren.

»Simon!« rief er dem Eintretenden zu: »Gib mir doch das Fläschchen mit dem kostbaren Oele, das mir vor zwei Jahren der Philipp von Lyon geschickt hat. Es macht die Haare so glänzend und so dunkel, daß es eine Freude ist.« – Er salbte sich wohlgefällig mit der Essenz das Haupthaar, und zog lächelnd den Zwickelbart durch die balsamisch duftenden Finger. Simon aber reinigte am Fenster den Federhut vom Staube und bewunderte ihn, wie er immer zu thun pflegte.

»Welche Feinheit!« rief er: »der Filz so zart gleich Sammet, und die schöne krause Feder! Den Hut sandte Euch ebenfalls Euer Sohn, der junge Meister Philipp?«

»Ja,« erwiederte Wernher gleichgültig, und warf sich in den pelzverbrämten Scharlachmantel – »er schickte mir ihn von Antorff aus. Der Heuchler weiß wohl, welche Geschenke seinem Vater die meiste Freude machen. Deßwegen taugt aber der Geber dennoch nichts.«

Simon seufzte beweglich.

»Der Bube war mir zuwider von Geburt an,« eiferte Wernher, »weil er seiner armen Mutter, die ich zärtlich liebte, das Leben kostete. Du kamst dazumal in mein Haus, und erinnerst Dich, in welche Betrübniß ich versunken war.«

»Ihr thatet gleich einem ächt christlichen Wittwer,« bekräftigte Simon. »Der Schmerz konnte aber nicht ewig dauern.«

»Mein Blut war zu leicht,« sprach Wernher; »ich dachte bald auf Ersatz für die Selige. Jedoch zum Altare sollte mich keine mehr bringen, nahm ich mir vor. Lange suchte ich vergebens; allein mit der schönen Hedwig aus Thüringen, die ich als Wirthschafterin annahm, ging ein neuer Stern in meinem Hause auf.«

»Ach, die fromme, gute Hedwig!« seufzte Simon. »Wie sie Euch liebte … wie sie endlich dahinsterben mußte, so elendiglich! …«

»Ach!« fuhr Herr Wernher fort, sich die Augen trocknend: »es wird mir immer trüber vor dem Blicke, wenn ich an sie denke. Sie war so gut, aber dennoch haßte sie der heranwachsende Bube, der Philipp; wurde ein boshafter Kundschafter im Hause, und darum schickte ich ihn fort in die Niederlande, um die Handlung zu erlernen.«

»Er soll ein wackerer Kaufherr geworden seyn,« meinte Simon.

»Ach ja!« seufzte Wernher. »Leider zeigte er Geschick zur Kaufmannschaft. Aber beinahe wünschte ich, er möchte das Kriegshandwerk ergriffen haben. Entweder hätte er in den fland'rischen Trubeln sein Glück gemacht, oder eine spanische Falkonetkugel seinen Heuchlergeist frei gemacht von den Banden des Leibes.«

»Seyd Ihr denn nicht zu hart gegen den eignen Sohn?« fragte Simon demüthig.

»Das verstehst Du nicht!« erwiederte barsch der Rathsherr. »Genug, ich kann ihn nicht leiden, und gäbe meine Hand darum, wenn Archimbald mein einziger rechtmäßiger Sohn wäre … der Erbe meiner Habe und meines Namens. Er wäre es auch, der brave Junge, wenn nicht ein hartes Schicksal mir seine liebe Mutter gerade am Vorabende des Tags, wo ich sie zu meiner ehelichen Hausfrau machen wollte, entrissen hätte! … »Na,« setzte Wernher hinzu und fuhr sich über die Stirn: »Gott habe sie selig, und dem Buben soll auch nichts abgehen. Philipp ist zwar mein Erbe, aber ein stattliches Vermächtniß habe ich dem Archimbald ausgesetzt, von dem er wird leben können und sich gütlich thun.«

»Wie mögt Ihr doch schon jetzt des letzten Willens gedenken?« fragte Simon wehmüthig, und küßte Wernher's Hand. »Ihr werdet noch lange und zufrieden leben.«

»Ei, das hoffe ich auch!« erwiederte Wernher lachend. »Ein Testament ist noch kein Todesurtheil. Die Leute in unserer lieben Stadt Ulm nennen mich einen leichtsinnigen Freiherrn; ich weiß es wohl. Darum will ich ihnen beweisen, daß ich nicht faselhaft genug bin, um auf Leben und Sterben zu vergessen. Der Magister Kalander wird mir heute oder morgen meinen letzten Willen, wie ich ihn denselben aufsetzen hieß, zur Unterschrift vorlegen. Mein Archimbald ist in demselben wacker bedacht … und Du … doch horch! da brummen schon die Glocken vom Münster. Rufe mir doch geschwinde den Buben: ich habe ihn heute noch nicht geküßt; und pflücke mir einen hübschen Blumenstrauß, zum Kirchwege.«

Simon entfernte sich. Der Rathsherr vollendete seinen Putz, liebäugelte mit seinem Spiegelbilde, und hielt es nicht für unmöglich, an seinem sechzigsten Geburtstage sogar noch einen freundlichen Blick von schönen Frauenaugen zu erobern.

Archimbald tobte zur Thüre herein. Ein unbändiger, zwölfjähriger Knabe, der, von dem liebevollen Vater verwöhnt, gerade nur ihn, allein als seinen Obern in der Welt erkannte, und dessen wackere Anlagen von seinem stolzen, hochfahrenden Wesen und seiner Ausgelassenheit weit überstrahlt wurden. Diese Unbändigkeit war es aber, die ihm des Vaters Herz so völlig erobert hatte, daß er gerne den ehelichen Sohn, der schon seit zwölf Jahren das Haus gemieden, vergessen hätte, um seine volle Gunst an das Kind seiner Liebe zu verschwenden. Archimbald gab des Vaters Bild in all' seinen Zügen wieder. Das war des Vaters Stirn, sein lebenslustiges Gesicht; dasselbe röthlichbraune Haupthaar, das in tausend üppigen Locken um des Knaben Nacken spielte; dasselbe Feuerauge mit demselben kühnen, manchmal so redlichen Blicke, denselben aufgeworfenen Mund, dieselbe rasche und bewegliche Rede. Deßhalb lebte aber auch Wernher in dem Sohne, und umfaßte ihm mit weit innigerer Liebe, als Archimbald den Vater, dessen unbegränzte Zärtlichkeit der Knabe für Schuldigkeit hinnahm.

»Es ist heute Dein Geburtstag, lieber Vater Wernher?« fragte der kleine Wildfang und warf sich dem Rathsherrn um den Hals. »Simon hat mich so eben daran erinnert. Der Schalksnarr hätte wohl früher davon plaudern können. Der Magister hat mir einen schönen lateinischen Vers aufgeschrieben; ich sollte ihn abschreiben und Dir bringen. Doch jetzt ist die Zeit zu kurz, und ich weiß nicht mehr, wo ich den Zettel hingebracht. Darum mußt Du schon mit einem Kuß vorlieb nehmen.«

»Glaubst Du nicht, daß Dein Kuß mir lieber ist, als des Magisters Vers?« fragte der Rathsherr, den blühenden Buben in seine Arme nehmend, der ihm Halskrause und Kette in Unordnung brachte, während der Vater mit ihm im Gemache auf und nieder tanzte.

Da schlugen die Glocken zum zweitenmale zusammen. Simon brachte den verlangten Strauß und Wernher machte sich bereit zum Kirchgange.

»Wartet nicht auf mich mit dem Imbiß,« sprach er noch zu Simon. »Ich bin zu Gaste geladen bei dem Syndicus, der mein Geburtsfest begehen will. Simon, gib mir doch die Muscatnuß mit dem dazu gehörigen kleinen Reibeisen … der Syndikus wird Augsburger Märzbier aufsetzen. Lange mir auch die Zwiebel wider den Schwindel. Sie steckt in meinem Werkeltagswamms. So! … wenn die Feierglocke läutet, kommst Du mit der Hornleuchte, mich abzuholen. – Bringe mir auch die Sammetkappe mit, wegen der kalten Abendluft. – Kömmt unter Tags der Magister mit der Urkunde, so bescheide ihn auf morgen … hörst Du? Jetzt aber gehe voran in die Kirche, und sperre meinen Stuhl auf. Lebe wohl, mein lieber Archimbald! Gott segne unsern Aus- und unsern Eingang.«

Er küßte noch einmal den Knaben, beschenkte ihn mit einigen Hellern, um Wecken zu kaufen, und ging dem mit dem Gesangbuche voranschreitenden Simon nach, mit abgemessenem Schritte, würdevoller Haltung, und rechts und links, wo nur der stattliche Rathsherr hinsah unter das Gedränge der Kirchgänger, flogen die Mützen. Herr Wernher, die Linke auf das Degengefäß gestemmt, die Rechte mit dem duftenden Blumenstrauß geschmückt, grüßte herablassend nach allen Seiten; aber so oft er ein liebreizendes Frauenantlitz gewahrte, verjüngte sich sein ganzes Wesen, und tiefer beugte sich, mit den Rosen jugendlicher Erinnerung bekränzt, sein graues Haupt, bis im Hause des Herrn jene Kränze verwelkten, um ernstere Betrachtungen in ihm aufkommen und den leichtsinnigen Geist fromm werden zu lassen.

Simon kehrte bald wieder zurück, legte dem jungen Archimbald die Festkleider an, und ging, den Imbiß zu besorgen. Archimbald, der im Garten gewesen war und eine Eidechse gefangen hatte, suchte mit seiner Beute den alten Diener auf, um ihm einen Streich zu spielen, wie er oft gethan. Leise schlich er nach der Küche, und sah Simon am Herde stehen, vor ihm Feuer und kochende Speisen. Der Alte hatte aber ein Fläschlein zur Hand, welches er bedächtig gegen die Sonne hielt, um den Inhalt desselben im hellen Lichte mit den Augen zu prüfen. Ein milchartiger Saft füllte zum Drittel ungefähr die Phiole. Simon rüttelte und schüttelte an dem Fläschchen, als Archimbald, dem es zu lange dauerte, mit einem lauten Halloh! die Eidechse an ihn schleuderte. Das ängstliche Thier flog wie der Blitz an dem Alten hinunter, der vor Schrecken das Fläschchen fallen ließ, welches auf dem Steinboden in tausend Stücke zersprang. Archimbald lachte ausgelassen; Simon warf ihm aber einen Zornblick zu, wie der Knabe noch, nie gesehen, der ihm auch das Lachen urplötzlich vertrieb. Ein schwerer Fluch oder wenigstens ein bitteres Wort schien aus Simons Lippen zu schweben; doch nahm sich der Behutsame zusammen, und schwieg, bis die erste Bewegung vertobt hatte.

»Was habt Ihr nun davon, junges Herrlein« … fragte er endlich mit unsicherer Stimme … »daß die edle Essenz, mit der ich meine alten Augen zu stärken pflege, verschüttet am Boden liegt?«

»Hm!« erwiederte Archimbald, »das thut mir leid. Doch tröste Dich. Der Vater soll Dir Geld geben, welche zu kaufen. Sey nur nicht griesgram, und komme mit mir hinein. Ich habe so viele Langeweile, und am Sonntage darf ich in den Frühstunden nicht auf die Gasse.«

»Was soll ich aber in der Stube mit Euch, mein Junkerlein?« fragte Simon weiter.

»Mährlein erzählen, alter Simoni« rief der Knabe und zerrte ihn ungeduldig mit sich fort. Der Alte folgte halb gezwungen, überließ der Magd Sabine die Aufsicht der Küche, und brummte in den Bart: »Hm! es soll nicht seyn; es soll nicht seyn!«

»Was soll nicht seyn?« fragte Archimbald, dem kein Wort entging.

Simon schwieg eine Weile. – »Ich wollte Euch eine Freude machen,« sprach er endlich: »Euer Leibgericht Euch aufstellen.«'

»Hirsebrei?« fragte der Knabe, aufhorchend.

»Errathen, Herrlein!« versetzte Simon. »Ich hätte ihn mit dem kostbaren Zimmet gewürzt, den Euer Bruder neulich mit den andern schönen Sachen für den Vater schickte.«

»Mein Bruder?« spracht Archimbald hämisch lachend. »Ich mag nichts von ihm; kann ihn nicht leiden.«

»Ei, warum denn nicht?« forschte der Diener.

»Weiß nicht recht,« versetzte Archimbald. »Aber genug, es ist so: Vater Wernher kann ihn auch nicht leiden. Er hatte seine eig'ne Mutter umgebracht, und die meinige gehaßt, und er hasse mich auch, und habe mir oft die Pest an den Hals gewünscht. So sagte der Vater oft, und ob ich ihn gleich nie gesehen, den Philipp, so ist er mir doch zuwider wie Wermuth.«

»Wenn Ihr ihn kennen lerntet« … meinte Simon.

»Will ihn nicht kennen lernen!« erwiederte der Knabe heftig und stampfte mit dem Fuße. »Er soll mir nicht in's Haus; so lange ich darinnen bin. Ich weiß wohl, alter Simon … denn ich habe meine Ohren überall … daß mich viele Leute nicht gerne haben. Der Ohm Leonhard, die Base Laibingerin, der Vetter Thurneisen können mich nicht ausstehen. Wenn die Sippschaft einmal bei dem Vater zusammen kömmt, darf ich mich nicht sehen lassen. Ja, wenn der Ohm Ehrenfried noch hier wäre! Aber er ist in den Krieg gezogen nach dem Lande Böheim oder Hungarn … Der hatte mich lieb und spielte mit mir. – Doch wieder von vorne anzufangen … ich weiß es, daß mich die Leute hassen, wie eine Spinne, und schon oft gesagt haben, ich sey nicht der rechte Sohn meines Vaters. Aber ich will es ihnen schon lehren, wenn ich groß genug bin. Der Vater hat mich am liebsten; darum muß ich auch wohl sein bester Sohn seyn. Ein besserer, als der verlaufene Philipp, der mir die Pest an den Hals wünscht.«

Der Knabe ging ganz trotzig und hochfahrend im Gemache auf und ab, und würde noch lange fortgeeifert haben, wenn nicht in demselben Augenblicke der Magister Kalander eingetreten wäre. Simon, bereits unterrichtet von dem Endzwecke seines Besuches, entschuldigte die Abwesenheit des Herrn, bestellte ihn auf morgen wieder, und wollte ihm das sauber beschriebene Pergament abnehmen, um es dem Rathsherrn bei seiner Heimkehr vorzulegen.

»Ihr dürft Euch nicht scheuen,« sprach er zu dem Zaudernden … »mir das Pergament zu übergeben. Für das Geheimniß stehe ich Euch. Ich kann nicht lesen.«

Der gehorsame Magister zögerte noch. Aber in Betracht, die Schrift möchte ihm bei dem Gastgebot, zu dem er sich zu begeben im Begriffe stand, hinderlich seyn, gab er nach, und ließ das Dokument zurück, nachdem er es in einen Papierumschlag gewickelt und mit einem großen Wachssiegel verschlossen hatte.

Des Knaben Neugierde war nun auf die geheimnißvolle Schrift gerichtet, und Simon nahm keinen Anstand, ihm davon zu sagen, so viel er selbst wußte. Archimbald war es noch nie eingefallen, sich seinen Vater sterblich zu denken, und diese Vorstellung erschüttert sein leichtsinniges Herz auf's heftigste. Simon musste ihn zum Essen aufmuntern, und indem er ihm seinen künftigen Reichthum pries, ihm demüthig die Speisen vorlegte, und alle Ergebenheit bewies, die dem Diener eines reichen Erben geziemt, verscheuchte es nach und nach glücklich den Ernst des Knaben, und weckte aufs Neue die Geister des Stolzes und des Uebermuths in der trotzigen Brust.

Unter seinen Gespielen verfloß dem lebhaften Knaben der herbstliche Nachmittag unter Scherz und Fröhlichkeit. In der Dämmerung kehrte er von der Wiese am Donauflusse nach Hause, und strich, von seinen Gefährten getrennt, durch ein Paar abgelegene Gassen. In einem kleinen Häuschen brannte im Erdgeschoß eine trübe Lampe. Archimbald sprang auf einen Baumstamm, der vor dem Häuschen lag und pöppelte an's Fensterlein. Ein Mädchen von ungefähr neun Jahren, das in der Stube saß und Garn wickelte, schaute hoch auf.

»Trudchen!« rief Archimbald leise in's Fenster: »Trudchen! komm' heraus! Ich bin's.«

»Bist Du's, Archimbald?« erwiederte froh die kleine Dirne.

Aber ihr Frohsinn wich alsobald. – »Ach, lieber, guter Archimbald!« fuhr sie traurig fort: »ich kann nicht zu Dir hinauskommen. Der Vater ist auf der Zunft, die Mutter bei der kranken Nachbarin, und sie haben mich eingeschlossen.«

»So komm' nur an's Fenster!« drang der Knabe in sie. Sie kam auch endlich, und Archimbald lehnte sich mit dem halben Leibe hinein, ergriff ihre beiden Händchen, und erzählte ihr freudig! wie er einmal ein reicher Mann werden würde, der Alles vollauf hat und thun kann, was er will. »Das hat mir Simon gesagt!« setzte er hinzu, »und ich habe selbst die Schrift gesehen, in der mir der Vater vieles Geld schenkt, und seine goldene Kette und seinen schönen Degen. Mit dem ziehe ich in den Krieg, wenn ich groß bin wie der Ohm Ehrenfried, bringe viele Schätze mit, und hernach, Trudchen, wirst Du meine Frau.«

Trudchen lächelte. »Bis dahin,« meinte sie, »würde noch mancher Tropfen die Donau hinunterfließen. Du bist auch ein närrischer Mensch!« setzte sie bei. »Warum soll ich denn gerade Deine Hausfrau werden? Ich möchte lieber Deine Schwester seyn.«

Archimbald schüttelte halb ärgerlich den Kopf. »Ich habe Dir schon erzählt,« sprach er, »daß es mir geträumt hat, wir würden Mann und Frau, und darauf habe ich Stern- und Gänseblümchen gezupft, und sie haben immer Ja gesagt. Darum lasse Du mich nur erst zwanzig Jahre alt werden … dann hol' ich Dich heim, mein blauäugiges Trudchen!«

Trudchen kneipte ihn muthwillig in die Hände. Er nahm sie beim Kopf und gab ihr einen derben Kuß. Sie schlug dem Wildfang in's Gesicht … da knarrte die Thüre des Nebenhauses; man vernahm Gertrudens Mutter mit lauter Stimme Abschied nehmen; Trudchen schob ängstlich das Fenster zu; Archimbald flüsterte ein leises: »Schlafe wohl!« und kroch auf allen Vieren an der heimkehrenden Mutter vorbei, deren blöde Augen den scheuen Freier nicht gewahrten.

Voll von den Gedanken an sein Trudchen, deren liebreizendes Wesen in dem Knaben das dunkle Gefühl emporkeimender Liebe erzeugt hatte, kam Archimbald in dem väterlichen Hause an. Still, wie sonst, lag die weite Hausflur, der dunkle Hof; aber mit einer besondern Scheu schlich heute der Kleine die gewundene Stiege hinan, betrat er den langen Gang, der an dem Gemache des Vaters vorbei zu seinem Kämmerlein und zur Wohnstube führte. Die Glocke vom Thurme schlug die neunte Stunde. Aus Herrn Wernher's Gemach strahlte Licht durch das kleine Schiebfenster neben der Thüre. Archimbald wollte in das Zimmer; die Thüre war aber verschlossen, und so schlenderte er gegen die Wohnstube fort, als Simon mit der Leuchte in der Hand aus derselben auf den Gang trat.

»Ihr seyd's, Herrlein?« fragte der Diener. »Ich hörte vorhin die Hauspforte rasseln.«

»Ich war es,« versetzte der Knabe. »Aber wo willst Du hin mit der Leuchte?«

»Den Herrn holen,« antwortete Simon. »Es hat neun Uhr geschlagen.«

»Den Herrn? alter Träumer!« lachte Archimbald. Der ist ja längst daheim.«

»Wie?« fragte der Alte.

»Nun freilich!« lachte Archimbald noch lauter. »Du bewachst uns das Haus schön, und weißt nicht, wer kommt oder geht. Der Vater ist daheim, und hat sich in sein Stüblein verriegelt.«

»Junkerchen, Ihr träumt, nicht ich,« erwiederte Simon. »Wie kann er in seinem Stüblein seyn, zu dem ich den Schlüssel in der Tasche führe?«

»Was?!« rief Archimbald eifrig. »Du, wahnwitziger Eigensinn, willst mich Lügen strafen? Da, sieh' … komm' und sieh' … brennt nicht eine Kerze im Stüblein?«

Schnell deckte Simon die Leuchte mit seinem Mantel zu, und seine Kniee fingen an zu schlottern, als er die Helle in des Rathsherrn Stube gewahrte. »Jesus!« stammelte er erschrocken, und griff hastig in seine Tasche nach dem Schlüssel des Gemachs, den er auch augenblicklich fand.

»Da ist doch der Schlüssel,« fuhr er fort. »Also sind Diebe darinnen oder ein Spukgesicht.«

Als er aber versteinert da stand und nichts zu beginnen vermochte, riß ihm Archimbald den Schlüssel aus der Hand; im nächsten Augenblicke war die Thüre geöffnet, und Beide standen im Gemach.

Der Rathsherr saß in seinen Prunkkleidern am Tische im Erker, hatte eine brennende Kerze vor sich, hielt in der Rechten eine Feder, in der Linken das eröffnete, entfaltete Testament, in dem er mit bekümmertem, schneebleichem Gesichte zu lesen schien.

Unwillkürlich hielt sich Archimbald an dem Mantel des alten Simon, der mit dem Ausruf: »Aber, Herr Wernher! wie kommt Ihr doch in's Haus gleich dem Diebe in der Nacht!« – dem Gebieter ein Paar Schritte näher trat.

Der Rathsherr wandte aber rasch sein Gesicht gegen die Eintretenden, starrte sie mit gebrochenen Augen an, die gräulich aus den fahlen Zügen blickten, und plötzlich war Gestalt sammt Kerzenhelle verschwunden. Das Dokument lag fest versiegelt auf seinem vorigen Platze, und des Dieners Laterne warf ungewisse Streiflichter in dem dunkeln Gemache umher.

Entsetzt hatte sich Archimbald mit dem Gesichte an den Alten gedrängt, dessen Herz ängstlich pochte, dessen Glieder bebten, und der kaum ein Kreuz zu schlagen vermochte.

»Gott sey uns gnädig und barmherzig!« seufzte Simon nach langer Pause aus tiefster Brust. »Es hat sich geeignet! Ein Unglück muß geschehen seyn.«

Ein schneller Entschluß riß ihn zum Handeln auf. Er zog den schaudernden Knaben mit sich aus dem Gemache, übergab ihn der Sorgfalt der herbeieilenden Sabine, und stürzte halb sinnlos nach dem Hause des Syndikus.

Vor einer Viertelstunde hatte man noch den Jubel der frohen Gäste desselben weit hinaus durch die stille Nacht vernommen; aber die letzten Minuten hatten viel geändert. Erleuchtet waren noch die Fenster; aber Saiten – und Trompetenklang, wie der Trinkgesang froher Zecher, waren verklungen. Ein stummes ängstliches Treiben war im Hause, und auf der Straße hatten sich die Nachbarn geräuschvoll versammelt, die sich mit bedenklichen Worten und Geberden gegenseitig zu unterrichten schienen.

»Was gibt's, ihr Leute?« fragte Simon mit ahnender Seele. – Scheu wichen alle Nahestehenden dem wohlbekannten Alten aus. Seines Herrn Namen hörte er jedoch hin und wieder im Haufen nennen. So gelangte er in die Pforte; da begegnete ihm ein Diener. »Ach, zu spät, Simon!« rief ihm dieser zu, »zu spät! lösche deine Leuchte aus. Auf Erden bedarf Herr Wernher ihrer nicht mehr.«

»Unglücksprophet!« schrie ihn der Alte verzweifelnd an, und rannte die Treppe hinauf, drang in das Tafelzimmer, und sah die zahlreiche Gastversammlung, die leblose Hülle seines Gebieters umstehen. Die Hand Gottes hatte ihn getroffen, mitten unter den Freuden des Mahls … hatte das graue Haupt, unter dem es noch jugendlich gestürmt und geglüht, niedergedrückt aus dem frischen Leben auf den dunkeln Sargpolster. Unwissend hatte er an des Syndikus gastlicher Tafel, der sein Geburtsfest zu feiern gedachte, sein Todtenmahl begangen, und die Neige des Tummlers voll Rheinwein, den der stattliche König des Festes auf sein und seiner Freunde Wohl mit einem Zuge zu leeren sich vorgenommen, netzte nur noch die erstarrte Zunge des fröhlich hinübergegangenen Trinkers.

»Gottes Gerichte!« rief die Menge, die, wie es zu gehen pflegt, haarscharf richtete, nur mit Härte die Blößen rügte, die der Verblichene gegeben, und in leichtsinniger Freimüthigkeit nicht mit dem Mantel der Heuchelei zu bedecken gewußt hatte.

Wenige Freunde beseufzten das Hinscheiden des fröhlichen Biedermanns; im Verborgenen zollten aber viele Arme, die an dem lebenslustigen Wernher einen Versorger gefunden hatten, seinem Andenken eine Thräne. Am grimmigsten jedoch packte den jungen Archimbald der bittere Kummer über seinen unersetzlichen Verlust, der ihm in der nächsten Viertelstunde kein Geheimniß mehr war. Der hartnäckige Starrkopf, dem die schwerste Züchtigung nur Thränen der Wuth, nie aber des Schmerzens zu entlocken vermochte, war durch diesen blitzschnellen Todesfall so tief erschüttert, so zerknirscht, daß er sich dem heftigsten Jammer überließ, der, zufolge seiner schroffen Gemüthsart, gar nicht zu bändigen war. Außer sich vor Leiden, warf er sich auf den entseelten Körper, und weinte herbe Thränen der Verzweiflung. Er tobte gegen Jeden, der ihn von der geliebten Leiche führen wollte, und sogar Simon, der harte Greis, ehrte den natürlichen Schmerz, und ließ ihn gewähren.

Als aber die Blutsfreunde kamen mit den Herren vom Gerichte, um die Verlassenschaft für den rechtmäßigen Erben einzusehen und anzutreten, fuhr der rauhe Vetter Thurneisen mit bösen Worten den tiefbetrübten Knaben an, und befahl, ihn von dem Vater wegzureißen. Archimbald wehrte sich, widerstand, trotzte und klammerte sich mit ohnmächtiger Kraft an Wernher's Lager. Mitleidig wichen die Diener zurück; Thurneisen aber, von jähem Zorn entbrannt, packte den armen Knaben mit seiner Riesenfaust. »Bastard!« donnerte er ihm mit grausamem Hohne zu: »Aus meinen Augen, Bastard!« und schleuderte ihn bewußtlos zu Boden. Archimbald, am Kopfe verwundet, ward ohnmächtig in seine Kammer gebracht, auf sein Lager geworfen, wo ihn bald ein fürchterliches Fieber überfiel, das seinen zarten Körper zerstört haben würde, hätte sich nicht die mitleidige Sabine als ein rettender Engel des Hülflosen angenommen.


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