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Zehntes Kapitel.


Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Jedoch, der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.

Schiller.

Unter den Mönchen des Klosters zeichnete sich durch seine empfehlungswerthen Eigenschaften der junge Pater Amadeus am vortheilhaftesten aus. Seine Jugend – er stand in der Blüthe des Jünglingsalters – seine edle Gestalt, die selbst die unförmliche Kutte nicht verhüllen konnte, der schwarze, kurz gekräuselte Bart, das gleichfarbige volle Haupthaar, das in üppigem Wachsthum kaum nach der Regelvorschrift zu bändigen war, das blühende Gesicht mit den freundlichen Augen … Alles dieß war geeignet, ihn beim ersten Blicke zu empfehlen. Wer aber seine stille und frohe Laune, seine Demuth, seine ächte Frömmigkeit und Herzensgüte kennen lernte, und sie mit dem unbiegsamen Hochmuth des rothbärtigen Lectors, oder mit der studierten Heuchelei des leichenblassen Guardians, oder mit der rohen dickköpfigen Flachheit der übrigen Mehrzahl verglich, mußte den anspruchlosen Amadeus innig achten und lieben. Selbst Archimbald, den das Vorurtheil für Hubert manches in anderm Lichte sehen ließ, konnte sich nicht verbergen, Amadeus sey bessern Herzens, reinern Sinnes, als sein Lehrer selbst, der in vertraulichen Unterhaltungen mit seinem Schüler zu äussern pflegte: Amadeus sey viel zu gut für das Kloster, viel zu unschuldig und sorglos für seinen Stand, den er, von habsüchtigen Verwandten halb gezwungen, halb beschwatzt, angenommen, ohne sich auf die nachfolgende Reue und bittern Entsagungen vorbereitet zu haben, die einmal nothwendigerweise sein Erbtheil, seyn würden. – Archimbald theilte also die Liebe, mit der beinahe Alles dem guten Amadeus entgegen kam, und wunderte sich nicht, daß er den jetzigen Obern ein Dorn im Auge zu seyn schien. Ging es doch seinem behutsamen und weisen Lehrer auch nicht anders. Der Guardian besonders, Theodor, ein Mann von sechsunddreißig Jahren, großer Gestalt, blassem Gesichte, pechschwarzem bis zum Gürtel fallenden Bart, und falschen, lichtscheuen Augen, schien einen persönlichen Haß gegen Amadeus zu hegen, hatte ihn schon oft wegen geringen Vergehen zu erniedrigender Strafe gezogen, ohne daß der Mißhandelte – Dank dem eisernen Despotismus der Regel – auch nur ein Wort dawider äussern durfte; hatte ihn mit unzähligen Vorwürfen und Schmähungen überhäuft, in denen der Lector, von herkulischer Statur und durchdringender, Stimme, seinem Freunde trefflich beistand. – Amadeus duldete Alles ruhig, und suchte auf seinen Wanderungen, die er als weit und oft berufener Prediger häufig zu unternehmen im Fall war, seines tyrannischen Zwangs, so gut es für Augenblicke anging, zu vergessen. Plötzlich aber war er verschwunden; Niemand wußte, wo er geblieben war. »Er ist flüchtig geworden, der Apostat!« donnerte der Guardian und rief die Strafe des Himmels über den entsprungenen Frevler herab. Sein Anhang führte dieselbe Sprache. – Die Uebrigen bedauerten es, daß man den Untadelhaften gezwungen, meineidig zu werden.

»Weiß es der heilige Franciscus von Assisi,« murmelte einmal der alte Frater Joseph dem Archimbald in's Ohr, als dieser ihm half, die Sprenkeln am Vogelherde, tief im Walde, zuzurichten: »weiß es der liebe Gott, was mit dem armen Pater Amadeus vorgefallen ist. Sieh da unten die Mühle, dort wo der Strom so mächtig durch sein Felsenbett rauscht … dort lebt eine junge, rasche und engelschöne Müllerin, eine Wittwe und Eigenthümerin des großen Gutes, eine andächtige Christin und eifrige Wohlthäterin unsers Klosters; denn es vergeht keine Woche, in der sie nicht unsern Bettelesel mit einem tüchtigen Sack voll Nahrungsmittel nach unserm armen Hause sendet. Nun mußt Du aber wissen, fuhr der geschwätzige Alte fort, daß der Pater Amadeus, der ihrem seligen Manne vor einem Jahre mit Salbung und göttlicher Tröstung auf dem Sterbelager beigestanden hat, dafür einen großen Stein bei ihr im Brete zog und in ihrer Gunst war. Amadeus besuchte sie sehr oft; doch wollte ich's fast beschwören, daß dem guten und frommen Herrn kein sündlicher Gedanke dabei in den Sinn gekommen ist; zugleich aber behaupte ich, daß der jetzige, hochwürdige Herr Guardian, der die hübschen Frauen selbst sehr hoch schätzt, und auch tägliche Einkehr in der Mühle hält, das nicht geglaubt hatte. Ich vermuthe also, in meinem schlichten und geraden Sinn … die beiden Paters möchten wohl ein bischen zusammen gerathen seyn. Der Guardian wird gedroht und Amadeus die nächste Gelegenheit ergriffen haben, sich durch schnelle Flucht der Strafe zu entziehen. Na! Gott der Herr behüte uns auf allen Wegen! Kapuzenfleisch und Weiberblut, das thut in Ewigkeit nicht gut! … Verzeih' mir der heilige Franciscus Seraphiscus die grobe Sünde!«

Archimbald lachte ausgelassen über den tollen und etwas ruchlosen Vers. Der Frater sah sich aber verlegen rund um, ob ihn Niemand gehört habe, und sprach dann vertraulich zu dem Begleiter: »Ich beschwöre Dich beim heiligen Antonius von Padua und seinem Schwein! behalte bei Dir, was mir so unversehens entfahren ist. Es ist so eine alte, verdammte Gewohnheit, die ich dann und wann nicht lassen kann; denn ich stack nicht immer in der Kutte, mein junges Herrlein; ich war ein rauher Soldatenbart und mein Lebtage nicht zum Besten auf die Pfaffen zu sprechen; aber als mir vor einigen zwanzig Jahren … der siebente Oktober Anno Einundsiebenzig gedenk mir ewig … in der Seeschlacht von Lepanto von einem türkischen Hunde ein Stück Blei in den rechten Arm geschossen wurde, daß er mir von Stund an krumm wurde und blieb, da ward mir anders zu Sinn. Seine Hoheit, der tapfere Don Juan d'Austria – was doch nicht Alles aus einem Bastard werden kann! … – schenkte mir ein Paar Goldstücke und schickte mich heim, wo mir der Kaiser und der Erzherzog die Freiheit ließen, in der Heimath zu betteln, wo ich Lust hätte. Das war nicht nach meinem Geschmack; ich strolchte eine Weile herum, und ein, blinder Zufall führte mich hierher, wo man mich als zweibeiniger Lastesel aufgenommen hat. Das geistliche Wesen wollte bei mir anfänglich nicht recht fort; es stand mir zu Leib wie ein verkehrtes Wamms, und ich habe lange Zeit Sonne, Mond und Sterne zusammengeflucht und gewettert, bis ich einmal die Frömmigkeit beim rechten Zipfel hatte. Hin und wieder guckt noch der wüste Kriegsknecht aus der Kutte; es geschieht aber selten.«

Archimbald versprach, reinen Mund zu halten, und sie schlenderten wieder dem Kloster zu. Frater Joseph ward aber nicht müde, das Gespräch immer wieder auf den armen Amadeus zurückzubringen, so daß sein junger Freund wohl merkte, er habe etwas auf dem Herzen.

»Es ist verteufelt heiß,« sprach der Frater puhstend, »und der Weg ist noch weit. Wollen wir ein wenig ausruhen?

»Meinetwegen,« versetzte Archimbald, »wenn's nicht zu spät ist.«

»Ei was!« sprach Joseph hierauf. »Die Sonne steht noch hoch. Und wenn auch, so lügen wir ihnen daheim etwas vor. Sieh', mein kleiner Freund, Aufrichtigkeit und besonders gewissenhafte Ehrlichkeit ist mein Hauptaugenmerk im Dienst; aber selbst der Ochse, der da pflügt, will ruhen. Komm' mit da hinein in den Buchenschlag, da habe ich vorgestern, als ich den Bettelesel aus dem Dorfe herauf trieb, zur Vorsorge einen Krug Wein eingescharrt … Die Glatzköpfe daheim haben doch immer genug, um sich die Gurgeln auszuspielen.«

»Ei, Du Heide!« lachte Archimbald. »Laß' aber immerhin seyn. Ich trinke jetzt keinen Wein, und es ist besser, wir gehen ganz gemach dem Kloster zu, sonst versäumen wir die Abendsuppe.«

»Na, wie Du willst, Bürschlein!« erwiederte der Frater. »So laß uns aber wenigstens recht langsam gehen, und beten, daß wir nicht sammt unserer Ehrlichkeit in die Stricke des Satans fallen, wie der arme Pater Amadeus.«

»Was hast Du denn immer mit dem?« fragte Archimbald, seine Neugierde unter verdrießlicher Larve verbergend. »Der ist einmal fort, und somit: Glückliche Reise und gutes Wetter dazu! Hin ist hin! was nützt das Reden!«

»Hin ist hin, sagst Du?« flüsterte der Frater und faltete sein Gesicht in ein geheimnißvolles Lächeln. »Ich sage Dir aber, er ist noch nicht hin.«

»Du sprichst wie ein Verrückter!« rief Archimbald: »oder Du hast Deiner gestohlenen Flasche schon heute weidlich zugesprochen.«

»Nichts da!« sprach Joseph halb aufgebracht. »Ich bin nicht verrückt, wie der alte Pater Lochus, der die Messe immer von hinten anfängt, wenn der Mond zunimmt, noch betrunken wie der Pater Lector, wenn er Abends vom Bretspiele aufsteht; ich habe meine gesunden fünf Sinne, und die sagen mir, und ich sage Dir … aber ein Jude, der es weiter trätscht! …«

»Behüte Gott!« fiel Archimbald ein.

»Und ich sage Dir also,« fuhr der Frater fort, »daß ich Alles darauf verwetten möchte, Amadeus sey noch im Kloster.«

»Wie?« fragte Archimbald staunend.

»Ja, ja,« nickte der Frater: »eingesperrt, wo da ist Heulen und Zähnklappen, wo nicht scheint Sonne noch Mond.«

»Was?« fragte Archimbald wie oben. »Gefangen?«

»So ist's,« bekräftigte Joseph. »Ich habe ihn zwar nicht gesehen, nicht gehört; auch weiß ich nicht einmal den Weg zu den unterirdischen Gewölben, die da seyn sollen, und von denen der Guardian den Schlüssel bei sich trägt; aber eine gute Katze spürt die Ratten am Geruch. Wo's Rauch gibt, ist's Feuer nicht weit. Ich habe was gemerkt.«

»Heraus damit!« drängte Archimbald.

»Gib Acht auf das, was ich sage,« antwortete der Frater. »Du kannst es leicht, weil Du in der Küche Dein Essen bekömmst. Gib Acht, ob nicht der Küchenmeister täglich eine Portion Essen mehr richtet, als im Refectorium Hungrige sind. Wir sind in Allem unser Dreißig an den Tafeln, und wenn mich irgend ein Geschäft in die Küche führt, steht die einunddreißigste Schüssel mit einem hölzernen Krüglein auf dem Schaft unter dem Anrichttische. Komm' ich nach der Mahlzeit wieder hinein, so ist es weg. Einmal habe ich das Krüglein aufgedeckt; es war aber nicht Bier, nicht Wein, sondern Brunnenwasser darin. Ich habe nachgesonnen und herausgebracht, daß diese Praktik erst seit dem Verschwinden des Pater Amadeus ihren Anfang genommen; darum behaupte ich steif und fest, er sitzt irgendwo in einem Keller, ist vielleicht schon halb eingemauert. Hu! mich schaudert's! Ich hätte gerne den Küchenmeister gefragt; allein wie so die Herren sind. »Da heißt's gleich: das geht den Frater nichts an!« oder: »acht Tage Wasser, und Brod für den neugierigen Frater!« oder: »die Disciplin dem vorwitzigen Soldatenseppel!« wie sie mich scherzhafter Weise zu nennen pflegen – und deßhalb verbrenne ich mir's Maul nicht. Wenn Du aber … Du bist ein durchtriebener Vogel und ein geborner Ketzer dazu – die haben Alle den Teufel im Leibe … wenn Du etwas auswittern könntest und mir es mittheilen wolltest … dann wollten wir erst gute Freunde seyn! ich sterbe sonst vor Neugier.«

»Ich. will sehen, wie ich's anfange,« versprach der durchtriebene Vogel, insgeheim fest entschlossen, dem vorwitzigen Frater nicht das Geringste von dem mitzutheilen, was er vielleicht entdecken würde. Es schien ihm indessen nicht unpassend, die Wahrhaftigkeit seiner Angaben zu beleuchten. Er legte sich also auf die Lauer und fand sie bestätigt. Waren die Speisen im Refectorium aufgetragen, und er trat in die Küche, so stand richtig die einunddreißigste Schüssel mit dem Krüglein auf dem angezeigten Schafte. Der Küchenmeister schickte ihn regelmäßig, irgend ein unbedeutendes Geschäft zu verrichten, fort; und wenn er wieder kam, war die Schüssel sammt dem Krüglein nicht mehr am Platze; war fortgebracht. Er wagte einmal hingeworfen die Frage: »für wen das Essen?« – »Für einen Kranken!« brummte der Küchenmeister in den Bart und schickte ihn fort. – Er legte sich unfern der Küchenthüre in den Hinterhalt; lauerte eine Weile. Niemand trat heraus; gleichwohl hatte die Küche nur den einen Ausgang. Des Wartens müde, und in Furcht, Verdacht durch zu langes Außenbleiben zu erregen, kehrte er dahin zurück, und die Schüssel war fort sammt dem Trunke; war nirgends zu sehen, noch zu finden. Das gränzte an's Wunderbare. Gegen Hubert ließ er sich nichts merken, weil dieser immer verdrießlich abbrach, wenn auf Amadeus die Sprache kam. – Da gerieth er einmal in die Küche, als gerade der Küchenmeister im Begriff war, eine starke Thüre, die einen Wandschrank zu schließen schien, zu öffnen. Keine Seele war bei ihm. Er fuhr zusammen bei Archimbalds Eintritt, und ließ das Schloß wieder zuschnappen, den Schlüssel hingegen stecken, um, wie es den Anschein hatte, bei gelegener Zeit zu öffnen. Mit Archimbald, der kein Auge von dem Schlüssel verwendete, war aber zu gleicher Zeit die Klosterkatze herein gekommen. Lüstern schnüffelte sie in dem verbotenen Orte umher, und ergriff endlich unbemerkt die Gelegenheit, einen, für einen unpäßlichen Mönch bereiteten Leckerbissen dem Herde zu entführen. »Um Gotteswillen, Küchenmeister! die Katze!« rief der schlaue Archimbald demselben zu. Der Alte sah sich rasch um, gewahrte die davon eilende Räuberin, und lief ihr, so schnell es seine Schwere erlaubte, mit geschwungenem Kochlöffel nach, zur Thüre hinaus. Wie ein Blitz, keinen Augenblick verlierend, sprang Archimbald an das geheimnißvolle Schloß; ein Druck, und es schnappte auf, die eichene Thüre wich und ließ eine andere schwer mit Eisen beschlagene dahinter wahrnehmen, in der ein viereckiges Loch befindlich war, welches ein mit einem besondern Schloß versehenes Gitter sperrte. Modrige Luft drang durch die Oeffnung dem Späher entgegen; er stutzte … fuhr aber mit einem Ruf des Entsetzens zurück, als plötzlich des vermißten Amadeus Antlitz, einem Todtengesichte ähnlich, hinter dem Gitter auftauchte und mit Grabesstimme stöhnte: »Bringt Ihr meine arme Kost? mich hungert so sehr!« – Ein kaltes Grausen schlich durch Archimbalds Adern bei dem jammervollen Anblick und bei dem Rasseln der Kette, die das arme Opfer fest hielt in seiner Gruft. Da fühlte er sich heftig bei den Haaren zurückgerissen, die äußere Thüre flog zu, und der vor Zorn und Schrecken an allen Gliedern zitternde Küchenmeister stand zwischen Kerker und Lauscher mitten inne.

»Verdammter Rothkopf!« stammelte er mit halb gelähmter Zunge … »welcher Geist der Finsterniß hielt Dir das Licht zu Deiner verdammlichen Neugier?«

Archimbald von seinem Erstaunen noch nicht erholt, wußte nicht, wie ihm geschehen war. Der Küchenmeister lief aber trostlos in der Küche umher und rief händeringend: »Ich bin verloren! Der Guardian schickt mich in pacem! Ich bin ein rettungslos verlorner Mann! Domine! sancte Francisce, ora pro nobis! Maria! regina coeli! turris eburnea! stella maris? Ich weiß nicht, was ich rede! was ich thue!«

Archimbald, der mit seiner Verzweiflung herzliches Mitleid fühlte, legte sich auf's Bitten und betheuerte seine Verschwiegenheit.

»Das räth' Dir Gott!« sprach der Küchenmeister, Angstschweiß auf Stirn und Nase, Leichenfarbe auf den Wangen. »Bursche! lieber Archimbald! Du bringst mich auf die Folter, in's Grab, wenn Du nicht Dein Maul hältst. Schwöre mir's, Junge! schwöre; sonst liegst Du in der nächsten Minute in Ketten, gleich dem da drinnen. Schwöre.«

Er riß ein Kruzifix aus der Kutte hervor, das er beständig auf der Brust trug, und Archimbald mußte ihm mit einem fürchterlichen Eid geloben, keiner menschlichen Seele vor dem Absterben des Guardians zu entdecken, was er gesehen. Sodann wurde er ruhiger, schob vor seinen Augen, mit den Zeichen eines lebhaften Bedauerns, dem Gefangenen die sparsame Kost in's Gefängniß, und las, nachdem er den Schlüssel zu sich gesteckt hatte, dem Jüngling über seine vorwitzige Neugier derb den Text; schwieg aber wie eine Mauer, als Archimbald in ihn drang, ihm zu erklären, was es für eine Bewandtniß mit dem Gefangenen und seiner Strafe habe. – Denselben Abend wurde jedoch von dem Guardian allen Fraters wie allen übrigen Hausbewohnern geboten, sich in ihre Zellen und Gemächer eine halbe Stunde früher als gewöhnlich zurückzuziehen, und sie bei strenger Strafe, es sey unter welchem Vorwand es wolle, nicht zu verlassen bis zur üblichen Morgenzeit. Dieses Gebot erregte allerlei Muthmaßungen. Man mußte sich jedoch ihm fügen, und auch Archimbald suchte in eitlem und vergeblichem Nachgrübeln sein Lager. Alles schien still im ganzen Hause. Draußen war es dunkel geworden; kein Lüftchen regte sich. Archimbald hatte sein Gebet verrichtet und war im Begriff, zu entschlummern, als er ein seltsames Geräusch hörte. Es war nicht um die Zeit der Mette, und dennoch öffneten sich nach und nach alle Zellenthüren der Mönche, und die schleppenden Schritte gingen leise den langen Gang hinweg nach der Treppe zu. Archimbald, von diesem Schlurfen und Flüstern völlig munter geworden, sprang auf, fuhr in die Kleider. Wissen mußte er, was man so hartnäckig verschwieg, und sich selbst ein Probestück ablegen, wie weit seine kecke Gewandtheit wohl gehe. – Er war mit dem Ankleiden beschäftigt, als noch zu guter Letzt der verschlafene Kellermeister vorüberkeuchte, der am entlegensten wohnte und immer der faulste Chorgänger war. Nun hatte Archimbald nicht mehr zu befürchten, einem Geistlichen zu begegnen, und wollte die Kammer verlassen. – Man hatte aber von Außen den Riegel vorgeschoben, und er saß gefangen. Sein erster Blick nach einer leisen Verwünschung flog gegen das Fenster. Es war hoch, aber unvergittert. Er erkletterte es, öffnete und gewahrte, zu seiner innigen Freude, mehrere lange Heuleitern daneben angelehnt. Ohne sich lange zu besinnen, schwang er sich zu der sichersten herab und hatte bald den Boden erreicht. Er stand in einem kleinen Hofe, der ihm aber wohl bekannt war und durch einen schmalen Pfeilergang mit dem Kreuzgange zusammen hing. Er eilte dem Pförtlein zu; allein auch hier war es verrammelt. Unmuthig kehrte er auf seinen Fußstapfen zurück in den Hof. Wie, dachte er endlich bei sich selbst: wenn ich über jene kleine Mauer in den Garten spränge und von daraus in das Kloster dränge? – Gedacht, gethan! Er klimmte, sprang, und stand im Garten. Hoffnungsreich lief er auf die Thüre zu, die neben dem Refectorium in's Innere führte. Auch sie war verriegelt. Seine Ungeduld war auf ihrem Gipfel! aber ein Gemurmel und Gesumme von vielen Stimmen machte ihn aufmerksam. Es wurde gebetet, nach der Kapuzinerweise in tiefem, unmodulirtem Tone. Der Schall kam aus dem Refectorium. Archimbalds Seele jauchzte; denn von jenem Apfelbaum konnte er ja bequem die Versammlung belauschen, die hingegen seine Anstalten durch die mit Traubenblättern verhangenen Fenster nicht zu sehen vermochte. Dem Eichhörnchen im Klettern gleich, nahm er bald Platz auf dem laubigen Throne und übersah von dort aus einen Theil des Refectoriums. Es war hell von den Kerzen erleuchtet, welche die Brüder in den Händen trugen, die, auf dem Boden knieend, ein Viereck zu bilden schienen. Das eintönige Gebet dauerte lange; endlich wurde es geschlossen, und die Mönche nahmen Platz auf hölzernen Bänken, die hinter sie gestellt waren. Die Stimme des Guardians, den Archimbald nicht sehen konnte, weil ein neidischer Pfeiler ihm die halbe Versammlung verbarg, ließ sich nun vernehmen. Theodor sprach lange, blieb aber dem ungebetenen Zuhörer unverständlich. Er schwieg; aber nun fing eine andere Stimme an zu reden, die, obgleich sehr matt und erschöpft, schreckbar zu Archimbalds Herzen drang. Amadeus war's, und nur sein Schatten war in dem Viereck sichtbar, seine Gestalt ebenfalls durch den Pfeiler verborgen, Seine Antwort, von langen Zwischenräumen unterbrochen, ließ nur einzelne Worte, als: Unschuld, Eifersucht, ungerechte Haft … zu Archimbalds Ohren gelangen. Da erhob sich der Lector, der dem Lauschenden gerade gegenüber in vollem Lichte saß, und brach mit gewohnter Heftigkeit los: »Ich bewundere die Geduld!« rief er, »mit der der Convent die Lügen eines nichtswürdigen, von der Regel und dem Keuschheitsgelübde abtrünnigen Mönchs anhören kann, der es sogar wagen darf, den frommen Wandel unsers würdigen Vorstehers durch bösen Leumund zu verunglimpfen und in den Morast des seinigen herab zu ziehen. Der Schwur des frommen Paters Theodor ist höher zu achten, als selbst die triftigsten Beweise. Wenn Er überzeugt ist und beschwört, daß die Sonne am Mittage nicht scheine, so dürfen wir dieselbe auch nur als ein gefährliches Blendwerk unserer Sinne ansehen. Ich stimme daher ohne Anstand und sonder Gewissensscrupel für die in Antrag gebrachte gelinde Züchtigung, die man aber nicht nur ein einzig Mal, sondern drei Male anwenden möge, um dem lasterhaften Fleische des Verirrten strengere und heilsamere Buße aufzulegen.« – Beifallsgemurmel. Nur wenige saßen in trübem Schweigen. Da vernahm Archimbald Huberts Stimme.

»Ich weiß im Voraus,« sprach er ganz kalt, »daß mein Gutachten ein geringes Gewicht im Convente hat, Ich verteidige den Sünder nicht, noch widerspreche ich dem Kläger. Allein meine Brüder mögen mir erlauben, als Arzt und Mensch ein Wort gegen die Strafe fallen zu lassen. Seht diesen, in einem sehr harten Kerker, dem es an Licht und Luft gebricht, zur lebendigen Leiche abgefallenen Körper. Wird er die Buße, die man ihm aufzulegen denkt, ertragen? Lebensgefährlich ist es ihm, sie nur Ein Mal auszuhalten, und man will sie zu dreien Malen angewendet wissen? Laßt ihn länger, aber leichter büßen, und gebt ihm die Mittel, seine Strafe zu überstehen. Laßt Milde und Menschlichkeit walten!«

»Wer wagt's,« rief der Lector wie oben: »wer wagt's, uns erst Menschlichkeit zu empfehlen, der Kirche Regeln vorzuschreiben? Sie will nicht den Tod des Sünders; sie will, daß er lebe, gebessert lebe. Wir wissen das Alles, sind wir gleich nicht so gelehrt, wie der Pater Hubert. Allein die Kirche will, daß der Sünder leide und durch das Leiben gebessert werde; deshalb hat sie auch Strafen eingesetzt, und der Weisheit unserer Obern in manchen Fällen die Gewalt gelassen, dieselben nach Gutdünken zu verschärfen, und zur Ehre Gottes anzuwenden. Ich bleibe bei meinem Anträge.« – » Fiat!« tönte es donnernd aus dem Munde der größern Mehrzahl. – Nun sprach der Guardian, und mußte in seiner kurzen Rede des Lectors Urtheil bestätigt haben; denn Amadeus warf sich jammernd vor ihm nieder und bettelte um Barmherzigkeit und Hülfe. Umsonst; die Gnade schwieg … die Kerzen der Brüder erloschen, bis auf die am großen Kruzifix brennenden. Ein Bußpsalm, ertönte in grausenhaft wechselloser Tiefe, und es fiel ein Streich, der dem bebenden Archimbald in's Herz zu fahren schien; ein Schlag, der, wahrscheinlich auf dem Rücken des Büßenden auffallend, einen hohlen Klang von sich gab, als ob er mit einer schweren, in Riemen hängenden Kugel geführt würde. Ein fürchterliches Schmerzgeheul folgte unmittelbar darauf, das die anschwellenden Töne des Chorals kaum zu ersticken vermochten. Dieses verzweiflungsvolle Geschrei vermehrte sich unter den nächsten Streichen, die in gemessenen Pausen immer schwerer zu fallen schienen, bis, unter ihrer Last vergehend, der Leidende immer schwächer, sein Geschrei immer dumpfer, sein Geheul zum Gewimmer wurde. Sechzig solcher Streiche, deren jeder ein Leben zu zerschmettern schien, zählte Archimbald in der Angst des Mitgefühls. – Da wurde es still. Choral und Pein hörte auf. Vom Fußboden wandten sich herzzerreißende Seufzer empor. Die Kerzen wurden wieder entzündet, der Gemarterte, nach der Bewegung in der Versammlung zu urtheilen, weggebracht und ein rasches Gebet begonnen, das vermutlich die Handlung beschließen sollte. Archimbald hielt es für rathsam, vor dem Aufbrechen der Mönche in die Kammer zurückzukehren. Obgleich halb starr an allen Gliedern, machte er sich schnell auf den Rückweg, und langte ohne Hinderniß wieder in seiner Klause an. Er hatte auch Zeit; denn kaum lag er unter der Decke, um zu erwärmen, so schlichen die Mönche vorüber nach ihren Zellen. Der Riegel seiner Thüre wurde leise weggeschoben und die Klinke aufgedrückt. Archimbald blinzelte, sich schlummernd stellend, dem Hereinspähenden entgegen. Es war der Küchenmeister, der einen Blick auf den Schlafenden warf, beifällig mit dem Kopfe nickte und die Thüre wieder ohne Geräusch anzog, um sich zu entfernen.

Archimbald träumte die ganze Nacht von den Leiden des armen Amadeus, und versprach sich's am andern Morgen heilig, nichts von Allem, was er wußte, zu verlauten, aus Furcht, ebenfalls in die Klauen der grausamen Peiniger zu fallen. Auch gegen seinen Lehrer, den er strafbar fand, weil er sich des Gemarterten nicht eifrig genug angenommen, wußte er sich meisterlich zu verstellen, obschon der schlaue Hubert ihn, ohne es merken zu lassen, eifrig ins Verhör nahm, um zu erforschen, ob er nichts ergattert habe. List gegen List! dachte Archimbald: der Lehrer sehe, daß sein Schüler nicht faul war – und spielte den Unbefangenen so natürlich, daß der Klügste nicht die geringste Muthmaßung hegen konnte. Diesen Abend wurde kein Verbot bekannt gemacht, wie gestern. Amadeus hatte also Ruhe; und auch Archimbald schlief so ruhig als möglich. Der nächste Tag brachte das geschärfte Verbot zum zweiten Male. Archimbald konnte kaum die Zeit erwarten. Alles ging gut und leicht, wie das erste Mal. Er saß auf seinem Apfelbaume, und hörte und sah dasselbe wie vorgestern. Nur fielen die Verhandlungen vor der Strafe weg, und während ihrer Dauer war der Büßende weit stiller und ruhiger. War er die gräßlichen Streiche schon gewohnt, oder was verkündete sein leises gepreßtes Gewimmer? …

Der ungesehene Zeuge der finstern That kehrte glücklich nach seinem Gemache zurück, der Küchenmeister spionirte wieder und ging zufrieden zu Bette. – »Nein!« sagte Archimbald zu sich selbst: »nein! … diese Martern will ich nicht mehr anhören. Es schneidet mir durch Mark und Bein, und wenn ich auch noch so gerne will … ich kann dem Unglücklichen nicht helfen!« – Schlaflos, wälzte er sich auf dem Lager, stand mürrisch auf und ging verdrossen zu Hubert. Der Mönch saß, von einer Menge von Arzneibüchsen umringt, am Tische, und hatte eine starke Dosis eines schwarzen Pulvers vor sich auf dem Mischbrete liegen. – »Ei, was macht Ihr da, lieber Lehrer?« fragte Archimbald, näher tretend. – »Bist Du's?« fuhr Hubert auf und sah sich rasch um. »Was willst Du?«

»Wie fragt Ihr doch so sonderbar?« erwiederte Archimbald und suchte in den betroffenen Zügen des Lehrers zu lesen. »Es ist ja die Stunde zum Unterrichte vor der Thüre.«

»Ich habe heute keine Zeit,« versetzte Hubert und kraute verlegen seinem Storche auf dem Kopfe. »Morgen! mein Sohn, morgen.«

»Mir recht,« sprach Archimbald. »Kann mich wohl gedulden. Aber, was laborirt Ihr denn da, lieber Meister? Eine Wundsalbe oder ein Zugpflaster für ein verhärtetes Gewissen?«

Eine schnelle Röthe überflog Huberts Gesicht. »Was soll die Frage?« begann er zu dem vorlauten, schon bereits seine Worte bereuenden Jüngling.

»Ei nun,« erwiederte dieser so treuherzig als möglich. »Nehmt sie wie die Blechmünze, die ein Thor unter's Volk wirft, wenn er sich ein König dünkt, der zur Krönung reitet. Es ist nichts dahinter!«

»Archimbald!« sprach hierauf der Mönch, mit dem Finger drohend: »denkst Du denn, Du seyest mir schon so gewaltig über den Kopf gewachsen, daß ich Deine Rede nicht mehr zu deuten vermöchte? Die Blindschleiche liegt wie ein abgerissener Zweig im Staub der Straße. Der unvorsichtige Wanderer tritt auf sie, und nimmt erst am Bisse der giftigen Bestie wahr, daß ihn ein Blendwerk täuschte.

»Wie meint Ihr das?« fragte Archimbald halb trotzig.

»Die Blindschleiche,« fuhr Hubert fort, »ist Deine Rede, die mich in Versuchung führen möchte. Verstehst Du nun? Aber an meinem Beispiele ersiehst Du auch, daß ich nicht der unvorsichtige Wanderer bin, der in die Falle geht. Behüte Dich Gott! Komm' morgen wieder.«

Archimbald wollte sich beschämt entfernen.

»Höre!« rief ihm Hubert nach. »Bete und arbeite, sagt die Schrift. Da Du heute nicht unter meinen Augen arbeiten kannst, so bete vor dem allsehenden Auge Gottes … bete für den Erfolg einer guten Sache … bete für mich. Jetzt geh'!«

Er begleitete den Schüler zur Thüre und ließ den Riegel hinter ihm fallen. Archimbald sah ihn den ganzen Tag nicht. Um die fünfte Stunde des Abends erblickte er ihn im Refectorium beschäftigt, zu einer Zeit, wo alle Uebrigen, ohne Ausnahme, sich im Blumengarten ergingen. Hubert stand auf einem Stuhle an dem Kruzifix, das, in übermenschlichen Verhältnissen geschnitzt, hoch oben auf einem starken Fußgestell befestigt war und über der Haupttafel gerade die Mitte behauptete. Eben an diesem Fußgestell mußte etwas losgegangen oder verrückt seyn, denn der Mönch hob emsig an demselben und rückte es nach allen Richtungen, bis endlich das Kruzifix von oben zu schwanken begann und zu stürzen drohte. Nun befestigte er es schnell wieder auf dem vorigen Platze, stieg, nach einem vorsichtigen Blicke rund umher, vom Stuhle und verließ das Zimmer, nach dem Garten gehend. Wozu das Geheimnißvolle, dachte Archimbald, hinter einem wilden Rosenbusche versteckt, als Hubert sich, aufmerksam umschauend, an ihm vorübergeschlichen hatte … wozu das Schleichende, das dieser Mann in Alles legt? Man könnte fast auf den Verdacht gerathen, er sinne und thue Böses, wenn man ihn die unbedeutendste Verrichtung so scheu und behutsam vornehmen sieht. Als ob das Zurechtstellen eines vom Platz gerückten Bildes mit einem Kirchenraub die gleiche Stange hielte! Mit neuen Zweifeln an dem Charakter und Gemüth seines Lehrers ging Archimbald weiter. Frater Joseph begegnete ihm und hielt ihn an. »Im Namen Jesu!« sagte er mit allen Zeichen des Schreckens: »komm' mit mir, Archimbald.«

»Wohin?« fragte dieser verwundert.

»Dorthin!« versetzte Joseph wie oben. »In das Holzhaus, aus dem ich komme.«

»Wozu?«

»Du wirst's schon sehen, schon hören.« – Sie traten in den Schuppen.

»Nun gib Acht!« flüsterte der Frater: »gib Acht und rühre Dich nicht.«

»Was soll ich denn?« wiederholte Archimbald.

»Aufpassen,« murmelte Joseph, »und die Geisterstimme hören, die mir Angst und Schrecken in die Rippen gejagt hat.«

»Eine Geisterstimme? Bist Du toll?«

»Nichts weniger als das. Kein Schloß, kein Kloster ohne Geist. So ist's in der Ordnung. Still! hörst Du nichts?«

»Nein!« erwiederte Archimbald lachend.

»Sonderbar!« sprach hierauf Joseph. »Jetzt hör' ich auch nichts. Und vor einer kleinen Weile noch war hier ein gar trauriges Gestöhne und Geächze. Jetzt Alles still und todt.«

»Hasenohr!« spottete Archimbald. »In Deinem Hirn spuckt der gestohlene Wein.«

»Pst! um des heil. Franciskus willen!« raunte der Frater und stieß ihn in die Seite. »Das Wetter soll Dich neunundneunzig Mal umdrehen wie einen alten Stiefel, wenn Dir ein Wort über die Zunge kömmt! Aber ein's wie's andere, es ist hier nicht richtig, oder es war einmal hier etwas nicht richtig; denn die Schorköpfe … heilige Victoria bitt' für uns! die Herren wollt' ich sagen … haben immer allerlei im Trieb … Nu, in Gottes Namen! Hast Du denn nichts aufgespürt von dem, was ich Dir vertraute?«

»Nicht das Geringste,« erwiederte Archimbald, und schickte sich zum Fortgehen an. »Sprich, woran stößt denn dieses Holzhaus?«

»An eine Seite der Küche,« versetzte der Frater abschiednehmend, und dem forschenden Jüngling war die räthselhafte Geisterstimme nun wohl bekannt. Sie konnte Niemand anderm als dem unglücklichen Amadeus angehören. Nun fielen ihm auch wieder Huberts letzte Worte ein. »Hm!« sprach er vor sich hin: »sollte das gute Werk, von dem Hubert sprach, den armen Amadeus betreffen, ihn aus den Klauen seiner Teufel reißen? Ja, herzlich und fromm will ich dafür beten, wenn mein Gebet nützt, und dennoch, obwohl ich es nicht Willens war, auch noch heute dem schrecklichen Auftritt beiwohnen, wenn er nämlich heute Statt hat.«

Sein Zweifel deßhalb ward auch sogleich gehoben. Der Guardian wiederholte vor der Abendmahlzeit das Verbot, sich aus den Zellen zu entfernen, und den Befehl, sich ruhig zu verhalten. Man steckte die Köpfe zusammen, man muthmaßte, hatte Argwohn, Verdacht; doch der Gehorsam, der blinde Gehorsam, das erste Grundgesetz und Bindemittel klösterlicher Zucht, überwog alles Grübeln, und Alles schlich erwartungsvoll zu Bett; Archimbald erwartungsvoller als alle Andere. – Die Stunde rückte heran, die Mönche brachen nach dem Refectorium auf, der Kellermeister war, wie gewöhnlich, der Letzte gewesen, und Archimbald stieg aufs Fenstergesimse. Allein welch ein Schrecken, welche unvermuthete Ueberraschung! Die Leitern waren weggenommen, der Ausgang verwehrt. Ein Sprung von dem hohen Stockwerk hinunter war nicht wohl zu wagen, und wäre er auch gelungen, wie den Weg zurück nehmen?

Archimbald war von Ungeduld und Verdruß zerfleischt. Noch vor wenigen Stunden fest entschlossen, der nächtlichen Gesellschaft nicht beizuwohnen, Plagte ihn jetzt die Begierde, es zu thun; um so mehr, als ihm alle Mittel zu fehlen schienen, seinen Zweck zu erreichen. Unmuthig trat er zur Thüre, einen Versuch zu machen, sie aus den Angeln zu heben. Er hatte ihn aber nicht nöthig; denn als er durch Zufall die Klinke berührte, ging sie von selbst auf. Man hatte heute vergessen, den wehrenden Riegel vorzustoßen, und Archimbald sah sich im Besitz der Freiheit, gerade da, wo er es am wenigsten hatte hoffen dürfen. Wie flog er durch den von schwacher Lampe erleuchteten Gang, die dunkle Treppe hinab! Allein … da stand er in dem Kreuzgange, der bloß von dem ewigen Lichte, das vor dem riesenhaften Christusbilde erhalten wurde, etwas dürftige Helle lieh. In dieser halben Dämmerung nickten die großen Bilder gespenstig von den Wänden; lange Schatten liefen durch die Halle, und der dumpf einfallende Choral aus dem Refectorium mahnte den schaudernden Archimbald an die schon begonnene Trauerscene. Aber wie in den Garten kommen? Alles verschlossen, verriegelt! Von dem Reiz des Schauerlichen zu dem Schauplatz jenes Austritts hingezogen, tappte er nach dem Refectorium. Die Thüre war fest zu, Und er hörte die Streiche schon dröhnend fallen. Die daran stoßende Küche war hingegen offen; eine Laterne stand darin auf dem Boden … er sah behutsam in die Thüre … kein Mensch darinnen zu sehen; keck schlich er sich hinein; die offene Thüre von Amadeus Kerker gähnte ihn gräßlich an, und immer hinter sich schauend, als ob er fürchte, von einem daraus hervorsteigenden Gespenste gepackt zu werden, näherte er sich dem Schieber, durch welchen die Speisen in's Refectorium gegeben wurden. Er war offen, gegen das Speisegemach mit einer dünnen, in allerlei Figuren durchschlagenen Messingplatte verdeckt, die dem lauschenden Auge freien Spielraum ließ. Ohne die drohende Gefahr zu bedenken, legte sich Archimbald in Hinterhalt. Nun übersah er so ziemlich das ganze Gemach. Sein erster Blick fiel auf das Schlachtopfer unversöhnlicher Wuth. Auf einer Tragbahre hatte Amadeus zur Marter geschleppt werden müssen. Auf ihr ruhte er noch, den gräßlich zerfleischten Rücken mit der stumpfen Unempfindlichkeit eines Sterbenden der furchtbaren Geißel darbietend, die, mit Stacheln, Widerhacken und schweren bleiernen Kugeln bewaffnet, sich bei jedem Streich in die Wunden des Unglücklichen so tief eingrub, daß man sie mit der rohesten Gewalt wieder losreißen mußte. Der Novizenmeister war der Henker. Mit nerviger Faust schwang er das Werkzeug des Todes; aber, obgleich er seine Wuth verdoppelte, erpreßte er höchstens nur ein dumpfes Röcheln der Brust des Sterbenden, der nicht einmal mehr durch ein leises Zucken den grimmigen letzten Schmerz verrathen konnte. Bei diesem jammervollen Schauspiele erbebten die Herzen der zuschauenden Brüder; einer nach dem andern schwieg im Choral … »Was soll die fortgesetzte Pein?« begann endlich Hubert und sprang auf. »Sind wir Metzger oder Schinder, daß wir an solchem Anblick unser Herz erfreuen sollen? Laßt ab, Novizenmeister! Ich wiederhole es Euch im Namen der Menschheit. Seht Ihr nicht, daß der Arme in kurzer Frist mit dem Leben fertig seyn wird? Wozu noch länger die viehische Wuth?« – Der Geißler blickte fragend nach dem Guardian, der seinen innern Groll nur durch grimmige Blicke kund that; der Lector rief aber wild: »Fortgefahren! Zwanzig Streiche sind noch zurück! die Strafe muß ihren Lauf haben, sollten auch die letzten Hiebe nur die kalte Leiche treffen.«

Der Novizenmeister schwang die Geißel wieder; aber wie ein Blitz hatte Hubert sie ihm entwunden und ihn zu Boden geschleudert. »Nichtswürdiger Bube!« schrie er ihm zu … »Werkzeug niedriger Bosheit! ich entwaffne Dich!«

»Verdammter!« brüllte ihm der Lector zu, und fuhr, braunroth vor Zorn, in die Höhe: »elender Gaukler! Deine Stunde ist gekommen!«

» In pacem mit ihm!« schrie der Guardian, sich ermannend.

Zwei bis drei Mönche wollten dem Befehl gehorsamen; aber die Uebrigen traten schützend vor Hubert. Die Menschlichkeit hatte, freilich zu spät, den Sieg über ihre verstockten und in Selbstsucht versteinerten Herzen davon getragen.

Der Lector schäumte vor Wuth. »Aufwiegler! Apostat! Ketzer und Tempelschänder!« rasete er gegen Hubert … »was hält mich ab, daß ich nicht mit eigener Hand …«

»Der Provincial soll erfahren« … stammelte der Guardian.

»Er weiß schon Alles,« höhnte Hubert ihnen entgegen. »Vor ihm stelle ich mich zur Rechtfertigung; er soll erfahren, daß dieser Arme, der zu unsern Füßen sein bejammernswürdiges Leben ausröchelt, unschuldig ist; daß der blasse Sünder, den seine Creaturen zu unserm Obern gewählt haben, selbst gethan hat, wessen er den Bruder Amadeus beschuldigt hat; daß er unerlaubte Buhlschaft mit der Müllerin im Thale pflegen wollte und, von des Weibes Keuschheit zurückgewiesen, auf den Unschuldigen, den er mit Unrecht begünstigt glaubte, sein Gift ausgegossen hat, um ihn zu strafen; daß er immer tugendhafter war, als er. Schande und Strafe wird dann des unwürdigen Obern Loos seyn! Aber Dich,« fuhr er, zum Lector gewendet, fort, »Dich, den ersten unermüdetsten Henker des Gemordeten, lade ich an seiner Statt und in seinem Namen vor den Thron des ewigen Richters, um dort Rechenschaft abzulegen von Deinen Missethaten!«

»Ha! ha! ha!« lachte der Lector wüthend. »Deine Drohungen, elender Gleißner, verachte ich. Der Himmel ist taub gegen Deine ohnmächtigen Verwünschungen, wie gegen die Seufzer des Verruchten, der seinen Geist hier auskeucht, und noch einen qualvollern Tod verdient hätte.«

»Taub?« rief Hubert begeistert und riß eine von den Fackeln, die zu den Fußen des Kruzifixes brannten, aus ihrem Behälter. »Taub? Du lästerst die Gottheit, die überall gegenwärtig ist, und hier in diesem Gemache sowohl unsichtbar, als in körperlichem Bilde. Sieh' hier das Bild des Gekreuzigten … des Heilandes, der uns ein milder Erlöser wurde, Dir aber ein strenger Richter seyn wird – Dir und Deinem niederträchtigen Freunde! Wage es, in diese Züge zu schauen, die finster und mißbilligend auf Dich herunter sehen; wage es, im Angesichte seiner heiligen Wunden die freche Lästerung zu wiederholen, die Du gegen seine Größe ausgespien hast, und fürchte seine Rache!«

»Ich fordere sie heraus!« tobte der Lector schäumend und ras'te zu dem sterbenden Amadeus. »Ich lege meine Hand auf diese Wunden, und sein Blitz treffe mich, wenn ich gefrevelt habe an seinem Ruhm und an Diesem.«

»Wehe!« schallte es wie ein Donner durch den Chor der Mönche. »Wehe!« rief Hubert und schwang die Fackel gegen das Fußgestell des Kreuzes. Da füllte ein entsetzlicher Blitz das Gemach, der schnell in einem donnernden Knall erlosch … krachend stürzte das Kruzifix herunter, unter seinem Gewicht den Lector begrabend. Der auffliegende Staub, der Schwefeldampf hatte alle Lichter gelöscht, und auf das entsetzliche Getöse folgte eine dumpfe Stille, in der kein Athemzug gehört wurde.

Archimbald hatte versteinert Alles mit angehört und gesehen, und war bei dem fürchterlichen Donnergebrüll, ohne zu wissen, wie? auf die Kniee gesunken. Plötzlich wurde die Thüre des Refectoriums aufgerissen, und in wilder Flucht stürzten die Ersten am Ausgange in die Hallen auf den Weg nach ihren Zellen. Ihnen folgten Andere, die Jemand zu führen schienen. »Sieh' da, da ist Licht!« stammelte die Stimme des Küchenmeisters, der, ohne einen weitern Blick in die Küche zu thun, eilig die Laterne heraus holte und sich wieder zu den Uebrigen gesellte. »Führt ihn behutsam,« flüsterten sie draußen … »er ist wie von Sinnen; und dann laßt uns wieder kommen, um die Andern wegzuräumen, damit der Leumund des Klosters nicht leide.« Sie entfernten sich mit schnellen Schritten, die Person, die krank geworden war, mit sich fortzerrend.

»Die Andern wegräumen?« fragte Archimbald seine Klugheit. »Wen? war denn der Kranke, den sie führen, nicht der Lector? Das Gewitter hat ausgetobt … ich muß mir doch den Kampfplatz besehen.« Er trat aus der Küche. Die Thüre des Refectoriums war angelweit offen. Der Mond schimmerte durch die Fenster in den trüben Qualm und beleuchtete die Verwüstung. Alle Tische, Bänke umgeworfen, das Kruzifix auf dem Gesichte ausgestreckt am Boden. Der Lector, neben dem leblosen Amadeus liegend, eine starre Leiche. Zitternd, von Fieberfrost geschüttelt, schlüpfte Archimbald durch den Kreuzgang, die Treppe hinan und ungesehen an der offenen Zelle des Guardians vorüber, in der alle Mönche um einen ächzenden und stöhnenden Kranken versammelt waren, erreichte sein Kämmerlein und schlief getrost und ermüdet ein.

Bei seinem Erwachen durchlief bereits das ganze Kloster die Kunde, den bösen Guardian und den Lector habe die Hand Gottes getroffen. Den Lector habe sie auf der Stelle getödtet, den Guardian aber gelähmt und stumm gemacht auf ewig. So war es auch. Der Bedauernswürdige, von dem Schreck der vergangenen Nacht an Füßen und Zunge gelähmt, schmachtete noch einen ganzen Tag hin und starb unter jämmerlichen Gewissensqualen. Er und der Lector wurden an der Kirchhofmauer eingescharrt. Der Körper des Amadeus war aber verschwunden, und unter dem Klostervolke blieb seine Todesart ein Geheimniß.

Pater Hubert wurde auf der Stelle zum Guardian erwählt, und durch diese Wahl sein Wunsch erfüllt, den er immer künstlich zu verbergen gewußt hatte. Als Archimbald ihm Glück wünschte, fragte der Pater lächelnd: »Nun, mein lieber Schüler und Freund: Du siehst, die Sachen haben sich plötzlich umgestaltet. Wie mag das wohl gekommen seyn?« – Sein Blick ruhte lauernd auf dem Jüngling, der, schlau genug, um den, wahren Zusammenhang der Sache zu ahnen, aber auch, um seine Ahnung nicht zu verrathen, sich begnügte, fein zu erwiedern: »Dießmal, Herr, ist Euere Rede die Blindschleiche, ich der Wanderer. Ihr habt mich aber vorsichtig zu seyn gelehrt, und deßhalb antworte ich: ich weiß es nicht.« – »Recht, mein Sohn,« versetzte der Guardian: »Deine Antwort ist gut. Ist sie ächt, so hast Du Wahrheit gesprochen, und das ist löblich. Ist sie falsch, so hast Du klug geantwortet, und das ist noch löblicher. Du kannst indessen Dich nicht beklagen, wenn sich Alles umgewandelt hat. Wir bleiben jetzt ungehindert beisammen, und Du sollst Dein Ziel erreichen.«

Der Unterricht ging nun eifriger an, als je, und unter den Flügeln der Wissenschaft entschwebten noch zwei volle Jahre, während denen Dee zum öftern Nachricht von sich gegeben, und bei deren Verlauf er versprochen hatte, seinen Pflegesohn abzuholen.

Archimbald stand im achtzehnten Jahre. Eine herrliche, hoch gewachsene Gestalt, das kühne Antlitz von tausend goldfarbigen Locken umringelt, das Auge voll Muth, die keck aufgeworfene Lippe voll Kraft, Nase und Stirn voll Verstand. Um das Kinn kräuselten sich die röthlichen Flaumen des Barts; ein kurzer, starker Hals, breite Schultern und Brust, nervigte, stark ausgebildete Glieder vereinigten sich zu einem schönen, derben und übereinstimmenden Ganzen. Die trotzige Haltung, die sich in allem seinem Thun aussprach, ließ unmöglich die Gewandtheit und Geschmeidigkeit ahnen, die seinen Geist in tausendfache Formen zu bilden vermochte. Eine wunderbare Mischung offenbarte sich in seinem Wesen. Feurig und kühn wie der kräftige Jüngling … besonnen und überlegt wie der Mann … schlau und verschlagen wie der Greis, der schon das Leben kennt, einte er die widerstrebendsten Elemente in seiner Brust. Ihm mangelte nur noch kriegerische Uebung und Fertigkeit, ein Heer und ein Diadem; er wäre der Odysseus seiner Zeit geworden.


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