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Neuntes Kapitel.


Dunkle Hallen des Schweigens!
Finst're Wohnung lebendig Gestorb'ner!
Seyd ihr das Thor der Weisheit?
Der Sitz des Friedens?

S.

Archimbald war indessen schon ferne von seiner Heimath. Der Doktor Dee schien mit dem Scharfsinne seiner Landsleute auch ihre derbe Körperbeschaffenheit zu vereinigen; denn einen unermüdetern Reiter gab es nicht. Der schwere Gaul des Dieners hatte Mühe, dem leichten Renner des Gebieters zu folgen, und der arme Archimbald mußte eine schmerzhafte Reiseschule durchmachen. Das schön gethürmte Augsburg, mit den hellen, reinlichen Gassen und den vielen prächtig gemalten Häusern, wurde gleichgültig und schnell durchritten, als ob es das schlechteste Dorf Dänemarks wäre, wo, wie bekannt, die Könige nicht besser wohnten, als der schlechteste Nürnberger Bürger. Im Fluge näherten sie sich dem alterthümlichen München, und hier wurde ein Rasttag gemacht. Bis hieher hatte Dee kein Wort mit seinem neuen Lehrling gesprochen, und dieser hatte mit dem Diener, der ein grober verdrießlicher Mensch war und noch obendrein ein ganz unverständliches Deutsch radebrechte, ebenfalls eine schlechte Unterhaltung gehabt. Nun aber ließ der Doktor ihn vor sich kommen. »Höre, Junge,« sprach er zu ihm: »ich habe mir auf unserer Reise Deine Sache und Dein neues Verhältniß zu mir reiflich überlegt. Um jetzt schon in meinen wirklichen Dienst zu treten, bist Du noch zu jung, der Strapatzen ungewohnt, zu ungelenk und zu arm am Wissen. Ich habe daher, besonders da der Zeitpunkt, in dem Du mir nützen sollst, noch nicht vor der Thüre ist, beschlossen, Dich auf einige Jahre bei einem Freunde in die Lehre zu geben. Je fleißiger Du bist, desto früher endet sie. Mein Freund hat Muße genug, sich ganz mit Deiner Bildung zu beschäftigen, und er wird es mit Eifer thun, wenn er an Dir einen aufgeweckten Kopf verspürt. Sollte mir während dieser Zeit das letzte Stündlein schlagen, so ist auf diesen Fall dennoch für Dich gesorgt. Bleibe ich hingegen am Leben und hast Du Lernbegierde gezeigt, so mache ich Dein Glück. Bist Du's zufrieden?«

Archimbald hatte keine Wahl; er gab also schnell nach, und war nur froh, da er hörte, daß er nicht in dem finstern München seine Lehrzeit zu überstehen haben werde, sondern in einem schönen Gebirgslande, wo, im Einklange mit der eisernen Natur, Menschen, Thiere und Ströme sich kräftiger und freier regen. Der Doktor, gewöhnt, einen Entschluß nie alt zur Ausführung kommen zu lassen, brach schon den nächsten Tag wieder auf. Mittagwärts ging die Reise, und die fernen Gebirge, in blaue Nebel gehüllt, schienen gleich rüstigen Wanderern den Reisenden schnell schreitend entgegen zu eilen. Es dauerte auch nicht lange, so rissen sich die Felsenpforten Tyrols vor ihren Augen auf. Archimbald schauderte bei dem Anblick dieser steilen Wände, dieser engen und beschwerlichen Pässe; aber als sich das Paradies hinter denselben aufthat, mit seinen frischen Matten und silberreinen Quellen, mit den schwarzen Forsten, den grünen Hügeln und den fernern mit Schnee bedeckten Berghörnern, mit seinen freundlichen Hütten und ihren starken gesunden Bewohnern, da ging sein Herz auf in Lust und Fröhlichkeit, und war's nicht vermögend, alle die Herrlichkeit zu fassen, die so prachtvoll als neu sein Auge blendete. Auf dem Zuge durch das romantische Land schuf er tausend Bilder, wie er hier die Jahre frei und fessellos verleben werde, und früher aufgefaßte frischten sich in seinem Gemüthe wieder auf's Neue lebendiger an. Das Schloß Worosdar fiel dem Knaben wieder ein. »Wo liegt Worosdar?« fragte er den mürrischen Diener. Patrik riß die Augen auf, ließ sich die Frage wiederholen und antwortete ein faules und kauderwelsches: »Ich weiß nicht.« – »Wo liegt das Schloß Worosdar?« fragte Archimbald auf der nächsten Station den Doktor. – Dee rieb sich besinnend die Stirn, strich sich den falben Bart und konnte nicht befriedigender als sein dummer Patrik antworten. Archimbald konnte es nicht begreifen, wie ein gelehrter Doktor nicht wissen solle, wo das ihm so werthe Schloß Worosdar liege; allein mit allem Simuliren kam er nicht weiter, als zu der Residenz, die ihm der Doktor bestimmt hatte. Sie hatten ein ziemlich einsames Thal durchmessen, einen mäßig hohen Berg erklettert, und befanden sich auf einmal, nach mehrstündigem Ritte durch einen finstern Föhrenwald, vor der Pforte eines mitten im Dickicht gelegenen Kapuzinerklosters. So romantisch sich auch das finstere Gebäude mit seinen Umgebungen in dieser Wildniß ausnahm, so enge wurde doch dem Knaben um's Herz, als Dee ihm bedeutete, daß er in diesem Kloster bleiben müsse. Die Glocke klang, die Pforte öffnete sich wie ein Grabesschlund, und fiel hinter den Eintretenden zu, als wolle sie sich nimmer wieder aufthun. Düstere Kreuzgänge umfingen sie mit kühlem Luftzug; mehrere Brüder im braunen Habit … für den im Protestantismus erzogenen Knaben nie gesehene Erscheinungen, strichen still und melancholisch an ihnen vorüber. Aus der Ferne klang schaurig der eintönige Chorgesang der Mönche. Ueber eine steile hölzerne Stiege, durch einen langen Gang, zwischen offenen, ärmlichen Zellen gelangte Archimbald und sein Führer zu der Zelle des Guardians, der, von Siechthum befallen, sein Bett hüten und den Chor meiden mußte. Der silberhaarige Greis empfing den Doktor wie einen alten Bekannten. »Der heilige Franziskus segne Euern Eingang, würdiger Herr!« rief er ihm zu. »Gelobt sey Jesus Christus!« – »In Ewigkeit! erwiederte Dee und ließ sich am Lager des Kranken nieder. »Mein Weg führte mich in Geschäften hier vorbei! ich dachte aber nicht, Euch so unpäßlich zu finden, alter Herr!«

»Ei, Herr Doctor,« versetzte der Guardian: »wißt Ihr denn nicht schon seit Langem, daß ich an der unheilbarsten Krankheit leide, an meinen siebenzig Jahren nämlich? Ich wäre auch bereits ad patres gewandelt, wenn nicht der Pater Hubert von Zeit zu Zeiten durch seine geschickt gemischten Arzeneien meiner Lebenslampe noch einiges Oel zugöße. Ob ich bei dem Fortglimmen des schwachen Dochts gewinne, will ich nicht untersuchen … im Schooße unsers heil. Stifters wäre ich wohl besser aufgehoben. Indessen ist es ja verboten, sein Leben gleichgültig versiegen zu lassen, ohne anzuwenden, was in unsern Kräften steht.«

»Allerdings!« sprach der Doctor: »und möge Euch der wackere Hubert nur noch lange erhalten, Euern Untergebenen zum Besten.«

»Des Herrn Wille geschehe!« antwortete hierauf der Guardian. »Der Pater wird sich aber recht freuen, wenn er Euere Ankunft erfährt.«

»Ich bin auch eigentlich seinetwegen da,« sprach der Doctor. »Den Buben hier möchte ich gern Euerer und seiner Obhut anempfehlen. Er ist eine Waise, leider in der Ketzerei erzogen; ich habe mich aber seiner angenommen, und möchte daher bitten, ihn auf einige Jahre bei Pater Hubert in die Lehre treten zu lassen.«

»Ei, wie könnte man eine so geringe Forderung dem Wohlthäter unsers Klosters abschlagen!« rief der Guardian lächelnd: »der durch seine freundliche Fürsprache beim Kaiser, wie bei dem Erzherzog Statthalter, schon so manche fürstliche Freigebigkeit unserm geringen Hause zugewendet hat! Recht gern willfahren wir Euerm Gesuche, und wünschen nur, daß Euer Pflegsohn recht viel Gutes von dem weisen Pater Hubert lernen – und Gott seinen Uebertritt zur alleinseligmachenden Kirche beschleunigen möge.«

Die Mönche kamen aus dem Chor zurück; man hörte das Klappen ihrer Holzsohlen auf dem langen Gange wiederhallen, und ein dienender Bruder trat demüthig ein und fragte nach des Guardians Befehlen. Den Pater Hubert zu rufen, ward er hinweggesandt, und der Beschiedene säumte auch nicht lange.

Neugierig hefteten sich Archimbalds Blicke auf den ihm bestimmten Lehrer, der den Engländer freudig begrüßte. Hubert war ein kleiner untersetzter Mann, mit kahlem Kopfe und dünnem Bart von brauner Farbe. Seine großen Augen leuchteten wie ein Wetterstrahl nach allen Seiten, und seine scharf gebogene Habichtsnase senkte sich kühn nach dem fest geschlossenen und in spottende Winkel aufgezogenen Mund. Seine grobe Kutte war sorgfältig gereinigt und geordnet, seine Sandalen sauber und nicht zu plump. Seine Sprache war gemäßigt, wohlklingend, und verbreitete eine angenehme Bewegung über sein Antlitz. Archimbald hatte ihn beim ersten Anblick lieb gewonnen, weil die freundliche, behagliche Gestalt ganz dem Bilde widersprach, das er sich in der Geschwindigkeit von Hubert in der Phantasie entworfen, und auf dem sich die dem Doctor ähnliche Figur des Paters nicht zu ihrem Vortheil ausnahm.

In wenig Worten war Hubert von Dee's Wünschen unterrichtet, und zögerte nicht, sie mit der liebenswürdigsten Offenheit zu genehmigen. Prüfend musterte et das Gesicht seines neuen Zöglings, und führte ihn bald darauf, nebst Dee, in seine Zelle. Sie lag ganz einsam, von den übrigen durch einen weiten Gang wie durch die Gemächer des Provinzialats und der Bibliothek getrennt, war von dreimal bedeutenderem Umfange, als die der Andern, und aus besonderer Rücksicht für seine Studien, wie aus besonderer Freundschaft für den Guardian, dem gelehrten Pater eingeräumt worden. Sie hatte ein Eck des Gebäudes bildend, zwei Fenster, deren eines die entzückendste Aussicht über den Forst hinweg auf ferne Thäler und Berge darbot, während das andere auf den von Waldesschatten und finstern Mauern umgebenen Kirchhof sah, wo unter kühlen Segenbäumen die Hülle der Bewohner dieses Klosters eingesenkt wurde. Eine höhere Zierlichkeit herrschte in dem Gemach, als selbst in des Guardians Zelle. Grüne Vorhänge wehrten dem Sonnenlicht den Eingang. Eine Strohdecke lag über die Steinplatten des Bodens gebreitet. Ein großer runder Tisch, auf gekrümmten Löwenfüßen ruhend, stand in der Mitte. Bücher, Pergamentrollen, Papierbündel, Meßinstrumente, anatomische Tafeln und zifferbeschriebene Blätter waren auf demselben in bunter Unordnung umhergeworfen. Ein offenstehender Wandschrank schien mathematische Werkzeuge zu enthalten; auf einem danebenstehenden Repositorium wimmelte es von Arzneibüchsen und Flaschen. In einer Nische stand das dürftige Lager des Bewohners dieser Klause, ihm gegenüber ein großes menschliches Skelet. Aber von der Höhe des Zimmers zwitscherten lustig einige bunt gefiederte Vögel aus zierlichen Bauern, pickte eine große Stundenuhr, ein Geschenk Kaiser Carl des Fünften, das dem kunstverständigen Pater zur Aufsicht übergeben worden war. Auf dem Destillirofen saß ein Storch, den Hubert groß gefüttert und bei sich heimisch und zahm gemacht hatte, und blickte ernsthaft, unverrückt die Fremden an. Ein kleiner Altar mit dem Bilde der heiligen Cäcilia, von vielen Blumensträußern umgeben, dicht dabei ein in der Mauer angebrachtes steinernes Wasserbecken, in welches nach Belieben das kühlendste Quellwasser aus messingenem Hahne sprudelte, ein bequemer Schreibsessel und ein Paar andere Rohrstühle vollendeten die Einrichtung der Zelle, in der Archimbald Weisheit lernen sollte. Neugierig staunte der Knabe jeden Gegenstand an, während Dee und Hubert am Fenster in lateinischem Gespräche verwickelt waren. Die Verhandlung war indessen bald zu Ende, da der kurz angebundene Doctor nicht viel Worte zu machen gewöhnt war, und der Handel geschlossen. Dee, der gastlichen Einladung der Mönche widerstrebend, ließ sich nicht halten; er wiederholte Archimbald noch einmal, was er ihm in München schon gesagt hatte, schüttelte ihm die Hand, versprach, ihn abzuholen, wenn es Zeit seyn werde, und verließ nach kurzem Abschiede das Kloster.

Nun war Archimbald gänzlich abgeschieden von Allem, das ihn mit der übrigen Welt zusammenknüpfte; allein, unter fremden Menschen, fremdem Glauben, fremden Sitten, fremdem Himmelsstriche. Das Heimweh kehrte bei ihm ein, und verkündete sich durch Thränen, wie sie ein trostlos Verlassener weint. Hubert war aber hierin der beste Tröster. Liebreich setzte er sich zu dem Weinenden und legte ihm den schönen Keim der Hoffnung in die Brust. »Beruhige Dich,« sprach er mit der Theilnahme, die unser Vertrauen so schnell fesselt – »beruhige Dich, und wirf Dich der Hoffnung wie dem liebenden Vater dort oben in die Arme. Deine Wünsche werden einst erfüllt werden; wie glücklich bist Du! Die unsrigen werden es nicht. Dir öffnet sich einst die Pforte des Klosters zur fröhlichen Heimkehr, zur heimathlichen Flur, während sie uns nur zum einsamen Spaziergang, oder zur Bettelwanderung, oder zur Reise in ein fernes noch weiter entlegenes Kloster hindurchläßt. Du wirst einst frank und frei diesen Berg hinunter eilen, Hügel, Forst und Flur hinter Dir lassend auf ewig; – wir werden einsam, wie zuvor, in unsern Zellen sitzen oder im Oratorium knieen und für Deine glückliche Reise beten. Dir, der vater- und mutterlosen Waise, soll dieses Haus, wenn's Gott gefällig ist, zur Pforte der Weisheit, zum Grundpfeiler Deines Lebensglücks werden … Uns war, ist und bleibt es nur ein Kerker, in dem alle unsere Kräfte, unsere Gaben, unsere Kenntnisse einer unrühmlichen Vergessenheit entgegen welken, … ein Zwinger, der uns gewöhnlich auf ewig von theuern Eltern und lieben Geschwistern trennt, aus dem wir, zu einer Verläugnung bestimmt, deren genaue Erfüllung übermenschliche Kräfte fordert, sehnsüchtig nach den Lebensbäumen der Welt hinüber sehen, wie der in rauher Wüste Verschmachtende nach dem fernen Schatten eines kühlen Hains, den er nicht mehr erreichen kann, in dessen Angesicht ein strenger Schicksalsspruch ihn verderben läßt. Vergleiche also unser Loos mit dem Deinen, Archimbald, und trockne Deine Thränen, Beneidenswerther! Bete und arbeite, bis Du das Ziel erreicht hast. Dann keimen für Dich des Lebens Blüthen; dann wirst Du seine Früchte pflücken, und Deinen in enge Mauern eingesperrten Lehrer in dem Gedanken, einen Glücklichen gebildet zu haben, sich selbst glücklich träumen lassen.«

Hubert hatte die rechte Saite berührt. Die Hoffnung des höchstens Glücks, das Streben darnach, dem Menschen angeboren, ergreift am mächtigsten die Schüler des Lebens, den Knaben, den Jüngling. Einige Tage waren hinreichend, in leichte Arbeit und Zerstreuung getheilt, den Geist Archimbalds an seine neue Lage zu gewöhnen und mit Freuden an seinen Lehrer zu fesseln. Ein Kämmerlein dicht neben der Zelle desselben war seine Wohnung; ein Strohsack, mit groben Linnen, einem Blätterpolster und einer wollenen Decke bekleidet, sein Lager; die Stube seines Lehrers seine Welt. Die Fülle von Kenntnissen, die ihn Hubert ahnen ließ, stachelte die Forschbegierde des Knaben mächtig empor, und all' seinen Fleiß anwendend, griff er die Anfangsgründe des Wissens an, die ihm mit Nachsicht, Ernst und aufmunternder Liebe vorgetragen wurden. – Mit den übrigen Geistlichen des Klosters kam Archimbald beinahe nie zusammen. Er sah sie nur im Vorübergehen in den Gängen und, Messe lesend, in der Kirche, wobei er (nach vorläufigem Unterrichte in dem katholischen Glauben und Ritus, und nach Abschwörung des Protestantismus, wozu der in letzterem verwahrlosete Knabe ohne Schwierigkeit gebracht worden war), zu ministriren angehalten wurde, oder auf der Kanzel. Mit Wenigen kam er in Nähere Berührung; Wenige kannte er dem Namen nach. Der Pater Küchenmeister, ein wohlbeleibter Greis mit grauem Barte und aufgewecktem Gesichte, war einer der Wenigen. Auf seinem Anrichttisch pflegte Archimbald sein Mahl zu verzehren, wenn der nicht unbedeutende Abhub aus dem Refectorium nach der Küche wanderte. Gewöhnlich brachte ihm auch der gute alte Mann noch einige Leckereien an Obst oder Backwerk im weiten Aermel mit, die ihm Hubert für seinen Zögling zuzustecken pflegte, ließ ihn das Gratias beten, und plauderte dann ein Viertelstündchen mit ihm, bis er wieder an das Lernen mußte. Schlug am Spätnachmittag die Feierstunde, so flog Archimbald in den kleinen Klostergarten, das Viereck zwischen den Kreuzgängen, oder erhielt wohl auch die Erlaubniß des Guardians, in den größern Gemüsegarten zu gehen, wo er dem Gärtner in leichten Arbeiten half, oder eine Weile dem Treiben der Schneckencolonie, zusah, die der Küchenmeister an der Gartenmauer, zum Besten der Fasttage, angelegt hatte, bis das Klopfen an das Eßbret die Väter zur Abendmahlzeit und ihn abermals in die Küche rief. Da setzte ihm der Küchenmeister wieder ein leichtes Gericht vor, dem der Kellermeister, seinerseits dem lebhaften Knaben zugethan, ein hölzernes Krüglein mit schmackhaftem Bier, oder an Festtagen mit rothem Landwein gefüllt, hinzufügte. Er trank und aß mit von Tag zu Tage wachsendem Appetit, ließ sich von den dienenden Brüdern noch einige Legenden erzählen, und schlich dann zu seinem Kämmerlein, um zu ruhen und mit Sonnenaufgang wieder das gewohnte Tagwerk zu beginnen. Hin und wieder besuchte er mit Hubert in den Morgenstunden den frischen Wald, wenn Letzterer zum nahen Dorfe wanderte, um daselbst zu predigen. Seltener begleitete er seinen Küchen- oder Kellerfreund auf einem kleinen Terminirzuge, und half den wohlbeladenen Klosteresel heimtreiben; Hubert verbot es ihm bald ganz. Den kranken Guardian besuchte er aber täglich auf Hubert's Befehl, und hatte bald das Vergnügen, ihm aus lateinischen Andachtsbüchern vorlesen zu können und leidlich das Gelesene zu verstehen. – Auf diese Weise floß das erste Jahr leicht und nützlich vorüber. Archimbald hatte große Fortschritte gemacht, wie sie selbst sein scharfsichtiger Lehrer nicht erwartet hatte, und berechtigte zu den schönsten Erwartungen, zum eifrigsten Unterricht. Seines muntern verschlagenen Charakters halber von den Wenigen, die ihn genauer kannten, geliebt, waren seine Tage freundlich geworden. Der Guardian verstattete ihm, am nächsten Portiunculatage, wo er seine Genesung zu feiern gedachte, im Refectorium bei den Brüdern zu speisen, und stellte ihn bei diesem Festmahle den zahlreichen Gästen aus der Nähe und Ferne als ein Muster von Fleiß und überraschenden Geistesgaben vor, so daß bereits am Franziscustage darauf sich viele Fremde am Klostertische einfanden, die bloß in der Absicht gekommen waren, den Wunderknaben zu sehen, dessen vorzügliche Anlagen glücklich zu entfalten dem gelehrten Pater Hubert gelungen war. – Diese Auszeichnungen, verbunden mit dem gerechten Stolze, den sie dem Lehrer und dem Zögling einflößen mußten, waren helle Lichtpunkte in Archimbalds Leben, die ihn gänzlich einheimisch im Kloster machten. Bald hatte Alles um ihn her eine andere Gestalt angenommen. So weit auch vor seinem staunenden Geiste durch die Lesung der Welthistorie, durch die Kunde von offenen und geheimen Kräften der Natur das Leben in der großen Schöpfung aufging, so traulich kam ihm die Stätte vor, an welcher er all' das Schöne lernte, das ihn begeisterte. Die Kreuzgänge mit ihrem geheimnißvollen Dunkel, durch deren gothisch geschmückte Fensteröffnungen die Blumen und Stauden des Gartens herein nickten, in dämmernder Sonnenbeleuchtung, das Refectorium mit seinen langen, saubern, beständig gastlich gedeckten Tafeln, dem Kruzifixe und dem immerlaufenden Kühlbrunnen, mit seinen bunten, von üppigem Weinlaub halb versteckten Fenstern, – die reinliche Zelle seines Lehrfreundes mit der entzückenden und melancholischen Aussicht – die Kirche endlich mit der braunen, nach der Regel eine breite Oeffnung enthaltenden, Holzdecke und den drei zierlich geschmückten Altären, das stille Oratorium hinter dem Hochaltar – die eigene Kammer endlich, dürftig und schmucklos, wie sie war – Alles schien ihm jetzt so wirthlich, so wohnlich, daß es ihm Kummer machte, wenn er an den Augenblick dachte, in dem er sein Lehrparadies verlassen sollte. So verstrich das zweite Jahr, und der Abschied schien noch ferne zu seyn, denn der Doctor hatte noch nicht das Geringste von sich hören lassen … nicht einmal eine Anfrage, wie es mit Archimbalds Fleiße stehe. »Das ist seine Weise,« antwortete Hubert, wenn sein Zögling sich darüber wunderte. »Nur muthig gelernt, daß wenn er einmal hereinbricht, wie der Dieb über Nacht, wir vor ihm bestehen in Ehre und nicht zu Schanden werden.« – Dee schien überhaupt bei Hubert und dem Guardian in großer Achtung zu stehen, wiewohl aus verschiedener Ursache, wie der aufmerksame Archimbald wohl einsah. Der Guardian war ihm, der Freigebigkeiten wegen, die Dees Fürsprache bei Fürsten und Herren auf das Kloster geleitet hatte, Dank schuldig … Hubert hingegen, wenn Archimbald recht vermuthete, war dem Doctor persönlich verpflichtet. Aus abgeriss'nen Aeußerungen ließ sich dieses jedoch nur schließen; auf etwas Näheres konnte der schlaue Schüler, so geschickt er auch oft in traulichen Unterhaltungen mit Hubert die Sprache auf seine Lebensgeschichte zu bringen suchte, nicht kommen. Eben so wenig vermochte er es, von ihm zu erfahren, welche Geschäfte der Doctor eigentlich treibe, und warum er so oft große Reisen unternehme und bei so manchen großen Herren wohl gelitten sey. Eine ausweichende Antwort war Alles, was er erhielt. Da das Bemühen, seine Neugier zu stillen, immer fehl schlug, so schwieg der Knabe endlich davon, lernte fleißig, nahm immer zu an Kraft des Körpers und Geistesstärke, schloß innige Freundschaft mit dem zahmen Storche des Paters, der sein Begleiter auf allen Wegen wurde, und lebte in glücklicher Unbefangenheit hin, bis endlich im Wechsel der Dinge die bisherig bestehende Ordnung gehindert, gestört und durch eine neue ersetzt wurde, die auch auf Archimbalds Verhältnisse üble Folgen vererben zu wollen schien. – Der Guardian fiel wieder in's neue Siechthum, und starb nach und nach ab, wie ein verdorrender Baum. So wehe der baldige Verlust des guten ehrlichen Mannes Archimbald thun mußte, der in ihm einen Freund zu betrauern hatte, so konnte ihm jedoch die auffallende Veränderung nicht entgehen, die unter den Bewohnern des Klosters statt fand, und von Tag zu Tage, während des Hinsiechens des Vorstehers, einen entschiedenern Character annahm, der nicht erfreuliche Zeichen an sich trug. Die Mönche gingen finster und verschlossen an einander vorüber; kein freundliches, kein harmloses Wort wurde gewechselt; heimliche Zusammenkünfte wurden gepflogen in Gängen, Zellen und im Klostergarten. Sogar der unbefangene Hubert, der in seinem Aeußern keine Spur einer Aenderung trug, wurde öfters von Archimbald in einsamer Zelle, in dumpfes Hinbrüten versunken, gefunden. Im Anfange schrieb dieser es dem Leid zu, das des Freundes nahes Hinscheiden ihm erregen mußte; allein er traf ihn immer öfter vor sich hinstarrend oder in peinlicher Unruhe umher gehend, so daß endlich, von der wärmsten Theilnahme ergriffen, vor Hubert hintrat und ihn anredete. »Lieber Lehrer und Freund!« sprach er: »was kann Euch denn also betrüben, daß nichts Euern heimlichen Kummer zu stillen vermag? Ihr habt mich ja selbst gelehrt, daß der Tod eines jeden Menschen Loos und Erbtheil ist, und daß es thöricht, ja sogar sündhaft sey, in übermäßige Trauer auszubrechen – bei dem Tode selbst des besten Freundes, indem das Hinscheiden nur ein Uebergang zum bessern Leben sey. Da Ihr nun gewohnt seyd, Euere Lehren durch's Exempel zu bestätigen, so ist es nicht das Leid über den Hinschied Eures Freundes, des hochwürdigen Pater Guardians, das Euch also bekümmert. Was ist es aber anders, das Euch solchen Schmerz erregt?« – Hubert schwieg einige Augenblicke … dann aber überflog ein Lächeln sein Antlitz, und er redete mit leiser Stimme also: »Du meinst es gut, Archimbald, herzlich gut, und ich danke Dir für Deine Anhänglichkeit, die ich verdiene, weil mir gerade in diesem Augenblicke die Sorge für Dein Wohl großen Kummer verursacht. Darum magst Du wissen, daß ich eine traurige Zukunft für uns Beide befürchte, und zwar mit Recht. Der sterbende Guardian liebte mich; er war mein Freund. Dieser und die wenigen Kenntnisse, die ich besitzen mag, sind von jeher hinreichende Ursachen gewesen, mich dem übrigen Convente verhaßt zu machen. Bis auf einige wenige, sind alle Väter des Klosters meine geschwor'nen Feinde. Ich müßte nicht selbst Mönch seyn, um nicht zu wissen, daß solche Feindschaft unversöhnlich ist. Bisher versteckten meine Widersacher ihren Groll unter der Larve der Demuth, der kriechenden Freundlichkeit, der Treuherzigkeit und endlich absichtlich gehaltener Gleichgültigkeit, je nachdem der Character des Einen und des Andern feig, boshaft, versteckt oder offen ist. Jetzt aber bricht meine Stütze. Ist mein Freund dahin, so werden alle Pestbeulen der Niederträchtigkeit aufbrechen und mich in ihrem Giftschlamme zu ersticken suchen. Man wird mich mißhandeln, wo man nur kann, und an Gelegenheit Schlechtes zu thun, fehlt es den Bösen nie. Du siehst nun ein, daß Du mit mir leiden wirst; denn bei denen, die ich besonders zu fürchten habe, bist Du schon aus dem Grunde übel angeschrieben, weil Du Verstand hast und mein Schüler bist. Den Sturm, der uns gegenwärtig droht, habe ich voraus gesehen, und schon lange deßhalb eine Bitte um Versetzung in ein anderes Kloster gesandt an den General des Ordens, denn meines Freundes wankende Gesundheit gebot mir Eile; allein die Geschäfte zu Rom gehen so langsam, und der Tod wüthet so gefräßig in dem Hinschmachtenden, daß ich unbewaffnet den Blitz erwarten muß. Denn noch habe ich keinen Bescheid, und ich stehe dem Sterbenden nicht mehr für zweimal vierundzwanzig Stunden. Nach Allem was ich bisher im Stillen beobachtet habe, hat sich der Convent in zwei Parteien getheilt, die bei der Wahl des neuen Guardians sich reiben werden. An der Spitze der einen steht der Pater Lector, an der Spitze der andern der Pater Theodor. Beide sind im Grunde Freunde, beide haben sich gegenseitig die Stimmen zur Wahl versichert, beide sind meine unversöhnlichsten Feinde. Es darf demnach der eine, oder der andere gewählt werden, so ist mein Loos immer das nämliche. Sieh', das ist es, was mich bekümmert, was mir schlaflose Nächte, trübe Tage macht, und weßwegen ich fast wünschen möchte, Dee hätte Dich schon abgeholt, so gerne ich Deinen Geist gebildet haben würde, so weit meine Kräfte reichen.«

»O nein! nein!« rief Archimbald, den ganzen Werth seines Vertrauens ermessend: »nein! wenn auch der Doktor in diesem Augenblicke einträfe und mich mit sich nehmen wollte, ich weiche nicht von hinnen, von Euch, der mir mehr als Vater ist.«

Die Thüre ging auf, und Amadeus, ein junger Mönch, der erst seit Kurzem das Noviziat verlassen hatte, trat schüchtern herein und verkündete dem Pater, der Guardian liege in den letzten Zügen. – Hubert verfärbte sich etwas, faßte sich jedoch gleich wieder und sprach: »In Gottes Namen denn! geht, Bruder Amadeus und laßt die Zügenglocke läuten, und den Convent in das Gemach des Verscheidenden berufen, um dort für seine Seele zu beten.« – Amadeus ging. Hubert sah einen Augenblick finster vor sich hin, ergriff dann Archimbalds Hand und sagte: »Komm', komm', mein junger Freund, mit mir. Du sollst einen Menschen, einen gerechten Menschen sterben sehen!«

Sie sahen ihn sterben, hinübergleiten mit der Ruhe des Tugendhaften, mit dem himmlischen Lächeln eines unverletzten Bewußtseyns. Die Kerzen brannten, die Gebete für Todte stiegen in ernstem Rhythmus auf aus den Reihen der knieenden Väter; aber mitten unter diesem deutungsvollen Gepränge stürmte es in mancher ehrgeizigen Brust auf und ab, wie es die Wellen herauf und hinunter reißt in klippenvoller Brandung. Diese Stürme brachen aber aus am Tage der Wahl. Hubert kehrte erschöpft aus dem Capitel zurück. »Ich habe mich nicht getäuscht,« sprach er zu Archimbald: »der Pater Theodor ist Guardian, und der Pater Lector, nachdem seine Partei nicht durchgedrungen, gab selbst dem Freunde seine Stimme. So laßt uns denn mit Ruhe, ohne Furcht, aber auf Alles gefaßt, erwarten, was weiter kömmt.«

Es kam auch, und bald kam es. Zuerst ein Befehl, der Hubert strenge einschärfte, die bisher inne gehabte Zelle so schnell als möglich zu verlassen, und eine andere, den übrigen Zellen ganz gleiche, zu beziehen. Zweitens die Weisung, dem Pflegevater Archimbald anzudeuten, daß dieser nur noch bis zu Ende des dritten Jahrs im Kloster gehalten werden sollte, wenn kein Kostgeld für's Wintern bezahlt wurde. Vergebens stellte Hubert vor, er wisse den Aufenthalt des Doktors nicht. – »Das gelte gleich,« hieß die Antwort; man könne die schmalen Betteleinkünfte des Klosters nicht an einen Knaben, dessen Herkunft man nicht kenne, verschwenden, das heiße Simonie treiben, und was dem mehr war. Hubert habe den Buben einmal angenommen; er müsse also für ihn haften. Man werde ihm nicht länger das Gnadenbrod verabfolgen, als noch binnen vier Monaten, mit denen das dritte Jahr seines Aufenthalts im Kloster ablaufe. – Hubert benachrichtigte seinen Zögling hievon, hieß ihn aber Geduld fassen, auf Gott vertrauen und das Beste hoffen. Er selbst gehorsamte seinen Obern in Allem, mied seine trauliche Studirstube, warf die Hälfte seiner Geräthschaften in die Plunderkammer, stellte die andere Hälfte in seinem kleinen Versteck auf, so gut sie Platz hatte, und begann wieder mit Archimbalds Unterricht. Allein es sollte ihm nicht so wohl werden, Ruhe zu haben. Tag für Tag hatte er Hader und Strauß mit dem Guardian, mit dem Lector, dessen Vertrauten; das geringste Wort wurde ihm verdreht, gedeutelt, die geringste Handlung falsch ausgelegt, der geringste Fehltritt in den unzähligen Gebräuchen Sünde genannt: Er schwieg zwar geduldig, machte seinen Feinden nicht die Freude, sich zu irgend einer ächt strafbaren That verleiten zu lassen, kam aber immer mißmuthiger, immer überdrüssiger in seine Zelle zurück. »Archimbald!« sagte er einstmals in solcher Stimmung: »es ist jetzt an der Zeit, mit Dir die zweite Periode meiner Lehre zu beginnen, diejenige, auf welcher der Doktor am meisten bestanden hat, als er Dich mir übergab, die ich aber so lange hinauszuschieben gedachte, als möglich, weil sie ein gefährliches Schwert in die Hände eines gewissenlosen Menschen gibt, so nützlich sie in den Händen eines wackern Mannes wird. Sie begreift in sich die Artem medicam, die Heilkunde, und die Artem dissimulandi, oder die Kunst sich zu verstellen. Man sollte sie eigentlich Ars regnandi nennen, denn durch sie herrscht man in der That. Wir leben nicht mehr in den Zeiten, wo das Schwert galt und die eiserne Faust. Damals schlug freilich der Stärkste den Gegner nieder, setzte ihm das Schwert an die Gurgel, und preßte ihm die Huldigung ab … aber jetzt herrscht die Feder, der Buchstabe, der Wink, der Gedanke, und das fürstliche Wort bewaffnet nur dann die Faust des Knechts, wenn in den Unterhandlungen zwei Listige über einander gekommen sind, die sich beide gleich geschickt in die Karte gucken. Einem Jüngling, wie Du bist, Archimbald … Du gehst in's sechzehnte Jahr, bist arm, elternlos, ein unbedeutender Punkt in der Welt … einem solchen gelingt es nur, durch das dissimulare zum regnare zu kommen. Ich habe Dich genau beobachtet, und finde viele Anlage zur Verstellung in Dir. Du wirst Fortschritte machen in ihr, wie in der Selbstverläugnung, in der Kunst, die Leute zu behandeln, wie sie es gerne haben, in all' den kleinen Mitteln, die zum Zwecke führen; und Deine Pflicht ist es, Dich darin zu vervollkommnen, weil Dein Meister Dich in politicis zu brauchen gedenkt. Ein blinder Gehorsam ist die Grundlage dazu; ein starker. Wille, Verschlagenheit, Weitsichtigkeit und beharrlicher Geist sind die Stufen, die höchsten Gipfel zu ersteigen. Lerne, übe Dich; nur suche, über der That nicht Dein Seelenheil zu vergessen. Biete Deine Hand nicht zu offenbaren Verbrechen, ob Du gleich nicht immer wirst verhüten können, zu kleinern Bosheiten Dich gebrauchen zu lassen. Der Weg, den Dir, wie ich fürchte, der Doktor vorschreiben wird, ist schlüpfrig; Dummheit und gradaus gehende Rechtschaffenheit – beide stehen hier auf einer Linie – sie führen rechts hinab in Sumpf und Sand; man bleibt darin stecken. Verbrechen, Unthaten und Gräuel führen links ab, hinunter in den Pfuhl der Hölle, nach unsern Begriffen. Mitten durch, zwischen beiden Pfaden, führt ein dritter, im Zickzack zwar, durch mannigfache Krümmungen an's Ziel des zeitlichen Glücks. Wer daselbst angelangt ist, mag sich Glück wünschen, und – sind gleich einige Fehler und Fuchsgänge dazwischen gelaufen, von denen ohnehin selten ein menschliches Leben frei ist – dennoch auf eine leidliche Zukunft dort oben hoffen! – Und diesen Pfad zu gehen, will ich Dich lehren.

Archimbald stand mit offenem Munde da, als er seinen Lehrer, von dem er noch kein trüglich Wort gehört hatte, also sprechend vernehmen mußte. Er glaubte anfänglich, Hubert wolle ihn auf eine Probe stellen, sah aber bald an dem Ernst und Eifer des Unterrichts, daß sein Vorgeben baare Münze sey. In einer Stunde schloß er ihm Schätze der Natur und die Wunder des menschlichen Körpers auf, in der andern enthüllte er ihm machiavellische Künste und Ränke, in der dritten ging er das Gehörte mit ihm durch, um es ja dem jungen Gemüthe auf immer einzuprägen. Auch die Praxis wurde nicht vergessen. Archimbald trieb die Scheidekunst, die Meßkunst; das Steckenpferd der damaligen Zeit, Astrologie, blieb ihm nicht fremd. Alles faßte sein riesenmäßig emporstrebender Verstand mit Geschick und Erfolg auf, und Hubert setzte Stein um Stein zu dem kecken Bau, der in dem sechzehnjährigen Gehirne Archimbalds eben so fest gegründet stand, als in dem fünf und zwanzigjährigen eines Meisters der sieben freien Künste. Jeder Tag schien einen Strom des Wissens zu gebären … Archimbald faßte ihn auf; und auf diese Weise schwanden die vier Fristmonate bis auf vierzehn Tage hin, ohne daß sich der Doktor gemeldet und der wüste Gang der Dinge im Regimente des Convents eine andere Wendung genommen hatte. Aber eine schauderhafte Begebenheit, die sich im selben Zeitpunkt im Kloster zutrug, änderte Alles in einem Nu und schrecklich.


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