Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.


Nicht diesen finstern Blick, nicht dieses Schnauben
Verhalt'ner Wuth! Es ist kein abgerissnes
Medusenhaupt, was Du betrachten sollst;
Dein Bruder ist's, der zu Dir kam.

Euripides.

Junge Blüthen streift der Sturmwind am leichtesten von den heimischen Zweigen. Hat der fürchterliche sie aber bloß leicht beschädigen können, so richtet immer jugendliche Kraft und balsamischer Thau die Geknickten bald wieder auf. – Auch Archimbald genas. Der frommen Magd und seiner festen Natur dankte er allein sein Leben. Denn, als sein Vater hinaus getragen war zum Friedhofe, hatte sich Alles fremd abgewendet von dem Verlassenen. Simon, der seine Tücke jetzt recht offen zur Schau stellte, hatte, ein treuer Vollstrecker der Befehle Thurneisen's, den Aermsten seines Lagers beraubt, ihn in der Fieberhitze aus der Kammer geworfen, und ihm alle Nahrung, allen Beistand versagt. Sabine war die Einzige, die der Grausamkeit offen widerstrebte. Sie bettete dem sinnlosen Knaben in ihr eigenes Stüblein, pflegte ihn, wie eine Schwester, that für ihn weit über ihre Kräfte, und sah endlich mit inniger Freude ihre schöne Bemühung belohnt. Der Knabe erholte sich aber nur langsam, und die gute Dirne theilte ihre Nahrung mit ihm, sich selbst Notwendiges versagend, um ihm die verlor'nen Kräfte wieder zu geben. Archimbald hing dafür auch dankbar an ihr, und ihre Güte hielt doch in etwas das Gleichgewicht mit der fürchterlichen Lage, in der er sich befand, und die ihm von Tag zu Tag begreiflicher wurde. Denn seine Pflegerin konnte ihm nicht verhehlen, daß mit seinem Vater alle und jede Hoffnung seines Lebens zur Grube gefahren sey; daß Simon die feindlichsten Absichten hege, und bereits einen Eilboten an Philipp nach Antorff gesendet habe, um dessen Ankunft im Vaterhause zu beschleunigen. Archimbald faßte lange nicht den Grund, warum er ganz ausgeschlossen seyn sollte von dem Eigenthum seines Vaters, bis ihm endlich die sittsame Sabine mit halben, gar sorgsam gewählten Worten ungefähr erklärte, wie das Alles zusammen hänge. Des Knaben störrischer Character lehnte sich auf gegen die Ungerechtigkeit des Schicksals und der Menschen; seine Hülflosigkeit hingegen entpreßte ihm glühende Thränen. In dumpfer Trostlosigkeit brütend lag er, als eines Tages Simon in die Kammer polterte.

»Wie lange soll das mit dem Buben noch dauern, Sabine?« zürnte er der Bleichwerdenden entgegen. »Morgen kommt der Herr, und der soll das Gezücht nimmer im Hause finden. Entweder Ihr schafft den Ueberlästigen ab, oder ich lasse den Wechselbalg auf die Straße werfen, und Ihr seyd um den Dienst.«

Sabine schwieg bestürzt. In Archimbalds Busen kochte es aber, und er rief dem Alten heftig zu: »O Simon, Du alter, böser Knecht! redest Du also von dem Sohne Deines Herrn und schändest den Gebieter noch im Grabe?«

Der tückische Graukopf brüllte ihn aber an: »Schweig', Lotterbube! ich ehre unsern edlen Herrn – Gott habe ihn selig! – und seinen wackern Sohn, den Meister Philipp; aber seinen Bastard verabscheue ich, und war bis jetzt nur zu mitleidig gegen ihn. Aber Alles hat sein Ziel, und …«

»Simon! Simon!« fiel dem rohen Menschen die empörte Sabine in die Rede … »Bedenkt Euere grauen Haare, und erbarmt Euch des Unmündigen. Ueberlass't es wenigstens dem neuen Herrn, des Knaben Schicksal zu entscheiden. Er trägt gewiß ein menschlicheres Herz in der Brust, und wird den Bruder nicht verstoßen. Ich kann leider für den Armen nichts mehr thun; aber er soll nicht aus dem Hause, bevor ihn nicht der Herr gesehen und über ihn entschieden. Ich leide es nicht, und kostete es mich zehnmal den Dienst.«

»Freche Dirne!« schnauzte sie der Alte an: »Euch geht ja die Zunge wie ein Mühlrad. Müßt ein besonderes Wohlgefallen an dem rothköpfigen Milchgesicht gefunden haben. – Haben es Euch vielleicht die frechen Augen des Sündensohns angethan?«

»Ihr seyd ein boshafter Lästerer!« erwiederte Sabine, vor Aerger roth werdend, »und werdet in Eurer Sünden Blute zur Grube fahren, wenn Ihr die Barmherzigkeit gegen das Kind abschwört. Gedenkt nur an den schnellen Tod des seligen Herrn … wenn Euch nun gleiches Loos träfe? oder wenn Er selbst noch herüber käme, als Gespenst, aus jenem Leben, um Euch zur Rede zu stellen?«

Dem alten Menschen schauerte die Haut, und das gespenstige Gesicht von jenem Sonntagsabend zuckte vor ihm auf. Er blinzelte scheu mit seinen grauen Augen, und brummte mürrisch vor sich hin: »Mag ich des Todes seyn, wann und wie ich will … wir stehen in Gottes Hand, und ich bin bereit. Aber dennoch freut es mich in der Seele, daß Herr Wernher gerade zur rechten Zeit hinüber gegangen ist, ehe er noch seinem rechtmäßigen Sohne das Erbe schmälern konnte, um den Buben seiner Metze zu bereichern. – Wollt Ihr im Uebrigen dem jungen Herrn Wernher seinen Eintritt in's Vaterhaus vergällen, so bleibe meinetwegen das Früchtchen da. Ich wasche meine Hände in Unschuld.« – Der Unhold entfernte sich, ehe Archimbald Zeit und Worte gewonnen hatte, seinem grausam mißhandelten Gefühle durch Verwünschungen Luft zu machen. Desto unbändiger war aber der spätere Ausbruch seiner Wuth, und Sabine durfte ihre ganze Beredtsamkeit aufbieten, den aufgereizten Knaben zu beschwichtigen, der in seinem zarten Alter schon eine Unbiegsamkeit des Characters verrieth, welche, verbunden mit seinem vorgereiften Flammengeiste, für die Zukunft entweder die größten Hoffnungen oder die traurigsten Besorgnisse erregen mußte.

Mit dem liebreichsten Zureden, mit Bitten und Thränen, brachte die treue Wärterin ihren Schützling endlich dahin, daß er versprach, ruhig und gefaßt die Ankunft seines Bruders zu erwarten, ihm eben so gleichmüthig vor Augen zu treten, von seinem brüderlichen Herzen eine glimpfliche Behandlung zu heischen und in Allem auf Gott zu vertrauen.

Am Morgen des entscheidenden Tages kleidete Sabine den Knaben in seine besten Kleider, ordnete seine Locken auf das Sorgfältigste, und ging dann, ihre Geschäfte zu besorgen; denn das Haus wurde auf's Beste ausgeputzt, Alles spiegelblank und sauber gemacht, um den neuen Eigenthümer gebührend zu empfangen. Archimbald hielt sich indessen, Simon fürchtend, in der Kammer stille und geräuschlos auf. Die peinigendste Ungeduld marterte seine Seele. Liebliche Hoffnungsbilder und schwarze Ahnungen kämpften in ihr, und manchmal war es dem Armen, als stünde sein Vater vor ihm, wie er ihn an jenem verhängnißvollen Abend gesehen, und blicke ihn mit trüber Wehmuth an. – Dann legte er den Kopf auf das Fenstergesimse, und weinte bitterlich, bis ihn wieder das Rasseln der Hausthüre aufschreckte; denn bei jedem Geräusch hoffte und fürchtete er die Ankunft des fremden Bruders. Hoffnung und Furcht täuschten ihn aber. Der Morgen verging, und Philipp war nicht angelangt.

Sabine brachte dem Harrenden ein nahrhaftes Süpplein, weißes Brod, ein Bischen alten Wein. Er konnte keinen Tropfen hinunter bringen … jeder Bissen quoll in seinem Munde. Mit bleiernem Fuße, und ach! dennoch zu schnell schritten die Stunden vorüber, und es war schon später Nachmittag geworden, Archimbald das große Hausthor öffnen hörte und bald darauf im Hofe Pferdegetrappel vernahm. Großes Geräusch im Hause … Treppe auf, Treppe ab; Hundegebell; fremde Stimmen. Das mußte Philipp seyn. Ach, wie gerne hätte Archimbald vom Gange aus einen Blick in den Hof geworfen! Aber Sabine, besorgt, der alte Simon möchte ihrem jungen Freunde Mißhandlungen zufügen, hatte ihn in die Kammer eingeschlossen. Das Getümmel verhallte nach und nach, und Sabine kam endlich. Eifrig und geschäftig musterte sie noch einmal das Aeußere ihres Pflegesohns, nickte beifällig mit dem Kopfe und drückte ihm einen schönen Blumenstrauß in die Hand. »Meister Philipp ist angekommen,« sprach sie alsdann sehr bewegt: »und nun, mein lieber Knabe, benutze die erste Zeit, ehe Simon Dich noch zu sehr bei dem Herrn verleumdet, und empfiehl Dich seiner Gunst.«

»Wie mache ich das?« flüsterte Archimbald ängstlich.

»Ich führe Dich bis an des Vaters Stüblein,« erwiederte Sabine. »Der Herr ist gerade darinnen. Tritt dann keck, aber dennoch demüthig ein, verneige Dich vor dem Herrn, küsse ihm die Hand, und reiche ihm den Strauß, und sprich bescheiden und vernehmlich: »Lieber Herr! dieß zum Willkomm! Nehmt Euch eines unschuldigen Knaben an, und Gott segne Euch dafür. Dann warte still ab, was er darauf antwortet, und verzage nicht. Er ist ja noch ein sehr junger Mann. Der Herr wird sein Herz lenken. Gehe jetzt, mein Sohn!«

Mit klopfendem Herzen machte sich Archimbald an der Hand seiner Pflegerin auf den bösen Weg. Der Gedanke, als ein Bittender zu erscheinen vor seinem Bruder, er, der die ungetheilte Liebe seines Vaters genossen, war vernichtend für des Knaben Stolz; um so vernichtender, als er einsah, daß er unerbittlicher Nothwendigkeit weichen müsse. Zweimal griff er nach der Thürklinke … zweimal zog er die Hand scheu zurück … endlich gehorchte er Sabinens freundlicher Ermahnung … ein Druck, und er stand in dem Gemach, durch die zufallende Thüre von seiner Helferin getrennt, im Angesichte dessen, der sein Wohl und sein Wehe zu bestimmen hatte.

Das Stüblein war angefüllt mit Reisesäcken, Felleisen, Staubmänteln und Reitzeug. In dem großen gepolsterten Sorgenstuhle des Vaters ruhte Philipp von den Beschwerlichkeiten der Reise aus. Ein langer, junger Mann von zwei bis drei und zwanzig Jahren, bleich von Angesicht, schwarz von Haaren, die er kurz geschoren trug. Seine Stirn war kahl, seine Augen dunkel und groß; ein glänzend schwarzer, mäßig dichter Knebelbart beschattete den zugeklemmten Mund. Neben ihm am Boden lag sein Federhut, der breite Haudegen an der büffelledernen Kuppel und ein kurzes Feuerrohr mit weiter Mündung. Zu seinen Füßen ruhten zwei ungeheure dänische Hunde mit weißen spröden Haaren und rothglühenden Augen. Simon stand vor dem Gebieter und kredenzte ihm auf silberner Platte einen Becher mit Wein.

Bei Archimbalds Erscheinen schlugen die Hunde an. Philipp verwies sie mit derbem Fußstoße zur Ruhe, und wendete sich befremdet gegen den Eintretenden. »Was soll's?« rief er demselben zu. Aber weder die barsche Rede, noch das forschende Auge des Fragers, noch der auflodernde Grimm in Simons Angesichte entmuthigte den wackern Knaben, dem Gott wundersame Stärke verliehen zu haben schien, den Kelch seines Leidens zu leeren. Gefaßt und so demüthig als er vermochte, trat er dem Bruder näher, ergriff und küßte die widerstrebende Hand, legte ihm den Blumenstrauß darein, und sprach mit rührendem Ausdruck die Worte: »Lieber Herr, dieses zum Willkomm! Nehmt Euch eines unschuldigen Knaben an, und Gott segne Euch dafür!«

Philipp, der nicht begriff, was dieser Auftritt bedeute, sah seinen Diener fragend an, und las bald in dessen spöttischer Miene und zuwinkenden Blicken die Antwort. Da hüllte sich aber urplötzlich seine Stirn in finstere Wolken, die Braunen zogen sich zusammen, Haß und Zorn blitzte aus den Augen, und schadenfroher Hohn klemmte die schmalen Lippen noch fester zusammen. So durchbohrte er eine Weile hindurch den Bittenden mit seinen scharfen Blicken und schwieg. Archimbald verwandte kein Auge von ihm, aber es stieg ihm heiß auf im Gesichte. Endlich sprach Philipp mit spöttischem Tone, aber dennoch nicht frei von dem Grolle, der ihm das Innere zermarterte: »Du bist also der kleine Basilisk, der meine Jugend vergiftet hat, und meines Vaters Liebe zu mir, seinem einzigen ehelichen Sohne?«

Archimbald ward schneebleich, und frostig klapperten ihm die Zähne. Philipp weidete sich an seiner Vernichtung, und leerte ruhig, langsam sogar, den Becher, den ihm Simon darreichte. Dann drehte er sich zu dem Diener und sprach, mit falscher Tücke den Kopf wiegend:

»Wahrlich, Ihr konntet mir kein größeres Fest bereiten, als mir den rothhaarigen Pagen da vorzuführen in der ersten Stunde meiner Ankunft in der Heimath. Galgen, Rad und Strang mögen's Euch danken.«

»Der Staupbesen lohne es der, die dieses Possenspiel begünstigt hat,« eiferte Simon, und erzählte, wie die Sache sich verhielt.

»Ein feines Dirnchen, die Sabine!« spöttelte der junge Herr und dehnte sich bequem in dem weichen Sorgenstuhle. »Vielleicht ebenfalls eine zärtliche Schöne des werthen Vaters? Ist am Ende noch ein Brüderlein auf dem Wege?«

Simon zuckte die Achseln. »Eine erbauliche Wirthschaft! eine feine christliche Haushaltung!« fuhr Philipp fort und zerzupfte im Unmuth Archimbalds Blumenstrauß. Dem Knaben drängten sich Thränen in die Augen, aber seine Züge, seine Haltung blieben wie versteinert.

»Was ist aber da zu thun?« sprach Philipp weiter., »Der Bursche hätte mir nie unter die Augen kommen sollen, und ich werde nie die Unverschämtheit vergessen, mit der man mich gezwungen hat …«

»Befehlt!« unterbrach ihn Simon lebhaft, »befehlt, edler Herr, was mit dem Ueberlästigen geschehen soll. Im Augenblicke sey es erfüllt.«

»Alter Tölpel!« brummte ihm Philipp unwirsch zu. »Er sollte entfernt seyn, ehe ich kam.« – Dann wandte er sich zu Archimbald: »Zu was bist Du zu gebrauchen, Bube?«

Archimbald schwieg.

» Valga me Dios!« rief darauf höhnisch erstaunt der Hartherzige aus, der während den niederländischen Kriegen sich die spanische Kernbetheurung angewöhnt hatte, um in der Heimath damit barsch zu thun – »wie? Du hältst es gar nicht der Mühe wert, zu antworten? Sieh' doch! – ich muß mich also selbst überzeugen. Da! schnalle mir die Spornen ab!«

Er reckte ihm den Fuß hin. Archimbald stand unbeweglich. Unwillkürlich bückte sich Simon, des knechtischen Dienstes gewohnt. Ein zorniger Blick des Herrn scheuchte ihn aber zurück.

»Wird's bald?« donnerte Philipp, der Grimm und Galle kochte, dem Knaben zu. »Wirst Du gehorchen, Drachenbrut? oder soll dir die Peitsche den Rücken geschmeidiger machen?« – Er langte nach derselben und holte aus.

»Die Peitsche?« fuhr der empörte Knabe auf: »Herrgott! die Peitsche?«

»Sobald Du nicht gehorchst!« bekräftigte Philipp.

Stumm ließ sich der Knabe auf seine Kniee nieder, dem Zwange Genüge zu leisten; aber des fremden Dienstes nicht kundig und den Blick von Thränen umflort, nestelte er einige Augenblicke an dem Sporn, ohne ihn lösen zu können. Ueber seine Langsamkeit fluchend, zog Philipp den Fuß heftig zurück, riß dem Armen mit dem scharfen Spornrade die Haut auf, daß er laut aufschrie, und stieß ihn mit einem grimmigen Fußtritt vor die Brust zu Boden.

»Hinaus!« schrie er alsbald Sabinen zu, die auf das Geschrei ihres Pfleglings herein stürzte: »Hinaus mit Dir, leichtfertige, feile Dirne! Wir sprechen uns ferner!« …

Die Bestürzte floh, und Archimbald erwachte aus seiner kurzen Betäubung in den Armen seines unversöhnlichen Feindes Simon. Schaudernd riß er sich aus ihnen empor, wickelte wimmernd die zerrissenen Hände in sein Tüchlein und wollte fort.

»Da geblieben!« brüllte ihm Philipp nach, und Simon verwehrte ihm die Thüre. »Kleiner, verstockter Meuter! ich will Dir der Kopf zurecht setzen! Du bist untauglich zum Dienste bei mir, Du ungeschickter Venusjunker! Darum magst Du den Bratspieß in der Küche drehen. – Geht, Simon, schert dem Buben den Kopf, geb't ihm ein Wamms von Zwillich, lasset ihn barfuß laufen und weis't ihm sein Losament im Schweinstall an. Dorthin gehören seines Gleichen.«

»Herr, ich bin Euer Bruder!« sprach Archimbald mit halberstickter Stimme.

»Schweig, verfluchter Basiliske!« schrie ihm der Unmensch zu: »Ich lasse Dir die Zunge aus dem Halse reißen, wenn Du Dich unterfängst, nur einmal noch – Dich meinen Bruder zu nennen. Valga me Dios! ich wollte lieber den Türken oder Moskowiter zum Vater, als einen Bastard zum Bruder haben. Fort! hinweg, Kröte! krieche in den Schlamm zurück, aus dem Du entsprangst, Schandfleck meines Hauses!«

Simon wollte den Knaben ergreifen; aber dieser riß sich gewaltsam los, umklammerte die Kniee des Barbaren und schrie in Verzweiflung: »Herr! Philipp! habt Menschlichkeit für ein schwaches Kind. Ich bin Euer Bruder! Stoß't mich lieber in die weite Welt … mach't mich todt! … nur nicht diesen Schimpf!«

»Ha!« höhnte der entmenschte Bruder: »hegt die Natterseele solchen Stolz? Wohlan! Dein Wille geschehe! Hier« … mit diesen Worten führte er einen jämmerlichen Hieb mit der Peitsche über Archimbalds Rücken, und streckte ihn beinahe damit zu Boden … »hier, Betteljunker, empfange den Ritterschlag, der Dir gebührt, und fliehe hinaus zu den wilden Thieren des Waldes und den Raubvögeln der Haide, Bastard! niederträchtiger Bastard! Fliehe, und wage es bei Leib und Leben nicht, wieder das Haus zu betreten, das Du mit Deiner Geburt verunreinigt, mit Deinem Hauche verpestet hast!«

Er riß den Betäubten, Verzweifelnden vom Boden. »Die Thüre aufgemacht!« rief er dem frohlockenden Simon zu, »damit der Sündenbrut die gehörige Begleitung werde! Halloh! Alba! Spaniol! auf, ihr Hunde! hussa, faß't! hussa! hoh!«

Die zwei Ungeheuer sprangen wie ein Wetterstrahl in die Höhe, und folgten dem unglücklichen Opfer, auf das ihr Herr sie hetzte, mit wüthendem Geheul und schäumendem Rachen. Archimbald floh, und die Angst, die seine Körperkräfte stählte, machte, daß er auf der Wendelstiege den rasenden Thieren glücklich entkam und den Hof erreichte, wo er kraftlos zusammensank. Seine Verfolger waren auf den Pfiff ihres Gebieters wieder zurückgekehrt. Statt ihrer erschien Simon bei dem Armen, entriß ihm seine Kleidungsstücke, hüllte ihn in Lumpen, und stieß ihn barfuß, fieberisch glühend und vernichtet, aus dem Hause seines Vaters auf die Straße.

Gewaltiger Regen fluthete vom Himmel; die Straßen waren leer und dunkel. Keine Seele war um die Wege, die der Verstoßene um Hilfe hätte anflehen können. Doch, hätte er es auch vermocht? O nein! Bitten, Thränen hatte er nicht mehr, nicht ein armes Wort konnte seine Lippe stammeln, denn der höchste Grad des Jammers hatte den Knaben fühllos gemacht, diese Stunde seinem Alter zwanzig Jahre zugelegt. Sein Herz schwoll in männlicher Wuth, sein Auge flammte gen Himmel. Ohne eine Silbe zu sprechen, ohne seines Zustandes bewußt zu seyn, hatte er einen fürchterlichen Eid der Rache geschworen und denselben der Zukunft zur üppigen Reise vertraut. Der Augenblick forderte aber ebenfalls sein Recht, und Archimbald sah sich nach einem Obdach gegen Sturmwetter und einbrechende Finsterniß um. Er war noch nicht weit gegangen, als der weit geöffnete Thorweg einer großen Herberge zu seiner Rechten sichtbar wurde. Eine Menge von Dienstleuten, Schiffern und Bettelvolk hatte sich unter demselben versammelt. Archimbald schlüpfte unbemerkt zwischen ihnen durch, und die Wärme des offen stehenden Pferdestalls lockte den Durchnäßten hinein. Er warf sich auf ein Paar Heubündel nieder und schloß die Augen. Vergebens aber rief er den Schlaf. Die Begebenheiten der letzten Stunden gebaren sich immer auf's Neue wieder in seinem aufgereizten Gehirne und zwangen ihn zu einem qualvollen Wachen. Seine verwundeten Hände schmerzten ihn heftig, und da er endlich seine peinvolle Lage nicht mehr aushalten konnte, trat er wieder unter den Thorweg. Es war ganz finster geworden. Der Regen hatte aufgehört, und nur von den Dächern fielen einzelne Tropfen. Menschenleer war der Hof, denn Alles hatte sich in das Innere der Herberge begeben, die von unzähligen Lichtern strahlte. Das frohe Getöse der sorglosen Zecher schnitt hart in des Knaben Brust, aber sein Auge war trocken, und krampfhaft biß er die Zähne zusammen. Es kamen Leute von der Straße herein in das Haus: Ein vornehmer fremder Herr, von mehreren bewaffneten Dienern begleitet. Einer von ihnen trug ein Windlicht. Während die Andern in's Haus schritten, leuchtete der Fackelträger Archimbald in's Gesicht. »Gehörst Du in die Herberge, Bube?« fragte er. Archimbald nickte stumm mit dem Kopfe. »Kannst Du nicht reden, dummer Schwabe?« lachte der Diener. »Da! halt' mir die Fackel, bis ich wieder herunter komme. Lösche sie aber fein säuberlich ab in einem Winkel, wo es keinen Brand verursachen kann. Du kannst sie, wenn ich herabkomme, an der Thorleuchte wieder anzünden.« Er folgte den Andern, und Archimbald wollte seinen Worten Genüge leisten, als er einen Blick auf die Hand warf, worauf die blutigen Striemen beim Schein des Pechlichts sich noch gräßlicher gestalteten, und ihm den unmenschlichsten Entschluß eingaben, den vielleicht je ein Knabe gefaßt. »Ich soll die Fackel löschen?« dächte er bei sich selbst mit wilder Tücke; »in einem Winkel, wo es keinen Brand verursachen kann? Wenn ich aber nun mit dieser Fackel eine andere entzündete? Wenn ich meinem grausamen Bruder das Haus, das des Vaters Liebe mir bestimmte, mit Feuer zerstörte?«

Wenn eine Büchse ihr verderbenschwangeres Rohr gegen den Feind entladen soll, so gilt es einen Wink nur und es ist geschehen. Die Lunte zündet … das Pulver flammt, und lange schon hat die Kugel eingeschlagen, wenn erst der zürnende Donner den Mord in alle Welt schreit … so der Rachgedanke des Menschen; in seinem Gefolge die leidenschaftliche That. Nur des Himmels Blitz ist schneller, und Archimbald fliegt halb sinnlos zu dem Vaterhause, das seiner mordbrennerischen Begier zum Opfer stürzen soll. Hinter diesem Hause, in dem er die Welt erblickte, läuft eine schmale Gasse durch, von dem Hintergebäude und der gegenüberragenden Klostermauer allein gebildet. Kein bewohntes Gemach hat die Aussicht in diese abgelegene Straße; keine Nachbarn, die da wahren oder retten könnten … aber zwei Fuß vom Boden eine weit vergitterte Oeffnung in den Holzschuppen des Hauses, viele Reisigbündel dicht an der Oeffnung … die Gelegenheit ist günstig; weit und breit kein Geräusch. Die Furie der Rache blickt segnend auf das Probestück des gelehrigen Schülers. Er schwingt die Fackel, und die rothe Flamme leckt gierig an dem Brennstoffe. Der Regen hat aber das dürre Reisig genetzt; und also verhinderte ein Gott den gräßlichen Frevel. Die Gluth faßt nicht, und der hartnäckige Knabe will gerade die Fackel in die Mitte des Schuppens schleudern, als man ihm dieselbe aus der Hand reißt. Bestürzt blickt er um sich, und gewahrt ein altes Weib mit einer Leuchte in der Hand, deren widrige Züge durch die mißbilligende Strenge, die sich jetzt darinnen ausspricht, noch abschreckender werden.

»Bubel! Bubel!« spricht sie mit heiserer Stimme, und droht dem Knaben mit dem Finger, während die Unglücksfackel in einer Pfitze verlischt, worein sie die Alte geworfen: »Was willst Du thun? Willst Du Dir in so zartem Alter schon den Scheiterhaufen verdienen?«

Furcht und Scham verschlossen dem jungen Verbrecher den Mund. Die Alte betrachtete ihn aufmerksamer, schüttelte bedenklich das Haupt und fuhr fragend fort: »Trügen mich meine alten Augen, oder bist Du nicht des seligen Herrn Wernher's Söhnlein?«

»Ja!« seufzte Archimbald halb laut.

»Nun ist mir Alles klar,« versetzte das Weib. »Der Erstgeborene ist heute angelangt aus dem Niederland, hat das Büblein sicherlich nicht säuberlich begrüßt, und da will es ihm dafür einen rothen Hahn auf's Dach stecken?«

»Er hat mich aus dem Hause gejagt,« murrte Archimbald, »und ich habe ihm doch nichts auf der Welt gethan.«

»Armes Kind!« redete ihn die Fremde mitleidig an: »und wie er Dich zugerichtet hat!« –

Statt aller Antwort zeigte Archimbald seine verletzten Hände, und seine Augen wurden naß von Thränen des Schmerzens und der Scham.

»Der Unmensch!« sprach die Fremde, wie oben: »Hast Du schon ein Obdach, mein Junge?«

»Ach nein!« schluchzte der verlassene Knabe.

»So komm' mit mir,« lautete die Antwort. »Komm', und geschwinde!«

Sie ergriff ihn bei der Hand und führte ihn mit sich. Der Unbändige war zum schüchternen Lamm geworden. – »Kannst Du lesen und schreiben?« fragte ihn die Alte nach einer Weile. – »Der Magister Kalander hat mich Beides gelehrt.« – Die Alte nickte beifällig. – »Ich lese aber weit besser als ich schreibe,« setzte der Wahrheitsliebende hinzu. – »Gleichviel,« antwortete die Führerin. »Das lernt sich. Du scheinst ein verständiger Bube zu seyn und entschlossen, mehr als Deinen Jahren zuständig. Du sollst bei mir bleiben; aber das Sengen und Brennen laß Dir vergehen, sonst …«

Der Knabe schauderte bei der Erinnerung an das, was er begonnen. Zugleich aber bemerkte er, daß sie schon dem Frauenthore ganz nahe waren. »Wo führst Du mich denn hin?« fragte er ängstlich. – »Vor das Thor, in mein Häuslein,« entgegnete die Alte ernst. »Ich wohne nicht in der Stadt. Schweige aber jetzt mit Deinen Fragen, und danke Gott, daß er mich auf Deinem Wege geführt. Auch Deiner Mutter im Grabe danke dafür.« Hier schauderte die Alte merklich und sprach dann leiser weiter: »Um Ihretwillen nehme ich mich Deiner an; hörst Du! um Ihretwillen.«

Nun drehte sie den Kopf zur Seite und murmelte mit einem bekümmerten Seufzer: »Ach ja, mein Herrgott! um Ihretwillen … miserere mei Domine! … um der armen Hedwig willen … miserere … Domine … Christe.

Sie stand stille und sagte mit unverständlicher Schnelle ein Gebetlein her, das, nach der eifrigen Bewegung ihrer Rippen und der krampfhaften Verziehung ihres Gesichts zu urtheilen, ein sehr inbrünstiges seyn mußte. – Nach einer kurzen Weile waren sie am Thore. Mehrere Wächter lehnten an ihrer rußigen Hütte. – »Den Sperrheller!« rief einer von ihnen den Ankömmlingen zu. Die Alte suchte in ihren Taschen.

»Daß mich der blasse Tod!« flüsterte ein Anderer dem Fordernden vernehmlich genug zu: »Erkennst Du sie denn nicht, Lucas? Es ist ja die alte Mutter Lene. Nimmst Du von der nur einen Deut, so hext sie Dir Unglück genug auf den Hals.«

»Lass' nur stecken, Alte!« versetzte hierauf der Erste und zog das Pförtlein auf! … »für Dich ist freier Ein- und Auslaß.«

Die alte Lene grins'te freundlich!

»Kommst heute knapp noch zu rechter Zeit auf den Blocksberg, Hexenmutter!« lallte ein dritter ziemlich benebelter Thorwächter. »Wer ist denn aber Dein Begleiter da? ein feiner Bube!«

»Gelt?« schnarrte Lene. »Es ist mein liebes Söhnlein.«

»Brr!« murrte der Frager und schüttelte sich; »Möchte der Vater nicht seyn.«

Lene warf ihm einen fürchterlichen Blick zu. Die Gefährten stießen den Trunkenen in die Rippen, und als die Alte durch das Pförtlein ging mit ihrem Schützling, bat sie der Wachhabende, ihm die Beleidigung nicht nachzutragen, die ihr der Trunkenbold im Rausche angethan, und ihn selbst bald mit dem längst versprochenen Passauerzettel zu bedenken.

Archimbald, der kein Wort und keine Bewegung seiner Führerin verlor, versank in scheue Demuth an ihrer Seite; denn er glaubte, neben einem überirdischen Wesen zu wandeln.

Einen Büchsenschuß vom Thore entfernt lag der Alten Wohnung; ein niedriges Hüttlein, von uralten dicken Bäumen umgeben. Die Eigenthümerin schloß die Thüre auf und rief mehrere Male: »Schwarzmann! Schwarzmann!« bis sich mit lautem Miauen ein ungeheurer schwarzer Kater von des Baumes Zweigen auf ihre Schultern schwang.

»Ei, Du lockerer Gesell!« scherzte die Alte und streichelte den Freundlichen. »Lustwandelst Du, wenn die Gebieterin nicht daheim, statt das Haus zu hüten?«

Der Kater murrte behaglich und schien den jungen Fremdling neugierig anzuschauen, der, durch so viel Sonderbares bestürzt, es kaum wagte, einen Blick in seine glühenden Augen zu werfen. – Sie traten in die Hütte. Mutter Lene schloß sorgfältig hinter sich zu, und führte Archimbald in ein reinliches Stüblein, an das eine kleine Küche stieß. Hier hieß sie ihn niedersitzen, schürte die Glut des Herdes und bereitete in Eile einen wohlschmeckenden Kuchen, der dem hungrigen Archimbald köstlich mundete. Hierauf legte sie ihm die Hände auf das Haupt, sagte einen Spruch in fremder Sprache her, gleich einem Gebete, und hieß ihn alsdann ihr eine kleine Treppe hinauf folgen, die aus der Küche auf einen engen Speicher führte, wo sie ihm einen mit Moos gefüllten Sack zur Lagerstätte anwies. Sie entfernte sich und überließ den Knaben sich selbst und seinen Gedanken. Er streckte sich auf das ungewohnte Lager hin, und dießmal war seine Natur nicht unerbittlich. Bald fühlten seine Glieder jene behagliche Wärme, die der Vorbote sanfter Ruhe ist, und Schwarzmann, der nicht lange nach ihm auf demselben Speicher die gewohnte Ruhestelle suchte, fand den neuen Gefährten süß schlummernd, und kauerte sich vertraulich an des glücklichen Schläfers Seite.


 << zurück weiter >>