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Siebentes Kapitel.


Ihr, ihr dort außen in der Welt
Die Nasen eingespannt!
Auch manchen Mann, auch manchen Held,
Im Frieden gut und stark im Feld
Gebar das Schwabenland.

Schiller.

Zur selbigen Zeit ging es im Stadtzwinger, bei den Wohnungen der Stadtguardia, unruhig und geräuschvoll zu. Hans Schnepfinger, der Rottmeister, hatte so eben den Seinigen das Mandat eines wohlweisen Magistrats kund gethan, vermöge dessen die Hexenlene in sichern Gewahrsam gebracht werden sollte; und achtzehn Mann waren auserlesen worden, das kühne Wagestück herzhaft und geschickt auszuführen. Vierzehn Pikenirer und vier Hakenschützen rüsteten sich demnach aus allen Kräften, und verursachten so viel Rumor, als ob es wider den Türken gehen sollte. Die Kürasse wurden mit haltbaren Schnallen, die Pikelhauben mit ausgeflickten Sturmbändern versehen, die Piken gewetzt, den Büchsenschlössern mit Oel zugesprochen, während die Daheimbleibenden mit ehrfurchtsvoller Scheu die versuchten Streiter anstaunten, welche es unternehmen durften, die weit und breit gefürchtete Streicherin zu gefänglicher Haft zu bringen. Schnepfinger wandelte auf und ab unter den Geschäftigen, den Hut mit dem rothen Federstutz, der nur bei Gelegenheiten, wo es galt, zum Vorschein kam, auf einem Ohre martialisch wiegend; das ungeheuer breite, mit Fransen besetzte Bandelier, an dem der kurze Haudegen hing, über die fette Schulter gespannt; die Hände auf dem Rücken; das Kinn auf der Brust liegend, gleichsam wie in hohen, wichtigen Gedanken versunken. In der That saß ihm aber der Schalk im Nacken; denn er dachte bei sich: »Putzt, flickt und rüstet euch nur, ihr Thoren! Ich weiß es besser, wie der Mantel hängt. Hab' ich doch zuerst von der Sache Wind gehabt! – habe ich doch meine freigebige Lene bei Zeiten gewarnt. Weiß ich's doch schon im Voraus, daß wir ein leeres Nest finden werden! Putzt nur, wetzt nur, ihr Gimpel! Dem Hallunken, dem Geismann, der Schuld am ganzen Handel ist, will ich's doch noch einmal eintränken, daß er meine beste Kundin zwingt, wenn auch nur auf kurze Zeit, landflüchtig zu werden!« – Belobter Geismann saß aber gerade beim Schein einer Laterne hinter einer Hundehütte versteckt, und war beschäftigt, sich, da er auch zu dem nächtlichen Ueberfall befehligt war, ein Stück von einer geweihten Kerze, in einen Lappen genäht, auf der Brust zu befestigen. – »Was machst Du da?« donnerte ihm plötzlich der gestrenge Rottmeister in die Ohren, der sich, vom Lichtschimmer aufmerksam gemacht, hinter ihn geschlichen hatte. – Geismann, vor Angst und Respect zitternd, gestand endlich sein Vorhaben. »Bist Du toll, Schuft?« schnauzte ihn der Rottmeister an, der gar zu gern, wo er sich sicher wußte, den starken Geist spielte: »Solchen Aberglauben zu treiben! Kerl, bist Du ein Protestant? Wenn das der Doctor Luther wüßte … im Grabe drehte er sich um.« – »Schon recht, gestrenger Herr Rottmeister,« erwiederte Geismann: »aber Teufelswerk muß mit Teufelswerk vertrieben seyn, und ich möchte lieber katholisch werden, als auf einen Hexensturm ausgehen!« – »Wer hat denn daran die Schuld, als Du, verdammter Dickkopf?« rief Schnepfinger, ein grimmiges Gesicht ziehend, und maß ihm ein Paar Lungenhiebe mit der Klinge über den Rücken. »Hättest Du Dein besoffenes Maul nicht gegen den Thurneisen aufgethan, so könnten wir jetzt ruhig auf dem Ohr liegen und ein Räuschlein ausschlafen. Zur Strafe aber sollst Du der erste beim Angriff seyn; das schwöre ich Dir zu, so wahr ich Rottmeister bin!«

Er zog wieder mit langen Hahnenschritten ab, und ließ dem trostlosen Geismann völlige Muße, sein Amulett fest zu machen, und sich im Voraus selbst so viel Angst einzujagen, als nur immer möglich. Die übrigen Helden, mit ihrer Arbeit im Reinen, sammelten sich um die Tonne Bier, die der Rathsherr Thurneisen ihnen hatte verabfolgen lassen, um sich auf die bevorstehende Heldenthat vorzubereiten. Schnepfinger führte bei dem Gelage, zu dem sie ein knappes Stündchen Zeit hatten, den Vorsitz, schenkte weidlich ein, und trank mörderlich vor, daß seine Stirn bald zu glühen begann, seine Stellung ritterlicher, seine Stimme durchdringender wurde. In einer kurzen, aber kraftvollen Rede, aus dem starken Biere geschöpft, und die Gefahren der nächsten Stunde behandelnd, ermunterte er sein Häuflein zu mannhaftem Aushalten und zu blindem Gehorsam. Die Begeisterten gelobten sich gegenseitig, zu siegen oder zu sterben, und Ruhm und Ehre in die Stadt zurück zu bringen. Unter diesen günstigen und erhebenden Conjuncturen schlug die Stunde des Aufbruchs. Die Kriegsknechte schaarten sich, und Feldherr Schnepfinger führte sie glücklich durch's Einlaßpförtlein in's Freie. Gleich einer gewitterschwangern Wolke rückten sie auf der dunkeln Straße vor. Der Rottmeister, mit blankem Schwert in der Rechten und gewichtiger Partisane in der Linken, voran. Dicht hinter ihm der zaghafte Geismann, als Führer der Spießknechte, die, die Waffe vorhaltend und aus Ordnung oder Furcht eng geschlossen, den Gewaltshaufen ausmachten. Zu ihren beiden Seiten gingen die Schützen, die Haken auf der Schulter, die Büchsengabeln an der Brust, die glimmende Lunte in der Faust. Bis jetzt … in eine Masse gedrängt, ging Alles gut. Ein jeder hatte Vertrauen auf seine Gefährten. Sogar Geismann hatte Muth genug, der Feldflasche tüchtig zuzusprechen; als aber fünfzig Schritte vom Thore Schnepfinger das Häuflein halten ließ und in kriegserfahrener Weisheit sechs Pikenirer absonderte, die hier als Beschützer des Rückzugs zurück bleiben mußten … als er vollends nach abermaligen fünfzig Schritten wieder eine Feldwache von Sechsen zurück ließ, um im höchsten Nothfalle nur die Stürmer zu verstärken … da fiel den letztern das Herz; sie kratzten sich hinter den Ohren; ihre kriegerische Ungeduld verwandelte sich in dumpfes Schweigen, und gleich einer Heerde Lämmer, die in trüber Ahnung, aber willenlos dem Schlächter folgen, folgten sie ihrem Leitstern, dem Rottmeister, dessen übernatürlichen und sonst ungewöhnlichen Muth sie zu bewundern nicht unterlassen konnten. Schnepfinger wußte aber schon, woran er war, und erfüllte demnach unbesorgt die Pflichten seines Amts. Wer malt aber sein Erstaunen, als er, mit seiner Schaar in die Nähe von Lenens Haus gelangt, Lichtschein durch das Fenster wahrnahm. Betroffen und entsetzt, blieb er wie eingewurzelt stehen, und es überlief ihn ein heimlich Grauen. Lene war also nicht flüchtig? hatte vielleicht sich Hülfe zu verschaffen gewußt? erwartete vielleicht im Hexenkreise ihre Feinde, um sie alle durch einen Bannspruch zu verderben? – Des Hauptmanns Schrecken wirkte doppelt auf die halb entgeisterten Söldlinge. Geismann wollte im Dunkel entspringen; allein sein Nachbar, ein Tyroler-Schütz, wies ihn mit der Kolbe der langen Büchse zur Ordnung, Schnepfinger trat nun hinter, seine Leute, und befahl ihnen, Sturm auf die offene Thüre des Hauses zu laufen. Keiner regte sich. »Geismann!« rief der Rottmeister, dem jetzt selbst vor einem Schock im Hinterhalt liegender Teufel bange wurde … »Geismann, Du weißt, was ich Dir geschworen habe. Du mußt der Erste, seyn, wie Du der Vorwitzigste warst. Frisch! d'rauf los!« – Geismann stand wie eine Mauer. – Schnepfinger stimmte den Ton herab. »Lieber Geismann,« sprach er sehr nachgiebig: »sieh, es ist nur, weil ich's geschworen habe … geh' voran! Du hast ja ein Amulett bei Dir.« – »Ich geb' es Euch,« versetzte Geismann schnell: »geht Ihr!« – »'s hilft mir ja nichts,« capitulirte der Rottmeister, »weil ich nicht daran glaube. Geismann, Du hast Freude an meinem Pulverhorn gehabt. Ich schenke Dir's, wenn Du jetzt einen muthigen Mann zeigst und voran gehst.« – »Ich gehe nicht,« hieß die Antwort, »und wenn Ihr mir alle Pulverhörner der Welt schenken wolltet.« – »Potz Blut und Wunden!« brach der Rottmeister los, da selbst Bitten und Versprechungen nichts verfingen: »seyd Ihr Soldaten, oder sitzt Ihr noch daheim hinter der Nähnadel und dem Schusterpech? Meint Ihr, unsere gnädigen Herren von Ulm stopfen Euch Eure Ungewaschenen Mäuler um nichts und wieder nichts mit Knöpflisuppen und Sauerkraut? Nicht beim Lagerbier zum schwarzen Bock, nicht hinter dem fetten Schweinsbraten und der Knoblauchbrühe … nein! im Felde, in der Gefahr zeigt sich der ächte und gerechte Soldat. Wißt Ihr das? Babylon und Ninive! ich hab's satt! Kitzelt mir den Schuft, den Geismann, mit Euern Spießen unter den Rippen, daß er vorangeht, oder es wird nicht gut!«

Die Söldner konnten dem Haupt- und Bibelfluch des Rottmeisters den gebührenden Gehorsam nicht versagen, und thaten, wie er befahl. Geismann, zur Verzweiflung gebracht, lief mit eingelegter Pike der Thüre zu und die Uebrigen folgten, als ein neues Schreckniß sie plötzlich wieder zum Stehen und Wanken brachte. Schwarzmännchen kauerte gemächlich auf der Schwelle und glotzte die nächtlichen Gesellen mit seinen Feueraugen unverrückt an.

»Was ist?« rief Schnepfinger, der, als der Hinterste, nicht sehen konnte, warum der Heldenflug erlahmte. – »Der Teufel!« riefen alle einstimmig und wiesen auf die feurigen Augen. – »Pahl« versetzte Hans mit Zähnklappern. »Lucas! schieße ihn auf die Platte!« – »Daß ich ein Narr wäre!« erwiederte der Schütze. Die Kugel im Rohr würde platt und weich wie ein Pfannkuchen, oder flöge mir selbst in's Hirn. Schießt Ihr!« – »Ist nicht mein Handwerk,« wehrte der Rottmeister ab. »Thu' einen Nothschuß!«

Lucas blies die Lunte an. »Ihr Andern,« fuhr Schnepfinger fort: »damit Ihr Euch ja zusammen haltet bei dem Anlauf, packt alle meine Partisane hier. So! ich in Euerer Mitte. Wenn Lucas geschossen hat, greift er auch mit an und hält sich an dem Schaft. Geismann! hänge Dein Amulett vorne an den Spieß und fürchte Dich nicht. Ich denke, das höllische Beest soll doch vor dem katholischen Krimskrams weichen. So! nun Muth, Kinder! nehmt ein Beispiel an mir. Warum schießest Du denn nicht, Lucas?«

»Gleich Herr Rottmeister! die Lunte brennt nicht gut,« hieß die Antwort. – »Geb't jetzt Acht, meine Kinder,« fuhr der Rottmeister fort: »geb't Acht! So wie der Lucas geschossen und sich angehängt hat, so drücken wir Alle die Augen zu, fürchten uns nicht und rennen mit dem Spieße das Ungethüm über'n Haufen. So schieße doch, Lucas!«

»Gleich, Herr Rottmeister!« antwortete dieser und stieß die Gabel fester ein, sich fertig machend. _

»Ich werde drei zählen!« rief der Rottmeister mit schlotternden Knieen. »Geb't Acht, liebe Kinder! Eins! … mach' Dich fertig, Lucas! Zwei! … die Augen zu … und denn in Gottes Namen: Drei!«

Der Schuß krachte hinaus in's weite Feld; Lucas, sein Zeug fallen lassend, sprang an seinen Posten, und die Sieben rannten in vollem Laufe mit ihrem Spieße der Thüre zu. Schwarzmann hatte bei dem ungewohnten Knall Reißaus genommen; Mutter Lene stand aber mit der Lampe auf der Schwelle und schrie den Anrennenden ein gellendes »Halt!« entgegen, daß sie plötzlich standen und die Augen bei ihrem Anblicke weit aufrissen.

»Kommt Ihr endlich?« fragte Lene die Staunenden. »Ich habe Euch früher erwartet. Verlohnt sich's aber wohl der Mühe, um eine alte Frau zu fangen, einen Spectakel zu machen, als ob ganz Ulm in Gefahr wäre?«

Die Wächter blickten sich beschämt an. Der Rottmeißer hatte aber seine ganze Herzhaftigkeit wieder gefunden, trat aus der Reihe und rief Lenen mit barscher Stimme zu: »Hexenlene! wir verhaften Euch im Namen des wohlweisen Magistrats, unsern lieben, gnädigen Herren von Ulm. Und ich hoffe,« setzte er mit leiserer Stimme hinzu: »da Ihr für gut gefunden habt, uns zu erwarten, daß Ihr keine Umstände machen und uns ohne Hinterlist folgen werdet.«

»Ich wiederhole Euch,« sprach die Alte gleichmüthig, »daß ich Euch erwartet habe.«

»Ich habe auch Befehl, Alles in Euerm Hause zu durchsuchen,« fuhr Schnepfinger fort, der sich gar nicht in seine Freundin finden konnte: »und den mißgestalteten Buben ebenfalls in Verwahrung zu nehmen.«

»Mein Haus mögt Ihr durchsuchen,« versetzte die Alte spöttisch … aber nach meinem armen Kunz müßt Ihr wohl weit laufen, liebe Herren, wenn Ihr ihn haben wollt. Seine Mutter hat ihn gestern früh, bereits geholt und ihn nach Augsburg in's Spittel gebracht.«

Schnepfinger und die Seinen zogen lange Gesichter und folgten der Alten behutsam in die Stube. Der Rottmeister durchsuchte Alles, was da war, genau, schüttelte aber brummend den Kopf, als er nicht fand, was er suchte.

»Ihr seh't Euch die Augen vergebens blind, lieber Herr,« sprach endlich Mutter Lene wie oben: »Ihr spürt nach einem Pergament; ich weiß … aber dasselbe ist bei einem Anlaß, den der Rathsherr Thurneisen wohl kennt, verbrannt worden, und ich könnte es nimmer ganz machen, so gerne ich auch wollte.«

Der Rottmeister schüttelte den Kopf, rieb verlegen die Hände, und da er nichts besseres zu sagen wußte, so bedeutete er der Alten, sie müsse ihm jetzt folgen. Lene war dazu bereit; Schnepfinger verschloß das Haus und steckte den Schlüssel zu sich. »Nun müßt Ihr Euch aber gefallen lassen,« sprach er in ziemlicher Verlegenheit: »daß man Euch die Hände binde: denn so ist's befohlen.«

»Warum denn nicht?« versetzte Lene und reichte ihre Hände hin. »Nur bindet nicht zu fest, denn meine Hände sind schwach und mager; ich gedenke sie auch ferner noch zu brauchen, und will sie mir nicht durch Euere scharfen Stricke verhunzen lassen.«

Der Rottmeister schüttelte abermals den Kopf und ließ sie leicht binden. »Nun aber« … begann er, wie oben … »noch eins. Ihr steht im Verdacht der Hexerei, und eine Hexe soll, wie der Rathsherr meint, auf dem lieben Erdboden stehend sich unsichtbar machen können, dieses aber wohl bleiben lassen, wenn sie in freier Luft getragen oder gefahren wird. Wir werden Euch daher auch, die Füße leicht binden und auf die Piken dieser vier wackern Männer setzen lassen müssen, um von ihnen nach der Stadt, getragen zu werden; denn so ist's befohlen.«

»Desto besser,« lachte Lene: »so mache ich mir die Füße nicht müde. Ich muß ohnehin morgen nach Günzburg, um dem dicken Bierbrauer zur Ente von seinem Zipperlein zu helfen: und darf daher wohl meine Beine schonen.«

Der Rottmeister schüttelte zum dritten Male den Kopf, ließ sie mit leicht gebundenen Füßen auf die Spieße setzen, und der Zug machte sich auf nach der Stadt. Die vier Spießknechte trugen die Alte, der Tyroler ging mit einer Kienfackel voran, und Schnepfinger, den Schützen Lucas zur Seite, schlenderte nebenher, in schwere Gedanken versunken. – »Das Weib macht mich ganz wirblicht,« sprach er endlich zu Lucas. »Sie spricht von der Gefangennehmung nicht anders, als hätte sie der wohlweise Rath auf Bratfisch mit Rothwein eingeladen; will morgen nach Günzburg reisen? … du großer Gott! wer weiß ob sie nicht morgen um diese Zeit im Armensünderstübchen sitzt und der Meister Knüpfauf schon die Reisbündel zum Scheiterhaufen rüstet oder am Sack zum Ersäufen näht.«

»Meinethalben!« lachte Lucas. »Ob ihr der Teufel hilft oder ob er sie stecken läßt, mir ist's all' eins. Aber Ihr habt mir da auf Bratfisch und Rothwein lange Zähne gemacht, daß ich recht heißhungrig geworden bin.«

»Hm!« brummte Schnepfinger, vornehm thuend: »zu ein Paar Weisfischen und einem Humpen Seewein kann wohl Rath werden, wenn Du mich zum Syndicus begleiten willst. Der gibt heute wieder einen Schmaus, zu Ehren des Herrn Amtsbürgermeisters; und ich muß Sr. Weisheit melden, was vorgefallen.«

»Topp! ich gehe mit,« versetzte Lucas: »und wir wollen dem Gesinde tüchtig auf das Leder saufen.«

»Das magst Du thun,« sprach der Rottmeister. »Für mich schickt sich die Gesellschaft nicht, und man wird mir wohl oben mein Quantum verabreichen.«

»Holla! Stock an!« schrie einer der Träger stolpernd. »Michel! leuchte! was liegt da?«

Beim Schein der Fackel zeigte sich ihnen eine auf dem Boden zerstreute Waffensammlung: Spieße, Hakenbüchsen, Blechhauben, alles in der buntesten Unordnung.

»Was gilt's!« schrie Schnepfinger, »unsere Feldposten sind bei unserem Nothschuß ausgerissen und haben im Schrecken Alles von sich geworfen.«

Lene lachte ausgelassen von ihrem Sitz herunter.

»Wirst auch nicht lange mehr lachen, alte Vettel!« brummte Geismann, der sich in den Feigen mit verlacht fühlte, zu Lenen hinauf. »Die Donau wartet schon mit Schmerzen auf Dich.«

Die Alte warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Die Strafe hinkt … knirschte sie … aber sie bleibt nicht aus! Den, der Euch schickte, und Dich, Du Lästerer, erwartet der kühle Fluß; nicht mich. Merke Dir das!«

Geismann versuchte zu lachen; es gelang ihm aber schlecht. Die andern überlief eine Gänsehaut, und sie eilten schnellen Schritts über die letzte Wachstelle, die, so wie die erste, mit den Trophäen der Hasenhaftigkeit geziert war, hinweg nach dem schützenden Einlaßpförtlein, das, ein bescheidener Triumphbogen, den heimkehrenden Streiter gastlich empfing. Die zwölf Davongelaufenen saßen schon im Block auf Befehl des Rathsherrn Thurneisen, der in Person am Thore stand und die Ankommenden empfing.

»Willkommen, Hexenvogel!« rief er höhnend der Gefangenen zu: »Dein Bauer ist bereit.«

Lene antwortete bloß mit einem heisern Spottgelächter und drehte ihm den Rücken zu. Er ließ sie aber schnell in das für sie bereitete Thurmgefängniß bringen, in eine Art von Hängmatte schnallen, die in der Mitte des Gemachs hing, und begab sich, nachdem alle Schlösser gefallen, alle Riegel vorgeschoben waren, zufrieden und beruhigt hinweg. Lene, außer Stande sich rühren zu können, hatte sich kurz und gut in die Arme des Schlummers geworfen und ein Paar Stunden recht wohl verschlafen, als sie durch ein lautes Geräusch geweckt wurde. Der Thurmwächter und der Rottmeister standen in ihrem Gemache mit einer Laterne versehen. »Wacht auf, Frau Streicherin!« rief der Eine; »geschwind, Lene, um Gotteswillen« – der Andere: »was solls?« die Alte; und sie war, ehe sie sich's versah, herunter gelassen, losgeschnallt und auf freien Füßen. »Was gibt's denn?« fragte sie noch einmal: »seyd Ihr toll geworden? Wenn ich mich jetzt unsichtbar machte?« – »Nur jetzt nicht, um's Himmelswillen nicht!« bat der Rottmeister. Ihr müßt mit mir.« – »Wohin?« – »zu Sr. Weisheit, dem Regierenden.« – »Was soll ich dort in später Nacht?« – »Helfen, rathen, retten!« versetzte der Rottmeister außer sich und zerrte sie zum Gemache hinaus, die Treppe hinunter, auf die Straße. – »Freund,« flüsterte er dem Wächter zu: »reinen Mund gehalten! Ich käme mit Dir um den Dienst, wenn der Thurneisen etwas erführe, denn obschon es Se. Weisheit betrifft, so will Se. Weisheit doch nicht« … – »Verstehe!« erwiederte der Hüter. Schnepfinger nahm Lenen beim Arm und wanderte mit ihr rasch durch die leeren Gassen.

»Werd' ich endlich erfahren?« fragte Lene ungeduldig.

»In zwei Worten!« sprach der Rottmeister, immer d'rauf los trabend: »Se. Weisheit, unser Vielgeliebter, war heute beim Syndikus zum Nachtessen, auf wälsche Dicknudeln mit Käse und Safran, auf Salmen mit gebratenen Zwiebeln, fetten Aal in Salbei geschmort, und ein Gallrei mit Krebsen. Das Alles schmeckt gut, müßt Ihr wissen, Mutter Lene, und unser Regierender, Se. Weisheit, war nicht dumm, als er sich grausam daran übernommen hat. Aber kaum nach Hause gekommen, weiß er nicht vor Angst, wo aus und an. Die Nudeln treiben auf, der Safran hitzt, der Salmen und der Aal drückt, das Gallrei liegt wie Eis im Magen, und die sechs Maaß Neckarwein, die er, von dem durstmachenden Käse gereizt, darauf hat fließen lassen, halten das Alles oben, und lassen der Gottesgabe nicht Zeit noch Raum, sich zu setzen. Der Herr Bürgermeister wälzt sich wie ein Unsinniger, schickt nach dem Doktor Hipplein, der ist selbst, zur Schande der Fakultät, todtkrank; sendet nach dem alten Spittelarzt mit dem lateinischen Namen … der Grobian läßt ihm aber ausrichten, er habe gerade ein Schwitzpulver genommen, und wolle sich um der Krankheit willen, die der Herr Bürgermeister Jahr aus Jahr ein habe, nicht der kalten Nachtluft aussetzen; er solle in Zukunft … na! das Ende will ich aus Respekt vor Sr. Weisheit weglassen. – Da fiel dem gestrengen Herrn ein, daß Ihr hier im Thurme sitzt, wie ich's gemeldet, und ich mußte eilen, Euch zu bereden, gleich zu kommen und mit Euerer Wunderessenz zu helfen.«

»Tölpel!« lachte die Alte: »wenn ich nun nicht gerade zum Glück, als ob mir's vorgegangen wäre, ein Fläschchen davon zu mir gesteckt hätte, wie wäre es dann?«

Schnepfinger schwieg verdutzt, und sie waren an des Bürgermeisters Hause. Die Weisheit lag, von schwerer Unverdaulichkeit niedergedrückt, im breiten Sorgenstuhle ausgestreckt. Dicke Schweißtropfen drangen unter der bequemen Federmütze hervor, die gräulich mit ihrer Weiße gegen das kirschbraune Antlitz des Gefolterten abstach, dessen Mund nur mit der größten Anstrengung nach Luft schnappte. Der weite damastene Schlafmantel vermochte kaum die trommelartige Ausdehnung seines ohnehin füllereichen Leibes zu verhüllen. Hände und Füße, kalt und starr, zuckten wie im Fieberkrampfe.

»Das war die höchste Zeit!« rief die Alte, eilte zu dem Kranken, und flößte ihm eine gute Dosis ihrer Essenz ein. Die Arzenei, an welcher ein Kaiser sich den Rest getrunken hatte, gab dem armen Bürgermeister das Leben wieder. Er kam zu sich … nickte seiner Helferin freundlich zu und stöhnte kaum vernehmlich: »Hab' Dank, Du altes Hexlein! ich werde Dich nicht vergessen; wenn Du aber bewirken kannst, daß ich mich so schnell erhole, daß ich übermorgen dem Hochzeitsmahl der Tochter des Thurneisen beiwohnen und an der dabei erscheinenden Kranichspastete meine Schuldigkeit als ehrlicher Mann und wackerer Tischgenosse prästiren kann … so will ich Deine Feinde schon kuranzen, daß sie Dich in Ruhe lassen sollen!«

Lene bejahte, zuversichtlich die Frage, dankte dem tafellustigen Oberhaupt der Stadt für seine Huld, und ließ ihm das Wundermittel sammt der Vorschrift, wie es zu gebrauchen sey, zurück. Darauf kehrte sie mit dem für sie lebhaft besorgten Rottmeister, der ihr nicht genug vorstellen konnte, wie glücklich die Gnade des Bürgermeisters sie machen würde, in's Gefängniß, und durfte sich ungebunden in ihr unbequemes Lager stecken. Sie rollte sich darin wie ein Knäuel zusammen, und überlegte Alles, was sie gehört. – »Uebermorgen,« murmelte sie … »übermorgen will die Thurneisen schon mit dem Philipp Hochzeit halten? Ei, ei! so schnell? Da muß etwas Dringendes obwalten. Das begreift sich leicht. Sollte vielleicht die Fremde, die mir heute Morgen begegnete … Möglich; ich müßte mich erkundigen. Ob sie wohl noch hier ist … oder? – Recht dumm, daß ich morgen Mittag nach Günzburg muß; aber Geschäfte gehen vor. Indessen, was thut's auch? Philipps Heirath mit der Thurneisen werde ich mich doch wohl hüten, zu nichte zu machen. – Ja, ja, es gibt ein rächendes Geschick! … Wenn ich auch an meinen Gewissensqualen sein Daseyn nicht erkennen wollte … aus diesem Beispiel müßte ich's flammend leuchten sehen. Philipp … und diese Thurneisen … unter Tausenden gerade sie! – Recht; freue Dich, Archimbald! Deine Rache reift.«

Sie entschlummerte wieder ruhig, während ihr eifrigster Widersacher, der Rathsherr, sich schlaflos auf seinem Lager wälzte und vergebens einige Ordnung in die wilde Flucht seiner Gedanken zu bringen suchte. Philipp war nämlich noch am Spätabend bei ihm gewesen, und hatte ihm nach vielem Stocken und Zaudern unter vier Augen sein Verhältniß mit Marien, wie ihre Ankunft und seine daraus entstandene verdrießliche Lage, entdeckt, und mit der Bitte endlich geschlossen, ihn, wenn er durchaus seine Verbindlichkeit gegen die Fremde erfüllen müßte – was er sehr ungerne thun würde – seines Eheversprechens mit Barbara zu entledigen, oder – was ihm am liebsten wäre – ihm ein Mittel an die Hand zu geben, sich des überlästigen Gastes kurz und gut zu entledigen und den Anspruch desselben auf ewig vom Halse zu schaffen. – Thurneisen hatte bei dieser Beichte getobt und gewüthet, wie es bei ihm, selbst in kleinern Anlässen, Brauch und Sitte war, hatte dann überlegt und gefunden, daß er, wenn er mit Philipp bräche, nicht allein das Vermögen desselben, das er zu Aufrechthaltung seines glänzenden, aber insgeheim verschuldeten Hauswesens auf seine Weise zu benutzen gedachte, verlieren würde … mit ihm einen Schwiegersohn, der, durch Bande der Verwandtschaft an ihn gefesselt, schon gewöhnt war, sich in eine sklavische Unterwerfung unter den eisernen Willen und die rohe Anmaßung seines Schwiegervaters zu schmiegen; der wohl mit der Zeit das Joch verdoppelt auf sich nehmen würde – sondern er hatte auch gefunden, daß beim Rückgang dieser Heirath Spott und Hohn sein Loos seyn würde, indem er schon unter seinen Vertrauten und Freunden mit Wernher's Vermögen als dem seinigen geprahlt und alle seine geheimen Gläubiger darauf vertröstet hatte. Es wäre für seinen hochfahrenden Charakter die härteste Demüthigung gewesen, wenn er in diesem Punkte Lügen gestraft worden wäre, und nebenbei Barbaras Ruf berücksichtigend, die, obgleich erst im achtzehnten Jahre, dennoch schon mit zwei Freiern versprochen gewesen, von allen beiden aber schnell nach einander verlassen worden war, und sich nun, den bösen Zungen zum Trotz, von Philipp durchaus die Haube wollte aufsetzen lassen, hatte der Rathsherr beschlossen, lieber das Aeußerste zu thun, als den vortheilhaften Eidam einzubüßen. Er hatte daher Philipp unterrichtet, wie er sich benehmen solle, hatte es über sich genommen, Marien aus der Stadt zu schaffen, daß ihr das Wiederkommen verleidet würde, und hatte bei dieser Gelegenheit für zweckdienlich erachtet, die Hochzeit auf den zweiten Tag anzusetzen. Philipp und Barbara wünschten nichts sehnlicher, und Thurneisen, einen Vorwand vom Zaune brechend, sich beim Syndikus noch am selben Abend einzuführen, hatte bei dem Nachtisch des feierlichen Mahls den Consuln wie den angesehensten Rathsgliedern der Stadt die Anzeige des Hochzeitfestes gemacht und sie sammt und sonders dazu eingeladen. – So weit waren bereits die Sachen gediehen; allein nun quälte ihn die Sorge, Marien auf's geschwindeste los zu werden. Hätte er das arglose Geschöpf, das Hinterlist kaum dem Namen nach kannte, sehen – hätte er ihren reinen unschuldigen Sinn begreifen können, er hätte zu der allergemeinsten Lüge seine Zuflucht nehmen und überzeugt seyn dürfen, daß die Aermste gewiß der gröbsten Schlinge nicht entgehen würde. Allein er hielt sie für eine der ausgelernten pfiffigen Töchter der Lust, die, selbst in allen Ränken erfahren, sich schwer und selten bethören lassen. Gewalt! hieß also seine Losung, ihm ohnedies von jeher die angenehmste. Die mancherlei Rücksichten, die er zu beobachten hatte, hinderten ihn jedoch, mit offenem Helm aufzutreten, und so entstand endlich, nach langem Hin- und Hersinnen, ein Plan, um den ihn, so einfach er war, bei vollkommener Kenntniß der zarten tugendhaften Seele der Verführten, mancher Teufel beneidet haben würde.


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