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Fünftes Kapitel.


Fluren
Des Vaterlands! geliebte Heimath! euch
Soll ich verlassen, um dem fremden Manne
Zu folgen in ein unbekanntes Land?

S.

Dem ungeachtet wurde es Frau Lenen von Tag zu Tag banger um das Herz, als sie gewahren mußte, daß der alte Simon von nun an sich tagtäglich etwas um ihre Wohnung zu schaffen machte, öfters zu ganz ungewöhnlicher Stunde in die Hütte eintrat, den verkappten Archimbald besonders aufs Korn zu nehmen schien, mit bedenklicher Neugierde und Zudringlichkeit. Zwar spielte der geschickte Knabe den Blödsinnigen so vortrefflich, daß der geübteste Späher an ihm irre werden mußte; wer stand aber dafür, daß der kleine Künstler nicht einmal eine Blöße geben würde? Darum hielt ihn Lene, so gut sie konnte, mit Aufträgen der verschiedensten Gattung von der Hütte entfernt, so lange es sich thun ließ, und sann in ihrer Einsamkeit mit vollem Ernste darauf, wie sie es anfangen könne, dem Pflegling einen sichern Zufluchtsort zu bereiten.

Archimbald hingegen, leichtsinnigen, aufgeweckten Charakters, fand gar viel Behagen in dem Gedanken, durch seine List und Gewandtheit seinen grimmigsten Feinden eine Nase drehen zu können, bis ihm einst Alter und Gelegenheit erlauben würden, besser zu vergelten. Er ließ sich weder durch den Zwang seiner Vermummung, noch durch die Furcht vor einer vielleicht nahen Entdeckung abhalten, sowohl seinen Arbeiten und lehrreichen Beschäftigungen, als auch seinen Vergnügungen nachzuhinken, wurde rüstig an Leib und Seele, immer verschlagener an Geist, und sah in jedem schönen Tag des Lenzes – den sichern Bürgen einer schönen Zukunft. Das kleine Haus seiner Pflegemutter schien ihm nun von jeher seine Wiege gewesen zu seyn, der Kater Schwarzmann, sein nachbarlicher Gefährte von Anbeginn, der Forst und die Flur sein vom höchsten Herrn zum Lehen gegebenes Besitzthum. Die Thürme Ulm's, die grau und ehrwürdig in seine Dachkammer sahen, waren ihm die Thurmspitzen einer fremden Stadt geworden, wie die Erinnerung an vergangene glücklichere Zeiten nur ein seliger Traum; allein, wenn er in Waldesschatten lag, auf den dunkelgrünen Rasen hingestreckt, dem Geflüster der Blätter, wie dem fröhlichen Gezwitscher der Vögelein zuhörte, und durch das frische Laubbehänge hinaus schaute auf die im Glanz der Abendsonne ruhende Ebene, auf die im zarten Violett am Horizont angedeuteten Berge, aus das breite Silberband der Donau mit goldenen Funken besäet, und auf die alterthümliche Stadt, die sich herrisch und groß vor seinen Blicken ausbreitete … da, da ward ihm freilich anders um das Herz. Jene altergraue Stadt war ihm wohl bekannt, jede Gasse derselben hatte schon sein flüchtiger Fuß gemessen im fröhlichen Spiel mit seinen Gefährten; dort, wo sich das lange Kloster streckte, dort mußte das Vaterhaus stehen mit seiner weiten Flur und seinen heimeligen Stuben und Kammern, dem ganzen Paradiese seiner Kindheit, in dem der Vater lebte, wie ein guter schützender Geist des geliebten Sohnes Jugend bewachend … wie hatte sich Alles verändert! Verkappt, wie ein flüchtiger Verbrecher, ruhte nun der Verbannte im Angesichte der verbotenen Heimath, in der kein freundliches Herz für ihn schlug, seit das Herz des Vaters brach, der dort unter den Fliederbäumen an jenem hochstrebenden Thurme eingesenkt wurde! dessen Grab der Sohn nicht einmal ohne Gefahr besuchen durfte!

Wenn diese Gedanken Archimbalds Gemüth beschlichen, überfiel ihn zugleich eine unnennbare Wehmuth, die sich in wohlthuende Thränen auflös'te. Dieser Balsam des Leidens milderte, für Augenblicke wenigstens, des Knaben rauhes Gemüth, öffnete seine mit trotzigem Groll umpanzerte Brust einem bessern Gefühl, daß sie ihr innerstes Heiligthum aufschloß, in dem die zartesten Saiten edler Menschenwürde schlafen, bis ein Strahl himmlischen Lichts ihre herrlichen Goldklänge weckt. In diesen feierlichen Augenblicken der Rührung fühlte der Knabe, ohne sich es deutlich bewußt zu sein, daß er das Vermögen besitze, gut, wacker und edel zu werden; daß bloß die Gewalt der Umstände ihn auf die Bahn des Trugs und der Verstellung gezwungen habe, die zuletzt jedes menschliche Herz verwildert … er nahm sich vor, er schwur es dem Schatten seines Vaters zu, auch im Geleise des Unglücks eines bessern Looses werth zu seyn … aber, fiel von ungefähr sein Blick auf die Lumpen, die ihn nothdürftig verhüllten, oder auf seine von tiefen Narben, den ewigen Denkmälern der Mißhandlung eines tyrannischen Bruders, verunstalteten Hände … dann war der Silberblick schöner Empfindung vorbei, die Pforten des Allerheiligsten fielen zu, und die zart angeregten Saiten des Gefühls verstummten bei dem Emporsteigen des bösen Geistes, der sich mit einem guten Engel in die Herrschaft über den Sterblichen theilte und in Archimbalds Busen nur zu oft die Oberhand behielt. Nach einer solchen, aus himmlischer Seligkeit und Verdammnißqualen gewebten – Stunde riß sich einst Archimbald von dem Moshügel auf, der sein Ruheplatz gewesen war, und schlug den Waldpfad ein, der ihn am schnellsten zu Mutter Lenens Häuschen bringen sollte; denn der Tag, einer der heißesten des Frühlings, hatte sich in einen gewitterschweren Abend verwandelt, welcher mit seinen hageltragenden Wolken dicht über die Wipfel des Forsts hinstreifte. Einzelne schwere Tropfen fielen schon in die Blätter, und murrend verkündete der wachsende Donner das baldige Ausbrechen des Wetters, das sich von den Ufern des Bodensee's über ganz Schwaben streckte, wie ein schwarzes Panier. – Archimbald eilte auf seinem Pfade fort, so schnell es ihm die Binde um das Bein verstattete, die abzulegen ihm Mutter Lene ein für allemal verboten hatte. Allein der Weg war weit, der Knabe im schnellen Vorschreiten zu mächtig gehindert, und das losbrechende Gewitter überraschte ihn noch mitten im Walde. Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag wüthete es über ihm, und der heftige Regenguß, mit Schloßen vermischt, sich bald einen Weg durch das junge Laub geöffnet. In solcher Noth Lenens Verbot nicht mehr achtend, sah sich Archimbald nach einem Plätzchen um, wo er, von den Unbilden des Wetters nothdürftig geschützt, sich seiner Zwangfessel entledigen möchte, um alsdann seinen Lauf mit verdoppelter Geschwindigkeit fortsetzen zu können. Sein Falkenauge entdeckte im Fluge ein dunkles Gemäuer, etwa fünfzig Schritte im Dickicht, und er arbeitete sich rasch durch's Gestrüppe. Bald stand er vor einer kleinen verfallenen Capelle, deren Inneres jedoch Raum für einen Menschen zu haben und deren Dach noch wasserdicht zu seyn schien. Er trat in das verödete Gebäude, das überall die Spuren des Verfalls an sich trug, blickte, durch ein verdächtiges Schnauben aufmerksam gemacht, in der Dämmerung umher und gewahrte, in einen Winkel geschmiegt, ein kleines Mädchen, das eine Ziege im Arme hielt, sich hinter dem Thiere niedergekauert hatte und bei dem Anrufen des unerschrockenen Archimbalds einen Schrei der Angst ausstieß. Dieser Schrei verrieth sie aber dem geübten Ohre des Knaben, der in diesem engen Raume einen Schutzengel gefunden zu haben glaubte.

»Trudchen!« rief der freudig Ueberraschte: »Trudchen! finde ich Dich endlich einmal wieder!« – und wollte die zarte Gespielin umfassen; allein die Entsetzte floh scheu vor ihm zurück bis zum verfallenen Altar; die Ziege sprang schirmend vor die kleine Gebieterin und reckte dem Fremdling keck und trotzig die Hörner entgegen. Dieser jedoch, von ferne stehend, wiederholte mit den sanftesten Schmeicheltönen: »Trudchen! Trudchen! finde ich Dich endlich wieder!« – Ein Blitz leuchtete in die Capelle herein, und Trudchen, die ganz abscheuliche Gestalt des Ankömmlings vor sich sehend, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und rief halb weinend: »Wer bist Du denn? Ich kenne Dich nicht!«

»Du kennst Deinen Archimbald nicht mehr?« fragte rasch der Gekränkte, und erschrack über diese gefährliche Entdeckung, als es schon zu spät war, das verrätherische Wort zurückzunehmen.

»Archimbald?« jauchzte das Mädchen hoch auf: »Wernher's Archimbald? … Doch nein; Du belügst mich. Die Stimme ist's wohl, aber Dein Gesicht ist häßlich und gewiß nicht Archimbald's.«

Nun erinnerte sich dieser erst der abschreckenden Larve, die er zu tragen verdammt war, »und konnte der Kleinen ihre Furcht nicht verargen. Er näherte sich ihr aber mit aller Freundlichkeit ihrer frühern Tage, beruhigte die Zitternde, und rief ihr so viele kleine und wenig bedeutende Begebenheiten aus ihren Spielen in's Gedächtniß zurück, daß sie nicht mehr zweifeln konnte. Und als er sich neben der kleinen Freundin niederließ, die wohlbekannte Ziege den alten Gespielen schnobernd wieder begrüßte, und er nun anfing erzählen, und ohne Rückhalt der Kleinen gestand, wo er sich aufhalte und warum er diese Vermummung trüge … da war Trudchen auch wieder die Alte, umarmte ihn hundertmal, drückte hundert unschuldige Küsse auf seine braun gefärbten Lippen, und dankte dem Gewitter, daß es sie mit ihrer Lieblingsziege, als sie gerade dieselbe von der Weide nach Hause bringen wollte, in dieses Capellchen getrieben hatte, wo sie ihren Freund und kleinen Mann wieder finden sollte.

Nun aber sprach Archimbald, seine Plauderhaftigkeit, wiewohl fruchtlos, bereuend: »Liebes Trudchen, höre! Ein sehr glücklicher Zufall hat uns zusammengeführt, und ich bin offenherziger gegen Dich gewesen, als ich es in meinem ganzen Leben war: allein Du ahnst – und wo Dein kleiner Verstand noch nicht ausreicht, mußt Du mir es auf's Wort glauben – daß alles das, was ich Dir gesagt habe, mir den Tod bringen würde, wenn es unter die Leute käme. Nun willst Du aber meinen Tod nicht, glaube ich.«

»Ach Archimbald!« flüsterte Trudchen mit nassen Augen: »wie kannst Du denken …«

»Darum verschweige sorgfältig Alles und Alles, was Du von mir gehört hast; thue gerade so als ob Du mich gar nicht gesehen hättest. Versprich mir das, … oder weißt Du was? schwöre mir's zu!«

»Gewiß, Archimbald!« sprach das Mädchen, schlug die Augen auf gegen den flammenden Himmel und legte die Hände auf die fromme Brust: »Ich schwöre Dir's zu; ich will nichts ausplaudern. Meine Ziege da thut es auch nicht, ob sie gleich recht aufmerksam Deiner Erzählung zugehorcht hat.«

Archimbald klopfte schäkernd der kleinen Mutwilligen die Wange; aber sie fuhr plötzlich ernsthaft werdend, fort: »Jetzt muß ich Dir auch noch etwas anvertrauen, lieber Archimbald, auf was ich mich gerade erinnere. Der Vater hat es vom Zunftmeister, der im Rathe sitzt, und hat es gestern erst bei Tische der Mutter erzählt, nach dem Nachtessen. Er glaubte vermutlich, ich wäre schon eingeschlafen; aber ich hatte blos die Augen zu, und dachte an Dich, um den ich seit vielen Wochen – seitdem Dich der Bruder fortgejagt hat – recht oft und bitterlich geweint habe, daß die Mutter öfters meinte, ich würde krank werden und dahinwelken; denn ich habe ihr nie gesagt, warum ich traurig war.«

»Gute Seele!« rief Archimbald und drückte sie fester an sich. »Nun erzähle aber: was sagte der Vater?«

»Ich kann Dir's beinahe wörtlich wieder sagen,« versetzte Trudchen, besann sich eine Weile und hob hierauf an: »Denke Dir, Mutter! sagte der Vater nämlich: denke Dir, es hat mit Wernher's Archimbald noch immer keine Ruhe. Es ist wieder im Trieb, daß die Sache im Rathhause vorkommen soll. Der Thurneisen behauptet steif und fest, die Hexenlene wisse um den Aufenthalt des Jungen und habe ihn vielleicht gar todt gemacht. Der Philipp will aber einmal Ruhe haben vor dem ewigen Gespött und Gemurr wegen des Buben, der ihn nichts angeht und den er um jeden Preis fort haben will. Darum wollen sie darauf antragen im Rathe, daß die Hexenlene eingesteckt und peinlich befragt werden soll, ob sie nicht von dem flüchtig gewordenen Archimbald etwas wisse.«

»Eingesteckt? meine Pflegmutter?« rief Archimbald erschrocken auffahrend … »habe Dank, liebes Herzenstrudchen, für diese Nachricht. Lene muß es sogleich erfahren, von mir erfahren.«

»Das mag seyn,« erwiederte das Mädchen: »denn ich habe nicht geschworen, das zu verschweigen, was der Vater gesagt hat. Jetzt aber, lieber Archimbald, lebe wohl und mache Deine Sachen geschickt. Das Gewitter hat sich verzogen, der Regen aufgehört, und ich muß wieder heim, sonst werde ich von der Mutter erbärmlich gescholten!«

»Hab' Dank, Du treue Seele,« sprach Archimbald, sie auf die Stirn, küssend: »habe Dank und halte Deinen Schwur. Es gilt mein Leben. – Noch ein Wort: was macht Sabine, die gute Dirne?«

»Sie ist nicht mehr in Ulm,« entgegnete Trudchen: »Der böse Simon hat nicht geruht, bis er die brave Magd aus dem Hause gebracht hat. Sie hat noch eine Weile kümmerlich in der Stadt gelebt, dann ist sie fortgezogen in ein herrschaftliches Schloß, weit, weit von hier. Eine vornehme Edelfrau hat sie mit dahin genommen, um ihren kranken Eheherrn zu pflegen und zu warten.«

»Ja, das kann sie!« fiel Archimbald in dankbarer Erinnerung ein. – »Sie ist oft zu uns gekommen,« fuhr Trudchen geschwätzig fort, »als Du schon fort warst; kein Mensch wußte, wohin. Durch sie hat man auch erfahren, wie Du eigentlich weg kamst: denn der garstige Philipp hat ausgesprengt, Du wärest als ein ungezogener Bube entlaufen.«

»So? nur Geduld!« knirschte Archimbald.

»Sabine sprach aber oft von Dir und lobte Dich,« sprach Trudchen weiter, »obschon mein Vater Dir nicht grün war. Noch bei ihrem Abschiede von uns sagte sie mit Thränen: Wüßte ich nur wo jetzt der arme Junge sein hartes Brod ißt, … ich wollte das meinige gerne mit ihm theilen, und ihm etwas mittheilen, das …«

»Wo ist jetzt die Sabine?« fragte Archimbald schnell:

»Ich habe mir den Namen des Schlosses gemerkt, weil er so seltsam klingt,« versetzte Trudchen; – »es heißt Worosdar?«

»Worosdar?« fragte der Knabe lebhafter. »Wo, wo liegt's?«.

Mit Erröthen mußte das arme kleine Mädchen ihre Unwissenheit gestehen. Die Glocken der Stadt schallten dazwischen. Aus Furcht, die Stunde der Thorsperre möchte heran nahen, riß sich das Mädchen schnell von dem Freunde los, wünschte ihm Heil und Glück, baldige frohe Rückkehr zur Vaterstadt und sprang eiligst mit ihrer treuen Ziege auf den dämmernden Waldwegen der Stadt zu.

Archimbald sah ihr lange nach, bis er das Flattern ihres Gewandes nicht mehr unterscheiden konnte, und setzte seinen Weg nach Lenens Hütte fort. Es war völlig dunkel geworden, als er daselbst anlangte. Die Thüre war verschlossen. Schon überfiel ihn ein Grauen, wenn er sich die Möglichkeit dachte, daß Lenens Verhaftung schon statt gehabt haben könnte; allein ein schwacher Lichtschimmer, der sich durch den Fensterladen stahl, beruhigte ihn in etwas. Er wagte es dem zufolge, zu klopfen. Lenens Stimme fragte von innen, wer es sey, und auf seine Antwort wurde geöffnet.

»Sey hübsch artig,« flüsterte sie ihm noch auf dem Gange zu, »wenn Du in die Stube kömmst. Wir haben einen Gast. – Vor ihm brauchst Du Dich nicht zu verstellen.«

Archimbald, ganz von der Pflicht eingenommen, seine Pflegmutter zu warnen, wollte die Uebung derselben, um keinen Augenblick verschieben, und entdeckte ihr vor der Thüre noch Alles, was er gehört.

»Ich danke Dir,« sprach Lene kalt: »allein ich weiß bereits Alles. Morgen um diese Zeit werde ich geholt. Auch auf Dich ist's gemünzt. Ich bin auf Alles gefaßt. Wie konntest Du aber so unklug seyn, Dein Heil der Schwatzhaftigkeit eines Mädchens zu vertrauen?«

Archimbald verstummte, seines Fehlers sich bewußt.

Die Alte wiegte den Kopf, drohte mit dem Finger und hieß ihn dann in die Stube treten.

An dem Tische saß, sparsam von der Lampe erhellt, ein langer hagerer Mann in Reisekleidern und schien in einem Buche zu lesen. Das graue faltige Gewand, mit den hängenden weiten Aermeln, am Saume mit Pelz verbrämt; die weite Pumphose von demselben Stoffe, mit schwarzen Knöpfen an der Seite besetzt und mit breiten Schleifen geziert, die nachlässig über den Umschlag der braunen Reitstiefel herunter hingen, gaben der Gestalt des Sitzenden einen fremden Anstrich. Das Gesicht desselben war aber unstreitig das Auffallendste an der Erscheinung. Im vollen Licht der Lampe saß das Haupt auf der breiten und steifen Krause, wie auf einer Schüssel; ein flachshaariger, kurz geschorener Spitzkopf mit weit abstehenden Ohren; ein braunes Antlitz, aus dem ein Paar graue und scharfe Augen unter schmalen gelben Augenbraunen hervorblitzten;, eine kupfrige Nase, unter welcher ein dünner falber Bart – ausgespitzt und zugefeilt wie das lange Stoßrapier, das der Fremde an der Seite, und wie die langen dünnen Stachelspornen, die er an den Füßen trug – einen breiten Mund mit schmalen Lippen bedeckte, der hinwiederum, von einem Paar Hängebacken eingefangen, in ein viereckiges, mit fahlem Spitzbart geziertes Kinn auslief – das waren die Theile, aus denen ein Kopf zusammengesetzt war, der im Ausdruck der Verschmitztheit, der Lüsternheit und kenntnißreichen Beurtheilungskraft Seinesgleichen suchte.

Bei Archimbalds Eintritt blickte er mit vor die Augen gehaltener Hand nach ihm hin, ohne jedoch im Uebrigen seine Stellung im geringsten zu verändern.

»Seh't, edler Herr,« sprach Mutter Lene, nachdem sie die Stube wieder verschlossen hatte … »das ist der Bursche, von dem ich Euch sagte. Es ist die höchste Zeit, daß er ein Unterkommen findet, wenn ihm nicht, da ich auf einige Tage von ihm getrennt werden soll, Gefahr drohen soll; und da Ihr Euch doch entschlossen habt, einen noch nicht völlig Erwachsenen in Euern Dienst zu nehmen, und Ihr eines verständigen, muntern und zu jeder Arbeit ausgelegten Knaben zu Euern Zwecken bedürft, so kann ich Euch keinen bessern zurathen, als diesen, den ich selbst nicht missen würde, wenn ihm ein längeres Bleiben nicht schädlich werden könnte.«

Der Fremde nickte schweigend mit dem Kopf, während er Archimbald forschend von oben bis unten maß. Dann winkte er dem Knaben, näher zu treten. Dieser gehorchte.

»Hättest Du Lust,« fragte der Fremde in einem ganz besonderen ausländischen Dialect, »mit mir zu ziehen?«

Archimbald staunte sprachlos bald den Gast, bald Mutter Lenen an. Die letztere sprach aber in einem Tone, der nicht ganz ohne Rührung war! »Bedenke Dich nicht lange, Archimbald. Gott weiß, es geht mir an's Herz, daß ich Dich lassen soll; aber es ist zu Deinem Nutzen und zum Verderben Deiner Feinde, wie der meinigen.«

Dem Knaben stiegen bittere Thränen in die Augen. »Ihr verstoß't mich,« stammelte er und hing sich an Lenens dürre Hand … ich bin ja ohnehin von aller Welt verlassen … verlass't Ihr mich nicht!«

Mutter Lene streichelte ihm die Backen und die Hände. Der Fremde schlug kalt die Arme über einander, heftete einen berechnenden Blick auf den Kleinen und sprach: »Der Bube ist dankbar … das ist viel! Ich nehme ihn auf Euer Wort.«

»Das dürft Ihr,« erwiederte Lene mit einem gewissen Stolze: »Ihr werdet ein größeres Kleinod in ihm finden, als Ihr denkt. Geh', Archimbald, gib dem geehrten Herrn die Hand, und danke ihm, daß er's so gut mit Dir meint und Dir zu Kenntnissen, Gold und Ehre verhelfen will.«

Archimbald wollte durchaus nichts von dieser Art von Huldigung wissen; aber Lene zog sogleich andere Saiten auf. »Du vergiltst mir meine Wohlthaten mit Undank,« sprach sie strenge. »Ich habe Dich dem Verderben entrissen, und Du willst mich durch Dein störrisches Bleiben in das Verderben bringen! Wohlan, so bleib'; laß' Alles gehen, wie es geht, und sieh' zu, wie ich Deinetwegen auf der Folter oder dem Scheiterhaufen mein Leben endige, um das Deinige zu erhalten! Sieh' zu, wie …«

»Nein!« fiel Archimbald ein und küßte weinend ihre Hände … »Nein! diesen Vorwurf soll mir Niemand machen, sollte ich auch im Lande auf dem Bettel herumziehen. Weil Ihr's aber wollt, so ziehe ich in Gottes Namen mit dem Herrn da, wenn er hält, was er verspricht, und mich, gut behandelt, mich viel lernen läßt und mir endlich zu etwas verhilft, damit ich Euch unter die Arme greifen kann, liebe alte Lene!«

Mit diesen Worten lief er zu dem Fremden, der ihm aufmerksam zugehört hatte, leistete den geforderten Handschlag, und erklärte: er sey bereit mit ihm zu gehen, wann er nur wolle. Der fremde Gast belobte seine Lebhaftigkeit und das Feuer, das aus seinen Augen leuchte, und sagte ihm zu: »wenn er sich folgsam und willig beweise, wolle er ihn halten, wie einen Sohn.«

»Es ist jetzt in der neunten Stunde,« sprach er, seine eiförmige Nürnberger Taschenuhr zu Rathe ziehend. »Man wird mich in meinem Gasthause erwarten. Punkt Drei bin ich mit meinen Pferden und mit Kleidungsstücken für den Buben, so gut ich sie in der Eile werde auftreiben können, vor Euerm Hause. Lass't ihn dann fix und fertig, gewaschen und gesäubert seyn. Er wird sich dann hinter meinen Diener auf's Pferd setzen, und in einer halben Stunde hat nichts mehr zu befahren. Vergess't auch nicht, mir die geflochtene Flasche mit Euerer Essenz zu füllen; verstanden!«

Damit erhob er sich vom Stuhle, und stand, aufgerichtet, wie ein Riese in dem Stüblein, schob das kleine Fenster auf, reckte die Hand hinaus, um zu erkunden, ob noch ein Tropfen falle, warf dann einen breiten Federhut auf den Kopf, schüttelte der Alten die Hand, und ging, mit gnädigem Kopfnicken gegen Archimbald, hinaus. Lene folgte, und die beiden hielten draußen noch lange Zweisprach. Archimbald, der nun wohl spüren konnte, daß ein wichtiger Abschnitt seines Lebens heran nahe, der ihn hinausführen sollte in unbekannte Länder und Reiche, begriff, daß er an etwas Höheres sich halten müsse mit seiner schwachen Kraft, und das von ihm längst bei Seite geschobene Gebet drängte sich ihm wohlthuend wieder auf. Er kniete in einem Winkel nieder, befahl dem Herrn alle seine Wege, betete für seine abgeschiedenen Eltern, für Sabinen, Trudchen und die alte Lene, und stand bei Lenens Hereintreten weit gefaßter und ruhiger auf.

»Danke immerhin dem Herrn,« sprach diese: »danke ihm für die große Gnade, die er Dir erwiesen hat, indem er Dich in solche Hände fallen läßt, in welchen Du ein Licht der Weisheit werden kannst, wenn Du nur willst.«

»Wer ist der fremde Mann?« fragte Archimbald neugierig.

»Es ist der gelahrte Herr Dee, ein Britte von Geburt,« versetzte die Mutter Lene: »hocherfahren in allen geheimen und natürlichen Künsten, ein Doktor der Weltweisheit und der Arzneikunde, der weit eher einen kaiserl. Leibarzt vorstellen könnte, als der Neidhammel Crato, der mir bei Sr. kaiserl. Majestät Maximilian dem höchstseligen beständig wie ein bissiger Kund im Wege stand, und der … Nun, vorbei ist vorbei! Der Herr Doktor ist also auf einer Reise durch die Wett begriffen, und sucht sich einen vertrauten Menschen an die Hand zu ziehen, dem er einmal in der Folge Schätze und Kenntnisse zugleich hinterlassen könnte; und Dich, Glücklicher! Dich hat er erkohren. Ein guter Geist hat ihn gerade heute nach Ulm geführt und zu mir, seiner alten Freundin, geleitet, damit er es wohl mache mit Dir. – Jetzt geh' schlafen, mein Sohn. In ein Paar Stunden wecke ich Dich, um Dich zu reinigen und zur Abreise fertig zu machen. Schlummere zum letzten Male sanft unter meinem Dache.«

»Liebe Mutter Lene,« erwiederte der Knabe traurig: »soll ich Euch denn nie mehr wieder sehen?«

»Wenn's Gottes Wille ist,« versetzte sie, »so sehen wir uns wieder, wenn Du ein gemachter Mann geworden bist … wo nicht … scharren sie mich früher ein, oder verbrennen sie mich … und ich kann Dir keine Kunde zukommen lassen, so suche bei Deiner Wiederkehr nur in dem hohlen Eichbaum nach, dort an der Landstraße, der von dem Volke für gefeyt gehalten und aus dem Grunde gewiß verschont bleiben wird. Dort findest Du alsdann die Weisung, wo mein Bischen schlechte Habe verwahrt liegt, deren einziger, alleiniger Erbe Du bist, lieber Archimbald! … Jetzt aber gehe zu Nest, weine mir nicht vor und mache mich nicht am Ende selber weich. Ich bedarf meines Muthes, um morgen den gestrengen Herrn vom Rathe in die Augen zu sehen und allenfalls einen Foltergrad auszustehen, bis ich ihnen die Folter zu kosten geben werde. – Geh'! geh'! und schlafe wohl.«

Mit diesen Worten trieb sie den zögernden Archimbald zu seiner Schlafstätte und machte darauf ihre Vorbereitungen auf den morgenden Abend. Die ganze Nacht hindurch war sie auf den Beinen, räumte das Kostbarste aus dem Laboratorium hinweg und versteckte es in sichere Schlupfwinkel, versenkte den fest verschlossenen Schatzkasten in eine dazu gehörig bereit gehaltene Grube, die sie, ohne ein gewisses Zeichen sich gemerkt zu haben, gewiß selbst nicht wieder gefunden haben würde – so täuschend war sie verborgen – und weckte mit dem Schlage Zwei den lieben Pflegling, der aber auch die ganze Nacht kein Auge geschlossen hatte. Die Angst des Scheidens hatte sein Herz bedrängt, und die dem Jüngling angebor'ne Reiselust seine Phantasie aufgeregt. Ohne zu wissen, wohin der Zug gehen werde, hatte er sich selbst schon den Weg durch tausend romantische Gefilde vorgezeichnet, und immer war, nach unzähligen Abenteuern, das Schloß Worosdar das Ziel der Reise. Der fremde Name von Sabinens jetzigem Aufenthalt hatte einen eigenen Reiz für Archimbald; und ohne zu wissen, weder ob dieses ersehnte Schloß wirklich bestehe, noch in welcher Gegend der Welt es liege, schien es ihm der Punkt zu seyn, auf welchem alle Linien seines Lebens zusammen fließen sollten. Lene fand ihn wachend auf dem Lager, schalt ihn deshalb tüchtig aus, und begann die häßliche Kruste abzustreifen, die schon so lange das blühende Antlitz und die frischen Glieder des Knaben aller Welt verborgen gehalten hatte. Bald strahlten seine Wangen wieder in der Röthe der Gesundheit, seine Lippen in Purpurfülle, seine Locken im goldenen Glanz der Morgenröthe, und Lene mußte es sich im Stillen bekennen: der Knabe sey schöner geworden als vordem. Auch der Doktor, der pünktlich, von einem Diener begleitet, zu Pferde eintraf, war angenehm überrascht, als er den lebensfrischen Buben vor sich sah, der dem glänzenden Schmetterlinge gleich, der garstigen Puppe sich entwunden hatte. Lene kleidete ihren Schützling in die Kleider, die der Doktor mit sich gebracht hatte. Das braune Wamms mit den gelben Aufschlägen, der breite weiße Hemdkragen, die braunen eng anliegenden Beinkleider, die kurzen Schnürstiefel sammt dem breiten Ledergurt und der dunkeln mit Goldborten verbrämten Mütze standen ihm so gerecht, als schön. Mutter Lene hing ihm in der Eile noch ein schwarzes Band mit einem vernähten und versiegelten Päckchen um den Hals. »Trage das zu meinem Andenken,« flüsterte sie ihm zu, um nicht laut sprechend ihre Rührung zu verrathen … »es ist ein Amulett und nur in höchster Noth zu öffnen erlaubt.« – Während Archimbald, dem Alles wie ein Traum vorkam, sich wohlgefällig musterte in seinem neuen Staate, zog Lene den Doktor bei Seite und verkehrte höchst angelegentlich mit ihm, bis er endlich von der Zeit bedrängt, die Flasche mit der Lebensessenz zum Pulverhorn an die Hüfte hing, den Federhut aufsetzte, die Handschuhe anzog und mit einem derben Handschlage rief: »Seyd unbesorgt, Mutter Lene! Ihr wißt, ich thue nichts halb. Schlägt er ein, so ist sein Glück gemacht … schlägt er nicht ein, so habt Ihr ihn, ehe zwei Jahre in's Land gehen, wieder. – Und nun auf! zu Pferde!«

Er bedeutete Archimbald, sich hinter den Diener auf den Gaul zu setzen und stieg selbst auf. – »Mit Gott, Archimbald!« stammelte Mutter Lene, machte schnell das Zeichen des Kreuzes auf seine Stirn, und schob ihn rasch zur Thüre hinaus.

Noch einmal wollte der erschütterte Knabe die Wohlthäterin sehen, ihre Hand mit Thränen benetzen; umsonst. Der innere Riegel war gefallen – die Thüre blieb verschlossen. Durch die Aeste des Baumes vor dem Hause kam aber der Kater Schwarzmann herunter geschlichen zu dem jungen Freunde und schmiegte sich schnurrend an ihn. Archimbald umarmte auch das gutmüthige Thier und küßte es, Abschied nehmend; allein der Doktor setzte sich in kurzen Trab; der zurückbleibende Diener brummte seinen Verdruß über das lange Zaudern vernehmlich genug in Archimbald's Ohren, daß dieser endlich seinem Herzen Gewalt anthun, und von Lenen, ihrer Hütte und dem vierfüßigen Schlafkameraden in allem Ernste sich beurlauben mußte. Er schwang sich dann auf den unbequemen Sitz hinter dem Diener, umklammerte denselben, und drückte seine brennenden Augen auf sein kühlendes Lederwamms, während der schwere normannische Hengst mit ihnen hinaus sprengte durch die thauige Morgenluft.


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