Heinrich Spiero
Fontane
Heinrich Spiero

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Drittes Kapitel

In der deutschen Revolution

Dezember 1845 hatte ich mich verlobt, und wenn man sich verlobt hat, will man natürlich auch heiraten,« schreibt Fontane über diesen Lebensabschnitt. Wollte er zu einer selbständigen Apothekerexistenz kommen, so brauchte er etwas Vermögen und das Zeugnis über die große Staatsprüfung. Zu dem ersten war keine Aussicht, denn Fräulein Emilie Kummer-Rouanet besaß nichts, und dem Bräutigam fehlte das Geld und fehlten nicht minder die unqualifizierbaren Eigenschaften, durch die Onkel August, in dessen Haus der Neffe nach beendetem Militärjahr wieder zog, das mangelnde immer wieder auffüllte. Aber zum Examen konnte er sich vorbereiten; er arbeitete zunächst in einem chemischen Laboratorium und übersiedelte dann kurz entschlossen zu den Eltern nach Letschin, um in der dortigen Stille weiterzustudieren. Wohl nennt er in übermütiger Laune das Dorf ein Klein-Sibirien, das nur durch einen, Rippenbrecher genannten Postwagen und ein nornenhaftes Botenweib mit der Welt zusammenhinge – in Wirklichkeit hat ihm der Aufenthalt im Oderbruch nicht nur ausgiebige Arbeitsruhe verschafft, er war auch für seine Entwicklung von Wert. Denn hier, auf dem Kolonisationsgrunde Friedrichs des Zweiten, befand er sich zum erstenmal in sozusagen gewachsenem Preußenland; Acker und Weide, Deich und Siedelung waren einer unwegsamen und scheinbar unfruchtbaren Erde in harter Arbeit 36 abgerungen worden. Der zähe Wille eines großen Herrschers hatte hier im Frieden mehr als einen Krieg und eine Provinz gewonnen, leibhaftige Geschichte in den Urformen menschlicher Tätigkeit breitete sich vor Fontanes Auge. Dazu kam, daß Theodor Fontane sich seit langem zum erstenmal im vollen Umkreise der Seinen befand, dem nur der früh als angehender Landwirt verstorbene Bruder Rudolf fehlte. Die zweiundzwanzigjährige Schwester Jenny war schon mit dem Pharmazeuten Hermann Sommerfeldt, dem künftigen Nachfolger Louis Henri Fontanes in der Letschiner Apotheke, verlobt, der neunzehnjährige Max Apothekerlehrling, und das achtjährige Nesthäkchen Elise lernte der älteste Bruder erst jetzt eigentlich kennen. Es war zugleich das Spätlicht der elterlichen Ehe, denn wenige Jahre danach trennten sich die alten Fontanes, die Mutter zog nach Neuruppin, der Vater auf einen kleinen Besitz in Schiffmühle bei Freienwalde an der Oder.

So verfloß ein rundes Jahr, und im Herbst 1847 bestand Fontane in Berlin die letzte Fachprüfung. Wieder spielte er mit dem Gedanken einer Schriftstellerexistenz. Er war inzwischen vom gelegentlichen Mitarbeiter des Berliner Figaros zu einem solchen des vornehmen Cottaschen Morgenblatts aufgestiegen; aber er empfand doch deutlich die Wahrheit des Hebbelschen Worts, es ließe sich leichter mit Christus über den Wellen wandeln als mit einem Buchhändler durchs Leben; und so trat er wieder, nun als Provisor, in eine Berliner Apotheke. Noch war seine Hoffnung, in zwei Jahren selbständig, »d. h. Apothekenbesitzer, Gatte und resp. Familienvater zu sein«.

Der neue Arbeitsplatz war die Jungsche Apotheke an der Ecke der Neuen König- und der Georgenkirchstraße, also hart am Alexanderplatz. Sie lag in einer ganz andern Umwelt als alle Betriebe, in denen er bis jetzt gearbeitet hatte. Auch das 37 Publikum der Roseschen Offizin war trotz der geringen Entfernung von der Jungschen ein ganz anderes, überwiegend bürgerliches gewesen; jetzt hatte es Fontane zum erstenmal mit dem Proletariat zu tun. Die Folge davon war nicht nur die, daß Lebertran der begehrteste Verkaufsgegenstand war – er diente gleichermaßen den skrofulösen Kindern wie den brennstoffbedürftigen Lampen; die neue Umgebung war auch nicht ohne Einfluß auf Fontanes Stimmung und Haltung in dem nun hereinbrechenden Sturme von Achtzehnhundertachtundvierzig.

Fontanes letzte Stellung zu der großen Bewegung erhellt am klarsten aus Sätzen, die er fünfzehn Jahre später über den ständischen Frondeur gegen Hardenberg, Friedrich August Ludwig von der Marwitz, niederschrieb: »Mußte der alte ständische Bau fallen oder nicht? Millionen sagten ja, Marwitz sagte nein. Für ihn handelte sich alles um Wiederbelebung; nicht Tod, nur Lähmung war über den alten kräftigen Organismus des Landes gekommen; es galt einen Bann, eine Krankheit von ihm zu nehmen, und alles war wieder gut. Nicht die Paragraphen und Institutionen, die Herzen der Menschen wollte er ändern; an die Stelle kleiner Gesinnung sollten hohe Liebe und idealer Schwung, an die Stelle philiströser Beschränktheit eine opferfreudige Begeisterung treten – so wollte er reformieren. Vortrefflich. Aber wie? Wodurch? Um die Weckung oder Mehrung dieser Dinge hat es sich immer gehandelt. Wie wollte Marwitz an die Herzen heran, wie wollte er das Wunder vollziehen? Die Antwort auf diese Frage ist er schuldig geblieben. Er zeigte das Ziel, aber nicht den Weg. Die bloße Bußpredigt und ein langes Sündenregister haben noch nie geholfen. Hier liegt sein Fehler, sein politischer Fehler. Das Alte, ob mit Recht oder Unrecht, war jedem ein Greuel geworden; es war unmöglich, wenigstens damals unmöglich, 38 eine Begeisterung dafür zu wecken; wenn diese geweckt werden sollte, so mußte es für etwas Neues sein, selbst auf die Gefahr hin, daß es sich als ein Falsches erweisen würde. Es handelte sich zunächst nicht um gesunde Nahrungs-, sondern viel, viel mehr um Belebungs- und Erweckungsmittel. Dies wußte Hardenberg, und in dem Sinne handelte er. Und dafür haben wir ihm zu danken.«

Diese Anschauung des durch praktische Kenntnis des englischen Staatslebens gereiften Mannes trifft in ihrem Kerne mit der innersten Auffassung des Fontane von 1848 zusammen. Seine Verehrung und Liebe für Friedrich Wilhelm III. war und blieb groß, aber die Überzeugung von der Unhaltbarkeit der preußischen und deutschen Zustände nach 1840 bedurfte nicht erst des Umgangs im Leipziger Herwegh-Klub und im Verwandtenkreise von Robert Blum, um sich zu festigen. Sie war ihm auch ebensowohl eine politische wie eine sittliche Gewißheit; denn immer wieder hat Theodor Fontane als den wesentlichen Unterschied seiner späteren und seiner frühen deutschen Tage die schärfere Scheidung zwischen Recht und Unrecht, zwischen Solidität und Läßlichkeit im Sittlichen und Geschäftlichen hingestellt. »Es ist ein barer Unsinn, immer von der ›guten alten Zeit‹ oder wohl gar von ihrer ›Tugend‹ zu sprechen; umgekehrt, alles ist um vieles besser geworden, und in der schärferen Trennung von gut und bös, in dem entschiedeneren Abschwenken (namentlich auch auf moralischem Gebiete) nach rechts und links hin, erkenne ich den eigentlichsten Kulturfortschritt, den wir seitdem gemacht haben,« schreibt er im höchsten Alter und gerade im Rückblick auf die Wende von den dreißiger zu den vierziger Jahren. Solcher Gesinnung entflossen auch die vier Aufsätze, die er im Jahre 1848 in der Berliner Zeitungshalle von Gustav Julius kurz vor ihrer Unterdrückung veröffentlicht hat. Sie sind 39 die einzigen wesentlichen journalistischen Arbeiten Fontanes von rein politischer Tendenz, und in der Knappheit ihrer Fassung, in der Bildhaftigkeit ihres Ausdrucks gehören sie zum Glänzendsten, was er je auf ein Zeitungsblatt drucken ließ. Gleich der erste, vom 31. August, zeigt das Ziel: die große deutsche Republik. Der Reichsverweser ist ihm nur ein Durchgangspunkt, eine Brücke zwischen alter und neuer Zeit. Von Preußen aber heischt er, der Preuße, das große Opfer. »Preußen muß zerfallen. Seine Provinzen glichen ebenso vielen Eisenstäben, die ohne Anziehungskraft untereinander nur durch das Tau eines absoluten Willens zusammengehalten wurden. Das Tau ist mürbe geworden, es wird zerrissen, und die Eisenstäbe werden folgen, wohin der Magnet der Stammesgleichheit sie zieht.« Er setzt die geschichtliche Geschiedenheit der Provinzen auseinander, von denen einige noch bei Dennewitz und Großbeeren auf feindlicher Seite fochten, »als wir den Tempel unseres Ruhmes mit Trophäen schmückten«. Und nun kommt die Forderung an das engere Vaterland: der freiwillige Untergang in Deutschland. »Ein Tod kann unsterblicher sein als ein ganzes Leben,« so schließt der ganz kurze Aufsatz, und man erkennt betroffen die Ähnlichkeit mit den Gedankengängen, die ein großer deutscher Historiker siebzig Jahre später verfocht, als die Deutsche Republik um ihre Verfassung rang. Mit echtem politischem Blick hat hier Fontane eines der deutschen Kernprobleme erfaßt, das sofort schicksalträchtig werden mußte, wenn die geschichtliche Klammer des Herrscherhauses abgefallen war.

Wohlverstanden: Die Republik war nicht Fontanes Wunsch und Sehnsucht gewesen – sie erschien ihm nur, wie die Dinge einmal durch zu späte Erkenntnis des Notwendigen verlaufen waren, als die einzige Möglichkeit, das zu verwirklichen, was ihm in dem Sturme der Zeit über allem anderen stand: die 40 deutsche Einheit. Diese Einheit umgreift für Theodor Fontane alle deutschen Stämme, und sein gesamtdeutsches Gefühl lodert, empfindlich getroffen, hoch empor, als nach dem Vorgang Preußens auch die Frankfurter Nationalversammlung im Waffenstillstand von Malmö die Elbherzogtümer preisgibt. Hier, im Kampfe um Schleswig-Holstein, erfuhr seine Vaterlandsliebe wie die so vieler Zeitgenossen ihre Goldprobe. Kurzab nennt er in dem dritten seiner Aufsätze diese Tat eine Schandtat – »sie schändet die Größe und den Ruhm der Nation«. Und eifervoll wendet er sich zugleich gegen die gewaltsame Unterdrückung der republikanischen Bewegung in Baden. Der Konstitutionalismus der Paulskirche darf, so schließt er, nicht zum Geßlerhut werden. Er will, wie das große Parlament, die Einheit, aber nicht auf Kosten aller freien Entwicklung. Merkwürdig genug klingt auch hier Fontanes politisches Glaubensbekenntnis von 1848 mit Worten zusammen, die er in jener Arbeit über Marwitz aus dessen Munde anführt und nachdrücklich unterstreicht: »Die Freiheit ist das allein Wertvolle, und alles Wissen kann in einem Sklavenlande nicht gedeihen, nicht echte Frucht treiben.«

Schärfer aber noch als sein Kampfeswort gegen die Deutsche Nationalversammlung ist das gegen die Preußische. Ihr wirft er vor, daß ihr das Herz fürs Volk fehle, daß sie diesem Abschlagspfennige auf das Gold seines Rechtes gäbe. Aus dem Bilderschatze des väterlichen Geschichtsunterrichts in Swinemünde holt er ein seiner Phantasie nie Entschwundenes hervor und läßt den Aufsatz vom 13. September ausklingen: »Kennt Ihr die Brücke von Areole? Drüben die Stillstandsmänner und ihre Kanonen, hier der Fortschritt und seine Begeisterung. Gleich jenem volkentstammten Korsen ergreift das Volk die Fahne der neuen Zeit, und über Leichen und Trümmer hin stürmt es unaufhaltsam zum Siege.« 41

Wenden wir noch einmal die wenigen Blätter, welche Fontanes publizistischen Anteil an der Revolution umgreifen und umzeichnen, versuchen wir sie in das Bild jener Tage einzuordnen, so empfinden wir sofort sehr deutlich eines: inmitten eines wahren Hagelschauers von pfeilspitziger Satire, von das Gorgonenhaupt der Zeit frech umrankendem Gassenwitz kehrt sich dieser Berliner gallischen Blutes entschlossen ab. Shakespeares Strumpf und Schillers Weste – das mochte als dankbarer Gegenstand sehr harmlosen Scherzes hingehen; Deutschlands Einheit und Freiheit, Preußens Geschick – das waren keine Objekte zungengeläufigen Scherzes. Zwischen Ludwig Börnes ätzendem Spott und Fontanes mitlebendem Anteil liegt eine ganze Welt, ja, niemals hat sich Fontane, unbeirrt durch fürsichtige Einwände lauernder Selbstkritik, so schwunghaft seinem letzten Gefühl hingegeben wie hier. Aber das einstige Mitglied des Herwegh-Klubs steht doch auch noch in seinem Schwunge der heißen Rhetorik Georg Herweghs nicht völlig nahe. Einmal ist Fontanes Sprache selbst in diesen Stunden immer noch die eines geschichtlichen Menschen voller Stolzes gerade auf die Vergangenheit des meistgehaßten deutschen Staates. Dann aber schreibt er aus einer nährenden Nähe zum einfachen Volksgefühl heraus, und diese schlägt eine Brücke von dem Norddeutschen zu dem hinüber, der damals süddeutsches Volksgefühl am sichersten vertrat, zu dem Abgeordneten der Paulskirche Ludwig Uhland. In jener Anrede an die Preußische Nationalversammlung gebraucht der preußische Balladendichter als Kernsatz die Forderung »die Herzen fürs Volk!«, die der schwäbische dreißig Jahre vordem im württembergischen Verfassungskampfe geprägt hatte. Fontane klagt auch darüber, daß man dem Mündiggewordenen, dem Volke, nicht gebe, was allezeit sein war, und die Worte von den Abschlagspfennigen auf das Gold des Volksrechts, sie erinnern mit schlagender 42 Deutlichkeit an die Gesinnung und Ausdrucksweise jenes schlicht-hochgemuten Uhland, der keinen Fürsten so hoch gefürstet, keinen irdischen Mann so auserwählt fand,

Daß, wenn die Welt nach Freiheit dürstet,
Er sie mit Freiheit tränken kann.
—   —   —   —   —   —   —   —
Die Gnade fließet aus vom Throne,
Das Recht ist ein gemeines Gut,
Es liegt in jedem Erdensohne,
Es quillt in uns wie Herzensblut. –

Die Jungsche Apotheke lag mitten im Kampfgelände des 18. März. Fontane, aufgeregt wie nie, wollte, als die Kunde von den Schüssen auf dem Schloßplatz kam, Sturm läuten, fand aber die ganz benachbarte Georgenkirche verschlossen. Dann stürmte er zu der rasch errichteten Barrikade am Königstädtischen Theater, und der alte Soldat stopfte hier den Lauf seines dem Bühnenfundus entrissenen Gewehres so unsinnig voll, daß ein ruhiges Mahnwort eines Nachbarn ihn jäh der Wirklichkeit zurückgab. Damit kam nach dem Fieber der letzten Stunde eine eisige Ernüchterung, und den ganzen furchtbaren Tag über war Fontane nun ein Zuschauer voll unfreien Gefühls und – in solcher Lage für einen Menschen voller Verantwortung immer das Schlimmste – von gespaltener Empfindung. Er wünschte den Sieg des Volkes, eben weil er das Überlebte der alten Zustände tief empfand und von der bisherigen Politik der preußischen Krone die Einheit Deutschlands in der Freiheit nicht mehr erwartete – sein überliefertes Preußentum aber, die Tradition des nahe Fehrbellin geborenen Franz-Grenadiers, dessen Vater 1813 dabei gewesen war, wehrte sich gegen den Gedanken, 43 Barrikaden bauende Bürger könnten gegen das festgefügte königliche Heer etwas Entscheidendes ausrichten. Ja, diesem einen Zwiespalt gesellte sich im Halb-Unbewußten noch ein zweiter: der Abkömmling der Hugenotten glaubte an ein Recht des Volkes, sich gegen seine Regierung aufzulehnen; der Sohn von Emilie Labry aber hielt es zugleich irgendwie mit der gegebenen Ordnung.

Aus solcher, durch den Schreckensanblick der nächtlichen Innenstadt mit ihren Kampfspuren gesteigerten Seelenverfassung riß Theodor Fontane das, was immer noch die Panazee solcher Zustände gewesen ist: der Zwang zum Handeln. Der Besuch des Vaters, mit dem er den Umritt Friedrich Wilhelms IV. Unter den Linden im Schmucke der deutschen Farben erlebte, konnte bei der skeptischen Haltung des alten Herrn das geteilte Gefühl nicht lösen. Aber als die Stunde der ersten preußischen Parlamentswahl herankam, fiel dem jungen Bürger, der in seine erste Urwählerversammlung entboten war, das ungesuchte, seinem Wesen aber ganz gemäße Amt zu, der Phrase entgegenzutreten. Hier, auf einem Wollboden am Alexanderplatze, kam die Gelegenheit, das Sein gegenüber dem Schein zu behaupten. Ein Schulvorsteher benutzte in bester Absicht die einfache Aufgabe der Kürung eines Wahlmanns zu einer grundsatzgeschwollenen Rede, die hier denkbar fehl am Orte war und in die Aufstellung Humboldts mündete. Da rückte Fontane in aller parlamentarischen Unerfahrenheit, plötzlich zur Sachlichkeit aufgerufen, die Sache zurecht. Er führte die kleine Versammlung von der Höhe des Kothurns auf die Ebene der bescheidenen, aber ernsten Wirklichkeit, und da der von ihm benannte Mitbürger »in verbindlicher Revanche« Fontane vorschlug, so verließ dieser den Raum als Wahlmann, in dem einzigen politischen Amt, das er in seinem Leben bekleidet hat. Die Wahlmännerversammlungen aber 44 reiften in Fontane die politische Auswertung der Zeit. In dem schönen Konzertsaal, den Schinkel dem Schauspielhause eingebaut hatte, hörte der jüngere Neuruppiner Jacob Grimm, den künftigen Abgeordneten für Frankfurt, mit der ganzen Hoheit und Reinheit seines Wesens von und für Deutschland zeugen.

Langsam wandelte sich im Laufe des nächsten Jahres Fontanes Stellung. Das Ideal der deutschen Einheit in Freiheit blieb – mit dem Erstarken der alten historischen Mächte aber schwand der Glaube an die Notwendigkeit einer Republik. »Eine Republik herstellen wollen, ist nicht notwendig eine Dummheit, am wenigsten eine Gemeinheit«, schrieb er vierzehn Jahre später; jetzt aber stand diese Frage nicht mehr zur Erörterung. Der Preußischen Nationalversammlung, deren Wesen Fontane mit so großer Abneigung betrachtet hatte, machte Wrangels Einmarsch in Berlin ein Ende, und Fontane hat dem Feldmarschall das Zeugnis nicht versagt, sein Benehmen in diesen Tagen des Novembers 1848, in denen Fontanes letzter Zeitungshallen-Aufsatz erschien, wäre fest, klug, taktvoll gewesen, »getragen auch unter den schwierigsten Verhältnissen von Humor«, was in des Urteilers Augen ein besonderer Vorzug war. Die preußische Verfassung war in liberalem Sinne gegeben, das Werk der Paulskirche aber tragisch gescheitert. Jetzt, so empfand Fontane, kam es darauf an, Preußen auszubauen, und so sprach er sein letztes Wort in den Kampf der Zeit in Versen an einen ihrer besten Männer, an Schleiermachers Schwiegersohn, den Märzminister Maximilian Grafen Schwerin-Putzar, den Präsidenten der Zweiten Preußischen Kammer. Er mahnt den Enkel an den Ahnen, an den bei Prag gefallenen Feldherrn Friedrichs des Großen, und das »Mir nach!« jenes Helden, nun die Devise des Nachkommen, verpflichtet auch den Dichter. 45

Du stehst, in Lieb und Treue,
Zu Thron und Herrscherhaus,
Und baust doch, für das Neue,
Die alten Pfeiler aus.
Nicht trägst du der Verneinung
Im Kampf die Fahne vor,
Doch für die freie Meinung
Schwingst du sie hoch empor.

Noch einmal steht in dem geschichtlichen Menschen die friderizianische Vergangenheit auf, er erinnert den Minister an jenen Zieten, der im Kampfe für Christum auch seinen König und Kriegsherrn nicht geschont und obgesiegt habe.

So war's, und – ist's geblieben
Durch ein Jahrhundert fort:
Die Hohenzollern lieben
Ein freies Manneswort.
Auch du, für heilge Rechte
Ficht weiter, sonder Scheu:
Treulos sind alle Knechte,
Der Freie nur ist treu
.

*

Der Wahlmann und politische Journalist war nicht gerade ein Provisor nach dem Herzen des Herrn Jung, und seine häufige Abwesenheit war störend, seine politische Tätigkeit verdächtig. So war es dem Prinzipal sehr willkommen, als Fontane von dem geistlichen Leiter des Diakonissenkrankenhauses Bethanien, dem seiner Mutter befreundeten Pfarrer Schultz, das Angebot zuging, zwei der Schwestern pharmazeutisch auszubilden. Ihm 46 selbst war es noch bei weitem genehmer. Das Gehalt war auskömmlich, die Wohnung am Mariannenplatz, einem der schönsten Plätze Berlins, reizend und die Tätigkeit leicht und erfreulich. Dazu kam der angenehme Verkehr mit Schultz, der, kirchlich und politisch ein Mann der äußersten Rechten, trotzdem mit Fontane ausgezeichnet stand, mit dem genialen Chirurgen Robert Wilms und den beiden gelehrigen Zöglingen, die beide später zu Oberinnen großer Anstalten aufstiegen.

Fünfzehn glückliche Monate verlebte Fontane in Bethanien, dann aber mochte er nicht erst wieder hinter den Rezeptiertisch zurückkehren. Zum dritten Male nahm er den Anlauf zu einer schriftstellerischen Existenz. Am 1. Oktober 1849 mietete er sich Luisenstraße 12, drei Treppen hoch, eine bescheidene Bude und spann nun seine Fäden über Berlin und über Berlin hinaus, zu dem alten Freunde Wolfsohn in Dresden, zu Gustav Schwab, zu Cotta. Wolfsohn bringt ihn mit der Dresdner Zeitung in Verbindung, aber der erste Aufsatz wird abgelehnt, weil Fontane in der Frage, ob Preußen ein Militär- oder Polizeistaat sei, für das friderizianische Preußen – in einem sächsischen Blatt! – und für das friderizianische Heer gegenüber den gegenwärtigen »nackten, durch nichts entschuldigten Unverschämtheiten einer ebenso ruhm- wie rücksichtslosen Polizei« eintreten wollte; der preußisch-geschichtliche Einschlag machte der Dresdner Redaktion Fontanes Politik unverdaulich. Aber der Dessauer Verleger Katz (»Verdeubelter Name! Na, schad' nichts!«) nahm auf Wolfsohns Empfehlung gegen ein Entgelt von – drei Louisdor Fontanes Balladen von der Schönen Rosamunde in Verlag, und wenn die Freunde auch über dies Lumpenhonorar einig waren, so schloß Fontane, da alle anderen Verleger absagten, doch den Vertrag ab. Im übrigen schlug er sich mit Gedichten für Cottas Morgenblatt und journalistischer Arbeit durch. Da wurde am 47 25. Juli 1850 die Schlacht bei Idstedt geschlagen. Die Sache Schleswig-Holsteins schien zum zweiten Male verloren, und der Vorkämpfer deutscher Einheit hielt zu seinem in der Zeitungshalle gegebenen Wort, er eilte nach Altona, um sich in das Korps des Obersten Ludwig von der Tann einreihen zu lassen, dem er bei seinem Aufbruch ins meerumschlungene Land die Verse gewidmet hatte:

                      Hurra, hurra,
                      Von der Tann ist da!
Ihr deutschen Brüder im Westen und Osten,
O laßt nicht die Kling in der Scheide verrosten;
Die Büchs und den Pallasch heruntergenommen,
Ihr seid uns willkommen, zum Siege willkommen,
Und weiter und weiter, – hurra, hurra,
Von der Tann ist da, von der Tann ist da.

Aber kaum war Fontane an der Elbe eingetroffen, da griff ein Tunnelgenosse in sein Leben und gab diesem eine entscheidende Wendung. Zu dem Kreise der Ministeriellen im Sonntagsverein gehörte der Schlesier Wilhelm von Merckel, ein feiner, mit seinen Gaben sparsamer Novellist, ein grundvornehmer, gütiger Mensch, im Beruf Kammergerichtsrat, Schwiegersohn des Justizministers, Schwager des späteren Kultusministers von Mühler. Er war gerade Chef der Preßabteilung des Staatsministeriums geworden, und immer voller Güte und Wohlwollen für Fontane, bot er diesem eine Stelle als Diätar in seinem Bureau an. Am 31. Juli war Fontane in Altona, am 2. August traf Merckels Brief ein. Fontane fuhr sofort zurück, denn mit dem Gehalt von monatlich vierzig Talern sollte nun geheiratet werden. Die Braut kam eiligst aus Liegnitz, wo sie bei Verwandten lebte, herüber, in der Puttkamerstraße, Kuglers jetziger und Chamissos einstiger Wohnung ganz nah, 48 ward ein bescheidenes Quartier gemietet. Am 16. Oktober 1850 traute der Konsistorialrat Fournier das Paar in derselben Französischen Klosterkirche, in der er einst Fontane konfirmiert hatte, und dann fand bei George in der Bellevuestraße in einem Gartensaal das Hochzeitsmahl statt, von dem der junge Ehemann noch im Alter sagte, er hätte nie eine hübschere Hochzeit mitgemacht als seine eigene. Die Vögel flogen vor der offenen Balkontür hin und her, »auf dem Tisch hin standen natürlich auch Blumen; aber was mir noch lieber war, auch schon bloß um des Anblicks willen, das waren die Menschen, die die Tafel entlang saßen. Ich bin sehr für hübsche Gesichter, und fast alle waren hübsch, darunter viele südfranzösische Rasseköpfe. Doch verblieb der schließliche Sieg, wie das zum 16. Oktober auch paßte, dem Deutschtum. Unter den Gästen waren nämlich auch Eggers und Heyse, deren Profile für Ideale galten und dafür auch gelten durften.«

Der Dreißigjährige durfte glauben, endlich im Hafen zu sein. 49

 


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