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Zweites Kapitel.

In Krakau verweilten sie nicht lange, und ohne die Bitten Jaskos, welcher sich Stadt und Leute anschauen wollte, da ihm alles wie ein wunderbarer Traum erschien, wären sie noch rascher wieder aufgebrochen. Aber der alte Ritter beeilte sich so sehr, noch zur Erntezeit an seinen häuslichen Herd zurückzukommen, und selbst die inständigsten Bitten halfen so wenig, daß am Tage Mariä Himmelfahrt der eine schon in Bogdaniec, der andere in Zgorzelic angelangt war.

Von dieser Zeit an begann für sie ein ziemlich einförmiges Leben, das ganz von der Feldarbeit und von den gewöhnlichen ländlichen Beschäftigungen ausgefüllt war. In dem niedrig gelegenen Zgorzelic, vornehmlich aber in Moczydoly, Jagienkas Gute, fiel die Ernte vortrefflich aus, in Boganiec hingegen war die Frucht infolge des trockenen Jahres nur spärlich geraten, und es bedurfte keiner großen Mühe, um sie einzusammeln. Im allgemeinen befand sich wenig bestelltes Land dort, denn das Gut war reich an Waldungen, und infolge der langen Abwesenheit der Gebieter lag sogar auch der Boden, den der Abt durch Ausroden hatte urbar machen lassen, wegen Mangel an Arbeitskräften brach. Obwohl nun der alte Ritter einen solchen Verlust sonst kaum verschmerzte, nahm er sich dies nicht allzusehr zu Herzen, weil er sich sagte, daß es ihm leicht fallen werde, durch Geld alles in Ordnung und in das richtige Geleise zu bringen – wenn er nur wußte, für wen er arbeitete und sich abmühte. Aber gerade durch diesen Zweifel konnte keine Freude an seinem Werke aufkommen. Zwar ließ er seine Hände nicht müßig ruhen, er erhob sich vor Tagesanbruch, ritt hinaus zu den Herden, beaufsichtigte die Arbeit in Wald und Feld, ja er wählte sogar schon einen Platz für das Kastell und suchte das Bauholz aus, doch wenn nach einem heißen Tage die Sonne versank und mit einem goldenen und rötlichen Schimmer den Abendhimmel färbte, da ergriff ihn zuweilen eine so unendliche Sehnsucht und ein Angstgefühl, wie er es bisher noch nie empfunden hatte. »Ich gönne mir keine Ruhe und plage mich hier,« sagte er sich, »während mein armer Zbyszko vielleicht von einem Speere durchbohrt irgendwo auf freiem Felde liegt, und die Wölfe ihm den Totengesang heulen.« Bei diesem Gedanken zog sich ihm das Herz krampfhaft zusammen. Dann lauschte er aufmerksam, ob sich wohl der Hufschlag von Pferden vernehmen lasse, wodurch Jagienkas Ankunft sich täglich kundgab, denn trotzdem er ihr gegenüber stets behauptete, daß er voll Hoffnung sei, schöpfte er doch durch sie erst frischen Mut, und sein gebeugter Geist richtete sich bei ihrem Anblick von neuem auf.

Und sie kam Tag für Tag, gewöhnlich gegen Abend, die Armbrust und den Speer am Sattel, um sich gegen einen Ueberfall bei der Rückkehr zu schützen. Es war zwar durchaus nicht anzunehmen, daß sie Zbyszko schon in Bogdaniec treffen werde, da Macko ihr gegenüber niemals seine Ueberzeugung verhehlte, man dürfe ihn nicht vor einem Jahre erwarten – aber offenbar nährte die Maid diese Hoffnung in sich, denn sie erschien nicht wie in den alten Zeiten in einer nur losen gegürteten Kleidung, den Schafpelz über die Schultern geworfen und mit Blättern in den wirren Haaren, sondern mit schön geflochtenen Zöpfen und in einem eng anliegenden, farbigen Tuchgewande aus Sieradz. Macko eilte ihr entgegen und ihre erste Frage lautete immer, gerade als ob es ihr von jemand eingeprägt worden wäre: »Wie ist es?« Und seine Antwort lautete: »Noch ist keine Kunde gekommen!« Hierauf führte er sie in die Stube und beim Herdfeuer plauderten sie von Zbyszko, von Litauen, von den Kreuzrittern und vom Kriege – immer wieder von neuem beginnend, fortwährend von denselben Dingen – und keines der beiden wurde dieses Gespräches jemals müde, im Gegenteil, sie konnten sich nie genug daran thun.

So blieb es viele Monate hindurch. Zuweilen ritt Macko nach Zgorzelic, aber häufiger geschah es, daß Jagienka nach Bogdaniec kam. Manchmal, wenn es in der Umgegend nicht sicher war, geleitete Macko die Maid nach Hause. Gut bewaffnet, hegte der Ritter keine Furcht vor wilden Tieren, denn er war ihnen gefährlicher als sie ihm. Dann ritt er dicht neben Jagienka her und aus dem Innern des Waldes erscholl gar häufig dumpfes, drohendes Gebrüll, sie aber, alles vergessend, was um sie vorging, sprachen nur von Zbyszko. Wo er wohl sein mochte? Was er wohl that? Ob er schon so viele Kreuzritter erschlagen hatte oder noch erschlagen werde, wie er Danusia und deren Mutter gelobt hatte? Ob seine Rückkehr nun bald bevorstehe? Dabei richtete Jagienka Fragen an Macko, die sie schon unzähligemale an ihn gerichtet hatte, und er beantwortete sie mit derselben ernsten Bedächtigkeit, wie wenn er sie zum erstenmale höre.

»Ihr meint also,« erkundigte sie sich, »daß der Kampf auf dem Schlachtfelde minder gefährlich für einen Ritter sei, als die Erstürmung einer Burg?«

»Du hörtest doch, was Wilk widerfahren ist? Vor einem Holzblock, der von einem Walle herabgeschleudert wird, vermag keine Rüstung zu schützen, im Felde hingegen muß sich ein in der Kriegskunst erfahrener Ritter selbst dann nicht ergeben, wenn auch zehn Feinde ihm gegenüberstehen.«

»Und Zbyszko? Besitzt er eine gute Rüstung?«

»Er besitzt einige gute Rüstungen, und die beste ist die von den Friesen erbeutete, denn sie ist in Mailand geschmiedet worden. Erst war sie ihm noch ein wenig zu weit, doch jetzt ist sie wie für ihn gemacht.«

»Und an einer solchen Rüstung prallt doch jede Waffe ab? Glaubt Ihr nicht?«

»Was Menschenhand geschaffen hat, kann durch Menschenhand auch zerstört werden. Gegen die mailändische Rüstung kämpft man mit dem mailändischen Schwert, und die Engländer schießen ihre Pfeile dagegen ab.«

»Die Engländer schießen ihre Pfeile dagegen ab?« fragte Jagienka voll Bestürzung.

»Habe ich Dir noch nicht von ihnen gesprochen? Bessere Bogenschützen als sie giebt es nicht auf der ganzen Welt, die Bewohner der masovischen Wälder ausgenommen. Aber die Masuren haben nicht so treffliche Bogen wie die Engländer. Ein englischer Pfeil durchbohrt auf hundert Schritte die beste Rüstung. Bei Wilna habe ich dies mitangesehen. Und kein Engländer verfehlt sein Ziel, und es giebt manche unter ihnen, welche einen Habicht im Fluge treffen.«

»O diese Söhne der Hölle! Wie habt Ihr Euch ihnen gegenüber zu helfen gewußt?«

»Es giebt kein anderes Mittel, als sich sofort auf sie zu stürzen. Die Hellebarden wissen sie auch gut zu gebrauchen, diese Hundeseelen, aber im Handgemenge können es die Unsrigen wohl mit ihnen aufnehmen.«

»Die Hand Gottes hat Euch bisher beschützt, und sie wird nun auch Zbyszko beschützen.«

»Gar oft bete ich jetzt in dieser Weise: ›Lieber Gott, Du hast uns erschaffen und in Bogdaniec seßhaft gemacht, daher behüte uns hinfür, auf daß wir nicht zu Grunde gehen!‹ Fürwahr ist es Gottes Sache, uns zu behüten. Die Wahrheit zu sagen, ist es freilich keine kleine Mühe, auf die ganze Welt acht zu geben und nichts zu vergessen, zuvörderst muß sich deshalb der Mensch bei Gott in Erinnerung bringen, indem er der heiligen Kirche gegenüber nicht knausert, zweitens aber sind Gottes Gedanken nicht unsre Gedanken.«

So plauderten sie häufig miteinander, sich gegenseitig Mut und Trost zusprechend. Tage, Wochen, Monate verstrichen mittlerweile. Im Herbst bekam Macko einen Zwist mit dem alten Wilk aus Brzozowa. In früherer Zeit schon hatten sich Grenzstreitigkeiten zwischen dem Abte und dem alten Wilk sowie dessen Sohn wegen eines jungen Waldes erhoben, den der Abt, als ihm Bogdaniec verpfändet worden war, in Besitz nahm und ausroden ließ. Damals hatte er seine beiden Widersacher sogar zum Kampfe mit der Lanze oder mit dem langen Schwerte gefordert, sie indessen wollten sich einem Geistlichen nicht stellen und bei dem Gerichte konnten sie nichts erreichen. Nunmehr forderte der alte Wilk jenes Grundstück zurück, Macko aber, welcher auf nichts in der Welt so viel Wert legte wie auf Ländereien und von dem Gedanken geleitet wurde, daß Gerste vortrefflich auf dem Neuacker gedeihen werde, wollte nichts von einer Verzichtleistung hören. Sie würden sich unfehlbar an das Burggericht gewendet haben, wären sie nicht zufälligerweise bei dem Probste in Krzesnia zusammengetroffen. Als dort der alte Wilk plötzlich nach einem heftigen Streite sagte: »Nicht auf die Menschen, wohl aber auf Gott setze ich mein Vertrauen, und er wird Rache an Eurem Geschlechte nehmen für das mir zugefügte Unrecht!« Da ward der ergrimmte Macko sofort weich, er erbleichte, schwieg zuerst eine Weile und sagte dann zu dem zanksüchtigen Nachbarn: »Hört, ich bin es nicht gewesen, der schuld an diesem Zerwürfnis ist, sondern der Abt. Gott weiß, auf wessen Seite das Recht ist; doch wenn Ihr Zbyszko deshalb verfluchen wollt, dann nehmt lieber den Acker, und so wahr ich für meinen Bruderssohn Gesundheit und Glück von Gott herabflehe, so wahr trete ich Euch das Grundstück von Herzen gern ab.«

Und er streckte die Hand gegen Wilk aus. Dieser, welcher ihn seit langer Zeit kannte, war nicht wenig erstaunt, denn er hatte keine Ahnung davon, wie viel Liebe das scheinbar so harte Herz Mackos für den Bruderssohn barg, und wie er sich um dessen Schicksal sorgte. Eine Weile vermochte Wilk kein Wort hervorzubringen, und erst als der über diese Wendung der Dinge erfreute Probst von Krzesnia das Zeichen des Kreuzes über sie machte, antwortete er:

»Wenn die Sache sich so verhält, dann ist es etwas anderes! Nicht am Gewinn ist mir etwas gelegen – denn ich bin alt und habe niemand, dem ich meine Habe hinterlassen könnte – doch mein Recht wollte ich durchsetzen. Dem, der mir mit Güte entgegenkommt, überlasse ich auch gerne etwas von meinem Eigentum. Und Euern Bruderssohn möge Gott segnen – so daß Ihr ihn in Euern alten Tagen nicht beweinen müßt, wie ich meinen einzigen Sohn beweine! ...«

Sie fielen einander in die Arme, und dann stritten sie sich lange darüber, wer das ausgerodete Stück Erde nehmen solle. Macko ließ sich indessen schließlich überreden – zumal Wilk allein auf der Welt stand und tatsächlich niemand hatte, dem er sein Gut hinterlassen konnte.

Hierauf lud Macko seinen Nachbar nach Bogdaniec ein, wo er ihn reichlich mit Speise und Trank bewirtete – denn sein Herz war von großer Freude erfüllt. Gewährte ihm doch die Hoffnung, daß Gerste auf dem Neuacker vortrefflich gedeihen werde und zugleich auch der Gedanke, daß er den Fluch Gottes von Zbyszkos Haupt abgewendet habe, die größte Genugthuung.

»Wenn er zurückkehrt, wird es ihm an Ländereien und Vieh nicht fehlen,« dachte er.

Jagienka war nicht minder vergnügt über diese Vereinbarung.

»Wahrlich,« sagte sie, nachdem sie gehört hatte, wie die Sache abgemacht worden war, »wenn unser Herr Jesus, der Barmherzige, zeigen will, daß Eintracht ihm lieber ist als Zank und Streit, dann muß er Zbyszko glücklich zu Euch zurückkehren lassen.«

Mackos Gesicht erhellte sich, wie wenn ein Sonnenstrahl darauf gefallen wäre.

»So denke ich auch,« erwiderte er. »Unser Herrgott ist allmächtig, daran ist nicht zu zweifeln, aber es giebt auch Mittel, die Gunst der himmlischen Mächte zu erringen, man muß nur klug dabei zu Werk gehen ...«

»An Klugheit hat es Euch niemals gefehlt,« entgegnete die Maid, den Blick zu ihm erhebend.

Und wie wenn sie im stillen über etwas nachgedacht hätte, fügte sie nach einer Weile hinzu: »Aber wie liebt Ihr auch Euern Zbyszko! Wie liebt Ihr ihn!«

»Wer sollte ihn nicht lieben?« antwortete der alte Ritter. »Und Du? Hassest Du ihn etwa?«

Darauf gab Jagienka keine direkte Antwort, doch rückte sie näher zu Macko, an dessen Seite sie saß, heran, und das Köpfchen abwendend, stieß sie ihn leicht mit dem Ellbogen an, indem sie sagte: »Laßt mich in Frieden!«


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