Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Der Fürst ergriff bei der Beratung als erster das Wort, indem er also sprach: »Schlimm ist es, daß wir weder ein Schreiben, noch irgend ein anderes Zeugnis gegen die Komture in Händen haben. Denn wenn gleich unsere Vermutung richtig erscheint, wenn auch nach meiner Ansicht keine anderen als sie die Tochter Jurands entführt haben, was nützt dies alles? Sie werden sich weiß zu waschen wissen. Und so der Großmeister nach irgend einem Beweis fragt, was kann ihm vorgewiesen werden? Traun, das Schreiben Jurands zeugt ja noch zudem für sie. – Du behauptest zwar,« fuhr er nach kurzer Pause zu Zbyszko gewendet fort, »das Schreiben sei Jurand abgezwungen worden. Dies mag wohl sein, ja, dies ist gewiß der Fall, denn wenn das Recht auf ihrer Seite wäre, hätte Dir Gott nicht seinen Schutz gegen Rotgier verliehen. Doch ebenso gut wie ihm ein Schreiben abgenötigt worden sein kann, mag er sich auch zu einem zweiten verstanden haben. Vielleicht hat ihnen Jurand bezeugt, daß sie unschuldig an der Entführung des bedauernswerten Mägdleins sind. Und angenommen, sie legen ein solches Zeugnis dem Großmeister vor, was dann?«

»Sie selbst gestanden ja zu, erlauchter Herr, daß sie Danusia den Räubern entrissen und nunmehr in ihrer Obhut haben.«

»Ich weiß es. Allein jetzt erklären sie, in einem Irrtum befangen gewesen zu sein. Nicht Danusia, sondern ein anderes Mägdlein stehe unter ihrem Schutz, behaupten sie, und der beste Beweis hierfür sei der, daß Jurand selbst letzteres von sich gewiesen habe.«

»Er wies es von sich, weil sie ihm eine fremde Maid statt seiner Tochter vorführten. Dadurch erregten sie ja eine solche Wut in ihm.«

»Das ist alles richtig. Nichtsdestoweniger werden sie erklären, dies beruhe einzig und allein auf unseren Mutmaßungen.«

»Ihre Ränke,« warf hier Mikolaj aus Dlugolas ein, »lassen sich mit einem Walde vergleichen. Am Rande des Waldes findet man sich noch zurecht, je tiefer man jedoch in das Dickicht dringt, desto schwieriger wird dies, und schließlich irrt man so lange umher, bis man den Weg ganz und gar verloren hat.«

Kaum hatte aber der Redende seine Worte dem Herrn de Lorche verdeutscht, so erklärte dieser: »Der Großmeister ist weit besser als die Komture und als die Brüder. Wohl besitzt er einen verwegenen Geist, allein er hält auf ritterliche Ehre.«

»So ist es!« ließ sich Mikolaj vernehmen. »Der Großmeister ist ein leutseliger Mann. Er versteht es zwar nicht, die Komture oder das Kapitel im Zaume zu halten, noch den Ausschreitungen des Ordens zu steuern, allein Freude findet er nicht daran. Macht Euch auf den Weg, macht Euch auf den Weg, Ritter de Lorche, und gebt ihm Kunde von dem, was hier geschehen ist. Vor Fremden nehmen sie sich mehr in acht, als vor uns, damit nicht an ausländischen Höfen ihre Tücke, ihre Schandthaten ruchbar werden. Sollte aber der Meister Beweise von Dir fordern, dann sprich also zu ihm: ›Nur Gott allein kennt die Wahrheit, die Menschen müssen sie erforschen; willst Du daher Beweise, o Herr, so forsche darnach. Laß die Burgen untersuchen, die Leute verhören und gestatte uns, all das zu unternehmen, was wir für gut finden. Ein albernes Märchen ist es, daß das Jungfräulein im Walde von Räubern geraubt worden sein soll‹.«

»Ein albernes Märchen!« wiederholte de Lorche.

»Denn Räuber würden es niemals gewagt haben, die Hände gegen ein Glied des fürstlichen Hofes oder gegen die Tochter Jurands zu erheben. Angenommen aber, sie hätten sich des Mägdleins bemächtigt, so wäre dies doch nur des Lösegeldes wegen geschehen und sie selbst hätten die Kunde gebracht, daß das Jungfräulein in ihrer Gewalt sei.«

»Das werde ich alles vorbringen,« erklärte der Lothringer. »De Bergow suche ich sofort auf. Wir stammen aus einem Lande und wenngleich ich ihn auch nicht kenne, weiß ich doch, daß er ein Blutsverwandter des Grafen Geldryi ist. Er soll daher dem Meister über alles berichten, was er erlebt und gesehen hat, denn er ist in Szczytno gewesen.«

Da Zbyszko nur wenig von dem verstand, was der Lothringer sagte, verdolmetschte ihm Mikolaj das, was er nicht verstand. Daraufhin umfaßte der junge Ritter den Herrn de Lorche und preßte ihn so ungestüm an die Brust, daß letzterer geradezu stöhnte.

Der Fürst aber fragte Zbyszko: »Und Du bist endgültig entschlossen, Dich ebenfalls auf den Weg zu machen?«

»Endgültig, wohledler Herr. Was bleibt mir auch anderes zu thun übrig? Könnte ich, wie ich wollte, würde ich Szczytno stürmen, trotzdem ich mir vielleicht die Zähne an den Mauern ausschlüge! Darf ich aber ohne Erlaubnis einen Krieg heraufbeschwören?«

»Wer ohne Ermächtigung einen Krieg hervorruft, der büßt dafür unter dem Schwerte des Henkers!« ergriff der Fürst das Wort.

»So will es das Gesetz!« antwortete Zbyszko. »Traun, ich könnte auch alle vor Gericht laden, welche in Szczytno gewesen sind, allein man sagte mir, Jurand habe sie dort wie das Vieh hingeschlachtet, und nun weiß ich nicht, wer noch am Leben ist, wer erschlagen ward ... Doch, so wahr mir Gott und das heilige Kreuz beistehen, so wahr harre ich bis zu meinem letzten Atemzuge bei Jurand aus!«

»Trefflich sprichst Du – so frommt es Dir,« warf Mikolaj aus Dlugolas ein. »Und daß Du Dich nicht auf Szczytno warfst, ist ein Beweis für Deinen Verstand. Denn thöricht wäre es, zu mutmaßen, daß sich Jurand und dessen Tochter dort befinden. Viel wahrscheinlicher ist es, daß sie in irgend eine andere Burg überführt worden sind. Gott verlieh Dir den Sieg über Rotgier, weil Du Dich hier einstelltest.«

»So ist es!« stimmte der Fürst bei. »Doch nach dem, was mir von Rotgier gemeldet ward, ist nunmehr von den vier Brüdern nur noch der alte Zygfryd am Leben, während die andern Gott durch Jurands oder durch Deine Hand schon bestrafte. Was aber Zygfryd anbelangt, so ist er zwar kein Schurke wie jene, allein seine Grausamkeit übersteigt jedes Maß. Schlimm genug ist's daher, daß Jurand und Danusia in seiner Gewalt sind – sie müssen so rasch wie möglich befreit werden. Damit Dir selbst nichts Schlimmes zustößt, gebe ich Dir ein Schreiben an den Meister mit. Höre genau auf das, was ich Dir sage, und bedenke, daß Du nicht als Gesandter, sondern als Vertrauter zu dem Meister ziehst, an den ich folgendes schreibe: ›Da sie sich seiner Zeit sogar unserer Person, dem Abkömmling ihrer Wohlthäter, bemächtigt haben, so ist es um so wahrscheinlicher, daß sie die Tochter Jurands entführten, auf den sie ganz besonders erbost sind. Es geht daher die Bitte an den Meister, um den Befehl, sofort Nachforschungen nach ihr anzustellen und sie in Deine Hände auszuliefern, so er sich meine Freundschaft sichern will‹.«

Kaum hatte Zbyszko diese Worte vernommen, warf er sich dem Fürsten zu Füßen und rief, dessen Knie umfassend: »Und Jurand, gnädigster Herr? Verwendet Euch auch für ihn! Wenn er tödlich verwundet ist, möge er doch wenigstens auf seinem Erbe, bei seinen Kindern sterben!«

»Jurands wird nicht vergessen!« entgegnete gütig der Fürst. »Der Meister hat ebenso wie ich zwei Schiedsrichter auszustellen, welche die Handlungsweise der Komture und Jurands nach den ritterlichen Ehrengesetzen prüfen sollen. Diese vier Schiedsrichter aber werden noch einen weiteren als Obmann wählen und ihrem Urteilsspruche muß sich jeder fügen.«

Damit war die Beratung zu Ende. Zbyszko verabschiedete sich von dem Fürsten, wollte er sich doch sofort auf den Weg machen. Bevor indessen alle auseinander gingen, nahm Mikolaj aus Dlugolas, der die Kreuzritter genau kannte, den jungen Kämpen auf die Seite und fragte: »Wie ist es mit dem Böhmen, Deinem Knappen? Willst Du ihn mit Dir zu den Deutschen nehmen?«

»Er wird mich sicherlich nicht verlassen wollen. Doch weshalb fragt Ihr?«

»Weil er mich jammert. Er ist ein tüchtiger Bursche, drum merk nun auf das, was ich Dir sage: Du wirst mit heiler Haut aus Marienburg zurückkehren, es sei denn, daß Du dort im Zweikampfe auf einen überlegenen Gegner stoßest, der Böhme aber geht einem sicheren Verderben entgegen.«

»Weshalb glaubt Ihr das?«

»Weil die Weißmäntel ihn der Ermordung des Herrn de Fourcy zeihen. Sie haben jedenfalls dem Großmeister von dessen Tod geschrieben und sicherlich behauptet, der Böhme sei der Urheber des Mordes. In Marienburg vergiebt man ihm diese vermeintliche Schuld nicht. Man wird ihm den Prozeß machen, ihn verurteilen, denn wie kannst Du den Großmeister von Hlawas Unschuld überzeugen? Dazu kommt auch noch, daß er Danveld das Handgelenk verdreht hat, Danveld aber war ein Blutsverwandter des Großmeisters der Johanniter. Gar leid ist es mir um den Burschen, und ich wiederhole es nochmals, daß er einem sicheren Tod entgegengeht, so er Dir folgt.«

»Ihm droht keine Gefahr, denn er bleibt in Spychow zurück.«

Doch es kam ganz anders. Durch mannigfache Gründe wurde das Verbleiben des Böhmen in Spychow vereitelt. Zbyszko und de Lorche machten sich am nächsten Morgen mit ihrem Gefolge auf den Weg. De Lorche, der durch Pater Wyszoniek von dem Eide freigesprochen war, mit dem er sich Ulrika de Elner angelobt hatte, trat glückselig und ganz erfüllt von der Holdseligkeit Jagienkas aus Dlugolas die Fahrt an, auf der er sich infolgedessen recht schweigsam verhielt. Er und Zbyszko konnten sich zudem nur schwer mit einander verständigen.

So war denn letzterer darauf angewiesen, mit Hlawa über Danusia zu sprechen, wodurch der Knappe auch von der beabsichtigten Fahrt nach Marienburg Kenntnis erhielt, von der er bisher nichts gewußt hatte.

»Ich gehe nach Marienburg,« teilte ihm Zbyszko mit, »und Gott allein weiß, wann ich zurückkehren werde. Vielleicht geschieht dies bald, vielleicht im Frühling oder in einem Jahre, vielleicht komme ich niemals zurück. Verstehst Du mich?«

»Ich verstehe alles. Ihr, gnädigster Herr, wollt dort gewiß die Ritter zum Zweikampfe fordern. Lob und Preis sei Gott dafür, denn sicherlich hat jeder Ritter auch einen Knappen.«

»Nein,« antwortete Zbyszko, »nicht um zu kämpfen ziehe ich aus, es sei denn, daß ich selbst herausgefordert werde. Du aber folgst mir nicht nach Marienburg, Du bleibst in Spychow.«

Diese Worte kränkten den Knappen aufs tiefste. Anfänglich jammerte er kläglich, dann aber bat er seinen jungen Herrn, ihn doch nicht zu verbannen.

»Ich habe geschworen,« erklärte er, »niemals von Euch zu weichen, gnädigster Herr; auf das Kreuz und auf meine Ehre habe ich diesen Eid geleistet. Und wenn Euch, gnädigster Herr, ein Unfall begegnen sollte, wie dürfte ich jemals wieder meiner Herrin in Zgorzelic unter die Augen treten? Geschworen habe ich es ihr, o Herr! Deshalb erbarmt Euch meiner, damit ich nicht mit Schimpf und Schande beladen, vor ihr erscheinen muß.«

»Hast Du ihr aber nicht auch gelobt, mir gehorsam zu sein?« fragte Zbyszko.

»In allem soll ich Euch Gehorsam leisten, nur verlassen soll ich Euch nicht. Wenn Ihr, gnädigster Herr, daher mich von Euch weist, muß ich Euch in geringer Entfernung folgen, um, so dies nötig wäre, sofort bei der Hand zu sein.«

»Ich weise Dich nicht von mir und werde Dich niemals von mir weisen!« antwortete Zbyszko. »Doch ich wäre ja geradezu geknechtet, wenn ich Dich nicht an irgend einen entfernt gelegenen Platz schicken, wenn ich mich selbst nicht auf einen Tag von Deiner Gegenwart befreien könnte. Du wirst doch nicht beständig hinter mir stehen wollen, wie der Henker hinter einer armen Seele? Und wie willst Du mir im Kampfe beistehen? Ich spreche nicht vom Kriege, denn in der Schlacht streiten die Menschen scharenweise, allein im Einzelkampfe kannst Du mir doch nichts nützen. Wäre Rotgier der Stärkere gewesen, so befände sich seine Rüstung nicht auf unserem Wagen, sondern die meine auf dem seinen. Keinen Vorteil würde mir Deine Anwesenheit in Marienburg bringen, nein, Unheil könnte mir nur daraus erwachsen.«

»Wie meint Ihr das, gnädigster Herr?«

All das, was Mikolaj aus Dlugolas ihm mitgeteilt hatte, erzählte nun Zbyszko dem Fragenden und sagte ihm, daß er, Hlawa, von den Komturen, die jede Schuld von sich abzuwälzen versucht hatten, des Mordes an Herrn de Fourcy beschuldigt worden sei, weshalb ihn sicherlich die Rache der Kreuzritter treffen werde.

»Und wenn sie Dich greifen,« fügte Zbyszko schließlich hinzu, »werde ich Dich doch nicht ihrer Rache überlassen. Mit meinem Kopfe müßte ich es aber dann bezahlen.«

Mit düsterer Miene lauschte der Böhme diesen Worten, deren Wahrheit er nur zu wohl erkannte. Trotzdem versuchte er es aber nochmals, seiner Bitte Gehör zu verschaffen.

»Von all denen, die mich sahen, ist keiner mehr am Leben,« warf er ein, »denn wie mir gesagt ward, hat der Gebieter von Spychow gar viele erschlagen, und Rotgier fiel durch Euere Hand.«

»Die Knechte sahen Dich, die jenen voranzogen, auch lebt der alte Kreuzritter Zygfryd noch und befindet sich sicherlich in Marienburg. Ist dies aber nicht der Fall, so wird ihn der Großmeister gewiß dahin berufen. Das gebe Gott!«

Darauf ließ sich nichts mehr sagen. Das Gespräch verstummte, und schweigend zogen nun Ritter und Gefolge bis nach Spychow. Dort trafen sie die ganze Besatzung der Burg zum Kampfe gerüstet, weil der alte Tolima nicht anders dachte, als daß entweder die Kreuzritter einen Ueberfall machen würden, oder daß Zbyszko nach seiner Rückkunft mit den Mannen zur Rettung Jurands ausziehen werde. An allen Uebergängen über die Sümpfe, auf den Wällen der Burg standen Wachen, die kriegsgewohnten Mannen harrten voll Ungeduld auf die Deutschen, von denen sie reiche Beute zu gewinnen hofften. Zbyszko und de Lorche wurden von dem Priester Kaleb empfangen, der ihnen nach dem Nachtmahle das mit Jurands Siegel versehene Pergament zeigte, auf welches er eigenhändig den letzten Willen des Gebieters von Spychow geschrieben hatte.

»In der Nacht, bevor er sich nach Szczytno auf den Weg machte, sagte er mir alles Wort für Wort vor. Traun, er glaubte nicht an seine Rückkehr.«

»Warum sagtet Ihr von all dem nichts?«

»Wie durfte ich dies, da mir Jurand seine Plane als Beichtgeheimnis anvertraute? Verleihe ihm die ewige Seligkeit, o Herr, und laß ihm das ewige Licht leuchten.«

»Sprecht dies Gebet nicht für ihn,« wendete Zbyszko ein, »er lebt noch. Ich weiß dies aus dem Munde des Kreuzritters Rotgier, mit dem ich einen Waffengang an dem fürstlichen Hofe hatte. Das Gottesgericht hat zwischen uns entschieden – er fiel durch meine Hand.«

»Damit verringert sich noch die Hoffnung auf Jurands Heimkunft – es sei denn, daß er durch Gottes Macht gerettet werde.«

»Mit diesem Ritter hier ziehe ich nun aus, um ihn aus den Händen der Feinde zu befreien.«

»Du kennst die Kreuzritter nicht, das unterliegt keinem Zweifel. Ich aber kenne sie, denn ehe Jurand mich zu sich nach Spychow berief, weilte ich während fünfzehn Jahren als Priester in ihren Landen. Nur Gott allein vermag Jurand zu retten.«

»Nur er kann uns seine Hilfe angedeihen lassen.«

»Amen!«

Pater Kaleb entrollte nun das Dokument, um es vorzulesen.

Jurand vermachte darin all seinen Grund und Boden, all sein Hab und Gut Danusia und deren Nachkommen, setzte jedoch für den Fall, daß seine Tochter kinderlos sterben würde, deren Ehegemahl Zbyszko aus Bogdaniec zum alleinigen Erben ein. Zum Schlüsse stellte er diesen seinen letzten Willen dem Schutze des Fürsten anheim, damit, wenn irgend eine Bestimmung gegen das Gesetz verstoßen würde, diese Bestimmung durch die Gnade des Fürsten zum Gesetze erhoben werde. Der Zusatz war deshalb beigefügt worden, weil Pater Kaleb nur das Kirchenrecht, Jurand aber, dem Kampf und Krieg einzig und allein im Sinne gelegen war, nur die ritterlichen Gesetze kannte. Allein nicht nur Zbyszko las der Priester das Dokument vor, sondern auch den ältesten Mannen der Besatzung von Spychow, die sofort den jungen Ritter als Erben anerkannten und ihm Treue und Gehorsam gelobten.

Sie hofften auch, daß Zbyszko unverweilt mit ihnen zur Rettung ihres alten Gebieters ausziehen werde und freuten sich darob, denn tapferen Sinnes, sehnten sie sich stets nach Kampf und Krieg, und warmen Herzens hingen sie Jurand an. Große Betrübnis ergriff daher alle, als sie vernahmen, daß sie in Spychow bleiben sollten, daß ihr junger Gebieter nur mit einem kleinen Gefolge und nicht eines Krieges wegen, nein, nur um Klage zu erheben, nach Marienburg ziehen wolle. Diesen ihren Kummer teilte der Böhme Glowacz, wenngleich er andererseits hocherfreut war über die bedeutende Vermehrung von Zbyszkos Besitztümern.

»Hei, keiner wird sich so darüber freuen wie der alte Herr aus Bogdaniec!« rief er. »Auch hier würde er zu schalten und zu walten wissen! Was aber ist Bogdaniec im Vergleich mit einem solchen Erbe!«

Wie fast stets, wenn er sich in einer traurigen oder schwierigen Lage befand, wurde Zbyszko auch jetzt wieder von großer Sehnsucht nach seinem Oheim erfaßt, und sich zu dem Knappen wendend, sagte er ohne langes Ueberlegen: »Was hast Du hier so unnütz umherzusitzen. Du gehst nach Bogdaniec und überbringst ein Schreiben.«

»Wenn ich Euch, gnädigster Herr, doch nicht begleiten darf, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dorthin zu kommen!« antwortete der Böhme hoch erfreut.

»Entbiete Pater Kaleb zu mir. Er soll der Wahrheit gemäß alles berichten, was sich ereignet hat. Der Ohm aber kann sich das Schreiben von dem Probst aus Kresno oder von dem Abte vorlesen lassen, falls sich letzterer in Zgorzelic befindet.«

Da mit einem Male strich sich Zbyszko über seinen keimenden Schnurrbart und fügte nachdenklich und wie zu sich selbst redend, hinzu: »Traun! Der Abt!«

Wie mit einem Zauberschlage heraufbeschworen, stand Jagienka vor seinem geistigen Auge – blauäugig, dunkelhaarig, frisch wie eine junge Hindin, allein mit thränenüberströmten Wangen. Kummervoll rieb sich der junge Kämpe etliche Minuten die Stirn, dann jedoch murmelte er, wie um sich selbst zu beruhigen: »Gar betrübt wird das Mägdlein sein, doch auch mich bewegt dies alles sehr!«

Mittlerweile war der Priester Kaleb in das Gelaß getreten und hatte sich zum Schreiben niedergesetzt. Zbyszko sagte ihm Wort für Wort vor und gab eine ausführliche Schilderung von all dem, was sich seit seinem Eintreffen in dem Jagdhofe ereignet hatte. Auch nicht die kleinste Einzelheit verschwieg er, sagte er sich doch, wie beglückt der alte Macko durch einen genauen Einblick in all diese Verhältnisse sein werde. Bogdaniec konnte ja in der That mit Spychow, diesem ausgedehnten und reichen Besitztum nicht verglichen werden, und der junge Kämpe wußte sehr wohl, welchen Wert sein Oheim auf Reichtum legte.

Nachdem nach großer Mühe und Anstrengung der Brief beendet und mit einem Siegel geschlossen war, beschied Zbyszko aufs neue seinen Knappen zu sich, um ihm das Schreiben mit den Worten zu übergeben: »Vielleicht kehrst Du mit dem Ohm hierher zurück. Große Freude würde mir dies bereiten.«

Doch über die Züge des Böhmen flog es wie ein Schatten. Unschlüssig trat er von einem Fuße auf den andern, wobei er so verlegen darein schaute, daß der junge Ritter sagte: »Hast Du mir noch etwas mitzuteilen, so rede!«

»Ich möchte noch eines wissen, gnädigster Herr! Ich möchte wissen – nun – was soll ich antworten, wenn ich von verschiedenen Leuten befragt werde –«

»Von verschiedenen Leuten?«

»Ich meine damit nicht die Bewohner von Bogdaniec, sondern die aus der Nachbarschaft. Sicherlich werden sie alles wissen wollen.«

Daraufhin schaute Zbyszko, der längst beschlossen hatte, nichts mehr geheim zu halten, seinen Knappen scharf an, indem er entgegnete: »Bei Dir handelt es sich nicht um verschiedene Leute, sondern einzig und allein um Jagienka aus Zgorzelic.«

»Nur um sie, o Herr!« ließ sich der Böhme vernehmen, während tiefe Röte mit tödlicher Blässe auf seinem Antlitz wechselte.

»Weißt Du denn, ob sie sich nicht schon mit Cztan aus Rogow oder mit Wilk aus Brzozow vermählt hat?«

»Jagienka hat sich mit keinem der beiden vermählt!« warf Hlawa in bestimmtem Tone ein.

»Wenn aber der Abt darauf bestanden haben sollte?«

»Der Abt hat sich noch stets dem Willen des Jungfräuleins gefügt.«

»Was willst Du also wissen? Erzähle ihr die Wahrheit wie allen andern.«

Sich vor dem jungen Ritter neigend, entfernte sich der Knappe in gedrückter Stimmung.

»Wollte Gott,« murmelte er vor sich hin, an Zbyszko denkend, »sie könnte Deiner vergessen! Wollte Gott, sie fände einen besseren Ehegemahl als Dich! Doch wenn sie Deiner auch nicht vergessen hat, was schadet das ihr? Wohl bist Du vermählt, doch Dein Eheweib ist Dir fern, ja, vielleicht ist es der Wille Gottes, daß Du Danusia verlierst, bevor Du die Ehe vollzogen hast!«

So groß nun auch die Treue war, mit der Hlawa dem jungen Ritter anhing, so groß das Mitleid war, das er für Danusia empfand, liebte er doch Jagienka über alles in der Welt. Seit er daher vor dem letzten Kampfe in Ciechanow von der Vermählung Zbyszkos vernommen hatte, trug er Schmerz und Bitterkeit im Herzen.

»Gebe Gott, daß Dir Danusia verloren ist!« murmelte er abermals vor sich hin.

Nach und nach regten sich aber doch mildere Gedanken in ihm, denn als er zu seinem Pferde trat, sagte er: »Gelobt sei Gott dafür, daß ich die Knie meiner Herrin umfassen darf!«

Von fieberhafter Ungeduld ergriffen, konnte Zbyszko kaum den Augenblick des Aufbruchs erwarten, war doch sein ganzes Sinnen und Trachten auf Danusia und Jurand gerichtet. Er litt geradezu Qualen, allein es blieb ihm nichts übrig, als wenigstens eine Nacht in Spychow zu verbringen, teils aus Rücksicht für Herrn de Lorche, teils wegen der Vorbereitungen, die eine solch lange Fahrt erforderte. Außerdem war er selbst durch den Kampf, die Erregung, den Mangel an Schlaf und durch den unaufhörlichen Kummer aufs tiefste ermattet. So warf er sich denn, freilich in später Nacht, auf das harte Lager Jurands, in der Hoffnung, daß ihn ein kurzer Schlaf erquicken werde. Bevor er indessen einschlummerte, klopfte Sanderus an die Thüre und trat zu ihm in die Kemenate.

»O Herr!« begann er, sich tief verneigend, »Ihr habt mich vom Tod errettet, bei Euch habe ich ein menschenwürdigeres Dasein geführt als je zuvor. Gott hat Euch mit einem gewaltigen Besitztum bedacht, Euch großen Reichtum verliehen, denn die Schatzkammer in Spychow ist nicht leer. Gebt mir eine volle Geldkatze, und ich will trotz der mir dabei drohenden Gefahr von Burg zu Burg in Preußen ziehen und sehen, ob ich Euch nützen kann.«

Wenn Zbyszko seiner ersten Regung gefolgt wäre, hätte er Sanderus aus der Stube gewiesen, kaum aber hatte er dessen Worte vernommen, zog er aus einer neben dem Lager stehenden ledernen Tasche für die Reise einen großen Beutel, warf diesen dem Sprechenden zu und sagte: »Hier nimm, und nun gehe! Bist Du ein Schurke, wirst Du mich betrügen, bist Du ehrlich, kannst Du mir nützen.«

»Gar schlau weiß ich die Menschen zu betrügen,« erklärte Sanderus, »Euch aber betrüge ich nicht, o Herr, Euch diene ich ehrlich.«


 << zurück weiter >>