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Siebentes Kapitel.

Aber sie trocknete ihre Thränen und forderte den Böhmen auf, ihr zu Jurand zu folgen und ihm die neue Kunde mitzuteilen. Sie trafen ihn in einer großen Stube, wo er aufrecht dasaß; Pater Kaleb, Anielka und der alte Tolima befanden sich bei ihm, eine zahme Wölfin lagerte zu seinen Füßen. Der Meßmer des Ortes, welcher zugleich Psalmist war, spielte auf der Laute und trug ihnen Gesänge von den ehemaligen Kämpfen Jurands mit den Kreuzrittern vor, und, den Kopf in die Hand gestützt, lauschten alle, in tiefe Betrachtungen und Trauer versenkt. Das Gemach war hell vom Monde beleuchtet. Einem beinahe schwülen Tage war ein stiller, warmer Abend gefolgt, die Fenster standen offen und im Scheine des Mondes waren die in der Stube umherschwirrenden Maikäfer zu sehen, welche von den Lindenbäumen draußen hereinkamen. Auf dem Herde glimmten noch einige Holzscheite, auf denen ein Knecht einen aus Honig, stärkendem Wein und duftenden Kräutern gemischten Trank wärmte.

Der Psalmist, oder vielmehr der Meßmer und Diener des Pater Kaleb, stimmte gerade einen neuen Gesang an von einem siegreichen Treffen: »Es reitet Jurand, er reitet dahin, unter ihm sein braunes Roß«, als Jagienka eintrat und sagte: »Gelobt sei Jesus Christus!«

»Von Ewigkeit zu Ewigkeit!« antwortete Pater Kaleb.

Jurand saß auf einer Bank, die Arme auf die Lehne gestützt; als er Jagienkas Stimme hörte, wendete er sich sogleich zu ihr und grüßte sie mit einem Neigen seines Hauptes, das ganz weiß geworden war.

»Zbyszkos Knappe ist von Szczytno zurückgekehrt,« begann das Mägdlein, »und neue Kunde bringt er von dem Kaplane. Macko wird nicht hierher zurückkehren, zu Knäs Witold hat er sich aufgemacht.«

»Wie, er wird nicht zurückkehren?« fragte Pater Kaleb.

Nun erzählte sie alles, was sie aus Hlawas Munde vernommen hatte.

Sie erzählte von Zygfryd, wie er sich für den Tod Rotgiers rächte, von Danusia, welche der alte Komtur zu Rotgier bringen wollte, damit dieser das Blut der Unschuldigen trinke, und davon, wie Jurands Tochter unerwarteterweise durch den Henker beschützt worden war. Sie verschwieg auch nicht, daß Macko jetzt die Hoffnung hege, im Verein mit Zbyszko könne er Danusia finden, sie befreien und nach Spychow bringen. Aus diesem Grunde habe er sich sofort zu Zbyszko begeben und ihnen befohlen, in Spychow zu bleiben.

Während sie sprach, bebte ihre Stimme wie vor Traurigkeit und Kummer, und als sie geendigt hatte, herrschte eine Weile tiefes Schweigen in dem Gemache. Nur in den Lindenbäumen draußen im Hofe erscholl der Schlag der Nachtigallen, der durch die offenen Fenster in die Stube drang und sie mit süßem Klang erfüllte.

Aller Augen richteten sich auf Jurand, der mit gesenkten Lidern und gebeugtem Haupte dasaß und nicht das geringste Lebenszeichen von sich gab.

»Habt Ihr gehört?« fragte ihn schließlich Pater Kaleb.

Und er senkte den Kopf noch tiefer herab, erhob den linken Arm und deutete mit der Hand gen Himmel.

Das Licht des Mondes fiel auf sein Gesicht, auf seine weißen Haare, seine geschlossenen Augenlider, und aus diesem Gesichte sprach ein solches Martyrium, doch zugleich auch solch eine unendliche Ergebung in den Willen Gottes, daß allen dünkte, sie sähen nur eine von irdischen Banden befreite Seele vor sich, welche sich jetzt und für immer vom Leben losgelöst hatte, nichts mehr erwartete und nichts mehr erhoffte.

Wieder folgte tiefes Schweigen und wieder war nichts zu hören, als der Gesang der Nachtigallen, der den Hof und das Gemach erfüllte.

Da überkam Jagienka plötzlich großes Mitleid, etwas wie kindliche Liebe rührte sich in ihrem Herzen für den unglücklichen alten Mann, und unwillkürlich ihrem Impulse folgend, eilte sie auf ihn zu, ergriff seine Hand, küßte sie und benetzte sie mit ihren Thränen.

»Ich bin eine Waise!« rief sie aus der Tiefe ihres überströmenden Herzens, »ich bin kein Jüngling, sondern Jagienka aus Zgorzelic. Macko hat mich mitgenommen, um mich vor schlechten Menschen zu schützen, aber nun bleibe ich bei Euch, bis Gott Danusia zu Euch zurückführt.«

Jurand zeigte nicht die geringste Verwunderung, gerade wie wenn er geahnt hätte, daß er ein Mägdlein vor sich habe, er zog sie an seine Brust, während sie, unaufhörlich seine Hand küssend, in abgebrochenen Lauten mit thränenerfüllter Stimme fortfuhr: »Ich bleibe bei Euch, und Danusia wird zurückkehren. Dann werde ich nach Zgorzelic gehen ... Gott wacht über die Waisen! – Mir haben die Räuber den Vater erschlagen, aber Euer Liebling ist am Leben und kehrt zurück. Gebe dies Gott der Allbarmherzige, gebe dies die heilige Gottesmutter, die Erbarmungsreiche!«

Nun kniete Pater Kaleb nieder und rief in feierlichem Tone: » Kyrie eleison

» Christe eleison!« antworteten der Böhme und Tolima im Verein.

Alle warfen sich auf die Knie nieder, denn alle sagten sich, diese Litanei werde nicht beim Herannahen des Todes, sondern zur Errettung geliebter Wesen aus Todesgefahr gesprochen. Auch Jagienka kniete nieder, Jurand glitt von der Bank herab auf die Knie und im Chore riefen sie: » Kyrie eleison! Christe eleison! Gott, Vater vom Himmel – erbarme Dich unser. Gott, Sohn, Erlöser der Welt – erbarme Dich unser!«

Die Stimmen der Menschen und ihr flehentlicher Ruf: Erbarme Dich unser! vereinigte sich mit dem wehmütigen Gesang der Nachtigallen.

Plötzlich erhob sich die zahme Wölfin von dem vor Jurands Bank liegenden Bärenfell, näherte sich dem offenen Fenster, stemmte sich mit den Vordertatzen gegen die Brüstung und ihre dreieckige Schnauze zum Monde erhebend, begann sie leise und kläglich zu heulen.

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