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Die Mutter und ihre beiden kleinen Mädchen.

D Die Tante pflegte zu sagen, Mutter habe ihre beiden kleinen Mädchen in einen stillen sonnigen Winkel hineingesetzt, wo sie kein Lüftchen treffen könne, und dort stehe sie überdies noch selbst mit ausgebreitetem Kleiderrock dicht davor, damit die Kleinen nicht hervorlugen könnten, und damit die ganze Welt von ihnen abgehalten werde.

In diesem Ausspruch lag etwas Wahres. Aber die liebe Mutter konnte eben diese Welt für ihre eigenen lieben Mädelchen niemals gut genug finden. In Beziehung auf sich selbst hatte die gute Mutter indes nie etwas daran auszusetzen gehabt; sie war in ihrer Jugend eine gesunde und fröhliche Natur gewesen, voller Erwartung, ihren Teil am Leben zu bekommen, und ganz bereit, alle die Stöße auszuhalten, die dieses Leben nun einmal jedem versetzt. Als sie sich dann verheiratete – mit dem Vater, der so schön und so unruhig gewesen war, und der neben dem, was ihm oblag, immer noch etwas anderes gewollt hatte – da war Mutters Lebensschifflein durchaus nicht von einer sanften Brise auf dem Meere des Schicksals dahingetragen worden. Aber sie blieb trotzdem frisch und froh, nahm die Dinge, wie sie waren, und grübelte nie darüber nach, ob es auch anders hätte sein können.

Erst nachdem sie Witwe geworden war und in ihrem schwarzen Trauerkleid allein daheim saß, mit einer merkwürdig schweigenden Ruhe um sich her, da erst stiegen allerlei Gedanken in Mutters Herzen auf, besonders wenn ihr Blick auf den beiden runden Köpfchen ruhte, die zu ihren Füßen in kindlichem Spiele auf- und niedertauchten.

Und da erschien ihr alles auf der Welt, ach, so verkehrt, so beängstigend, so drohend!

Und dann sah sie keinen andern Ausweg, als ihre beiden kleinen Lieblinge von dieser Welt abgesondert zu halten, so lange und so vollständig, als es nur immer möglich wäre.

Deshalb war Mutter auch immer um sie, früh und spät. Beim Aufstehen und beim Schlafengehen, beim Spiel und beim Lernen, auf dem Weg zu der kleinen Privatschule und wieder nach Hause, in die Turn- und Tanzstunde, auf der Schlittschuhbahn und beim Spazierengehen, immer und überall war die Mutter bei ihnen.

Mutter ging auch nie zu irgend einem Vergnügen, wie die Mütter der vier bis fünf andern kleinen Mädchen, mit denen ihre Töchterchen die Schule besuchten: nie ging sie in Gesellschaft, nie ins Theater oder in ein Konzert. Es war fast, als sei sie bange, die Welt stehe lauernd vor ihrer Türe, gerade wie der Wolf im Märchen, der die sieben Geißlein gefressen hatte, und der sofort anklopfen und zu ihren beiden Zicklein hineinschlüpfen könnte, sobald sie den Rücken gedreht hätte.

Nein, sie saß bei ihnen daheim und nähte mit ihren fleißigen Fingern alles selbst, was ihre Mädelchen auf dem Leibe trugen. Jeder Stich konnte von Mutters Fürsorge und Liebe erzählen. Sie selbst trug jetzt fast immer schwarze Kleider; aber die hellen, frohen Gewänder der alten Tage wurden eines nach dem andern hervorgenommen und für die beiden Kleinen umgenäht, die immer wie aus dem Schächtelchen angezogen waren und sich gleich sahen wie ein Ei dem andern.

Da sie nun von einer so treuen, immer wachen Fürsorge gleichsam wie in Schwanenflaum gebettet waren, wurde auch in ihren Kinderherzen jene Zärtlichkeit hervorgelockt, die sich bei einer harten Erziehung so leicht fürs ganze Leben abstumpft. Und diese Zärtlichkeit war nicht nur in ihrem Verhältnis zur Mutter, sondern auch gegen einander vorhanden, trotz aller kleinen Reibereien, die ja nicht ausbleiben können.

Tante Lene sagte, Mutter fange das sehr verkehrt an; so viel habe sie von der abgesonderten und hermetisch eingeschlossenen Erziehung, die sie selbst erhalten hätte, gelernt, daß ihr eigenes lang aufgeschossenes Mädel seine volle Freiheit haben solle; sie dürfe in eine große Schule gehen, wo sie sich mit vielen anderen herumtummeln und die Welt bald kennen lernen könne, und sie dürfe auch ihrer eigenen Natur folgen und ihre eigenen Wege gehen. So wie Mutter ihre beiden kleinen Mädchen erziehe, würden sie einfach Puppen, oder kämen später erst recht auf Abwege.

Das war sehr sonderbar, gerade von der Tante, die sonst recht lieb und gut war und gerne lachte; aber sie hatte auch viel von ihrem Manne, dem Onkel Wilhelm, angenommen, der freisinnig war. Sonst hätte sie ja einsehen müssen, daß mit der Welt – ja, daß kleine Mädchen durchaus nichts mit der Welt zu tun haben sollten.

Dafür hatten unter anderem die Realisten gesorgt. So hießen nämlich einige Menschen, die in der Zeit, wo Mutter noch ganz jung war, aufgetreten waren und sich alle Mühe gegeben hatten, die Welt so häßlich wie nur möglich darzustellen. Das war nun einmal deren Vergnügen gewesen.

Vor jener Zeit war die Welt noch ganz anders gewesen – viel schöner und viel poetischer! Aber jetzt mußte man sie sich, so lange es nur anging, drei Schritt vom Leibe halten.

Und wenn die Nacht herankam, dann schlief Mutter zwischen ihren beiden süßen Mädelchen in dem großen Bett – auf jeder Seite eines, damit sie auch da noch über sie wachen und einen bösen Traum sogleich verscheuchen könnte, falls sich einer zu ihnen hinschlich, und um die erschreckten Händchen beruhigend in ihren großen halten zu können.

Großmutter Ursula sagte, so müsse es sein, so gehöre es sich. Und sie hatte meistens recht – mehr als alle andern Menschen.

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