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XIV.
Der Wasserfall

So wie manchmal bei den Menschen eine Zeitlang absonderliche Modetorheiten überhandnehmen, so kann auch eine ganze Tierart in den Bann einer krankhaften Neigung geraten. In diesem Jahre schien jeder normale Grisly der Sierren von der Sucht nach Ochsenfleisch besessen zu sein. Lange hatte man sie als eine wurzelfressende, beerenrupfende und in ungereiztem Zustande harmlose Art gekannt, aber nun schienen sie in Masse zu den Tierfarmen hinabzusteigen und sich ausschließlich von Fleisch zu nähren.

Einen Viehbestand nach dem andern griffen sie an, und es hatte den Anschein, als wäre das ganze Land unter Bären von unglaublicher Größe, Schlauheit und Mordsucht verteilt. Die Viehzüchter boten Prämien, gute, steigende, zuletzt sehr hohe Prämien, aber die Bärenplage hielt an. Sehr wenige wurden erlegt, und in etwas rohem Scherz fing man an, die Viehherden nicht mit ihrem Brandzeichen, sondern nach dem Grisly, der dort sein Absteigequartier hatte, zu benennen.

Wunderbare Geschichten erzählte man sich von den verschiedenen Bären des neuen Geschlechts. Der schnellste war Eilfuß, der Schlächter von Placerville, der aus einem dreißig Meter entfernten Dickicht losbrach und einen Stier packte, ehe er sich wenden und davonrennen konnte, und der sogar Ponys im Freien einholte, wenn sie keine Renner waren. Der schlauste von allen war Hellauf, der mit Vorliebe Rassevieh tötete und einen Merinowidder oder eine weißstirnige Herefordkuh aus fünfzig Stück aussuchte, der jede Nacht ein neues Rind schlug und nie zu dem Opfer zurückkehrte und darum auch nie zum Fallenlegen oder Vergiften Gelegenheit gab.

Leisetritt vom Federfluß bekam kaum je einer zu Gesicht; geheimnisvoller Schrecken schwebte um ihn. Er kam und würgte bei Nacht. Schweine waren seine Leibspeise, aber auch Menschen hatte er oft angefallen.

Aber Pedros Gringo-Grisly war der allerwunderbarste: »Hassayampa« – das war des Schäfers Spitzname – kam eines Abends in Kellyans Hütte.

»Ich sag' dir, er ist noch da. Tausend Schafe hat er mir umgebracht. Du hast mir gesagt, du machst 'n tot; du hast's nicht getan. Er ist größer als der Baum da. Er frißt bloß Schafe, viel Schafe. Ich sag' dir, er ist der Deibel, der Bärendeibel. Ich habe drei Kühe, zwei fette und eine magere. Er packt und erschlägt die fetten, die magere läuft fort. Er wälzt sich im Staub, macht groß Staub. Kuh kommt und guckt, was macht Staub; er fängt se und macht se tot. Der Bärendeibel kaut Fichtenholz, ich kenn'n an seinem abgebrochenen Zahn. Er scheuert sich Gesicht und Nase mit Fichtenharz, denn stechen 'n die Bienen nicht, und er frißt alle Bienen auf. Er ist immer 'n Deibel. Er frißt Haufen von fauligen Manzanillabeeren, bis er benebelt ist; dann wird 'r toll und schlägt die Schafe zum Spaß tot. Er kriegt den großen Ochsen an der Schnauze und zerrt 'n zum Spaß wie 'ne Ratte. Er macht Kuh und Schafe tot und auch Faco nur zum Spaß. 'n Deibel ist 'r. Du hast versprochen, ihn tot zu machen; du kriegst 'n nie tot.«

Das ist ein Auszug aus Pedros aufgeregter Erzählung.

Und da war noch ein Grisly – der große Bär, dessen Revier von Stanislaus bis Merced reichte, der » Monarch des Gebirges«, wie man ihn genannt hatte. Man glaubte, nein, man wußte, er war der größte lebende Bär, ein Geschöpf von übernatürlicher Geisteskraft. Er schlug Kühe der Nahrung wegen und jagte die Schafe oder bezwang Zuchtstiere zum Vergnügen. Ja, fand sich irgendwo ein außergewöhnlich großer Stier, so hieß es, sicher würde Monarch bald da sein, um sich das Vergnügen zu verschaffen, mit einem würdigen Feinde zu kämpfen. Ein Vertilger von Rindvieh, Schafen, Schweinen und doch nur durch seine Fährte bekannt. Er selbst wurde von niemand gesehen, und bei seinen nächtlichen Streifen schien er mit ausgesuchtem Geschick alle Arten von Fallen zu meiden.

Die Viehzüchter taten sich zusammen und boten eine ungeheure Prämie für jeden auf diesem Gebirgszug erlegten Grisly. Bärenfallensteller kamen und fingen ein paar Tiere, Braune und Zimtbären, aber das Viehmorden hörte nicht auf. Als sie bessere Fallen aus starken Stahl- und Eisenstäben legten, fingen sie endlich einen von den vielgesuchten mörderischen Grisly, Hellauf; ja, und in den Erdspuren lasen sie, wie er am Ende gekommen war und den verhängnisvollen Schritt getan hatte; aber Stahl kann brechen und Eisen sich biegen. Die große Bärenfalle berichtete den Hergang: eine Weile hatte er gegen das harte schwarze Metall, das in seine Pfote biß, gerast und geschäumt, dann hatte er sich einen Felsblock ausgesucht, die Falle daran in Stücke zerschmettert und so seine Pfote frei gemacht. Seitdem wurde er jedes Jahr schlauer, gewaltiger und mörderischer.

Von den ausgesetzten Preisen angelockt, kamen jetzt Kellyan und Bonamy von den Bergen herab. Sie sahen die mächtige Fährte, sie erfuhren, daß das Vieh nicht an allen Orten zugleich geschlagen würde. Sie fanden auch im Staub die Fußeindrücke der verschiedenen Ungetüme in weit voneinander entfernt gelegenen Gegenden, und sie stellten fest, daß alles Vieh in derselben Weise getötet wurde: die Schnauzen aufgerissen und das Genick gebrochen, und sie besichtigten schließlich die Male an den Bäumen, wo die Bären sich mit dem Rücken gerieben und dann sie mit einem gebrochenen Zahn gekerbt hatten, überall auf dem Gebirge das gleiche Bild – und Kellyan erklärte mit ruhiger Sicherheit: »Pedros Gringobär, Leisetritt, Eilfuß, Hellauf und der Monarch des Gebirges sind alle ein und derselbe Bär.«

Der kleine Mann vom Gebirge und der große vom Hügelland machten sich daran, ihn zu erjagen, mit einer Leidenschaft, die, wie der eingedämmte Fluß, durch die Hindernisse nur noch ungestümer wurde.

Keine Art von Fallen genügte für ihn. Stahlfallen zerschmetterte er, keine Blockfalle war stark genug, diesen zottigen Elefanten festzuhalten; an den Köder ging er nicht; niemals fraß er zweimal von demselben Raub.

Zwei kecke Burschen folgten einmal seiner Spur bis zu einer felsigen Schlucht. Da die Pferde scheuten, gingen die beiden zu Fuß hinein, und nie wieder hat man etwas von ihnen gehört. Die Mexikaner hatten eine abergläubische Furcht vor ihm, da sie meinten, er sei gegen den Tod gefeit. So verbrachte er noch ein Jahr in der Viehgegend, jetzt, als »Monarch des Gebirges« bekannt und gefürchtet; nachts mordete er im Freien, und am Tage zog er sich in das anstoßende Hügelland zurück, wo ihn kein Reiter einholen konnte.

Bonamy war ins Unterland abgerufen worden, aber den ganzen Sommer und auch den Winter hindurch – denn Jack hielt keinen Winterschlaf mehr – ritt Kellyan unermüdlich hierher und dorthin, kam aber immer zu spät oder zu früh, um Monarch zu treffen. Fast hätte er's aufgegeben, nicht aus Verzweiflung, sondern aus Mangel an Mitteln, als ein reicher Mann, ein Zeitungsbesitzer aus der Stadt, sich erbot, die Prämie zu vervielfachen, wenn einer Monarch nicht tötete, sondern ihn lebendig brächte.

Kellyan schickte nach seinem alten Genossen, und als verlautete, es seien in der Nacht drei Kühe in der bekannten Weise unweit der Glockenweide getötet worden, sparten sie nicht Roß und Sattel, dorthin zu gelangen. Ein zehnstündiger Nachtritt erschöpfte die Pferde völlig, aber die Männer waren von Eisen, und nach einer Minute hatten sie neue Gäule unter sich. Hier waren die geschlagenen Rinder, dort die gewaltigen Tatzenspuren, die seinen Namen buchstabierten. Kein Hund hätte dem Täter besser nachspüren können als Kellyan. In fünf Meilen Entfernung stand am Fuße der Hügel ein undurchdringliches Dornendickicht. Die große Fährte führte hinein, nicht aber heraus; so saß Bonamy Schildwache, während Kellyan mit der Nachricht zurückritt. – »Sattelt die besten, die wir haben«, rief er.

Man nahm die Flinten herunter und schwenkte Patronengürtel, als Kellyan halt gebot.

»Wißt, Jungens, wir haben 'n sicher genug. Vor Nacht wird 'r die Dornen nicht verlassen. Schießen wir, so kriegen wir die Viehzüchterprämie; fangen wir ihn lebend – und das ist leicht im Freien –, so haben wir den Zeitungspreis zehnmal so hoch. Laßt alle Gewehre weg, Lassos genügen.«

»Warum nicht die Gewehre mitnehmen, daß sie zur Hand sind?«

»Ich kenne meine Leute; sie könnten der Gelegenheit, ihm eins auszuwischen, nicht widerstehen; also lieber keine Gewehre.«

Trotzdem nahmen drei ihre schweren Revolver mit. Sieben tapfere Reiter auf sieben untadeligen Rossen, so ritten sie aus, den Monarchen des Gebirges zu stellen. Noch war er im Dorn, denn es war noch Morgen. Mit Steinen und Geschrei suchte man ihn hinauszutreiben, ohne Erfolg, bis sich der Mittagswind der Ebene erhob, der Luftstrom, der von den Bergen niederrinnt. Dann zündeten sie das Gras an verschiedenen Stellen an, daß eine wogende Flamme und Rauch ins Dickicht drangen. Da krachte es lauter als das Feuer, das Strauchwerk knackte, und aus dem andern Ende stürzte der Bärenmonarch heraus. Schon war er von Reitern umringt, die nicht mit Gewehren, sondern mit den Lederschlangen bewaffnet waren, deren fliegende Schleifen Fesseln oder Tod bedeuten. Die Männer waren ruhig, aber die Pferde schnaubten und schlugen aus vor Angst. Einen kurzen Blick warf der Grisly auf diesen und jenen Reiter, die Pferde beachtete er kaum; dann wandte er sich ohne Hast den befreundeten Hügeln zu.

»Aufgepaßt, Bill, Manuel! Jetzt ist's an euch!«

Drei Reiter von der Farm segelten, schwebten wie Falken dahin, ihre Lassos flogen, sangen, sangen höher, und Monarch, ganz erstaunt, aber schwerlich schon voll Zorn, erhob sich auf die Hinterfüße und schaute von seiner Turmhöhe nieder auf Roß und Mann. Wenn die Kraft des Besiegten, wie man sagt, auf den Sieger übergeht, dann mußte auch in der machtvollen Brust, deren Arme Stiernacken glichen, die Kraft von tausend Rindern wohnen, die er im Kampfe zu Boden gestreckt hatte.

»Herr, was für 'n Bär! Pedro ging nicht so sehr fehl.«

»Sing – sing – sing!« Die Lassos flogen. »Swisch – pät!« eine, zwei, drei fielen nieder, denn bei diesen Männern gab es keinen Fehlwurf, und drei Pferde sprangen darauf los, den Hals des großen Grislys einzuschnüren. Aber schneller als ein Gedanke flogen die gelenkigen Pfoten nach oben; die Riemen wurden abgestreift, und die gespornten Ponys, des Ruckes gewärtig, sprangen ungehemmt davon und zogen die losen Schlingen hinter sich her.

»Hi – Hal! Ho – Lan! Schneidet ihn ab!« ertönte der Ruf, als sich der Grisly, dem der ungleiche Kampf nicht paßte, dem Gebirge zuwandte. Aber ein gewandter Mexikaner in silbergesticktem Gewande ließ seine Lederfessel sausen, ließ sein geübtes Pferd sich schräg stemmen, als die sichere Schlinge über den Grisly niedersank, und hemmte Monarch mit einem schweren Ruck. Mit kurzem, wütendem Schnauben wandte sich das große Tier, seine riesigen Kiefer packten den Strick und zermalmten ihn, wie ein Hund einen Zweig, und das Pony sprang davon.

Nun umkreisten ihn die Reiter, um eine günstige Gelegenheit abzupassen. Mehr als einmal legte sich ihm die Schlinge um den Hals, aber er schlüpfte mit der Schnauze durch, als wär's ein Spiel. Dann wieder ward er am Fuß gefangen, gezerrt und durch das Gewicht zweier starker Pferde fast zu Boden geworfen, und nun schäumte er vor Wut. Es kam ihm die Erinnerung an alte Tage oder wohl eher an das, was er ehemals zu tun pflegte, damals als er lernte, die gellende Meute abzuwehren. Von dem angezündeten Dorndickicht war er weit entfernt, aber ein einzelner Busch war nahe; so setzte er sich mit dem breiten Rücken dagegen und erwartete die ihn umringenden Feinde. – Immer näher trieben sie die geängstigten Pferde, und Monarch saß lauernd da, wie damals den Hunden gegenüber, bis sie fast aneinanderstießen. Da stürzte er wie eine Felslawine los. Was kann dem blitzartigen Angriff eines Grislys entgehen? Die Erde schauerte, als er sich vorwärtsschleuderte, und zitterte, als er zuschlug. Drei Mann, drei Pferde hierhin und dorthin. Der Staub war dick; sie wußten nur, er schlug – schlug – schlug! Die Pferde standen nicht wieder auf.

»Heilige Maria!« erklang ein Todesschrei, und die Reiter stürzten vor, den Bären wegzutreiben. Drei Pferde tot, ein Mann tot, einer halbtot und nur einer gerettet.

»Kräck! Kräck! Kräck!« machten nun die Pistolen, als der Bär seine riesige Gestalt schnell dem befreundeten Hügel zuschaukelte, und vier Reiter, von Kellyan getrieben, folgten ihm schnell. Sie überholten ihn, drehten um und ritten ihm entgegen. Die Pistolen hatten ihn an vielen Stellen verwundet.

»Schießt nicht – schießt nicht; er muß sich ganz erschöpfen«, schrie der Jäger.

»Ganz erschöpfen? Sieh auf Carlos und Manuel dahinten. Wieviel Minuten wird's dauern, bis wir übrigen unten liegen wie sie?« So knallten die Pistolen unablässig, bis alles Pulver verschossen war und Monarch mit geifernden Kiefern vor Wut schäumte.

»Haltet aus! Ruhig Blut!« schrie Kellyan.

Sein Riemen flog, als die mörderische Pfote einen Augenblick aufwärts gerichtet war, und der Lasso fesselte sie am Gelenk. »Sing! Sing!« kamen zwei und legten sich um den Hals. Hat ein Stier seinen starken Klumpfuß in der Schlinge, so ist er sicher gefangen, aber der Grisly hob seine feine, handartige spitzzulaufende Pfote und hatte sie mit einem Ruck frei. Jetzt wurden die beiden Schlingen um seinen Hals angezogen, so daß er sie nicht abstreifen konnte. Die Pferde an den Enden steiften sich gegen den Boden und würgten ihn; die Männer schrien, ritten hin und her und warteten eine neue Gelegenheit ab, als Monarch, beide Pfoten fest aufsetzend, sich stemmte, seine mächtigen Schultern krümmte und trotz der Atembeklemmung an den beiden Riemen zog wie Samson an den Pfeilern des Baalshauses. Die sich sperrenden Pferde samt den Reitern wurden immer wieder vorwärtsgeschleift, tiefe Furchen in den Boden pflügend; und da sie nachgaben, zerrte er sie schneller. Die Augen quollen ihm hervor, und die Zunge hing heraus.

»Vorwärts! Haltet fest!« schrie jemand, bis die Lassowerfer zusammenrückten, um so besser Widerstand zu leisten. Und Monarch, voll wahnsinnigen Hasses, ersah aufs neue seinen Vorteil und schoß wie ein Pfeil vorwärts. Die Pferde sprangen zurück und retteten sich – beinahe, das eine war um einen knappen Zoll zu nahe; die furchtbare Tatze mit den stählernen Dolchen streifte es noch an der Flanke. Wie unbedeutend das klingt! Aber was es in Wahrheit besagt, mag lieber unbeschrieben bleiben.

Die Reiter hatten ihre Riemen vorsorglich losgelassen, und der Monarch schleifte sie brummend, schnaubend und springend bis in das Hügelland, wo er sie in Ruhe abbiß, während der Rest der tapferen Schar ärgerlich murrend zurückritt.

Der Monarch schleifte sich brummend, schnaufend und springend bis in das Hügelland.

Bittere Worte und Verwünschungen gegen Kellyan wurden laut.

»Seine Schuld. Warum ließ er uns nicht die Gewehre mitnehmen?«

»Wir steckten alle drin«, war die Antwort. Dann fielen noch härtere Worte, bis Kellyan rot wurde, seine Ruhe verlor und eine bis dahin versteckte Pistole vorzog, worauf der andere »es zurücknahm«.


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