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IV.
Der Fluß verläuft im Sand

Jack war drollig, Hill war mürrisch. Jack wurde gehätschelt, und man gönnte ihm die Freiheit; so wurde er immer drolliger. Hill wurde geschlagen und angekettet; so wurde ihre schlechte Laune noch schlechter. Man traute ihr nichts Gutes zu und strafte sie deshalb oft; so geht's gewöhnlich.

Als Lan eines Tages nicht daheim war, kam Hill frei und gesellte sich zu ihrem Bruder. Sie brachen in den kleinen Speicher ein und hausten arg unter den Vorräten. Die leckersten Sachen verschlangen sie, und die geringeren, wie Mehl, Butter und Backpulver, die auch mühsam fünfzig Meilen weit zu Pferde hergeschafft worden waren, schienen nur dazu gut, auf dem Boden herumgestreut zu werden. Jack hatte soeben den letzten Sack Mehl aufgerissen, und Hill griff nach einer Büchse mit Dynamit, als sich der Eingang verdunkelte und Kellyan dastand, ein Bild des Staunens und der Wut. Kleine Bären wissen nichts von Bildern, aber die Wut ist ihnen nicht unbekannt. Sie waren sich, schien's, ihrer Sünden oder doch der Gefahr bewußt, und Hill kroch mürrisch und mißmutig in einen dunklen Winkel, von wo sie voll Trotz den Jäger anstarrte. Jack legte seinen Kopf auf eine Seite, dann aber ließ er, ohne weiter an seine Untaten zu denken, ein fröhliches Grunzen hören und auf Lan zueilend, winselte er, reckte sein Näschen und hielt seine klebrigen und fettigen Arme hoch, um aufgehoben und gestreichelt zu werden, als wäre er der beste kleine Bär auf der Welt.

Ach, wie leicht gelten wir doch so viel, wie wir uns selbst einschätzen! Der Zorn schwand von der Braue des Jägers, als der freche kleine Winsler anfing, an seinem Bein emporzuklettern. »Du kleiner Deibel«, grollte er, »ich brech' dir deinen verdammten Hals«, aber er tat's nicht. Er hob die schmutzige, klebrige, kleine Bestie auf und streichelte sie wie gewöhnlich, während Hill, die nicht schlechter, ja, weil weniger erzogen, entschuldbarer war, seine ganze Wut aushalten mußte und an ihren Pfosten doppelt angekettet wurde, damit sie keine weiteren Missetaten mehr begehen konnte.

Jack hielt seine klebrigen und fetten Arme hoch, um aufgehoben und gestreichelt zu werden.

Das war ein Unglückstag für Kellyan. Am Morgen war er gefallen und hatte die Flinte zerbrochen, bei der Heimkehr fand er seine Vorräte vernichtet, und jetzt stand ihm eine neue Versuchung bevor.

Ein Fremder mit drei Packpferden sprach am Abend bei ihm vor und blieb über Nacht. Jack zeigte sich ausgelassener als je und ergötzte die beiden Zuschauer mit seinen Künsten, welche die Drolligkeit und die Gelenkigkeit eines jungen Hundes mit der eines Affen vereinten, und am Morgen, als der Fremde aufbrach, sagte er: »Wie ist's. Ich geb' Ihnen fünfundzwanzig Dollar für das Paar!« Lan zögerte, dachte an seine verlorenen Vorräte, seine leere Börse, seine zerbrochene Flinte und antwortete: »Sagen Sie fünfzig, und wir sind einig!«

»Hand drauf.«

So wurde der Handel geschlossen, das Geld gezahlt, und in fünfzehn Minuten war der Fremde mit einem kleinen Bären in jedem Seitenkorbe verschwunden.

Hill war mißmutig und still. Jack winselte beständig, daß es Lan ins Herz schnitt; aber er wappnete sich dagegen mit dem Gedanken: »Es ist besser, sie sind fort; ich wäre ruiniert, wenn sie mir nochmal die Vorräte plünderten.« Bald war der Fremde mit seinen drei Packpferden und dem Bärenpärchen im Walde verschwunden.

»Na, ich bin froh, daß er fort ist«, schrie Lan, obwohl er wußte, daß ihn schon die Reue gepackt hatte. Er fing an seine Hütte aufzuräumen. Dann ging er in den Speicher und las die Reste seiner Vorräte auf. Schließlich war noch ein gut Teil gerettet. Er schaute hinter die Kiste, wo Jack zu schlafen pflegte. Wie still es war! Er blickte auf die Stelle, wo Jack an der Tür zu kratzen pflegte, um hereingelassen zu werden, und fuhr bei dem Gedanken, daß er es nie mehr hören werde, zusammen und sagte sich mit vielen Flüchen, er sei »mächtig froh darüber.« Länger als eine Stunde polterte er umher und tat – tat – oh, irgend etwas; dann sprang er plötzlich auf seinen Pony und raste auf der Wegspur hinter dem Fremden her. Er trieb sein Pferd so zur Eile, daß er in zwei Stunden den Zug beim Übergang über den Fluß einholte.

»Wissen Sie, ich habe Unrecht getan. Ich hätte die kleinen Bären nicht verkaufen sollen, am wenigsten Jack. Ich – ich will nu, ich muß sie zurücknehmen. Hier ist Ihr Geld!«

»Ich meinerseits bin mit dem Kaufe zufrieden«, sagte der Fremde kühl.

»Aber ich nicht«, sagte Lan mit Wärme, »und ich nehm's zurück.«

»Sie vergeuden Ihre Zeit, wenn Sie darum gekommen sind«, war die Antwort.

»Darüber woll'n wir reden.« Lan warf die drei Goldstücke dem Reiter hin und ging auf den Korb zu, in dem Jack beim Klange der vertrauten Stimme fröhlich winselte.

»Hände hoch!« sagte der Fremde mit dem kurzen scharfen Tone eines Menschen, der das schon öfter gesagt hat, und als sich Lan umwandte, blickte er in den Lauf eines auf ihn gerichteten Revolvers.

»Sie sind mir über«, sagte er; »ich hab' keine Waffe; aber seh'n Se mal, der kleine Bär ist meine einzige Freude. Er ist immer bei mir, und wir sind uns allmächtig gut. Ich wußte nicht, wie sehr ich 'n vermissen würde. Nu seh'n Se hier; nehmen Se Ihre fünfzig Dollars zurück; Sie geben mir Jack und behalten Hill!«

»Für fünfhundert Dollar Metall können Sie ihn haben. Sonst gehn Sie gerade auf den Baum da zu, ohne die Hände zu senken oder sich umzusehen, oder ich schieße. Nu los!«

Die Umgangsformen im Gebirge sind streng gemessen, und Lan, der ohne Waffen war, mußte wohl oder übel gehorchen. Vom Revolver bewacht, ging er zu dem fernstehenden Baum. Jacks Winseln schlug ihm schmerzlich ans Ohr, aber er kannte die Gebirgler und ihr abgekürztes Verfahren zu gut, um sich umzudrehen oder noch ein Gebot zu machen, und der Fremde zog weiter.

Mancher hat schon tausend Dollar an den Fang eines wilden Tieres gewendet und meinte eine Zeitlang, auf seine Kosten gekommen zu sein. Dann war er bereit, es für die Hälfte herzugeben, dann für den vierten Teil, und am Ende schenkte er's weg. Dem Fremden gefielen seine possierlichen Bärlein anfänglich sehr, und er schätzte sie demgemäß. Aber von Tag zu Tag schienen sie ihm lästiger und weniger vergnüglich zu sein, und als man ihm nach einer Woche in der Glockenkreuzfarm für das Pärchen ein Pferd bot, ging er bereitwillig auf den Handel ein, und das Wanderleben hörte für die Bären auf.

Der Eigentümer dieser Viehfarm besaß weder Sanftmut oder Bildung noch Geduld. Als der gutgeartete Jack aus seinem Korbe genommen wurde, kam ihm die neue Sachlage einigermaßen zum Bewußtsein, und er verhielt sich demgemäß; als aber die weniger gefügige Hill aus ihrem Korbe geholt und in ein Halseisen gelegt werden sollte, kam es zu einer so unerquicklichen Szene, daß überhaupt kein Eisen mehr nötig war. Der Farmer trug seinen Arm zwei Wochen lang in der Schlinge, und Jack mußte am Ende seiner Kette den Hof allein durchmessen.


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