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VIII.
Im Cañon brausend

Pedro wußte, daß der große Bär kommen würde, denn die fünfzig Schafe in der kleinen Schlucht konnten nur den Appetit eines solchen Geschöpfes reizen. Wie gewöhnlich lud er sein Gewehr sorgfältig und begab sich hinauf in sein Lager. So mangelhaft auch sonst seine Schlafstätte sein mochte, die Ventilation war gut, und bald schauerte es ihn durch und durch. Voll Neid blickte er auf seinen Hund, der zusammengeknäuelt beim Feuer lag; dann betete er, die Heiligen möchten eingreifen und die Schritte des Bären zur Herde eines Nachbars leiten, und um jedes Mißverständnis zu vermeiden, bezeichnete er diesen Nachbar ganz genau. Hierauf suchte er sich selbst in Schlaf zu beten. Das war ihm doch regelmäßig in der Kirche gelungen, wenn er in der Mission war, warum also nicht auch jetzt? Aber diesmal war es vergebens. Die unheimliche Mitternachtsstunde ging vorüber, dann rückte die graue Morgendämmerung, die Stunde trostloser Verzweiflung, heran. Tampico fühlte es, und ein langer Seufzer fuhr bebend durch seine klappernden Zähne. Der Hund sprang auf und bellte wie toll, die Schafe begannen sich zu regen, dann drängten sie sich in das Düster zusammen – man hörte ihr erregtes Stapfen – und eine mächtige dunkle Gestalt tauchte auf. Tampico griff zum Gewehr und würde geschossen haben, wäre ihm nicht zum schmerzlichen Bewußtsein gekommen, daß der Bär dreißig Fuß hoch sei, seine Plattform aber nur fünfzehn, gerade die rechte Höhe für solch eine Bestie. Nur ein Wahnwitziger konnte den Bären jetzt durch einen selbstmörderischen Schuß zum Angriff reizen.

So warf sich Pedro flach auf den Boden seiner Plattform, mit dem Gesicht nach unten, brachte seinen Mund an eine Spalte und stammelte unaufhörlich Gebete an seinen Fürsprecher im Himmel, er bedauerte zwar, daß er dabei eine so unpassende Haltung einnahm, aber er hoffte von Herzen, man werde es als notgedrungen hinnehmen, und seine Bitten würden von der unteren Seite der Plattform irgendwie die rechte Richtung finden.

Am Morgen erwies es sich, daß seine Gebete gnädige Erhörung gefunden hatten. Eine Bärenfährte war da, ja, aber die Zahl der schwarzen Schafe war noch unverändert; so füllte er seine Tasche mit Steinen und trieb seine Herde weiter, wobei er wie gewöhnlich laut vor sich hinsprach.

Dann rief er: »Auf, Capitan – du Säufer«, als der Hund den Kopf vom Wasser hob. »Bring die abwegigen Söhne der Verdammnis zurück«, und ein Stein bekräftigte den Befehl, den der Hund sofort ausführte. Die große Schar murmelnder behufter Heuschrecken umkreisend, hielt er sie zusammen und in Bewegung, während Pedro stolz und mit lauten Befehlen folgte.

Als sie durch offenes Gelände wanderten, fiel das Auge des Treibers auf eine menschliche Gestalt, die links oben auf einem Felsen saß, Pedro betrachtete den Mann forschend; dieser grüßte und winkte. Das bedeutete »Freund«; hätte er ihn vorwärts gehen sehen, so konnte das bedeuten: »Weg von mir, oder ich schieße.« Pedro ging ein Stückchen auf ihn zu und setzte sich hin. Der Mann kam vorwärts; es war Lan Kellyan, der Jäger.

Jeder von ihnen war froh, mit einem menschlichen Wesen Worte wechseln zu können und Neuigkeiten zu hören. Diese betrafen besonders den Wollpreis, den mißglückten Kampf zwischen Stier und Bär und vor allem den riesigen Bären, der Tampicos Schafe verschlungen hatte. »Oh, ein Bärenteufel, ein Geschöpf der Hölle – ein Gringo-Bär Gringo ist der Spitzname, den die Mexikaner ihren Nachbarn im Norden geben. – verzeih mir, Freund, ich meine, es ist der leibhaftige Schrecken.«

Als der Schäfer nicht genug die wunderbare Schlauheit des Bären rühmen konnte, der sich einen eigenen Schafpferch angelegt habe, und die Größe des Ungeheuers beschrieb, das jetzt schon vierzig oder fünfzig Fuß maß – denn solche Bären wachsen erstaunlich schnell –, blinzelte Kellyan und sagte:

»Sag, Pedro, hast du nicht mal dicht beim Hassayampa gewohnt, wie?«

Das bedeutet nicht etwa, daß dort das Land der großen Bären sei, sondern es war eine Anspielung auf den Volksglauben, daß, wer nur einen Tropfen vom Wasser des Hassayampa getrunken habe, nie mehr ein wahres Wort sprechen könne. Einige Gelehrte sind der Sache nachgegangen und behaupten, diese wunderbare Eigenschaft komme dem Rio Grande ebenso zu wie dem Hassayampa, ja allen mexikanischen Flüssen und gleicherweise den Nebenflüssen, Quellen, Brunnen, Teichen, Seen und Kanälen. Wie dem aber auch sein mag, der Hassayampa ist wegen dieser Absonderlichkeit am besten bekannt. Je weiter aufwärts, desto wirksamer ist seine Kraft, und Pedro stammte aus der Quellgegend. Aber er rief alle Heiligen an als Zeugen für die Wahrheit seiner Geschichte. Er zog eine kleine Flasche mit Granaten heraus, die er auf den Hügeln der Wüstenameisen gefunden hatte, versenkte sie aber wieder in seine Tasche und holte eine andere Flasche hervor, die etwas Goldstaub enthielt, den er ebenfalls in den seltenen Stunden, wo er nicht schläfrig war und die Schafe nicht treiben, tränken, mit Steinen werfen oder ausschimpfen mußte, gefunden hatte.

»Hier, das wett' ich, daß 's wahr is'.«

Gold führt eine laute Sprache.

Kellyan horchte auf. »Ich kann nichts dagegen bieten, aber, Pedro, ich erlege den Bären für den Inhalt der Flasche.«

»Es gilt«, sagte der Schäfer, »wenn du die Schafe von den Felskuppen im kleinen Cañon zurückbringst.«

Des Mexikaners Augen blitzten, als der Weiße auf die Wette einging. Das Gold in der Flasche, zehn oder fünfzehn Dollars, war eine Kleinigkeit und genügte doch, den Jäger auf die Fährte zu bringen, ihn ans Werk zu locken, und weiter war nichts nötig. Pedro kannte seinen Mann: am Gewinn lag ihm wenig, aber hatte er einmal seine Hand an den Pflug gelegt, so zog er die Furche um jeden Preis; ein Zurück gab es für ihn nicht. Und wieder nahm er die Spur des Grisly-Jack auf, der einmal sein Liebling gewesen und nun aus seinem Gesichtskreis entschwunden war.

Der Jäger ging sofort zu der kleinen Felsenschlucht und fand die Schafe noch auf ihren Felswarten. Am Eingang sah er die Überreste von zwei vor kurzem geschlagenen Tieren und dabei die Spuren eines mittelgroßen Bären. Von dem Scheidewege – der Todeslinie –, den der Grisly ausgetreten haben sollte, um die Schafe gefangen zu halten, bis er sie brauchte, sah er nichts. Aber die Schafe standen hier und da in lähmendem Schrecken an erhöhten Stellen und wollten offenbar lieber verhungern als herunterkommen.

Lan zerrte eins herunter; sofort kletterte es wieder hinauf. Er sah nun, wie die Sachen standen; so machte er außerhalb der Schlucht eine kleine Hürde aus Dorngesträuch, zerrte die Schafe einzeln – mit einer Ausnahme – herab und schleppte sie aus der Höhle des Todes heraus in die Hürde. Dann schloß er den Cañoneingang mit einem eilig hergerichteten Zaun, holte die Schafe aus der Hürde und trieb sie langsam dem Reste der Herde zu.

Es waren nur sechs oder sieben Meilen über Land, aber erst spät in der Nacht kam Lan an.

Erfreut gab Tampico die Hälfte des Goldstaubs her. In dieser Nacht lagerten sie zusammen, und es erschien natürlich kein Bär.

Am Morgen ging Lan zum Cañon zurück und fand, wie er erwartet hatte, daß der Bär zurückgekehrt war und das übriggelassene Schaf getötet hatte.

Der Jäger trug den Rest der Schafleichen auf eine offene Stelle zusammen, streute über die Grislyfährte etwas leichtes Reisig, dann errichtete er sich etwa fünfzehn Fuß über dem Boden auf einem Baum eine Plattform, hüllte sich in seine Decke und legte sich schlafen.

Ein alter Bär wird selten einen Platz in drei Nächten hintereinander besuchen; ein schlauer Bär meidet eine Fährte, die über Nacht geändert worden ist; ein geschickter Bär geht völlig geräuschlos. Aber Jack war weder alt, noch schlau und geschickt; er kam das viertemal zum Schafcañon und folgte seiner alten Spur geradeswegs zu den köstlichen Hammelbeinen. Er fand die menschliche Spur, aber die hatte etwas an sich, das ihn eher anzog. Er schritt auf den dürren Zweigen hin. »Kräck« machte einer, »kräck krack« ein zweiter, und Kellyan erhob sich auf seiner Plattform und spähte mit seinen Augen in die finstere Nacht, bis er eine dunkle Gestalt sich auf der offenen Stelle bei den Schafresten bewegen sah. Des Jägers Flinte krachte, der Bär brummte, trollte sich ins Gebüsch und war verschwunden.


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