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I.
Die beiden Quellen

Hoch über die Spitzen der Sierra ragt drohend der Tallacgipfel. Zehntausend Fuß über den Meeresspiegel hebt er sein Haupt, um nordwärts auf den großen wundervollen Türkis zu blicken, den die Menschen Tahoesee nennen, und nordwestwärts über ein Fichtenmeer hin auf seine große weiße Schwester Shasta im Schneegebirge. Rings lauter Wunder an Farben und Gestalten: juwelengeschmückte mastengleiche Fichten, Ströme, die ein Buddhist für geweiht erklärt, Hügel, die ein Araber heilig gehalten hätte. Aber Lan Kellyans Augen schauten nach anderen Dingen aus. Das kindliche Entzücken an Licht und Leben um ihrer selbst willen gab es für ihn nicht mehr, und wie konnte das anders sein bei einem, dessen Ausbildung dahin zielte, sie gering zu achten! Was gilt ihm das Gras? Die ganze Welt ist Gras. Was gilt ihm die Luft, wenn sie sich überall ins Ungemessene dehnt? Was gilt ihm das Leben, wenn er, durch und durch voll Leben, sein Dasein fristet, indem er andern das Leben raubt? Gespannt waren seine Sinne nicht auf die Regenbogenhügel und die kristallklaren Seen, sondern auf die lebenden Wesen, mit denen er im täglichen Ringen ums Leben kämpfte. »Jäger« stand auf seinem Ledergewand geschrieben, auf seinen verwetterten Zügen, auf seiner mageren sehnigen Gestalt, und »Jäger« blitzte es aus seinem klaren grauen Auge.

Den gespaltenen Granitgipfel ließ er unbeachtet, aber er bemerkte einen leichten Eindruck im Grase. Kein Tastzirkel hätte herausgefunden, daß er sich an einem Ende erweiterte, wohl aber des Jägers Auge, und der Richtung folgend, fand er ein weiteres und dann kleinere Zeichen, und nun wußte er, daß ein großer Bär und zwei kleine des Weges gegangen waren und sich noch in der Nähe befanden, denn das Gras war noch im Aufrichten. Lan lenkte seinen Jagdpony auf die Fährte. Er schnaubte und stapfte aufgeregt, denn er wußte so gut wie sein Reiter, daß eine Grislybärenfamilie nahe war. Sie kamen zu einer Terrasse, die in ein offenes Hochland mündete. Zwanzig Fuß davor glitt Lan zur Erde, ließ die Zügel los, für den Pony das wohlbekannte Zeichen, daß er an dieser Stelle stehenbleiben mußte; dann spannte er den Hahn seiner Flinte und erklomm die Höhe. Oben schritt er noch vorsichtiger vorwärts und sah bald eine alte Grislybärin mit ihren beiden Jungen. Sie lag etwa 50 Meter entfernt und bot einen schlechten Schuß; er zielte auf etwas, das ihre Schulter zu sein schien, traf auch gut, verursachte aber nur eine Fleischwunde.

Das Pony sprang entsetzt dahin, während die alte Bärin fast neben ihm lief.

Die Bärin sprang empor und auf die Stelle zu, wo der Pulverdampf aufstieg. Sie kam den Abhang heruntergerannt, als er knapp im Sattel saß, und etwa hundert Meter weit sprang der Pony entsetzt dahin, während die alte Bärin fast neben ihm lief und beim Schlage nach ihm ihn kaum um Haaresbreite verfehlte. Aber selten kann ein Grisly lange schnell laufen. Das Roß griff mächtig aus, und die zottige Alte gab die vergebliche Jagd auf und kehrte zu ihren Jungen zurück.

Sie war ein auffallendes Tier. Auf der Brust hatte sie einen großen weißen Fleck; ebenso glänzten Backen und Schultern in Weiß, das an andern Körperstellen allmählich in Braun überging, und in Lans Erinnerung war sie deshalb eine »Pinte« (Schecke). Diesmal hatte sie ihn beinahe gepackt, und der Jäger meinte, ihr daher einen Groll nachtragen zu müssen.

Nach einer Woche hatte er mehr Glück. Als er am Rande eines kleinen tiefen Taleinschnitts mit meist felsigen Abhängen entlangging, sah er die alte Schecke mit ihren beiden braunen Jungen. Sie kreuzte die Schlucht von einer Seite, wo der Rand niedrig war, nach einer andern leicht erklimmbaren Stelle hin. Als sie stehen blieb, um aus dem klaren Wasser zu trinken, gab Lan Feuer. Bei dem Schuß wandte sich die Schecke ihren Jungen zu und trieb eins nach dem andern mit Klapsen auf einen Baum. Nun traf sie ein zweiter Schuß, und wütend kroch sie in klarer Erkenntnis der ganzen Sachlage und entschlossen, diesen Jäger zu vernichten, den Abhang empor. Verwundet und voll Wut kam sie schnaubend den steilen Abhang hinauf, nur um den letzten Schuß ins Gehirn zu erhalten; sie rollte zurück und blieb tot auf dem Boden des Engtals liegen. Nachdem der Jäger vorsichtigerweise eine Weile gewartet hatte, schritt er an den Rand und sandte noch eine Kugel in den Körper der Alten; dann lud er wieder und ging langsam zu dem Baum, auf dem sich noch die Jungen befanden. Sie starrten ihn beim Näherkommen wild und ängstlich an, und als er anfing, hinaufzuklettern, krochen sie höher. Hier ließ das eine ein klägliches Winseln, das andere ein zorniges Heulen hören, und zwar immer lauter, je näher er ihnen kam.

Er zog einen starken Strick heraus, und nachdem er ihnen Schleifen umgelegt hatte, zerrte er sie herunter. Das eine stürzte sich auf ihn und hätte ihn, obwohl wenig größer als eine Katze, sicher ernstlich verletzt, wenn er es nicht mit einem Gabelstock ferngehalten hätte. Er band sie an einen starken, grünen Ast, ging zu seinem Pony, holte einen Getreidesack, steckte sie darein und ritt so beladen zu seiner Hütte. Dort befestigte er jedes Junge mit Reifen und Kette an einen Pfosten, auf den sie kletterten und auf dem sie sitzend winselten und heulten. In den ersten paar Tagen bestand die Gefahr, daß die Jungen sich erdrosselten oder die Annahme von Nahrung verweigerten, aber schließlich ließen sie sich bewegen, etwas Milch zu trinken, die man einer dazu mit dem Lasso eingefangenen Kuh etwas gröblich abgenommen hatte. Eine Woche später schienen die Gefangenen mit ihrem Lose einigermaßen ausgesöhnt und gaben es ihrem Pfleger kund, wenn sie Futter oder Wasser haben wollten.

Und so rannen die beiden kleinen Bächlein den Berg nun etwas weiter hinab, tiefer und breiter, dicht beieinander. Sie hüpften über Steinriegel und freuten sich im Sonnenlicht; ein kleiner Damm hielt sie wohl eine Weile auf, aber bald überspülten sie ihn und sprangen weiter zu Teichen und Tiefen, die Größeres bargen.


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