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VIII.
Sonderlich Wichtiges

422.  Wo immer du auch seist, sage dir dieses: » Alles, was um mich herum vorgeht, kann auch gespielt sein.« Dann wirst du gesund bleiben und es dir wohl ergehen auf Erden.

423.  Auch ein Rauchfangkehrer kann ein Fumist sein. Und jeder immer alles.

424.  Den Verdacht, einen Schurken vor sich zu haben, hält der Bürger sofort für einen hinreichenden Grund, jenem gegenüber sich schurkisch verhalten zu dürfen. Sei deshalb, falls du in solchen Verdacht gerätst, doppelt vor denen auf der Hut, welche die Gerechtigkeit und Ordnung handhaben.

425.  Es gibt eine Art von Vogelfreiheit, die du erst erlebt haben mußt, um zu wissen, was dir droht, wenn du nicht rechtzeitig aufhörst, den Staat für moralisch zu halten.

426.  Erblickst du immer wieder jemanden hinter dir, so achte darauf, ob er wie ein wenig gehemmt dahinschlendert, sein Stehenbleiben vor Auslagen leicht gequält wirkt, seine Hände auffallend bewegungslos sind und gleichwohl jede Gelegenheit ergreifen, sich maßvoll zu betätigen. Ist es so, dann ist es – kein Bewunderer.

427.  Ein guter Degen freut sich über einen ebenbürtigen Gegner. Ein Spezialist macht einem besseren Schmutzkonkurrenz. Die (je nun) – Beamten aber, denen du dich nicht blindlings unterwirfst, zeigen Giftzähne und beißen dich von hinten.

428.  Tritt der Kutscher des Wagens, den du bestiegen hast, ohne ersichtlichen Grund hinter ihn, so pißt er oder gibt jemandem dein Fahrziel an.

429.  Wenn du nach dem Verlassen der Wohnung, vor der du das Taxi hast warten lassen, bemerkst, daß die Glasscheibe, die dich von dem Chauffeur trennte, heruntergelassen wurde, so nimm sofort ein anderes. Dies tue auch, wenn du in solch einem Fall plötzlich den Chauffeur nicht wiedererkennst.

430.  Grinst der Inhaber eines Ladens, den du öfter betrittst, plötzlich bei deinem Anblick, so hat er irgend etwas über dich erfahren oder man hat ihn vor dir gewarnt.

431.  Achte stets auch auf die kleinsten Veränderungen im Verhalten der Menschen, mit denen du täglich in Berührung kommst. Das überfeine Barometer, das du dir so schaffst, kann dir eine Gefahr rechtzeitig anzeigen.

432.  Wer das Publikum in seine Absicht einweiht, den verrät es. Und sei es durch das Heben des kleinen Fingers.

433.  Gehe nicht zu Masseusen, es sei denn, du willst dich massieren lassen. Andernfalls kann es dir widerfahren, bei dieser Gelegenheit beobachtet und photographiert zu werden. Handelt es sich nur um gewöhnliche Voyeurs oder Geheim-Editeurs, kannst du dir die Hände reiben. (Aus denselben Gründen meide Bordelle.)

434.  Bemerkst du in einem Lokal eine Visage, die alle Anwesenden auffällig beobachtet, so sei sehr darauf bedacht, daß diejenigen Personen, welche in Hörweite sitzen, dich nicht sprechen hören. Jene Visage ist lediglich zu deiner Irreführung da.

435.  Wechseln an den Nebentischen die Gäste mit ungewöhnlicher Schnelligkeit, so schweige oder verlasse das Lokal.

436.  Setzt ein Herr, einen ganz jungen Hund im Arm, sich neben dich, so hüte deine Zunge und dich davor, mit diesem Hund Bekanntschaft zu schließen.

437.  Liest dir gegenüber in einem Lokal ein Herr so unablenkbar Zeitung, daß du dich wunderst, so blicke auf, wenn du dem Kellner zahlst. Schaut in diesem Augenblick jener Zeitungsleser dir auf die Finger, wirst du dich wohl nicht mehr wundern.

438.  Vielleicht hast du einmal, aus irgendeiner phantastischen Stimmung heraus, den Typus der alten pfiffigen Negerin gepriesen. Ist er drei Tage später in deiner Umgebung aufgetaucht, so hat kein Zufall obgewaltet.

439.  Wechseln, kurz nachdem du Stammgast geworden bist, zwei oder drei Kellner des Lokals, so ist es eine dir erwiesene Aufmerksamkeit.

440.  Beginnst du plötzlich, morgens statt Kaffee Tee mit Rotwein zu trinken, und drei Tage später empfiehlt dir ein neuer Bekannter, der es nicht wissen kann, einen besonders delikaten, von ihm selbst erfundenen Weinzusatz zum Tee, so lasse diesen Patron unverzüglich stehen.

441.  Sitzt dir im Café jemand gegenüber, ohne dich während einer Stunde auch nur einmal anzublicken, so muß er ebenso deinen Verdacht erregen wie einer, der dich immer wieder mit unverhohlener Offenheit anlächelt. Ein Harmloser lenkt in dieser Zeit etwa sechsmal ruhig und kurz den Blick auf dich. (Auch das könnte allerdings gemacht sein; es wird aber auffallender Weise nicht gemacht.)

442.  Kannst du nicht umhin, eine Frau auf der Straße anzusprechen, so lasse es dir erst in zweiter Hinsicht angelegen sein, heraus zu bekommen, ob du eine Dame oder eine Hure vor dir hast. In erster Hinsicht versuche dir klar darüber zu werden, ob ihre Fragen ebenso unverdächtig sind wie ihre Antworten.

443.  Willst du ganz sicher sein, daß niemand hört, was du sagst, so meide jedes Lokal und jede Straße. Wähle eine freistehende Bank im Freien.

444.  Halte jedes Ohr, das in Hörweite ist, für ein feindliches. Wehe dir, wenn du dir sagst: »Ach, das ist doch nur ein alter Mann. «

445.  Bist du, während du gelogen hast, belauscht worden, so sei überzeugt, daß selbst ein sehr kluger Kopf nur deshalb alles für wahr hält, weil er es erlauscht hat.

446.  Nimm immer an, daß die Wände Ohren haben.

447.  Habe niemals volles Vertrauen zu einem Advokaten. Sie haben so viel mit den Behörden zu tun.

448.  Vergiß nie, daß auch der angesehenste Mann den Mächtigen sich gerne gefällig erweist.

449.  Sucht einer, der wohl weiß, daß du nur vormittags anzutreffen bist, nachmittags dich zweimal (selbstverständlich vergeblich) auf und kommt dann erst vormittags, so sei auf der Hut.

450.  Schreibt dir jemand eine Postkarte des Inhalts, er werde dich am folgenden Nachmittag um drei Uhr besuchen, begegnet er dir aber noch am selben Nachmittag auf der Straße, so verabschiede dich rasch von ihm.

451.  Verhält jemand dir gegenüber sich so, daß es dein Mißtrauen erregen muß, so sage ihm, daß du dich über ihn wunderst. Antwortet er dir, du seist ein mißtrauischer Mensch, so bist du es mit Recht.

452.  Im Hotelzimmer tue Wichtiges nur sehr leise und bei verhängtem Fenster.

453.  Es gibt Leute, die an dir vorübergehen, um Fetzen deiner Rede aufzufangen.

454.  Frauen, die in Kartonschachteln Holzperlen verkaufen, verkaufen nie etwas. Aber vielleicht dich.

455.  In tiefe Trauer gekleidete Personen, die neben dir Platz nehmen, beklage lieber nicht. Das könnte dich eines Tages in tiefe Trauer versetzen.

456.  Jeder zehnte Dienstmann, der einen Bahnhof ziert, sieht aus wie ein verkleideter Nimrod. Das ist er auch.

457.  Wer im Gedränge oder am Spieltisch sich eng an dich preßt, muß nicht durchaus ein Taschendieb sein. Sein Interesse kann auch der Feststellung gelten, ob du eine Waffe bei dir trägst.

458.  Hebt dir ein Herr deinen Stock auf, so ist es kein Herr.

459.  Erblickst du sehr oft Männer mit schwarzen Brillen, so darf dich das nicht wundern, wenn du dich in Nizza aufhältst. In Wien muß es dich mißtrauisch machen.

460.  Kann jemand deinen sehr deutlich geschriebenen Namen nicht lesen, so kann er viel besser lesen, als dir lieb sein dürfte.

461.  Auch elfjährigen Knaben darfst du nicht die Fähigkeit absprechen, ihr Sensorium gegen deine Interessen zu mobilisieren.

462.  Von tausend eingeschriebenen Briefen gehen (es ist statistisch nachgewiesen) nur zwei verloren. Ereilt dieses Malheur dich innerhalb weniger Monate öfter, so halte dich nicht für einen Pechvogel.

463.  Es gibt in jeder Stadt Hotels, freilich meist nur zweiter oder dritter Klasse, die regelrechte »Souricières« sind. Sie zu erkennen, ist schwer. Bemühe dich, solche Adressen zu sammeln, und gib sie mündlich weiter.

464.  Ein Haus, in dem es keinen Portier gibt, betritt nicht allein.

465.  Ist eine Wohnung im dritten Stock gelegen und weder im ersten noch im zweiten eine Tür zu erblicken, so betritt diese Wohnung nicht.

466.  Besuche niemanden in der Dämmerung.

467.  In allen Ländern ist das Briefgeheimnis Staatsgrundgesetz. Der anonyme Brief eines Lausbuben genügt jedoch, einen Beamten zu bestimmen, eine Korrespondenz monatelang zu öffnen und deren Empfänger ebenso lange überwachen zu lassen. Da weder eine Korrespondenz stets ganz diskret ist noch jemals eine Überwachung, ist jeder in eines Lausbuben Hand. (Du bist es nicht mehr.)

468.  Sitzt dir im Café eine Dame gegenüber, welche sich genau so wie du die Nägel putzt, genau so wie du die Lippen verzieht und genau so wie du den Kellner heranwinkt, so ist es eine Funktionärin. (Gut, gut.)

469.  Ob ein Brief geöffnet worden ist, kannst du erkennen, wenn du die Klebefläche langsam löst. Sie unterscheidet sich stets deutlich von der eines zum ersten Mal geöffneten. (Übungssache.)

470.  Es ist leichter, einem Verfolger zu entschlüpfen als der Verfolgung.

471.  Weißt du dich beobachtet, ohne imstande zu sein, dich dem zu entziehen, so beschränke dich darauf, deinen Umgang tunlichst zu verringern, nur unklare Äußerungen zu machen und irgendeine unsinnige Gewohnheit anzunehmen.

472.  Auch wenn du dich ganz sicher glaubst, unternimm einen entscheidenden Gang so, als würdest du verfolgt.

473.  Die klassischen Mittel, um einen Verfolger zu säen, sind: in der Untergrund, kurz bevor der Zug den Bahnhof verläßt, aus dem Wagen springen und den nächsten Zug in entgegengesetzter Richtung besteigen; ein Durchhaus betreten, den Verfolger an sich vorbeilassen und den unterbrochenen Weg fortsetzen; unterwegs eine halbe Stunde lang sich verstecken und mit anderer Kopfbedeckung und veränderter Haltung wiedererscheinen.

474.  Deine Abreise finde stets so statt, daß der erste Mensch, der sie erfährt, nur eine halbe Stunde bis zum Abgang deines Zuges Spielraum hat. Kannst du völlig unter der Hand abreisen, umso besser.

475.  Willst du dich vergewissern, ob ..., so kündige dein Zimmer acht Tage vorher. Entsteht plötzlich eine große Leere um dich, die zwei Tage vor der Abreise zu außerordentlicher Belebtheit sich wandelt, so versuche, zu säen.

476.  Bleibe nicht an Straßenecken stehen. Man könnte glauben, du hättest hier etwas zu suchen. Halte dich nicht unter Haustoren auf. Man könnte glauben, du hättest seltsame Sorgen oder alberne Liebschaften. Gehe aber so oft wie möglich auf den Bahnhof. Man wird glauben, du kämst von einer Reise oder stündest vor einer.

477.  Unter tausend Männern wirst du nur drei entdecken, die sind, was sie scheinen; unter tausend Frauen eine halbe.

478.  Bleibe oft vor Ladenspiegeln stehen. So kannst du bequem beobachten, was hinter dir vorgeht.

479.  Mische dich nie in die Menge. Zu keinem Zweck. Weder im Warenhaus noch auf der Straße. Hier sehen dich immer mehrere Dutzend Augen zugleich.

480.  Dort, wo du nicht gesehen sein willst, verlaß dich nur auf deine Augen.


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