Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.
Weisungen

367.  Was ist »tierhafte Grazie«? Ein idiotischer Pleonasmus, da Grazie Natürlichkeit ist, also niemals graziös sein kann. Jedes Tier ist natürlich (tschuck tschuck prä prä), also niemals graziös; Grazie deshalb niemals tierhaft. Es genügt aber durchaus nicht, vor solch koketten Worten, mit denen du dich jedem erstbesten Gymnasiasten auslieferst, im Eifer des Gesprächs auf der Hut zu sein: du mußt jedem Substantiv, das nicht ganz konkret ist, stets ein aufhebendes Grinsen vorher- oder nachschicken oder es durch den Tonfall ironisieren. (Merkwort: »Trottelpanzer«.)

368.  Männer, die leicht gerührt werden oder gar zu feuchten Augen neigen, sind meist Cölibatäre, welche diese Zustände mit Jünglingen zur Zeit der Pubertät gemeinsam haben, mit Jungfrauen während der Menstruation und mit Frauen, die lange allein leben. Nach dem Coitus sind Tränen eine Rarität oder Theater. Drum: wo man weint, da rücke schnell noch näher, traurige Menschen bekommst du weitaus eher.

369.  Das Blutband ist eine Erfindung. Nicht nur, weil stets lediglich die Mutter gewiß ist. Mit dem Nabelschnitt ist alles aus. Sogar Hereditäres macht sich selbständig. Denke immer daran, wenn eine pessimistische Stimmung oder ein Fehlschlag dich treibt, nach Ursachen auf dem Erbwege zu suchen. Suche sie in deinen persönlichen Fehlern, in der Mißgunst des Schicksals, in der Kraft deines Gegners. Andernfalls wirst du zu deinem Pech auch noch inneren Schaden haben.

370.  Verzeihe nie. Es wirkt überheblich. Sage auch das nicht, denn es wirkt ebenso. Beschränke dich darauf, das Vorgefallene sichtlich zu vergessen.

371.  Es ist von peinigender Lächerlichkeit, einen Menschen in einen Zustand geraten zu sehen, dessen falsche Ursache man nur zu genau kennt. Genieße diese Pein nicht zu lange, sondern schenke dem Armen geschickt das erlösende Wort. Es wird dir Früchte tragen.

372.  Es gibt Leute, welche, siehst du ihnen in der Öffentlichkeit zu, das Bild einer ungeheuerlichen Aktivität darbieten. Laß dich nicht täuschen. Es sind meist nur geistreiche Juden, die ihre Zimmermiete schuldig sind, oder armselige Spitzel.

373.  Freunde erhältst du nicht für Geld und gute Worte. Dafür schon gar nicht. Willst du dir jemanden verbinden, so mache dich ihm unentbehrlich. Jeder kann in irgend einem Betrachte einen Helfer brauchen. Wer dich nicht braucht, dessen Freund (nun, nun) kannst du nicht werden.

374.  Mit der Lebensqual ist es niemals weit her. Sie erscheint nur oft so groß, weil das Lustgefühl, das sie enthält, sehr feine Nerven erfordert. Am sichersten wirst du deshalb einen Gequälten durch Übertreiben einer Qual trösten, unter der du angeblich leidest. Nach einer Stunde wird er mit dir in eine Bar gehen und für dich bezahlen.

375.  Werde nicht das Opfer der Sensibilität Anderer, die ein achtlos hingeworfenes Wort von dir oft so zu verletzen vermag, daß sie nicht einmal genesen, wenn du ihnen sagst, sie hätten dich durch ihr Verhalten verletzt.

376.  Wirf dich keinem Einfall, keinem Plan so an den Hals, daß du auch nicht locker lassen willst, wenn er schon keinen Boden mehr unter den Füßen hat. Sonst wirst auch du den Boden unter dir verlieren.

377.  In manchen Fällen ist es wichtig, nicht da zu sein. Abwesenheit ist nicht nur oft der halbe Tod (ein Viertel Ruhm), sie ist auch ein gutes Mittel, allzu großen Haß oder Neid zu eliminieren.

378.  Kinder sind sehr oft böse und lügnerisch. Gehe ihnen lieber aus dem Weg, wenn du bei ihren Eltern etwas erreichen willst.

379.  Leuten, die oft melancholisch sind, geht es zu gut. Heitere sie auf und es wird dir noch besser gehen.

380.  Es ist gewiß oft angezeigt, dümmer zu erscheinen, als die Polizei erlaubt, aber manchmal dennoch auch, dich (freilich nur minutenlang) so gescheit zu zeigen, wie du bist.

381.  Hüte dich vor Menschen, die ohne jeden Grund und kontinuierlich lügen. Sie enden unschuldig im Zuchthaus.

382.  Jäger sind selten mordlüstern, aber sehr oft Gourmands, manchmal Pantoffelhelden und am häufigsten Geizkragen.

383.  Musikliebende sind schlechte Geschlechtspartner, Musikausübende sehr willensschwache Menschen. (Wen Musik nicht seekrank macht, tut besser, Beamter zu werden.)

384.  Es ist ein weit verbreiteter Aberglaube, ein Mann von Geist (Halunke) müsse aussehen wie ein Zuchthäusler oder Leberkranker im letzten Monat. In der Regel hat bloß, bei allerdings vorhandener Intellektualität, der Sexus oder der Wille dieser Abergläubischen, die nun freilich selber so aussehen, einen schweren Knax.

385.  Nimmst du wahr, daß der Andere besonders gespannt auf das wartet, was du im Begriffe bist, ihm zu erklären, so fange geschickt an, von etwas anderem zu reden. Nach kurzer Zeit schon wirst du erkennen, daß du dich geschädigt hättest.

386.  Rümpfe nie die Nase. Zeige lieber gelegentlich ein wenig Scham zwischen den Schultern. Das glaubt man zwar auch meist nicht, aber es macht einen verfänglichen Eindruck.

387.  Sage nie scherzhafter Weise: »Und neues Leben blüht aus den Urinen.  « Alle wären davon überzeugt, daß du erst kürzlich von einem Leiden genesen bist.

388.  Verdichtet sich dein Eindruck, daß dein Gegenüber nicht sieht, was er spricht, so halte es ihm vor Augen. Sieht er es dann noch immer nicht ein, so achte darauf, daß dir solche Irrtümer nicht mehr so spät zu Bewußtsein kommen.

389.  Wer, sei es auch aus welchen Gründen immer, keusch lebt, wird dir am besten zur Seite stehen. Wer eine Geliebte hat, wird dich nicht enttäuschen, solange er sie nicht entbehrt. Mit einem Coureur aber wirst du stets deine liebe Not haben. (Hast du sie nicht oft genug mit dir?)

390.  Auch die Sexualität kann ein Schicksal haben, das oft geradezu das des Menschen wird. Darum unterlasse es niemals, über die Sexualität dessen, mit dem du zu tun hast, dich zu informieren.

391.  Mit Kutschern und Chauffeuren unterhalte dich nicht einmal zu deinem Vergnügen. Alle sind Spitzbuben und Angeber.

392.  Es ist oft nahezu unfaßbar, was für Gesten, Mienen, ja Grimassen die Leute im festen Glauben machen, du habest davon nicht das Mindeste wahrgenommen. Fasse es aber richtig auf: sie verhalten sich immer so.

393.  Hegst du gegen jemanden Verdacht, so mußt du ihm sofort peinlich genau in jener Richtung zuhören, in der dein Verdacht sich bewegt. Denn nur so kannst du ihn vielleicht fundieren. Nach einem Gespräch ist fast alles Interpretation willkürlichster Art.

394.  Wer dir fremd ist, den lüge in allem an. Erweist er sich als Schurke, wäre es zu spät dazu. Und annullieren kannst du deine Lügen immer noch.

395.  Es gehört Geist und Gedächtnis dazu, vielen Menschen das vorzumachen, das sie an eine persönliche Beziehung zu dir glauben läßt. Verfügst du darüber nicht in ausreichendem Maße, so verzichte lieber darauf. (Es ist sehr selten, daß jemand neben dich sich stellt wie der Fuchs neben den Wolf.)

396.  Benütze niemals die Elektrische, sondern ausschließlich Taxis. Achte aber darauf, stets ein anderes anzurufen. Mancher Bankier hätte nicht falliert, hätte nicht schon jeder sein Auto gekannt.

397.  Die Untergrund benütze nur in dringenden Fällen. Sie ermüdet zu sehr.

398.  Erforsche stets die Herkunft dessen, den du zu deinem Gesellschafter machen willst. In ihr findest du die Schlüssel zu sämtlichen Geheimfächern seines Wesens.

399.  Wirst du auch nach der Lektüre dieses Breviers gelegentlich noch verlegen, so unterlasse es, sie zu wiederholen. Es wäre verlorene Zeit.

400.  Hast du ein schönes Gesicht, so wird dir nur etwas schwer werden: die allzu sehr gesteigerten Erwartungen, die es weckt, so zu rechtfertigen, daß du wenigstens nicht enttäuschst.

401.  Trage stets einige Stecknadeln, Sicherheitsnadeln, kleine Nägel, Bindfaden und eine Tube Syndetikon bei dir.

402.  Eine der größten Gefahren, die dir drohen, ist, daß Hunderte inferiorer Schlauköpfe (Spitzel) ein Mosaikbild von dir zusammenstellen, das zu dir paßt wie die Faust aufs Auge. Verhindern kannst du es nicht, nur die Folgen so abschwächen, daß du kein Opfer der Justiz wirst.

403.  Habe stets eine kleine Browning-Attrappe bei dir, mit der du knallen kannst. Fast in allen Fällen genügt es, sie zu zeigen. Sollte dennoch einmal jemand auf dich schießen, so springe rechtzeitig nach links und stoße ein Tischchen um oder einen Stuhl. Den zweiten Schuß kannst du oft verhindern, indem du deinem Gegner deine Waffe vor die Füße wirfst.

404.  Hast du einige Male die Tour um Europa gemacht, so trachte, das Volapük, in das du naturnotwendig gerätst, so weit wie möglich zu unterdrücken. Man hält es überall für Affektation und dich für unzuverlässig.

405.  Wer sich gar nicht sonderlich bemüht, dir zu verbergen, daß er lügt, ist manchmal am geeignetsten, etwas zu deiner Zufriedenheit auszuführen.

406.  Laß dich auf einer Lüge erwischen. Er wird sofort versuchen, dir die Maske vom Gesicht zu reißen. Dabei aber kannst du ihn mit Leichtigkeit dir dienstbar machen.

407.  Geschichten erzähle nicht anders als karikierend. Nur wenn du daran Teil hattest, gib zu verstehen, daß du sie nicht zu typisieren vermagst. Dann wird man sie dir vielleicht glauben.

408.  So dumm kann einer gar nicht sein, daß es dir nicht nach drei Tagen gelänge, ihm beizubringen, er wäre ein Genie.

409.  Sprich nicht zu lange leise. Es läßt vermuten, du habest dich aus niedrigen Gründen daran gewöhnt. (Aber telefoniere stets leise.)

410.  Respektiere die Lebensgewohnheiten der Menschen, die deshalb zwar noch lange nicht die deinen respektieren werden, aber die ihren nun so sehr, daß du darauf rechnen kannst und erreichen, was fraglich war.

411.  Je außergewöhnlicher ist, was du unternimmst, desto mehr achte darauf, es vulgär erscheinen zu lassen. Ist das unmöglich, so wird es fast stets besser sein, dieses Unternehmen zu unterlassen.

412.  Sei dein eigener Bankier. Was du durch falsche Dispositionen verlierst, darum hätte der Fachmann dich betrogen, der zudem ja auch nicht immer richtig disponiert.

413.  Solange du noch nicht über Fünfzig bist, ziehe Männer unter Fünfundzwanzig und über Fünfzig vor. Die dazwischen hassen dich zu sehr.

414.  Unterscheide dich in allem ein wenig von den Andern. Das erregt die Neugierde. Aber falle nicht zu sehr auf. Sonst fällst du heraus.

415.  In einer fremden Wohnung verhalte dich um fünfzig Prozent ruhiger als in der deinen, in der du um fünfzig Prozent ruhiger sein mußt als deine Gäste. Denn alle, die sich langweilten, werden so die Schuld den Andern geben.

416.  Es macht beliebt, die Unbeliebten lächerlich zu machen. Und unbeliebt, die Beliebten nicht unvergleichlich zu finden.

417.  Sei pünktlich. Du wirst zwar stets zu früh kommen, aber die Andern werden oft zu spät gekommen sein: du wirst schon Direktiven eingeschmuggelt haben.

418.  Entstehen allerlei Gerüchte um deine Person, so dementiere die schädlichen immer wieder, aber lax. Die schmeichelhaften nur gelegentlich, aber nachdrücklich.

419.  Für nichts ist der Mensch dankbarer als für gewährte Lust, für nichts bereitwilliger als für ein geschicktes Lob.

420.  Laß alle in dem Glauben, keine Frau auszuhalten, keine Kinder zu haben und die herrschende politische Richtung anzuerkennen.

421.  Habe eine Geheimtasche. Lerne hypnotisieren. Schließe manchmal plötzlich die Augen.


 << zurück weiter >>