Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.
Reisen und Hotels

113.  Wer viel reist, hat mehr Unglück, aber auch beiweitem mehr Chancen als Andere.

114.  Die Chance ist keine Hausiererin; aber gleichwohl immer unterwegs.

115.  Überall ist es erträglich. Doch am erträglichsten im Ausland.

116.  Die bürgerliche Maffia aller Länder ist sehr mächtig. Ermiß es daran, daß jeder Eingeborene, würde er so leben wie du als Landfremder, in wenigen Monaten ruiniert wäre. Dich duldet man, weil man dich nicht ruinieren kann.

117.  Jeder Eingeborene darf dich als Landfremden auf offener Straße begrinsen. Tätest du dasselbe, wärest du sehr wahrscheinlicher Weise nach einigen Tagen – vermißt.

118.  Der Chauvinismus und Nationalstolz eines jeden Landes mag dich erkennen lassen, wie weit jedes Volk davon entfernt ist, ein Recht auf diese beiden Eigenschaften zu haben. Dieses hätte jenes Volk, das ein Lob nur von Person zu Person akzeptiert und von jenen beiden Eigenschaften nichts wissen will. ( »Och!« Ja, aber du darfst es nicht äußern.)

119.  Daß du fast jedem mit seiner Nation leichter und sicherer schmeicheln kannst als persönlich, sei dir stets parat. Dann wirst du angenehm und störungslos reisen.

120.  Oft ist es schlauer, mit einem Personenzug zu reisen, als drei Stunden früher anzukommen. Oder umgekehrt. Sich hierin niemals zu irren, verrät die Meisterschaft.

121.  Während des Reisens sei besonders schweigsam und inabordabel.

122.  Große Provinzstädte sind ganz besonders geeignete Operationsgebiete, weil sowohl der Mangel an Abwechslung als auch das Fehlen der häufigen Störungen der Großstadt deinen Charme und deine Trucs um vieles gründlicher wirken lassen.

123.  Wisse wohl, daß du nach einer gewissen Zeit überall auffällst. In Genua oder Barcelona (z. B.) spätestens nach vier, in Hamburg oder Neapel nach acht Wochen und in Marseille, das eine besonders gefährliche Stadt ist, schon nach zehn Tagen. (Zu einem Schiff erscheint man frühestens vier Tage vor seiner Ausreise.) Nur in Berlin, Paris und London erregst du erst nach einem Jahr die Aufmerksamkeit, falls du einen Stadtteil vorziehst und nicht zurückgezogen lebst.

124.  Paris und Berlin seien deine Hochburgen. Hier ist Wagemut, Behendigkeit und sehr viel Verstand. Du hast es nicht leicht, aber sämtliche Möglichkeiten offen.

125.  Vermeide eine Reise, wenn ein Brief denselben Zweck erfüllt. Es ist besser, ein Papier aus der Hand zu geben, als von Allzuvielen persönlich gekannt zu sein.

126.  In Deutschland trage keinen Schmuck, in Frankreich, Amerika und England nur wenig, in Italien viel. In Spanien und Südamerika aber ist fast nichts zu machen, wenn du keinen Brillantring hast.

127.  Mache von der landesüblichen Kleidung stets ein kleines Detail mit, das für dich sich eignet.

128.  Meide Stundenhotels. Hier wirst du stets gesehen.

129.  Wenn du einen Hotelportier nicht behandelst, als hätte er Macht über dein Leben, wird er dein Feind. Hohe Trinkgelder fruchten durchaus nicht immer.

130.  Es ist unwichtig, wie du in einem Hotel auftrittst. Hotelangestellte haben schon alles gesehen und in allem sich getäuscht. Hohe Trinkgelder schaffen dir mehr Prestige als eine gestickte Krone im Taschentuch. (Habe mehrere kleine Koffer; keinen großen.)

131.  Weist man dir in einem Hotel, in dem man dich nicht kennt, ein kleines Zimmer nach dem Hof an, so ist alles in Ordnung. Gibt man dir aber ein großes elegantes nach der Straße, so hält man dich für einen Andern oder wünscht, dich zu beobachten.

132.  Bilde dir nicht ein, daß Telefongespräche, die du von deinem Hotelzimmer aus führst oder in der Hall, keine Ohrenzeugen haben.

133.  Schlafe nie mit dem Stubenmädchen. Tagsdarauf weiß es das ganze Hotel und du wirst behandelt, als hättest du mit dem Messer gegessen.

134.  Willst du eine Dame in dein Hotelzimmer lanzieren, so verzichte auf alle Trucs der Ein- und Ausschmuggelung, da unliebsame Zwischenfälle zu häufig sind und die Folgen zu unangenehm. Schicke deine Auserwählte ins Hotel voraus, damit sie sich in derselben Etage ein Zimmer miete.

135.  Dein Stubenmädchen weiß stets alles, was du im Hotel tust. Gib ihr deshalb von Zeit zu Zeit ein gutes Trinkgeld aus heiterem Himmel, um dir diesen zu erhalten.

136.  Ist es dir nicht gelungen, dir im Hotel Respekt zu verschaffen, ziehe sofort in ein anderes und, ist die Stadt nicht groß, in eine andere.

137.  Wirst du im Hotel mit einer Höflichkeit bedient, die gleichsam immer erst einen Anlauf nehmen muß, so ist man mißtrauisch gegen dich. Steigern sich die Bücklinge dermaßen, daß du den Trieb verspürst, dich umzuwenden, um ihr Objekt hinter dir zu suchen, so wirst du beobachtet. Wenn aber eines Tages nur jeder dritte Angestellte im Hotel dich mit kaum wahrnehmbarem Kopfnicken begrüßt, so reise mit dem nächsten Zug ab.

138.  Iß gelegentlich im Hotel und zeige dich anspruchsvoll. Man wird es dir übelnehmen, aber Achtung vor dir haben. Iß auch niemals alles auf, magst du noch so großen Hunger haben. Sonst hält der Kellner dich schon fast für seinesgleichen.

139.  Klingle im Hotel so selten wie möglich. Andernfalls wird der Moment nicht lange auf sich warten lassen, da du mit nassen Gliedern im Zimmer stehst und schließlich zum Leintuch greifen mußt. (Schon manch einer hat auf diese Weise den letzten Zug verfehlt, der ihm die Freiheit hätte erhalten können.)

140.  Ist es dir gelungen, dir im Hotel großen Respekt zu verschaffen, so darfst du dir sorglos viel mehr erlauben, als ein wohl konsolidierter Bürger jemals auch nur zu träumen wagt.

141.  Wohne unter keinen Umständen länger in einem Hotel als drei Wochen. Es könnte auffallen. Wagst du es nicht, länger als vier Tage zu bleiben, so lasse alles auf einen Aufenthalt von vier Wochen hinweisen.

142.  Du kannst auch das Hotel verlassen, indem du um sechs Uhr morgens dem Portier, der noch halb verschlafen ist, ein Telegramm unter die Nase hältst, das dich dringend nach London ruft. Um sechs ein halb kannst du bereits im Zug sitzen und immer noch weiß es nur der Portier; glücklicher Weise aber nicht, daß dein Telegramm schon wochenalt ist und zum dritten Mal zu demselben Zweck von dir verwendet wurde.

143.  Hinterlasse beim Verlassen des Hotels stets eine Adresse. (Du kannst sie vielleicht sogar einmal benützen.) Und äußere, daß wohl ein Herr morgen nach dir fragen werde: man möge ihm sagen, noch eine Woche sich zu gedulden, dann seist du wieder hier. Fragt jemand nach dir, so wird er beruhigt oder entwaffnet. Und ist es ein Detektiv, so machst du ihm eine kleine Freude.

144.  Hotelzimmer mit versperrten Verbindungstüren weise zurück, wenn es angeht. Bestenfalls wirst du durch Geräusche am Schlafen verhindert. Schlimmstenfalls beobachtet man dich oder legt ein Mikrophon an.

145.  Betritt kein anderes Hotelzimmer als das deine, es sei denn, du wissest, wo du hingehst. Wer nicht zu dir kommen will, mit dem besuche einen fingierten Dritten in einem andern Hotel, wo du telefonisch ein Zimmer bestellt hast.

146.  Wechselt, während du in einem zweitklassigen Hotel wohnst, der Besitzer, so ziehe sofort aus.

147.  Sprich mit dem Hotelpersonal nur das Nötigste, aber sehr höflich. Dem Stubenmädchen lächle täglich zumindest einmal zu.

148.  Beim Verlassen des Hotelzimmers wende dich stets an der Tür noch einmal um und wirf einen prüfenden Blick um dich: du könntest den Koffer nicht zugesperrt, einen Brief liegen gelassen, eine Parfumflasche nicht eingeschlossen haben. Es ist zwar jedem Hotelkellner ein leichtes, mit Hilfe seiner umfangreichen Schlüsselsammlung alle Schränke und Koffer zu öffnen, du wirst aber in diesem Falle schwerlich bestohlen werden. Immerhin: willst du ganz sicher sein, daß irgendetwas, das du von keinem Auge gesehen wissen willst, auch nicht gestohlen wird, mußt du es immer bei dir tragen.

149.  Bist du gezwungen, dritter Klasse zu reisen, so gib dich als Commis-voyageur aus. Das ist nicht nur vorteilhaft, weil es dir Übung verschafft, es wird auch den Elan steigern, mit dem du dich kurz nach der Ankunft zum Fabriksdirektor erhöhst.

150.  In Berlin wirst du Mißtrauen erregen, wenn du behauptest, daß die deutschen Männer sich scheußlich kleiden und du für Cassis große Vorliebe hast. In London Ärger, wenn du nicht tadellos ißt und englische Städte häßlich heißt. In Paris Mißfallen, wenn du gar nicht von dir sprichst und dich ärgerst, daß es überall nach Urin riecht. In Rom ironische Heiterkeit, wenn du großes Interesse für das nicht existierende Nachtleben kundgibst und über Zugluft in den Lokalen klagst. Und in Madrid Verachtung, wenn du Kinder nicht liebst und behauptest, außer den Stiergefechten hätte dich im Grunde nichts sonderlich interessiert. Auch Länder können die Wahrheit nicht vertragen und sind unduldsamer als mancher Privatmann.

151.  Verkehrst du in einer Gesellschaft, in der Angehörige mehrerer Nationen sich begegnen, so hüte dich, und sei es aus purer Courtoisie, jedem über sein Volk etwas Angenehmes zu sagen. Beschränke dich darauf, im Zwangsfalle zu nicken oder den Kopf zu schütteln. Wenn ein unglückseliger Zufall es will, spricht ein Österreicher mit einem Tschechen über deine Lobesäußerungen über Wien, worauf dieser über jene sprechen wird, die du über Prag fallen ließest. Du kannst zufrieden sein, wenn beide dich von nun an bloß für einen abgefeimten Heuchler halten.

152.  Solange du noch nicht in den Wagon steigen kannst wie in eine Straßenbahn, darfst du dich nicht wundern, wenn dir das Wichtigste nicht glückt.

153.  Auf Reisen und in Hotels mußt du überall dort, wo Diplomaten, Großindustrielle und Liftboys mit Psychologie arbeiten, leicht mit dem Kopf winken. Der Effekt wird, wenn du sonsthin bereits auf der Höhe bist, dermaßen überwältigend sein, daß du darauf achten mußt, nicht größenwahnsinnig zu werden.

154.  In der Schweiz sind Haß und Neid um die Hälfte geringer als anderswo. Das ist zum Teil im Wesen der Einwohner begründet, zum Hauptteil aber in dem landschaftlichen Charakter der Städte und dem Fehlen einer Großstadt. Verbringe deshalb hier deine Ferien; jährlich wenigstens vier Wochen. (Siehe auch unter VI, 354.)

155.  Bezahle die erste Wochenrechnung stets sofort, die zweite spätestens nach drei Tagen. Andernfalls entstehen dir Unannehmlichkeiten von oft unwahrscheinlichem Ausmaß. Verlasse auch nie ein Hotel, ohne bezahlt zu haben. Die Folgen wären schlimmer, als wenn du eine Bank ungeschickt um eine Million betrogen hättest.

156.  Wohnst du im ersten Hotel einer Stadt, ohne zufrieden gestellt zu sein, so bleibe darin, wenn es nötig ist. Anderswo fändest du nur andere Fehler vor.

157.  Halte dich in den Lokalitäten eines Hotels stets und überall nur ganz kurze Zeit auf.

158.  Benütze immer den Lift; auch wenn du dein Zimmer verläßt. Mußt du einmal aus besonderen Gründen die Treppe benützen, so klingle dem Liftboy: es wird den Anschein haben, als habest du die Treppe nur aus Ungeduld benützt.

159.  Wohne nie in Pensionen, in den romanischen Ländern nur in erstklassigen Hotels, stelle deine Schuhe nie vor die Türe und lasse alles, was du einkaufst, dir ins Hotel schicken.

160.  Wöchentlich einmal beschimpfe in deinem Zimmer bei verschlossener Tür einen Herrn, der nicht bei dir ist, so heftig, daß man es im Korridor hören muß. Mehr noch als dies wird es imponieren, daß niemand den Bedauernswerten weggehen sah.

161.  Verlasse einmal das Hotel, laut vor dich hinsagend: »Jamais!«


 << zurück weiter >>