Willy Seidel
Der neue Daniel
Willy Seidel

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Zuckschwerdt wird aggressiv

Es war rührend zu sehen, wie Mildred sich freute.

»Zuckschwerdt mag ja seine unangenehmen Eigenschaften haben,« sagte sie, »und eigentlich ist mir seine Forschheit unsympathisch; aber eins hat er, was du nicht genügend hast« – – und sie schlug ihm mit der Hand auf den Rücken) – – »selbst ist der Mann. Es scheint, daß er mit seinen Eigenschaften hier doch gut durchkommt, und wenn er wirklich etwas ausgerichtet hat, dann verzeihe ich ihm vielleicht sogar den Katzenmord. Stelle dir vor, du kannst weg!« – Sie lachte und gleichzeitig kam eine verräterische Träne zum Vorschein.

Sie schüttelte ihn an der Brust und rief: »Stelle dir das nur vor, du kannst weg, weg von hier!!«

»Vorläufig muß man das abwarten.«

»Abwarten«, echote sie, »immer nur abwarten, wie sie mir zum Hals heraushängt, diese Warterei.«

Er lenkte schnell ein. »Ja ja, es sieht diesmal wahrhaftig so aus, als ob etwas passieren könne.«

Sie setzte sich, denn sie war etwas unbehilflich geworden. Doch sie trug ihre beginnende Mutterschaft mit einer aufrechten Grazie, die selbst jetzt noch imstande war, flüchtige Beobachter zu täuschen.

Er wußte, was in ihr vorging. In beider Ohren brauste es wie ein herabgewürgter Schmerz, der halbtot gelegen, wie aufschrillendes Zikadengetöse unter blanken Ahornblättern, auf die kein Tropfen fiel. Wie ein purpurner Vorhang quoll es vorüber, in dem Hitze und tödliche Angst sich vorübergehend blähten. Das war etwas Niewiedergutzumachendes, das war vorüber und doch noch lebendig; das regte, zehnmal zertreten, immer wieder einen Stachel und schickte lähmendes Gift in sein Blut.

Aber das gab es ja nicht! Das war ja Einbildung und Phantasterei! Das mußte man zähneknirschend verleugnen, unbedingt verleugnen, jetzt, da es schien, als falle ein ganz schüchterner Strahl von Freiheit durch eine Ritze des metallenen Tores hindurch!!

Sie standen, wie von einem trotzigen Gedanken beseelt, beide auf und umfingen sich. Schloß sie der Krieg noch ein? Ja, die Mauer war unverrückt. Das wußten sie und der Massenmord forderte neue Ströme von Energie, die in zweckloser Vernichtung ihre Wollust fand.

Aber sie fühlten sich irgendwie gefeit durch eine Feuerprobe, die sie einmal an die Grenze des Erträglichen gebracht, und wußten: »Was wir damals erlitten, kann durch nichts übertrumpft werden!«

In den nächsten Tagen ereignete sich nichts Bedeutsames. Plötzlich erschien Zuckschwerdt wieder wie ein Wirbelwind, voll von kleinen Unternehmungsgelüsten. Er riß sie, ob sie wollten oder nicht, aus ihrer wiedereinsetzenden Lethargie heraus. Er schleppte sie in ein Kabarett in der Walnutstraße, in der Nähe des Rathauses; ja, in allernächster Nähe dieses grauen, finsteren Gebäudes schien er sich besonders wohl zu fühlen.

»Treten Sie dem Löwen nicht so heftig auf den Schwanz,« meinte Erwin, als er sich über die Lage vergewisserte. »Es lauern hier immer ein paar Kerle herum, die es darauf anlegen, uns etwas anzuhängen.«

Zuckschwerdt lachte. »Was wollen die denn,« meinte er geringschätzig. »Natürlich reden wir nicht über Politik. Das, gebe ich zu, würde uns eventuell gefährlich sein. Aber wenn wir biedere Leute vorstellen, die ohne viel Aufsehens sich ein wenig Vergnügen leisten wollen, ein wenig Erholung, dann kümmert sich kein Mensch um uns.«

Erwin dachte: Wenn du das Prinzip der Unauffälligkeit etwas befolgen würdest, so wäre uns ja geholfen. Aber du bist ein Plakat, du bist wie eine Reklame an einer Brandmauer. Jede Bewegung kennzeichnet dich ja. Du ziehst deine Uniform nie aus. Er sagte es nicht. Er trabte gewissenhaft mit. Er ließ sich kleine Püffe versetzen von der Vitalität des Leutnants.

Dieser raffte einen Tisch an sich, den besten, den er im Lokal erwischte, im Zentrum gelegen, allen Blicken ausgesetzt.

»Mit dem Schwanz des Löwen hat es nichts weiter auf sich,« erklärte er und Grübchen entstanden auf seinen rostroten Wangen. »Mein lieber Herr Notacker, dieser Löwe hat nicht mehr Schwung in sich wie ein Bettvorleger. Dem können Sie getrost auch einmal gegen den Strich fahren.«

Hierauf verlangte er nach dem Kellner. Er gebrauchte zwar den Ausdruck »Waiter«, aber die Betonung war dieselbe, als ob er »Ober« gerufen hätte. Ganz erschrocken stürzte der leichtbeschuhte dienstbare Geist heran in der Meinung, ein Unglücksfall sei zu verhüten; erstarrte aber dann zu etwas angewiderter Korrektheit, als er, wie er meinte, einen Scherz mit sich treiben sah.

Zuckschwerdt bestellte lärmend. Er verlangte kalifornischen Wein. Er gab Details an über die Qualität des Beefsteaks. »Möglichst blutig,« bemerkte er und seine Augen rollten. Er schickte den Kellner weg beladen mit Aufträgen, die dieser unterwegs mit innerem Kopfschütteln über Bord warf. Man erhielt, was man erhalten sollte; aber die kleinen Extrasachen, die gab es nicht.

Einige gutgewachsene Mädchen belebten jetzt die kleine Bühne mit zuckenden Tanzschritten nach der gedämpften synkopierten Musik, die eine Gruppe rotbefrackter Neger im Hintergrunde vollführte.

Zuckschwerdt unterließ es nicht, den Kenner zu zeigen. Er verteilte seine Aufmerksamkeit zwischen dem Beefsteak und dem opalschimmernden Fleisch, das sich dort oben leuchtend regte. Er lobte und tadelte mit großer Vehemenz und häufigem Gebrauch gewisser Kraftausdrücke, deren deutsche Herkunft schon im bloßen Tonfall ersichtlich war.

»In Dinklage,« belehrte er seinen eigenen Tisch und jeden, der sich noch Mühe gab, zuzuhören, »in Dinklage hätte sich das niemand bieten lassen. So was Kümmerliches. Na ja, diese Anspruchslosigkeit! Hier verträgt man ja auch nichts Besseres.«

Das Publikum, das die Tische rings umher allmählich gefüllt, war gut angezogene Kaufmannsklasse. Verblüffte Augen schweiften zu Zuckschwerdt herüber. Man redete gedämpft und suchte sich klar zu werden über Wesen und Gehaben dieser drei. Auch hatten sich in der Nähe (wie Erwin, der Zuckschwerdts Redefluß kaum durch eine Bemerkung unterstützte, mit halbem Blick bemerkte) einige verwaschene, unauffällige Herren mit scharfgezackten Profilen niedergelassen, die das kleine Aufsehen, das von dem munteren Lebemann dort ausging, ostentativ übersahen und es offenbar vorzogen, sich mit abgewendetem Rücken in ihre eigenen Angelegenheiten zu vertiefen. Aber Erwin bemerkte zuweilen ein kaltglitzerndes Auge, das tastend herüberkroch, um sich gleich darauf wieder zwischen schläfrige Deckel zu verkriechen. Die Gleichgültigkeit jener Abgesonderten gegen das, was auf der Bühne vor sich ging, war irgendwie bemerkenswert.

Mit einem Male wußte Erwin – – (und es überlief ihn kalt, als sei er halbblind in die Nähe eines ungeheuren stummlauernden Tieres geraten, dessen Konturen ihm nur verschwommen erkenntlich waren...): »Du spielst mit dem Feuer, mein Guter.«

Er blickte besinnlich auf Zuckschwerdt. »Du weißt nicht, wem du hier lästig fällst. Und der kleine Greis dort gegenüber im Rathaus, ist auch keiner von denen, die auf den Kopf gefallen sind. Da sitzest du hier in deiner geräuschvollen Harmlosigkeit und reißt uns unfehlbar mit und wir sind dumm genug, dich zu dulden und dich sogar noch amüsant zu finden!«

Ein plötzlicher Widerwille gegen Zuckschwerdt stieg in ihm auf. »Sie mögen ja recht haben,« sagte er plötzlich, »aber tun Sie mir den Gefallen und fügen Sie sich etwas in den Rahmen ein. Wir sind doch schließlich in Feindesland und brauchen uns nicht direkt zu annoncieren.«

Zuckschwerdts Gelächter war wie mit einem Zauberschlag vertilgt. Sein Ausdruck war zu Tode verblüfft, wie etwa der eines verwöhnten Diktators, dem eine Kreatur, die er halb aus Gutmütigkeit unter seine Fittiche genommen, plötzlich mit unerhörter Selbständigkeit ins Gesicht springt. Dann aber, da auch Mildred eine gewisse Schärfe im Ausdruck trug, die Erwins Bemerkung unterstrich, wurde er plötzlich sanft und sagte unterwürfig: »Natürlich, freilich, ich für meinen Teil kann mir das ja leisten; aber es ist möglich, daß Sie Unannehmlichkeiten haben. Verzeihen Sie.«

Von jetzt ab redete er gedämpfter; aber es gelang ihm nicht mehr, das Interesse zu verwischen, das er auf sich gelenkt hatte. Er war eine Weile stumm und trank vier Gläser des kalifornischen Weines mit halbergrimmtem Ausdruck herunter. Dann begann er leise über den Wein zu schimpfen, nannte ihn Essig, erklärte, »die Stimmung sei ihm verdorben und man müsse schon entschuldigen. Überarbeitung habe ihn etwas nervös gemacht,« – und was dergleichen mehr vorzubringen war.

Als Erwin alles ins Geleise gebracht glaubte, leistete sich Zuckschwerdt jedoch plötzlich noch etwas, was den ganzen Eindruck des mühsam aufgebauten Kartenhauses wie ein Sturmwind umwarf. Er wollte gehen, und er drehte sich um und rief mit heller sonorer Stimme das deutsche Wort: »zahlen!« in den vollen Raum hinein.

Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr es die Menge. Es gab wenige, die deutsch konnten; aber soviel hörte man, daß es nicht italienisch oder französisch gewesen, was Zuckschwerdt gerufen. Es meldete sich niemand.

Der Aufseher, ein etwas aufgeschwemmter, schwarzhaariger Charakterkopf hinten im Saal hob das Kinn und kratzte sich mit leichter Verlegenheit hinter dem Ohr, wobei der große Brillantring an seinem Finger blitzte. Die zwei in ihr Geschäftsgespräch vertieften unauffälligen Herren, schon am Ausgang angelangt, fuhren herum wie von der Tarantel gestochen. Es war, als witterten sie eine plötzliche Attacke, gegen die alle Verstellung nutzlos sei. Natürlich glätteten sie sich sofort wieder zur früheren Unscheinbarkeit. Aber vier stechende Augen hinterließen eine Atmosphäre, die von anderen Beobachtern kaum mißdeutet werden konnte.

Erwins Herzschlag hatte für einen Moment ausgesetzt. Auch Mildred hatte sich nicht versagen können, ihre Faust zu krampfen, daß ihr die Nägel fast ins Fleisch drangen, und herüberzuzischen: »You fool!«

Zuckschwerdt blickte eine Weile, wie aus dem Schlaf erwachend, um sich; dann zwinkerte er und sagte ganz gemütlich: »Ja Pardon, ich hatte im Moment vergessen, wo ich war.«

Er erwartete einen Scherz, doch der Scherz blieb aus. Er blickte in das Gesicht Erwins, doch es war nicht mehr Erwins Gesicht, es war etwas Maskenhaftes, was er dort bemerkte; eine große Abkehr; eine Fremdheit, die ihn wie mit eisiger Welle überschwemmte. Man zahlte und ging. »Wenn Sie so etwas noch einmal machen,« belehrte Erwin die kleiner gewordene Figur, die neben ihnen herschritt, »so ist es mit unserer Freundschaft ein für allemal aus.«

»Sie nehmen das zu tragisch,« setzte der Leutnant dagegen.

»Hin und her,« erwiderte Erwin, »setzen Sie sich doch endlich einmal in den Kopf, daß es Rücksichten gibt.«

Zuckschwerdt brummte Unartikuliertes. Man kam, bevor man die Trambahn erreichte, durch eine öde Seitenstraße. Hier war eine Mauer mit Plakaten verklebt und das Licht einer einsamen Bogenflamme hob eines dieser Kunstwerke grell hervor. Es war »Uncle Sam« in Lebensgröße, der mit einem mächtigen Zeigefinger aus dem Bild heraus auf Zuckschwerdt deutete und über dessen geschweiftem Hutgebäude dick und deutlich der Ausruf prangte: »I WANT YOU«.

Zuckschwerdt ward bei diesem Anblick von Heiterkeit gepackt, trotz seiner Verstimmung. Er gab ein kleines glucksendes Lachen von sich. »Mich willst du, alter Schuft!« meckerte er und erhob den Stock, »mich willst du in deine Kakhimannschaft einreihen? – Das könnte dir passen! Nein, mein Lieber, daraus wird nichts, dazu bin ich zu gut,« und er nahm seinen Stock und zerfetzte den Onkel Samuel von oben bis unten.

Erwin und Mildred gingen, ohne ein Wort zu sprechen, weiter. Noch immer meckernd an den Pfosten der Lampe gelehnt, hielt Zuckschwerdt Zwiesprache mit der erstaunlichen Erscheinung, die ihn so ohne weiteres beanspruchen wollte. Er versuchte zwar noch nachzukommen; aber es gelang ihm nicht ganz. Sein Stechschritt führte ihn diesmal nach Richtungen, die er nicht beabsichtigte, und so gelangte er auf eine leidlich friedliche Weise um eine andere Ecke herum.

Ob ihm weitere Schicksale erspart blieben, war für diesen Augenblick unklar; doch es schien, daß er trotzdem Aussicht hatte, für diesmal unbehelligt nach Hause zu kommen.


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