Willy Seidel
Der neue Daniel
Willy Seidel

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Paradise-Park

Er hatte die Augen halb geschlossen. Nun riß er sie auf und blickte in die weiße Glut der Straße, die er mechanisch schon wieder bis zur Hälfte zurückgelegt.

Nach Überholung der Negerkolonie überlegte er sich, ob er wiederum den Seitenpfad benutzen solle, um zu seinem Haus zu kommen; aber der Gedanke an eine abermalige Begegnung mit dem froschähnlichen Geschöpf hielt ihn ab.

An der Ecke der Spruce-Street blickte er nochmals zurück und gewahrte einen großen Wegweiser, der in schreienden Buchstaben auf einen Park hinwies, der sich offenbar in der Nähe befand. Er hieß › Paradise-Park‹ und zwei mächtige Zeigefinger, peinlich ausgemalt mit spitzen Nägeln und faltiger Haut (wobei dem Künstler offenbar eine Farmershand vorgeschwebt), ließen keinen Zweifel über die Richtung.

»Paradiespark,« dachte Erwin. Es war wie eine kurze Erlösung, das Wort genießen zu dürfen. Vielleicht haben sie sich irgendwo Mühe gegeben, daß Quadratische dieser Gegend durch eine Rundung zu verklären; denn es wäre ein starkes Stück, das Wort »Paradies« zu mißbrauchen... Gehen wir morgen doch einmal hin, beschloß er; denn eine Rettung muß es doch geben jenseits dieser Straße...

Zum erstenmal war ihm wieder der entfesselte Verkehr klar, der hier eine Bresche quer durch diesen meilenlangen Wald geschlagen. Fasziniert, halb betäubt stand er noch eine Weile still.

Mit der Regelmäßigkeit eines großen Uhrwerks, dessen schwingenden Pendel man sich hoch im wabernden Blau aufgehängt vorstellen mochte, – von wo aus er mit seinem Ende die Straße in scheußlicher Regelmäßigkeit streifte, – tauchten Staubfäden auf, die sich qualmend verdickten, abplatteten und wieder zurücksanken. In diesen aufwirbelnden Staubbänken stak ein schwarzer Kern, wie ein dunkler Komet, der einen Schwanz mit sich riß von Benzingestank und umherspritzenden Steinen; und jeder dieser schwarzen Kerne war ein Automobil, auf Höchstleistung eingestellt und schnurrend wie eine große Bremse.

Da kamen »Ford«-Wagen mit ihrem blechernem billig-ratterndem Takt; kamen Limousinen mit wehenden Gesichtsschleiern wie mit Fahnen annonciert; klobige, stumpffunkelnde Dinger, die mit leichtem Zirpen, unter dem ein gedämpftes Donnern stand, Meilen fraßen; »Hudson Super Six's,« »Cadillac's,« »Maitland's,« »White's« und wie sie sonst hießen... Er kannte sie heraus an ihrem charakteristischen Geräusch. Es war eine dämonische Hetzjagd, die sich abspindelte; etwas unpersönlich Verwüstendes lag in der Verachtung von Raum, in diesem Schlemmen in Entfernungen.

So war das Leben hier, daß jeder Mensch, der durch diesen eintönigen Bereich glitt, nicht einmal ein Erinnerungsbild mitnahm. Der Einsame, der in menschliche Gesichter, vielleicht in die nach Farbe und Buntheit dürstenden Gesichter abgehetzter Großstädter spähen wollte (eines halb tragischen Einverständnisses sicher), vermochte nicht einmal die Profile zu erhaschen; erhielt nicht einmal den Eindruck, daß Menschen in diesen wirbelnden Maschinen saßen. Selbst die Hupen brüllten nicht. Kein schmetternder Dreiklang ertönte mit lieblichem Trompetensignal, kein tiefes kräftiges Gebell, kein Sirenengeheul. Nein, mit aufpeitschender Lautlosigkeit, die nur vom Gezitter entfesselter Motore vibrierte, vollzogen sich die Begegnungen in selbstverständlicher, geölter Routine, die kein Mißverständnis, keinen falschen Griff am Lenkrad zu erlauben schien. Das war ja auch kein Wunder, da die Straße auch einem Schlafwandelnden in ihrer pfeilgeraden Unendlichkeit geläufig sein mußte.

Erwin ging müde bis zur Einfahrt seines Hauses. Dort stand ein blecherner Postkasten, den er mechanisch öffnete. Er blitzte ihm leer entgegen.

Nur in der Ecke saß eine gefangene Heuschrecke, die im Übermaß der Anstrengung sich zu befreien, einen ihrer Sprungschenkel verloren hatte. »Wenn man sie auf den Boden setzt,« dachte er, »so hüpft sie immer im Kreis herum. Sechs Monate liegen vor uns. Werden wir es auch so machen? Aber, weiß Gott: der Kontrakt ist ja nicht mit Blut unterschrieben. Wenn das so weiter geht, wird er zerrissen und in die Winde gestreut.«

Er fühlte sich mit einemmal jung, gesund, und bereit, alle Widrigkeiten niederzulächeln mit dem animalischen Wagemut eines blutvollen Körpers, eines überlegenen Hirns. »Wir werden uns einrichten trotz Negern, alten Weibern und Automobilen, denn wir sind in uns viel zu reich, als daß uns das Außen etwas anhaben könnte.«

Er hatte noch keine zwei Schritte nach seinem Hause zu zurückgelegt, als er hinter sich seinen Namen rufen hörte. Erstaunt fuhr er herum und sah eine alte Dame auf der Straße stehen.

Graue Zottellocken hingen ihr, jugendlich gedreht, in die eingefallenen Wangen und um die Schultern gewickelt trug sie einen rohseidenen Schal, dessen Fransen fast den Boden berührten. Sie schritt mit Grandezza auf ihn zu und spähte hinter einem Zwicker hervor mit verblaßten Augen in sein Gesicht, wobei sich unter ihrer falkenartigen Nase die ledernen Lippen zu einem breiten Lächeln auseinanderzogen. Dieses Lächeln entblößte gelbe überlange Zähne.

»Wenn ein Pferd lächeln könnte,« dachte Erwin, »so würde es ähnlich aussehen; nur daß ein Pferd sich vielleicht mehr dabei denken würde, wie diese alte Person.«

Sie streckte ihm eine von Gichtknoten verzierte gelbe Hand entgegen, an der ein verstaubt aussehender Silberring saß, und sagte atemlos und etwas überstürzt: »I am Miß Palmer. – Let me shake hands with my new neighbour!«

Die zögernd gereichte Hand Erwins ergriff sie darauf; – es war ein Gefühl von kühlen, tastendumklammernden Krallen... Sie ließ ihn nicht leichten Kaufes davon.

»Sie müssen kommen«, sang sie zwitschernd »– und eine Tasse Tee bei mir trinken. Ich kannte den Besitzer Ihres Hauses sehr gut. Wir haben manch' eine von Gott erfüllte Gesprächsstunde miteinander verplaudert. Ich weiß, wie schwer es junge Frauen haben. Trauen Sie Ihrer Negerin nicht, sie wird Sie bestehlen, wenn nicht gar ermorden. Sie wird Sie vielleicht vergiften. Trauen Sie ihr nicht. Sie sind alle schwarz inwendig und auswendig; der Herr hat sie verworfen. Grüßen Sie mir Ihre liebe junge Frau. Gott schenke Ihnen reichen Segen und Befriedigung. Es kann nie an etwas fehlen, wenn man nur auf Gott vertraut.«

Nach dieser salbungsvollen Ansprache zog sie ihren Schal fester um die spitzen Schultern und blickte ihm nach, noch die Lippen bewegend, als habe sie viel mehr zu sagen, was mit Gottvertrauen und Negern zu tun habe, unterdrücke es aber bis auf ein nächstes Mal.

Dann kniff sie die Augen zusammen und schritt mit derselben Grandezza wieder über die Straße zurück, wo sie sich auf ihrer Veranda im Schaukelstuhl niederließ und er ihren grau gelockten Kopf noch ermüdend gleichmäßig hin- und herschwanken sah, während sie einen leisen, einem Hymnus ähnelnden Singsang von sich gab.


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