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Potthennerken

Von

August Hagedorn

Wißt ihr, wer Potthennerken ist? Ja, wer zufällig aus Helpup stammt, das drei Bindfadenlängen hinterm Wodansberge liegt, der kennt ihn. Denn dort wurde Potthennerken geboren. Was sage ich – geboren? Nein, Potthennerken ist gar nicht geboren, sondern der alte Töpfermeister Bullerdiek fand ihn eines schönen Tages in der Lehmgrube. Da lag er mitten in einem Wasserkolke und strampelte seelenvergnügt mit den Beinen. Hätte er zu dem Strampeln noch gequakt, so würde Bullerdiek ihn gewiß für einen dicken Frosch gehalten haben. Aber Potthennerken quakte nicht; nein, er lachte – lachte so glockenhell, daß der ganze Wodansberg davon widerhallte.

Bullerdiek traute seinen Ohren nicht, als er das Lachen hörte. Das war ihm etwas Ungewohntes. Und doch klang es ihm wie eine Erinnerung aus versunkenen Tagen. Aber wo hatte er früher ein gleiches Lachen gehört? Er sann nach, schob die Zipfelmütze vom rechten auf das linke Ohr und sah in den Kolk. Da fielen ihm mit einem Male seine sieben Kinder ein, die nacheinander plötzlich gestorben waren. Ja, richtig! – Darunter war ein rotwangiges Bübchen gewesen, daß hatte auch so hell lachen können, wie der kleine Strampelmann im Wasserkolke. Der Tod der Kinder war ihm und seiner Frau nahe gegangen. Tiefe Traurigkeit lag wie ein schwarzer Schatten auf seiner Seele, während seine Frau seitdem an der bösen Krankheit »Vergessenheit« litt, gegen die es keine Medizin gab.

»Halt,« dachte er, »die Traurigkeit soll einen Riß kriegen. Den kleinen Schelm nimmst du mit nach Hause. Eltern hat er gewiß nicht, und hier würde er ja elendig umkommen.«

Gedacht – getan! Er fischte ihn aus dem Kolke heraus und legte ihn behutsam in den Lehmkarren. Dann zog er das Wams aus und wollte ihn damit zudecken. Als der Kleine das merkte, fing er auf einmal an zu sprechen. »Hopsa,« rief er, »wenn Ihr mich mitnehmen wollt, muß ich erst mein grünes Röckchen anziehen, daß sieben Klafter tief unter dem Wasserkolke hängt. Wartet nur sieben mal sieben Atemzüge, dann bin ich wieder zurück.«

Er schlug einen Purzelbaum, und – plumps, war er im Wasserkolke verschwunden.

»Das ist ja ein putziges Kerlchen!« murmelte der Töpfer vor sich hin. Kaum hatte er eine Viertelstunde gewartet, da tauchte der Kleine mit einem grünen Samtröckchen wieder auf, aber er war inzwischen um sieben Jahre älter geworden.

»Wie heißt du eigentlich?« fragte Bullerdiek.

»Ich – ich heiße Heinz oder Heinzelmännchen!«

»Ach, das trifft sich ja gut! Heinz, so hieß auch mein jüngster Sohn, der ebenso hell lachen konnte wie du. Wir nannten ihn jedoch immer Hennerken, weil das im Plattdeutschen so Mode ist. Du mußt also schon zufrieden sein, daß wir dich auch Hennerken rufen.«

»Damit bin ich siebenmillionenmal einverstanden,« lachte der Kleine.»Hör mal,« fuhr Bullerdiek fort, »daß du immer die Sieben im Munde hast, das gefällt mir gar nicht. Die Sieben ist eine böse Zahl, die mir allezeit Unglück gebracht hat. – Sieben Kinder habe ich gehabt, die alle früh gestorben sind; seit sieben Jahren leide ich an Traurigkeit und meine Frau an Vergessenheit. Vielleicht bringst du uns mit deinen vielen Sieben nur neues Unglück.«

Jetzt fing Hennerken von neuem an zu lachen, viel lauter als zuvor, so daß die Bäume im Wodansberge und die Vögel auf den Zweigen, ja selbst die Lehmgrube mit lachten. Nur Bullerdiek stand noch traurig da.

»Paß mal auf!« rief der Kleine. »Ich will Euch zeigen, daß die Sieben keine Unglücks- sondern eine Glückszahl ist. Nehmt sieben Schaufeln voll Lehm und tut sie in Euren Karren, dessen Rad sieben Felgen und sieben Speichen hat, schüttet über den Lehm sieben Handvoll Wasser aus dem Kolke, und ihr werdet staunen, was daraus wird. Ihr müßt nämlich wissen, daß der Kolk mit den Tränen gefüllt ist, die Ihr und Eure Frau um die sieben Kinder geweint habt. Aus den Tränen soll Euch nun neues Glück kommen.«

Bullerdiek tat, wie ihm geheißen ward. Er füllte sieben Schaufeln voll Lehm und sieben Handvoll Tränen in den Karren. Alsdann zog Hennerken ein schwarzes Zauberstäbchen unter dem grünen Röckchen hervor und rührte damit sieben Atemzüge lang in dem Lehmbrei, bis der plötzlich zu einem dicken Goldklumpen erstarrte.

»So,« sagte er, »hier habt Ihr ein glänzendes Stück reinen Glücks. Nun wollen wir uns beeilen, daß wir zu Eurer Frau kommen, damit auch die an dem Glücke teilnimmt.«

»Nein, das Gold kann uns nicht glücklich machen«, versetzte Bullerdiek. »Wir möchten nur die Traurigkeit und Vergessenheit los werden und dafür ein fröhliches Herz haben, mit dem wir wieder lachen und guter Dinge sein können. Kannst du uns das verschaffen, so wollen wir dir dankbar sein und dich wie unser eigenes Kind lieb haben bis an unser seliges Ende.«

»Gut,« sagte Hennerken, »ich will Euch zur Fröhlichkeit verhelfen, wenn ihr sieben Tage wartet und mich binnen der Zeit lehrt, wie man schöne Töpfe macht.«

»Ei, gewiß doch, in weniger als sieben Tagen sollst du es bis zum Meister bringen.« Bums! – stülpte Bullerdiek den Karren um, so daß der Goldklumpen in den Kolk kullerte, und das Wasser hoch aufspritzte. Das gab ein Brodeln, wie wenn eine Feuerkugel hineingeworfen wäre.

»Siehst du wohl,« fuhr er fort, das Gold entstammt der Hölle. Es ist heiß wie glühendes Eisen und zischt wie eine giftige Schlange.«

Nach wenigen Augenblicken war der Kolk trocken und vom Golde nichts mehr zu sehen. Nun lud Bullerdiek den Karren voll gelben Töpfertons, machte darin einen bequemen Sitzplatz für Hennerken zurecht und fuhr mit ihm nach der Werkstatt, wo beide sofort an die Arbeit gingen.

Hennerken erwies sich als begabter und geschickter Lehrling. Schon am dritten Tage hatte er ein schönes Tongefäß fertig. Ein zierlicher Henkeltopf mit Deckel war es, spiegelblank glasiert und mit allerlei Zaubersprüchen bunt bemalt. Er freute sich über seiner Hände Werk und zeigte es dem Meister. Der war über die Geschicklichkeit des kleinen Kerlchens aufs höchste verwundert. Ein langes, stöhnendes »A – ach!« entrang sich seiner Brust. Das fing Hennerken mit dem neuen Topfe auf, den er schnell mit dem Deckel schloß.

»Ha, ha, ha!« lachte er. »Jetzt ist die Traurigkeit futsch und rutsch in meinem Topfe.« Dabei schrieb er mit dem Zeigefinger siebenmal einen Kreis in die Luft, und – »kille, kille – pik« tupfte er dem Meister mit dem Finger auf den Leib, daß er mit einem Male auch hell auflachte und von Stund' an fröhlich und guter Dinge war.

Am anderen Tage hatte Hennerken einen zweiten Henkeltopf fertig. Der war noch viel schöner als der erste. Kleine Kobolde saßen auf dem Rande und kniffen sich einander in die Ohren. Den Deckel schmückten blaue Vergißmeinnicht-Blümchen, und auf dem schneeweißen Boden stand in strahlender Goldschrift zu lesen:

Vergessenheit, verlaß den Kopf
und fall in diesen Henkeltopf.

Als der alte Bullerdiek den Topf sah, war er noch mehr erstaunt als zuvor. »Junge, da hast du dein Meisterstück gemacht!«

»Wenn das wahr ist,« sagte Hennerken, »so soll auch Eure Frau von ihrem Übel frei gemacht werden. Bringet mich zu ihr!«

Der Meister ging mit ihm in eine niedrige Stube. Dort saß Mutter Bullerdiek auf der Ofenbank und schlief. »Pst! Pst!« flüsterte der Kleine.

Sachte schlich er sich an die Frau heran, setzte den Topf in ihren Schoß und kitzelte sie mit dem Zauberstäbchen unter der Nase. »Hatzie – hatzie!« schallte es durch die Stube. Und als die Meisterin zum siebentenmal geniest hatte, machte Hennerken den Topf zu. Denn nun war die Vergessenheit darin.

»Gesundheit, Mutter Bullerdiek!« rief er.

»Danke schön, kleines Heinzelmännchen«, antwortete sie, sah ihn vergnügt an – und lachte.

Von da ab herrschte in der Töpferhütte – wie Bullerdieks Häuschen im Volksmund hieß – eitel Freude und ständiger Sonnenschein. Hennerken half dem Meister fleißig bei der Arbeit, machte jedoch im geheimen für sich einen dritten Henkeltopf, den er selbst bis zum Bersten voll lachte, und zu den beiden anderen in sein Kämmerlein stellte, das Mutter Bullerdiek ihm behaglich eingerichtet hatte. –

An jedem siebenten Tage trug er in einer kleinen Kiepe huckepack die fertigen Töpfe nach dem Markte. Auf diese Weise wurde er bald weit und breit als »Potthennerken« bekannt. Die Leute kauften gern von Ihm, weil er ein so freundliches und schelmisches Bürschchen war und sein Geschirr viel netter aussah, als das von anderen Töpfermeistern.

Kam er dann nach Hause, so brachte er seinen Pflegeeltern manchen blanken Taler mit, die sich allmählich zu einem kleinen Vermögen ansammelten.

»Ach, daß es doch immer so bliebe!« wünschte Mutter Bullerdiek im stillen. Nein es sollte anders kommen, und daran war ein Zaunkönig schuld.

Sieben gesegnete Jahre waren vergangen, der Wodansberg schmückte sich gerade zum Frühlingsfeste. Vater und Mutter Bullerdiek saßen mit Hennerken bei der Morgensuppe. Es gab Buchweizengrütze mit Schwarzbrot. Da pickte ein Vöglein an die Fensterscheiben. Das rief:

Tilit, die Zeit ist um – pivit;
Potthennerken, komm mit, ich bitt'.
Ich ruf's zum ersten und zum andern,
Tilit, pivit – wir müssen wandern.

Potthennerken sprang von seinem Schemel auf. Hastig schluckte er das letzte Häppchen Brot hinunter, reckte die Glieder und wurde zusehends um weitere sieben Jahre älter.

»Hört ihr, was der Zaunkönig ruft«, fragte er. »Jetzt muß ich fort in die weite Welt. Aber in sieben Monaten, wenn der erste Schnee fällt, bin ich wieder bei euch.«

Mutter Bullerdiek wollte ein trauriges Gesicht machen. Doch das ging nicht, weil sie ein fröhliches Herz hatte.

»Verlaß uns nicht; bleibe hier!« bat sie. »Was der kleine Zaunkönig sagt, das gilt nicht!«

»Ei, freilich gilt das«, sagte Hennerken. »Jeder König hat zu befehlen, auch wenn er noch so klein ist. Bei den Königen kommt es nicht auf die Größe der Person, sondern auf die Würde an.«

»Ganz meine Meinung«, fiel der Töpfermeister ein, »dem Könige muß man gehorchen! Reise mit Gott und komm gesund zurück. Doch halt! Zum Reisen gehört Geld, und das will ich dir mit auf den Weg geben.«

»Euer Geld behaltet nur, lieber Meister«, versetzte Hennerken. »Ich gebrauche weiter nichts als meine drei Henkeltöpfe, damit komme ich durch die ganze Welt.«

Er ging in die Kammer, die Töpfe zu holen. Allein das war leichter gedacht als vollbracht. Denn es ist nicht jedermanns Sache, mit zwei Händen drei Henkeltöpfe auf einmal zu tragen! Doch – es bot sich Rat. Nebenan im Stalle grunzte ein fettes Schweinchen. »Die Gelegenheit ist günstig«, lachte er in sich hinein. Flink wie eine Maus war er im Stalle, zog das Zauberstäbchen hervor und strich damit siebenmal über das dralle Schweineschwänzchen. Im Nu wurde daraus ein drei Ellen langer Lederriemen. Damit band er die Henkeltöpfe aneinander und hing sie über die Schulter – den voll Lachen nach vorn und die voll Vergessenheit und Traurigkeit nach hinten.

»Lebt wohl, Vater und Mutter Bullerdiek!« Und ehe sie sich's versahen, war er draußen. Dort wartete schon der Zaunkönig auf ihn, flog voran und blieb sieben Tage lang Hennerkens Führer. Dann setzte sich der kleine König in eine Weißbuchenhecke. »So, jetzt mußt du deine Wege allein finden. Ich bleibe hier, um mir ein Sommerschloß zu bauen. Gehe immer der Nase nach und höre nicht eher auf zu wandern, bis du auch ein König bist.«

»Das soll schon werden!« antwortete Hennerken. Als er sieben Wochen unterwegs war, kam er an einer Talmühle vorbei, deren Räder stillstanden.

»Hier ist etwas nicht in Ordnung«, sagte er sich und trat in die geöffnete Tür. Der Müller saß auf einem Sack voll Weizen, den Kopf auf die Ellbogen gestützt. Hennerken klopfte ihm auf die Schulter. »Wo fehlt's«, fragte er. »Der Esel, der Esel!« seufzte der Müller. »Was ist das mit dem Esel?« »Ach, das ist eine gar böse Geschichte, an der sich nichts mehr ändern läßt.«

»Oho! Nur nicht gleich den Mut verloren«, tröstete Hennerken. »Ist die Sache nicht allzu schlimm, so kann ich vielleicht helfen.«

Der Müller sah verwundert auf. Hilfe sollte ihm plötzlich kommen, die er bisher vergeblich gesucht hatte! Er gewann Vertrauen und erzählte: »In der Talmühle war ein Esel, der meinem Großvater hundert Jahre und meinem Vater ebenso lange gedient hatte. Als der Esel dann in meinen Besitz überging, wollte der Racker den Mahlkarren nicht mehr ziehen. Der alte Graupelz blieb stehen, wo er stand und zitterte an allen Gliedern. Ich zog ihn am Zaume an – es half nicht; ich trieb ihn mit der Peitsche an – es half nicht. Endlich riß mir die Geduld! Ich nahm die Wagenrunge und schlug ihn damit zwischen die langen Eselsohren. Da brach er mit einem jammervollen »I-A« zusammen und starb auf der Stelle. Seitdem kann ich den Esel nicht vergessen. Überall, wo ich gehe und stehe, höre ich seinen Schrei. Nicht einmal des Nachts läßt er mich ruhen. Ja, ich komme mir oft selbst wie ein Esel vor, fühle stündlich nach meinem Kopfe, ob mir nicht schon lange Ohren gewachsen sind. Ach –! Könnte ich doch den Gedanken an den Esel los werden; alles, was ich besitze, würde ich darum geben.«

»Ja, ja, da habt ihr allerdings das Alter nicht gut behandelt und treue Dienste schlecht belohnt«, sagte Hennerken. »Doch wenn ihr gelobt, den Armen in einem Umkreise von sieben Meilen von jetzt ab bis an Euer Ende das Brotmehl umsonst zu liefern, so sollt ihr von Euerm Übel befreit werden.«

»Das gelobe ich und werde es treulich halten!« »Abgemacht!« rief Hennerken, nahm den Topf voll Vergeßlichkeit zur Hand, tunkte drei Finger hinein und strich damit viermal kreuzweise über des Müllers Stirn. Nach einer Weile fragte er: »Habt Ihr jemals einen Esel totgeschlagen?« »Davon weiß ich nichts«, gab der Müller zur Antwort. »Gut! Euer Leiden ist beseitigt.«

Wie der Wind war der kleine Hexenmeister aus der Mühle. Vergnügt ging er der Nase nach weiter über Berg und Tal, durch Wiese und Wald.

Als er abermals sieben Wochen gewandert war, begegnete ihm auf einsamer Straße ein Musikant, der hieß Finke und war aus dem Dorfe Eulenhorst, das lauter prächtige Häuser, aber eine alte, zerfallene, kleine Kirche hatte. Der Musikant hüpfte von dem einen Bein auf das andere, strich lustig die Fiedel und sang übermütige Weisen dazu. Hennerken mußte hellauf lachen.

»Hör mal«, hielt er den Spielmann an. »Du scheinst ein rechtes Sonntagskind zu sein, das reich an Glück und Freude ist und keine Sorgen kennt.«

»Alles eher als das! Genau das Gegenteil trifft den Nagel auf den Kopf. Ich bin ein bedauernswerter Gesell, noch ärmer als der Floh im Haberstroh. – Wohl könnte ich reich sein – reich wie ein König, wenn meine Lustigkeit sich auf einige Zeit in Traurigkeit verwandelte.« »So, so!« nickte Hennerken. »Wie wolltest du denn durch Traurigkeit reich werden?«

»Ganz einfach! Meine verstorbene Tante würde ich beerben, die mir viele hundert Tausend Taler vermacht hat unter der Bedingung, daß ich die gute Seele drei Monate hindurch wirklich und aufrichtig betrauere.

Doch so, wie's ist, so geht's nicht,
Ein Musikant versteht's nicht. –
Juchhe! Von Lust und Narretei
Werd ich mein lebelang nicht frei.«

»Oh, ich wüßte schon ein Mittel«, fiel Hennerken ein. »Aber das Mittel ist teuer; es kostet eine neue, schöne Kirche für euer Dorf. Willst du die bauen lassen, wenn du reich bist, so soll dir sofort geholfen werden.«

Der Spielmann drehte sich wie ein Kreisel und machte vor Freude einen mächtigen Luftsprung. »Die Bedingung erfülle ich gern doppelt und dreifach!« »Halt, pst! – Nicht mehr versprechen, als verlangt wird, aber wacker Wort gehalten«, beschwichtigte Hennerken. »Auf meinem Rücken hängen zwei Henkeltöpfe, davon einer, an den allerlei Sprüche gemalt sind. Den nimm, hebe den Deckel ab und trinke drei Schluck aus dem Topfe – aber um Himmels willen nicht mehr, sonst bleibst du zeitlebens traurig.«

Der Spielmann befolgte die Weisung. Als er den ersten Schluck getan hatte, zog tiefer Ernst über sein langes Gesicht, nach dem zweiten wurde er betrübt – und zuletzt rannen dicke Tränen über seine welken Wangen. Die Fiedel warf er weit von sich, so daß sie mit dumpfen Klang in den Straßenstaub niederfiel.

»Oh, du liebste, beste Tante«, jammerte er, »es tut mir in der Seele leid, daß du gestorben bist. Ich wünsche dir aus aufrichtigem Herzen selige Ruhe und Frieden!«

Hennerken rieb sich befriedigt die Hände. »Die Menschen sind doch sonderbare Geschöpfe; was dem einen sein Essig – ist dem andern sein Zuckerwasser!« Sprach's, nahm des Spielmanns Fiedel und ging seiner Wege.

Der Musikant kehrte darauf traurig nach Eulenhorst zurück. Die Dörfler waren über seine Veränderung aufs höchste verwundert. »Nun wird er bald die große Erbschaft antreten können«, meinten sie. Sie hatten recht. Nach einem Vierteljahr war er der reichste Mann des Dorfes, der deswegen nur noch Goldfinke genannt wurde. Über den Reichtum vergaß er jedoch seines Versprechens nicht. Sofort traf er Vorkehrungen zum Bau der neuen Kirche. Allein es hielt schwer, den rechten Baumeister zu finden. – Da fiel ihm ein, daß er als Spielmann einmal am Hofe des Königs von Norge gewesen war, wo er einen tüchtigen Baumeister kennen gelernt hatte. Den wollte er für den Kirchenbau gewinnen! Dem Gedanken folgte die Tat auf dem Fuße. Er reiste nach Norge. Als er dort ankam, fand er den König und seine Dienerschaft in großer Betrübnis.

»Was ist geschehen?« fragte er den Hofmarschall. »Ach,« seufzte der, »kleine Ursachen – große Wirkungen! Hier ist der Trübsal kein Ende. – Der Prinzessin ihr Schoßhündchen ist vor mehreren Jahren in einem Regentropfen ertrunken. Darüber ist sie schier untröstlich. Tag und Nacht sitzt sie in ihrem Lehnstuhl und weint sich die blauen Äuglein rot. Und weil sie des Königs einziges Kind und Erbin ist, sind wir alle voll großer Sorge und Trauer.«

»Schade – schade, daß ich das nicht früher gewußt habe«, versetzte Goldfinke mit wichtiger Miene. »Mir ist nämlich vor drei Monaten ein wanderndes kleines Männlein mit drei Henkeltöpfen begegnet, daß mich auf einfache und sonderbare Weise von meiner unbändigen Lustigkeit befreit hat. Gewiß hätte es der Prinzessin und euch allen ebensogut helfen können.« Alsdann erzählte er ausführlich sein Erlebnis mit Potthennerken, dem er den Bau einer schönen Kirche versprochen habe, weshalb er um Überlassung des Baumeisters bitte.

»Ein Versprechen darf niemand brechen!« sagte der Hofmarschall. »Darum will ich Euren Wunsch erfüllen. Noch heute soll der Baumeister nach Eulenhorst abreisen und für Euch die Kirche bauen. Ihr aber,« fuhr er fort, »Ihr müßt die Wundertat Potthennerkens dem Könige selbst vortragen und abwarten, was er befiehlt.«

Sie gingen in einen großen, himmelblauen Saal, in dem sämtliche Minister und Diener des Hofes versammelt waren. Der König thronte auf goldenem Sessel. Neben ihn saß sein Töchterlein mit einer funkelnden Krone aus Diamanten. Alle waren betrübt und folgten gespannt der Erzählung des ehemaligen Spielmannes. Da – als der König gerade befehlen wollte, daß Goldfinke mit hundert Boten im ganzen Lande nach Potthennerken suchen sollte – da schlugen unverhofft vom Schloßhofe her seltsame Töne an ihr Ohr. Alle lauschten und hörten die Weise:

Es hat der König von Norge
Ein liebliches Töchterlein,
Das macht dem König Sorge,
Betrübnis und große Pein.
Wär' ich der König von Norge –
Mir käme kein anderer gleich:
Es gäbe keine Sorge
Im ganzen Königreich.

»Was ist das?« fragte der König. »Das ist der Klang meiner alten Fiedel,« rief Goldfinke, »und der sie streicht, so zart und fein, kann nur der kleine Töpfer sein!« »So hole ihn herbei!« befahl der König.

Mit eiligen Schritten, als ginge es in Siebenmeilenstiefeln, war Goldfinke im Schloßhofe. Und richtig – da stand das kleine Männlein mit den drei Henkeltöpfen und lachte sich ins Fäustchen. –

»Ist die neue Kirche schon fertig?« »Noch nicht, aber sie wird gebaut.« »Achte ja darauf, daß sie recht schön wird!« Schon wollte Hennerken der Nase nach weiter wandern, als der frühere Musikant ihn anhielt und fragte, ob er die Traurigkeit am Königshofe nicht in Lachen verwandeln könne.

»Nichts leichter als das! In solchen Dingen bin ich von jeher geradezu meisterlich bewandert. Müßte es sein, so würde ich bequem das ganze Königreich Norge ins Lachen bringen.«

»O, so komme doch mit in den Königssaal und zeige deine Meisterschaft.« »Gedulde dich siebenmal sieben Augenblicke, dann will ich dir folgen.«

Potthennerken nahm den Zauberstab zur Hand, strich damit siebenmal über den Erdboden, aus dem alsbald ein prächtiger Blumenstrauß emporwuchs. Den tauchte er tief in den Lachtopf.

»So – jetzt bin ich bereit, vor den König zu treten. Hei, daß wird ein Lachen geben!« Beide schritten eine breite Marmortreppe hinauf, die mit kostbaren Teppichen belegt war.

Als Potthennerken in den Saal trat, machte er nach allen Seiten hin eine Verbeugung. Dann wandte er sich an die Königstochter, vor der er sich abermals so tief verneigte, daß er mit seinen Lippen den Saum ihres golddurchwirkten Kleides berührte. Dabei zog er die Blumen aus dem Lachtopfe und überreichte sie mit vielem Anstande der Prinzessin. Ein Wonneschauer durchrieselte sie, wie wenn die Liebe bei ihr einkehre. Bedächtig führte sie den Strauß unter ihr zierliches Näschen. Und nachdem sie daran gerochen hatte, huschte ein freundliches Lächeln über ihr zartes und schönes Gesicht. Ja, sie wurde sogar fröhlich und gab den Strauß scherzend ihrem Vater, der auch daran roch und sofort laut auflachen mußte. Nun gingen die Blumen von Hand zu Hand vom ältesten Minister bis zum jüngsten Kammerdiener, bis schließlich ein allgemeines schallendes Gelächter den Saal erfüllte. Der König war über Hennerkens Tat hocherfreut.

»Erbitte dir eine Gnade von mir, die ich dir für deinen Dienst erweisen kann.« »Herr König, meine Bitte wird zu anspruchsvoll sein, als das sie ohne weiteres von Euch erfüllt werde.« »Das hängt von ihrem Inhalte ab. Du weißt: einem König fällt manches leicht, was anderen Menschen schwer wird. Äußere also nur freimütig dein Verlangen.«

»Gut, so bitte ich, mir Euer liebliches Töchterlein zur Gemahlin zu geben.«

Die Prinzessin lächelte und nickte Hennerken freundlich zu, als wenn sie sagen wollte: Mir wäre es schon recht!

Doch der König dachte anders, er schlug die Bitte ab und sprach, so gut es das Lachen zuließ: »Meine Tochter kann nur einen jungen Prinzen heiraten, der dermaleinst König von Norge wird. Du bist zwar auch ein ansehnliches und ehrenwertes Männlein, aber leider nur von gewöhnlicher Herkunft. Hast du keine andere Bitte?«

»Nein, Herr König, nur diese eine, die sich vielleicht später doch noch verwirklichen läßt. Gehabt Euch wohl, und laßt Euch das Lachen gut bekommen!«

Da saßen und standen sie nun in ihrem vermeintlichen Glücke, der König mit der Prinzessin, mit den Ministern und Dienern. Sie lachten in einem fort – immer lauter, immer anhaltender, so daß sie sich alsbald vor unbändigem Lachen die Leiber halten mußten. Niemand dachte zunächst daran, daß auch das Lachen auf die Dauer unbequem werden könne. Das merkten sie erst, als sie vor Lachen kaum noch sprechen, nicht schlafen, ja, nicht einmal essen konnten.

Jetzt war guter Rat teuer – teurer als je zuvor. »Potthennerken soll zurückkommen, koste es, was es wolle!« stammelte der König, von ständigem Lachen unterbrochen.

»Ha, ha, ha, ha, hi, hi, hi, hi«, schallte es durch den Saal – und dabei blieb's. Keiner der Diener vermochte des Königs Befehl auszuführen.

Zum Glück war Goldfinke noch da, als einziger, der nicht an dem Lachstrauß gerochen und deshalb von dessen Wirkung verschont geblieben war.

Schnell sattelte er das beste Reitpferd des Königs, ritt querfeldein und rief in einem fort: »Potthennerken, Potthennerken!«

Ja, wo war Potthennerken? Der saß auf einem Ochsenwagen, den er unterwegs angetroffen hatte, und unterhielt sich mit dem Fuhrmann über das höchste Erdengut.

»Das ist die Zufriedenheit«, meinte der Landmann. »Wird schon stimmen«, nickte Hennerken, während er hinter sich seinen Namen rufen hörte und Goldfinke antraben sah.

»Haltet einmal mit dem Fuhrwerk still!« rief Hennerken dem Bauern zu. »Hinter uns reitet ein Abgesandter des Königs, der mich holen will.« Nur noch wenige Schritte – und der Reiter hielt mit dem schäumenden Königsrosse neben dem Ochsenwagen.

»Was dich so eilig zu mir führt – weiß ich«, redete Hennerken den Reiter an. »Am Königshofe ist man des Lachens gar bald satt geworden; nun soll ich kommen und wieder Abhilfe schaffen. Doch diesmal bin ich nicht so leicht zu haben. Meine Beine sind vom vielen Wandern müde, so daß ich nicht mehr laufen kann. Du mußt also schon des Bauern Wagen kaufen, deinen Renner vorspannen und mich nach Norge fahren.«

Goldfinke machte verlegene Miene. Er hatte nur wenige Taler in der Tasche. Hennerken wußte das. Heimlich holte er sein Zauberstöckchen hervor und tippte damit unbemerkt in des Reiters Rocktasche.

»Flink – bezahlt den Wagen!« spornte er ihn an. »Dazu reicht mein Geld nicht aus!« »Was? – Du bist der reichste Mann von Eulenhorst und kannst den erbärmlichen Ochsenwagen nicht bezahlen? Ich glaube fast – du willst nicht, denn mir deucht, du hättest die Rocktasche voll von Goldstücken. Also heraus damit!«

Der Reiter wurde noch mehr verdutzt, faßte aber doch in die Rocktasche, aus der er zu seiner eigenen Verwunderung hundert blanke Goldstücke hervorholte, die er dem Bauern als Kaufgeld gab. Der freute sich nicht wenig, so ein gutes Geschäft gemacht zu haben, nahm seinen Ochsen am Halfter und trottete mit ihm nach Hause.

Während der Reitersmann das feurige und schnaufende Roß in die Deichsel spannte, verwandelte Hennerken mit dem Zauberstäbchen den Bauernwagen in eine goldene Kutsche. Darin fuhren sie im Galopp nach dem Königsschloß.

Der König und die Dienerschaft standen erwartungsvoll an den Saalfenstern. Sie trauten ihren Augen nicht, als sie das Männlein mit den Töpfen aus der goldenen Kutsche steigen sahen. »Sollte der kleine Zauberer gar ein verkappter Prinz sein?« dachten sie.

Schon wollte Goldfinke die Marmortreppe hinaufeilen, als Hennerken ihm zurief: »Halt, ich habe etwas vergessen« Der König hält viel von Standespersonen. Da muß ich ihm doch zeigen, wer ich in Wirklichkeit bin.«

Pardauz! warf er den Topf voll Vergessenheit auf die Quadersteine des Schloßhofes, so daß er in tausend und aber tausend kleine Scherben zerklirrte. Aus den Scherben machte er sich mit Hilfe des Zauberstäbchens eine herrliche Prinzenkrone. Die setzte er auf sein flachshaariges Haupt und wurde zusehends um eine Elle größer. Nun ging er mit Goldfinke in den Thronsaal, wo sich seit seiner Abwesenheit weiter nichts verändert hatte, als daß mehrere silberne Becher umherstanden, die in der ersten Lachfreude geleert waren.

»Was befehlt ihr Herr König?« Der König konnte vor Lachen kein Wort herausbringen. »Wollt ihr wieder traurig werden?« Der König schüttelte mit dem Kopfe. »Soll ich Euch das geben, was ein schlichter Bauersmann für das Beste gehalten hat?« Der König wußte nicht, ob er nicken oder mit dem Kopf schütteln sollte. »Nun, ich werde Euch zufrieden machen«, sagte Hennerken. Er nahm den größten und schönsten Pokal, der da stand, und füllte ihn zur einen Hälfte mit Traurigkeit, zur anderen Hälfte mit Lachen und mischte das Getränk mit dem Zauberstabe. Dabei sprach er laut das Verslein:

Stete Trübsal ist bekläglich,
Stetes Lachen – unerträglich –
Höchstes Glück bleibt allezeit
Einzig die – Zufriedenheit.

»Herr König, zu Eurem und aller Wohle!« Mit diesen Worten reichte er dem Könige den Becher. –

Und sie tranken alle daraus, die im Saale waren. Das Lachen verhallte wie das Brausen des Meeres nach beruhigtem Sturme. Zufriedenheit trat an seine Stelle und schuf einen Zustand der Ruhe und des Wohlbehagens.

Danach ließ der König ein köstliches Mahl bereiten, zu dem er die Grafen, Fürsten und Herzöge von nah und fern einlud. Auch Hennerken mußte daran teilnehmen. Er kam zwischen dem König und der schönen Prinzessin zu sitzen.

Als das Mahl im Gange war, erhob sich der König aus seinem goldenen Sessel.

»Meine lieben Freunde, ich habe euch zu einem Freudenfeste eingeladen. Neben mir sitzt ein ehrenwerter Jüngling, der meinem königlichen Hause den allergrößten Dienst geleistet hat, indem er uns allen die Zufriedenheit gab. – Dafür bin ich ihm Dank und hohen Lohn schuldig. Das Höchste aber, das ich besitze und zu vergeben habe, ist mein liebes Töchterlein, um das er minniglich geworben hat. Anfänglich habe ich seine Werbung abgewiesen, weil ich ihn nicht für ebenbürtig hielt. Aber ich muß mein Wort zurücknehmen. Wäre er nicht schon, wie ihr an seiner herrlichen Krone seht, ein Prinz aus altem Fürstengeschlechte, so hätte er für seine großen Taten den Fürstentitel redlich verdient. Ich habe deshalb beschlossen, ihm mein einziges Kind zur Gemahlin zu geben. Wie denkt ihr darüber?«

»Das ist ein vortrefflicher Entschluß – würdig des Königs!« riefen alle wie aus einem Munde. »Wohlan denn!« wandte sich der König an Potthennerken. »Deine Bitte ist dir erfüllt. Nimm sie hin, die Prinzessin, die dir in Liebe zugetan ist, und sei glücklich mit ihr.«

Ob Hennerken glücklich war? Ei freilich! Überglücklich war er. Helle Freude strahlte aus seinen Augen, als ihm das Königskind einen schallenden Kuß gab.

Sieben Wochen später fuhr er mit seiner jungen Gemahlin in der goldenen Kutsche durch das Königreich, um sich dem Volke als Prinz und künftiger König von Norge zu zeigen.

Da fielen die ersten Schneeflocken auf die Straße. »Liebe Gemahlin,« sagte er, »der erste Schnee erinnert mich an ein Versprechen, das ich den braven Töpfersleuten gegeben habe. Laß uns nach Helpup am Wodansberge fahren.«

Die Prinzessin willigte gerne ein und meinte, ob es nicht anginge, den Töpfer und seine Frau mit ins Königsschloß zu nehmen, damit sie dort ihre alten Tage sorglos und zufrieden verbringen könnten. »Das ist ein schöner Frauengedanke, den wir ausführen wollen«, erwiderte er.

Und so geschah es. – Vater und Mutter Bullerdiek stiegen in die goldene Kutsche und fuhren mit nach dem Königsschloß.

Sie erlebten es beide noch, daß der alte König die Regierung niederlegte und Potthennerken König von Norge wurde. Das war ihre größte Freude.

Wer heute an dem Schlosse vorbeikommt, der sieht in dem ausgemeiselten Wappen über der Eingangspforte zwei Henkeltöpfe mit der Umschrift:

»Sei zufrieden – und du bist reich und glücklich!«


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