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Trippstrille

Von

Albert Cusig

In einem Dorfe lebte ein Bauer; der hatte eine Frau und vier Kinder. Zu seinem Besitztum gehörten ein Stück Land, Ställe und Scheunen, Kühe, Pferde, Hunde und eine wunderschöne, weiß- und goldgefleckte Katze. Die hieß: Trippstrille.

Die Kinder hatten die Katze sehr lieb und spielten den ganzen Tag mit ihr. Sie gaben ihr reichlich zu essen und namentlich Fleisch und Kuchen so viel, daß sie sehr fett und dadurch sehr faul wurde. Ans Mäusefangen dachte sie nun schon gar nicht mehr. Sie hatte es ja nicht nötig. Auch hätte sie ein Mäuschen gar nicht mehr fangen können, weil es viel flinker und geschickter war als die dicke Trippstrille, die sich kaum mehr bewegen konnte. So verlernte sie es ganz und gar. Wenn die Kinder in der Schule waren, lag sie hinter dem Küchenofen und schlief. Kamen sie nach Hause, so ließ sie sich von ihnen füttern, umhertragen und im Puppenwagen umherfahren.

Unterdes begann es in Haus, Hof, Stall und Scheune von Mäusen zu wimmeln. Der Bauer klagte, daß sie ihm den ungedroschenen Weizen zernagten, den Kühen das Futter aus der Krippe fräßen und ihm bei hellem Tage im Hofe über die Füße liefen – so frech war dies kleine, graue Gesindel geworden. Dabei war es so klug, daß es in keine Falle ging und nur lustig über sie hinwegturnte. Vergeblich sperrte man Trippstrille über Nacht in den Stall, wo die Mäuslein am meisten hausten. Wenn man am nächsten Morgen hineinkam, lag sie schnarchend im Stroh; ja, der Bauer, der sich einmal heimlich herzugeschlichen, hatte beobachtet, wie ein paar junge, kecke Mäuslein sie am Barte zausten, ohne daß sie erwachte.

Nun aber war seine Geduld zu Ende. Er nahm die Peitsche und schlug die Katze, wovon sie erwachte, und laut schreiend lief sie davon, in die Küche, hinter den mächtigen Kachelofen.

Bei Tische sagte der Bauer zu seinen Kindern: »Heut abend wird die Katze geschlachtet. Einen unnützen Esser dulde ich nicht im Hause. Die Mäuse tanzen mir bald auf der Nase herum, und Trippstrille hockt hinter dem Ofen, bis sie ihr das Fell annagen werden.«

Nun fingen die Kinder an schrecklich zu schreien; denn sie hatten Trippstrille sehr lieb.

Aber der Vater blieb fest: »Da sie sich ihr Brot nicht durch Mäusefang verdienen will, muß sie sterben. Und damit basta!«

Das hatte die Katze gehört und einen großen Schreck bekommen. Nun war guter Rat teuer. Sie beschloß zu fliehen. Als der Bauer nachmittags ins Feld gegangen war, stahl sie sich heimlich davon. Am Stall und an der Scheune, dann am Kornfelde schlich sie entlang, bis sie von dem ungewohnten Laufe ganz müde und außer Atem geworden war und sich ausruhen mußte. Sie setze sich auf den Grabenrand und weinte leise vor sich hin. Da kam eine Eule, eine entfernte Muhme von der Katze, und fragte sie, was ihr fehle. Die Katze erzählte, womit der Bauer gedroht habe, und die Eule riet ihr, in den Wald zu fliehen, wo es hohle Bäume gebe, in denen sie wohnen könne, und wo der Bauer sie nicht finden würde.

Trippstrille machte sich auf den Weg nach dem Walde. Als sie an der Grenze angekommen war, brach sie vor Müdigkeit und Verzweiflung zusammen.

Sie konnte sich nur noch auf einen Stein niedersetzen, aber keinen Schritt weiter gehen. Jetzt erst kam es ihr so ganz zum Bewußtsein, wie unglücklich sie geworden war. Wo sollte sie eine Wohnung finden? Die Eule hatte ihr keine näher beschrieben! Wo sollte sie vor allem Nahrung hernehmen – sie, die verlernt hatte, sich ihr Brot allein zu verdienen? Ach, und der Magen begann schon gewaltig zu knurren!

Als sie sich alles so überlegte – da fing sie ganz jämmerlich zu weinen und zu jammern an. Und ihr Schreien und Greinen drang weit hinein in den Wald, so daß die Vöglein und Hasen erschreckt die Köpfe hoben und lauschten.

Da kam des Weges daher Herr Reineke, der Fuchs, angetan mit Jägerhut, Flinte und Jagdtasche. Der blieb vor Trippstrille stehen und sagte: »Was schreist du denn hier so in meinem Revier, daß die Hasen meilenweit davonlaufen?«

Da erzählte ihm die Katze auch ihr ganzes Leid, obgleich sie vor Schluchzen kaum sprechen konnte.

Als sie geendet hatte, überlegte Reineke ein Weilchen, dann sagte er: »Es steht freilich schlimm mit dir, meine Liebe. Aber ich werde dir einen Vorschlag machen und versuchen, dir zu helfen. Meine Frau sucht gerade ein Mädchen für alles. Willst du dich bei uns vermieten, so sollst du Wohnung und Essen haben. Freilich verlangen wir Ordnung, Sauberkeit und Freundlichkeit gegen unsere Kinder, die du auch besorgen mußt.«

Die Katze war nur froh, ein Unterkommen gefunden zu haben, und nahm die Stellung bei Herrn und Frau Reineke dankend an. Der Fuchs führte sie nach seiner Wohnung, die tief unter der Erde lag, und wohin die dicke Katze sich kaum durchzwängen konnte, da der Gang sehr eng war. Die Frau Füchsin war eine freundliche Frau, die sich über Trippstrillchens Ankunft sehr freute.

»Hei, nun kann ich mit dir auf die Jagd gehen!« rief sie ihrem Manne zu und hätte einen Freudensprung gemacht, wenn die Decke nicht zu niedrig gewesen wäre.

Sie hatte gerade ihr Jüngstes gebadet, und Trippstrillchen mußte ihr gleich zur Hand gehen, das Kindchen einwiegen, dabei einen Hahn rupfen, den Herr Reineke in seiner Jagdtasche mitgebracht hatte.

Auf dem Herde schmurgelte ein Hase, und sein Geruch drang dem armen, hungrigen Trippstrillchen angenehm in die Nase. Sie freute sich auf das Mittagessen und beeilte sich mit Tischdecken und allerlei kleinen Verrichtungen, um nur Frau Reinekes Gunst und dadurch ein großes Stück Braten zu erlangen.

Jetzt kamen auch die drei ältesten Füchslein herein, die draußen gespielt hatten. Sie waren voller Übermut, kugelten sich übereinander und sprangen dem Vater auf die Knie und zausten ihn am Bart. Als sie Trippstrillchen erblickten, sagten sie pfiffig: »O, eine neue!«

Und der älteste fragte: »Wirst du mir auch meine Stiefel gut putzen?«

Der zweite: »Wirst du mir mein Jäckchen gut bürsten?«

Und der dritte: »Wirst du mir mein Bettchen gut machen?«

Endlich ging es zu Tisch, und Trippstrillchens Magen jauchzte förmlich vor Wonne. Aber welche Enttäuschung! Der herrliche Hasenbraten duftete nicht für sie. Sie durfte nicht einmal am Familientische Platz nehmen, sondern mußte auf der Ofenbank hocken, wohin ihr Frau Reineke die abgenagten Knochen brachte. An diesen konnte sich das arme, verwöhnte Trippstrillchen die Zähne ausbeißen, als die ganze Familie Reineke sich nach beendeter Mahlzeit zur Mittagsruhe begeben hatte. Ach, wie weinte unser Trippstrillchen vor Hunger und Gram!

Nachdem sie sich noch ein paar Fleischreste an den Knochen zusammengesucht und diese selbst, so gut es ging, zerbissen hatte, mußte sie aufwaschen. Das hatte ihr Frau Reineke in aller Freundlichkeit streng anbefohlen, ehe sie sich zur Ruhe begeben hatte. Und als sie damit fertig war, mußte sie den Kaffee kochen, das Kleinste aus der Wiege nehmen, da es erwacht war, und mit ihm spielen. Gegen Abend erwachten die anderen, tranken Kaffee, worauf sich Herr und Frau Reineke auf die Jagd begaben, nicht ohne vorher Trippstrillchen eine ganze Menge Arbeit aufgetragen zu haben.

Trippstrillchen mußte bis spät in die Nacht arbeiten, um nur fertig zu werden, und dabei noch die wilden Rangen von jungen Füchslein in Ordnung halten. Das war um so schwerer für sie, als sie gar nicht daran gewöhnt war. Die Glieder waren wie zerschlagen, und sie sehnte sich nach Ruhe und Schlaf. Aber erst um Mitternacht, als Herr und Frau Reineke, reich mit Hasen und Kaninchen beladen, nach Hause kamen, konnte sie ihr Lager aufsuchen, das ihr in einer Ecke auf der Diele angewiesen war. So hart es sich dort lag – Trippstrillchen schlief fest und traumlos, als sie sich erst in den Schlaf hineingeweint hatte.

So ging es nun Tag für Tag. Trippstrillchen bekam viele Schläge, da sie die ungewohnte Arbeit nicht immer richtig ausführte. Auch Herr Reineke, der anfangs recht gut war, wurde sehr streng, und als Trippstrillchen eines Tages beim Ausstäuben seinen besten Pfeifenkopf zerbrach, einen, der noch von seinem Ur-Ur-Urgroßvater stammte, da riß er sie am Ohr und sperrte sie ein bei Wasser und Brot.

Am liebsten war es Trippstrillchen, wenn sie mit den Kindern spazieren gehen konnte. Da freute sie sich, einmal aus der niedrigen Wohnung unter der Erde heraus und in den schönen Wald zu kommen, und vergaß ihr Leid, so daß sie mit den kleinen Füchslein munter umhertollte. Denn das konnte sie wieder, da sie vor Hunger und Schlägen ganz schlank geworden war. Eigentlich fühlte sie sich so viel wohler als mit ihrem früheren Fett, und das söhnte sie etwas mit ihrem sonst so traurigen Schicksal aus.

Auch Mäusefangen lernte sie wieder. Herr Reineke brachte seinen Füchslein lebende Mäuse, an denen sie die Anfangsgründe des edlen Weidwerks erproben sollten. Sie mußten sich alle in Reih und Glied stellen, dann ließ er das Mäuslein los, und die Füchslein mußten es haschen. Trippstrillchen hatte immer zugesehen und sich manchen Kniff abgeguckt. Nun glaubte sie es auch zu können. Und eines Tages, als wieder Fangunterricht war, vergaß Trippstrillchen ganz, daß sie nicht mit zu den Schülern gehörte, sprang hinzu, als das Mäuslein lief, und fing es zuerst. Und als sie es zwischen den Zähnen zappeln hatte, konnte sie nicht widerstehen und verschluckte es mit Haut und Haar. Hei, wie das schmeckte! Der erste warme Braten seit langer Zeit! Und es wurde Trippstrillchen ganz mollig zumute.

Aber o weh! Über ihrem Haupte zog sich ein Gewitter zusammen. Herr Reineke war so wütend über ihre Keckheit, seinen Kindern die Maus vor der Nase wegzuschnappen, daß er gar nicht wußte, wie er Trippstrillchen strafen sollte. Da rief er seine Frau zu Hilfe.

»Fee,« rief er, denn so hieß Frau Reineke mit Vornamen, »Fee, komm doch mal schnell her!«

Und als Frau Reineke kam, da erzählte er ihr alles.

»Ach, da wollen wir uns doch gar nicht mehr länger ärgern, sondern das Lumpenpack fortjagen«, sagte die energische Frau Fee, und Herr Reineke fand den Rat sehr verständig.

»Du hast recht, wir brauchen auch gar keine Magd mehr. Unsere Kinder sind so gut wie erwachsen, die Mädchen gehen dir in der Wirtschaft zur Hand, mir können auf der Jagd die Jungens helfen. Auch kommt der Winter, wo wir uns einschränken müssen und ein unnützer Esser uns eine Last ist.«

So wurde Trippstrillchen Knall und Fall entlassen.

Aber sie fühlte sich gar nicht so unglücklich darüber. Ja, als sie außer Hörweite der Familie war, begann sie vor Freude zu hüpfen und zu singen. Ihre Glieder waren leicht und ihr Sinn froh! Sie fühlte, daß sie sich nun ihr Brot ganz gut werde verdienen können, und das machte sie so glücklich.

Als sie nun an der Grenze des Waldes angekommen war, setzte sie sich auf den selben Stein, auf dem sie vor einem halben Jahr so erbärmlich geschrien und der Fuchs sie getroffen hatte. Dort setzte sie sich wieder nieder und überlegte, was nun zu tun sei. Nach einer Weile sprang sie auf, drehte sich im Kreise, klatschte in die Pfötchen und rief: »Ich hab's, ich hab's!«

Dann lief sie spornstreichs auf das Gehöft ihres früheren Bauern zu, und da es Abend war, gelangte sie unbemerkt in den Kuhstall. Hier fing sie sich erst ein köstliches Gericht ganz fetter Mäuslein, und dann legte sie sich in das warme Heu und schlief prachtvoll die ganze Nacht hindurch. Am nächsten Morgen war sie früh auf und lief nach der Scheune. Dort fing sie sich eine Anzahl Mäuse, sieben im ganzen, und legte sich auf die Lauer. Endlich kam der Bauer auf die Tenne und legte sich Weizen zum Dreschen zurecht. Da sprang unser Trippstrillchen vor und legte ihm erst ein Mäuschen zu Füßen, dann das zweite, dritte und so fort bis zu sieben. Dann machte sie einen tiefen Katzenbuckel und strich immerfort schnurrend an den Stiefeln des Bauern hin und her, her und hin.

Der Bauer war wie versteinert; er traute seinen Augen kaum! War dieses magere Kätzchen seine Trippstrille – dieses fleißige Miezchen sein alter Faulpelz, den er hatte schlachten wollen?

»Trippstrille!« rief er, und mit einem Satz sprang ihm die Katze auf die Schulter und rieb ihre Schnauze an seinem Ohr. Daran erkannte er sein wirklich und wahrhaftiges Trippstrillchen; denn das hatte sie immer so gemacht, als sie noch nicht die Fettsucht hatte.

Nun trug er sie im Triumph ins Haus, wo ein ungeheurer Jubel ausbrach. Die Kinder nahmen sie ins Bett und herzten sie und fragten immerfort, wo sie gewesen sei. Jedoch, wie laut auch Trippstrillchen miaute – sie verstanden ihre Sprache nicht. Die Mutter aber traf das Richtige: sie brachte Trippstrillchen eine Schale Milch, worüber sie sich so freute, daß sie mit einem Satz aus dem Bette sprang und alles aufschleckte. So etwas hatte sie bei Reinekes nie bekommen.

Und dabei blieb es. Trippstrillchen nahm von den Bauersleuten nur noch Milch an; die Braten fing sie sich selbst. Bald war das Gehöft von Mäusen gesäubert. Da ging Trippstrillchen in die Nachbarschaft, wo man ihr mit Freuden Jagdreviere überließ, und sie auch mit süßer Milch bewirtete. Aber ihrem Bauern wurde sie nicht untreu. Sie wohnte in der Küche, spielte mit den Kindern, half der Bäuerin spinnen und stellte den Bauern, ihrem lieben Herrn, immer zufrieden durch ihre großartigen Leistungen in der Mäusejagd.


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