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Kaspar Knirps

Von

Hermann Grosse

Es war einmal ein kleiner, drolliger Käfer, ganz grau und mit einem breiten, runden Rücken, der hieß Kaspar Knirps. Er war aber ein fleißiger und rechtschaffener Käfer und arbeite den ganzen Tag und bohrte und hämmerte in allerhand Holzwerk. Aber da er einen etwas harten Schädel hatte und nicht so schön war, neckten ihn die feineren Käfer oft sehr. Doch das kümmerte ihn wenig, er wohnte weitab von den vornehmen Gärten.

Mitten auf einem blumigen Hügel stand ein prächtiger, großer, wilder Apfelbaum, und rings um diesen lag ein ganzer Wall von Steinen aufgetürmt, und hier war Kaspar Knirps zu Hause. Vater und Mutter waren bei einem kleinen Ausflug beide von einem großen Vogel verzehrt worden, und so lebte Kaspar Knirps allein hier weiter. Doch fand sich auch bald Gesellschaft. Da wohnte noch zwischen den Steinen in ihrem Haus eine Schnecke, die war schon recht alt, und es ging noch langsamer mit ihr vorwärts als sonst.

Diese hatte den Kaspar Knirps recht gern, und er flog öfter herum und erzählte ihr dann abends alles, war er gesehen hatte von Menschen und Tieren. Auch machte er für sie allerlei kleine Besorgungen und Bestellungen; denn sie hatte eine große Verwandtschaft drüben im Busch, aber die waren ganz schwarz, liefen nackend umher und waren so arm, daß sie nicht einmal ein Häuschen besaßen.

Nun hatte die Schnecke einer dieser Verwandten durch Kaspar Knirps sagen lassen, sie möge doch einmal zu ihr kommen und ihr beistehen. Sie solle dafür auch das Häuschen erben. Denn die alte Schnecke war recht hinfällig geworden und glaubte, daß sie nicht mehr lange leben werde. Aber Kaspar Knirps mußte ihr leider sagen, daß die schwarze Schnecke lieber im Busch bleiben und auch das Häuschen später nicht erben wolle. Es würde sie zu sehr beschweren, Hausbesitzerin zusein, hatte sie gemeint. Da war die alte Schnecke ganz traurig und vermachte dem Kaspar Knirps ihr Häuschen nach ihrem Tode, und der versprach, ihr dafür zu helfen und sie nach Leibeskräften zu unterstützen.

Nun war die schönste Zeit des Jahres gekommen. Der große, wilde Apfelbaum blühte. Wie ein wunderschöner, roter Schleier lag es über ihm. Es war eine Pracht. Und nun kamen viele Gäste dahin, und Kaspar Knirps hatte alle Tage Unterhaltung, da kamen feine, bunte Schmetterlinge, prächtige Käfer und tausende von Bienen in die schönen Apfelblüten, wo sie summten, daß es wie eine leise Musik klang und Kaspar Knirps gar nicht mehr so viel arbeiten konnte wie sonst, so viel gab es hier zu sehen und zu hören.

Eines Tages aber geschah etwas ganz Wunderschönes, Kaspar Knirps hat es in seinem ganzen Leben nicht vergessen. Es kam die Bienenkönigin selber in den rotblühenden Baum. Die flog, anzusehen wie ein zierliches, goldiges, kleines Mädchen, daher und setzte sich oben in den Apfelbaum. Unendlich viele Bienen umschwärmten sie summend. Sie aber sang leise:

»Ich bin die Bienenkönigin, summ,
summ, summ,
Die hunderttausend Diener mein,
die fliegen um mich rum,
Sie bauen mir ein goldnes Haus, summ,
summ, summ,
Und füllen es mit Honig aus, summ,
summ, summ,
Von allen Blüten groß und klein,
Da sammeln sie das Beste ein, summ,
summ, summ,
Alle um mich rum.«

Damit schwang sie sich hoch in die Luft, und alle Bienen folgten ihr und zogen gleich einer kleinen Wolke dahin. Kaspar Knirps sah ihnen noch ein Weilchen nach, und dann eilte er zu der alten Schnecke, sie zu fragen, ob sie auch alles mit angesehen habe. Aber nein, die hatte nichts gesehen. Sie saß zusammengekrümmt in ihrem Häuschen, und da sie schon etwas schwer hörte, hatte sie auch nichts gehört. Kaspar Knirps erzählte ihr nun alles, so gut er konnte. Aber es selber zu sehen, war doch viel schöner gewesen.

Nach einigen Tagen aber geschah etwas recht Schlimmes da herum. Es kam ein lustiger Wanderer auf der sonnigen Straße daher, und wie der den großen, schattigen Baum sah, verließ er den staubigen Weg, kam durch das Feld bis zu dem Wohnort von Kaspar Knirps und setzte sich auf den Steinwall, um eine Mittagspause zu machen. Dabei schob er das Schneckenhaus, samt der Schnecke vorsichtig beiseite, um es nicht etwa zu zertreten. Die arme, alte Schnecke hatte vor Angst schon ganz den Atem verloren und saß nun ganz still in den Steinen, sich zu erholen. Der Wanderer aber holte aus seinem neuen Felleisen Brot und Speck hervor und begann zu schmausen. Da gesellte sich von der Straße her noch ein Wanderer zu ihm, der war ganz zerlumpt und sah recht böse aus. Als er sah, wie gut es dem anderen schmeckte, schrie und schimpfte er, daß er nichts zu essen habe. Da gab ihm der erste Wanderer die Hälfte seines Speisevorrats. Gierig verschlang der andere die Speisen, ohne auch nur dafür zu danken, und wollte noch mehr haben. Doch der erste Wanderer hatte nichts mehr zu geben.

Bald darauf legten sich beide in den Schatten um zu schlafen. Als der erste Wanderer bereits fest eingeschlafen war, nahm der Lump einen Stein und schlug damit auf den Schlafenden los, um ihn zu töten. Da aber flog ihm Kaspar Knirps, der vom Baum herab alles mit angesehen hatte, mit seinem harten Schädel so heftig ans Auge, daß er laut aufschrie und von dem anderen abließ, um sein Auge zu reiben. Dann nahm er das neue Felleisen, indem der Wandersmann all sein Hab und Gut hatte, und lief eilig dem Walde zu.

Nun aber flog Kaspar Knirps zur Schnecke, um mit dieser erfahrenen Person zu beraten, was zu tun sei. Auch den Stein hatte das junge Leben erbarmt, und er hatte nicht so hart getroffen, aber mit tiefen Wunden lag der arme Wanderer blutend da und seufzte nur zuweilen ganz leise. Die Schnecke aber war mit einem Male ganz munter und rutschte so rasch, daß ihr Häuschen nur so wackelte, zu der Stelle hin, wo der Verwundete lag, diesen anzusehen. Dann mußte Kaspar Knirps breite Blätter vom Rasen abreißen und herbeischleppen. Die Schnecke bestrich sie mit einer Heilsalbe, die sie immer in ihrem Häuschen aufbewahrte, und bedeckte damit die Wunden des armen Burschen. Und nun überlegten beide, wie es möglich gemacht werden könnte, einen anderen Menschen zur Hilfe herbeizuholen, dem armen Verwundeten zu helfen.

Da endlich sagte Kaspar Knirps: »Liebe Schnecke, du weißt doch, daß jeden Tag der Vogel Kuckuck hierher auf den Apfelbaum kommt, nachzusehen, ob wieder Raupen da sind zum Verspeisen. Dem mußt du die Geschichte vortragen; denn ich wage es ja nicht, den hohen Herren anzureden. Und der weiß mit den Menschen Bescheid, und wie es zu machen ist, einen Vorübergehenden von der Straße hierher zu locken.«

Die Schnecke wollte es des armen, kranken Burschen wegen tun, obwohl sie auch nicht gerade gern mit dem Kuckuck zu tun hatte. Richtig, nach einer Weile flog der Kuckuck herbei, rief erst ein paarmal, daß er da sei, und las dann alle Raupen von Blättern und Blüten ab. Da trat die alte Schnecke ein wenig aus ihrem Häuschen, streckte vorsichtig ihre vier Hörnchen heraus, was sehr niedlich aussah, und rief: »Gestrenger Herr Kuckuck, da Ihr diesen Platz doch auch sehr liebt, werdet Ihr nicht wollen, daß hier unten dieser arme Bursche liegen bleibt und stirbt. Eurer Klugheit wird es gelingen, einen Menschen herbeizurufen, der ihm hilft; denn meine schwachen Kräfte reichen nicht dazu aus.«

Als der Kuckuck das hörte, kam er sogleich näher und sah nun erst, was hier geschehen war. Ganz empört war er aber, als ihm die Schnecke das Nähere erzählte; denn, obwohl er ein Schalk war und die anderen kleinen Vögel oft neckte und ärgerte, so etwas war ihm denn doch zu toll. Er versprach, sein Möglichstes zu tun, flog auf die äußerste Spitze des Apfelbaumes und hielt Umschau.

Nach einer Weile kam des Weges daher ein Fuhrmann mit seinem Wagen, vor den ein braunes Pferd gespannt war. Der sah nach dem Apfelbaum und sagte: »Ei, wie schön der alte Kerl jetzt in seinem Blütenschmuck aussieht!« Da fing der Kuckuck wie unsinnig an zu schreien und lachte dabei und schrie und flog auf den Fuhrmann zu und schrie immer wieder.

Dieser aber sagte: »Potztausend, der Vogel ist ja rein des Kuckucks! Ich muß doch einmal hingehen und sehen, was der eigentlich dort haben mag. Dabei will ich mir auch gleich den Baum in Blüte nahebei ansehen, von dem ich im Herbst schon oft so viele kleine, rote Äpfel meinen Kindern mitnahm, die sich so sehr darüber freuten.« Damit stieg der Fuhrmann vom Wagen, gab seinem ermüdeten Pferd eine Handvoll Futter, und dies freute sich der unverhofften Pause. Er aber ging mit langen Schritten dem Apfelbaum zu, und der Kuckuck flog immer vor ihm her mit lautem »Kuckuck« – »Kuckuck« – »Kuckuck«. Bald war er auf dem Hügel und sah vor sich die schlimme Bescherung. Der Verwundete hatte sich ein wenig erholt und konnte dem Fuhrmann mit leiser Stimme sagen, was ihm geschehen war. Der Fuhrmann gab ihm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche und sagte: »Potz Wetter, diesmal war es doch gut, daß der Kuckuck mich hierher holte!«

Der aber saß jetzt still auf der Spitze des Apfelbaumes und sah zu. Da zog der Fuhrmann seinen alten Staubmantel aus, schlug ihn um den Verwundeten, und nun schleppte er ihn behutsam den Hügel hinunter über das Feld zur Straße. Die Schnecke sah recht befriedigt hinterdrein. Endlich war er am Wagen, bei dem Kaspar Knirps schon lange eingetroffen war, von dort aus alles beobachtete und dabei dem Pferde die lästigen Fliegen verscheuchte. Der Fuhrmann aber nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche, der ihn recht stärkte, spuckte dann in seine Hände, und – schwupp die wupp! – hatte er den Verwundeten auf seinen Wagen gehoben, legte ihn recht ordentlich in Stroh und Decken und fuhr langsam der Stadt zu. Auch der Kuckuck verließ nun mit lautem Ruf und leisem Lachen über die gelungene Rettung die Spitze des Baumes.

Als der Fuhrmann die Stadt erreicht hatte, gab er den Verwundeten in gute Pflege.

Kaspar Knirps aber hatte die ganze Reise auf dem Rücken des Fuhrmanns mitgemacht und war sehr froh, daß der arme Bursche nun so gut untergebracht war. Auf einem Hofe spannte der Fuhrmann sein Pferd aus und führte es in den Stall. Inzwischen sah sich Kaspar Knirps ein wenig auf dem Hofe um und gewahrte dort einige sehr schöne, blauglänzende Käfer. Ganz bescheiden näherte er sich denen, die ihm so fein erschienen. Doch als er sah, in welchem Schmutz und Unrat diese herumwühlten, machte er sich davon. So etwas war er nicht gewohnt.

Danach kam der Fuhrmann wieder aus dem Stall, nahm seinen alten Mantel vom Wagen und ging in die Herberge, wo er immer einzukehren pflegte, sooft er in die Stadt kam. Kaspar Knirps aber, auf seinem Rücken sitzend, ging mit ihm. Während der Fuhrmann sich durch Speise und Trank nach den Anstrengungen des Tages stärkte, sah sich Kaspar Knirps die verschiedenen Gäste in der Herberge an und erblickte in einer düsteren Ecke des Zimmers auch den Lump, der den Wanderer so schwer verwundet und beraubt hatte. Er tat sich auch gütlich an Speise und Trank und hatte das neue Felleisen neben sich in der Ecke liegen. Sein Auge war noch ganz rot. Kaspar Knirps freute sich, daß er ihn mit seinem harten Schädel ordentlich gezeichnet hatte, und dachte nach, wie er es anfangen könnte, die Anwesenden auf den Räuber aufmerksam zu machen.

Der Fuhrmann erzählte nun den Bekannten davon, wie er heute durch den aufgeregten Kuckuck den armen Verwundeten gefunden und ihn mit sich genommen habe, und wie er genau von diesem wisse, woran das geraubte Felleisen zu erkennen sei.

Da erhob sich der mit dem roten Auge, nahm das Felleisen unter den Arm und wollte sich ganz unbemerkt aus der Stube schleichen. Kaspar Knirps aber nahm einen tüchtigen Anlauf und flog nun mit seinem harten Schädel zum zweiten Mal in das rote Auge. Das schmerzte aber so sehr, daß der Lump laut aufschrie und das Felleisen fallen ließ. Dadurch wurden alle aufmerksam und blickten nach ihm hin. Und wie der Fuhrmann das hübsche Felleisen sah, schrie er: »Packt ihn! Das ist der freche Räuber!« Im Nu war er festgenommen und ins Gefängnis geführt, wo er seine böse Tat am anderen Tage eingestehen mußte und die verdiente Strafe erhielt.

Kaspar Knirps aber verlebte die Nacht ganz still in der Herberge, wo noch lange von den guten und bösen Taten des Kuckuck geredet wurde. Am anderen Tag besah er sich die Stadt ein wenig, und manches gefiel ihm darin recht gut. Aber immer, wenn er einmal so recht lossurren wollte, kam er mit seinem harten Schädel an eine Hausmauer oder in ein offenes Fenster. So geriet er einst in das Zimmer einer Dame. Die jagte ihn gleich mit einem langen Federwisch zum Fenster hinaus und sagte dabei, sie könne durchaus nicht begreifen, warum es so häßliche Käfer in der Welt gäbe, die doch zu gar nichts nütze wären.

Bald darauf kam er zu einem alten Herrn, der gerade sein Mittagsschläfchen hielt und recht kräftig dabei schnarchte. Da flog Kaspar Knirps hin zu sehen, woher der Ton eigentlich käme, der ihn sehr an seine Holzarbeiten erinnerte. Und dabei kitzelte er den Herren etwas an der Nase, so daß dieser mit lautem Niesen erwachte und dann noch ärger als der Hirschkäfer draußen im Walde darüber brummte, daß er so im schönsten Traum gestört worden sei. Kaspar Knirps aber hörte nicht lange zu, sondern trat eilig den Rückweg an.

Aber noch ein drittes Mal versah es Kaspar Knirps. Und diesmal wäre es ihm beinahe ans Leben gegangen. Die Knaben im Zimmer wollten ihn fangen und sagten: »Der fehlt uns gerade noch in unserem Kasten.« Aber in den wollte Kaspar Knirps durchaus nicht hinein, und ehe noch einer der Knaben das Fenster zuschlagen konnte, war er flink daraus entwichen. Sie sahen ihm nach und sagten: »Schade, da fliegt er.« Kaspar Knirps aber war nun endlich vorsichtig geworden und hielt sich von allen Gebäuden fern.

Nun erblickte er auf der Straße einen Busch Apfelblüten, die sich immer weiter bewegten und ihm so gut gefielen und so rot erschienen wie die daheim im Apfelbaum. Sogleich surrte er herunter und setzte sich darauf, merkte aber sogleich, daß es künstliche Blüten waren auf dem Hute eines zierlichen Mädchens. Dabei bekam er Heimweh nach seinem Apfelbaum. Nun war ihm ein wenig bange, wie er aus dem Wirrwarr der Stadt herausfinden werde.

Jetzt trat das zierliche Mädchen zur Seite und blieb stehen; denn eine Menge Soldaten kamen mit prächtiger Musik daher, und Kaspar Knirps tat die Augen weit auf, um alles genau zu sehen. Das ging immer linken, rechten, trab, trab. So etwas Herrliches geschah doch niemals draußen bei dem Apfelbaum. Nun kam einer auf einem braunen Pferde, der hatte auf dem blinkenden Helm einen gar prächtigen Federbusch.

Da verließ Kaspar Knirps die roten Apfelblüten, flog in den Federbusch und zog nun mit den Soldaten durch viele, viele Straßen, blickte von oben herab auf die Leute, die nebenher gingen, und kam endlich aus der Stadt auf ein großes Feld. Da sah er um sich und erkannte die Straße, die er mit dem Fuhrmann gekommen war, nahm Abschied von seinem hohen Sitz und begab sich auf den Heimweg.

Wohlbehalten kam er nach einigen Tagen dort an, gerade zur rechten Zeit, um den Baum noch etwas im Schmuck zu sehen; denn es waren aus vielen Blüten schon kleine Äpfelchen geworden, die jetzt noch gar nicht hübsch aussahen. Die alte Schnecke aber war gestorben, und die Ameisen hatten sie schon unter einem großen Hügel begraben. Kaspar Knirps hatte sich so darauf gefreut, ihr alles aus der Stadt zu erzählen. Die arme Schnecke war ihr langes Leben nicht dorthin gekommen. Doch das wußte Kaspar Knirps jetzt: die Stadt ist nur für flinke Leute, die Schnecke wäre sicher unter die Räder gekommen. Sie hatte sich gewiß zu sehr angestrengt und aufgeregt bei dem raschen Lauf zu dem verwundeten Burschen. Es half jedoch nichts: sie war tot und Kaspar Knirps Hausbesitzer.

An anderen Morgen besah er sein Eigentum. Eine kleine Spinne hatte ein graues Netz davorgezogen und erzählte ihm, daß schon eine feine, grüne Käferfamilie, die inzwischen eingetroffen sei, das Häuschen hätte beziehen wollen, doch sei es ihnen nicht hübsch genug gewesen.

Kaspar Knirps sah es wohl, daß etwas daran müsse gebessert werden, und so begab er sich zu einem befreundeten Käfer, der ein richtiger Zimmermann war, und bat den, ihm zu helfen, sein Häuschen in Ordnung zu bringen. Der war gleich bereit dazu, rief noch zwei seiner Söhne als Handlanger herbei, band den ledernen Schurz um, und nun ging es ans Werk. Mit vereinten Kräften schoben die vier das Haus an eine durch die Steine geschützte Stelle und brachten es dort in eine feste Lage. Danach wurde es gerichtet und innen und außen poliert, bis es blitzblank und fertig war. Es sah nun außerordentlich sauber aus. Jetzt feierten die vier Käfer ein kleines Freudenfest, bei dem es hoch herging. Und dann surrten sie vergnügt um den Baum herum, wo schon viele lustig waren.

Nach einiger Zeit dachte Kaspar Knirps daran, sich eine niedliche Frau zu suchen; denn das Häuschen kam ihm so allein zu einsam und groß vor. Nun kam jeden Tag auf ein Stündchen eine feine, blaue Libelle zu den blassen, wilden Veilchen geflogen, die sah Kaspar Knirps gern mit ihren blanken Augen. Und eines Tages fragte er sie: »Kleine Libelle, möchtest du nicht meine Frau werden und zu mir in mein Häuschen ziehen?« Aber diese antwortete ihm: »Nein, ich bin zu zart und schön für deine Häuslichkeit. Suche dir nur ein anderes Weibchen, lieber Kaspar.« Damit flog sie fort, und er sah nun, daß sie wirklich eine furchtbar dünne Taille hatte, und grämte sich nicht über das Körbchen.

Darauf war eine lustige Taufe von sechs kleinen Käfern bei dem Zimmermann, und dabei traf Kaspar Knirps mit der sehr beliebten Goldkäferfamilie zusammen, und als alle sehr heiter geworden waren, fragte er das hübsche Käferfräulein: »Liebes Goldkäferchen, willst du mich nicht zum Mann haben, jetzt, wo doch mein Häuschen so blitzblank ist?« Doch dieses rümpfte die Fühlhörnchen und sprach: »Dein Häuschen ist jetzt wohl recht hübsch, aber ich habe mein Herz dem schönen Admiral geschenkt, der oft aus einem Rosengarten hierher kommt und für mich schwärmt.«

Ja, diesen schönen Schmetterling hatte Kaspar Knirps auch schon öfters gesehen und mußte freilich gegen diesen sehr zurückstehen. Doch konnte er den Admiral jetzt gar nicht mehr leiden und wünschte ihm heimlich, daß ihn der Kuckuck hole. Aber der hatte sich recht lange nicht sehen lassen. Man hörte ihn nur zuweilen drüben im Wald, wo er tolle Streiche trieb und alle kleinen Vögel beunruhigte.

Eines Tages kam der Admiral mit vielen prächtigen Schmetterlingen geflogen. Es war gar herrlich anzusehen. Und nun wurde um den Apfelbaum ein Ball veranstaltet. Alles gaukelte durcheinander, der Admiral immer oben an mit einem prächtigen Pfauenauge. Er ließ das Goldkäferchen unbeachtet sitzen, und dieses war recht traurig. Auch ein kleiner, bunter Schmetterling konnte nicht mittanzen, da er sich einen Flügel ein wenig verletzt hatte. Zu dem gesellte sich Kaspar Knirps und unterhielt die niedliche bunte Kleine. Und sie war so freundlich zu ihm, daß er eben Mut fassen wollte, sie für sich zu gewinnen.

Da kam ein schöner, dunkler Schmetterling, ganz in Samt gekleidet, und setzte sich zu dem bunten Schmetterling. Da er in Trauer war, durfte er auch nicht tanzen. Nun redete die Kleine nur noch mit diesem und sah den armen Kaspar Knirps gar nicht mehr an. Der aber ging weg in sein Häuschen und sann etwas betrübt nach über die flatterhaften Schmetterlinge. Mit einemmal rief es draußen: »Kuckuck, Kuckuck«, und als Kaspar Knirps vor seine Tür trat, flatterten gerade die Flügel von dem schönen Admiral herunter. Alles übrige hatte der Kuckuck verzehrt und noch viele von den anderen dazu, die sich nicht rasch genug in die dichtesten Zweige retten konnten. Dann aber rief er: »Kuckuck«, lachte heiser und flog davon. Nach und nach sammelten sich die wenigen Geretteten der lustigen Gesellschaft und flogen, diesmal angeführt von dem schönen, dunklen Trauermantel, dem Heimatgarten wieder zu, aber aller Schmelz der Schönheit war von ihnen abgewischt.

Kaspar Knirps war nun tagelang recht fleißig in seinem Holzwerk und beendete eine große Arbeit. Dann aber machte er sich einen Feiertag, den er benutzen wollte, einmal den schönen Rosengarten aufzusuchen, aus dem die schönen Schmetterlinge gekommen waren. Als er an die Straße kam, traf er mit einem fröhlichen Wanderer zusammen, den er sogleich als denselben erkannte, der vor einigen Wochen unter dem Apfelbaum gelegen hatte, und eben rief der Kuckuck von dorther.

Da schwenkte der Wanderer seinen Hut nach der Richtung und rief: »Kuckuck, juchhe, ich bin wieder gesund und wandere nach Hause, und der Lump sitzt eingesperrt!« Der Kuckuck rief als Antwort seinen Namen und lachte hinterher. Ja, damals hatte er sich doch recht brav benommen und konnte sich schon darauf etwas zugute tun. Aber das auch Kasper und die gute Schnecke geholfen hatten, wußte der Wanderer nicht, und Kaspar Knirps verlangte das auch nicht. Er freute sich im stillen, auf dem Rockkragen des Wanderers sitzend, und diesem fiel nun etwas anderes vom Kuckuck ein. Im Vorwärtsschreiten sang er:

»Der Kuckuck hat ein Ei gelegt,
Heidiheideldum.
Jetzt fliegt er im Walde gar lustig herum
und ärgert alle Vögelein
Mit seinem lauten Kuckuckschrein:
Kuckuck, Kuckuck!« –

Da kniff Kaspar Knirps dem Singenden zum Abschied etwas ins Ohr – und – purr! – war er fort. Der Wanderer griff an sein Ohr und sagte: »Was war denn das für ein dreister kleiner Knirps?«

Der aber erreichte nun bald den leuchtenden Rosengarten. Nein, dieser Duft und diese Pracht hier war unvergleichlich. Hunderte von Rosenblüten! Und Kaspar war so überrascht darüber, daß er nur an der Mauer entlang flog und sich gar nicht den prächtigen Rosen zu nahen wagte. Aber einige Schmetterlinge flatterten von einer zur anderen und taten recht schön mit ihnen. Sie hatten sich schon etwas erholt von dem furchtbaren Schreck durch den Überfall, sahen aber doch recht angegriffen aus. Kaspar aber konnte nicht begreifen, weshalb sie diesen schönen Garten damals verlassen hatten und bis zu dem wilden Apfelbaum zum Ball gekommen waren. Denn schöner, meinte er, könne es wohl nirgends sein als hier.

Auch an der Mauer blühten viele kleine Rosen, und in einer davon sah Kaspar Knirps ein ganz wunderhübsches Marienkäferchen sitzen. Das weinte bitterlich. Aber es sah sehr niedlich aus, wie es die Tränen mit den kleinen Fühlerchen abwischte. Und Kaspar fragte es freundlich, was ihm fehle. Es war gleich zutraulich und erzählte ihm, daß es auf der Reise wäre, seine lieben Eltern zu suchen, hätte aber nun durch die Kinder gehört, daß Pommerland, wo sich die Mutter befunden habe, abgebrannt wäre. Den Vater im Kriege könne es auch nicht aufsuchen, und so sei es recht verlassen in der Welt. Kaspar aber sprach: »O, du herziges Marienkäferchen, du sollst nicht mehr traurig sein, ziehe doch mit mir als meine liebe Frau in mein schmuckes Häuschen unter dem schönen Apfelbaum, wo wir beide recht glücklich leben können.«

Das Marienkäferchen wischte eine letzte Träne aus den Äuglein und sagte leise: »Ja, gern will ich deine Frau werden und mit dir in dein Häuschen ziehen. Nur ein paar Tage möchte ich noch hier bleiben, mein rotes Hochzeitskleidchen mit den sieben schwarzen Pünktchen wieder recht glänzend zu machen, da es auf der langen Reise etwas staubig geworden ist.« Damit war der glückliche Kaspar einverstanden und sagte ihm, daß er am Sonntag kommen werde, es zur Hochzeit zu holen. Bis dahin wolle er noch alles recht hübsch dazu vorbereiten. Dann nahm er zärtlichen Abschied und flog fröhlich summend nach Hause.

Da ganze Nacht konnte Kaspar Knirps wenig schlafen vor Freude über sein liebes Marienkäferchen. Am frühen Morgen flog er in die Heide zu den fleißigen Ameisen und bat sie, ihm eine schöne Girlande zu winden, sein Haus zur Hochzeit damit zu schmücken. Diese waren gern bereit. Mit ihren scharfen Zangen schnitten sie kleine Zweige von der feinen Erika ab und flochten davon eine zierliche Girlande. Kaspar Knirps aber flog indessen zu einer mächtigen Eiche, wo ein großer Herr, der Hirschkäfer, wohnte, und bat diesen recht höflich, an seiner Hochzeit teilzunehmen. Und der versprach, etwas brummend, sein Erscheinen.

Kaspar empfahl sich, eilte zu seinem Freunde, dem Zimmermann, und lud ihn zur Hochzeit. Dieser war darüber so erfreut, daß er einen ordentlichen Sprung machte. Ja, er wollte mit der ganzen Familie kommen. Dann machten beide sich auf, alle übrigen Käfer an und unter dem Apfelbaum zur Hochzeit zu bitten. Und alle, auch die Goldkäferfamilie, waren bereit mitzufeiern. Gegen Abend kamen wohl hundert Ameisen mit der fertigen Girlande, und Kaspar half, sehr erfreut, sein ganzes Häuschen damit zu schmücken. Oben darauf steckte er als Fahne die Admiralsflügel, die er aufgehoben hatte. Alle bewunderten alsdann das gelungene Werk.

Nun war der Sonntag gekommen. Die Hochzeitsgesellschaft ordnete sich, das Marienkäferchen zu holen, voran der Hirschkäfer, dann Kaspar Knirps mit dem Zimmermann, dann ein ganzer Zug grauer, grüner und bunter Käferchen. Alles ging glücklich vonstatten bei dem herrlichen Wetter, und bald war der duftende Garten erreicht. Ein vornehmer Rosenkäfer führte dem glücklichen Kaspar die liebe Braut zu. Darauf wurde ein süßer Trunk aus den feinen Röschen getan, wobei der Hirschkäfer allein sechs Kelche zerbrach. Dann ging es heimwärts. Wieder führte der Hirschkäfer, diesmal einen kräftigen Baß anstimmend, die Festschar. Von den Brautkäfern und der Familie Zimmermann umgeben, folgte das junge Paar, dem die übrige Gesellschaft sich bunt durcheinander anschloß, alle vergnügt summend.

Im Apfelbaum war große Tafel für alle. Man aß und trank, soviel man konnte, und jeder bekam sein Lieblingsgericht. Kaspar und Marienkäferchen saßen in einer Blüte und wurden von den niedlichsten Käfern bedient. Auch die fleißigen Ameisen mußten tüchtig auf und ab laufen, alle Gäste zu versorgen. Der Hirschkäfer allein aß und trank für drei und war nachher so taumelig, daß er heftig gegen einen Ast flog und sein linkes Horn abbrach. Da verließ er brummend das Fest und flog weiter zu seiner Eiche.

Die anderen ließen sich dadurch nicht stören und tanzten und schwirrten wie toll um den Apfelbaum.

Der Kuckuck ließ sich nicht sehen und hören, was allen heute recht lieb war. Nur ein Pirol flog vorüber und rief der heiteren Gesellschaft zu: »Bier holen, Bier holen – austrinken, mehr holen!«

Doch alle waren schon ohnedies ausnehmend lustig.

Als das Fest zu Ende war, führte Kaspar Knirps Marienkäferchen in sein geschmücktes Haus, und beide lebten herrlich und in Freuden.


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