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Zwanzigstes Kapitel.

»Liebe Flora,« sagte Fergus zu seiner Schwester, als der Austausch der ersten Begrüßungen erfolgt war, »ehe ich wieder nach der Halle zurückgehe, mich den urwüchsigen Bräuchen der Vorfahren weiter hinzugeben, laß Dir sagen, daß Kapitän Waverley ein großer Verehrer der Dichtkunst ist und insonderheit der keltischen Muse, vielleicht gerade darum, weil er kein Wort von der keltischen Sprache versteht. Ich habe ihn von Deiner Gewandtheit, keltische Poesie in englische Sprache zu übertragen, unterrichtet. Du läßt Dich also wohl nicht mehr lange quälen, unserm Gaste einen von Murraughs Bardensängen in gutem Englisch zu rezitieren?«

»Aber, Fergus! Du weißt doch, gar nicht, ob diese Verse einem englischen Fremdling gefallen können? und wenn ich wirklich, wie Du sagst, die Geschicklichkeit hätte, sie in gutes Englisch zu übertragen?«

»Genau so werden sie ihm gefallen wie mir, Schwester! Murraugh haben wir im Saal gehört, er hat mich meinen letzten silbernen Becher gekostet, aber Du kennst doch unser Sprichwort: »Hört der Häuptling auf, seinen Barden zu beschenken, so erfriert dem Barden der Hauch auf der Lippe.« Und drei Dinge sinds trotzdem, die dem Hochländer von heute müßig sind: das Schwert, das er nicht ziehen darf; der Barde, der Taten besingt, denen er nicht nacheifern darf; und der große Beutel aus Ziegenfell, den er mit Louisdors nicht füllen kann, weil er keine mehr hat.«

»Recht schön gesprochen, Bruder,« versetzte die Schwester, »doch wenn Du meine Geheimnisse rücksichtslos preisgibst, so kannst Du von mir nicht erwarten, daß ich die Deinigen hüten werde. Ich gebe Euch die Versicherung, Kapitän Waverley, daß Fergus auf sein Hochländerschwert so stolz ist, daß er es um keinen Marschallstab vertauschen möchte, daß er seinen Murraugh für einen Dichter von der gleichen Größe ansieht wie Homer, und daß er seinen Beutel aus Ziegenleder um alle Louisdors nicht hingäbe, die er fassen kann.«

»Noch besser gesprochen als ich, meine liebe Flora,« gab ihr der Bruder zurück, »Schlag auf Schlag pariert! wie Conan zu Satan sagte. Aber jetzt unterhaltet Euch beide über Barden und Bardensang, denn ich muß zurück zu meinen Senatoren, um ihnen die letzten Ehren der Gastfreiheit zu erweisen.«

Mit diesen Worten schritt er aus dem Gemache.

Waverley war über die Unterhaltung, die er mit Flora führte, erbaut und überrascht zugleich, denn er hatte solche Vertrautheit mit einem so ernsten Thema bei einer so jungen Dame wie Flora, nicht vermutet.

»Der Sang unsrer Barden,« sagte Flora, »die die Taten unsrer Helden, die Klagen der Liebe und die Kriegszüge unsrer Clans besingen, bildet die schönste Unterhaltung der Hochländer an ihrem Winterfeuer. Aber in der Übertragung büßen sie doch vieles ein von ihrem rauhen, markigen Gehalt.« »Der Sang Eures Barden, Miß Mac-Ivor, schien alle Krieger, alt und jung, gewaltig zu erregen,« bemerkte Waverley, »und wenn ich recht gehört habe, so kam in dem Sang auch mein Name vor?«

»Unsren Barden wohnt eine frische Auffassungs- und eine scharfe Beobachtungsgabe inne,« antwortete Flora, »und dann ist die gälische Sprache zufolge ihres Reichtums an Vokalen vorzüglich geeignet zur Improvisation, und darum unterläßt es selten ein Barde, die Wirkung eines vorher überdachten Gesanges durch ein paar zuvor überdachte Strophen zu mehren.«

»Mein bestes Pferd gäbe ich drum,« versetzte Waverley, »wenn ich erfahren könnte, was Euer Barde über solchen unwürdigen Mann aus dem Süden, wie mich, gesagt haben kann.«

»Das soll Euch kein Haar aus seiner Mähne kosten,« erwiderte Flora und wandte sich zu einer der in dem Zimmer anwesenden Dienerinnen. »Una Mavourneen! tritt doch zu mir!« Sie sprach einige Worte auf gälisch zu ihr, worauf sich das Mädchen verneigte und aus dem Zimmer verschwand.... »Ich habe Una zu Murraugh gesandt und lasse mir den Text der Strophen senden, die über Euch gehandelt haben. Ihr könnt dann über mich als Dolmetsch gebieten.«

Una kehrte nach wenigen Minuten zurück und sagte der Herrin ein paar gälische Strophen her. Flora schien ein paar Augenblicke zu überlegen, dann wandte sie sich mit leichtem Erröten zu Waverley.

»Es ist mir nicht möglich,« sagte sie, »Eurem Verlangen zu willfahren, Kapitän, ohne einen hohen Grad von Eitelkeit zu bekunden. Vergönnt mir darum ein paar Augenblicke Zeit! ich will versuchen, leidliches Englisch für die Strophen zu finden. Da wir solch schönen Abend haben, mag Euch Una zu meinem Lieblingsplätzchen führen, ich werde Euch mit Kathleen folgen.«

Nach kurzer Weisung führte Una Waverley auf einem andern Wege aus dem Gemache, als er hereingetreten war, und durch eine schmale Hinterpforte gelangten sie ins Freie. Nach beschwerlicher Wanderung durch das rauhe, kalte und schmale Tal, in welchem der Edelhof stand, eine Meile davon entfernt, kamen sie an eine Stelle, wo sich zwei Bäche zu einem kleinen Flusse bildeten, der sich durch das Tal wand. Ein schmaler Fußpfad, an einigen, Stellen für Flora gangbar gemacht, führte ihn durch Stellen, die von allem bisher gesehenen wesentlich verschieden waren. Um das Schloß herum war alles öde und einsam, und selbst hier war man nicht völlig frei von diesem Eindruck; aber die Felsen in dem schmalen Tale wiesen bald tausenderlei merkwürdige Gestalten auf. Hier türmte sich ein mächtiger Block zu gigantischen Massen empor, und erst hart am Fuße zeigte sich die scharfe Biegung um das scheinbar unüberwindliche Hindernis; dort traten die Felsen so dicht an einander heran, daß zwei Fichtenstämme, mit Torf aufgefüllt, lang genug waren, eine rohe Brücke darüber zu bilden in Höhe von wenigstens zweihundert Fuß und ohne alles Geländer.

Während Waverley zu dem gefahrvollen Steige aufblickte, der wie eine feine schwarze Linie quer über das Stückchen blauen Himmels gezogen aussah, das zwischen den hohen Felsen sichtbar war, sah er plötzlich voller Entsetzen Flora mit der andern Dienerin, gleich Wesen einer höhern Region hoch oben in den Lüften schwebend, über den schwanken Pfad schreiten. In der Mitte blieb Flora stehen und blickte zu ihm hinunter, mit einer solchen Unbefangenheit und Anmut, daß es ihn gruselte. Dann winkte sie ihm mit dem Taschentuche, er aber war außer stande, den Gruß zu erwidern und atmete wirklich erleichtert auf, als sie von der gefahrvollen Höhe verschwunden war.

Jenseits der Brücke erweiterte sich die Schlucht zu einem großartigen Waldtheater, und über ihm stiegen die kahlen Gipfel, stellenweis mit rotem Heidekraut malerisch bedeckt, in Riffe und Klippen zersplittert, zu gewaltiger Höhe auf. Eine Strecke lang verließ nun der Pfad den Bach, und plötzlich stand Waverley, als er um einen Felsen herumschritt, vor einem wunderbar schönen Wasserfall, der aus einer Höhe von über zwanzig Fuß in die Tiefe hinunter schoß.

Und am Fuße desselben, auf einem lieblich grünen Rasenfleck, saß mit ihrer Dienerin Flora, versenkt in das herrliche Naturbild, das sich Waverleys Augen hier offenbarte. Kathleen hielt die schottische Harfe in der Hand, deren Spiel Flora von Rory Dall, einem der letzten Harfner der Hochlande, erlernt hatte. Die Sonne, die jetzt im Westen stand, lieh allen Dingen ein lebhaftes Kolorit und schien Floras grellschwarze Augen mit überirdischem Glanze zu erfüllen, ihre Wangen in Glut zu tauchen, ihre schöne Gestalt mit würdevoller Anmut zu verklären. Flora kannte, wie jede schöne Frau, die Macht, die ihr innewohnte, recht gut, und sie freute sich der Wirkung, die sie übte; aber sie besaß ein zu lauteres Herz, um die Beweise von Ehrerbietung, die ihr der junge Kriegsmann gab, anders denn als vorübergehenden Tribut anzusehen, der auch einem weniger schönen Weibe in solch herrlichem Rahmen, wie ihn die wildromantische Umgebung abgab, gezollt worden wäre.

Sie führte ihn gelassen zu einem Plätzchen, weit genug abgelegen von dem Wasserfalle, daß sein Rauschen sie in ihrer Unterhaltung nicht stören konnte, ließ sich auf einem mit Moos übersponnenen Felsstück nieder und nahm die Harfe aus Kathleens Hand.

»Kapitän Waverley,« hub sie an, »ich habe Euch zu diesem beschwerlichen Gange veranlaßt, weil ich einesteils meinte, dieses Stück hochländischer Erde möchte Euch gefallen, anderseits weil ich Euch keinen Bardensang in meiner Übertragung bieten mochte ohne den Rahmen, der einigermaßen im stande sein dürfte, meine Schwächen bei solchem Beginnen zu verdecken. Keltische Muse ist ohne keltischen Nebel, wie er unsre heimischen Höhen umflutet, nicht recht faßlich, denn ihre Stimme erklingt aus des Gießbachs Getöse. Wer sich keltischer Muse weihen will, der muß den nackten Fels lieber haben als das gesegnete Tal, dem muß die Waldeseinsamkeit besser behagen als die Freuden rauschender Geselligkeit.«

Mit einer Freude ohnegleichen lauschte Waverley den ersten Akkorden der schönen Harfenistin, und nicht um eine Welt hätte er seinen Platz an ihrer Seite aufgeben mögen, und dennoch stieg in seinem Herzen eine Sehnsucht nach Einsamkeit auf, die ihm die heilige Ruhe schüfe, die durcheinander wogenden Empfindungen in seiner Brust zu klären und zu sondern.

In seltsamer Regellosigkeit, aber wunderbarem Einklange mit dem Rauschen des Wasserfalls und dem sanften Lispeln des Abendwindes im Espenlaub ertönte nun der Sang:

Ueber dem Berge schwebt Nebel, und Nacht herrscht im Tal,
Aber düsterer Schlaf hält die Söhne vom Gal.
Ein Fremdling gebot, und er drückte das Land,
Und erstarrte das Herz und lähmte die Hand.

Der Dolch und das Schild sind vom Staube entehrt.
Und rostrot feiert das blutleere Schwert;
Wenn auf Höhen, in Tälern das Feuerrohr knallt.
Nur hinterm Birkhuhn und Rotwild das Hifthorn schallt.

Soll der Barden Sang Taten der Ahnen erneu'n.
Laßt Scham und Geißel den Dank dafür sein!
Es verstumme die Saite, verhalle der Ton,
Wenn vom Ruhme sie singen, der auf ewig entfloh'n.

Der stolze Held Moray!   verbannt jetzt   so kann er
Im Glührot des Morgens nicht heben sein Banner!
Weit, weit laß er's wehen auf nordischem Pfad,
Wie der scheidende Strahl, wenn das Wetter sich naht!

Ihr Söhne der Schlachten, wann der Morgen bricht an,
Soll die Harfe des Greises Euch zeigen die Bahn?
Nie weckte die Väter solch Morgenrot,
Daß der Häuptling nicht aufstand zu Sieg oder Tod.

Ihr Söhne des Stammes, der Islay beherrscht,
Clanshäupter von Ranald, Glengary und Sleat!
Wie drei Ströme von einzigem Eisberg herab.
Wälzt hinunter den Feind in das düstere Grab!

Du wackrer Sohn Evan, Du furchtloser Lochiel!
Das Schild auf die Schulter, den Stahl poliert!
Held Keppoch, entsende dem Horne den Schall,
Daß Caryarrick vernehme den Todeshall!

Du rauher Sohn Kenneth, Du Haupt von Kentail,
Wild springe der Hirsch Deines Banners im Sturm!
Clan Gillean, Stamm du, so furchtlos und frei,
Gedenk an Glanlivet, an Harlan, Dundey!

Ihr Söhne Dermids, der den Eber bezwang,
Treu wie Callain-More, folget dem Waffenklang!
Mac-Neil von den Inseln und Moy von dem Meer,
Für Ehre, für Freiheit, für Rachel zur Wehr!

Hier kam ein großer Windhund aus dem Tale herauf mit ein paar wilden Sätzen bis zu Flora gesprungen; in der Ferne ertönte ein Pfiff, und der Hund war wieder unterwegs zum Tale hinunter.

»Das ist Fergus' Schatten!« sagte Flora, und sie hatte kaum ausgeredet, so stand Fergus vor ihnen.

»Ich wußte doch, daß ich Euch hier finden würde, auch ohne den Beistand meines vierfüßigen Gesellen. Der Platz hier ist Floras Parnaß, Kapitän Waverley, und die Quelle da ihr Helikon.« Er schöpfte mit der hohlen Hand Wasser aus einer Quelle, die dicht neben Flora aus einem Felsen rieselte. Dann sprach er mit theatralischem Pathos:

Heil, Jungfrau, Dir, am Felsenhang!
Dir Freundin von gälischem Harfenklang!
Du wählst zum Sitz dies schöne Land,
Wo nie mein Auge ein Hälmchen fand?« Für die Wiedergabe der gälischen Lieder ist die Verdeutschung Dr. Carl Müllers benützt worden.

»Fergus, Fergus!« rief Flora, »verschone uns, bitte, mit derlei Reimgeklingel, wie Du es liebst. Es paßt nicht zu dieser Szenerie!«

»Nun, dann will ich Dir was singen von franzmännischem Geschmack! vielleicht von Corindon und Lindor, oder das Lied vom Käuzchen?«

»Fergus, Du bist, scheints, von anderm Genuß begeistert, als meiner gälischen Poesie!« meinte mit leisem Vorwurf die Schwester.

»Das laß ich nicht gelten, ma belle Demoiselle!« rief mit Lachen der Hochschotte. »Aber wenn Euch, Kapitän Waverley, gälischer Sang lieber ist, dann soll Euch Kathleen den Drimmindhu singen. ... Tritt her, Kathleen, und nimm die Harfe Deiner Herrin, und sing uns den Sang! Mut, Mut, mein Kind, keine Ziererei wegen des fremden Herrn!«

Kathleen sang mit Lebhaftigkeit das bekannte gälische Lied, und Waverley mußte herzliche lachen über die vielen Seitensprünge, die die Melodie machte.

»Hast Deine Sache gut gemacht, mein Dirndl,« sagte Fergus, als Kathleen ausgesungen hatte, »ich werde mich nächstens im Clan umschaun und Dir einen hübschen Jungen zum Manne aussuchen.«

Kathleen lachte und wurde rot bis über die Ohren, fand aber Raum hinter ihrer Herrin, sich zu verbergen.

Auf dem Rückweg zum Schloß drang der Häuptling in seinen Gast, seinen Aufenthalt um einige Tage zu verlängern, er habe vor, mit einigen Edelleuten der Nachbarschaft eine Jagd auf Hochwild zu veranstalten, und an ihr solle doch sein Gast teilnehmen. Floras Bardensang hatte Waverleys Herz in Fesseln geschlagen, und so willigte er in den Vorschlag, mit dem Vorbehalt, daß ein Bote zum Baron von Bradwardine gesandt werde mit einem Schreiben von ihm, in welchem er ihm von diesem Entschlusse Kenntnis geben wollte. Erst in später Stunde trennten sich die neuen Freunde nach ihrer Heimkehr auf die Burg, wo noch Spiel und Tanz die Gäste erfreute.

Und lange noch lag Waverley, ohne daß sein Auge Schlaf fand, und als er eingeschlafen war, da träumte er lange, lange und süß von Flora Mac-Ivor.


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