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Dreizehntes Kapitel.

Beinahe sechs Wochen lang war nun Waverley Gast des Edelsitzes, als er eines Morgens bei seinem Frühspaziergang von dem Morgenkaffee die Wahrnehmung machte, daß sich Haus und Familie Bradwardine in ungewöhnlicher Aufregung befanden.

Vier barfüßige Stalldirnen liefen mit Milcheimern in den Händen wie wahnsinnig hin und her und gaben durch lautes Geschrei zu erkennen, daß sie die Beute von Staunen und Schmerz und Jammer seien. Aber mehr als »Gott helf uns« und »Auf! auf! ihr Herren!« war aus ihrer Flut von Stoßseufzern und Wehgeschrei nicht herauszuhören. Daraus ließ sich natürlich nicht schließen auf die Ursache, die ihrem maßlosen Schreck zu grunde lag. Deshalb eilte Waverley in den Vorhof zurück. Dort wurde er des Schössers Macwheeble ansichtig, der eben mit seinem Grauschimmel, so schnell der halblahme Kerl die Beine schwingen konnte, durch die Hauptallee in den Edelsitz hineinstürmte. Wie es schien, trieb ihn irgend eine eilige Botschaft im Verein mit einem reichlichen Dutzend Bauern, denen es schwer fiel, gleichen Schritt mit seinem Gaule zu halten, in den Edelhof hinein.

Der Schösser ließ sich nicht auf Erklärungen gegen Edward ein, sondern berief schleunigst den Seneschall Mr. Saunders Saunderson, der in einer Haltung zum Vorschein kam, die ein wunderliches Gemisch von Schrecken und zeremoniellem Wesen zeigte. Ohne sich aufzuhalten, traten die beiden Schloßbeamten in eine geheime Beratung. Auch David Gellatley ließ sich, müßig wie Diogenes von Sinope, unter der Gruppe sehen. Er wurde immer munter, sobald sich irgend was ereignete, das den gewöhnlichen Schlendrian auf dem Edelsitze unterbrach, gleichviel ob es böser oder guter Art war. Während seine Landsleute sich auf eine förmliche Belagerung gefaßt zu machen schienen, sprang und tanzte und hüpfte er in einem fort, und sang den Schlußreim aus einer alten Ballade: »O, Du lieber Augustin, alles ist hin!« bis ihn sein Mißgeschick in die Nähe des Schössers führte, der ihm einen Denkzettel mit der Reitpeitsche gab, daß all sein Singsang sich in Wehklagen wandelte.

Vom Vorhof aus begab Waverley sich in den Garten, und dort traf er den Baron in Person, wie er im schnellsten Galopptempo die Terrasse maß. und wieder maß. In seiner Haltung kam etwas wie gekränkter Stolz zum Ausdruck; alles an ihm verriet, daß es ihn schmerzlich berühren, wenn nicht gar bitter kränken werde, wenn sich jemand, gleichviel wer, bei ihm nach der Ursache seiner Gemütsstörung erkundigen wollte. Waverley huschte deshalb, ohne ein Wort an ihn zu richten, in das Haus hinein und begab sich in das Frühstückszimmer, wo er seine junge Freundin, Miß Rosa, antraf, die gleichfalls bekümmert und nachdenklich zu sein schien, wenn auch weder so heftig betroffen wie ihr Vater, noch von solch schrecklicher Unruhe erfaßt, wie Schösser Macwheeble oder gar die Stalldirnen im Hofe.

Ein einziges Wort klärte die Situation auf.

»Euer Frühstück wird heute wohl gestört werden, Kapitän Waverley, denn in letzter Nacht ist ein Trupp Katheranen herniedergestiegen aus den Bergen und hat uns all unsre Milchkühe weggetrieben.«

»Katheranen? was ist das?«

»Räuber aus dem nahen Hochlande. So lange wir an Fergus Mac-Ivor-Vich-Ian-Vohr ein Schutzgeld zahlten, sind wir von den Banden verschont geblieben, aber mein Vater hat gemeint, es sei seines Ranges und seiner Geburt unwürdig, solches Schutzgeld langer zu entrichten, und so hat uns denn dieses Unglück heimgesucht. Der Wert, den das Vieh hat, macht mir nicht weiter Sorge, Kapitän Waverley, aber mein Vater fühlt sich durch diesen Schimpf in so hohem Grade beleidigt, daß ich fürchte, er wird sie sich gewaltsam wieder von den Räubern holen wollen; aufbrausend und verwegen ist er genug dazu! und wenn es nun geschehen sollte, daß er ein paar von diesen wilden Banditen tätlich beleidigt, dann würden wir nie mehr Ruhe vor ihnen haben, dann erklären sie uns ewige Fehde!   Ach Gott! ach Gott! wie wird es uns nun bloß ergehen!«

Hier sank dem armen Mädchen aller Mut, und sie vergoß einen Strom von Tränen.

In diesem Augenblick trat der Baron in das Zimmer. Er schalt die Tochter mit weit härtern Worten, als Waverley jemals aus seinem Munde gegen irgendwer vernommen hatte.

»Ists denn nicht schimpflicher als schimpflich für sie, sich in solcher Verfassung vor einem jungen Edelmanne zu zeigen?« rief er, »wie wenn sie um ein bißchen Vieh grade so flennen müßte, wie 's kaum für eine gewöhnliche Freisassentochter am Platze war! Kapitän Waverley, ich muß Euch bitten, daß Ihr für den Schmerz meiner Tochter eine freundliche Deutung findet! er mag seinen Grund wohl darin haben, daß sie keinen Trost über die Verwegenheit findet, mit welcher es sich Räuber haben einfallen lassen, uns hier einen Besuch abzustatten, und daß es der neuen Regierung beliebt, uns nicht einmal ein Dutzend Musketen zu vergönnen, mit denen wir uns das Gesindel doch vom Leibe halten könnten.«

Schösser Macwheeble trat ein und stimmte in diese Aeußerungen seines Patrons, die Musketen betreffend, von Heizen ein. Dann meldete er, daß ein ganzes Dutzend Räuber aus dem Hochlande hernieder gestiegen sei, und dabei bewegte er sich wieder, nur noch in verschärftem Tone, in jener demütigen Pendelform von rechts nach links und von links nach rechts, die wir gelegentlich jenes ersten Festmahls auf dem Schlosse zu Ehren des Kapitäns Waverley bereits geschildert haben.

Unterdessen schritt der Baron mit verbissenem Zorn in dem Zimmer auf und ab und ließ seinen Blick endlich auf einem alten Brustbild ruhen, das einen geharnischten Ritter darstellte mit einem Antlitz so grimmig, daß es einen gruseln konnte.

»Dieser Edelmann, Kapitän Waverley, ist mein Großvater. Er schlug mit zweihundert Reitern, die er auf seinen Ländereien ausheben durfte, fünfhundert von diesem hochländischen Raubgesindel aufs Haupt, die schon immer ein lapis offensionis für das benachbarte Unterland waren.... Ich sage Euch, er schlug sie, als sie hernieder gestiegen kamen, aufs Haupt, und tränkte ihnen die Frechheit, dieses Land zu verheeren, so tüchtig ein, daß sie auf geraume Zeit das Wiederkommen vergaßen. Das war im Jahre der Gnade, zur Zeit der bürgerlichen Unruhen, 1642.... Und jetzt, Junker, werde ich, sein Enkel, von einem Dutzend dieser unwürdigen Gesellen auf solch gemeine Weise beschimpft!«

Hier entstand eine Pause, und dann brachte jeder von den Anwesenden seine Ansicht und seinen Rat vor. »Alexander ab Alexandro« war der Meinung, man sollte eine Deputation entsenden, die mit den Katheranen über ein Lösegeld verhandeln solle, denn wenn die Kerle einen Taler für das Stück Vieh bekämen, dann würden sie ihre Beute schon wieder herausgeben. Aber der Schösser hielt dafür, daß dies ja doch der reine Diebslohn sei oder wie ein Vergleich über vollendeten Raub erscheine, und schlug deshalb vor, einen Mann mit vollem Beutel ins Tal hinunterzuschicken, der mit den, Räubern auf seine Kappe verhandeln solle, damit es nicht so aussähe, als ob der Laird dem Gesindel gegenüber zu Kreuze kröche. Edward schlug vor, aus der nächsten Garnison ein Militärkommando zu erbitten und einen obrigkeitlichen Verhaftbefehl zu erwirken. Und Rosa endlich machte den Vorschlag, das rückständige Schutzgeld an Fergus zu zahlen, der, wie jeder wüßte, es schnell dahin bringen könnte, daß die Herde wieder zurückerstattet würde, sofern man nur schnell mit ihm verhandelte.

Aber keiner dieser Vorschläge fand bei dem Baron Beifall. Er war einzig und allein für Krieg und rief, es sollten auf der Stelle Eilboten an Balmawhapple, Killancureit, Tilliclum und andre Lairds abgesandt werden, die ähnlichen Räubereien ausgesetzt wären, mit der Aufforderung, sich an einer gemeinschaftlichen Verfolgung zu beteiligen, »und dann sollen diese nebulones nequissimi, wie sie Leslaeus nennt, demselben Geschick überantwortet werden, wie ihr Vorgänger Cacus.«

Dem Schüssel wollten diese kriegerischen Ratschläge ganz und gar nicht behagen; er langte eine Taschenuhr von unheimlichen Dimensionen aus seiner Rocktasche   des Kuriosums halber sei hier bemerkt, daß sie mit einer zinnernen Wärmflasche mehr Aehnlichkeit besaß als mit einer Taschenuhr   und bemerkte, es sei nun schon neun und die Katheranen seien schon nach Sonnenaufgang gesehen worden, mithin sei doch anzunehmen, daß sie mit ihrem Raube längst in ihren pfadlosen Einöden in Sicherheit sein würden, ehe es möglich sein könnte, die genannten Hilfskräfte zusammenzutrommeln.

Dieser Einwurf ließ sich nicht widerlegen. Die Beratung wurde also aufgehoben, ohne daß sie einen Entschluß zu Tage gefördert hätte, wie es wohl öfter der Fall sein soll auch bei andern Körperschaften; bloß zu der einen Festsetzung gelangte man, daß der Schösser seine drei Milchkühe auf das Gut schicken solle, damit sich die Familie des Barons wenigstens für den Hausbedarf sichere, wohingegen sich der Schösser ein Gebräu Dünnbier für seinen Bedarf mitnehmen solle. Mit dieser Abmachung, die der Seneschall Saunders Saunderson ausgetiftelt hatte, erklärte der Schösser sich durchaus zufrieden, sowohl aus Ehrerbietung gegen die Patronatsfamilie, als auch weil er recht gut wußte, daß sie diese Gefälligkeit trotz der Leistung eines Gebräus Dünnbier nicht umsonst verlangen werde.

Hierauf entfernte sich der Baron, um die nötigen weitern Anordnungen zu treffen, und diese Gelegenheit ergriff Waverley, um zu fragen, ob dieser Fergus mit dem kaum auszusprechenden Familiennamen der Hauptspitzbube der Gegend sei.

»Spitzbube?« wiederholte Rosa. »Ein Edelmann ists, der in hohem Ansehen steht und als Oberhaupt eines mächtigen hochländischen Clans um seiner Unabhängigkeit willen gefürchtet ist, wie nicht weniger um seiner Verwandten und Bundesgenossen willen.«

»Und was hat er dann mit Räubern zu schaffen?« fragte Waverley. »Ist es eine obrigkeitliche Person oder soll er über den Frieden wachen?«

»Ueber den Frieden?« wiederholte Rosa; »nein! eher über den Krieg, wenns solch ein Amt gäbe! Er ist für jeden, der nicht Freundschaft mit ihm hält, ein sehr schlimmer Nachbar und hält eine größere Gefolgschaft auf den Beinen als manch andrer, der das dreifache von dem besitzt, was dieser Clanshäuptling sein eigen nennt. In welchem Verhältnis er zu den Räubern steht,« setzte Rosa hinzu, »kann ich Euch auch nicht erklären, aber soviel weiß ich, daß der verwegenste ihrer Bande dem keinen Huf zu stehlen wagt, der an Vich-Ian-Vohr das Schutzgeld entrichtet.«

»Und was ist das für ein Schutzgeld?«

»Eine Abgabe, die von den Edelleuten im Unterland an einen Häuptling im Hochland entrichtet wird, und davor schützt, daß ihm irgend welcher Schade an Leib und Vermögen geschehe.«

»Und solche Art von Hochlandsbandit hat in Gesellschaft Zutritt und wird Edelmann genannt?«

»Allerdings, und zwar nennt ihn alles mit Hochachtung so. So hat sich der Zwist mit meinem Vater auf einer Bezirksversammlung des Adels entsponnen, als sich Fergus Mac-Ivor rühmte, daß ihm der Vorrang gebühre vor allen unterländischen Edelleuten, und mein Vater es nicht gelten lassen wollte. Er ist übrigens ein schöner, stattlicher Mann und seine Schwester Flora eine der schönsten und gebildetsten jungen Damen der ganzen Gegend und in einem Kloster in Frankreich erzogen; sie ist bis zu diesem Zwiste zwischen meinem Vater und ihrem Bruder eine der liebsten von meinen Freundinnen gewesen. Kapitän Waverley, bietet doch allen Einfluß bei meinem Vater auf, daß die Sache geschlichtet werde, denn Tully-Veolan war niemals ein sicherer und ungefährdeter Ort, sobald wir mit den Hochländern in Zwist gerieten.«

Waverley fühlte sich eigentümlich betroffen durch diese Schilderungen des Landeszustands, die ihm ebenso neu wie außergewöhnlich vorkamen. Von den Räubern im Hochlande hatte er wohl schon gehört, aber sich niemals eine Vorstellung davon gemacht, wie sie ihre räuberischen Ausfälle unternahmen, und nun hörte er gar, daß diese Uebertreter des Gesetzes zum Adel von Schottland zählten und im Lande geachtet würden! daß man sich vor ihnen Sicherung schaffte durch Zahlung eines Tributes!

Wie ein Traum war es für Waverley, solche Dinge zu hören, die in ihm die Meinung weckten, als befände er sich nicht im Norden der großbritischen Insel, sondern in irgend welchem überseeischen Raub- oder Diebesstaate!


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