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Sechstes Kapitel.

Am andern Morgen verließ Edward Schloß Waverley-Würden unter den mannigfachsten Empfindungen, unter denen das vorherrschendste ein verhaltner Ernst war. Recht wohl erklärlich, da sich der junge Mann nun auf sich selbst im Leben angewiesen sah. Die gesamte Dienerschaft und Dorfbewohnerschaft begleitete ihn mit ihren Segenswünschen, und manche brachten bei diesem Anlaß auf bauernschlaue Weise ein Gesuch an, sie vorkommendenfalls, wenn ein Sergeantenposten oder in einer Korporalschaft was frei werden solle, in alter Gunst und Huld berücksichtigen zu wollen. Wäre auch ihr Jakob und Jonathan im Grunde bloß Rekrut geworden, weil sie es für Pflicht und Schuldigkeit erachteten, dem gnädigen Herrn dienstbar zu sein, wo sich Gelegenheit dazu böte, so sei es doch wohl nicht uneben von ihnen, darum zu bitten. Edward entzog sich nach Möglichkeit diesen Bittstellern, versprach ihnen aber weit weniger als man von solchem jungen, in der Welt noch so wenig bekannten Manne hätte erwarten sollen.

Nach kurzem Besuch in London ging es, gemäß der damaligen Landessitte, zu Pferde weiter nach Edinburg, und von dort nach D..., einer Stadt an der Ostküste von Angusshire, in welcher sein Dragonerregiment in Garnison lag.

Edward trat nun in eine neue Welt ein, in der eine Zeitlang alles wunderschön war, weil alles nagelneu war. Für seinen Obristen und Regimentschef, einen schlanken, stattlichen und trotz der vorgerückten Jahre noch außerordentlich lebhaften Herrn, schwärmte der zur Romantik geneigte, wißbegierige Jüngling. In seiner ersten Jugend war der Obrist, wie unter den Offizieren die Rede ging, ein gar flotter und lebensfroher Herr gewesen, und von seiner plötzlichen Wandlung zu einem ernsten, fast pietistisch angehauchten Manne waren allerhand Geschichten im Umlauf. Und wenn man sich auch zuraunte, es habe dabei etwas wie eine übernatürliche Botschaft eine Rolle mitgespielt, die sich auch den äußern Sinnen offenbart habe, und manche infolgedessen einen Hang zur religiösen Schwärmerei bei dem Manne finden wollten, so war doch jeder durchaus frei von dem Gedanken, einen Heuchler in ihm zu wittern. Durch diesen Umstand seltsamer und geheimnisvoller Art bekam der Oberst in den Augen unsers jungen Helden den Nimbus des Ungewöhnlichen, in gewissem Sinne sogar Feierlichen, und man wird sich leicht vorstellen können, daß die Offiziere in einem Regiment, dessen Kommandeur solch achtungswerter Charakter war, um vieles gesetzter und tüchtiger waren, als es sich in der Regel durch Urteilssprüche von Kriegsgerichten erreichen läßt, und daß demzufolge Edward Waverley mancherlei Versuchungen und Stricken entging, denen er unter andern Umständen leicht hätte ausgesetzt sein können.

Inzwischen nahm seine militärische Ausbildung ihren regelmäßigen Fortgang. Ein guter Reitersmann war der junge Waverley immer gewesen, jetzt wurde er in die Künste der Reitbahn völlig eingeweiht, die ja in ihrer höchsten Vollendung fast bis an die Fabeln von den Kentauren heranreichen. Auch in den Pflichten, die der Soldat im Felde zu erfüllen hat, erhielt er den ersten Unterricht, aber bemerkt muß hierbei werden, daß die Fortschritte, die er auf diesem Gebiet machte, nicht den Anforderungen entsprachen, die er in dieser Hinsicht an sich selbst stellte. Die Pflichten eines Offiziers, die dem Laien am meisten in die Augen springen, stellen ihrem wesentlichen Teile nach eine trockne, abstrakte Aufgabe dar, da sie zumeist in der Arithmetik fußen, die einen klaren und nüchternen Kopf verlangt, wenn sie mit Erfolg betrieben werden soll. Unser Held aber sah sich immer und immer wieder durch andre Dinge abgelenkt, so daß er mehr Böcke schoß, als er zu Tadel und Vorwürfen Zeit fand. Und wenn er sich dann sagen mußte, daß ihm noch recht viel fehle von den Eigenschaften, die für seinen neuen Stand die eigentliche » conditio sine qua non« bildeten, so fühlte er sich von Gefühlen höchst peinlicher Art beschlichen, und oft fragte er sich, warum sein Auge einen gegebenen Raum nichts ebenso taxieren, eine bestimmte Distanz nicht ebenso scharf messen könne, wie das Auge seiner Kameraden, oder warum sein Gedächtnis, das doch für andre Dinge so empfänglich war, nicht im stande war, die Kunstausdrücke und kleinen Dinge zu merken, die für eine Parade wie für den Felddienst von Belang waren. Ein glücklicher Umstand für Edward Waverley war es, daß er von Natur bescheiden veranlagt war und nicht in die blasierte Meinung verfiel, als habe er es nicht nötig, sich um die kleineren Dinge und Regeln des militärischen Dienstes zu bekümmern. Aber der Grund für diesen Mangel, sein Gedächtnis für solche Dinge zu drillen, war in seiner regellosen Leserei zu suchen, die auf sein von Natur verschlossenes Gemüt die Wirkung üben mußte, schnell der Empfindung von Langweile zu verfallen. Und das war denn auch bei ihm sehr bald der Fall, und zwar nicht bloß in einzelnen Dingen seines neuen Berufs, sondern in seinem neuen Leben im allgemeinen. Der Adel in der Umgegend harmonierte nicht mit dem Militär, von Einladungen war kaum einmal die Rede, und die Stadtbewohner waren von ihren Geschäften und Berufsarbeiten zu stark in Anspruch genommen, als daß sich Waverley hätte mit ihnen oder sie sich hätten mit Waverley befassen können.

Da kam die schöne Jahreszeit und mit ihr der Wunsch, sich Schottland ein bißchen anzusehen, mehr wenigstens, als es ihm die gelegentlichen Spazierritte in die Umgegend seiner Garnison ermöglichten, und so ließ er sich bestimmen, einen mehrwöchentlichen Urlaub zu nehmen.

Zunächst nahm er sich vor, dem alten Freund seines Oheims einen Besuch abzustatten mit dem stillen Vorbehalt, seinen Aufenthalt dort, je nachdem es ihm dort behagte oder nicht, zu verkürzen oder zu verlängern. Er machte die Reise zu Pferde und nahm bloß einen Diener zu seiner Begleitung mit. Die erste Nacht brachte er in einem ärmlichen Gasthause zu, dessen Wirtin barfuß lief und dessen Wirt, trotzdem er sich seinem Gaste als Gentleman vorstellte, saugrob wurde, als Edward ihn nicht einlud, mit ihm zur Nacht zu speisen. Am Tage darauf führte ihn sein Weg durch ein offnes Gelände, das sich ziemlich weit erstreckte, bis sich endlich am Horizont als verschwommene Kette die Hochlande von Pertshire zeigten, die dann aber bald zu gigantischen Mauern aufstiegen, die kühn und stolz auf das Tiefland zu ihren Füßen herniederschauten.

Nahe dem Fuße dieses unermeßlichen Grenzwalls, aber noch immer im Tieflande, hauste Como Comyne Bradwardine von Bradwardine, und sofern man silberlockigem Alter wirklich Glauben schenken darf, so hausten allhier die Bradwardines von Bradwardine seit den Tagen des Königs Duncan des Gütigen.


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